Authentizität in der Moderne und im Hip Hop

Zum Begriff des „Ideals der Authentizität“ nach Charles Taylor in der Kultur der Moderne vergleichend mit demselben in der Subkultur des Hip Hop


Hausarbeit, 2013

20 Seiten, Note: 2.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2.1 Das Unbehagen
2.2 Bedeutend gleichgultig)
2.3 Der moralische Bedeutungshorizont
2.4 Das Bedurfnis nach Anerkennung

3.1 Authentizitat als inszenierende Praxis im Hip Hop
3.2 DasIdealder Authentizitat

4. Fazit; Ein stahlhartes Gehause!

5. Literaturhinweise

1. Einleitung

Das ,,Unbehagen in der Modeme“, ein Werk Charles Taylors von 1991, das hier den mafigeblichen Leitfaden fur meine Arbeit vorgibt, trifft auch im Jahre 2013 reflexiv den Kern der Sache und spricht aus der Seele derer, die dieses Unbehagen in und an unserer Zeit empfinden. Was hat sich seit dieser Schrift verandert, ohne die gesellschaftliche Entwicklung als zu sehr als die Wirkung derselben betrachten zu wollen? Ich lege dem Leser ans Herz uber diese Frage nach dem Lesen einmal retrospektiv fur sich im Stillen, mehr intuitiv als intellektuell, „nachzufuhlen“.

Ausgehend von der Beschreibung der negativen Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung nach Charles Taylor uber das moderne Ideal der Authentizitat, bzw. das Postulat der Selbstverwirklichung seit den 80iger Jahren komme ich auf den wichtigen und gemeinschaftsstiftenden moralischen Bedeutungshorizont zu sprechen, der einem Relativismus der Werte Einhalt gebieten sollte. Nach der Feststellung der Dialogizitat der Menschen und der Einsicht in die Notwendigkeit gemeinsamer Wertmafistabe aufierhalb der Parole ,,Jedem das Seine“ beleuchte ich die Authentizitat als inszenierende Praxis im Hip Hop in Deutschland anfangs der 90er bis zur Jahrtausendwende. Dabei werde ich den einen oder anderen Schlenker in die aktuelle Situation wagen, aber schliefilich herausarbeiten, dass sich die Entwicklung der Hip Hop Kultur in Deutschland unter dem Authentizitatsideal mit der gesellschaftlichen durchaus vergleichen lasst. Abschliefien werde ich die Arbeit mit einem ersteindrucklich wohl pessimistisch anmutenden Fazit, welches den Lauf der Geschichte als ein autonomes „Werden“ charakterisiert.

Die Kultur ist gleichsam eine grofie Organisation, die jedem, der zu ihr gehort, seinen Platz anweist, an dem er im Geist des Ganzen arbeiten kann, und seine Kraft kann mit grofiem Recht an seinem Erfolg im Sinne des Ganzen gemessen werden. Zur Zeit der Unkultur aber zersplittern sich die Krafte und die Kraft des einzelnen wird durch entgegengesetzte Krafte und Reibungswiderstande verbraucht, und kommt nicht in der Lange des durchlaufenen Weges zum Ausdruck, sondern vielleicht nur in der Warme, die er beim Uberwinden der Reibungswiderstande erzeugt hat. Aber Energie bleibt Energie, und wenn so das Schauspiel, das dieses Zeitalter bietet, auch nicht das des Werdens eines grofien Kunstwerkes ist, in dem die Besten dem gleichen grofien Zweck zuarbeiten, sondern das wenig imposante Schauspiel einer Menge, deren Beste nur privaten Zielen nachstreben, so durfen wir nicht vergessen, dafi es auf das Schauspiel nicht ankommt}[1]

