Anhand von explorativen Experteninterviews wurde ein Patenschaftsprojekt für Kinder psychisch kranker Elternteile untersucht. Es wird aufgezeigt wie sinnvoll diese und andere Angebote für die betroffenen Kinder und Jugendliche sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theorieteil
2.1 Die Situation psychisch erkrankter Menschen und ihrer Kinder
2.2 Zum Stand der Forschung
3. Methodisches Vorgehen
3.1 Qualitative Sozialforschung
3.2 Experteninterviews
3.3 Kontaktaufnahme, Gewinnung der Interviewpartnerinnen und Durchführung der Interviews
3.4 Auswertungsmethode
3.5 Selbstreflexion zum Forschungsprozess
4. Ergebnisteil
4.1. Intention und Zweck
4.2 Herausforderungen
4.2.1 Herausforderungenfür die Mitarbeiterinnen
4.2.2 Herausforderungen für die Patinnen und Paten
4.2.3 Herausforderungen für die Kinder
4.2.4 Herausforderungen für die psychisch kranken Elternteile
4.3 Besondere Qualitäten und Chancen des Patenschaftsprojekts
5. Zusammenfassung und Diskussion der Forschungsergebnisse
6. Quellenverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Während meiner Berufspraktischen Studien[1] im Feld der Kinder-und Jugendhilfe fiel mir ein Flyer mit der Aufschrift „Patenschaften für Kinder[2] psychisch kranker Eltern" ins Auge. Bisher waren mir Familien mit psychisch erkrankten Elternteilen durchaus als Klienten der sozialpädagogischen Familienhilfe aus dem professionellen Jugendhilfe Kontext bekannt. Das Patenschaftsprojekt, welches auf die Arbeit mit Ehrenamtlichen Akteurinnen und Akteuren, ohne besondere sozialpädagogische oder therapeutische Kenntnisse setzt, war für mich zunächst als Hilfeform neu - und aus diesem Grunde besonders spannend. Psychische Erkrankungen bringen häufig etwaige Einschränkungen für die Betroffenen mit sich und die Meisterung des Alltags, insbesondere des Alltags mit Kind stellt eine große Herausforderung dar. Mein Interesse bestand darin, über die konzeptionelle Intention und die Beweggründe der Mitarbeiterinnen hinaus, auch etwas über die einzelnen Akteurinnen und Akteure des Projekts, sowie besondere Chancen und Herausforderungen zu erfahren. Auf Grund dieser Interessen beschloss ich, das Thema zum Gegenstand meiner Bachelorarbeit zu machen.
Nachdem ich ein Gespräch mit den Mitarbeiterinnen des Projekts geführt hatte und diese sich gewillt zeigten, auch weiterhin mit mir zu kooperieren, entschloss ich mich schließlich, Interviews mit den Mitarbeiterinnen zu führen und somit eine qualitative Untersuchung im Feld des Patenschaftsprojekts durchzuführen. Diesem Entschluss folgte eine thematische Orientierung in der Fachliteratur. Gleichwohl psychische Krankheiten innerhalb von Familiensystemen weit verbreitet sind, konnte ich unproportional dazu verhältnismäßig wenig Literatur finden. Insbesondere zu Patenschaftsprojekten im Kontext meines potentiellen Untersuchungsfeldes war kaum eine Verortung des Forschungsgegenstandes anhand von Literatur möglich. Trotzdem oder möglicherweise auch insbesondere auf Grund dieser Tatsache, wuchs mein Interesse an einer qualitativen Untersuchung des Patenschaftsprojekts. Diese Arbeit ist demnach das Resultat einer qualitativen Untersuchung ahand der Methode der „Experteninterviews" im Feld eines Paten- Schaftsprojekts für Kinder psychisch kranker Elternteile. Ich werde im ersten Teil dieser Arbeit zunächst einige grundlegende Aspekte über psychische Erkrankungen im Familiensystem anreißen und dabei insbesondere auf krisenhafte Verläufe und damit einhergehende Betreuungsproblematiken für Kinder von psychisch kranken Elternteilen eingehen. Im zweiten Teil der Arbeit werde ich mein methodisches Vorgehen darstellen. Hier werden neben grundsätzlichen Aspekten der qualitativen Sozialforschung besonders die von mir angewandte Untersuchungsmethode, meine Auswertungsmethode, sowie ein reflexiver Abschnitt zum Verlauf der Forschung angeführt. Der darauffolgende „Ergebnisteil" wird relevante Ergebnisse meiner Untersuchung darstellen. Dabei werde ich einen besonderen Fokus auf Qualitäten und Herausforderungen des Patenschaftsprojekts, sowie auf die Intention, Entstehung und Motivation der Mitarbeiterinnen des Projekts legen. Im letzten Teil der Arbeit werde ich die Forschungsergebnisse zusammenfassen, diskutieren und im Zuge dessen auch in Verbindung mit wichtigen Aspekten des Themenfelds setzen.
Die Ergebnisse meiner Forschung sind exemplarisch anhand eines Patenschaftsprojekts entstanden. Eine Generalisierung meiner Erkenntnisse ist demzufolge nicht möglich.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich die Namen der Interviewpartnerinnen, aus Gründen des Datenschutzes pseudonymisiert habe.
Außerdem werde ich im Verlauf dieser Arbeit für die Patinnen und Paten auch den Begriff„Ehrenamtliche" verwenden.
2. Theorieteil
ln diesem Teil meiner Arbeit möchte ich auf einige Aspekte der Lebenswelten psychisch erkrankter Menschen und ihrer Kindern eingehen, welche einleitend für den darauffolgenden Ergebnisteil meiner Untersuchungen sein sollen. Des Weiteren, werde ich in Kap. 2.2 auf den Stand der Forschung in diesem Themenfeld in eingehen.
