Erhöhung der Gesundheitskompetenz von Menschen auf der Basis evidenzbasierter Gesundheitsinformationen


Magisterarbeit, 2011

174 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Zusammenfassung

2. Einleitung
2.1 Relevanz des Themas
2.2 Zielformulierung und Forschungsfrage
2.3 Inhaltliche Struktur

3. Theoretischer Hintergrund
3.1 Die Rolle der Patienten im Wandel
3.1.1 Änderung der Nutzerrolle
3.1.2 Gesundheitskompetenz
3.1.3 Nutzergruppen und ihre unterschiedlichen Merkmale
3.2 Gesundheitsinformationen
3.2.1 Aufgaben, Inhalte und weitere Aspekte von Gesundheitsinformationen
3.2.2 Probleme mit Gesundheitsinformationen
3.2.3 Qualitätssicherung von Gesundheitsinformationen
3.3 Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen
3.3.1 Ziele der evidenzbasierten Gesundheitsinformationen
3.3.2 Kriterien für die Erstellung evidenzbasierter Gesundheitsinformationen
3.4 Gesundheitsinformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
3.4.1 Das IQWiG und sein Ressort Gesundheitsinformationen
3.4.2 Die Informationsprodukte und ihr Erstellungsprozess

4. Nutzertestungen durch die Patientenuniversität der MHH
4.1 Testprocedere und getestete Produkte
4.2 Methodik der Nutzertestung
4.2.1 Schriftliche Einzelbewertungen
4.2.2 Gruppendiskussionen
4.3 Aufbereitung der Ergebnisse für das IQWiG

5. Methodik
5.1 Datenanalyse
5.1.1 Quantitative Datenanalyse
5.1.2 Qualitative Inhaltsanalyse
5.2 Teilnehmer

6. Ergebnisse
6.1 Quantitative Auswertung der Einzelbewertungen
6.1.1 Wirkungen der Gesundheitsinformationen insgesamt
6.1.2 Textbewertungen differenziert nach Geschlecht
6.1.3 Textbewertungen differenziert nach dem Vorliegen einer Erkrankung
6.1.4 Textbewertungen differenziert nach der Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe
6.1.5 Textbewertungen differenziert nach Altersgruppen
6.1.6 Textbewertungen differenziert nach dem Bildungsgrad
6.1.7 Textbewertungen differenziert nach Berufsgruppen
6.1.8 Textbewertungen differenziert nach dem individuellen Bezug der Tester zum Bewertungstext
6.1.9 Zusammenfassung der quantitativen Auswertung
6.2 Qualitative Auswertung der Gruppendiskussionen
6.2.1 Erhöhung der Gesundheitskompetenz
6.2.2 Keine Erhöhung der Gesundheitskompetenz
6.2.3 Zusammenfassung der qualitativen Auswertung

7. Diskussion
7.1 Diskussion der quantitativen Analyse
7.2 Diskussion der qualitativen Analyse

8. Handlungsempfehlungen und Schlussfolgerungen

Anhang

Anlage 1: Beispiel für eine Dokumentation der Einzelbewertungen einer Gesundheitsinformation

Anlage 2: Aufruf zur Teilnahme an den Nutzertestungen im Newsletter der Patientenuniversität, Juni 2008

Anlage 3: Beispiel für ein Wortprotokoll einer durchgeführten Gruppendiskussion.

Anlage 4: Übersicht über die getesteten Informationsprodukte

Anlage 5 Kategorienraster, Anzahl der Nennungen und Textzuordnungen zu den Bewertungen „trifft voll zu“ im Item „Infos wecken Vertrauen in die eigene Kompetenz“

Anlage 6 Kategorienraster, Anzahl der Nennungen und Textzuordnungen zu den Bewertungen „trifft gar nicht zu“ im Item „Infos wecken Vertrauen in die eigene Kompetenz“

Tabellenverzeichnis

Tab. 1 Anforderungen an Gesundheitsinformationen, Zusammenfassung der ‚Guten Praxis Gesundheitsinformation’

Tab. 2: Merkmale der Tester (N = 255)

Tab. 3 Bewertung der Texte (positiv formulierte Items), differenziert nach Geschlecht

Tab. 4 Signifikante Unterschiede in der Bewertung der Tester, differenziert nach Altersgruppen

Tab. 5 Signifikante Unterschiede in der Bewertung der Tester, differenziert nach Altersgruppen

Tab. 6 Signifikante Unterschiede in der Bewertung der Tester, differenziert nach Berufsgruppen

Tab. 7 Bewertung der Texte in Abhängigkeit vom individuellen Bezug der Tester zum Bewertungstext, differenziert nach Geschlecht

Tab. 8 Fehlende Tester und Texte bei der qualitativen Analyse

Tab. 9 Verteilung der Bewertungen auf die unterschiedlichen Merkmale der Tester

Tab. 10 Verteilung der Bewertungen auf die unterschiedlichen Textarten und Textkategorien

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Beziehungen zwischen dem Gesundheitszustand und individuellen sowie gesundheitsbezogenen Lese-/Schreib- und Kommunikations-Fähigkeiten

Abb. 2 Aspekte, die die Effektivität der Patienteninformationen beeinflussen

Abb. 3 Zyklus von Erstellung und Qualitätssicherung der Gesundheitsinformationen

Abb. 4 Erhebungsinstrument zur Erfassung individueller Einschätzungen hinsichtlich der Wirkung der Informationen

Abb. 5 Reihenfolge der Arbeitsschritte bei der qualitativen Inhaltsanalyse (eigene Darstellung)

Abb. 6 Wirkungen der 248 Gesundheitsinformationen insgesamt

Abb. 7: Auswirkung des Geschlechts der Tester auf die Bewertung der Texte

Abb. 8 Auswirkung einer Erkrankung der Tester auf die Bewertung der Texte

Abb. 9 Auswirkung der Mitgliedschaft der Tester in einer Selbsthilfegruppe auf die Bewertung der Texte

Abb. 10 Zusammenhang zwischen dem Alter der Tester und der Bewertung der Texte

Abb. 11 Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad der Tester und der Bewertung der Texte

Abb. 12 Zusammenhang zwischen der Berufsgruppe der Tester und der Bewertung der Texte, Items mit kritischer Ausrichtung

Abb. 13 Zusammenhang zwischen der Berufsgruppe der Tester und der Bewertung der Texte, Items mit positiver Ausrichtung

Abb. 14 Auswirkung des individuellen Bezugs der Tester zum Bewertungstext auf die Bewertung, Items mit kritischer Ausrichtung

Abb. 15 Auswirkung des individuellen Bezugs der Tester zum Bewertungstext auf die Bewertung, Items mit positiver Ausrichtung

Abb. 16 Infos wecken Vertrauen in die eigene Kompetenz (Geschlecht, Vorliegen einer Erkrankung, Mitglied einer SHG, Bildungsgrad, Altersgruppen)

Abb. 17 Infos wecken Vertrauen in die eigene Kompetenz (Beruf, persönlicher Bezug)

Abb. 18 Infos wecken Vertrauen in die eigene Kompetenz – Bewertung der unterschiedlichen Textarten

Abb. 19 Infos wecken Vertrauen in die eigene Kompetenz – Bewertung der unterschiedlichen Textkategorien

Abb. 20 Prozentuale Verteilung der Kategorien für die Texte mit den Bewertungen „trifft voll zu“, n = 684

Abb. 21 Prozentuale Verteilung der Kategorien für die Texte mit den Bewertungen „trifft gar nicht zu“, n = 113

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Zusammenfassung

Die Nutzer[1] des Gesundheitssystems werden häufig mit Gesundheitsinformationen konfrontiert, die einseitig formuliert, schwer verständlich oder manipulativ sind. Solche Informationen sind für fundierte Entscheidungen nicht geeignet und können nicht dazu beitragen, die Autonomie der Betroffenen zu unterstützen. Um diese Situation zu verbessern, hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Deutschland den gesetzlichen Auftrag erhalten, evidenzbasierte Patienteninformationen (EBPI) bereitzustellen, die verständlich, qualitätsgeprüft und unabhängig sein sollen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Perspektive der Nutzer bei der Erstellung des Informationsmaterials zu berücksichtigen und sie aktiv am Erstellungs- und Bewertungsprozess zu beteiligen und auch zu untersuchen, wie unterschiedliche Nutzergruppen auf das Material reagieren. Dabei sollten der Einfluss von Geschlecht, Alter, Bildung, Beruf oder Gesundheitszustand der Leser als Einflussvariablen berücksichtigt werden.

Datengrundlage der vorliegenden Arbeit ist die externe Evaluation von 248 Gesundheitsinformationen des IQWiG, die durch 255 Teilnehmer der Patientenuniversität der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) durchgeführt wurde. Erfasst wurden sowohl schriftliche Einzelbewertungen der Tester als auch das Meinungsbild eines mode­rierten Diskussionsprozesses (Fokusgruppe) in Kleingruppen mit je fünf Testern. Die Bewertungen erfolgten im Zeitraum Juni 2008 bis Juli 2010.

Die schriftlichen Einzelbewertungen der Texte und die soziodemografischen Angaben der Tester wurden in einer Datenbank erfasst, in SPSS zusammengeführt und ausgewertet. Mit Hilfe der deskriptiven Auswertung können Aussagen zu möglichen Zusammenhängen zwischen ausgewählten Merkmalen der Tester und deren Reaktionsmustern getroffen werden. Ergebnis dieser Analyse war, dass insbesondere Frauen, erkrankte Personen, junge (bis 24 Jahre) und ältere Testleser (ab 45 Jahren) sowie Testleser aus niedrigen Bildungsschichten von den Texten profitieren können. Bei Mitgliedern und Nichtmitgliedern von Selbsthilfegruppen zeigten sich keine deutlichen Unterschiede in den Bewertungen. Hausfrauen/-männer sowie Tester, die einen persönlichen Bezug zu den Themen hatten, gaben besonders häufig an, dass sie durch die Texte ein Vertrauen in die eigene Kompetenz wecken konnten.