2.1. Das Unbehagen

Charles Taylor beunruhigt der stetig fortschreitende Individualismus der Modeme, der jedem einzelnen Burger der Gesellschaft zwar ein selbstbestimmtes Leben ermoglicht, aber auch einen Verfallsprozess einleite, der sich in einer zunehmenden Atomisierung des Zusammenlebens als auch in einer politischen Fragmentierung aufiere. Die einstige hierarchische Ordnung der Gesellschaft nach Vorbild des Universums existiert in der Form nicht mehr und liefert den Menschen keinen Kompass mehr, der ihren Tatigkeiten eine Richtung vorgibt, bzw. einen bestimmten Sinn verleiht. Es hat uber die Zeit bis in die Moderne eine ,,Entzauberung der Welt“ stattgefunden“, durch welche die heutzutage „weltlichen“ Dinge ihre scheinbar vorbestimmte Bedeutung eingebufit haben.[2]Der Sinn des Lebens ruckte allmahlich in die Sphare individueller Eigenverantwortung. Damit wurde die subjektive Sicht des Einzelnen immer zentraler, und gleichsam gewann die Idee der eigenen Selbstverwirklichung als Individuum an Attraktivitat. Dies alles begunstigte im Zeitalter hochster Technologisierung und Mobilitat im stadtischen Raum den Hang zu einer instrumentellen Haltung gegenuber seinem Umfeld fur eine moglichst vollkommene Selbstverwirklichung.[3]Vor dem Ideal der Authentizitat, also unter der Maxime der Selbsttreue, gilt es sich zu dem zu machen, wer man ist. Diese moralische Forderung des Zeitgeistes der Moderne Ende des 20. Jahrhunderts birgt die Gefahren der bereits erwahnten Fragmentierung, Atomisierung, Subjektivierung etc..., kann zu einer permissiven narzisstischen Gesellschaft fuhren und einen radikalen Anthropozentrismus in die Gange leiten, weil sich die freiheitliche Gesinnung des Liberalismus eine Stellungnahme in Bezug auf die Fragen des guten Lebens verbietet, bzw. nicht die Grundlage bietet eine mogliche zutiefst egoistisch werdende Privatmoral des Burgers in Frage zu stellen.[4]Wie erklart sich nun dieser zunehmende moralische Relativismus hinsichtlich der Selbstverwirklichung und dem Ideal der Authentizitat?

2.2. Bedeutend gleichgultig

Der Authentizitatsbegriff entwickelte sich im 18. Jahrhundert als eine Vorstellung von einem intuitiven Gefuhl zu sich selbst, welches einem moralischen Sinn gleichkommt, das uber richtig und falsch entschied.[5] Dieses Gefuhl wurde zur inneren Stimme der Moral, deren alleiniges Gehortwerden schon bald moralische Bedeutung erlangte und den Weg zu Gott uber die eigene Quelle des Gewissens bezeichnete.[6] Jean Jacques Rousseau nannte diese innere Stimme der Moral ein ,,Gefuhl des Daseins“, das es vor den Ubertonungen der Leidenschaften im Zusammenspiel der Abhangigkeit zu anderen, zu schutzen gilt.[7] Rousseau hob weiter die Existenz einer Freiheit durch Selbstbestimmung hervor, als Basis jedes Menschen autonom handeln zu konnen.[8] Das ergibt zwei Ideale und einen ausschlaggebenden Grund fur Verwechslungen, bzw. einer Trennung derselben, welche die Molaritat der inneren Stimme in der aktiven Selbstbestimmung vermissen lasst.[9] Jeder Mensch hat sein eigenes Mafi, gleichsam eine eigene Stimmung aller seiner sinnlichen Gefuhle zu einander.[10] Dieses Gedankengut pragt das moderne Bewusstsein und tragt dazu bei, dass sich die Menschen willentlich ihrem eigenen Menschsein gemafi verwirklichen wollen, weil man sonst den individuellen Lebenssinn verfehle.[11] Im Sinne der Authentizitat, dem Gefuhl zu sich selbst, tritt also die Selbstverwirklichung ins Spiel, mit der man das individuell Menschliche, die eigene Originalitat, finden und aufiern mochte.[12]