2.1 Die Situation psychisch erkrankterMenschen und ihrer Kinder
Psychische Erkrankungen beeinflussen Leben und Alltag von Betroffenen häufig enorm. Im folgenden möchte ich exemplarisch nur einige, häufig vorkommende Symptome von Menschen mit psychischen Erkrankungen aufführen. Je nach Krankheitsbild, leiden Betroffene beispielsweise unter
- Stimmungsschwankungen,
- Antriebs- und Energielosigkeit,
- selbstverletzendem Verhalten oder
- Suizidgedanken.
Psychische Erkrankungen einer Einzelperson haben immerauch Auswirkungen auf das gesamte, unmittelbare Familiensystem und somit auf die Lebenssituation jedes einzelnen Mitglieds dieses Systems. Insbesondere Kinder, deren primäre Bezugspersonen im Regelfall die Elternteile sind, haben unter den psychischen Erkrankungen ihrer Eltern häufig stark zu leiden. Oftmals kommt es im Zuge dieser Erkrankungen zu besonders krisenhaften Krankheitsverläufen, welche in den meisten Fällen mit einer vorübergehenden Unfähigkeit seitens der Elternteile einhergehen, die Kinder adäquat zu Pflegen, (emotional) zu versorgen und zu Erziehen (vgl. Schone/Wagenblass 2010). Häufig führen krisenhafte Krankheitsverläufe auch zur Notwendigkeit einer stationären Behandlung in psychiatrischen Kliniken. Dies bedeutet für die Kinder von psychisch kranken Elternteilen - insbesondere von alleinerziehenden, mit jeder Krise in einer anderen Pflegefamilie oder auch einer be- treuten Wohnform untergebracht zu werden. Dies bedeutet, dass Kinder sich häufig an wechselnde, unterschiedliche soziale Umfelder gewöhnen müssen und stellt somit,neben den Belastungen, unter denen die Kinder ohnehin zu leiden haben, eine weitere Herausforderung für die Entwicklung der Kinder dar.
Tatsächlich ist jede(r) fünfte Patientin/Patient in stationärer, psychiatrischer Versorgung Elternteil eines minderjährigen Kindes. Trotz dieser Vielzahl von Eltern mit psychischen Erkrankungen, sind ihre Kinder häufig nicht im Blick der Psychiatrie (vgl. ebd.). Im Gegenteil, wird eine bestehende Elternschaft in der Regel in den Patientinnen/Patienten- Akten nicht dokumentiert. So gewinnt diese Tatsache, wenn überhaupt, meist erst an Relevanz, wenn sich Schwierigkeiten bezüglich der Kinderbetreuung ergeben. So beschreibt Wagenblass (2005), welche im Rahmen ihrer Untersuchungen im Feld der psychisch kranken Elternteile die Anzahl psychisch erkrankter Elternteile statistisch erheben wollte, dass die Psychiatrien erst auf ihre Nachfrage hin, die Tatsache ob eine Elternschaft der Patientinnen und Patienten bestehe, erhoben haben. Auch die (räumlichen) Möglichkeiten innerhalb der stationären Versorgung, Elternteil und Kind während eines Klinikaufenthalts gemeinsame Schlafräume anzubieten, bestehen in den seltensten Fällen (vgl. Mattejat/Lisofsky 2005). Ein Blick auf die Jugendhilfe zeigt, dass wie so häufig, auch Familien mit psychisch kranken Elternteilen meist erst dann Hilfe, beispielsweise in Form von „Hilfen zur Erziehung", erhalten, wenn die Familie oder einzelne Familienmitglieder akut auffällig werden. Für die Antwort nach der Frage, weshalb sich Eltern mit Hilfebedarf nicht früher und nicht selbstständig um eine geeignete Hilfeform bekümmern, gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Die naheliegenden sind hier dass die betroffenen Elternteile entweder den Hilfebedarf selbst gar nicht als Hilfebedarf erkennen oder auch, insbesondere auf Grund der mit der Erkrankung einhergehenden Symptomatiken (Antriebslosigkeit, Unsicherheit, Rückzug etc.) es nicht schaffen, sich an die zuständigen Institutionen zu wenden (vgl. ebd.)
Sicherlich ist es sinnvoll, während akuter Krisensituationen oder Klinikaufenthalten, bezüglich der Findung von Unterbringungsmöglichkeiten, zunächst das familiäre Umfeld der Kinder zu aktivieren und hier keine unmittelbaren Ressourcen außer acht zu lassen. Nicht unerwähnt bleiben sollte hier allerdings, dass Partnerinnen und Partner, sowie andere enge Angehörige, nicht selten auch sehr stark unter den psychischen Krankheiten der Angehörigen leiden und somit keine Betreuung der Kinder in Krisenzeiten übernehmen können oder wollen (vgl. Schone/Wagenblass 2010). Ist keine Betreuung des Kindes während krisenhafter Verläufen im unmittelbaren sozialen Umfeld zu organisieren, wird dies zur Aufgabe der Jugendhilfe, eine passende Hilfemaßnahme einzuleiten. Im Falle von Klinikaufenthalten der Elternteile, sind es hier meist Unterbringungen in Pflegefamilien oder betreuten Wohnformen. Neben Unterbringungsmöglichkeiten, bestehen weitere Hilfeangebote der Jugendhilfe, welche in der Regel an Ressourcen und Herausforderungen der Familie orientiert sind und somit variieren. Es gibt sowohl Angebote in ambulanter, als auch in teilstationärer oder stationärer Form. Die Hilfen unterscheiden sich außerdem in ihrer Setzung von Schwerpunkten, welche beispielsweise eher am Kind oder auch am gesamten Familiensystem orientiert sein können. Die häufigsten genehmigten Hilfen ambulanter Form sind hier, im Falle von Familien mit psychischen kranken Elternteilen die Erziehungsberatung, die soziale Gruppenarbeit, die Erziehungsbeistandschaft, die sozialpädagogische Familienhilfe, sowie die intensive sozialpädagogische Einzelfallbetreuung. Beispiele teilstationärer,- und stationärer Hilfen sind die sozialpädagogische Tagesgruppe und die Unterbringung in Pflegefamilien oder betreuten Wohnformen (vgl. ebd.).