Auf der Basis dieser quantitativen Auswertung wurden für weitergehende Analysen Tester ausgewählt, die besonders positive oder negative Reaktionen in Bezug auf eine Erweiterung ihrer Gesundheitskompetenz angegeben haben. Dazu wurden die Protokolle der Fokusgruppen (n = 239) und die darin von den ausgewählten Testern abgegebenen ausführlichen Kommentare mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Ausgehend vom Gesprächsmaterial wurden Kategorien und Subkategorien entwickelt, die Hinweise auf positive und negative Aspekte der IQWiG-Texte zur Erweiterung der Gesundheitskompetenz lieferten. Ergebnis dieser Analyse war, dass insbesondere angemessene Textformalia einer Kompetenzerweiterung der Leser dienten. Wenn die Texte jedoch einen vertiefenden Wissenserwerb für die Leser darstellten oder ihnen Handlungsanstöße gaben, konnten sie ebenfalls zu einer Gesundheitskompetenzerhöhung genutzt werden. Als neue Erkenntnis stellte sich heraus, dass die Tester dem Hervorrufen von Emotionen durch die Texte einen sehr hohen Stellenwert beimaßen. Sie wollen persönlich durch die Texte angesprochen werden.

Die Ergebnisse liefern ergänzende Hinweise für die Erstellung von EBPI. Die tatsächliche Umsetzung dieser Hinweise, die Bereitstellung und die Nutzung der Informationen durch die Patienten im medizinischen Behandlungsprozess erfordern jedoch verbesserte Strukturen im Versorgungssystem. Das heißt, dass die durch die EBPI neu entwickelten Entscheidungskompetenzen der Patienten praktisch in den Behandlungsprozess einfließen können und die dadurch womöglich veränderten Kommunikationsstrukturen zwischen Arzt und Patient nicht als „Störung der Routine“ (Dierks und Seidel 2005, S. 43) empfunden werden sollten.

2. Einleitung

2.1 Relevanz des Themas

Die „dritte Revolution des Gesundheitswesens“ vollzieht sich. Sie impliziert eine radikale Veränderung des Versorgungssystems. Die „…Fähigkeit von Menschen gesundheitsbezogene Entscheidungen zu treffen sowie sich im Gesundheitswesen adäquat zu bewegen, wird zunehmend wichtiger“ (Dierks und Seidel 2009, S. 380). Begriffe wie ‚Gesundheitskompetenz’, ‚evidenzbasierte Gesundheitsinformationen’ und ‚Patientenautonomie’ treten immer häufiger in Erscheinung und sagen aus, dass Nutzer sich im modernen Gesundheitswesen „…gesundheitsbewusst verhalten und dazu Informationen zu Gesundheit und Krankheit finden, verstehen und umsetzen“ (ebenda) sollen.

Das Leitbild einer zukünftigen Gesundheitspolitik beinhaltet, dass Patienten, Bürger und Versicherte umfassend informiert werden und sich auch informiert fühlen (Vgl. Wöllenstein 2004). Die Forderung nach einer verbesserten Informationskultur und Autonomie resultiert unter anderem daraus, dass die Gesellschaft durch die steigende Lebenserwartung immer älter wird und chronische Erkrankungen zunehmen (Vgl. von dem Knesebeck 2005; vgl. Schwartz 1999). Die Nutzer des Gesundheitssystems „…sehen sich inzwischen als Partner der Fachleute im Gesundheitswesen…“ (Dierks und Seidel 2009, S. 380), entwickeln ein neues Selbstverständnis, wollen Ergebnisse aus klinischen Studien verstehen und wollen mitentscheiden, wenn es um medizinische Maßnahmen geht (Vgl. Coulter und Magee 2005; vgl. Mühlhauser, Meyer, Steckelberg 2010). Schriftliche Patienteninformationen sind eine wichtige Grundlage für informierte Entscheidungen. Sie sind mittlerweile eine etablierte, von den Patienten gewünschte und oftmals selbst recherchierte Ergänzung zum Gespräch mit dem Arzt (Vgl. Isfort, Koneczny und Butzlaff 2006). Problematisch ist jedoch, dass es inzwischen zahlreiche Informationsquellen und -medien gibt, die häufig widersprüchlich, einseitig, irreführend, von unterschiedlicher Qualität und für gute Entscheidungen nicht geeignet sind (Vgl. Hess 2011; vgl. Mühlhauser, Meyer und Steckelberg 2010). Diese Informationen können unrealistische Therapieerwartungen bei den Nutzern wecken, was zu einer unangemessenen Leis14tungsinanspruchnahme oder fehlerhaften oder ausbleibenden Therapie führen könnte. Den Patienten fehlt darüber hinaus oft die notwendige kritische Gesundheitsbildung, um die Botschaften gezielt zu hinterfragen. Die Folgen sind Fehleinschätzung von Risiken und des Nutzen-Schaden-Verhältnisses der Intervention (Vgl. Mühlhauser, Meyer und Steckelberg 2010).

Darüber hinaus sollten die Informationen so aufbereitet sein, dass die Patienten darin gefördert werden, ein hohes Maß an Eigenverantwortung übernehmen zu können und in ihrer Entscheidungskompetenz und Mündigkeit gestärkt werden (Vgl. Klemperer et al. 2010). Denn nur so können sie bessere individuelle Entscheidungen treffen, gesundheitliche Ergebnisse zeigen und haben damit bessere Gesundheitschancen (Vgl. Steckelberg et al. 2011; vgl. Segal 1998).

Die Entwicklung und Bereitstellung evidenzbasierter Gesundheitsinformationen stellt einen möglichen Lösungsweg für die bestehende Problematik der mangelnden Qualität von Gesundheitsinformationen dar. Die Patienten sollen mit Hilfe dieser Informationen bei der individuellen Entscheidungsfindung unterstützt werden und ein besseres Verständnis der Erkrankung, des Krankheitsverlaufs und der Diagnostik erhalten. Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen ermöglichen es den Nutzern, zwischen den verfügbaren Optionen, einschließlich der Nichtinterventionen, auszuwählen. Dies soll ein Selbstmanagement mit der Erkrankung gewährleisten und den Nutzern ermöglichen, das Versorgungssystem bestmöglich zu nutzen. Sie stützen sich auf die gegenwärtig beste externe, wissenschaftliche Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung und sollen von neutralen und unabhängigen Autoren verfasst sein (Vgl. Bastian, Bühler und Sawicki 2009; vgl. DNEbM 2010).

Diese Arbeit baut auf einer von Frau Dr. Irene Hirschberg geschriebenen Magisterarbeit auf. Dort wurde bereits betrachtet, wie evidenzbasierte Gesundheitsinformationen auf Nutzer wirken und welche Reaktionsmuster dadurch hervorgerufen werden (Vgl. Hirschberg 2010). Die vorliegende Arbeit soll sich jedoch thematisch abgrenzen, indem vorwiegend analysiert wird, inwiefern die IQWiG-Texte zu einer Erhöhung der Gesundheitskompetenz der Tester führen. Hierbei wird im Speziellen darauf geachtet, welche Textcharakteristika dafür ausschlaggebend sind.

Außerdem soll getestet werden, wie die Texte auf unterschiedliche Nutzergruppen wirken. Daher wird mit Hilfe einer quantitativen Analyse überprüft, ob die soziodemografischen Eigenschaften der Leser eine Auswirkung auf die Bewertung der Texte haben.

2.2 Zielformulierung und Forschungsfrage

Es wird angenommen, dass die Reaktionsmuster der Nutzer auf Gesundheitsinformationen von ihren soziodemografischen Merkmalen oder persönlichen Erkrankungserfahrungen abhängig sind und sogar kumulativ wirken könnten. So könnten sich zum Beispiel ein niedriger Bildungsstand und ein zusätzlich bestehendes Krankheitsbild negativ auf die Bewertungen auswirken. Andererseits wird davon ausgegangen, dass bestimmte Themen, Informationsmaterialien oder Textpassagen eine positive oder negative Wirkung auf die Nutzer haben könnten. Durch die Herausbildung besonders charakteristischer Nutzergruppen und Nutzerbedürfnisse sollen sich Hinweise für die Erstellung zielgruppenspezifischer Gesundheitsinformationen ableiten lassen.

Um adäquate Gesundheitsinformationen entwickeln zu können, müssen daher zwei zentrale Leitfragen gestellt werden: Wer braucht welche Informationen? Wie müssen Informationen aufbereitet sein, damit sie tatsächlich gesundheitsrelevantes Handeln positiv unterstützen (Vgl. Wöllenstein 2004, S. 944)?

Ziel der Arbeit ist es, zu überprüfen…

1. ob die Reaktionen der Nutzer auf die evidenzbasierten Gesundheitsinformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit den soziodemografischen Merkmalen (Bildung, Geschlecht, Alter, Beruf), einer Erkrankung oder einem persönlichen Bezug zum Thema in Verbindung stehen.
2. welche Nutzergruppen nach eigener Aussage ihre Gesundheitskompetenz durch die Texte am stärksten erhöhen können.
3. welche Inhalte oder Eigenschaften der Texte besonders zur Erhöhung der Gesundheitskompetenz beitragen.

2.3 Inhaltliche Struktur

Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird zunächst auf den theoretischen Hintergrund eingegangen. Hier wird einleitend auf die Nutzer des Gesundheitssystems Bezug genommen. Außerdem werden in diesem Kapitel die Änderung der Patientenrolle und der damit einhergehende Wertewandel beschrieben. Dies führt zum nächsten Abschnitt des Kapitels, der die Eigenschaften von Gesundheitsinformationen, deren Probleme und Möglichkeiten der Qualitätssicherung beschreibt. Des Weiteren wird dieses Kapitel dazu genutzt, näher auf die Charakteristik und Ziele der evidenzbasierten Gesundheitsinformationen einzugehen und dabei die besondere Rolle des IQWIG zu beschreiben.

Das darauf folgende vierte Kapitel widmet sich der Datengrundlage dieser Arbeit: Den durch die Patientenuniversität der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) durchgeführten Nutzertestungen von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen des IQWiG. Hier wird näher auf das Testprocedere, die Methodik und die getesteten Produkte eingegangen.

Das fünfte Kapitel beschreibt die Methodik der durchgeführten Analyse dieser Arbeit. Wie in Kapitel 2.2 beschrieben, wurden zwei verschiedene Analysen durchgeführt. Die erste erfasst den Zusammenhang zwischen den Wirkungen der Informationen und verschiedenen charakteristischen Nutzereigenschaften unter Einsatz statistisch-quantitativer Verfahren. Die zweite führt mit einer qualitativen Analyse von Wortprotokollen aus den durchgeführten Gruppendiskussionen dazu, die Hintergründe für eine Erhöhung der Gesundheitskompetenz durch die Texte zu erfassen.

Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse beider Analysen zusammengeführt. Sie dienen dazu, die Informationsqualität der IQWiG-Texte aus Sicht der Nutzer zu beschreiben und herauszuarbeiten, welche Aspekte dieser Texte zur Erhöhung der Gesundheitskompetenz besonders geeignet sind.

Im letzten Kapitel wird ein Fazit gezogen, zudem werden Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung der IQWiG-Texte unter Berücksichtigung der Erhöhung der Gesundheitskompetenz der Leser gegeben.

3. Theoretischer Hintergrund

3.1 Die Rolle der Patienten im Wandel

Im deutschen Gesundheitssystem existieren verschiedene Interessenslagen. Die unterschiedlichen Akteure (z. B. Patienten, Nachfrager und Versicherte, Anbieter von Gesundheitsleistungen, Versicherer, Politiker und Administratoren) mit ihren verschiedenen Ausgangspositionen und Interessen agieren in diesem System, das durch stetige monetäre, medizinische und gesetzliche Veränderungen geprägt ist (Vgl. Schulenburg und Greiner 2007). Besonders die Rolle der Patienten als Nachfrager ist im bestehenden Gesundheitssystem von großen Dynamiken geprägt, da sie gleichzeitig Versicherter, Patient oder Bürger sein können. Eine definitorische Abgrenzung schafft der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, der für alle Positionen der Nachfrager in den verschiedenen Ebenen einen zusammenfassenden Begriff schaffte: Den Nutzer des Gesundheitswesens. Dieser „…ist demnach jede Person, die Zugang zum System der gesundheitlichen Versorgung hat, unabhängig davon, ob dieser Zugang aktuell genutzt wird oder nur fakultativ besteht“ (SVR 2000/2001). Um in dieser Arbeit einen inhaltlich einheitlichen Begriff zu nutzen, wird daher im weiteren Verlauf der Begriff des „Nutzers“ verwendet.

3.1.1 Änderung der Nutzerrolle

Der Nutzer wird besonders im Zeitalter der chronischen Krankheiten vom ehemals passiven Teilnehmer zum Koproduzenten und subjektiven Experten für seine eigene Gesundheit. (Vgl. Ose und Hurrelmann 2004; vgl. Feld 2008; vgl. Schmidt-Kaehler 2004). Die traditionelle Nutzerrolle, die dem Arzt das Wissensmonopol und die ausschließliche Entscheidungsmacht zuschreibt, wird heute durch ein Rollenmodell abgelöst, das den Nutzer als beteiligten Experten am Heilungsprozess charakterisiert (Vgl. Dierks und Schwartz 2003; vgl. Baumann 2006). Diese Entwicklung von der althergebrachten Rollendefinition zum modernen Bild eines Nutzers wird allgemein als Paradigmenwechsel beschrieben. Es muss an dieser Stelle jedoch erwähnt werden, dass „neue“ und „alte“ Rollendefinitionen in der Realität noch parallel existieren und sich das Kräfteverhältnis zwischen Arzt und Patient nur langsam verändert (Vgl. Dierks und Schwartz 2003; vgl. Dierks und Seidel 2005). „…[Der Nutzer] verlässt sich [nun] immer weniger ausschließlich auf das Fachwissen und die Empfehlungen von medizinischen Experten, wird zu dem entscheidenden Akteur im Markt [und tritt selbstbewusst und willensstark in Erscheinung]…“ (Kirchgeßner 2007, S. 82; Feld 2008, S. 115). Positiv wird konnotiert, dass „…schon heute […] die Ärzte tagein, tagaus ein sich veränderndes Informationsverhalten ihrer Patienten fest[stellen]. Der Patient der Zukunft wird [noch] selbstbewusster, anspruchsvoller sein, aber auch Verantwortung übernehmen wollen“ (Trill 2008, S. 243). Diese veränderte Nutzerrolle führt häufig dazu, dass sich die Patienten im Verlauf der Arzt-Patienten-Kommunikation keine paternalistischen Strukturen, sondern vielmehr einen partizipativen Gesprächsverlauf wünschen. Sie wünschen sich Entscheidungs- und Qualitätstransparenz und wollen ihre Wünsche und Bedürfnisse integrieren und nach einer umfassenden Information eine gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Arzt ermöglichen (Vgl. Klemperer 2009).

Aufbauend darauf soll an dieser Stelle der Ansatz des Shared Decision Making (SDM) näher erläutert werden, der die partnerschaftliche Entscheidungsfindung im Behandlungsprozess zwischen professionellen Gesundheitsdienstleistern und Nutzern beschreibt (Vgl. Scheibler und Pfaff 2003; vgl. Elwyn, Edwards und Rhydderch 2005; vgl. Dierks und Schwartz 2003). SDM wird definiert als „…ein Interaktionsprozess mit dem Ziel, unter gleichberechtigter aktiver Beteiligung von Patient und Arzt auf Basis geteilter Information zu einer gemeinsam verantworteten Übereinkunft zu kommen“ (Härter 2004, S. 90). Hier sollen Nutzer und Professionelle die Möglichkeit haben, gleichberechtigte Partner im Entscheidungsprozess zu sein. Darüber hinaus kann der [Nutzer] „…seine eigenen Präferenzen, Wünsche, Befindlichkeiten und Vorstellungen in den Prozess der Entscheidungsfindung einfließen lassen“ (Schmidt-Kaehler 2004, S. 19). Dieses wechselseitige und als demokratisch beschriebene Aushandeln der Therapieentscheidungen wird als das Idealmodell der Arzt-Patienten-Beziehung dargestellt. Und dies erscheint, insbesondere vor dem Hintergrund des sich verändernden Krankheitsbildes der Bevölkerung in Richtung chronische Erkrankungen, eine sinnvolle Unterstützung der womöglich lebenslangen Begleitung zwischen Arzt und Patient zu sein (Vgl. Dierks und Seidel 2005). Patienten, die in den Behandlungsablauf einbezogen werden, haben ein höheres Wissen über Behandlungsmöglichkeiten, realistischere Erwartungen über den Verlauf und setzen die gewählte Behandlung beständiger um. Dies kann „…zu höherer Patientenzufriedenheit und sehr wahrscheinlich auch zu höherer Therapiewirksamkeit führ[en]…“ (Härter 2004, S. 89). Ausmaß und Intensität der gewünschten Beteiligung im Behandlungsprozess kann jedoch bei den Patienten unterschiedlich ausgeprägt sein (Vgl. Dierks und Seidel 2005). Immerhin äußerten in einer Befragung von GKV-Versicherten 68% der Mitglieder, dass der Arzt mit ihnen die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten besprechen soll und die Entscheidung über das weitere Vorgehen gemeinsam getroffen wird. Nur 5% wollten die Entscheidung allein dem Arzt überlassen (Vgl. Müller 2007). In einem 2001 vom Bundesministerium für Gesundheit eingerichteten Förderschwerpunkt „Patient als Partner“ kamen verschiedene Projekte zu dem Ergebnis, dass sogar 80-90% der Patienten ausführlich über die Behandlung, Risiken, Nebenwirkungen und Prognosen informiert werden wollen (Vgl. Dierks et al. 2006). Andere bevölkerungsrepräsentative Befragungen ermittelten, dass „…rund zwei Drittel der befragten Personen eine gemeinsame Entscheidungsfindung von Arzt und Patient…“ (Nebling und Fließgarten 2009, S. 86) wünschen. Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern ergibt, dass „…der Wunsch nach [einer] partnerschaftlichen Beziehung bei deutschen Patienten besonders stark ausgeprägt…“ (Dierks und Seidel 2005, S. 40) ist.

Ein weiterer wichtiger Begriff zur Beschreibung der veränderten Nutzerrolle ist der Begriff des Empowerment. Er bedeutet „…Selbstbefähigung und Selbstbemächtigung, Stärkung von Eigenmacht, Autonomie und Selbstverfügung […] [und] zielt auf die Herstellung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Alltags“ (Herriger 2002, S. 18). Bei diesem Ansatz geht es also nicht nur darum, die Therapietreue und Compliance[2] herzustellen, sondern vielmehr darum, den Nutzer als handlungsfähiges Individuum dazu zu befähigen, selbstbestimmt und autonom Entscheidungen über die Therapie treffen zu können. Das Konzept des Empowerment kann auch speziell bei der älteren Bevölkerung von großer Bedeutung sein, da diese Gruppe häufig den paternalistischen Kommunikationsstil ihrer Ärzte verinnerlicht hat und als gegeben hinnimmt. Der Ansatz des Empowerment kann die älteren Menschen dabei unterstützen, ihnen in unserer stark leistungs- und arbeitsbezogenen Gesellschaft „…das Gefühl der Einflussnahme zurück[zu]geben und [die] bestehende Hilflosigkeit zu überwinden“ (Walter, Schneider und Plaumann 2008, S. 731).

Mit zunehmender Selbstverantwortung kann sich der Nutzer aus eigener Initiative die notwendigen Informationen und Angebote einholen, um seine Gesundheitsstörung zu bewerten, bzw. zu behandeln. Die rege Mitarbeit und Anteilnahme der Nutzer kann entscheidend für den Therapieverlauf und die Aufrechterhaltung der Gesundheit sein. Der Nutzer übernimmt folglich Verantwortung für sich selbst, indem er ein aktives und selbstbestimmtes Leben führt (Vgl. Bastian, Kaiser und Matschewsky 2005).

Die aktive Teilhabe am medizinischen Entscheidungsprozess, die Verbalisierung der eigenen Bedürfnisse sowie die Erweiterung einer Gesundheitskompetenz können sich positiv auf die Gesundheit der Nutzer und den Behandlungsprozess auswirken (Vgl. Dierks 2006; vgl. Nebling und Fließgarten 2009). Das folgende Kapitel soll daher einen Überblick über den Begriff der Gesundheitskompetenz geben und die verschiedenen Einflussfaktoren beleuchten, die für dessen Erhöhung ausschlaggebend sein können.