Nun mundet diese Entwicklung in einen Individualismus der Selbstverwirklichung in dem Mafie als man sich mehr dem zweiten Ideal, namlich der Suche nach der eigenen Originalitat widmet, als der inneren moralischen Stimme, die heutzutage eher der Mitmenschlichkeit des sozialen Miteinanders gleichkommt oder zumindest gleichkommen sollte und nicht das authentische Hineinhorchen in sein Innerstes bezeichnet. Ein Klima selbstbezuglicher Pseudomoral, die hier als geistiger Atavismus der rousseauischen individuell eigenen moralischen inneren Stimme zu verstehen ist, entsteht, in dem es unter dem Prinzip wechselseitiger Achtung keinem gestattet sei, wertende Einwande gegenuber einen anderen zu erheben. Jeder habe das Recht, seine eigene Lebensweise zu gestalten und sich dabei auf sein eigenes Gefuhl fur das wirklich Wichtige oder Wertvolle zu stutzen.[13]Die Gefahr einer hemmungslos trivialen Form der Kultur bestunde nun dort, wo man das Ideal der Authentizitat verkenne und sich vom Postulat der Selbstverwirklichung in einen erbitterten Kampf um Effizienz, Status und Anerkennung fur Leistungen, fur die man alles Mitmenschliche uber Bord werfen musste, drangen lasst. Authentizitat kann nicht gleich selbstsuchtiges Machtstreben und die Ausschlachtung aller Mittel zwecks eigenen Erfolgs in unserer Gesellschaft sein. Warum ist es aber so schwer solchen das Gemeinschaftsgefuhl gefahrdenden und feindlichen Formen der Moral in unserer Gesellschaft der Toleranz und eigenen Werte Einhalt zu gebieten? Die Antwort ist bereits in der Frage enthalten, denn der Relativismus der Werte wird namlich durch die gegenseitige Anerkennung der Menschen, als Individuen mit ihrer ganz personlichen Weise sich zu verwirklichen, befeuert.[14]Dieser Relativismus bezuglich der Fragen des guten Lebens macht die Berufungen einzelner auf ihre moralischen Vorstellungen sinnlos, inhaltsleer und lasst Befurworter derselben zu Heuchlern werden, die unter dem Deckmantel des moralischen Ideals der Authentizitat nach eigenem Gutdunken handeln.[15]Unter gunstigen Voraussetzungen fur einen Start ins obere Drittel der Gesellschaft ware wohl fast jedem die Relativitat der Wahrheit weniger eine theoretische Erkenntnis als ein moralisches Postulat.[16]Fakt ist, wie sehr sich auch die Subjektivisten im Sinne des Ideals als die letzte Entscheidungsgewalt in Bezug auf moralische Fragen verteidigen und im Zwist mit denjenigen debattieren, die meinen, es gabe, dem aristotelischen Standpunkt gemafi, einen universellen Kern aller Menschen, auf dessen Basis man uber richtig und falsch entscheiden konne, das konstitutive Ideal der Moderne bleibt inartikuliert.[17]Demnach wurde uns, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, so manche Scheinheiligkeit der Subjektivisten erspart bleiben, wenn sie das liberale Schweigen brechen wurden und sagten, dass das Ideal der Authentizitat im Begriff ist, zu einem Ideal personlicher Beliebigkeit zu verkommen. Charles Taylor schreibt deswegen, man musse diesen Relativismus im Sinne ebendieses Ideals, von dessen Vorzugen er uberzeugt ist, verwerfen und nun nicht nur den Kritikern ins Horn blasen, indem man versucht den universellen Kern des Menschen ausfindig zu machen, sondern einen Ausgleich zwischen den Meinungen der Befurworter und Gegner schaffen.[18]Dazu musse das Ideal artikuliert werden, sprich, es uberhaupt erstmal streitbar gemacht werden, indem man vordergrundig den Menschen nicht als monologisches Wesen auffasst und sich daran erinnert, dass eine Sache nur Bedeutung besitzt, wenn es auch bedeutungslosere Alternativen zu ihr gibt.

