Armut, Ernährung und Gesundheitschancen als Distinktionsmerkmale

Ursachen und Folgen eines Lebensstils in der 'Wohlstandsgesellschaft' Deutschland


Hausarbeit, 2013

18 Seiten, Note: 1,0

Yuna F. Janzen (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Distinktion nach Bourdieu
2.1 Der Habitus nach Bourdieu
2.2 Soziale Klassen und Geschmacksklassen nach Bourdieu
2.3 Das ökonomische, kulturelle und soziale Kapital nach Bourdieu
2.4 Geschmack und Ernährung als Distinktionsmerkmale nach Bourdieu

3. Das Ernährungsverhalten in relativer Armut und Folgen in der modernen ‚Wohlstandsgesellschaft‘ Deutschland
3.1 Ernährung in relativer Armut in der Bundesrepublik Deutschland
3.2 Gesundheitliche Defizite als Folge des Ernährungsverhalten in relativer Armut

4. Der Kausalzusammenhang zwischen geminderten Gesundheitschancen und Ernährung in relativer Armut in der Bundesrepublik Deutschland
4.1 Kausationshypothese: Armut macht krank
4.2 Selektionshypothese: Krankheit macht arm
4.3 Bewertung des Kausalzusammenhangs

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Essen und Trinken sind grundlegende Bedürfnisse, die jeder Mensch befriedigen muss, um zu überleben. Das Grundbedürfnis, Nahrung zu sich zu nehmen, zwingt den Menschen jedoch lediglich dazu, sich Nahrung zu beschaffen. Zubereitung und Einnahme folgen jedoch nicht nur einem Trieb, sondern spiegeln neben physischen auch psychische, wirtschaftliche, politische sowie weitreichende soziale und gesamtgesellschaftliche Aspekte wieder. Im Gegensatz zu der triebhaften Nahrungsbeschaffung von Tieren bewertet, wählt und meidet der Mensch Lebensmittel. Diese Dimension lässt sich an Art und Zubereitung von Nahrung festmachen (vgl. Barlösius 2011: 48f.).

Die Ernährung bestimmt stark die Gesundheit und die Wahl eines Lebensmittels wird nicht zuletzt bestimmt durch das Einkommen. Aus diesem postulierten Zusammenhang zwischen Einkommen, Ernährung und Gesundheit drängt sich die Frage auf, ob sich in dieser Begriffstriade Distinktionsmerkmale nachweisen lassen und in welchem Kausalzusammenhang diese stehen.

Die Wahl der Ernährung ist begründet mit dem Geschmack, der die soziale Distinktion zu Folge hat. Spricht man von Geschmack im alltäglichen Sinne, beschränkt man sich allzu oft auf das simple Schmecken mit der Zunge. Meine Arbeit beschränkt sich jedoch auf den kulturellen und sozialen Geschmack, der anhand Pierre Bourdieus Theorie aus „Die feinen Unterschiede“ (1982) und „Die verborgenen Mechanismen der Macht“ (1992) erklärt werden soll. Zum differenzierten Verständnis von Geschmack und Distinktion wird hierzu der Habitus, Klassen, Geschmacksklassen, sowie die Kapitalsorten erläutert. Darauf aufbauend soll Ernährung als Distinktionsmerkmal veranschaulicht werden.

Im dritten Teil möchte ich das Ernährungsverhalten in relativer Armut in der Bundesrepublik darstellen und auf die gesundheitlichen Folgen eingehen. Der abschließende Teil soll den postulierten Zusammenhang anhand zwei gegenläufiger Hypothesen auf seine Kausalität untersuchen.

Tischsitten und Bräuche, sowie das Schmecken mit Zunge und Gaumen werden in dieser Arbeit vernachlässigt. Sie soll den Schwerpunkt auf die Ernährungsmerkmale und Defizite in der modernen ´Wohlstandsgesellschaft´ der Bundesrepublik Deutschland setzen.