3.1.2 Gesundheitskompetenz

Gesundheitskompetenz (Health Literacy) ist notwendig für die Patienten, um „…gesund zu werden, gesund zu bleiben […], gesundheitspolitische Entscheidungen fällen [zu können]…“ (Stutz Steiger und Spycher 2006, S. 14), mehr Autonomie in Gesundheitsfragen zu haben, sich im Gesundheitssystem zurecht zu finden und Leistungen in Anspruch zu nehmen (Vgl. Abel und Bruhin 2003).

In der Literatur werden bereits viele verschiedene Definitionen zu dem Begriff Health Literacy aufgeführt. Obwohl er bereits seit den 1970er Jahren verwendet wird, bleibt jedoch anzumerken, dass eine einheitliche Definition selbst in der internationalen Diskussion noch nicht abschließend vollzogen ist und das Grundverständnis zum Teil von kurzfristig wirksamen Entwicklungsschüben abhängt (Vgl. Abel und Bruhin 2003). Die länderübergreifende Diskussion resultiert jedoch daraus, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Health Literacy als einen wichtigen Faktor in der Gesundheitsförderung dargestellt hat.[3] Seit längerer Zeit gewinnt das Thema auch in der europäischen Forschungsgemeinschaft und ebenso in Deutschland an Bedeutung.

Hier wird Health Literacy auch als Gesundheitskompetenz oder als kritische Gesundheitsbildung übersetzt und beschreibt die „…Fähigkeit des Einzelnen, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken – zu Hause, am Arbeitsplatz, im Gesundheitssystem und in der Gesellschaft ganz allgemein“ (Kickbusch 2006, S. 10). Außerdem werden darunter die kognitiven und sozialen Möglichkeiten der Individuen zusammengefasst, Informationen zu suchen, zu verstehen und anzuwenden. Dieses Wissen wird primär über Kultur, Bildung und Erziehung vermittelt bzw. weitergegeben (Vgl. Abel und Bruhin 2003). Health Literacy gilt jedoch auch als Verbindung zwischen der Literacy (Fähigkeit zu lesen, zu schreiben, zu zählen, zu sprechen und zu hören bzw. zu verstehen) und den Fähigkeiten des Individuums sich in Gesundheitskontexten zu bewegen (Vgl. Institute of Medicine 2004).

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) unterscheidet in ihren Leitbegriffen zur Gesundheitsförderung drei verschiedene Formen von Health Literacy: Die funktionale Form beschreibt Grundfertigkeiten im Lesen und Schreiben, die es ermöglichen, gesundheitsrelevante Informationen zu verstehen. Die interaktive Form erfordert kognitive und soziale Fertigkeiten, die beispielsweise dazu befähigen, Informationen zu gesundheitsförderlichen Themen im sozialen Umfeld zu finden. Die kritische Form verhilft dazu, Informationen zu analysieren „…und diese im Sinne einer verbesserten Lebensbewältigung optimal zu nutzen“ (Abel und Bruhin 2003, S. 130). Andere Stimmen berücksichtigen in ihren Definitionen neben den individuellen Fähigkeiten der Nutzer auch die Perspektive des Gesundheitssystems. Das „Committee on Health Literacy“ entwickelte ein Rahmenkonzept für Health Literacy, in dem drei Haupteinflussfaktoren beschrieben werden, die auf Gesundheitskompetenzen einwirken und bei denen mögliche Interventionen ansetzen könnten: die Kultur/Gesellschaft, das Bildungssystem und das Gesundheitssystem (Vgl. Institute of Medicine 2004).

So wird beispielsweise beschrieben, dass die Gesundheitskompetenz variieren kann und auch aus einem Zusammenspiel zwischen dem Leistungserbringer, dem Gesundheitssystem, das die Leistungen zur Verfügung stellt und der Erkrankung, die behandelt werden muss, bestehen kann (Vgl. Baker 2006). Baker hat in einem konzeptionellen Modell die verschiedenen Bereiche und Einflussfaktoren der Gesundheitskompetenz zusammengestellt.

Das Modell (Abb. 1) zeigt verschiedene Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um anhand der Gesundheitskompetenz den Gesundheitszustand zu verbessern. Baker bringt in seinem Modell unter anderem Grundlagen aus dem Report des Institute of Medicine (IOM) 2004[4] mit ein und ergänzt diese mit weiteren theoretischen Überlegungen. So ist beispielsweise beschrieben, dass das Individuum mithilfe der individual capacity eine Reihe verschiedener Ressourcen besitzt, die ihm helfen, mit Informationen umzugehen. Dieser Abschnitt ist unterteilt in Lesekenntnisse, die eine Person hat und weitere Vorkenntnisse (z. B. Kenntnisse über den Aufbau des Gesundheitswesens, Zusammenhänge von Ursachen und Wirkungen bei Erkrankungen etc.), die sie bereits vor dem Lesen von neuen Gesundheitsinformationen besitzt. Beide Bereiche bedingen jedoch einander. Die Bereiche health-related print literacy und health-related oral literacy sind naturgemäß von den soeben beschriebenen Gesichtspunkten abhängig. Sie wurden jedoch extra aufgenommen, weil die Fähigkeit gesundheitsbezogene Materialien oder Gespräche nachvollziehen zu können, ausschlaggebend für die Verbesserung des Gesundheitszustandes ist. Die Gesundheitskompetenz, die wie beschrieben, von verschiedenen Einflüssen abhängig ist, ist jedoch nur ein Faktor von vielen (soziales Gefüge, Persönlichkeit der Nutzer etc.), um beispielsweise neues Wissen, eine positive Einstellung oder Verhalten gegenüber der eigenen Gesundheit zu erlangen oder um seine Selbstwirksamkeit zu verbessern. Baker beschreibt daher in seinem Modell, wie sich über diese „innere“ Einstellung eines Menschen und dessen Handlungsmotivation die Health Outcomes verbessern und somit zu einem verbesserten Gesundheitszustand führen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 Beziehungen zwischen dem Gesundheitszustand und individuellen sowie gesundheitsbezogenen Lese-/Schreib- und Kommunikations-Fähigkeiten (Baker 2006)

In empirischen Studien wurde belegt, dass sich Personen mit einer geringen Gesundheitskompetenz (definiert als schwache Lesefähigkeit und schwache Aufnahmemöglichkeit von Gesundheitsinformationen sowie Handeln als selbstbestimmter Patient), weniger an einer Therapie beteiligen und dadurch einen ungünstigeren Krankheitsverlauf haben, als Personen mit einer höheren Gesundheitskompetenz (Vgl. Juzych 2008; vgl. Coulter und Ellins 2007). Außerdem sind Menschen mit weniger Gesundheitskompetenz häufiger krank, haben eine geringere Lebensqualität, einen schlechteren körperlichen und mentalen Gesundheitszustand und können ihre Krankheiten weniger gut bewältigen (Vgl. Coulter und Ellins 2007, vgl. Stutz Steiger und Spycher 2006; vgl. Carol, Mancuso und Melina Rincon 2006; vgl. Howard, Sentell und Gazmararian 2006). Die Verbesserung der Gesundheitskompetenz könnte also auch eine Reduzierung der gesundheitlichen Ungleichheit ermöglichen (Vgl. Coulter und Ellins 2007). Eine niedrige Gesundheitskompetenz wird darüber hinaus auch mit höheren Kosten im Gesundheitssystem in Verbindung gebracht, da Gesundheitsleistungen von diesen Personengruppen häufiger in Anspruch genommen werden (Vgl. IOM 2004). Es ist daher von entscheidender Bedeutung, die Anteilnahme der Patienten an ihrer eigenen Gesundheit sowie deren Gesundheitskompetenz zu verbessern.

Um die Gesundheitskompetenz zu stärken, sollte es das Ziel sein, Wissen zu vermitteln, das in die Lebenswelt des Adressaten einbezogen werden kann und die individuellen Kompetenzen der Problembewältigung stärkt (Vgl. Hurrelmann 2001). Helfen kann sich der Nutzer letztlich nur selbst, da er der Experte für seine eigene körperliche und seelische Verfassung ist und weiß wie sich die Therapie auf seinen Körper auswirkt (ebenda). Der Arzt bleibt ein fachlicher Experte, dessen Erfolg bei der gesundheitsbezogenen Leistung von der Mitwirkung des Nutzers abhängig ist (Vgl. Bauer, Rosenbrock und Schaeffer 2005).

Was ein Patient jedoch von einem Arztbesuch oder bei der Durchsicht von Gesundheitsinformationen mitnimmt und wie gut er mit den dort gelieferten Informationen zurechtkommt – alles das ist abhängig von sozialen Prägungen und weiteren Faktoren, wie der Bildung, dem Alter, dem Gesundheitszustand, dem Geschlecht, der beruflichen Stellung etc. (Vgl. Marstedt und Amhof 2008).

Aus diesem Grund wird im nächsten Kapitel auf die unterschiedlichen Eigenschaften von Nutzern eingegangen und überprüft, inwiefern diese einen Einfluss auf das Interesse der Nutzer haben Gesundheitsinformationen abzurufen.

3.1.3 Nutzergruppen und ihre unterschiedlichen Merkmale

Nutzer des Gesundheitswesens sind unterschiedlich in ihren Eigenschaften und Interessenslagen. Das spezifische Wissen, die Fähigkeit zu handeln, die Informationsbedürfnisse und die entsprechende Art und Weise zu kommunizieren, können variieren (Vgl. Bastian, Bühler und Sawicki 2009; vgl. Bastian, Kaiser und Matschewsky 2005). Die Faktoren Alter, Geschlecht, Bildung, Nationalität (Kultur und Sprache), sozioökonomischer Status, Behinderung, Erkrankungsstatus, Gesundheitskompetenz und die Persönlichkeit der Nutzer, können einen Einfluss auf das Verständnis von Informationen haben. Nutzer haben zudem einen gesellschaftlich bestimmten Erfahrungshorizont und Einstellungen zu bestimmten Themen entwickelt.

Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden beispielhaft Merkmale von Nutzern (Gesundheitszustand, Geschlecht, Alter, Bildung und Nationalität) näher betrachtet, die die Gesundheitskompetenz determinieren könnten.

