Ricardo Piglia experimentiert in seinen Werken wie kaum ein anderer argentinischer Autor der Gegenwart mit literarischen Traditionen. Auch der jüngste Roman des Argentiniers, Blanco nocturno (2010), ist voll von direkten und verschlüsselten Reflektionen über Literatur. Dabei geht es auch um das Genre der Kriminalerzählung, für das Piglia bereits in den 70er Jahren einen wichtigen „divulgador y cultor“ darstellte. Nicht zufällig reflektiert der Protagonist Emilio Renzi, der in seiner Freizeit Kriminalerzählungen liest, in Blanco nocturno über das Genre selbst und schlägt die Begründung eines „nuevo género policial“, das der „ficción paranoica“, vor. Wie jeder narrative Text bzw. jede Textgruppe sich aus bestimmten Narrativen zusammensetzt, werden auch in Blanco nocturno narrative Elemente aus verschiedenen Traditionslinien der Kriminalerzählung verknüpft. Dass Piglia dabei ganz bewusst Traditionen aufgreift und gleichzeitig modifiziert, zeigt die herausgestellte Intertextualität, in der wie beiläufig das Genre (mit)konstituierende und kanonisch gewordene Kriminalerzählungen im Zitat evoziert werden.
In dieser Arbeit soll der zentralen Frage des Umgangs mit dem Kanon in Blanco nocturno nachgegangen werden: welche gattungsspezifischen Elemente der Kriminalgeschichte werden aufgegriffen und wo lässt sich der Roman im Genre verorten? In einem der wenigen gedruckten Forschungsbeiträge, der Blanco nocturno wenigstens am Rande anschneidet, wird konstatiert, dass die Erzählung dazu einlade, die traditionelle Unterscheidung zwischen der "novela de enigma" und den "narrativas negras" zu überdenken. Den beiden Autorinnen zufolge sei Blanco Nocturno allerdings eher dem eher dem "resurgimiento del relato problema" zuzuordnen. Dies soll unter anderem in dieser Arbeit diskutiert werden.
Dazu muss zunächst geklärt werden, welches die Charakteristika der novela negra und novela de enigma sind. Anschließend werden Elemente beider Textgruppen in Blanco nocturno analysiert. In den Fokus rücken dabei insbesondere die Konfiguration der Ermittlung und das entworfene Gesellschaftsbild. Im letzten Kapitel der Arbeit sollen bestimmte Transformationen neuralgischer Punkte der Kriminalgeschichte herausgearbeitet werden. Es soll untersucht werden, inwiefern eingelöst wird, was im Text selbst in der bereits genannten metafiktionalen Figurenrede mit „ficción paranoica“ benannt ist.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Novela de enigma und novela negra
- 2.1 Novela de enigma
- 2.2 Novela negra
- 3. Blanco nocturno: eine novela de enigma?
- 3.1 Das archetypische Ermittlerduo
- 3.2 Die Entdeckung des Mordes
- 4. Blanco nocturno: eine novela negra?
- 4.1 Die Figur des Kommissars
- 4.2 Gesellschaftsbild
- 5. Ficción paranoica
- 5.1 Die Unauflösbarkeit des Verbrechens und seine Motivierung
- 5.2 Vernunft vs. Intuition und Wahnsinn
- 5.3 Erzählerische Verwirrung
- 6. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Ricardo Piglias Roman „Blanco nocturno“ im Kontext der Kriminalerzählung. Ziel ist es, die gattungsspezifischen Elemente der „novela de enigma“ und der „novela negra“ im Roman zu identifizieren und zu analysieren, um seine genaue Einordnung im Genre zu bestimmen. Die Arbeit hinterfragt die traditionelle Unterscheidung zwischen diesen beiden Gattungen und diskutiert, inwiefern Piglias Werk diese Konventionen aufgreift, modifiziert und letztlich möglicherweise ein neues Genre – die „ficción paranoica“ – etabliert.