2. Distinktion nach Bourdieu

Jedes Merkmal bekommt seine Bedeutung durch die Abgrenzung von anderen Merkmalen. Diese aktive Unterscheidung trägt eine soziale Wertung in sich, die nicht nur getroffen wird „um etwas zu unterscheiden, sondern um etwas positiv abzuheben.“ (Fröhlich/Rehbein 2009: 76). Die individuelle Abgrenzung von Anderem führt zu einer im Vergleich zu Anderem positiveren Beurteilung. Die Logik der Zugehörigkeit oder der Nicht - Zugehörigkeit findet man in der realen Sozialwelt überall, ist nicht willkürlich bestimmt, sondern dort festgelegt, wo man Grenzen zieht, die über Inklusion und Exklusion entscheiden; die sozialen Klassengrenzen (vgl. Bourdieu 1982: 743). Man kann „kulturellen Konsum“ (ebd.:17) erst dann verstehen, wenn man auch den „raffinierteste[n] Geschmack für erlesenste Objekte […] mit dem elementaren Schmecken von Zunge und Gaumen verknüpft“ und zu einem „globaleren ethnologischen Begriff von Kultur“ (ebd.:17) zusammenfügt (vgl. ebd.: 17). Damit ist der Begriff der Kultur in dem Begriff der Distinktion im weiten Sinne enthalten, weswegen er sich auf soziale Schichten übertragen lässt, die einen Lebensstil pflegen mit dem sie sich von anderen positiv abheben können (vgl. Fröhlich/Rehbein 2009: 76). In diesem Sinne ist der Originaltitel Bourdieus` „Die feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1982); „La distinction“ sehr aussagekräftig, da er den Kern des Werkes präzise trifft: „[W]ie sich soziale Unterschiede in aktive Unterscheidungen oder Distinktionen des Lebensstils übersetzen […] wie soziale Differenzen in Form unterschiedlichen Geschmacks den Alltag durchdringen und wie dabei die Bedeutung von Herrschaft und Klasse verschleiert wird“ (Fröhlich/Rehbein 2009: 76).

Die Aspekte, die zu einer breiten gesellschaftlichen Distinktion führen, bilden im Grunde der Begriff des Habitus, aus dem ein Klassenhabitus hervorgeht, der wiederum in Zusammenhang mit Klassen und Geschmacksklassen und den verschiedenen Kapitalarten steht.

2.1. Der Habitus nach Bourdieu

Mit dem Begriff des Habitus beschreibt Bourdieu in erster Linie die „Inkorporierung der Struktur des sozialen Raums“ (Bourdieu 1982: 285), also verkörperlichte soziale Merkmale, die sich durch Erfahrungen von klein auf verinnerlichen und durch die Aneignung auf die tägliche Praxis erstrecken (vgl. ebd.: 285f.). Demnach „stellt dieses Klassifikationssystem […] die Grundlage der[…] Regelmäßigkeiten einer Soziallage angepassten Praxisform dar“ (ebd.: 285), oder auch die kulturellen und ökonomischen Existenzgrundlagen, denen man sich unbewusst fügt. Versteht man den Begriff in diesem Sinne als die Verkörperlichung der sozialen Umstände, erklärt sich wie Lebensstile durch den sozialen Raum geprägt werden. Abhängig von Kapitalstruktur und Volumen ergeben sich durch die soziale Position unterschiedliche Arten von Möglichkeiten, wie ein Leben geführt werden kann (vgl. ebd.: 286f.). Diese Randbedingungen „dräng[en] zu ´Entscheidungen´, die der gegebenen sozialen Lage […] im vorhinein angepaßt [sic] sind“ (ebd.: 285).

In dem habituellen Lebensstil lässt sich neben individuellen Identitäten auch ein Klassenhabitus erkennen, ist doch in dem Habitus „ die gesamte Struktur des Systems der Existenzbedingungen angelegt, so wie diese sich in der Erfahrung einer besonderen sozialen Lage mit einer bestimmten Position innerhalb dieser niederschlägt. “ (ebd.: 279).

Demnach sind die Existenzbedingungen klassenbildend.