Gesundheitszustand

Es muss jedoch erwähnt werden, dass bei akuten Krankheitsverläufen, die auch mit Notfallsituationen einhergehen können, weniger Zeit für eine detaillierte Informationssuche oder für eine Auswahl zwischen verschiedenen Therapieoptionen ist. „Krankheiten und Verletzungen, besonders wenn diese lebensbedrohlich sind […], können […] schwere persönliche Krisen auslösen“ (Bastian, Kaiser, Matschewsky 2005, S. 381). Sie können das Bewusstsein für einen drohenden Kontrollverlust über den eigenen Körper auslösen, was einen „…starken Einfluss auf das Gefühl der Autonomie haben [kann]…“ (ebenda) und den Status der Gesundheitskompetenz möglicherweise einschränkt.

Deshalb sind es insbesondere chronisch kranke Personen, die an Therapieentscheidungen teilnehmen möchten und diese überwiegend partnerschaftlich mit ihrem Arzt aushandeln wollen (Vgl. Nebling und Fließgarten 2009). Es bietet ihnen die Möglichkeiten, Behandlungen gegebenenfalls zu wiederholen, zu verändern oder abzubrechen. Die Optionen können für sie einen großen Einfluss auf die Lebensqualität haben und sie haben in der Regel mehr Zeit sich zu informieren und diese Informationen zu reflektieren (Vgl. Detmer et al. 2003). „Der Gesundheitsmonitor 2003 [...] hat gezeigt, dass Menschen mit [chronischen Erkrankungen] […] sogar höhere Partizipationspräferenzen äußern als Patienten ohne chronische Erkrankungen“ (Nebling und Fließgarten 2009, S. 87).

Das Informationsverhalten im Krankheitsfall kann als eine Form des Krankheitshandelns verstanden werden, welches vor allem dem übergeordneten Ziel der Bewältigung der Erkrankung dient. Informationsbedürfnisse entwickeln sich daher vorwiegend zweckgebunden, selektiv, intentional, emotional engagiert und an Nützlichkeit orientiert (Vgl. Voth 2008). „Patienten mit chronischen Krankheiten […] bemühen sich oft sehr darum, von den unterschiedlichsten Seiten Auskünfte zu bekommen“ (Coulter und Magee 2005, S. 50). Sie unterscheiden sich in ihren Wünschen nach der Informationsmenge und haben je nach Krankheitsstadium ein sich wandelndes Interesse an den Informationen (Vgl. Leydon et al. 2000). Die Copingstrategien[5] der Patienten sind unterschiedlich, ihr Vertrauen in die Medizin variiert und der Aspekt der Hoffnung kann dazu führen, dass Patienten potentiell negative Informationen meiden, um nicht enttäuscht zu werden (Vgl. ebenda).

Alter

In altersvergleichenden Studien wurde festgestellt, dass jüngere Nutzer einen höheren Wunsch nach Selbstbestimmung haben als Ältere (Vgl. Hamann et al. 2007). Besonders „…jüngere Mittelschichtangehörige suchen [..] gern nach unabhängigen Informations- und Beratungsquellen“ (Coulter und Magee 2005, S. 50). Sie haben jedoch auch durch ihre seltene Berührung mit Erkrankungen weniger Erfahrungen mit Gesundheitsthemen, weniger Interesse an gesundheitlichen Themen und sind häufig noch nicht in der Rolle der Entscheidungsträger verankert. In der Regel übernehmen noch ihre älteren Erziehungsberechtigten die Verantwortung für die medizinischen Entscheidungen. Ältere Nutzer sind hingegen in der Regel krankheitsanfälliger. Darüber hinaus haben sie Angst, dass eine weitere Informationssuche gefährlich sein könnte und ihre ohnehin schwierige Situation noch verschlimmern könnte. Hinzu kommt, dass ältere Nutzer einen eher paternalistischen Kommunikationsstil mit ihrem Arzt gewöhnt sind und gerne tun, was der Arzt sagt, um ein guter Patient zu sein. Ein solches Verhalten, wird auch als „disempowerment“ bezeichnet (Vgl. Leydon et al. 2000). Für diese Nutzergruppen sollten Gesundheitsinformationen besonders gut aufgearbeitet sein und möglichst als Printmedium zur Verfügung stehen (Vgl. Detmer et al. 2003).

Geschlecht

Krankheitsformen und –arten können zwischen den Geschlechtern abweichen (Vgl. Detmer et al. 2003). In Familien nehmen trotzdem oft die Frauen die Rolle der Informationssuchenden ein. Sie legen mehr Wert auf persönliche Gespräche mit anderen Betroffenen als auf medizinische Informationen. Darüber hinaus ist bekannt, dass Frauen häufiger Defizite in der Arzt-Patienten-Kommunikation beklagen als Männer. „Es lässt sich daraus jedoch nicht ableiten, dass Frauen ein höheres Informationsbedürfnis haben […] oder dass sie selektiv schlechter informiert werden. […] [Es spricht] aber auf jeden Fall dafür, dass Patientinnen mehr informiert werden wollen und dabei auch inhaltlich andere Schwerpunkte setzen als männliche Patienten“ (Sawicki 2005, S. 768). Männer sind bei Therapieentscheidungen und der Suche nach Optionen sowie gesundheitsbezogenen Informationen hingegen eher zurückhaltend (Vgl. Coulter und Magee 2005). Sie bewahren in der Regel auch im Krankheitsfall einen „kühlen Kopf“ und vermeiden Informationen über ihre Erkrankung, um schlechte Nachrichten auszublenden (Vgl. Leydon et al. 2000). Die Ergebnisse zweier Studien (Bremer Studie „Ratlose Patienten?“ aus 2004; europäische Vergleichsstudie „The Future Patient“ aus 2002) ergaben jedoch, „…dass das Geschlecht des Patienten nicht entscheidend für den Wunsch nach Mitbestimmung im Behandlungsprozess ist“ (Nebling und Fließgarten 2009, S. 89; vgl. Dierks und Seidel 2005).

Nationalität

Eine fremde Nationalität der Nutzer geht oft mit Sprachproblemen einher, die eine Barriere für die Nutzung von Gesundheitsinformationen darstellen könnten. Insbesondere ältere Immigranten sind häufig wenig versiert mit der Landessprache im Einwanderungsland. Auch kulturelle Unterschiede können zu Missverständnissen oder Hemmnissen bei der Nutzung von Informationen führen. Besonders Südeuropäer treffen ihre Entscheidungen häufig im Familienverband und zeigen ein hohes Vertrauen in die Ärzte (Vgl. Leydon et al. 2000).

Bildung

Auch die Bildung hat einen starken Einfluss auf die Nutzung von Gesundheitsinformationen. Der Bildungsgrad und die Einstellung beeinflusst die Fähigkeit des Individuums, die Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Somit unterscheiden sich Menschen in ihrer Befähigung, Informationen zu verstehen, zu erinnern, Gesundheitsinformationen zu akzeptieren sowie die gewonnenen Informationen in gesundheitliches Handeln umzusetzen. Hierbei spielen das Medienverhalten und die Erfahrungen des Individuums im sozialen Netzwerk eine Rolle (ebenda). Vorbildverhalten im Netzwerk oder die Konfrontation mit Krankheitsthemen könnten das Individuum dazu veranlassen, seine Verhaltensweisen zu ändern (Vgl. Dierks 1995).

Menschen haben folglich ein unterschiedliches Informationsbedürfnis und -verhalten, das von individuellen und sozialen Einflussfaktoren geleitet ist. Diese Faktoren müssen bei der Erstellung von Gesundheitsinformationen beachtet werden. Um einen weiteren Einblick in diese Thematik zu erhalten, wird in den nächsten Kapiteln besonders auf die Definition und Ziele von Gesundheitsinformationen sowie deren Probleme und Möglichkeiten der Qualitätssicherung eingegangen.

3.2 Gesundheitsinformationen

Medizinisches Wissen, das als Basis für die Entscheidungsfähigkeit von Nutzern gesehen werden kann, wird durch moderne Kommunikationsmedien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das wachsende Angebot an medizinischen Laieninformationen wird von immer mehr Nutzern als Ergänzung zum Gespräch mit dem Arzt genutzt (Vgl. Isfort, Koneczny und Butzlaff 2006). „Im Hinblick auf die Gesundheitssicherung müssen dazu [jedoch] in verständlicher Form neutrale und fundierte Informationen über Eigenschaften und Wahrscheinlichkeiten des in Rede stehenden Gesundheitsproblems, die realistischen Möglichkeiten seiner Minderung oder Beseitigung durch medizinische oder nicht-medizinische Interventionen sowie über Rechte vor, während und nach der Behandlung zur Verfügung gestellt werden“ (Rosenbrock 2001, S. 33).

3.2.1 Aufgaben, Inhalte und weitere Aspekte von Gesundheitsinformationen

Der Begriff „Gesundheitsinformation“ ist sehr vielfältig und variiert je nach Ziel, Aufgabe, Format und Umfang, der Zielgruppe und den inhaltlichen Schwerpunkten (Vgl. Klemperer et al. 2010).

Gesundheitsinformationen dienen als Entscheidungsgrundlage oder Hilfestellung. Sie sollen das Arztgespräch nicht ersetzen, sondern dieses unterstützen und mit Hilfe der dadurch verbesserten Gesundheitskompetenz die Autonomität der Nutzer anregen. Die Nutzer haben den Bedarf nach unterschiedlichen Inhalten von Gesundheitsinformationen. Am häufigsten wird beispielsweise nach Informationen über ihre Erkrankung, die Prognose ihrer Erkrankung oder Behandlungsmaßnahmen gesucht (Vgl. Coulter, Entwistle und Gilbert 1999; vgl. Isfort, Floer und Butzlaff 2004). Gesundheitsinformationen können sowohl direkt durch Sprache und Interaktion vermittelt werden, als auch indirekt durch technische Medien (Vgl. Hurrelmann, Leppin 2001a). „Das Spektrum reicht von einer einzelnen, kurzen Nachricht zu Gesundheitsthemen bis hin zu ausführlichen Broschüren, medizinischen Entscheidungshilfen oder Internetportalen“ (Klemperer et al. 2010, S. 2). Besonders das Internet dient als umfangreiches Informationsmedium, in dem Nutzer sich in virtuellen Netzwerken und Foren austauschen können oder Suchmaschinen und Datenbanken zur Recherche nutzen können. Letztendlich gibt es kaum eine bessere Möglichkeit, „…sich umfassend zu informieren und mit Leidensgenossen Kontakt aufzunehmen, als über das Internet“ (Eysenbach 2003, S. 295).