2.3. Der moralische Bedeutungshorizont

Jeder Mensch entwickelt sich im Dialog mit signifikanten Anderen und erhalt seine Identitat in Auseinandersetzung, Abgrenzung, Ubereinstimmung oder Unterscheidung zu denselben. Sich mittels einer Sprache einem Gegenuber verstandlich machen zu konnen impliziert bewusst oder unbewusst die Anerkennung des ursprunglich dialogischen Charakter des Menschen.[19]Selbst in Abwesenheit von anderen ist es einem Menschen nicht moglich sich komplett von den Meinungen derjenigen freizumachen, die eine gewisse Wichtigkeit in seinem Leben besitzen, man denke nur an das theoretische Modell Freuds, in dem, reduziert formuliert, die Verhandlung des Ichs mit dem Uber-Ich einem inneren Dialog mit den Eltern gleichkommt.[20]So gelangen wir zur Definition unseres Selbst, indem wir herausfinden, was uns von anderen unterscheidet, und dabei muss das, was den Unterschied ausmacht, eine Bedeutung haben, welche nicht nur fur uns besteht. Folglich eine Bedeutung, die andere anerkennen und dafur sorgt, dass dieselben dich fur das, was du hast bestatigen, seien es bestimmte Fahigkeiten im sportlichen oder musischen Bereich beispielsweise oder auch eine Geisteshaltung, wie der Bezug zu rituellen Zeremonien, die vor ihrer religiosen Bedeutung, in dem sie die Menschen zusammenbringen, einen einander identitatsbestatigenden Sinn erhalten.[21]Demnach konne zwar jemand fur sich willkurlich bestimmten Dingen eine Bedeutung zuschreiben, aber er durfe nicht beanspruchen, dass man sie achte, wenn sie sich nicht erklaren liefie.[22]Auch das Gefuhl fur die Wichtigkeit einer bestimmten Sache speist sich, wenn auch manchmal entfernt, aus dem dialogischen Verhaltnis zu den Mitmenschen, aber es ware insofern asozial, als es mit keiner anderen Gefuhlswelt kompatibel ware; aufier man definiert falschlicherweise den Menschen als asoziales Wesen und macht eine gewisse Inkompatibilitat der eigenen Sichtweise zur Pramisse.

Diese polemische Aufierung, von jedem Mitburger ernst genommen und umgesetzt, formte unsere Gesellschaft vermutlich zu einer bald explodierenden Splitterbombe, aber auch diese Vorstellung ist glucklicherweise realitatsfern, weiljeder sich seiner Abhangigkeit zu anderen bewusst ist, die sich positiv aufiert, wenn der fruher gehasste Spaziergang mit den Eltern mit der Freundin zum reinsten Vergnugen wird.[23]

Anerkennt man das grundsatzlich Dialogische im Menschen wird klar, wie unabdingbar es fur die eigene Selbstverwirklichung ist moralische Fragen auch in Bezug auf andere vor einem Horizont zu beantworten, der nicht nur fur den Fragesteller gilt. Dieser von Ch. Taylor sogenannte Bedeutungshorizont wurde die Gesellschaft davor bewahren in eine Kultur voller Narzissten zu zerfallen, die aus Borniertheit das Motiv der Selbstwahl als Ideal hochhalten und ihm von vornherein, ohne auf die Konsequenzen zu achten, Bedeutung zusprechen. [...]Doch sofern bestimmte Alternativen nicht bedeutsamer sind als andere, wird die Vorstellung von der Selbstwahl ihrerseits trivial und somit inkoharent.[...]Allein konnte sich das Ideal nicht halten, dass es bedarf eines Horizonts wichtiger Problemstellungen, die zur Definition der Hinsichten beitragen; in denen die Selbsterschaffung als etwas Bedeutsames gilt.“[24] Taylor fuhrt damit zusammenhangend ein, meines Erachtens, etwas verfehltes Beispiel heran, das verdeutlichen soll, wie eine Wahl zwischen Alternativen ins Bedeutungslose fiele, wenn die Wahl als solche schon ihren Wert besafie. Jegliche Art von sexueller Orientierung wurde ihren Wert einbufien, wenn die Wahl als solche schon bedeutsam ware und nicht empirisch nachgeforscht wurde, wie zum Beispiel das Leben und die Erfahrung einer homosexuellen Beziehung im Gegensatz zu einer heterosexuellen Beziehung beschaffen sind,[25]als konne man sich bewusst fur seine sexuelle Disposition entscheiden. In diesem Fall wurde ich sagen, es ist relativ, wie man sein Leben lebt, weil die Bedeutung der sexuellen Orientierung erst im Laufe des Zusammenlebens mit seinem Partner oder seiner Partnerin entsteht, bzw. sich vertieft und sich niemals vorher festsetzen lasst. Nicht uberall ist Beliebigkeit die Wurzel allen Ubels, und daher braucht es Zeit und einen gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich bestimmter Einstellungen und Sichtweisen, die fur ein modernes Leben wieder an Bedeutung gewinnen mussten oder ruhig an selbiger verlieren durfen. Auf jeden Fall setzt das Ideal der Authentizitat die Forderungen der Gesellschaft, wie die der Freunde und der Familie voraus, genauso wie die der Geschichte, der Natur und der Religion.[26]Um des Bewusstseins der eigenen Identitat willen lassen sich all diese Dinge nicht leugnen und sind Garanten dafur aufierhalb seiner Selbst Sinn und Tiefe zu erfahren und das Gemeinschaftliche vor einem Abgleiten ins nihilistische Treiben Einzelner zu sichern.

