Die Arbeit geht der Frage nach, wie es zum Kontakt zwischen RAF und DDR gekommen ist, was sich beide Seiten davon erhofften und weshalb der Kontakt ab 1984 schließlich eingestellt wurde. Das Ziel der Seminararbeit besteht darin herauszuarbeiten, welche Absichten DDR und RAF mit dem Kontakt verfolgten.
Im Mittelpunkt sollen die Vorgänge "Stern I" und "Stern II" stehen. Besonders bei "Stern II" wird die Intensität des Kontakts deutlich ...
1. Einleitung
Die folgende Arbeit geht der Frage nach, wie es zum Kontakt zwischen RAF und DDR gekommen ist, was sich beide Seiten davon erhofften und weshalb der Kontakt schließlich ab 1984 eingestellt wurde. Das Ziel der Arbeit besteht darin herauszuarbeiten, welche Absichten DDR und RAF mit dem Kontakt verfolgten. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen daher die Vorgänge „Stern I“ und „Stern II“. Besonders bei „Stern II“ wird die Intensität des Kontaktes zwischen DDR und RAF deutlich, daher ist es für das leichtere Verständnis sinnvoll, mit „Stern II“ zu beginnen. Auf etwaige frühere Verbindungen zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und der RAF kann nicht eingegangen werden. Da nur exemplarisch gearbeitet werden kann, muss auf eine genaue Darstellung des Lebens der RAF-Aussteiger in der DDR verzichtet werden. Die Frage, ob die Bundesrepublik und das BKA nichts vom Verschwinden der zehn gesuchten Terroristen wusste, kann in dieser Arbeit nicht beantwortet werden. Ob die SED-Parteispitze über den Wechsel der zehn RAF-Aussteiger in die DDR informiert war oder nicht, muss leider unberücksichtigt bleiben. Die gezielte Akten-Vernichtung durch das MfS macht es der Forschung schwer, die Verbindung aufzuklären. Die Verbindung zwischen RAF und DDR ist bisher noch nicht vollständig erforscht. In den bedeutenden Standardwerken zur deutschen Geschichte, wie Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte oder im Oldenbourg Grundriss der Geschichte, wird nur kurz auf die Verbindung eingegangen, indem vom Wechsel der zehn Aussteiger in die DDR berichtet wird. Bei der Auswahl der Literatur ist es schwer gefallen, wissenschaftliche Literatur zu finden. Die Problematik bei der Literatur von Butz Peters, Michael Sontheimer oder Willi Winkler besteht darin, dass die Autoren kaum mit Fußnoten arbeiten und sich so nur schwer sagen lässt, woher sie ihre Informationen beziehen. Passend zum Thema dieser Arbeit lässt sich die Autobiographie von Inge Viett als Quelle heranziehen. Sie schildert die Herstellung des Kontakts aus direkter Perspektive, jedoch versäumt sie es, sich kritisch mit ihrer aktiven Zeit als Terroristin auseinanderzusetzen. Ein Artikel aus der linksorientierten tageszeitung (taz) wurde bewusst gewählt, da es sich hier um ein wichtiges Interview mit Markus Wolf handelt. Als führender Wissenschaftler auf dem Gebiet Staatssicherheit und Terrorismus gilt der Politikwissenschaftler Tobias Wunschik. Er ist beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) Sonderrechercheur mit den Sonderaufgaben Staatssicherheitsdienst und internationaler Terrorismus.
2. Der Beginn des Kontakts zwischen RAF und DDR
Bereits im Jahr 1978 traf Harry Dahl[1], Leiter der Abteilung XXII Terrorabwehr, auf Inge Viett, die damals noch der Bewegung 2. Juni angehörte und sich erst später der RAF anschloss. Die Bewegung 2. Juni plante eine Befreiung der in Berlin-Moabit inhaftierten Genossen. Viett und die anderen Mitglieder reisten dabei nur über sozialistische Länder nach West-Berlin ein. Problemlos konnte Viett die Passkontrollen am Flughafen diesmal nicht passieren. Viett traf auf Harry Dahl, der sie mit „Guten Tag, Genossin“ herzlich begrüßte.[2] Bei diesem Treffen versicherte er ihr, dass sie nichts zu befürchten habe und dass, sie und ihre Genossen künftig ungehindert die Grenzen der DDR passieren können. Entsprechend dem kommunistischen Verständnis der DDR sei es selbstverständlich, sie und ihre Genossen nicht an den Gegner, der ja auch ihr Gegner sei, zu verraten[3]. Inge Viett erhielt von Dahl auch noch eine weitere wichtige Information. Dahl versicherte ihr, dass es keine Zusammenarbeit zwischen der Polizei der DDR und der westdeutschen Polizei gebe. An diesem Tag wurde eine Basis für die Kontakte zwischen der Bewegung 2. Juni und dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS)[4] geschaffen, von dem beide Seiten über mehrere Jahre hinweg profitieren sollten. Von den Kontakten Vietts zum MfS sollte dann später auch die RAF profitieren.