Darüber hinaus besteht seit einigen Jahren vermehrt das Angebot von Patenschaftsprojekten, welche den ständigen wechselnden Unterbringungen der Kinder in Pflegefamilien oder Heimen vorbeugen sollen. Eines dieser Patenschaftsprojekte ist Grundlage für diese Arbeit.
Das Patenschaftsprojekt für Kinder psychisch kranker Elternteile, welches ich im Rahmen dieser Arbeit untersucht habe, soll es ermöglichen, dass Kinder psychisch kranker Elternteile in akuten Krisensituationen der Eltern bzw. bei temporären, stationären Klinikaufenthalten nicht in einer Pflegefamilie untergebracht werden müssen. Das Patenschaftsprojekt zielt darauf, dass die Kinder während der o.g. Krisenhaften Krankheitsverläufen die Zeit der Abwesenheit der Elternteile bei einer Patin oder einem Paten und ggf. deren Familien verbringen können. Die Kinder sollen somit die Gewährleistung eines höheren Maß an Kontinuität und Stabilität erfahren, in dem sie, statt in immer wechselnden Pflegefamilien, während krisenhafter Verläufe der Elternteile einen festen „Anlaufpunkt"- die Patinnen oder Paten, haben. Darüber hinaus sind wöchentliche Treffen zwischen Ehrenamtlichen und Kinder, von ca. 3 Std./Woche vorgesehen. Mattejat (2005) benennt Folgeprobleme, welche bei Kindern psychischer kranker Eltern aus ihren sozialen Situationen heraus resultieren. Dabei führt er auch die Problematik des Betreuungsdefizits an und bezieht sich dabei neben der Betreuung im engeren Sinne auch auf ein Defizit an Aufmerksamkeit und Zuwendung. Des Weiteren beschreibt er unter dem Oberbegriff der „Zusatzbelastungen", dass Bedürfnisse der Kinder, auf Grund der etwaigen anderen Verpflichtungen ihrer Elternteile gegenüber, in den Hintergrund rücken müssen. Auch „Abwertungserlebnisse", in denen Kinder Rückweisungen und Abwertungen in ihrem sozialen Umfeld erfahren müssen, können Folge der psychischen Krankheit von Elternteilen sein. Der Forschungsgegenstand dieser Arbeit, das Patenschaftsprojekt für Kinder psychisch kranker Elternteile will Kinder und ihre Eltern in vielerlei Hinsicht in Umgang und Leben mit der Krankheit im Familiensystem unterstützen. Das Patenschaftsprojekt soll zum einen den psychisch kranken Elternteilen temporäre Freiräume schaffen und gleichwohl den Kindern Zeit bieten, ggf. mit Begleitung, eigenen Interessen nachzugehen, sowie Aufmerksamkeit und Zuwendung durch die Patinnen oder Paten zu erfahren.
2.2 Zum Stand derForschung
Der Themenbereich „Kinder psychisch kranker Elternteile" ist bisher in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik eher selten Forschungsgegenstand gewesen. Eher wurden zu diesem Feld im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie, häufig auch im medizinischen/neurologischen Kontext, Untersuchungen durchgeführt. Genauer, gibt es zahlreiche Studien zur High-Risk, - Resilienz und Vulnerabilitätsforschung im Kontext von Kindern psychisch kranker Elternteile (vgl. Schone/Wagenblass 2010). Die High-Risk Forschung fokussiert sich auf die Entwicklung von Kindern mit mindestens einem psychisch kranken (meist schizophrenen) Elternteil, und dient hauptsächlich genaueren Erkenntnissen bezüglich der Ätiologie o.g. Krankheiten bzw. der Gewinnung von Erkenntnissen welche (genetischen und psychosozialen) Faktoren dazu führen, dass auch das Kind oder die Kinder psychisch kranker Eltern- teile im Laufe des Lebens unter einer psychischen Erkrankung leiden werden (vgl. Eggers/Bunk 2004 ; Schone/Wagenblass 2010).
Die Forschung zur Resilienz von Kindern psychisch kranker Eltern war für die Initiatorin des Patenschaftsprojekts, welches Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist, ausschlaggebend für die Idee sowie die Entwicklung und Entstehung des Patenschaftsprojekts. Die Resilienzforschung beschäftigt sich mit der Entstehung, Erhaltung und Förderung psychischer bzw. seelischer Widerstandskraft von Menschen in (dauerhaft) belastenden, traumatisierenden und risikobehafteten Lebensabschnitten (vgl. Zander 2009). Die Vulnerabilitätsforschung untersucht Faktoren, die für eine Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Auffälligkeiten verantwortlich sind und fokussiert sich dabei auf psychologische oder biologische Entwicklungsmerkmale eines Individuums (vgl. Laucht 2003).