Versteht man anhand der folgenden Erklärung das Bourdieusche Verständnis von Klassen und den daraus resultierenden Geschmacksklassen, wird der Begriff des Klassenhabitus selbsterklärend. Die Gesamtheit der Existenzbedingungen bestimmt den Habitus, der Habitus bildet den Geschmack heraus, der wiederum die Lebensumstände bestimmt. Es erschließt sich also eine Abhängigkeit der Begriffe, zum einem auf Individualebene, zum anderen auf der Gesellschafts- oder Klassenebene.

2.2 Soziale Klassen und Geschmacksklassen nach Bourdieu

Der soziologische Klassenbegriff nach Bourdieu versteht Klassen als Gruppierungen von Akteuren, die „homogenen Lebensbedingungen […] [,]die homogene Konditionierungen, Anpassungsprozesse [also,] auferlegen“ (Bourdieu 1982: 175), unterworfen sind; Gruppen, die unter ähnlichen Möglichkeiten leben und gleiche „objektivierte“ (ebd.: 175) und „inkorporierte“ (ebd.: 175), also materielle und habituelle Merkmale vorweisen (ebd.: 175). Diesen Klassenbegriff nennt Bourdieu die „objektive Klasse“ (ebd.: 175). Neben ihr gibt es noch die nicht zu verwechselnde „mobilisierte Klasse“ (ebd.: 175), die aus Akteuren besteht, die sich bewusst zusammengefügt haben um Bewahrung oder Veränderung der gesellschaftlichen Verteilungsstruktur zu bewirken.

Nach Bourdieu kann unterschieden werden zwischen den Klassen, die sich auf den inkorporierten Habitus, der praktischen Verwendung der Existenzgrundlage und somit dem Lebensstil gründen und jenen Klassen, die aus dem Kapital und der Existenzgrundlage hervorgehen. Erstere erschließt sich zwar aus der Zweiten, trotzdem ist sie nicht auf die Kapitalgrundlage reduzierbar, weil sich aktive habituelle Unterschiede im Gegensatz zu passiven ökonomischen Merkmalen aufweisen (vgl. Fröhlich/Rehbein 2009: 142).

„ Eine soziale Klasse ist definiert weder durch ein Merkmal [ … ], noch durch eine Summe von Merkmalen[...], noch auch durch eine Kette von Merkmalen [ … ]. Eine soziale Klasse ist viel mehr definiert durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten

Merkmalen, die jeder [Klasse, J.S.] [ … ] ihren spezifische Wert verleiht. “ (Hervorhebung im Original, Bourdieu 1982: 182).

Eine soziale Klasse ist demnach nicht nur durch das eine Merkmal Produktionsverhältnisse, oder durch die Summe und Verkettung von ökonomischen Kapital und Bildungskapital definiert, sondern auch durch den Klassenhabitus, der jedoch „mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit“ (ebd.: 585) mit ihrer Stellung in den Produktionsverhältnissen übereinstimmt (vgl. ebd.: 585). Bourdieu unterscheidet zwischen den herrschenden und beherrschten Klassen, wobei er im Bezug auf das Frankreich des 20. Jahrhunderts das Bürgertum, bzw. Bourgeoisie als herrschende Klasse benennt. Diese zeichnet sich im Unterschied zu der beherrschten Klasse primär durch ein großes Kapitalvolumen aus, das jedoch in der Kapitalstruktur variiert. Die beherrschte Klasse setzt sich aus dem Kleinbürgertum und dem Proletariat zusammen. Das Kleinbürgertum verfügt über bessere Lebensbedingungen und einen gehobeneren Lebensstil als das Proletariat, welches sich überwiegend durch Mangel jeder Kapitalart auszeichnet (vgl. Fröhlich/Rehbein 2009: 142; Bourdieu 1982: 202ff.).

