Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
2 Einleitung
3 Der Weg zum Europäischen Betriebsrat
3.1 Die Konstitution des Besonderen Verhandlungsgremiums
3.2 Mitgliedstaatliche Einschränkungen der BVG Mitglieder
3.3 Der besondere Kündigungsschutz
3.4 Die Konstitution des Europäischen Betriebsrates
4 Schlussbetrachtung
5 Literaturverzeichnis
5.1 Texte
5.2 Elektronische Datenbanken
2 Einleitung
Mit der Verabschiedung der Richtlinie 94/45/EG am 22. September 1994 wurde in der Europäischen Union (zuvor Europäische Gemeinschaft1 ) erstmals ein rechtlicher Rahmen für die Implementierung von Betriebsräten in multinationalen Unternehmen erlassen. Als Kompetenzgrundlage der Richtlinie dient heute Art. 153 I, II AEUV (ehemals Art. 137 EGV) unter Wahrung des Prinzips der Subsidiarität2 (Art. 5 III EUV). Insgesamt sind in den vergangenen 20 Jahren 1282 Europäische Betriebsräte (EBR) gegründet worden, von denen heute (Stand 17. November 2013) noch 1048 aktiv sind.3 Höhepunkt der Neugründungen war das Jahr 1996, was mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie in nationales Recht zu erklären ist.4 5
Das Ziel des EBR ist in der Sache vergleichbar mit dem des deutschen Betriebsrates. Ein Betriebsrat ist ein betriebsverfassungsrechtlich organisiertes Mitbestimmungsorgan, welches die Rechte der Arbeitnehmer6 stärken und ein besseres Verhältnis bei der Machtverteilung in Unternehmen sicherstellen soll. Jedoch obliegt dem EBR überwiegend eine anhörungs- und informationsrechtliche Funktionalität. Diese beschränken sich zudem auf Unternehmen, die in mindestens zwei Mitgliedsstaaten (MS) aktiv sind und eine Quote der Mitarbeiterzahlen erfüllen. Der EBR als Mitbestimmungsgremium ist nicht die einzige Möglichkeit für eine Beteiligung der Arbeitnehmer. Sie können ebenso ein ähnlich strukturiertes Organ gründen, welches die gleichen Wirkungen wie ein EBR entfaltet.7
Der EBR wird grundsätzlich zwar von Mitarbeitern eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe8 zusammengestellt, allerdings werden diese Arbeitnehmer aus den verschiedensten Ländern entsandt.9 Mit der Vielfalt der vertretenen Länder sind durchaus unterschiedliche Interessen der Mitglieder verbunden. Praktisch relevant wird der Aspekt der jeweiligen Herkunft jedoch erst dann, wenn Standards einer Nation durch die Mitwirkung im EBR auch für Mitarbeiter andere Nationen gelten sollen. Eine aus deutscher Sicht übliche 38 Stunden Woche ist nicht automatisch auch an traditionelle Arbeitszeitstrukturen von Arbeitnehmern in den Niederlanden (34,3) oder Bulgarien (41,7) gebunden.10 Eine zahlenmäßige Überlegenheit einer Nation im EBR kann demnach traditionelle und gesellschaftlich gewachsene Strukturen zum Desinteresse anderer Arbeitnehmer verändern. Daraus resultiert die Frage, ob Arbeitnehmergruppen eines Landes sich den unterschiedlichen Interessen anderer Arbeitnehmergruppen unterwerfen müssen oder ob auch Minderheiten mit ihren Meinungen maßgeblich die Entscheidungen des EBR mitgestalten können.
Im Verlauf der Hausarbeit wird die Entstehung des EBR mit Hilfe des Besonderen Verhandlungsgremium (BVG) und dessen Zusammensetzung dargestellt, um zu verdeutlichen, vor welchen praktischen Problemen die EU11 bei der Vorgabe für die Entsendung der Vertreter steht. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf nationale Unterschiede gelegt, welche die gleichmäßige Verteilung fördern aber auch gefährden können. Hierzu werden Handlungsempfehlungen zu einer veränderten Rechtsetzung abgegeben. Nachfolgend werden die Unterschiede bei der Konstitution des EBR zum BVG und die daraus entstehenden Schwierigkeiten dargestellt. Diese werden ebenfalls durch Empfehlungen ergänzt. Schlussendlich wird eine Bewertung des EBR sowie des BVG vorgenommen.