Die nachfolgende Abb. 2 zeigt weitere Aspekte, die die Effektivität von Gesundheitsinformationen beeinflussen können. Diese stehen miteinander in Beziehung. Die Möglichkeit, verschiedene Gesundheitsinformationen rezipieren zu können, ist nicht nur von den Inhalten, sondern auch von dem Umfeld der Nutzer, deren Fähigkeiten und dem Gesundheitsstatus sowie der Aufbereitung der Informationen durch die Ersteller abhängig. Der Aspekt der Nutzerfreundlichkeit und Laienverständlichkeit der Gesundheitsinformationen kann entscheidend für die Aufnahme der Inhalte sein. Dabei sollte auf sprachliche Besonderheiten geachtet werden (z. B. Vermeidung von Nominalisierungen, passiver Sprache, Abkürzungen, Fremdwörter, etc.). Außerdem ist es wichtig, Zahlen angemessen darzustellen (natürliche Häufigkeiten anstelle von Prozentzahlen etc.) und Strukturmerkmale (Inhaltsverzeichnis, Zwischenüberschriften, Zeilenlänge etc.) sowie visuelle Elemente oder eine leserliche Schrift zu integrieren (Vgl. Groeben und Christmann 1989; vgl. Groeben 1982; vgl. Badarudeen und Sabharwal 2010; vgl. Meyer, Steckelberg und Mühlhauser 2007; vgl. Steckelberg 2005; vgl. Bunge, Mühlhauser und Steckelberg 2010).

Die Informationen können über verschiedene Medien zugänglich gemacht werden. Die vorliegende Arbeit bezieht sich auf schriftliche Gesundheitsinformationen, die im Internet zugänglich sind oder als Printmedium zur Verfügung stehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2 Aspekte, die die Effektivität der Patienteninformationen beeinflussen (Bastian, Kaiser und Matschewsky 2005, S. 383)

Um den Bedürfnissen der Zielgruppe zu entsprechen, können Gesundheitsinformationen aus unterschiedlichen Gründen und Zielsetzungen entwickelt worden sein. Zum Beispiel um „…die Entscheidungen von Menschen zu verändern oder die Therapietreue zu empfohlenen Behandlungen zu erhöhen“ (Bastian, Kaiser und Matschewsky 2005, S. 380). Dabei sollte beachtet werden, dass die Autoren dieser Informationen nicht immer nur positive und allgemeinnützige Absichten verfolgen. Häufig werden Gesundheitsinformationen genutzt, um Menschen in eine vorherbestimmte Richtung zu lenken, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen oder zu Spenden und der öffentlichen Unterstützung für ein gesundheitliches Programm aufzurufen (Vgl. Bastian und Sawicki 2005). Diese Ziele und Aufgaben von Gesundheitsinformationen können manipulativ „…und im schlimmsten Fall schädlich…“ (Bastian und Sawicki 2005, S. 70) sein.

Um diesen Aspekt näher zu beleuchten, wird in den folgenden Kapiteln auf Probleme und mögliche Qualitätssicherungen von Gesundheitsinformationen eingegangen.

3.2.2 Probleme mit Gesundheitsinformationen

“If it is true that knowledge is power, then many consumers in today´s health care marketplace are in trouble” (Isaacs 1996, S. 31).

Die soeben beschriebene theoretische Festlegung über die Beschaffenheit von Gesundheitsinformationen ist das erwünschte Ziel. Die Qualität, Aktualität und Evidenzbasis bestehender Gesundheitsinformationen ist bislang jedoch noch sehr heterogen. Und da die Nutzer dieser Informationen häufig auch nicht die Kompetenzen und Möglichkeiten haben, gute von schlechten Informationen zu unterscheiden, müssen sie sich sehr oft mit einer Informationsflut und einem Überangebot an Informationen auseinandersetzen (Vgl. Brechtel 2004). Gesundheitsinformationen können sich auf „…das Wissen, die Auswahl von medizinischen Verfahren sowie den eigenen Lebensstil und auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen auswirken. Sie können aber auch ineffektiv und manchmal sogar schädlich sein“ (Bastian, Kaiser und Matschewsky 2005, S. 383). Eine Eigendiagnose und Selbstbehandlung mit Hilfe von qualitativ schlechten Informationen aus dem Internet kann lebensgefährlich sein. Widersprüchliche Aussagen zwischen Ärzten und den Gesundheitsinformationen aus dem Internet können ebenfalls belastend für die Patienten sein (Vgl. Brechtel 2004).

Für die Nutzer besteht eine grundsätzliche Schwierigkeit, das medizinische Wissen zu bewerten und Wirkungen einzuschätzen (Vgl. Kaltenborn 2001). Zudem könnten Informationen, die aktiv abgerufen werden müssen (z. B. im Internet) für manche Personengruppen problematisch sein. Denn in diesem Fall muss eine erhöhte Lesekompetenz und Urteils- sowie Konzentrationsfähigkeit vorhanden sein. Eine individuelle Zusammenstellung und Selektion der Informationen könnte die Nutzer zusätzlich überfordern (Vgl. Ose und Hurrelmann 2004).

3.2.3 Qualitätssicherung von Gesundheitsinformationen

Die Nachfrage nach Gesundheitsinformationen steigt mit ungebrochener Geschwindigkeit voran. Das Internet ist als Medium für sehr viele Menschen zur Gewohnheit geworden und zur Beschaffung dieser Informationen nicht mehr wegzudenken. Immerhin sind im Jahr 2010 bereits 72% der Deutschen online gewesen. Den größten Zuwachs bei der Internetnutzung hatten die User, die 50 Jahre und älter sind (Vgl. Initiative D21 2010). Durch eine Studie der Universität Wien wurde bekannt, „…dass 50% der Besucher von Arztpraxen [..] das Internet täglich [..] nutzen“ (Schaefer 2011, S. 61). „…30% aller Befragten nutzten das Internet, um Gesundheitsinformationen zu recherchieren“ (ebenda). Daran ist jedoch besorgniserregend, dass die Nutzer nicht nur nach Informationen, sondern nach Bestätigung suchen und daher „…besonders anfällig für interessengesteuerte Information[en]“ sind (ebenda). Gerade weil die Qualität, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Informationen im Netz große Sorge bereiten, haben sich verschiedene Qualitätsinitiativen entwickelt, in denen so genannte „Codes of Conduct“ festgelegt wurden. Genannt seien hier exemplarisch die Qualitätssiegel (z. B. HON, afgis), Leitlinien, Ethik-Kodizes und Qualitätskriterienkataloge sowie Bewertungsinstrumente (z. B. DISCERN) (Vgl. Schmidt-Kaehler 2004; vgl. Dierks et al. 2006).

Die Nutzer haben dadurch zahlreiche Möglichkeiten die Strukturqualität der angebotenen Gesundheitsinformationen im Internet zu bewerten und dadurch gute von schlechten Gesundheitsinformationen zu unterscheiden.

Im weiteren Verlauf werden beispielhaft ein Qualitätslogoverfahren (afgis) und ein Bewertungsinstrument (DISCERN) vorgestellt, anhand derer die Nutzer überprüfen können, ob die Gesundheitsinformationen Qualitätskriterien erfüllen.

Afgis (Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem) ist ein Projekt des Bundesministeriums für Gesundheit, welches im Jahr 2002 ursprünglich 10 Transparenzkriterien entwickelt hat. Laut dieser Kriterien sollten die Internetseiten Zusatzinformationen der jeweiligen Anbieter und der angebotenen Gesundheitsinformationen zur Verfügung stellen, damit die Informationssuchenden die Verlässlichkeit der Informationen leichter einordnen können. Einige Beispiele für diese Kriterien sind: Transparenz über den Zweck der Information, die Aktualität der Daten oder Trennung von Werbung und redaktionellem Beitrag (Vgl. afgis 2011). Im weiteren Verlauf hat sich das afgis-Modell zu einem Qualitätslogoverfahren weiterentwickelt, bei dem qualitativ hochwertige Gesundheitsinformationsangebote im Internet mit einem Logo gekennzeichnet werden (Vgl. Schmidt-Kaehler 2004; vgl. afgis 2011a). Die Kriterien sind öffentlich im Internet zugänglich.

Vorteilhaft an diesem Verfahren ist die Möglichkeit der Rückversicherung, die mit Hilfe der Überprüfung des Qualitätslogos auf den Internetseiten vollzogen werden kann. Es besteht jedoch kein Zwang für Anbieter von Gesundheitsinformationen sich an diesem Verfahren zu beteiligen, was für die Nutzer bedeutet, dass sie bei der Überprüfung nicht routiniert vorgehen können und somit auch Internetangebote ohne das afgis-Logo eine gute Qualität aufweisen könnten.

DISCERN beinhaltet validierte und international gebräuchliche Qualitätskriterien für gute Patienteninformationen (Vgl. Lerch und Dierks 2000; vgl. Sänger et al. 2006). Es ist ein Instrument, „…das entwickelt wurde, um Nutzern von Patienteninformationen zu helfen, die Qualität von Patienteninformationen über Behandlungsalternativen einzuschätzen“ (DISCERN 2009). Das Instrument kann sowohl für gedruckte als auch für Internetinformationen genutzt werden. Hierfür wird den Nutzern ein kurzer Fragebogen zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe sie die Patienteninformation bewerten können. Dieser Fragebogen basiert auf „…15 Schlüsselfragen und einer Bewertung der Gesamtqualität…“ (DISCERN 2009a). Vorteilhaft ist, dass hierfür kein Vorwissen erforderlich ist und es daher sehr nützlich für Laien ist. Jedoch sind die Aspekte der Benutzerfreundlichkeit der Internetseiten nicht berücksichtigt, da diese Kriterien ursprünglich für Printmedien entworfen wurden (Vgl. Lerch und Dierks 2000).

