Literarische Untersuchung von der Entstehung bis zum heutigen Hype des bayerischen Heimatkrimis anhand von Beispielen.
Auswirkungen, Zukunft und Erfolg des Heimatkrimis.
Künstlerisches Element: Persiflage auf den Heimatkrimi
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Verkaufszahlen
1.2 Definition
2 Erfolgsmerkmale
2.1 Rätsellust
2.2 Realitätsnähe
2.2.1 Ort- und Landschaftsbeschreibung
2.2.2 Ermittlungsabhandlungen
2.3 „Retrowelle“
2.4 Kontrast
2.5 Identifikation
2.5.1 Sprachstil
2.5.2 Topografie
2.5.3 Protagonisten
3 Zusammenfassung
4 Ausblick
5 Persiflage zum Heimatkrimi mit einem „Austria-Dorf-Krimi“
6 Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur
1 Einleitung
1.1 Verkaufszahlen
Eine neue Art von Kriminalromanen bevölkert seit den 1980er Jahren die deutschen Buchhandlungen – der Heimatkrimi. Dass diese Art von Krimi in Mode ist, „das zeigt die Zahl der Neuerscheinungen, […] die Verkaufszahlen und […] die Bestsellerlisten“[1]. Immer mehr Heimatkrimis erscheinen in immer kürzeren Abständen und platzieren sich regelmäßig unter den Top Ten[2]. „Etwa eine Million Exemplare werden pro Jahr verkauft“.[3] Die jeweilige Verfilmung der Rekordkandidaten ist dann nur noch die Spitze des Eisberges[4]. Gerade in Zeiten der Globalisierung erscheint dieser Trend zur Heimatliebe überraschend. Typische Vertreter der sogenannten Heimatliteratur, wie z.B. „Milchgeld“, Föhnlage“ und „Schweinskopf AL DENTE“ können Auflagen von über 500.000 Büchern[5] vorweisen. Im Folgenden soll analysiert werden, was den Erfolg des Heimatkrimis ausmacht, ob sich dieser an bestimmten Erfolgsmerkmalen erklären lässt.
1.2 Definition
Um diese Frage zu klären, ist zunächst auf den Begriff des „Heimatkrimis“ einzugehen. In den Heimatkrimis oder auch Regionalkrimis[6] geht es in der Regel um einen Mordfall, der „die Entstehung des Verbrechens in seiner chronologischen Abfolge darstellt“[7] oder als Detektivgeschichte, die das Verbrechen „in aufklärerischer Weise rekonstruiert“[8]. Der Kriminalroman spiegelt dabei oftmals „ein großes gesellschaftliches Panorama“[9] […] wieder, „während die Detektivgeschichte stärker auf die intellektuelle Leistung und Verhaltensweise des Detektivs (und des Lesers!) abzielt“[10].
Eine verbindliche Definition für den Heimatkrimi ist nur schwer möglich, da es zu viele Subgenres (z.B. Dorfkrimi, Themenkrimi) gibt, mit unterschiedlicher Komplexität und Variantenreichtum. „Der “Regionalkrimi” hebt […] en passant die landschaftlichen Reize des Tatorts hervor[11].“ “Der Tatort […] ordnet den Raum und erzeugt spezifische Vorstellungsbilder, die Eingang in die alltägliche Wirklichkeit finden[12].” „In ihm ist die “Heimat […] Handlungsraum für eine Kriminalgeschichte, in der es gemäß der Gattungsgesetze um die Aufklärung eines Verbrechens geht, so dass die bestehende Ordnung wieder hergestellt wird[13].” Damit lässt sich der Heimatkrimi verständlich erklären als Krimi, der in einer bestimmten Region Deutschlands spielt, dabei das „Lokalkolorit“[14] hervorhebt, die jeweiligen Figuren der Gegend anpasst und einmalige Schauplätze zum Mittelpunkt der Ermittlungen macht und so für den Leser Identifikationsmerkmale schafft.
2 Erfolgsmerkmale
Ob der auffällige Trend zur Regionalisierung der Krimis aufgrund des Verkaufserfolges an bestimmte wiederholende Kriterien fest zu machen ist, wird im Folgenden geklärt.
2.1 Rätsellust
Krimis erzeugen Angst und Schrecken und befriedigen zugleich ein Sicherheitsbedürfnis durch die Gewissheit der Verbrechensaufklärung. Mit diesem Hintergrundwissen fällt es der Leserschaft leicht an der Aufklärung mit zu rätseln.