3 Der Weg zum Europäischen Betriebsrat
3.1 Die Konstitution des Besonderen Verhandlungsgremiums
Zur Gründung eines EBR benötigen die Arbeitnehmer vorab ein sogenanntes Besonderes Verhandlungsgremium (BVG), mit dem unter anderem die Konstitution und die Befugnisse des EBR auszugestalten sind.12 Die Betroffenen erhalten zuvor die Möglichkeit, sich vor Konstruktion des BVG abzustimmen und eine repräsentative Anzahl von Arbeitnehmern aus den jeweiligen Mitgliedsstaaten dorthin zu entsenden.13 Die Arbeit des BVG gilt nur dann als legitim, sobald alle Arbeitnehmer des unionsweit tätigen Unternehmens vertreten sind. Hierbei sollen MS, deren Gesamtbeschäftigung an der unionsweiten Belegschaft 0 - 10% beträgt, durch mindestens einen Vertreter repräsentiert sein. Diese Regelung stellt die Bedeutung der Repräsentativität vor den Grundsatz der Proportionalität und schränkt die reale Abbildung der Sitzverteilung ein.14 Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten, die einen größeren Anteil (>10%) an der gesamten Belegschaft haben, dürfen zudem maximal 3 Vertreter berufen, sodass sich eine maximale Delegation von 4 Vertretern pro MS ergibt.15
Diese beauftragten Arbeitnehmer sind in der Regel aus den nationalen mitgliedstaatlichen Betriebsräten auszuwählen. Sofern in einzelnen Mitgliedstaaten keine Arbeitnehmervertretung zustande gekommen ist, erlässt der MS nach Maßgabe der Richtlinie eine Vorschrift, die es den nicht national repräsentierten Arbeitnehmern erlaubt, Vertreter für das Besondere Verhandlungsgremium anderweitig zu benennen oder zu wählen.16 Ziel ist es, die dort gefassten Beschlüsse bei der zentralen Leitung des Unternehmens vorzubringen und über die Berufung des EBR oder eines ähnlichen Verfahrens für die in Art. 1 II RL 2009/38/EG gefassten Bestimmungen zu verhandeln.17 18 19
Dieser zuvor beschriebene Grundsatz soll für eine ausgewogene Beteiligung aller Arbeitnehmer eines jeden MS sorgen. Eine Gleichmäßigkeit auf europäischer Ebene bedeutet jedoch, wie in anderen Bereichen z.B. der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, dass die Vertretung degressiv proportional ist. Dieses wird an Hand eines Beispiels deutlich. Der EBR soll für ein Unternehmen (1000 Arbeitnehmer) gegründet werden, welches sich über die Länder D, F und S erstreckt. Dabei arbeiten in dem Land D 70 %, im Land F 25% und im Land S 5% der gesamten Beschäftigten. Bei der Zusammensetzung des BVG darf das Land D maximal vier, das Land F höchstens drei und das Land S mindestens einen Vertreter entsenden. Hierbei zeigt sich wie ungleich die Arbeitnehmer nach ihrer mitgliedstaatlichen Stärke durch Interessenvertreter in dem BVG vertreten sein können. Das Verhältnis der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter beträgt demnach für das Land D 1:175, für F 1: 84 und für S 1:50. Eine reale Abbildung der Belegschaft wird durch die Obergrenze verwehrt. Vielmehr erhalten Minderheiten eine überdurchschnittlich hohe Stimmgewichtung.
Vernünftig wäre hier eine einheitliche Anhebung der Gesamtbeteiligten, sodass eine bestimmte Quote von z.B. 1:100 nicht überschritten werden darf. Die könnte automatisch damit einhergehen, dass die Vertreter von MS, deren Verhältnisse sehr ausgewogen sind, 1:50 nicht unterschreiten dürfen. Mit einer solchen Regelung würde das Gremium zwar personell ausgeweitet, jedoch wäre dieses lediglich zu Gunsten der zahlenmäßig größeren Arbeitnehmergruppe. Abhilfe könnte außerdem eine einheitliche europäische Vorschrift zur Anzahl der Repräsentanten schaffen. Dabei sollte auf absolute Werte verzichtet werden und die relativen Grenzen so gewählt werden, dass zum Beispiel pro 0 - 5% der Anzahl an relativen Arbeitnehmer ein Vertreter bestellt werden kann. So könnte eine faire Abbildung der Arbeitnehmer und besseres Verhältnis dieser in dem BVG erreicht werden.