Auch im Fachgebiet der Rechtswissenschaften ist das Thema Kinder psychisch kranker Eltern bereits untersucht wurden. Hier war das Forschungsinteresse primär auf die Fragestellung in wie weit psychisch kranke - und auch geistig behinderte Elternteile ihr Sorgerecht ausüben können, bzw. zu welchen Herausforderungen es kommen kann (vgl. Schone/Wagenblass 2010).
3. Methodisches Vorgehen
In diesem Teil der Arbeit möchte ich mein methodisches Vorgehen in Bezug auf meine Untersuchungen vorstellen. Dabei werde ich zunächst auf einige grundlegende Aspekte der qualitativen Sozialforschung eingehen. Im Anschluss daran folgt ein Kapitel über die von mir verwendete Untersuchungsmethode der Experteninterviews, sowie einige Ausführungen über die Kontaktaufnahme zu den Interviewpartnerinnen, die Durchführung - und das Setting der Interviews. Ich werde auf meine Auswertungsmethode eingehen und zum Abschluss dieses Kapitels meinen Forschungsprozess reflektieren.
3.1 Qualitative Sozialforschung
Die qualitative Sozialforschung ist eine empirische Methode, welche stark anwendungsorientiert ist. Ziel der qualitativen Sozialforschung ist es, Lebenswelten zu beschreiben und zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeiten beizutragen. Ihre Offenheit und ihre Nähe zum Forschungsgegenstand sind zwei Aspekte, welche die qualitative Sozialforschung besonders auszeichnen. So ergeben sich durch die Anwendung qualitativer Methoden genaue und dichte Beschreibungen des untersuchten Gegenstands. Trotz vieler Uneinheitlichkeiten benennt Flick (2008) grundlegende Kennzeichnungen der qualitativen Sozialforschung.
1. die soziale Wirklichkeit wird in Interaktionsprozessen der Beteiligten Akteure gemeinsam hergestellt und konstruiert.
2. der Prozesscharakter und die Reflexivität sozialer Wirklichkeiten sind von Bedeutung und sollen mit entsprechenden Methoden untersucht werden.
3. objektive Lebensbedingungen werden durch ihre subjektive Bedeutung für soziale Akteure relevant.
4. Kommunikation spielt in der qualitativen Forschung eine äußerst wichtige Rolle und wird methodisch durch dialogische Verfahren der Datenerhebung, insbesondere das Interview umgesetzt.
Wichtig ist es an dieser Stelle zu erwähnen, dass es innerhalb der qualitativen Sozialforschung nicht „die" Methode gibt, sondern die/der Forschende viel mehr aus einer Vielzahl von Methoden die auf den zu untersuchenden Forschungsgegenstand und Fragestellung passendste Methode auswählen kann. Für meine Untersuchung des Feldes der Patenschaften habe ich mich für die Methode der „Experteninterviews" entschieden.
3.2 Experteninterviews
Wie bereits der Name erahnen lässt, handelt es sich bei Experteninterviews um Interviews mit Expertinnen oder Experten also mit Akteurinnen oder Akteuren einer Disziplin oder eines (Praxis-) Feldes, die über besonderes Fachwissen verfügen. Als relativ „junge" Methode, erleben Experteninterviews etwa seit Ende der 1990-er Jahre einen Aufschwung (vgl. Meuser/Nagel 2009). Die Methode ermöglicht eine ausgesprochen dichte Datengewinnung. Ein zuvor von der Interviewerin oder des Interviewers erstellter Leitfaden gibt Impulse für Erzählanstöße des Befragten. Häufig werden Experteninterviews zur Gewinnung von Informationen schwer zugänglicher Praxisfelder genutzt oder auch dann, wenn Expertinnen oder Experten stellvertretend fürviele andere Akteurinnen oder Akteure eines Feldes stehen (vgl. Bogner et.al. 2009). Im speziellen Falle meiner Forschung ist beides zutreffend. Einerseits war es für mich interessant mit der Initiatorin und der Mitarbeiterin des Patenschaftsprojekts zu sprechen, da sich vermutlich viele Parallelen zu anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Patenschaftsprojekten ergeben würden. Noch gewichtiger für mich war allerdings, der tatsächlich schwierige Zugang zum Praxisfeld. Mit wenig bis keiner Forschungs- und Interviewerfahrung hätte ich mir Interviews mit psychisch kranken Elternteilen oder ihren Kindern nicht zugetraut. Experteninterviews sind in verschiedene Kategorien untergliedert. Hier kann die Forscherin oder der Forscher, je nach Untersuchungsgegenstand individuell auswählen. Die von mir verwendete Form der Experteninterviews eignet sich besonders gut zur Verschaffung eines „ersten Überblicks" innerhalb eines (Praxis-) Feldes. Experteninterviews zur Überblicksverschaffung sind-typologisch zugeordnet die "explorativen Experteninterviews''. Bogner und Menz (2009) beschreiben den Nutzen dieser Typologie neben einer ersten Exploration auch zur „Schärfung des Problembewusstseins" (Zitat Bogner/Menz aus: Experteninterviews, S. 64). Diese Schärfung herausfordernder oder kritischer Aspekte, hat sich auch für meine Interviews im Feld der Patenschaften für Kinder psychisch kranker Elternteile klar ergeben. Explorative Experteninterviews sollten möglichst offen geführt werden, dennoch aber Leitfadengestützt stattfinden - eine Tatsache, welche allgemein die Experteninterviews von Methoden wie dem narrativen- oder dem episodischen Interview unterscheidet. Ein weiteres Merkmal, welches explorative Experteninterviews deutlich von den anderen beiden Typen ( den systematisierenden- und den theoriegenerierenden Experteninterviews) abhebt, ist das Vergleichbarkeit, Vollständigkeit und Standardisierbarkeit der Daten kein (zwingendes) Ziel der Interviews darstellen.
