Kreationismus vs. Evolution


Essay, 2013

36 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

Fundamentalismus vs. Rationalität

Junge-Erde-Kreationismus und göttliche Schöpfung

Dinosaurier im Garten Eden

Anthropocentric misconception

Evolutionärer Wandel als Erklärung des Lebendigen

Ein Affe und eine Boeing 747

Das LENSKI-Experiment

Nichtreduzierbare Komplexität, oder: Bakterien, die lernten, Citrat zu essen

Von Walbeinen und Gänsehaut

Theodizee - über die Herkunft des Leids

Gott der Lücken, oder: die Angst vorm Sterben

Quellenangabe

Bibliographie

Seit Jahrtausenden ist der Glaube verbreitet, die Menschheit wurde von einem Schöpfer - einem intelligenten Designer - aus dem Nichts erschaffen. Seit 1859, aufgrund Charles Darwins The Origin of Species und die dadurch begründete moderne Evolutionsbiologie, ist eine weitere Ansicht verbreitet - die Menschen und mit ihnen alle anderen Lebewesen dieser Erde sind Produkte einer progressiven Entwicklung, Arten verändern sich und werden durch natürliche Selektion neu „geschaffen“. Diese beiden Sichtweisen gehen von unterschiedlichen Grundvoraussetzungen aus. Die eine, dass das Universum von Übernatürlichkeit beherrscht wird, die andere, dass es allein den Regeln der Natur folgt. Damit stehen beide Ansichten einander grundsätzlich diametral gegenüber und sind letztlich unvereinbar - so wie auch die aus ihnen gezogenen Schlussfolgerungen.

Nur wenige naturwissenschaftliche Fragen beschäftigen die Menschheit so sehr wie die nach der Entstehung ihrer selbst. Theorien - von theistischer wie von wissenschaftlicher Seite - wurden aufgestellt und weiterentwickelt, hitzige Debatten geführt, die Menschen in ihrem gesellschaftlichen Denken und Handeln beeinflusst, Blut wurde vergossen. Hiervon handelt der nachfolgende Aufsatz.

Fundamentalismus vs. Rationalität

„ Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. [ … ]

Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. “ (1 Mose 1:1, 27)

Glaubt man dem 1. Buch Mose und den Anhängern der Intelligent Design -Bewegung, so ist ein intelligenter Schöpfer die allein relevante Antwort auf die Frage nach der Entstehung allen Lebens, der Erde, des Sonnensystems und des gesamten Universums. Glaubt man der überwiegenden Mehrzahl der Biologen, Geologen, Astrophysiker, so kann dieser Ansatz nur als unwissenschaftlich, pseudowissenschaftlich oder als Junk Science angesehen werden. Im Folgenden soll zunächst auf die Entstehung des Intelligent Design (ID), die kreationistischen Grundaussagen und deren Verfechter in der öffentlichen Debatte eingegangen werden.

Die Intelligent Design -Bewegung ist eine relativ junge Bewegung. Sie wurde Ende der 1980er Jahre von rechts-konservativen, christlich-fundamentalistischen Gruppierungen in den USA ins Leben gerufen. Anlass war das Gerichtsverfahren Edwards v. Aguillard [a] (E. W. Edwards, damaliger Gouverneur des Bundesstaats Louisiana). Das Verfahren hat ein bestehendes Gesetz, welches besagt, dass Evolution und Schöpfung als gleichwertige wissenschaftliche Lehren im Biologieunterricht behandelt werden sollen, als verfassungswidrig erklärt. Es verstößt gegen den ersten Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung, der besagt, dass von staatlicher Seite keine Religion zu bevorzugen oder aktiv zu fördern sei.

Im Urteil wird explizit erwähnt, dass die Schöpfungslehre keine wissenschaftliche Theorie sei und daher im naturwissenschaftlichen Unterricht nicht gelehrt werden darf; das säkulare Selbstverständnis der Institution Schule sollte durch dieses Urteil gestärkt werden. Daraufhin kam es zu einer Vielzahl von Veröffentlichungen, die darauf abzielten, die Schöpfungslehre - unter dem Deckmantel des Intelligent Design - sehr wohl als wissenschaftliche Theorie darzustellen und diese mit der Evolution als gleichrangig und konkurrenzfähig anzusehen.