Auf der Anbieterseite können jedoch auch die in der Einleitung dieses Kapitels genannten Qualitätsstandards (zum Beispiel Kriterien des HON-Codes der Stiftung „Health On the Net) beachtet werden, die einem ethischen Verhaltenskodex für die Veröffentlichung medizinischer Informationen im Internet dienen.[6]

Ebenfalls relevant ist die ‚Gute Praxis Gesundheitsinformation’, die bisher noch als Positionspapier gilt. Sie unterscheidet sich jedoch von den bisherigen Initiativen dadurch, dass sie auch konkrete Anforderungen an die Inhalte von Gesundheitsinformationen stellt (Vgl. Müller und Lang 2011). Dort sind zahlreiche Anforderungen an Gesundheitsinformationen aufgeführt, die den Nutzern helfen sollen, eine „…eigene informierte Entscheidung zu treffen“ (Müller und Lang 2011, S. 28). Die folgende Tab. 1 wurde in Anlehnung an Klemperer et al. 2010 erstellt und fasst die Anforderungen, die an Gesundheitsinformationen gestellt werden, zusammen.

Die Überprüfung der Qualität der angebotenen Gesundheitsinformationen ist ein wichtiger Bestandteil bei der Vermittlung und Inanspruchnahme von Gesundheitsinformationen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Nutzer selbst ein kritisches Auge auf die Qualität der Informationen haben und wissenschaftliche Daten, Hintergründe und Studienergebnisse zu bestimmten Therapiemethoden einfordern. Aber „…die Qualität von Internetinformationen wird von Experten unter dem Aspekt der „Evidenzbasiertheit“ […] noch überwiegend als mangelhaft bewertet“ (Eysenbach 2003, S. 294). Aus diesem Grund ist es wichtig für die Nutzer des Gesundheitswesens, dass evidenzbasierte Gesundheitsinformationen erstellt werden, denen sie ihr Vertrauen schenken können. Daher widmet sich die folgenden Kapitel der Definition sowie den Zielen und Kriterien von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen.

Tab. 1 Anforderungen an Gesundheitsinformationen, Zusammenfassung der ‚Guten Praxis Gesundheitsinformation’ (Vgl. Klemperer et al. 2010)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.3 Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen

„Communicating evidence to patients and the general public should strenghten patient autonomy“ (Bastian, H. 2008, S. 552).

Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen leiten sich aus der Grundlage der evidenzbasierten Medizin (EbM) ab. Diese beschreibt laut der Definition des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e.V. „…eine[n] gewissenhafte[n], ausdrücklichen[n] und vernünftige[n] Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten“ (DNEbM 2010). Patienten sollen also nicht nur eine Behandlung erhalten, die sich auf Meinungen und Übereinkünfte stützt, sondern eine Evidenz einbezieht (Vgl. Bastian, Bühler und Sawicki 2009). Das heißt, auf der Basis der am besten zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Daten. Dies soll vor Fehlentscheidungen und falschen Erwartungen schützen, die entstehen, wenn „…nützliche Interventionen nicht oder erst verspätet in die Versorgung kommen…“ (Bastian, Bühler und Sawicki 2009, S. 184). Für die Feststellung der Evidenz wird für ein konkretes klinisches Problem in der medizinischen Literatur systematisch nach der relevanten Evidenz gesucht, und es wird eine „…kritische Beurteilung der Validität der Evidenz nach klinisch-epidemiologischen Gesichtspunkten…“ (DNEbM 2010) vorgenommen. Außerdem wird die Größe des beobachteten Effekts bewertet und auf den konkreten Patienten „…mit Hilfe der klinischen Erfahrung und der Vorstellung der Patienten…“ (ebenda) angewendet. Das Für und Wider einer Behandlungsmethode oder eines Ratschlags wird folglich objektiv und neutral abgedeckt (Vgl. Bastian, Bühler und Sawicki 2009).

Mit Hilfe dieser so entwickelten evidenzbasierten Gesundheitsinformationen können interessierte medizinische Laien „…einen Überblick über den Stand des Wissens zu einer Behandlung gewinnen“ (Bastian, Bühler und Sawicki 2009, S. 185). Informationen, die folglich auf diesen objektiven und wissenschaftlich belegten Aussagen beruhen, müssen gemäß der Definition des „Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin“ (äzq) „…für Menschen ohne medizinische Vorbildung verständlich und relevant sein. Relevanz bedeutet, dass als „Erfolgsfaktoren“ der Behandlung auch solche dargestellt werden, die für Patienten bedeutsam sind. Dies sind insbesondere die Lebenserwartung und die Lebensqualität. Unter diesen Voraussetzungen sind evidenzbasierte Patienteninformationen eine Grundlage für Patienten, Entscheidungen für oder gegen in Frage kommende Untersuchungs- oder Behandlungsmaßnahmen zu treffen“ (Sänger et al. 2006, S. 12).

3.3.1 Ziele der evidenzbasierten Gesundheitsinformationen

Ziele der evidenzbasierten Gesundheitsinformationen im Sinne der evidenzbasierten Medizin sind „…ein besseres Verständnis der Erkrankung, des Krankheitsverlaufs und der Diagnostik…“ (Bastian, Bühler und Sawicki 2009, S. 189) und die „…Unterstützung der individuellen Entscheidungsfindung im Einklang mit den persönlichen Werten…“ der Nutzer (Kasper, Heesen und Mühlhauser 2009, S. 78). Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen sollen es den Nutzern ermöglichen, zwischen den verfügbaren Optionen, einschließlich der Nichtinterventionen auszuwählen, um ein Selbstmanagement mit der Erkrankung zu gewährleisten und das Versorgungssystem bestmöglich zu nutzen (Vgl. ebenda; vgl. Bastian, Bühler und Sawicki 2009). Hierfür ist eine individuelle Nutzen-Schaden-Abwägung Voraussetzung, damit der Nutzer die Entscheidung unter Einbeziehung der eigenen Wertvorstellungen treffen kann. Dies führt dazu, dass evidenzbasierte Gesundheitsinformationen auch verunsichern und enttäuschen oder gar empören können. Es kann für die Nutzer schwierig werden, „…wenn [sie] bei zu komplizierten und komplexen Texten an die Grenzen der eigenen Gesundheits- bzw. Lesekompetenz stoßen und überfordert sind“ (Hirschberg 2010, S. 73). Nutzer, die es bisher nicht gewohnt waren, mit abwägenden Informationen, auch numerischer Art, konfrontiert zu sein, sondern eindeutige Ratschläge und Tipps von einer Patienten- bzw. Verbraucherinformation erwarten, können abwehrende und abwertende Reaktionen zeigen (Vgl. Steckelberg, Kasper und Mühlhauser 2007; vgl. Schmitz et al. 2010).

Problematisch ist außerdem die immer noch bestehende Kluft zwischen dem Anspruch der Nutzer an evidenzbasierte Gesundheitsinformationen und dem tatsächlichen Angebot. Der Anspruch auf vollständige und ausgewogene Informationen auf Basis der wissenschaftlichen Evidenz ist zwar in den europäischen Patientenrechten als ethische Norm verbrieft, (Vgl. European Charta of Patients´ Rights 2002) aber die Vielfalt an bestehenden Informationen ist immer noch von verschiedenen Interessen geleitet und erfüllt nicht immer die erforderlichen Qualitätskriterien (Vgl. Kasper, Heesen und Mühlhauser 2009).

3.3.2 Kriterien für die Erstellung evidenzbasierter Gesundheitsinformationen

Die Erstellung evidenzbasierter Patienteninformationen (EBPI), stellt eine besondere Herausforderung dar. Mittlerweile ist es möglich, auf verschiedene bestehende Empfehlungen[7] zurückzugreifen, die jedoch gemeinsam haben, dass bei einzelnen Therapieoptionen gleichermaßen objektiv und präzise über Schaden, Nutzen und Prognose kommuniziert werden sollte, „…einschließlich der Möglichkeit auf eine Intervention (vorerst) zu verzichten“ (Mühlhauser, Meyer und Steckelberg 2010, S. 414; vgl. Bastian, Bühler und Sawicki 2009; vgl. Klemperer et al. 2010). Um bei der Informationsvermittlung nicht direktiv vorzugehen, sollten die bekannten wissenschaftlichen Ergebnisse nicht überhöht werden, neutral bleiben und keine strengen Empfehlungen aussprechen (Vgl. Klemperer et al. 2010; vgl. Bastian, Bühler und Sawicki 2009). Außerdem sollen evidenzbasierte Gesundheitsinformationen medizinischen Laien keine konkreten Handlungsanweisungen aufzeigen, sondern das Abwägen zwischen mehreren Optionen erleichtern (Vgl. Kasper, Heesen, Mühlhauser 2009; vgl. Klemperer et al. 2010). „Zu den anstehenden medizinischen Eingriffen müssen Wahrscheinlichkeiten zu Erfolg, Ausbleiben des Erfolgs und Schaden präsentiert werden…“ (Mühlhauser, Meyer und Steckelberg 2010, S. 414), eine fehlende Evidenz muss offen gelegt werden. Alle Daten müssen unverzerrt dargestellt werden. Wichtig ist jedoch, dass die Nutzer bei der Erstellung der Informationen einbezogen werden, damit die Angaben zu einer besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit sowie einer höheren Relevanz für die Nutzer führen (Vgl. Büchter, Zschorlich und Waltering 2011; vgl. Mühlhauser, Meyer und Steckelberg 2010; vgl. Klemperer et al. 2010).

Steckelberg et al. veröffentlichten im Jahr 2005 eine Übersicht über Kriterien zur Entwicklung evidenzbasierter Patienteninformationen. Diese Übersicht stellt die in der Literatur benutzten und diskutierten Kriterien zusammen. Die Kriterien gliedern sich in drei Hauptthemen:

1. Welche Inhalte sollte eine evidenzbasierte Patienteninformation enthalten?
2. Wie sollten diese Inhalte dargestellt werden?
3. Wie sollte der Prozess der Informationserstellung gestaltet werden?

Zu 1. Um die Inhalte möglichst umfassend darzustellen, sollten bestimmte Anforderungen an Informationen und Metainformationen berücksichtigt werden. Außerdem ist es wichtig, dass die Qualität der wissenschaftlichen Beweislage (Evidenzgrad) an patientenrelevanten Endpunkten ausgerichtet ist, bzw. dass das Fehlen von Evidenz kommuniziert wird.

Anforderungen an Informationen sind zum Beispiel, dass über das Ziel der Maßnahme, die Prognose bei Nichtintervention, Behandlungsoptionen (inkl. Nichtbehandlung), Wahrscheinlichkeiten für Erfolg, Misserfolg und Nebenwirkungen der Maßnahme, Wahrscheinlichkeiten für falsch-negative/falsch-positive Ergebnisse, medizinische, psychosoziale oder finanzielle Folgen, die Planung des weiteren Vorgehens und Beratungs- und Unterstützungsangebote, informiert wird. Außerdem sollen die Informationen verständlich sein und Interessenkonflikte müssen offengelegt werden. Es sollte einen Hinweis auf ausreichende Zeit bei der Entscheidungsfindung geben und eine mögliche Ablehnung der Maßnahme darf kein Grund sein, die Information vorzuenthalten.