3.3 Kontaktaufnahme, Gewinnung der Interviewpartnerinnen und Durchführung der Interviews
Wie ich bereits in der Einleitung dieser Arbeit geschildert habe, resultierte meine Idee, etwas über das Patenschaftsprojekt zu schreiben, aus der Zeit meiner Berufspraktischen Studien in einer Kasseler Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtung . Um Kontakt aufzunehmen habe ich der aus dem Flyer hervorgehenden Ansprechpartnerin für das Patenschaftsprojekt eine e-Mail geschrieben, in welcher ich mein Vorhaben, eine Bachelorarbeit über ihr Patenschaftsprojekt zu schreiben, kurz erläutert habe. Schulz antwortete mir zügig und freute sich, dass ich an ihrem Projekt interessiert war. Zeitnah hat sie mich in ihr Büro eingeladen und mir bereits bei diesem ersten Zusammentreffen viel über das Projekt erzählt. Aus diesem Gespräch ging auch die Idee für meine zweite Interviewpartnerin, die Initiatorin des Projekts (Müller) hervor. Nachdem ich meinen Interviewleitfaden fertiggestellt hatte kam es zu einer zweiten Kontaktaufnahme. Da ich bereits ein Vorgespräch mit Schulz hatte, welche sich während unseres Gesprächs zu einem Interview bereiterklärte, war eine zweite Kontaktaufnahme per e-Mail zur Terminfindung unkompliziert. Müller hatte ich in der Zwischenzeit - ebenfalls per e-Mail kontaktiert. Diese hatte ich sich nach einem gemeinsamen Telefongespräch auch bereiterklärt, mir ein Interview zu geben. Beide Interviews fanden in Büroräumen, dem gewohnten Arbeitsbereich von Müller und Schulz, mit etwa einer Woche Abstand statt. Im Vorfeld hatten beide Interviewpartnerinnen den von mir erstellten Leitfaden mit einer Übersicht der Themenblöcke per e-Mail erhalten. Nachdem ich Müller und Schulzgebeten habe, mir einen Datenschutzvertragzu unterschreiben, fanden beide Interviews ohne Störungen oder Unterbrechungen statt. Aufgezeichnet habe ich die Interviews mit Hilfe einesTonaufnahmegeräts.
3.4 Auswertungsmethode
Eine Transkription des gesamten gesprochenen Texts ist bei Experteninterviews nicht der Normalfall. Dennoch habe ich mich bei meiner Auswertung dafür entschieden, das gesamte mit Tonaufnahmegerät aufgezeichnete Material zu transkribieren, um nicht bereits im Vorfeld zwischen später relevanten und nicht-relevanten Textstellen zu selektieren. Bei der Transkription habe ich mich, in Anlehnung an Meuser/Nagel (2009) auf das Inhaltliche fokussiert und auf die Auswertung (para) sprachlicher[3] und prosodischer[4] Aspekte verzichtet.
In Anlehnung an die Inhaltsanalyse (vgl. Flick et. al. 2000) habe ich nach induktivem Vorgehen aus dem Text heraus Kategorien gebildet. Dies meint, dass ich nicht bereits im Vorfeld Kategorien festgelegt habe, aufdie ich das Textmaterial vorhatte zu untersuchen, sondern diese sich erst aus dem Lesen des Materials heraus entwickelten. Ich habe während des Lesens und Bearbeitens meiner transkribierten Interviews bestimmte Abschnitte „kategorisiert", also benannt. So entwickelten sich zunächst weitgefasste Oberbegriffe wie etwa "Beziehung" oder "Problematik". Aus diesen Kategorien heraus bildete ich nach weiterer Überarbeitung einige Unterkategorien. Zur Veranschaulichung meines Vorgehens möchte ich im Folgenden ein konkretes Beispiel anführen. Die sich entwickelte Kategorie der „Herausforderung" habe ich in die weiteren Unterkategorien:
a) Herausforderungen fürdie Mitarbeiterinnen
b) Herausforderungenfürdie Patinnen und Paten
c) Herausforderungen für die Kinder
d) Herausforderungenfürdie psychisch kranken Elternteile aufgegliedert.
In Vorbereitung für die Formulierung meiner Ergebnisse in meiner Bachelorarbeit, habe ich nun die unterschiedlichen Aussagen der Interviewpartnerinnen, welche ich der gleichen Kategorie zugeordnet habe, zusammengetragen. Hier haben sich erneut Kategorien gebildet, welche im Verlauf der Arbeit allerdings nicht mehr für die Leserinnen und Leser sichtbar sind, sondern mir zur Strukturierung und Festlegung der späteren Chronologie dienten.
Im folgenden dafür ein Beispiel:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach diesem Strukturierungsprozess im Rahmen meiner Auswertung folgte die Formulierung des Ergebnisteils meiner Bachelorarbeit.
3.5 Selbstreflexion zum Forschungsprozess
An dieser Stelle ist es mir wichtig, mich in Bezug auf die Durchführung des gesamten Forschungsprozesses - also von der Durchführung der Interviews über die Auswertung - bis hin zur Fertigstellung dieser Arbeit, im Rahmen dieses Kapitels selbst zu reflektieren.