- Gattungsmerkmale von „novela de enigma“ und „novela negra“
- Analyse der Ermittlung und des Gesellschaftsbildes in „Blanco nocturno“
- Untersuchung der „ficción paranoica“ als mögliches neues Genre
- Intertextualität und der Umgang mit literarischen Traditionen
- Transformationen neuralgischer Punkte der Kriminalgeschichte
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung stellt Ricardo Piglia als einen argentinischen Autor vor, der in seinen Werken mit literarischen Traditionen experimentiert und sich selbstreflexiv mit Literatur, ihren Grenzen und Möglichkeiten auseinandersetzt. Der Fokus liegt auf Piglias Roman „Blanco nocturno“ (2010), der durch direkte und verschlüsselte Reflexionen über Literatur und das Genre der Kriminalerzählung gekennzeichnet ist. Die Arbeit untersucht, welche gattungsspezifischen Elemente der Kriminalgeschichte in „Blanco nocturno“ aufgegriffen werden und wie der Roman im Genre verortet werden kann, insbesondere im Hinblick auf die Debatte zwischen „novela de enigma“ und „novela negra“ und der vorgeschlagenen „ficción paranoica“.
2. Novela de enigma und novela negra: Dieses Kapitel beleuchtet die Entstehung und die wichtigsten Charakteristika der „novela de enigma“ und der „novela negra“. Es wird die Entwicklung des Kriminalromans von Edgar Allan Poe über Agatha Christie bis hin zu den hard-boiled novels der 1920er Jahre in Nordamerika nachgezeichnet. Der Fokus liegt auf den strukturellen Unterschieden, den Rollen der Detektive, den Gesellschaftsbildern und der sprachlichen Gestaltung beider Genres. Die „novela de enigma“ zeichnet sich durch eine rationale Lösung eines Verbrechens aus, während die „novela negra“ ein pessimistischeres Gesellschaftsbild und einen in das Geschehen involvierten Detektiv präsentiert. Das Kapitel betont, wie jeder Text Elemente verschiedener Gattungen verbindet und gleichzeitig deren Grenzen überschreitet.
3. Blanco nocturno: eine novela de enigma?: Dieses Kapitel analysiert „Blanco nocturno“ unter dem Blickwinkel der „novela de enigma“. Es untersucht die Gestaltung des Ermittlerduos und die Art und Weise der Entdeckung des Mordes. Die Analyse prüft, inwieweit die typischen Elemente des Rätselromans – der rationale Detektiv, die schrittweise Aufklärung des Verbrechens und die Wiederherstellung der sozialen Ordnung – in Piglias Werk vorhanden sind. Der Vergleich mit kanonischen Werken des Genres liefert weitere Einblicke in die Positionierung von „Blanco nocturno“ innerhalb der Tradition der „novela de enigma“.
4. Blanco nocturno: eine novela negra?: Dieses Kapitel untersucht „Blanco nocturno“ im Kontext der „novela negra“. Die Analyse konzentriert sich auf die Figur des Kommissars und das im Roman entworfene Gesellschaftsbild. Es wird geprüft, inwieweit die für die „novela negra“ typischen Merkmale wie Pessimismus, Gewalt, Amoralität und die gesellschaftliche Einbettung des Verbrechens in Piglias Werk präsent sind. Die Arbeit analysiert, ob und wie der Protagonist in „Blanco nocturno“ als „héroe prometeico“ charakterisiert werden kann, der trotz der düsteren Realität versucht, die Gesellschaft zu regenerieren.
5. Ficción paranoica: Dieses Kapitel befasst sich mit der von Emilio Renzi, einer Figur in „Blanco nocturno“, vorgeschlagenen „ficción paranoica“. Die Analyse konzentriert sich auf die Unauflösbarkeit des Verbrechens und dessen Motivierung, den Gegensatz zwischen Vernunft und Intuition/Wahnsinn, sowie die erzählerische Verwirrung im Roman. Es wird untersucht, inwieweit diese Elemente die Definition und die Grenzen der „ficción paranoica“ als mögliches neues Genre innerhalb der Kriminalerzählung definieren und erweitern.
Schlüsselwörter
Blanco nocturno, Ricardo Piglia, Novela de enigma, Novela negra, Ficción paranoica, Kriminalroman, Gattungsmerkmale, Ermittlung, Gesellschaftsbild, Intertextualität, Literatur, Selbstreflexivität, Argentinische Literatur.