2.4. Das Bedurfnis nach Anerkennung

Die Individualisierung als moralisches Prinzip oder Ideal (der Authentizitat) mufi eine Anschauung bieten, wie der einzelne mit anderen zusammenleben soil[27], weil der Hintergrund des Bedurfnisses nach Anerkennung, vor dem wir im Dialog mit anderen oder allein im inneren Dialog mit signifikanten anderen unsere Identitat aushandeln, ein dem Menschen gemeinsamer Horizont darstellt, der uns vor Augen fuhren sollte, was in gegenwartigen Verhaltnissen bedeutsam ist, um einerseits die freie personliche Entfaltung zu gewahrleisten und um andererseits die Gesellschaft als Gemeinde des sozialen Miteinanders zu bestarken. Die Politik der gleichen Anerkennung, die jedem Menschen, egal welchem Geschlecht oder welcher Kultur er entstammt, eine Wurde verleiht, war der Schritt weg von der hierarchisch organisierten Gesellschaft, in der Menschen guten Standes Ehre besafien und die ihnen von vornherein ein Vorrecht gewahrte.[28]Alle Menschen heutzutage seien im Grunde hinsichtlich ihrer Wurde gleichen Werts und verdienten unabhangig von ihrer sozialen Stellung eine gleiche Anerkennung.[29]Diese durchaus positive Entwicklung macht erstmalig Begriffe wie Anerkennung und Identitat zum Thema, wie es in vormoderner Zeit nicht der Fall war, da die Stellung in der Gesellschaft das identitatsstiftende Moment war und die Anerkennung damit sozusagen ,,a priori“ gesetzt war.[30]Heute leiten wir unsere Identitat sicherlich immer noch von unserem innergesellschaftlichen Status ab, der nicht im proportionalen Verhaltnis mit der Leistung fur die Gesellschaft stehen muss; aber die im Rekurs auf Herder und Rousseaus Authentizitatsgedanken aufkommende Reflexion des Individuums hinsichtlich seiner nur in sich selbst aufspurbaren Originalitat, lasstjene zunehmend zum eigenen Mafistab werden, an dem gemessen Dinge ihre Wichtigkeit erlangen.[31]Die Einstellung nur in dem Mafie der Chancengleichheit fur die Selbstverwirklichung anderer zuzustimmen, in dem die eigene nicht gefahrdet wird, findet immer mehr Verbreitung. Daran sieht man, dass um gemeinsam zu wechselseitiger Anerkennung der Unterschiede - d.h. zur Gleichwertigkeit verschiedener Identitaten - zu gelangen, ist mehr erforderlich als die Ubereinstimmung im Glauben an diesen Grundsatz, denn dazu mussen gleiche Wertmafistabe herrschen.[32]So hatte das Ideal der Authentizitat als moralisches Prinzip keinen Sinn, wurde man den von Taylor angesprochenen Bedeutungshorizont aberkennen. Weiter konne es auch nicht authentisch gelebt werden, wurde man die eigene dialogische Verfasstheit und die damit einhergehenden oben ausgefuhrten Konsequenzen negieren, und genauso ware die Identitat in instrumentalisierten Verhaltnissen, in denen man die menschlichen Beziehungen der Selbstverwirklichung unterordnet, ein Pseudonym ihrer selbst.

Die Frage danach, wie die Subkultur Hip Hop das Problem des Ideals der Authentizitat im praktischen Sinne lost, also wie der Einzelne als Teil der Hip Hop Kultur Authentizitat kommuniziert, soll im folgenden abschliefiend diskutiert werden.