Die Idee, dass meine Bachelorarbeit eine qualitative Arbeit werden würde, war meinerseits nicht von Beginn an geplant. Im Gegenteil, resultierte diese Idee eher spontan aus der netten Kooperation mit Müller und Schulz, sowie dem Wunsch und dem Interesse meinerseits, dieses noch relativ junge Praxisfeld selbst zu untersuchen. Die nächste Handlung, nachdem ich mich für eine Untersuchungsmethode entschieden hatte, war die Erstellung eines Leitfadens. Für die ersten Entwürfe brauchte ich eine relativ lange Zeit, da es für mich durchaus eine Herausforderung darstellte, die Fragen nicht allzu konkret zu formulieren und mir diesbezüglich auch Erfahrung und Routine fehlten. Es folgte - als unmittelbar nächster Schritt - die erste Durchführung eines Interviews. Zunächst war ich vor der Durchführung etwas aufgeregt. Insbesondere meine Bedenken das Aufnahmegerät könne in seiner Funktion versagen oder die Interviewpartnerin würde nicht ausreichend über das Patenschaftsprojekt berichten, ließen mich eher nervös zu meinem ersten Interviewtermin erscheinen. Dieser verlief allerdings wider erwarten für mich zufriedenstellend. Müller erzählte viel und ich hatte ausreichend span- nendes Material für meine Auswertung. Bemerkt habe ich allerdings, dass es mir noch schwer fiel, flexibel und situationsorientiert mit dem Leitfaden zu arbeiten. Ich habe mich bei den Fragestellungen strikter an die "Reihenfolge" gehalten, als ich es mir erwünscht hätte. Auch das Erkennen von neuen Themen, die Müller während unseres Interviews anbrachte, fiel mir schwer, sodass ich nur sehr selten darauf eingegangen bin. Während der Auswertung ist mir aufgefallen, dass das Interview - anders als vorher angenommen - für mich inhaltlich viele kritische und problembehaftete Aspekte hervorbrachte. So ergab sich, dass ich beim zweiten Interview zwar, entsprechend meines Vorhabens, flexibler mit Fragen und Antworten umging, aber auch vermehrt kritische Fragen stellte. Die Unvoreingenommenheit wie beim ersten Interview war durch das vorherige Auswerten nicht mehr gänzlich gegeben. Ich denke, dass es sinnvoll gewesen wäre, das erste Interview vor der Durchführung des zweiten Interviews noch nicht zu transkribieren. Durch die bereits erfolgte Transkription hatte ich mich zu intensiv mit dem Inhalt auseinandergesetzt, sodass die Unvoreingenommenheit nicht mehr gewährleistet war. Ich weiß somit, woran ich vor und für meine(n) nächsten Interviews arbeiten möchte, kann mir aber auch vorstellen, dass sich immer wieder neue Herausforderungen und Unzufriedenheiten beim qualitativen Forschen ergeben werden.
Als nächster Schritt folgte die Transkription des zweiten Interviews. Generell hatte ich in Erwägung gezogen, diese transkribieren zu lassen. Ich entschied mich allerdings dagegen und hatte somit die Gelegenheit, mich während des Transkriptionsprozesses bereits ein wenig auf die Inhalte der Interviews zu fokussieren. Da ich bemerkte, dass mich mein Forschungsthema auch in alltäglichen Situationen begleitete und mir ständig weitere Impulse und Ideen für die Verschriftlichung meiner Ergebnisse kamen, beschloss ich ein Forschungstagebuch zu führen. Dies stellte sich als produktive, und meines Erachtens gute Entscheidung heraus.
Der nächste Schritt, die Auswertung dertranskribierten Interviews, fiel mir leichter als vorher angenommen, da sich für mich die Kategorien, welche ich bildete, ziemlich schnell abzeichneten und ich diese lediglich noch zusammenfasste oder verwarf. Es entwickelte sich im Laufe des Forschungs- und Auswertungsprozesses, dass mir mein Thema immer wichtiger und bedeutsamer wurde und mir täglich neue Diskussionsansatzpunkte und Betrachtungsperspektiven in den Sinn kamen.
Das Füllen meiner Bachelorarbeit mit Inhalten meiner Forschungsergebnisse stellte somit keine größeren Probleme dar. Etwas schwerer fiel es mir, meine zahlreichen Gedanken in eine für den Leser sinnvolle Reihenfolge zu bringen - und vor allen Dingen - zu akzeptieren, dass es mir nicht möglich seien würde - sämtliche Aspekte, welche mir in Bezug auf die Thematik wichtig erschienen, im vorgegeben, limitierten Rahmen dieserArbeit unterzubringen.
4. Ergebnisteil
Nach der bereits in Kapitel 3.4 beschriebenen Auswertungsmethode habe ich anhand des Inhalts der transkribierten Interviews Kategorien gebildet, welche ich in diesem Teil meiner Bachelorarbeit als Ergebnisse meiner Forschung im Feld der Patenschaften für Kinder psychisch kranker Elternteile vorstellen möchte. Dabei werde ich mit der Kategorie „Intention und Zweck" beginnen.
Darauf folgt ein Kapitel, welches sich mit den Herausforderungen für die einzelnen Akteurinnen und Akteure des Projekts beschäftigt. Im dritten Kapitel werde ich auf besondere Chancen und Qualitäten des Projekts eingehen.
4.1. Intention undZweck
„Es war so zu der Zeit [...] 2006 [...] da is ja manchmal son Thema im sozialen Bereich was auf einma so aufkommt [...] da gabs dann so die Ersten die ham sowas gemacht weil man festgestellt hat das Kinder von psychisch kranken Eltern oft sehr viele Probleme haben [...] das das Leben mit psychisch kranken Eltern für die Kinder sehr schwierig ist [...] das es für Kinder wichtig ist wenn sie eine verlässliche Person haben außerhalb der Familie die für sie da ist und dann kam man eben aufdiese Patenschaften".