Dem Geschmack liegt der Kampf der Klassen zugrunde, denn Geschmack ist ein „bevorzugtes Merkmal von ´Klasse´“ (Bourdieu 1982: 18). Um Geschmacksklassen zu bestimmten untersuchte Bourdieu die Präferenzen für Musik und Malerei. Diese Merkmale stünden zwar primär nicht im Zusammenhang mit Schulbildungsinhalten, trotzdem ließe sich eine enorme Korrelation „zwischen Bildungskapital und Kenntnissen oder Tätigkeiten auf Gebieten, die der Schulbildung so fern stehen wie Musik und Malerei“ (Bourdieu 1982: 39) feststellen. An dieser Stelle drängt sich die Frage nach „der effektiven Gleichheit der beiden in Verbindung gebrachten und darin sich definierenden Glieder“ (ebd.: 39) auf, wobei es nicht ausreichend ist, die starke Korrelation rein statistisch zu betrachten, sondern „den Sinn zu hinterfragen, der ihnen [den Variablen Bildung und Geschmack; J.S.] innerhalb der betreffenden Relation zukommt und aus dieser erwächst“ (ebd.: 39). Vorlieben und Geschmäcker sind nicht naturgegeben, sondern bedingt durch den Sozialisationsprozess, der die „kulturellen Bedürfnisse“ (ebd.: 17) festlegt.

Die Beurteilung der Ästhetik eines Objekts ist motiviert durch ein Normensystem, das abhängig von den sozialen Bedingungen, dem Habitus, sowie Kapitalvolumen und - Struktur variiert. Demzufolge hängen die Wertungen die man trifft von der sozialen Stellung eines Akteurs ab (vgl. ebd.: 24). Geschmack ist demnach das Merkmal, das eine Umwandlung der Dinge „aus der physischen Ordnung […] in die symbolische Ordnung signifikanter Unterscheidungen“ (Hervorhebungen im Original; ebd.: 284) bewirkt. Durch ihn verwandeln sich selbstreferentielle Klassifikationen, also objektive Klassen, die sich durch ihre soziale Lage selbst eine Bedeutung geben, in klassifizierende Klassen, die auch symbolischen Charakter dadurch haben, dass der Geschmack sie in eine sozial konkurrierende Beziehung zueinander setzt (vgl. ebd.: 284).

Bourdieu unterscheidet zwischen drei Geschmacksdimensionen, die sich wiederum weitläufig drei Bildungsniveaus sowie drei gesellschaftlichen Klassen zuordnen lassen (vgl. ebd.: 36f.):

I. Der legitime Geschmack, repräsentiert durch Geschmack für legitime, also hochangesehene Kunst und Werke. Vertreten ist der legitime Geschmack in der hohen Bildungsklasse, also in den Kreisen der herrschenden Klasse mit dem größten Bildungskapital (vgl. ebd.: 36ff.).

Der legitime Geschmack variiert nach Kapitalvolumen und Struktur, je nach dem ob über mehr kulturelles als ökonomisches Kapital verfügt wird, eignet man sich Objekte aus symbolischen Gründen an oder man sieht Kunstobjekte „in erster Linie als käufliche Luxusobjekte“ (Fröhlich/Rehbein 2009: 106) an und gebraucht kulturelle Treffen als „gesellschaftliches Ereignis“ (ebd.: 106) und nicht zum Austausch kulturellen Wissens.

Weitere Faktoren für die Bewertung von Ästhetik im Sinne des legitimen Geschmacks sind Alter und soziale Laufbahn, also die Dynamiken individueller Startpunkte zur letztendlichen Position innerhalb des Raumes (vgl. ebd.: 106, 163).

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Armut, Ernährung und Gesundheitschancen als Distinktionsmerkmale
Untertitel
Ursachen und Folgen eines Lebensstils in der 'Wohlstandsgesellschaft' Deutschland
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Soziologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
18
Katalognummer
V268773
ISBN (eBook)
9783656597773
ISBN (Buch)
9783656597711
Dateigröße
419 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Distinktion, Ernährung, Soziologie des Essens, Ernährungssoziologie, Gesundheitssoziologie, Bourdieu, Habitus, Gesundheitschancen
Arbeit zitieren
Yuna F. Janzen (Autor:in), 2013, Armut, Ernährung und Gesundheitschancen als Distinktionsmerkmale, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268773

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