Ricardo Piglias "Blanco nocturno": Häufige Fragen (FAQ)
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Ricardo Piglias Roman "Blanco nocturno" im Kontext der Kriminalerzählung. Sie untersucht die gattungsspezifischen Elemente der „novela de enigma“ und der „novela negra“ in Piglias Werk und hinterfragt die traditionelle Unterscheidung zwischen diesen beiden Gattungen. Ein weiterer Fokus liegt auf der möglichen Etablierung eines neuen Genres: der „ficción paranoica“.
Welche Zielsetzung verfolgt die Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, die genaue Einordnung von "Blanco nocturno" im Genre der Kriminalerzählung zu bestimmen. Sie identifiziert und analysiert gattungsspezifische Elemente und diskutiert, inwiefern Piglias Roman diese Konventionen aufgreift, modifiziert oder gar transzendiert.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Themenschwerpunkte: Gattungsmerkmale von „novela de enigma“ und „novela negra“, Analyse der Ermittlung und des Gesellschaftsbildes in „Blanco nocturno“, Untersuchung der „ficción paranoica“ als mögliches neues Genre, Intertextualität und der Umgang mit literarischen Traditionen sowie Transformationen neuralgischer Punkte der Kriminalgeschichte.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel: Einleitung, „Novela de enigma und novela negra“, „Blanco nocturno: eine novela de enigma?“, „Blanco nocturno: eine novela negra?“, „Ficción paranoica“ und Schluss. Jedes Kapitel behandelt einen spezifischen Aspekt der Analyse von "Blanco nocturno" im Kontext der Kriminalerzählung.
Was wird im Kapitel über die "Novela de enigma" und "Novela negra" behandelt?
Dieses Kapitel beleuchtet die Entstehung und die wichtigsten Charakteristika beider Genres. Es zeichnet die Entwicklung des Kriminalromans nach und fokussiert auf strukturelle Unterschiede, die Rollen der Detektive, die Gesellschaftsbilder und die sprachliche Gestaltung. Es wird der Unterschied zwischen rationaler Lösung (Novela de Enigma) und pessimistischem Gesellschaftsbild mit involviertem Detektiv (Novela Negra) hervorgehoben.
Wie wird "Blanco nocturno" als "Novela de Enigma" analysiert?
Das Kapitel analysiert "Blanco nocturno" auf die typischen Elemente des Rätselromans: den rationalen Detektiv, die schrittweise Aufklärung des Verbrechens und die Wiederherstellung der sozialen Ordnung. Es vergleicht Piglias Werk mit kanonischen Werken des Genres.
Wie wird "Blanco nocturno" als "Novela Negra" analysiert?
Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Figur des Kommissars und das Gesellschaftsbild im Roman. Es untersucht, inwieweit Merkmale wie Pessimismus, Gewalt, Amoralität und die gesellschaftliche Einbettung des Verbrechens in Piglias Werk präsent sind und ob der Protagonist als "héroe prometeico" charakterisiert werden kann.
Was ist die "Ficción Paranoica"?
Dieses Kapitel befasst sich mit der von einer Figur in "Blanco nocturno" vorgeschlagenen "ficción paranoica". Analysiert werden die Unauflösbarkeit des Verbrechens, der Gegensatz zwischen Vernunft und Intuition/Wahnsinn und die erzählerische Verwirrung. Es wird untersucht, inwieweit diese Elemente das neue Genre definieren und erweitern.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Blanco nocturno, Ricardo Piglia, Novela de enigma, Novela negra, Ficción paranoica, Kriminalroman, Gattungsmerkmale, Ermittlung, Gesellschaftsbild, Intertextualität, Literatur, Selbstreflexivität, Argentinische Literatur.
Welche Zusammenfassung der Kapitel wird gegeben?
Es wird eine kurze Zusammenfassung jedes Kapitels gegeben, welche die wichtigsten Aspekte und die Analysemethoden jeweils beschreibt. Die Zusammenfassungen bieten einen Überblick über den Inhalt und die Argumentationslinie der Arbeit.
- Arbeit zitieren
- Christoph Heckl (Autor:in), 2014, Ricardo Piglias "Blanco nocturno". Ein Hybrid zwischen novela de engima und novela negra?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269036