Ein Gespenst geht um – das Gespenst der Zivilcourage. Jeder kennt es und
doch bleibt es ein Gespenst, das man nie sieht, ein gutes Gespenst aber, weil
man es stets vermisst. Wie ein Mantra wird es wiederholt, jedes Mal, wenn die
soziale Kälte in unserem Land wieder zugeschlagen hat, wenn irgendwo
irgendwer weggeschaut hat, während ein Unrecht geschah, während es
jemandem schlecht ging: Wo bleibt die Zivilcourage in unserer zivilisierten
Gesellschaft, wo bleibt der Mut, einzugreifen und woher kommt diese Angst,
doch lieber wegzuschauen und weiterzugehen. Viel zu oft entsteht der
Eindruck, wir sind eine Gesellschaft von Egoisten, in der sich alle nur um sich
selbst kümmern und unsere Mitmenschen egal sind. Ein jeder kehre vor seiner
Tür und sauber ist das Stadtquartier, scheint das Motto zu sein. Dabei lebt
gerade eine Demokratie wie unsere vom Mitmachen, vom Einmischen, vom
Engagement, kurzum von Zivilcourage. Sie lebt davon, dass sich Menschen
ihrer Verantwortung in ihrem Gemeinwesen bewusst werden, dass sie sich
einbringen und für andere da sind. Trotz allem kann man sagen, dass wir eine
stabile Demokratie sind. Wie passt das also zusammen? Auch wenn immer
wieder fehlende Zivilcourage beklagt wird, so gibt es viele Couragierte in
unserer Gesellschaft, Menschen, die ihre Pflicht erkennen als Teil dieses
Landes und diese Pflicht auch wahrnehmen; die die Erkenntnis besitzen,
Mitglied eines Gemeinwesens zu sein, das nur funktionieren kann, wenn der
Eine sich auf den Anderen verlassen kann, wenn niemand abgehängt oder
ausgegrenzt wird, wenn alle frei und gleich für ihre Überzeugungen und Werte
einstehen können. So sind die Deutschen beispielsweise ein Volk, das viel
spendet in soziale Einrichtungen, in Hilfsprojekte für Menschen, denen es
schlecht geht. Auch das ist Zivilcourage, aber eine stille Form, eine risikoarme
Form, mehr eine zivile („bürgerliche“) als eine couragierte („mutige“). [...]
Ein Gespenst geht um – das Gespenst der Zivilcourage[1]. Jeder kennt es und doch bleibt es ein Gespenst, das man nie sieht, ein gutes Gespenst aber, weil man es stets vermisst. Wie ein Mantra wird es wiederholt, jedes Mal, wenn die soziale Kälte in unserem Land wieder zugeschlagen hat, wenn irgendwo irgendwer weggeschaut hat, während ein Unrecht geschah, während es jemandem schlecht ging: Wo bleibt die Zivilcourage in unserer zivilisierten Gesellschaft, wo bleibt der Mut, einzugreifen und woher kommt diese Angst, doch lieber wegzuschauen und weiterzugehen. Viel zu oft entsteht der Eindruck, wir sind eine Gesellschaft von Egoisten, in der sich alle nur um sich selbst kümmern und unsere Mitmenschen egal sind. Ein jeder kehre vor seiner Tür und sauber ist das Stadtquartier, scheint das Motto zu sein. Dabei lebt gerade eine Demokratie wie unsere vom Mitmachen, vom Einmischen, vom Engagement, kurzum von Zivilcourage. Sie lebt davon, dass sich Menschen ihrer Verantwortung in ihrem Gemeinwesen bewusst werden, dass sie sich einbringen und für andere da sind. Trotz allem kann man sagen, dass wir eine stabile Demokratie sind. Wie passt das also zusammen? Auch wenn immer wieder fehlende Zivilcourage beklagt wird, so gibt es viele Couragierte in unserer Gesellschaft, Menschen, die ihre Pflicht erkennen als Teil dieses Landes und diese Pflicht auch wahrnehmen; die die Erkenntnis besitzen, Mitglied eines Gemeinwesens zu sein, das nur funktionieren kann, wenn der Eine sich auf den Anderen verlassen kann, wenn niemand abgehängt oder ausgegrenzt wird, wenn alle frei und gleich für ihre Überzeugungen und Werte einstehen können. So sind die Deutschen beispielsweise ein Volk, das viel spendet in soziale Einrichtungen, in Hilfsprojekte für Menschen, denen es schlecht geht. Auch das ist Zivilcourage, aber eine stille Form, eine risikoarme Form, mehr eine zivile („bürgerliche“) als eine couragierte („mutige“). Trotzdem ist es wichtig und es ist ein Beweis dafür, dass wir nicht alle Egoisten sind, sondern dass wir eine innere Stimme haben, die uns auf Missstände aufmerksam macht und uns sagt: Auch du musst helfen, denn du bist Teil dieser Gesellschaft. Dies ist der Kernsatz der Zivilcourage, in diesem Satz steckt das ganze Prinzip, wer ihn verinnerlicht hat, ist ein Zivilcouragierter.