Die gezielte Vernichtung der Akten durch das MfS und das Amt für nationale Sicherheit (AfNS) im Jahr 1989 erschwert die Arbeit der Forschung. Wichtige Dokumente, die zur Aufklärung beitragen würden, sind verschwunden.[5] Das MfS richtete 1975 die Abteilung XXII für Terrorabwehr ein.[6] Ziel dieser speziell geschaffenen Abteilung war es, der Gefahr durch eine terroristische Bedrohung vorzubeugen. Das MfS erhoffte sich durch den Kontakt zur RAF wichtige Informationen aus der bundesdeutschen und internationalen Terrorszene zu erhalten.[7] Erkenntnisgewinn und die Vereitelung möglicher terroristischer Anschläge auf die DDR waren die leitenden Motive des MfS.[8] Dabei konzentrierte sich die Abteilung XXII des MfS nicht nur auf die Beobachtung des deutschen Terrorismus, sondern auch auf den internationalen Terrorismus.[9] Zahlreiche terroristische Vereinigungen in Westeuropa oder im Nahen Osten standen unter Beobachtung des MfS. Tätig wurde die Abteilung XXII Terrorabwehr immer dann, wenn das MfS beim Gegner die Bereitschaft zur Gewaltausübung gegen die DDR erkennen konnte.[10] Die Aufnahme der RAF-Aussteiger war nicht nur als freundschaftlicher Akt zu werten, die DDR hatte nach der Aufnahme der Terroristen ein Faustpfand gegenüber der Bundesrepublik in der Hand, das man gegebenenfalls zur Destabilisierung der BRD hätte einsetzten können.[11] Die RAF-Aussteiger wären in solch einem Falle zum Spielball zwischen den beiden deutschen Staaten mutiert. Das MfS plante sogar für den Fall eines militärischen Konflikts mit der BRD, die RAF zur Schwächung des Gegners einzusetzen.[12] Nach jetzigem Forschungsstand kann jedoch nicht von einer regelrechten Zusammenarbeit zwischen RAF und MfS gesprochen werden, die erhaltenen Akten enthalten zu wenige Belege dafür.[13] Zweifelsfrei gab es jedoch einen sehr engen Kontakt, der in Duldung und praktischer Unterstützung der RAF bestand. Die Verbindung zwischen RAF und MfS war allerdings wesentlich unspektakulärer als Medienberichte es vermuten ließen.
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[1] Dr. Harry Dahl war von 1956 bis 1985 beim Ministerium für Staatssicherheit beschäftigt. Er war seit 1974 Leiter der Abteilung XXII Terrorabwehr. 1985 verließ er aus gesundheitlichen Gründen das MfS und ging in Ruhestand. Sein Nachfolger wurde Horst Franz. Tobias Wunschik, „Abwehr“ und Unterstützung des internationalen Terrorismus – Die Hauptabteilung XXII. In: Hubertus Knabe, West-Arbeit des MfS. Das Zusammenspiel von Aufklärung und Abwehr, Berlin 1999, S. 263-273, hier S. 264.
[2] Inge Viett, Nie war ich furchtloser, Hamburg, 4. Auflage 2007, S. 179.
[3] Viett, S. 179f.
[4] Das MfS war das Herrschaftsinstrument der SED mit der die Überwachung und Unterdrückung der Bürger sichergestellt wurde. Zu seinen Hochzeiten beschäftigte das MfS ca. 91000 hauptamtliche Mitarbeiter. Im November 1989 wurde das MfS aufgelöst und in das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgewandelt, Karl-Wilhelm Fricke, Staatssicherheit, Ministerium für (MfS). In: Michael Behnen: Lexikon der deutschen Geschichte von 1945 bis 1990. Ereignisse. Institutionen. Personen im geteilten Deutschland. Zweiter Teil, Stuttgart 2002, S. 569- 573, hier S. 569f.
[5] Wunschik, Die Hauptabteilung XXII, S. 264.
[6] Kai Lemler, Die Entwicklung der RAF im Kontext des internationalen Terrorismus, Bonn 2008, S. 80.
[7] Tobias Wunschik, Das Ministerium für Staatssicherheit und der Terrorismus in Deutschland. In: Heiner Timmermann (Hrsg.): Diktaturen in Europa im 20. Jahrhundert, Der Fall DDR, Berlin 1996. Online unter: URL: http://www.extremismus.com/texte/rafmfs.htm (Aufruf am 11.2.2012).
[8] Lemler, S. 81.
[9] Wunschik, Die Hauptabteilung XXII, S. 264.
[10] Ebd., S. 265.
[11] Glaser, Paul, Eine perverse Kombination. In: Der Spiegel (1990), Heft 25, S. 97-103, hier S. 97f.
[12] [anonym], Mielke wollte Carlos Einsatz im Hinterland des Aggressors. M. Wolf zum Verhältnis der Stasi zu Carlos. In: Tageszeitung (taz) vom 25.8.1994, S. 10.
[13] Martin Jander, Differenzen im antiimperialistischen Kampf, Zu den Verbindungen des Ministeriums für Staatssicherheit mit der RAF und dem bundesdeutschen Linksterrorismus. In: Wolfgang Kraushaar, Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburg 2006, S. 696-713, hier S. 701.
- Arbeit zitieren
- Christopher Flauaus (Autor:in), 2012, Deckname "Stern I" und "Stern II": RAF-Aussteiger wechseln in die DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269391