Durch intensive Lobbyarbeit von Think Tanks wie dem eigens dafür gegründeten Discovery Institute wurden die Ideen der Schöpfungslehre wieder verstärkt in die öffentliche Debatte eingebracht und die Forderung gestellt, Intelligent Design als alternative Lehrmeinung zur Evolution im Biologieunterricht zu behandeln. Rückendeckung von höchster Stelle erhielt die Bewegung vom zutiefst religiösen George W. Bush, der im Oktober 2005 in dem Zusammenhang darauf hinwies, dass „ein Teil der Erziehung darin besteht, Menschen mit unterschiedlichen Denkschulen vertraut zu machen“. Damit hat er prinzipiell natürlich Recht, doch zielt diese Aussage offensichtlich darauf ab, Intelligent Design auf eine wissenschaftliche Stufe mit der Evolutionstheorie zu hieven. Dass ID auf dieser Stufe allerdings - und demnach auch im Biologieunterricht - nichts zu suchen hat, hielten 38 Nobelpreisträger in einer öffentlichen Erklärung zweifelsfrei fest: „ Intelligent design is fundamentally unscientific. “ [b]

Durch die ID-Bewegung erhielt die christliche Schöpfungslehre neuen Aufwind im öffentlichen Diskurs in den USA und zum Teil auch in Europa. Die dahinter liegenden Ideen existieren jedoch so lange wie das Christentum selber und waren über viele Jahrhunderte hinweg das Fundament, auf dem der christliche Glaube aufbaute. Die Vorstellung eines Schöpfergotts findet sich bereits in den Götterlehren des Altertums wieder und wird heute allgemein als Kreationismus bezeichnet.

Kennzeichnend für die kreationistische Weltanschauung ist die Auffassung, dass die Bibel ein historisches Dokument sei, ein Tatsachenbericht, und nicht etwa nur ein metaphorisch zu interpretierender Leitfaden. Zu diesem Zugeständnis, welches heutzutage aufgrund der erdrückenden Beweislast wissenschaftlicher Erkenntnisse von vielen Gläubigen gemacht wird, sind fundamentalistische Kreationisten nicht bereit. Zu den beiden grundlegenden Ideen des Kreationismus (die von den unterschiedlichen Strömungen in unterschiedlichem Maße vertreten werden) gehört einerseits die Vorstellung einer Jungen Erde, das heißt die Idee einer Erde, die zwischen 6,000-10,000 Jahre alt ist, andererseits die Vorstellung, dass diese Erde und mit ihr die Menschen, alle anderen Tiere und die Pflanzen innerhalb von sechs Tagen von Gott geschaffen wurde; am siebten Tag musste er sich bekanntermaßen davon ausruhen.

Junge-Erde-Kreationismus und göttliche Schöpfung

„ Und Adam war 130 Jahre alt und zeugte einen Sohn [ … ] und nannte ihn Set; und lebte danach 800 Jahre und zeugte Söhne und Töchter, dass sein ganzes Alter ward 930 Jahre, und starb. Set war 105 Jahre alt und zeugte Enosch und lebte danach 807 Jahre [ … ] und zeugte Söhne und Töchter. [ … ] Lamech war 182 Jahre alt und zeugte einen Sohn und nannte ihn Noah. [ … ] Noah war 500 Jahre alt und zeugte Sem, Ham und Jafet. “ (1 Mose 5)

1 Mose 5 enthält den kompletten Familienstammbaum, angefangen bei Adam bis Noah am Ende (die Bibel als stark patriarchalisch geprägtes Werk enthält selbstredend nur den Baum männlicherseits, im obigen Zitat stark gekürzt). Wunderlicherweise wurden die meisten dieser Herren fast 1,000 Jahre alt und zeugten noch im hohen Alter neue Kinder. Diese konkreten

Zahlenangaben halten Junge-Erde-Kreationisten für historisch relevante Fakten und nehmen sie als Grundlage ihrer Weltanschauung. Werden diese Werte addiert, andere vermeintlich historische Angaben in der Bibel hinzugerechnet und die Annahme vorausgesetzt, dass Gott am ersten Tag die Erde schuf, so kommen Kreationisten auf ein ungefähres Erdalter von 6,000- 10,000 Jahren. Der irische Theologe James Ussher (17. Jh.) ging sogar soweit, mit Hilfe seiner Berechnungen den Geburtstag der Erde exakt auf den 23. Oktober 4004 v. Chr., 9 Uhr morgens zu datieren1.

