Worin besteht der Standpunkt des Immoralisten, wie ihn Glaukon vorstellt? [Rep., Buch II: 357a-367e]
Der im zweiten Buch der „Politeia“ einsetzende Dialog zwischen Sokrates und Platons beiden Brüdern Glaukon und Adeimantos bildet das Vorgespräch für die Bestimmung der gerechten Staatsprinzipien. Glaukon fordert hier von Sokrates eine überzeugende Darlegung für die Überlegenheit der Gerechtigkeit über die Ungerechtigkeit. Er will erfahren, was das „Wesen der reinen Gerechtigkeit“ unabhängig von den sich daraus ergebenden Konsequenzen ausmacht. Dazu schildert Glaukon „ausführlichst das ungerechte Leben“ [358d], indem er als Gegenposition zu Sokrates die eines Immoralisten einnimmt. Sokrates soll ihm diese „übliche Ansicht“ von Gerechtigkeit schließlich argumentativ widerlegen.
Zunächst erläutert Glaukon wie Gesetze und Verträge entstanden sind und erklärt, „was das Gesetz befahl, nannte man gesetzlich und gerecht“ [359a]. Gerechtigkeit liegt demnach „in der Mitte zwischen dem höchsten Gut - Unrecht zu tun, ohne Strafe zu leiden - und dem größten Übel - Unrecht zu leiden, ohne sich rächen zu können“ [359a]. Die Menschen seien daher nur aus Angst vor Bestrafung und somit gegen ihren Willen gerecht. Sie unterliegen also der „Ohnmacht“ [359b], Unrecht nicht tun zu können. Glaukon verdeutlicht dies am Beispiel der „Sage nach Gyges“ [359c]. Diese erzählt von einem Ring, mit dessen Hilfe eine Person unsichtbar werden kann und dadurch unbemerkt und nach Belieben „unter den Menschen wandeln könnte wie ein Gott“ [360c]. Glaukon meint, dass sich bei einer solchen Chance und Versuchung sowohl die Gerechten als auch die Ungerechten gleichermaßen unmoralisch verhielten, da sie in dem Bewusstsein agieren würden unbestraft und unerkannt einen Vorteil für sich durchsetzen zu können. Für ihn ist das „ein gewichtiger Beweis dafür, daß man nur unter Zwang, nie also aus eigenem Willen gerecht handle“ [360c].
Inhaltsverzeichnis
- Essay 1/5
- Worin besteht der Standpunkt des Immoralisten, wie ihn Glaukon vorstellt?
- Essay 2/5
- Warum braucht ein gerechter Staat Wächter, und wie werden sie erzogen?
- Essay 3/5
- Wie bestimmt Platons Sokrates die Gerechtigkeit im Staat und im Einzelnen?
- Essay 4/5
- Was besagt und bedeutet das Höhlengleichnis?
- Essay 5/5
- Wodurch erklärt sich die besondere Bedeutung der Mathematik?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Essays befassen sich mit verschiedenen zentralen Fragestellungen aus Platons „Politeia“. Sie analysieren den Standpunkt des Immoralisten, die Rolle von Wächtern in einem gerechten Staat, die Bestimmung von Gerechtigkeit, die Bedeutung des Höhlengleichnisses und die besondere Rolle der Mathematik.
- Die Definition von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im Kontext des Staates und des Einzelnen
- Die philosophische Grundlage und die Erziehungsmethoden für die Wächter
- Die Bedeutung der Mathematik und ihrer Anwendung in der Philosophie und im Staat
- Die Analyse des Standpunkts des Immoralisten
- Die Interpretation des Höhlengleichnisses und seine philosophische Bedeutung
Zusammenfassung der Kapitel
Essay 1/5
Dieser Essay untersucht den Standpunkt des Immoralisten, wie ihn Glaukon im zweiten Buch der „Politeia“ vorstellt. Glaukon fordert Sokrates heraus, die Überlegenheit der Gerechtigkeit gegenüber der Ungerechtigkeit zu beweisen, unabhängig von deren Konsequenzen. Glaukon argumentiert, dass Menschen nur aus Angst vor Strafe gerecht sind und sich bei Gelegenheit unmoralisch verhalten würden, wenn sie ungestraft blieben. Er führt das Beispiel der „Sage nach Gyges“ an, um diese Behauptung zu untermauern. Schließlich vertritt Glaukon die Ansicht, dass ein ungerechtes Leben für den Einzelnen von Vorteil ist.
Essay 2/5
Dieser Essay erörtert, warum ein gerechter Staat Wächter benötigt und wie diese erzogen werden sollten. Sokrates und seine Gesprächspartner einigen sich auf die Grundvoraussetzungen für einen idealen Wächter, der lernfähig, wachsam, philosophisch, mutig, schnell und kräftig sein muss. Sokrates unterscheidet zwischen körperlicher und geistiger Erziehung und erklärt, wie beide wichtig sind für die Entwicklung eines idealen Wächters. Musische und gymnastische Erziehung müssen miteinander verbunden sein, um einen ausgeglichenen Charakter zu entwickeln.
Essay 3/5
In diesem Essay wird erläutert, wie Platons Sokrates die Gerechtigkeit im Staat und im Einzelnen bestimmt. Die Bedeutung von Gerechtigkeit und ihre Beziehung zu den verschiedenen Klassen im Staat, den Wächtern, den Hilfsarbeitern und den Herrschern, werden diskutiert. Der Essay beleuchtet, wie die Gerechtigkeit im Staat durch die Erfüllung der jeweiligen Aufgaben der einzelnen Klassen verwirklicht wird.
Essay 4/5
Dieser Essay befasst sich mit der Bedeutung und dem Inhalt des Höhlengleichnisses, einem zentralen Gedankenexperiment in Platons „Politeia“. Das Gleichnis beschreibt, wie Menschen in einer Höhle gefangen sind und nur Schatten an der Wand wahrnehmen, die sie für die Realität halten. Der Essay analysiert die Bedeutung dieses Gleichnisses für das Verständnis der menschlichen Wahrnehmung, der Erkenntnis und der Bedeutung von Bildung und Philosophie.
Schlüsselwörter
Die zentralen Begriffe in den Essays sind Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit, Staat, Wächter, Erziehung, Philosophie, Höhlengleichnis, Mathematik, Erkenntnis, und das Immoralisten-Argument.
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- Tim Fischer (Author), 2004, Platon: Der Staat - Fünf Essays zu ausgewählten Fragestellungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27081