Im ersten Teil möchte ich vorstellen, welche Intention die Initiatorin des Patenschaftsprojekts hatte, dieses ins Leben zu rufen. Ich möchte darauf eingehen, aus welchen Gründen sich die andere Mitarbeiterin für die Arbeit in dem Projekt entschieden hat und welchen Zweck und Wirksamkeit beide Mitarbeiterinnen darin
sehen. Wie im Eingangszitat deutlich wird, war für Müller die allgemeine Brisanz des Themas „Kinder psychisch kranker Elternteile" Auslöser für die Auseinandersetzung mit diesem Feld. Sie sagt, es sei wichtig für die Kinder eine verlässliche Person außerhalb der eigenen Familie zu haben. Hieraus schließe ich, dass daraus die Idee eines Patenschaftsprojekts resultierte. Schulz, welche keine der Initiatorinnen ist, sondern später als Mitarbeiterin dem Projekt beigetreten ist, nennt als Grund für ihre Mitarbeit in erster Linie das Interesse an einem für sie neuen Praxisfeld: „Patenschaften hab ich übernommen weil ich nach insgesamt 10 11 Jahren Frühförderung mal [...] einen anderen Arbeitsbereich mit dazu nehmen wollte".
Als eine weitere Motivation seitens Schulz zur Mitarbeit in dem Patenschaftsprojekt, sehe ich die Überzeugung der Wirksamkeit dieser Hilfe: „ Ich bin von der Wirksamkeit des Projekts absolut überzeugt". Als sehr wichtigen Bestandteil des Projekts benennen beide Mitarbeiterinnen die Aufnahme der Kinder in die Patenfamilien, wenn bei den psychisch kranken Elternteilen Krisensituationen auftreten, welche häufig mit einem stationären Klinikaufenthalt oder einer temporären Phase der Erziehungsunfähigkeit einhergehen:
„Das is ja Sinn und Zweck dieses Patenschafsprojekts auch wenn die Eltern erkranken und stationär behandelt werden müssen das die Kinder sich dann in den Familien wohlfühlen und weiter ihre Schule besuchen können [...] weiter in den Kindergarten gehen können".
Hierzu äußert sich Müller:
„Hintergedanke war [...] durch die Paten auch die Möglichkeit zu geben wenn es den Eltern sehr schlecht geht das die Kinder dann auch für ne gewisse Zeit bei den Paten aufgenommen werden können".
Die Aufnahme bei den Patinnen und Paten in Krisensituationen der Elternteile soll den Kindern folglich ermöglichen, die Zeit eines Klinikaufenthalts in einer gewohnten Umgebung, bei vertrauten Menschen zu verbringen. Ebenso spielt die Gewährleistung des Schul- oder Kindergartenbesuchs und auch die Wahrnehmung andereraußerschulischer Aktivitäten hier eine Rolle.
„Die [Paten] ham auch alle Termine wahrgenommen [...] das der Alltag möglichst so weiterläuft der eine Junge hatte auch Krankengymnastik und hier Frühförderung das haben alles die Paten geleistet".
Die Patenschaft soll eine Unterbringung in einem Heim oder einer Pflegefamilie in Krisenzeiten der psychisch kranken Elternteile vermeiden. Müller berichtet hier, dass im Falle einer Unterbringung in einem Heim oder einer Pflegefamilie, die Kinder ihre Freundschaften oftmals nicht aufrechterhalten könnten und auch der Schulbesuch nicht mehr möglich sei.
4.2 Herausforderungen
„Die Kinder [...] fühlen sich ihren Eltern gegenüber sehr stark verpflichtet [...] und kommen dann in so nen Realitätskonflikt".
In diesem Kapitel werde ich aufzeigen, welche Herausforderungen und Spannungsverhältnisse innerhalb des Projekts, zwischen den Beteiligten und in wechselseitiger Abhängigkeit der Akteurinnen und Akteure, nach meiner Interpretation und den Berichterstattungen der Interviewpartnerinnen, auftreten. Dabei möchte ich zum einen auf Aspekte eingehen, welche meine Interviewpartnerinnen als herausfordernde Situationen während des Interviews erwähnten. Zum anderen aber auch auf Aussagen, die im ersten Moment keine Herausforderung oder Problematik schildern, ich aber dennoch als solche interpretiere. Anhand dieser Kategorie möchte ich darstellen, welche Konflikte und Probleme sich innerhalb des Paten- schaftsprojektsfür alle Beteiligten ergeben. Um die Herausforderungen für alle Beteiligten klar hervorzuheben, habe ich diese in vier Unterpunkte gegliedert.
a) Herausforderungen fürdie Mitarbeiterinnen
b) Herausforderungenfürdie Patinnen und Paten
c) Herausforderungen für die Kinder
d) Herausforderungenfürdie psychisch kranken Elternteile
4.2.1 Herausforderungen fürdie Mitarbeiterinnen
„Wir ham vieles immer gedacht was dann nich so gekommen is".