Die moderne Wissenschaft datiert das Alter der Erde auf ca. 4.5 Milliarden Jahre, also ungefähr dem Millionenfachen der Angabe der Kreationisten. Egal aus welcher wissenschaftlichen Disziplin sich der Frage nach dem Erdalter genähert wird, das Ergebnis ist stets das gleiche. So argumentieren Physiker mit der Verteilung der radioaktiven Isotope auf der Erde, Geologen mit der Zusammensetzung von Gesteinsschichten. All diese Fakten werden von Junge-Erde- Kreationisten mit einem an Arroganz kaum zu übertreffenden Handstreich allesamt vom Tisch gefegt und als Unsinn hingestellt. Physikalische Messmethoden werden als unzuverlässig angesehen, die wissenschaftliche Integrität der Forschenden in Zweifel gezogen.

Auch die heutige Beschaffenheit der Erdoberfläche, so die Argumentation der Junge-Erde- Kreationisten, wurde nicht über viele Jahrmillionen durch natürliche Prozesse geformt, sondern im Jahre 2501 v. Chr. (wieder nach Berechnungen Usshers) durch die katastrophalen Folgen der Sintflut so gestaltet.

Im deutschsprachigen Raum macht sich die Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V. für die Lehre der wörtlichen Auslegung der Bibel stark. Ihre Mitarbeiter sind im Wesentlichen promovierte Theologen, die es sich zur Aufgabe machen, in der seriösen naturwissenschaftlichen Forschung nach vermeintlichen Unstimmigkeiten zu suchen, um daraus ihre Ansicht einer deutlich jüngeren Erde zu schlussfolgern: „Auf der Grundlage eines evangelikalen Schriftverständnisses […] ist eine Herleitung des Alters der Schöpfung im Rahmen von ca. 10,000 Jahren plausibel begründbar.“[c] Sie stürzen sich auf aus dem Zusammenhang gerissene Einzelheiten der seriösen Forschung und legen diese in ihrem Sinne aus.

Ein Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass in 70 Millionen Jahre alten Dinosaurierknochen Spuren von intakten Proteinen gefunden wurden. Ihrer Ansicht nach sind Proteine jedoch deutlich weniger als 1 Million Jahre erhaltungsfähig. Ohne weiter nach möglichen Hintergründen zu suchen, wird sofort der Schluss gezogen, dass die Knochen niemals 70 Millionen Jahre alt sein können. Die physikalisch-chemischen Methoden zur Altersbestimmung lügen. Punkt. (Dass im Laufe der Jahrzehnte so viele, erwiesenermaßen so alte Dinosaurierknochen gefunden wurden, ist den Kreationisten dieser Welt ein Dorn im Auge. Wort und Wissen erhält für die Lösung dieses Problems - zugegebenermaßen äußerst kreative - Rückendeckung aus Übersee, dazu später mehr.)

Ein weiteres Beispiel ist das hohe Alter von in Eis oder Salzkristallen eingeschlossenen Bakterien, die anschließend von Wissenschaftlern im Labor wieder zum Leben erweckt werden (das älteste dieser Art ist sage und schreibe 250 Millionen Jahre alt). Wort und Wissen merkt an, dass es - auf dem aktuellen Stand der Forschung - nicht erklärbar sei, wie deren DNA über diesen immensen Zeitraum intakt bleiben konnte. Ihre logische Schlussfolgerung daraus ist schlichtweg, dass das anerkannte Erdalter nicht stimmen kann und um Zehnerpotenzen danebenliegen muss. Wie unwissenschaftlich diese Herangehensweise ist, kann gar nicht genug betont werden - ich sehe eine Ungereimtheit in Theorie A, folglich muss Theorie B richtig sein, obwohl ich keinerlei Beweise für B selbst habe.