In allen drei Büchern wird die Rätsellust für den Leser sogar noch gesteigert. In „Föhnlage“ und „Milchgeld“ geschieht dies dadurch, dass regelmäßig sogenannte „red herrings[15] “ ausgeworfen werden, also Ablenkungsmanöver, damit der Leser auf eine falsche Spur gelenkt wird. Es kommen angeblich entscheidende Hinweise oder neue verdächtige Personen ins Spiel, die sich aber allesamt nicht als zielführend oder falllösend erweisen. Dies alleine unterscheidet sich aber nicht entscheidend vom herkömmlichen Krimi, der Unterschied liegt vielmehr darin, dass die immer wieder neuen Verdächtigen nicht als völlig schizophrene und grausame Berufskiller in den Plot gebracht werden, sondern so, als ob diese einfach auch nur aus der Nachbarschaft des Lesers sein könnten. Es sind Leute, die ebenfalls in der Region verankert sind, mit regionspezifischen Nachnamen (z.B. in „Schweinskopf AL DENTE“ „Flötzinger, Simmerl“)und alltäglichen Berufen (z.B. Installateur, Metzger, Wirt), meist aus der ehrbaren arbeitseifrigen Mittelschicht[16]. Dem Leser wird die Illusion ermöglicht, zu glauben, dass er aufgrund seiner gleichen Standeszugehörigkeit und der Tatsache, dass er im Alltag auch von solchen Menschen umgeben ist, den Verbrecher selbst ausfindig machen zu können, vielleicht sogar schneller wie der Kommissar im Krimi. In derartige Personen kann sich der Leser eher hineindenken, als an z.B. gut organisierte Verbrechersyndikate. In „Schweinskopf AL DENTE“ wird die gesteigerte Rätsellust dadurch beim Leser ausgelöst, in dem man den von Anfang an Verdächtigen mehrmals vermeintlich unschädlich macht, man lässt ihn verhaften, man lässt ihn sterben, damit fällt zwar zunächst die Spannung, aber bereits nach einigen Kapiteln erfährt der Leser, dass der Verdächtige irrtümlicherweise doch noch auf Rachefeldzug ist, womit die Spannung wieder steigt, und der Leser rätselt, mit welchen weiteren Mitteln wird der Verbrecher versuchen seine Tat zu vertuschen bzw. neue Taten umzusetzen. Die Spannung besteht in der Frage, ob sich der Verbrecher noch aufhalten lässt.
Der Heimatkrimi gibt dem Leser die Chance Jemanden zu kennen, aber Keinem zu vertrauen, was dadurch interessanter gemacht wird, dass dies in einem ihm bekannten Umfeld passiert. Die Täter könnten anhand Ihrer Beschreibung jederzeit vor einem stehen, es sind Menschen aus dem Alltag, jeder kennt persönlich derartige Durchschnittsmenschen. Solchen Leuten traut man kein Verbrechen zu, aber der Gedanke reizt. Der Spannungsbogen wird gewollt wellenartig variiert, d.h. jedes Mal, wenn der Leser glaubt, dass er vermeintlich das Rätsel gelöst hat, wird er durch eine logische Erklärung eines besseren belehrt und er freut sich auf das Weiterrätseln, was wiederum durch die Informationsgleichheit zwischen Leser und Ermittler provoziert wird.
2.2 Realitätsnähe
In allen drei Werken wird sehr detailgenau und realitätsbezogen geschrieben. Dabei muss unterschieden werden in die realitätsnahe Ort- und Landschaftsbeschreibungen und in die detailgenaue Abhandlung der Ermittlungen.
2.2.1 Ort- und Landschaftsbeschreibung
„Regionalkrimis werden überwiegend in den Regionen gekauft und gelesen, in denen die Geschichten spielen[17] “. Damit muss davon ausgegangen werden, dass der Leser sich in der Region des Verbrechens gut auskennt. Der kundige Leser freut sich über jede Komponente im „Lokalkolorit“, die er im alltäglichen Leben verifizieren kann. So kann man z.B. alle beschriebenen Wege des Kommissars Kluftinger in „Milchgeld“ in der realen Welt auch entsprechend zurücklegen. Der Leser fühlt sich so „zuhause“, er kann mitreden und freut sich, dass seine Heimat realistisch abgebildet ist. Er verspürt den Reiz Straßen-, Gebäude- oder Ortsnamen und Landschaftsmerkmale zu „kontrollieren“, sie im Internet z.B. über Google zu suchen oder abzufahren. Gleichzeitig verschafft es ihm eine verschärfte Möglichkeit in das Geschehen einzutauchen und es nachzuvollziehen. Durch die extrem detaillierte Beschreibung der Region, eines Milieus oder einer anderen lokalen Struktur kann der Rezipient in seiner eigenen Heimat auf Spurensuche gehen und kann das Leseerlebnis dann sogar teilweise mit realen Erlebnissen, wie z.B. einer Führungen auf den Spuren „Kluftingers“ verbinden[18]. Der Tatort „Altusried“ in Milchgeld z.B. existiert in der Realität und hat es trotz nur 10.000 Einwohner durch die konkreten Beschreibungen zu einer gewissen Berühmtheit gebracht und bietet derartige Ausflüge an, um den Andrang der Neugierigen zu befriedigen. Der Tatort in „Föhnlage“ ist zwar nicht direkt erwähnt, aber anhand der Beschreibungen (z.B. Nennung der Straßen „Oberkogelkopf- und Blacherspitzhornstrasse“, Landschaftsbeschreibung S.117) und Be- merkungen wie „ein Ort, den Ausländer nur schwer aussprechen können“ als der reale Ort „Garmisch Partenkirchen“ zu ermitteln. Anders in „Schweinskopf AL DENTE“, dessen Tatort „Niederkaltenkirchen“ nicht real existent ist, aber dieser derart genau beschrieben ist, dass es dem Leser ermöglicht, eine Ortskarte anzufertigen[19]. Egal ob ein Ort frei erfunden oder real ist, die Plausibilität der Darstellung ist entscheidend. Erreicht werden kann diese durch die Einbeziehung dem Rezipienten bekannter Faktoren (z.B. Topographie, soziale Strukturen), wodurch Realität simuliert wird. „Nichts ist so gruselig wie die Realität“[20] und dies wirkt wie ein „Brandbeschleuniger“ auf die Spannung.