Dieses Einleitungszitat habe ich ausgewählt, da es für mich stellvertretend für die Herausforderungen steht, welche sich für die beiden Mitarbeiterinnen des Patenschaftsprojekts ergeben. Genauer noch bezieht sich das Zitat auf die psychisch kranken Elternteile, von denen die beiden Mitarbeiterinnen dachten, diese würden sich selbstständig melden und sich für eine Patenschaft für ihre Kinder interessieren. Die Tatsache, dass es weniger psychisch kranke Elternteile sind, die sich für das Projekt melden, als von den Mitarbeiterinnen angenommen, bringt finanzielle Nachteile mit sich. Aber auch die Tatsache, dass die Patenschaften seit Februar letzten Jahres über eine Leistungsvereinbarung mit dem Jugendamt laufen würden, zeige nach Schulz eine deutliche Veränderung in Bezug auf den Kostenfaktor. Die Vereinbarung mit dem Jugendamt bringe außerdem mit sich, dass die Anfragen für Patenschaften seither insgesamt abnehmen würden, da bestimmte Abschnitte der Leistungsvereinbarung verbieten würden, dass gleichzeitig mehrere Hilfeformen genehmigt werden. Dies bedeutet, dass eine Familie, welche bereits eine Hilfe wie beispielsweise die sozialpädagogische Familienhilfe in Anspruch nimmt, nicht die Möglichkeit hat, auch das Angebot der Patenschaften für sich zu nutzen.
Der Wirkungsbereich der Mitarbeiterinnen bezieht sich hauptsächlich auf die Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen. Dennoch war konzeptionell vorgesehen, auch regelmäßige Gespräche mit den Kindern und ihren psychisch kranken Elternteilen zu führen. So berichtet Schulz: „Das ist etwas was [...] meine Kollegin am Anfang [...] eigentlich wollte was aber von Seiten des Jugendamtes nicht gewünscht wurde". Mittlerweile sind die Patinnen und Paten auch Teil der jährlich stattfindenden Hilfeplangespräche mit dem Jugendamt. Die Patinnen und Paten seien jetzt auch dabei, obwohl sie ursprünglich mit dem Jugendamt gar nichts zu tun haben sollten und nicht wissen sollten welche Probleme es innerhalb der Familien gibt.
So ist das Jugendamt für die Mitarbeiterinnen einerseits wichtigste Vermittlungsquelle für Patenschaften, andererseits aber auch Barriere für die im Ursprung angestrebte konzeptionelle Verwirklichung.
Ein weiteres Mal möchte ich an dieser Stelle auf die geringe Zahl von Patenkindern zurückkommen. Schulz erwähnt in diesem Zusammenhang die unproportionale Verteilung von vielen Ehrenamtlichen, die zur Verfügung stünden, aber zu wenigen Patenkindern. Die Mitarbeiterinnen unterliegen außerdem der sich selbst auferlegten Herausforderung, Patenkinder und Ehrenamtliche nur zueinander führen zu wollen, wenn diese auch im Bezug auf Wohnort und Interessen zusammenpassen. Andererseits stehen sie aber unter dem großen Druck, viele Patenschaften zu vermitteln, um finanziell abgesichert zu sein:
„Das hat natürlich auch immer so nen gewissen Druck weil wir uns ja auch selber finanzieren [...] da muss die Zahl der Patenschaften stimmen".
Eine weitere Herausforderung für die Mitarbeiterinnen stellt das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Kontrolle dar. Die Mitarbeiterinnen fühlen sich einerseits verpflichtet, eine gewisse Kontrollfunktion den Patenschaften gegenüber zu übernehmen, um „eventuell krisenhaften Entwicklungen dann auch vorzubeugen" und andererseits aber auch „das Vertrauen zu haben das das alles auch gut läuft" . Schulz berichtet, eine weitere Schwierigkeit bringe die Tatsache mit sich, dass man sich in Bezug auf die Ehrenamtlichen und deren Intention eine Patenschaft zu übernehmen, nie sicher sein könne.
„Wir hatten ma so nen komischen Mann der war sehr undurchsichtig". Hier wird deutlich, dass auch die Auswahl der Ehrenamtlichen für die Mitarbeiterinnen problematisch sein kann und das Gefühl der Ohnmacht, sich nicht sicher sein zu können, bei der Auswahl durchaus auftreten kann. Es ist zwar Bedingung für die Übernahme einer Patenschaft ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis[5] vorzuweisen, dennoch ist dies keine Garantie für die Seriosität der Ehrenamtlichen. Herausforderungen und schwierige Situationen treten für die Mitarbeiterinnen, wie bereits genannt, insbesondere in Bezug auf konzeptionelle Umsetzung und Finanzierung auf. Die Abhängigkeit vom Jugendamt lässt die Mitarbeiterinnen viele ursprüngliche Ideen verwerfen ist aber essentiell für das weitere finanzielle „Überleben" des Projekts. Eine weitere Herausforderung für die Arbeit von Schulz und
[...]
[1] Praxissemester im Rahmen des Bachelor Studiengangs Soziale Arbeit
[2] Im Verlauf dieser Arbeit sind unter der Verwendung des Begriffes „Kinder" meist sowohl Kinder als Jugendliche gemeint und zu einem Begriff zusammengefasst.
[3] Bei parasprachlicher Kommunikation handelt es sich um Kommunikationsformen, welche neben der Lautsprache stattfinden (vgl. Adamzik 2004).
[4] Prosodische Aspekte sind Eigenschaften der Sprache, wie beispielsweise Wort- und Satzakzente, das Sprachtempo, Pausen, Sprachrhythmus oder die Quantität der lautlichen Einheiten (vgl. Ernst 2008).
[5] Im erweiterten polizeilichen Führungszeugnis sind Sexualstraftaten, Belästigungen, Misshandlungen, Aufsichtsverletzungen etc. aufgeführt. Die e.p.F. dürfen nur in bestimmten Berufsgruppen (Jugendhilfe, Kindertagesstätte, Schulbusfahrer etc.) vom Arbeitnehmer verlangt werden (vgl. Internetpräsenz des Bundesamt für Justiz).
- Arbeit zitieren
- Marie-C. Most (Autor:in), 2013, Kinder psychisch kranker Elternteile, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/271147