Auf diesem Niveau befinden sich alle angeführten „Beweise“ für ein jüngeres Erdalter. Vermeintliche Widersprüche in wissenschaftlichen Erkenntnissen - ob die angeführten Zweifel berechtigt sind oder nicht, ist von Fall zu Fall unterschiedlich, meist sind sie es nicht - werden im Umkehrschluss als Beweise für die Theorie einer Jungen Erde missbraucht. Es wird kein Versuch darauf verwendet, diese vermeintlichen Ungereimtheiten aufzuklären. Das Bild vom Wissenschaftler, wie er - fast ehrfürchtig - vor einem sich gerade aufgetanen Problem steht, und sich daran macht, es zu verstehen, ist kreationistischen „Forschern“ völlig fremd. Oder, um mit Darwin selbst zu sprechen: „Nur ein Narr macht keine Experimente.“

Die vermeintlichen Beweise der Kreationisten für eine Junge Erde liegen im Vergleich um einige wenige Zehnerpotenzen unter dem wissenschaftlich anerkannten Erdalter, im Schnitt etwa drei. Werden diese drei Zehnerpotenzen vom anerkannten Alter von 4.5 Milliarden Jahren wegdividiert, gelangt man zu einem Alter von mehreren Millionen Jahren. Dieser Wert ist allerdings immer noch um Größenordnungen von den paar Tausend Jahren entfernt, die Wort und Wissen als eigentliches Erdalter propagiert.

Wem soll hier eigentlich was bewiesen werden?

„ Wir sind nicht das zuf ä llige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. “

- Benedikt XVI. [d]

Die Schöpfung der Arten durch einen intelligenten Designer ist neben dem Junge-Erde-Argument der zweite Grundpfeiler der kreationistischen Lehrmeinung. Wieder einmal wird die Bibel wörtlich ausgelegt und nicht etwa - was mittlerweile eine große Anzahl halbwegs aufgeklärter Christen so sieht - als metaphorischer Leitfaden angesehen, sondern als Tatsachenbericht, als Historie des Lebens. In 1 Mose 2, 3 steht geschrieben, dass Gott Adam aus einem Erdenkloß erschuf. Einige Zeit später machte er ihm dann eine Gehilfin aus seiner Rippe und nannte sie Eva2. Adam wollte sie zunächst Männin nennen, da sie ja aus Teilen eines Mannes gemacht wurde. Der Status eines Menschen stand Eva nicht zu, es ist die Rede vom Menschen und dem Weib (1 Mose 2:25).

Am gleichen Tag, dem sechsten, schuf Gott auch alle weiteren Tiere des Festlands. Bereits einen Tag eher schuf er die Tiere des Himmels und des Wassers. Sämtlichen Tieren sollte Adam am sechsten Tag ihre Namen geben. (Wissenschaftler schätzen die Anzahl aller lebenden Tierarten auf ca. neun bis zehn Millionen, jedoch sind 99% aller Arten bereits ausgestorben. Es gab also insgesamt ca. eine Milliarde Arten, die Adam benennen musste - eine ziemlich umfangreiche Aufgabe für nur einen Tag.)