Aber auch für Region fremde Leser entsteht dadurch als Nebeneffekt ein Kaufanreiz, da der Regionalkrimi für diesen Leserkreis dabei zum „Reiseführer bzw. Fremdenführer“[21] der anderen Art mutiert, beschriebene Sehenswürdigkeiten verbindet man mit dem Krimi und „wandert“ auf den Spuren der Kommissare.
2.2.2 Ermittlungsabhandlungen
Die Abläufe der Ermittlungen werden im Einzelnen so detailgenau wie irgend möglich beschrieben. Betrachtet man z.B. die Handlungen bei den Ermittlungen in „Milchgeld“, „so könnten diese genauso in der Realität passiert sein, alle Abläufe wie Tatortabsicherung, Spurensicherung, gerichtsmedizinische Untersuchung sind gut recherchiert und nehmen einen großen Teil des Buches ein“[22]. Dabei werden auch Fachtermini richtig eingesetzt, wie z.B. Auskulator (Materialklopfer) in „Föhnlage“ (S.218) oder die unterstützenden Spezialeinheiten präzise genannt (S.39 in „Föhnlage“).
[...]
[1] http://suite101.de/article/qou-vadis-kriminalliteratur-a43524
[2] http://www.weltbild.de/1/bestsellerkrimi/bestseller-krimi.html
[3] http://www.welt.de/print-wams/article131308/Die-deutsche-Krimi-Landschaft.html
[4]. http://www.daserste.de/unterhaltung/film/filme-im-ersten/specials/milchgeld-100.html (Milchgeld Sendung)
[5] http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article13419771/Kluftinger-killt-Harry-Potter-und-verliebte-Vampire.html
[6] Die Begriffe „Heimatkrimi“ und „Regionalkrimi“ werden im Folgenden als gleichbedeutend behandelt
[7] http:// www.uni-due.de/einladung/vorlesungen/epik/kriminalroman.htm
[8] Siehe Randbemerkung Nr. 7
[9] Siehe Randbemerkung Nr. 7
[10] Siehe Randbemerkung Nr. 7
[11] Silke Leuendorf „Der Regionalkrimi im Westen von Deutschland.Poetik und Entwicklung eines Genres“, 2008
[12] Björn Bollhöfer: “Der Kölner Tatort als mediale Verortung kultureller Praktiken” (2007) http://kups.ub.uni-koeln.de/id/eprint/2014
[13] http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2010/07/12/regionalkrimis_5_genre-pflege/ Krimiblock”-Eintrag vom 29.9.09: “Autopsie” von Reinhard Jahn
[14] Bedeutung: das Charakteristische eines Ortes oder einer Gegend in Bezug auf Landschaft, Leute, Sitten usw. wie es [auf oft übertriebene und klischeehafte Art und Weise] in Fotografie, Film oder Literatur eingefangen und wiedergegeben wird
[15] „red herring“ ist ein Ablenkungsmanöver. Ein Erklärungsansatz geht auf das 17. Jahrhundert zurück, als flüchtige Kriminelle geräucherte Heringe auslegten, um durch den Geruch Spürhunde abzulenken und so die eigene Fährte zu verwischen. Vgl. http://www.wisegeek.com/what-is-a-red-herring.htm
[16] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/konjunktur/studie-des-diw-die-mittelschicht-schrumpft-1997710.html : Anteil der Mittelschicht betrug im Jahre 2012 ca. 60 % und ist damit der größte Bevölkerungsanteil und folglich daraus größter Leserkreis
[17] http://www.welt.de/regionales/berlin/article1617982/Die-deutsche-Krimi-Landschaft.html , von Reinhard Jahn entnommen
[18] Vgl. http://kommissar-kluftinger.de/525.0.html
[19] Siehe Anlage I: Ortskarte Niederkaltenkirchen aus „Schweinskopf AL DENTE“
[20] http://baeaeaemm.de.tl/gruselige-geschichten-.--.--.--.--k1-vielleicht-auch-nicht-so-gruselig-ar--f--k2-.htm
[21] http://www.mittelbayerische.de/reisen/reise-freizeit/artikel/kriminal-tango-in-hillesheim/807435/kriminal-tango-in-hillesheim.html
[22] http://www.richtberg.org – vgl.: :Der Regionalkrimi Milchgeld - Ein kriminalistischer Erfolg?
- Arbeit zitieren
- Vanessa Bauer (Autor:in), 2013, Der bayerische Heimatkrimi (Regionalkrimi): Ein Verkaufsschlager! „Milchgeld“, „Schweinskopf AL DENTE“ und „Föhnlage“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270587