2.5 Authentizitat als inszenierende Praxis im Hip Hop

Warum die Authentizitat einen so hohen Stellenwert im Hip Hop innehat soll hier nicht erforscht werden, weder geschichtlich noch reflektierend, obwohl es sich durchaus im Kontext meiner Arbeit anbote, und auch sehe ich davon ab mich in die Debatte einzumischen, ob der Hip Hop in seinen vier Elementen als Praxis am Ursprungsmythos gekoppelt sei, insofern, als er nur von Afroamerikanern in amerikanischen Ghettos authentisch gelebt werden konne, aus der sich wiederum radikale intellektuelle Trennungen zwischen turkischem Rap und deutschem Rap in Deutschland ergeben konnten. Vorneweg will ich damit deutlich machen, dass ich bewusst Abstand von der Haltung nehme, die behauptet, dort gabe es das Original, also muss alles andere eine Mimesis an dasselbe darstellen, weshalb man die Wurzeln der Entstehung bei einer geschichtlichen Analyse des Hip Hop nicht leugnen durfe. Ich mochte den Aspekt in der Herstellung von Authentizitat im Hip Hop beleuchten, den ich kontextuell als den wichtigsten empfinde, der den unmittelbaren Dialog mit anderen betrifft, namlich den performativen, gemessen am rappenden MC.

Folgt man den Worten Wolfgang Welsch's, der eine zunehmende Asthetisierung des Lebens beobachtet und behauptet, dass Menschen geselliger werden, das heifit angepasster, weil sie einander gefallen wollen, ist die Tendenz zur Selbstinszenierung nicht mehr von der Hand zu weisen.[33]

[...]


[1] Zit. Wittgenstein aus Christoph Landerer ,,WITTGENSTEIN UND SPENGLER I“ Kriterion Nr. 3, 1992 S. 38 (im Internet zu finden)

[2] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ Frankfurt am Main 1995 S. 9, Originalausgabe: Ch. Taylor ,,The Malaise of Modernity“ Concord, Ontario 1991

[3] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 11,69

[4] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 24,25

[5] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 34

[6] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 34 Anm.: Hier war das Authentische gleichsam das Moralische.

[7] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 36

[8] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 36

[9] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 37

[10]Zit. Herders in Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 38

[11]Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 38

[12]Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 39

[13]Zit. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 20

[14]Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 24

[15]Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 30

[16]Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 30

[17]Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 26/27

[18]Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S.31

[19]Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 42

[20] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 43

[21] Leider entwickelt es sich zunehmend so, dass in unserer nach Macht, Besitz und Status strebenden Gesellschaft genau durch diese Guter Menschen ihren Respekt und Anerkennung einheimsen und sich beinahe unausweichlich die Werte den Bedingungen der Gesellschaft anpassen und nicht umgekehrt.

[22] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 46

[23] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 44

[24] Zit. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 49/50

[25] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 48

[26] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S.51

[27] Zit. u. Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 53

[28] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 55

[29] Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 56

[30]Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 56

[31] Der Mensch als das Mafi aller Dinge. Eine scheinbare zweite Renaissance des apollinischen Menschen?

[32] Zit. u. Vgl. Charles Taylor ,,Das Unbehagen an der Moderne“ [...] S. 62

[33] Zitiert von Fruchtl/Zimmermann vgl. Gabriele Klein und Malte Friedrich ,,Is this real“ - Die Kultur des Hip Hop, Frankfurt am Main 2003, S. 144

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Authentizität in der Moderne und im Hip Hop
Untertitel
Zum Begriff des „Ideals der Authentizität“ nach Charles Taylor in der Kultur der Moderne vergleichend mit demselben in der Subkultur des Hip Hop
Hochschule
Universität Kassel
Veranstaltung
Seminar
Note
2.3
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V270731
ISBN (eBook)
9783656627913
ISBN (Buch)
9783656627890
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
authentizität, moderne, begriff, ideals, charles, taylor, kultur, subkultur
Arbeit zitieren
Cornelius Klatt (Autor:in), 2013, Authentizität in der Moderne und im Hip Hop, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270731

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