Es gibt unter Kreationisten verschiedene Strömungen, die unterschiedlicher Auffassung über den weiteren Verlauf der Geschichte sind. Progressive Strömungen gestehen, dass Arten nicht unveränderlich sind und es zur sogenannten Mikroevolution kommen kann. Diese beschreibt die Veränderlichkeit der Arten unter bestimmten Bedingungen im Kleinen. So können sich die Schnabelform von Vögeln oder die Größe von Tomaten im Laufe der Zeit ändern. Ein weiteres klassisches Beispiel für sogenannte Mikroevolution trat bei Birkenspannern Ende des 19. Jahrhunderts in englischen Industriegebieten auf. Diese Schmetterlingsart ist eigentlich hell gefärbt, um sich auf den ebenfalls hellen Birken vor Fressfeinden zu tarnen. Im Zuge der industriellen Revolution kam es in Ballungsgebieten verstärkt zu Luftverschmutzungen, wodurch sich vermehrt Ruß auf den Birken ablagerte. Innerhalb einiger Jahre war nahezu die gesamte Birkenspannerpopulation schwarz gefärbt und hat sich so durch natürliche Selektion an die veränderten Umweltbedingungen angepasst; sogenannter Industriemelanismus. Diese Form der Evolution lässt sich im Laufe eines Menschenlebens beobachten - die Züchtung verschiedener Hunderassen oder die bekannten Experimente an Guppys der Arbeitsgruppe um den Biologen David Reznick beispielsweise[e]. Es wäre hirnrissig, diese Art der Veränderlichkeit in Frage zu stellen, da sie quasi mit eigenen Augen beobachtet werden kann. Makroevolution wird jedoch von allen kreationistischen Strömungen abgelehnt. Diese Form der Evolution beschreibt die artenübergreifende Entwicklung, also dass Reptilien von Fischähnlichen abstammen beispielsweise oder aus ihnen die Säugetiere entstanden.3

Fundamentalistische Kreationisten lehnen jede Form der Veränderlichkeit der Arten ab, also auch die Mikroevolution. Pseudowissenschaftlich wird gerne mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik argumentiert. Vereinfacht besagt dieser, dass die Unordnung eines Systems stets zunimmt, es also nicht zu geordneteren Strukturen kommen kann. Diesem Grundsatz widerspricht die Evolution offensichtlich, da sie im Laufe der Jahrmillionen aus ungeordneteren Strukturen (Einzellern) geordnetere, komplexe Strukturen (Vögel, Säugetiere usw.) geschaffen haben soll. Diesem vermeintlichen Gegenbeweis widerspricht jedoch eine Vielzahl natürlicher Prozesse. So werden beim wichtigsten biologischen Prozess überhaupt, der Photosynthese, aus den simplen Molekülen H2O und CO2 geordnete Strukturen aufgebaut, die Zuckermoleküle, was problemlos beobachtet werden kann. Die Kreationisten legen die wissenschaftlichen Gesetze aus, wie es ihnen passt, denn der zweite Hauptsatz besagt, dass stets die Gesamtunordnung eines Systems zunehmen muss. Werden in einer chemischen Reaktion komplexe Moleküle aufgebaut, so muss entweder Wärme an die Umwelt abgegeben werden oder weniger geordnete Moleküle müssen als Nebenprodukte auftreten (was bei der Photosynthese der Fall ist).

Bereits in den 1960er-Jahren haben die beiden Nobelpreisträger Onsager und Prigogine zweifelsfrei bewiesen, dass die Evolution und alle anderen biologischen Prozesse nicht gegen den zweiten Hauptsatz verstoßen[f]. Trotz dieser Widerlegung wird das Argument auch heute noch gerne angebracht. Dass allein die bloße Existenz der Kreationisten nach ihrer Logik dem zweiten Hauptsatz widerspricht, sehen sie nicht. Denn auch sie entstanden vermutlich aus einer einzigen Eizelle (wenig komplex) und bestehen nun aus ca. 100,000,000,000,000 Zellen (100 Billionen, sehr komplex).

Dinosaurier im Garten Eden

Wie oben bereits angesprochen, ist es für Kreationisten ein äußerst schwieriges Unterfangen, die Vielzahl an Funden von Dinosaurierknochen mit ihrer Version der Erdgeschichte in Einklang zu bringen. Dinosaurier dominierten für etwas unter 200 Millionen Jahre das Leben auf der Erde und starben vor ca. 65 Millionen Jahren aus. Die wissenschaftlichen Beweise für diese Zeitangaben sind stichhaltig; Chemiker argumentieren mit der Altersbestimmung der Knochenfunde über die Radiokarbonmethode, Paläontologen mit der Lokalisierung dieser Funde in den bestimmten Gesteinsschichten. Die Zeitangaben sind natürlich unvereinbar mit der Vorstellung einer nur 10,000 Jahre alten Erde, weshalb christliche Apologeten sich unterschiedlichster Kunstgriffe bedient haben, um dieses Dilemma in ihrem Sinne zu lösen4.