3.2 Mitgliedstaatliche Einschränkungen der BVG Mitglieder
Es finden sich zudem Ausnahmen, die das degressiv proportionale Verhältnis der Arbeitnehmervertreter in dem Organ verschieben. So sieht die RL 2009/38/EG im Art. 5 II a S.3 vor, dass mitgliedstaatliche Regelungen zur maximalen Größe des BVG nicht berührt und die Einsetzung der Vertreter durch einzelstaatliche Regelungen durchaus eingeschränkt werden kann. Die Größe des BVG richtet sich dabei nach den Vorgaben der einzelnen MS und deren Anzahl zur maximalen Entsendung. Das EBRG sieht hier keine zahlenmäßigen Beschränkungen vor, jedoch kann dies durchaus in anderen nationalen Umsetzungen der Richtlinie der Fall sein.20 21
Eine Vorschrift, die solche Beschränkungen vorsieht, würde die angestrebte gleichmäßige Zusammensetzung scheitern lassen. Bereits in der richtlinienkonformen Ausgestaltung können die Verhältnisse zwischen Arbeitnehmer und Vertreter in dem BVG sehr stark differenzieren.22 Ein Eingriff durch den nationalen Gesetzgeber erscheint nur dann sinnvoll, sofern beispielsweise Land S, aus dem vorherigen Beispiel, dafür sorgen würde, dass ein einzelner nationaler Vertreter eine größere Anzahl Mitarbeiter repräsentiert. Dies würde bedeuten, dass das Land S die Entsendung eigener Abgeordneter beschränken und somit diese anderer MS aufwerten müsste. Dies scheint jedoch wenig realistisch.
[...]
1 Im weiteren Verlauf der Arbeit werden alle Begrifflichkeiten der Europäischen Gemeinschaft an die neue Begrifflichkeit der Union angepasst.
2 Grundsätzlich bleibt den Mitgliedsstaaten die spezielle inhaltliche Umsetzung der Richtlinie überlassen. Die Subsidiarität setzt voraus, dass nur dort von übergeordneter Stelle (EU) Recht gesetzt wird, sofern die untergeordnete Einheit (Mitgliedstaat) dies nicht besser bewältigen kann.
3 Eigene Auswertung aufgrund von Zahlen des European Trade Union Institut, European Work Councils Bodies, 2010.
4 ETUI, Creation of EWC bodiesevolution, 2009, Seite 1.
5 Die dt. Umsetzung erfolgte zum 1. November 1996 in dem EBRG.
6 Aufgrund der besseren Lesbarkeit verwende ich im Folgenden überwiegend die maskuline Form, gemeint sind jedoch beide Geschlechter.
7 Altmeyer, 2007, Seiten 504 505.
8 Im Verlauf der Arbeit wird für die Begrifflichkeit das Unternehmen oder die Unternehmensgruppen aus Gründen der Lesbarkeit nur noch von dem Unternehmen gesprochen.
9 Rüthers, Arbeitsrecht, Seite 341.
10 Händel/ Troost, Arbeitzeitentwicklung in Europa, Seite 47.
11 Europäische Union; Union.
12 Gemäß Art. 5, 6 RL 2009/38/EG und §§ 9, 10 EBRG.
13 In der RL 2009/38/EG ist dies in dem Grund 26 zum Erlass der Richtlinie näher ausgeführt.
14 Blanke, Erläuterungen zum Gesetz über Europäische Betriebsräte, zu §10 Rn. 1.
15 Düwell, Betriebsverfassungsgesetz, zu §10 Rn. 1, 3.
16 Art. 5 II lit. a UAbs. II RL 2009/38/EG
17 Art. 2 I lit. i RL 2009/38/EG
18 Art. 6 III RL 2009/38/EG
19 Blanke, Erläuterungen zum Gesetz über Europäische Betriebsräte, zu §8 Rn. 2.
20 Düwell, Betriebsverfassungsgesetz, zu §10 Rn. 1.
21 Blanke, Erläuterungen zum Gesetz über Europäische Betriebsräte, zu §10 Rd. 1.
22 Siehe Beispiel aus Kapitel 3.1