Anforderungen an Metainformationen sind beispielsweise die Angabe des Verfassers, Sponsoren, finanzielle Abhängigkeiten, Ziele der Publikation, Informationsquellen und weitere Hinweise für diese, Aktualität der Information und Hinweise für Unterstützungsangebote/Selbsthilfegruppen.

Zu 2. Die Art und Weise wie Informationen dargestellt werden, beeinflusst das Verständnis und das Entscheidungsverhalten. Da es bei EBPI häufig um die Kommunikation von Ergebnissen wissenschaftlicher Studien geht, sollten die Erkenntnisse der Kommunikationspsychologie über die Darstellung von Zahlen berücksichtigt werden[8]. Weiterhin ist es wichtig, Risikoinformationen (z. B. Mortalität) nicht als alleinige Aussage im Text stehen zu lassen. Dies könnte den Leser beeinflussen oder zu einem bestimmten Verhalten überreden. Um die Information neutral zu halten, sollten Verlust und Gewinn nebeneinander dargestellt werden. Außerdem ist es wichtig, dass Risiken nicht ausschließlich sprachlich dargestellt werden, da dies häufig zu einer Überschätzung führen kann. Die Ergänzung durch angemessene grafische Darstellungen ist also sinnvoll. Das Layout der Information kann ausschlaggebend für das Verständnis der Information sein, da es das Lesen erleichtert. Die Berücksichtigung kultureller Besonderheiten und einer nicht-angsterregenden, bzw. nicht-bevormundenden Sprache ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil von EBPI.

Zu 3. Wichtig für den Erstellungsprozess von EBPI ist die Einbeziehung von Patientenbedürfnissen und –präferenzen. Daher sollten die Patienten bei der Informationserstellung mit einbezogen werden.

Empfehlungen von Sänger et al. 2006 sowie Klemperer et al. 2010 geben ebenfalls zahlreiche Hinweise für die Erstellung von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen, die an dieser Stelle den Ausführungen von Steckelberg et al. 2005 angehängt werden sollen.

Sänger et al. ergänzt die soeben erwähnten Kriterien beispielsweise um die Nennung der Zielgruppe und der Angabe des Datums der nächsten Überarbeitung. Das Kriterium der Angabe zur Transparenz der eigenen Arbeit (Orientierung an Qualitätskriterien) wird ebenfalls zusätzlich erwähnt. Darüber hinaus fügt Sänger et al. die Beschreibung des natürlichen Krankheitsverlaufs und die Auswirkung der Behandlung auf die Lebensqualität der Patienten als wichtiges Kriterium für EBPI hinzu. Klemperer et al. ergänzt, dass die Informationen über die Behandlungsergebnisse eine Relevanz für die Patienten haben sollten.

Zusätzlich zu den soeben vorgestellten Kriterien ist die textbasierte Vermittlung von Wahrscheinlichkeiten eine zentrale Aufgabe bei der Erstellung von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen. Es wurde bislang festgestellt, dass diese von den Nutzern häufig missverstanden oder überschätzt werden. Für diesen wichtigen Punkt gibt es bisher jedoch keine festgelegten Standards (Vgl. Kasper, Heesen, Mühlhauser 2009). Doch selbst Ärzte sind häufig überfordert mit dem Verständnis von Gesundheitsstatistiken und haben Schwierigkeiten sie den Patienten verständlich zu erklären (Vgl. Wegwarth und Gigerenzer 2011). Aus diesem Grund gibt es in der Literatur zahlreiche Hinweise, wie Zahlen dargestellt werden sollten.

Die Umsetzung der Kriterien für EBPI kann schwierig sein. „Evidenzen zur Wirksamkeit medizinischer Behandlungen werden meist in randomisiert-kontrollierten Studien gewonnen“ (Kasper, Heesen und Mühlhauser 2009, S. 79). Oft ist aber die wissenschaftliche Beweislage über den Nutzen von medizinischen Maßnahmen wegen schlechter oder nicht vorhandener Studien nicht eindeutig genug. Dies führt dazu, dass die verständliche Vermittlung solch eines Sachverhalts für den Nutzer und Rezipienten der Information schwierig ist (Vgl. Kasper, Heesen und Mühlhauser 2009; vgl. Trevana et al. 2006; vgl. Schünemann et al. 2003). Eben diese Problematik wurde bereits 2010 in der Arbeit von Hirschberg diskutiert. Dies führte zu dem Ergebnis, dass „…neben einer Verbesserung der Risiko­kom­mu­nikation, auch Anleitungen bzw. Hinweise für den Leser zum Umgang mit Un­sicherheiten und zur Übertragung der Studienergebnisse auf seine individuelle Situation…“ (Hirschberg 2010, S. 78) integriert werden sollten. Daran lässt sich die besondere Bedeutung, der Bedürfnisberücksichtigung der Zielgruppe erahnen. Der Bedarf und die Ressourcen der Zielgruppe sollten bereits im „…Prozess der Erstellung […] [der] Informationen […] und über indikationsspezifische Kontextbedingungen einfließen“ (Kasper, Heesen und Mühlhauser 2009, S. 78; vgl. Hirschberg 2010).

3.4 Gesundheitsinformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

“The goal of IQWIG´s website is not to tell people what they should do, but rather, what they could do and how they could think about the potential advantages and disadvantages for themselves” (Bastian 2008, S. 552).

In diesem Kapitel soll erläutert werden, wie das IQWiG aufgebaut ist und aufgrund welcher Grundsätze es die soeben erläuterten evidenzbasierten Gesundheitsinformationen in ihre Institutsaufgaben einbezieht und zur Verfügung stellt.

[...]


[1] Aus Gründen der Lesbarkeit werden in dieser Arbeit persönliche Bezeichnungen nicht generell in der männlichen und weiblichen Form verwendet. Wenn diese Bezeichnungen in der männlichen Form formuliert sind, ist selbstverständlich das weibliche Geschlecht eingeschlossen.

[2] Compliance kann als Therapietreue übersetzt werden und betrifft das kooperative Verhalten des Patienten im Rahmen der Therapie. Eine gute Compliance ist beispielsweise abhängig von dem Glauben des Patienten an die Wirksamkeit der Therapie und der Zufriedenheit mit der Betreuung durch das medizinische Fachpersonal, etc.

[3] “Improved health literacy is necessary for people to increase control over their health, and for better management of disease and risk” (WHO 2000, S. 2).

[4] Institute of Medicine (2004): Health literacy: A Prescription to End Confusion. Washington, DC, National Academies Press.

[5] Coping bezeichnet das Bewältigungsverfahren von Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen.

[6] „Die Stiftung Health On the Net (HON) setzt sich für eine Verbesserung der Qualität von gesundheitsbezogenen Informationen im Internet ein, sowie für deren angemessene und effiziente Nutzung. HON wurde 1995 gegründet und ist eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation, die vom Wirtschafts - und Sozialrat der Vereinten Nationen anerkannt wird. HON möchte den Bürgern den Zugang zu vertrauens-würdigen Informationen erleichtern. Die Stiftung setzt sich dafür ein, dass ethische Normen eingehalten werden und hat hierfür einen Verhaltenskodex, den HONcode, entwickelt. Er bietet Webseitenherausgebern Anhaltspunkte um qualitativ hochwertige Seiten zu erstellen und schützt gleichzeitig die Bürger vor unseriösen medizinischen Informationen.“ (Abrufbar unter http://www.hon.ch/home1_de.html, Zugriff am 06.01.2011)

[7] IQWiG (2008): Allgemeine Methoden. Version 3.0, abrufbar unter: https://www.iqwig.de/download/IQWiG_Methoden_Version_3_0.pdf (Zugriff am 02.01.2011);

Klemperer et al. (2010): Gute Praxis Gesundheitsinformation, abrufbar unter: http://www.ebm-netzwerk.de/grundlagen/images/gpgi.pdf (Zugriff am 21.04.2011);

Koch, K., Mühlhauser, I. (2008): Kriterien zur Erstellung von Patienteninformationen zu Krebsfrüherkennungsuntersuchungen. Stellungnahme des Fachbereichs Patienteninformation des DNEbM e.V., abrufbar unter: http://www.ebm-netzwerk.de/netzwerkarbeit/images/stelungnahme_dnebm_080630.pdf (Zugriff am 02.01.2011);

Sänger, S. et al. (2006): Manual Patienteninformation – Empfehlungen zur Erstellung evidenzbasierter Patienteninformationen, abrufbar unter: http://www.aezq.de/mdb/edocs/pdf/schriftenreihe/schriftenreihe25.pdf (Zugriff am 02.01.2011).

[8] Hier einige Ausschnitte: Natürliche Häufigkeiten sollten immer mit Angabe der Bezugsgröße kommuniziert werden. Grundgesamtheiten sollten immer konstant bleiben. Graphisch dargestellte Risiken werden besser verstanden, als in Text- oder Zahlenform (Vgl. Gigerenzer und Edwards 2003; vgl. Fortin et al. 2001).

Ende der Leseprobe aus 174 Seiten

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Titel
Erhöhung der Gesundheitskompetenz von Menschen auf der Basis evidenzbasierter Gesundheitsinformationen
Hochschule
Medizinische Hochschule Hannover  (Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung)
Veranstaltung
Gesundheitsförderung und präventive Dienste
Note
1,2
Autoren
Jahr
2011
Seiten
174
Katalognummer
V269207
ISBN (eBook)
9783656596936
ISBN (Buch)
9783656596950
Dateigröße
4568 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erhöhung, gesundheitskompetenz, menschen, basis, gesundheitsinformationen, einflussnahme, textkriterien, faktoren
Arbeit zitieren
Inga Münch (Autor:in)Marie-Luise Dierks (Reihenherausgeber:in)Gabriele Seidel (Reihenherausgeber:in), 2011, Erhöhung der Gesundheitskompetenz von Menschen auf der Basis evidenzbasierter Gesundheitsinformationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269207

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