Ein nahezu allgemein anerkannter Konsens lautet, dass Menschen und Dinosaurier zur gleichen Zeit in friedlicher Eintracht nebeneinander gelebt hätten. Um dieser nicht gerade intuitiven Auffassung die nötige Anschaulichkeit zu verleihen, hat der US-amerikanische kreationistische Think Tank Answers in Genesis das millionenschwere, hochmoderne Creation Museum in Petersburg, Kentucky errichtet5. Hier wird neben der simulierten Sintflut im Special Effects Theatre - bei der dem Publikum zum Zwecke der Authentizität sogar Wasser ins Gesicht gespritzt wird, wie der im Museum angestellte Astrophysiker Jason Lisle stolz und voller Enthusiasmus berichtet - auch das Zusammenleben der Menschen mit den Dinosauriern dokumentiert. Technisch äußerst aufwendige Dinosaurier-Roboter spielen hier zusammen mit kleinen Menschenkinder-Robotern und es wird erklärt, Dinosaurier hätten so scharfe Krallen, weil sie bereits im paradiesischen Garten Eden harte Früchte knacken mussten.

Answers in Genesis scheut weder Kosten noch Mühen, um unter dem pseudowissenschaftlichen Deckmäntelchen des Intelligent Design religiöse Propaganda auf höchstem Niveau zu verbreiten. Die Bibel in ihrer wortwörtlichen Auslegung wird als einzige Autorität in Bezug auf naturwissenschaftliche Fragestellungen anerkannt, eine Milliarden Jahre alte Erde und die Entstehung des Menschen nach darwinistischen Vorgängen werden als „evolutionistische“ Indoktrination abgetan.

Anthropocentric misconception

Ok, so könnte man meinen, die Ansicht einer Erde, die gerade mal ein paar Jahrtausende alt ist und die des Menschen, der, so wie er heute ist, geschaffen wurde, teilt nur eine verschwindend kleine Minderheit, die sich im Wesentlichen um Gruppen wie Wort und Wissen oder Answers in Genesis sammelt; jedes Schulkind weiß, dass die Erde mehrere Milliarden Jahre alt ist und „der Mensch vom Affen abstammt“.

Das größte Meinungsforschungsinstitut der USA, Gallup, führt jährlich eine Umfrage zur Entstehung der Menschheit und der Erde durch[g]. Nach dieser repräsentativen Umfrage glauben sage und schreibe 46% der befragten US-Amerikaner, dass Gott die Erde und die Menschen vor rund 10,000 Jahren aus dem Nichts erschaffen hat6. Diese Zahl verdient besondere Aufmerksamkeit - fast jeder zweite US-Amerikaner leugnet die Evolution des Lebens und glaubt, die Erde sei gerade einmal zehntausend Jahre alt, ist also durch und durch Kreationist. Um die Relationen zu verdeutlichen: die Falschaussage der 10,000 Jahre alten Erde kommt der Aussage gleich, die Erdkugel hätte einen Durchmesser von 3 Metern.

Dieser hohe Prozentsatz an Geschichtsleugnern ist erschreckend. Diese Ansichten über die Erde und das Leben sind Verleugnung der eigenen Geschichte, sie sind das naturwissenschaftliche Äquivalent zur Holocaustleugnung oder der Leugnung des Völkermords an den Armeniern. Und sie sind in ähnlichem Maße gefährlich.

Durch diese Weltanschauung stellt sich der Mensch fast zwangsläufig in den Mittelpunkt sämtlicher Existenzen. Diese 46% der Geschichtsleugner leben mit der Vorstellung, die Erde wurde nur zu dem Zweck geschaffen, dass sie der Menschheit ein Zuhause sein soll und dass sich der Mensch an ihr und ihren Schätzen nach Belieben bedienen und sie, wenn nötig, wie ein Schlachtfeld hinterlassen kann. Das zu Beginn angeführte Bibelzitat von der göttlichen Schöpfung des Menschen, geht folgendermaßen weiter:

„ Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch Untertan und herrschetüber die Fische im Meer undüber die Vögel unter dem Himmel undüber das Vieh undüber alles Getier, das auf Erden kriecht. “