Was dagegen häufig beklagt wird, ist, dass es an der anderen Form, der riskanten Zivilcourage, häufig mangelt, wenn Menschen Courage zeigen und dabei selbst das Risiko eingehen müssen, ihre Gesundheit oder ihr Leben zu beeinträchtigen. Zum Beispiel, wenn jemand auf offener Straße verprügelt wird. Die meisten gehen vorbei, aus Angst, selbst Opfer zu werden. Zum Beispiel, wenn in der Wohnung nebenan oft Schläge und Kinderschreien zu hören sind. Die meisten hören weg, weil sie fürchten, sich lächerlich zu machen, die Situation verkannt zu haben und die Nachbarschaft gegen sich aufzubringen. Zum Beispiel, wenn ein Obdachloser, der bettelnd am Straßenrand sitzt, von Anderen erniedrigt wird. Die meisten schauen weg, weil ihnen das Verständnis fehlt für Menschen, denen es schlecht geht.
Oft sind es besonders entsetzliche, gewalttätige, rohe Situationen, die von den Medien aufgegriffen werden und als Belege für soziale Kälte und Verantwortungslosigkeit herhalten müssen. Dementsprechend werden Menschen, die in solchen Fällen nicht weggeschaut, weggehört oder weitergelaufen sind, sondern sich eingemischt haben, als Helden und Vorbilder gefeiert, welche sie zweifelsohne auch sind. Doch zeigt unser Umgang mit solchen Vorbildern, wie tief die Unsicherheit bei uns sitzt und wie stark der Wunsch ist nach mehr Menschen wie diesen und ihrem heldenhaften Verhalten.
Zivilcourage in Vergangenheit und Gegenwart
Nicht anders ergeht es uns, wenn wir uns Personen aus der Geschichte anschauen, die sich durch Zivilcourage hervorgetan haben, die beherzt und mutig waren in Situationen, in denen sich allzu Viele weggeduckt haben. Wie die Widerstandskämpfer im Dritten Reich, etwa die Studenten um die Geschwister Scholl, die für ihren Mut am Ende gar mit ihrem Leben zahlten. Ebenso beeindrucken uns die Bürgerrechtler, die gegen das Unrechtsregime der DDR aufstanden und oftmals mit Verhaftung, Ausreise oder Arbeitsverbot bestraft wurden. Auch sie genießen, zu Recht, unseren hohen Respekt und unsere wertschätzende Anerkennung. Aber stets ergeht mit diesen Beispielen auch der mahnende Hinweis: Ja, das mögen einige Wenige gewesen sein, die mutig waren, aber viele Andere blieben stumm, das Gros der Bevölkerung hielt sich bedeckt, marschierte gar mit auf der anderen, der falschen Seite. Also auch hier die Erkenntnis: Zivilcourage bringen oft nur Wenige auf, obwohl es alle tun müssten und die Wenigen vermögen mit ihren bescheidenen Mitteln nicht allzu viel auszurichten. Ihre Opfer können nur im Nachhinein beklagt werden. Dann werden sie geehrt und geschätzt, auch von denen, die ihnen damals die Unterstützung verweigerten.
Dennoch wird eines deutlich: Früher hieß es, mutig zu sein gegen den Staat, die Obrigkeit oder das Regime. In vordemokratischen, vorrechtsstaatlichen und vorsozialstaatlichen Zeiten war Zivilcourage oft ziviler Ungehorsam. Wer couragiert sein wollte, machte gegenüber den Herrschenden deutlich, dass er ihre Politik und diese Verhältnisse, dass er Korruption und Willkürherrschaft nicht länger tolerieren werde. Man engagierte sich, um gesamtgesellschaftliche Verbesserungen zu erreichen. In Zeiten, in denen der Staat offen Unterdrückung und Ausbeutung beging, nicht zuletzt in den beiden deutschen Diktaturen, hieß Zivilcourage offener Widerstand gegen das System. Damit verbunden waren freilich auch starke Repressionen gegen die „Bürgermutigen“, die aufbegehrten. Der Staat reagierte oft rigoros auf derlei Widerstand, von Verhaftung, Entzug von gewissen Privilegien wie dem Besuch einer Arbeits- oder Bildungsstätte bis hin zu lebenslanger Haft, Abschiebung oder gar Ermordung. Zivilcourage früher war extrem riskant, man setzte sich nicht nur für andere, für das Gemeinwesen an sich, ein, sondern riskierte oftmals das eigene Leben. Heute gebührt diesen Menschen unser tiefer Respekt, auch weil wir selbst nicht mehr wissen, wie es ist, für seine Meinung einen derart hohen Preis zu zahlen.
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[1] Vgl. Marx, Karl: Manifest der Kommunistischen Partei (1848): „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.“
- Arbeit zitieren
- Eric Buchmann (Autor:in), 2014, Bürgermut oder: Vom Mut, ein Bürger zu sein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270273