In der folgenden Arbeit werden zwei aus unterschiedlichen Epochen stammende Gedichte verglichen: Das Gedicht „Abend“ von Andreas Gryphius, welches 1650 verfasst wurde, handelt vom trostlosen, einsamen und dem Verfall preisgegebenen Diesseits und von der Sehnsucht nach dem Jenseits. Das zweite zu analysierende Gedicht ist von Georg Trakl im Jahre 1913 verfasst worden und trägt den Namen „Verfall“.
Vergleich der Gedichte „Abend“ (1650) von Andreas Gryphius und „Verfall“ (1913) von Georg Trakl
Das Gedicht „Abend“ von Andreas Gryphius, welches 1650 verfasst wurde, handelt vom trostlosen, einsamen und dem Verfall preisgegebenen Diesseits und von der Sehnsucht nach dem Jenseits.
Bei der formalen Betrachtung fällt auf, dass das Gedicht aus zwei Quartetten (Strophen zu je vier Versen) und zwei Terzetten (Strophen zu je drei Versen) besteht, wonach es der Gedichtform des Sonetts zuzuordnen ist. Auch das Reimschema ist das eines Sonetts: Die Quartette beinhalten einen umarmenden Reim (abba;cddc), während das Reimschema der Terzette das eines Schweifreimes ist (eef;ggf). Dies zeugt also von einer strengen Einhaltung der gewählten Form des Sonetts.
In der Metrik liegt ein Jambus vor, dem in einigen Versen ein Auftakt vorangeht (Bsp.: „Laß, höchster Gott“; Vers 9). Die Kadenzen sind bis auf die letzten Verse der Terzette durchgehend weiblich („waren“; Vers 3 und „wachen“; Vers 12).
Inhaltlich ist zu bemerken, dass der formale Einschnitt einer inhaltlichen Zäsur entspricht. So ist das Thema der ersten beiden Strophen die Kritik am diesseitigen Leben, während die Terzette die Sehnsucht des lyrischen Ichs wiedergeben.
Um den Inhalt eingehender zu beleuchten, widme ich mich nun der sprachlichen und stilistischen Gestaltung.
Die erste Strophe ist dem Zeitaspekt des Lebens gewidmet. Schon im ersten Vers wird das rhetorische Mittel des Parallelismus und des Enjambements im zweiten Vers verwendet, was durch Beschleunigung des Leseflusses die Hektik, das schnelle Vergehen des Lebens verdeutlicht. Mit der Gegenüberstellung von „Tag“ und „Nacht“ (Vers 1) wird Kritik am schnellvergehenden Alltag deutlich („Der schnelle Tag ist hin“), der nur mit Arbeiten auf dem Feld verbracht wurde. Mit dem Ausruf „Wie ist die Zeit vertan!“ (Vers 4) betont Gryphius seine Sichtweise auf das Verbringen der Tage mit mühevoller Arbeit. Auffällig ist zudem, dass die Arbeiter als Kollektiv wahrgenommen werden: „müden Scharen“ (Vers 2), was zeigt, dass die Menschen nicht als Individuum wahrgenommen werden; dass sie in „Scharen“ das Feld verlassen deutet vielmehr darauf hin, dass der Tagesablauf eines jeden gleich ist und sie sich auch nicht dagegen wehren können.
Im zweiten Quartett wird eine Metapher, die des „Ports“ (Vers 5) verwendet; das Wort bedeutet Hafen und meint im übertragenen Sinn das Ziel des Leben, das Ende des Lebensweges. Das Nahen dieses Ports wirkt durch die Wiederholung „mehr und mehr“ (Vers 5) bedrohlich und unaufhaltsam. Auch die Personifizierung des Hafens, der sich dem Mensch nähert und somit die Verdrehung der Rollen, denn der Port als Subjekt nähert sich, nicht die Menschen dem Tod, verdeutlicht, dass der Mensch dem nicht ausweichen kann.
Im Folgenden wird die Dämmerung (der Übergang von Tag zur Nacht) aus Vers 1 als Vergleich für den Verfall wiederaufgenommen (vgl. Vers 6). Dass auch der Verfall naht wird durch die Wortwahl „in wenig Jahren“ und durch das beschleunigende Enjambement verstärkt. Die Vergänglichkeit des Diesseits wird durch die Aufzählung „Ich, du, …“ und die Wiederholung „was man hat“, „was man sieht“, die gleichzeitig einen Parallelismus darstellt, hervorgehoben. Der letzte Vers des Quartetts gibt wie schon im vorausgegangenen ersten Quartett eine persönliche Meinung des lyrischen Ichs wieder: „Dies Leben kömmt mir vor als eine Rennebahn“ (Vers 8). Mit der Metapher „Rennebahn“ assoziiert der Rezipient Hektik, Geschwindigkeit, Wettstreit und Gewinnsucht, was darauf schließen lässt, dass das lyrische Ich das Leben als zu schnell empfindet. Gleichzeitig impliziert diese Metapher auch, dass die Menschen nur genuss-, sensations- und gewinnsüchtig sind.
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- Arbeit zitieren
- Madleen Wendt (Autor:in), 2010, Vergleich der Gedichte „Abend“ (1650) von Andreas Gryphius und „Verfall“ (1913) von Georg Trakl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/269884
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