(1 Mose 1:28)

Diese Bibelstelle kann als Masterplan für die rücksichtslose Ausbeutung der Erde und für das sinnlose Ausrotten von Tierarten angesehen werden. Es ist natürlich spekulativ, das hypothetische Verhalten des Menschen gegenüber der Natur und den Tieren rückwirkend vorherzusagen, hätte es diese maßlose Überhöhung des Menschen seitens der Bibel, diese göttliche Rückendeckung, nicht gegeben. Ich bin mir jedoch sicher, dass in diesem Fall zumindest der eine oder andere Gewissensbiss mehr geplagt hätte, als die Menschen anfingen, den Regenwald abzuholzen und dadurch unzählige Tierarten auslöschten, als ihr saurer Regen ganze Waldstriche zu Geisterlandschaften werden ließ oder als sich herausstellte, dass täglich (!) 130 Tier- und Pflanzenarten aussterben, was etwa um den Faktor 1,000 über dem natürlichen Wert liegt. Ist man jedoch der Ansicht, dass sich die Welt und jedes Lebewesen auf ihr nur um einen selbst drehen, sind diese Gleichgültigkeit und das daraus resultierende Verhalten nur allzu verständlich, ja, man wird durch die Bibel geradezu dazu aufgefordert.

„ Und Gott segnete sie “ - diese göttliche Segnung wurde im Laufe der Geschichte nur allzu oft als Freibrief für Rücksichtslosigkeit und Zerstörung verstanden. Oder um mit den Worten des Musikers Robin Staps zu sprechen[h]:

„ The myth that man is the crown of God's creation Breeds the excuse to deplete the earth today The myth that man is the crown of God's creation Supports our present anthropocentric misconception “

[...]


1 Um diese religiös motivierten Berechnungen nicht als kompletten Unfug hinzustellen, sei erwähnt, dass auch der große Sir Isaac Newton seine Berechnungen anstellte und den Zeitpunkt der Schöpfung exakt 534 Jahre vor Usshers 4004 v.Chr. datierte. Nun gut.

2 Kreationisten können sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass der Mensch aus weniger hoch entwickelten Arten entstanden ist, aber dass Adam aus einem Erdenkloß und Eva aus seiner Rippe entstanden sind, damit haben sie kein Problem.

3 Die Einteilung in Mikro- und Makroevolution ist letztendlich nur unter Kreationisten verbreitet und findet in der wissenschaftlichen Literatur nahezu keine Anwendung. Biologen argumentieren, dass beide Formen auf den gleichen Mechanismen beruhen und Makroevolution lediglich die Summe mehrerer Mikroevolutionen darstelle. Dass die Grenzen sowieso unscharf sind, ignorieren Kreationisten.

4 Die Literatur zu diesem Thema treibt einem unweigerlich ein Schmunzeln auf die Lippen. So wird z.B. behauptet, die Dinosaurier wären in der Großen Sintflut ums Leben gekommen. Andere mutmaßen, sie hätten nach der Flut als Drachen weitergelebt. In Kreationistenkreisen werden leidenschaftliche Debatten zu diesem Thema ausgefochten.

5 Berichtet wird über das Museum u.a. in der äußerst sehenswerten Dokumentation Von Göttern und Designern (s. Bibliographie).

6 32% gestehen immerhin eine evolutionäre Entwicklung ein, jedoch unter göttlicher Leitung. Nur 15% denken, die Menschen sind ohne Eingreifen Gottes entstanden. 54% würden sich wünschen, dass Kreationismus in öffentlichen Schulen gelehrt würde. Die Umfrage wird seit 1982 durchgeführt, alle Werte sind nahezu konstant[g].

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Kreationismus vs. Evolution
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT))
Veranstaltung
Vorlesungsreihe "Evolutionär Denken"
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
36
Katalognummer
V269341
ISBN (eBook)
9783656603924
ISBN (Buch)
9783656603979
Dateigröße
1126 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Evolution, Kreationismus, Wissenschaftsphilosophie, Religion, Religionskritik
Arbeit zitieren
Jakob Reimann (Autor:in), 2013, Kreationismus vs. Evolution, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269341

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