Ist eine gesetzliche Frauenquote in der Wirtschaft sinnvoll?


Hausarbeit, 2011

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung - der Stand der Dinge

2. Frauen in Führungspositionen
2.1 Brauchen Unternehmen Frauen in Führungspositionen?
2.2 Wandel der Unternehmenskultur: Vorteil für Frauen und Männer

3. Die Chancengleichheit - ein zweischneidiges Schwert
3.1 Der formale Begriff der Chancengleichheit
3.2 Der substantielle Begriff der Chancengleichheit

4. Ist die Quote moralisch vertretbar?
4.1 „Kompensation für erlittenes Unrecht“
4.2 „Verwirklichung von Verteilungsgerechtigkeit“

5. Die Quote als „Katalysator“ - Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung - der Stand der Dinge

Mädchen sind in der Schule besser als Jungs, auch in der akademischen Laufbahn ste- hen Studentinnen und Absolventinnen ihren männlichen Kommilitonen in nichts nach: 55,7 % der Abiturienten sind weiblich, 51 % der Hochschulabsolventen mit abgeschlos- senem Studium sind Frauen.1 Aber wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kürzlich mitteilte, sind nur 3,2 % der Vorstandposten in den 200 größten deut- schen Konzernen von Frauen besetzt (in den Aufsichtsräten sind 10 % weiblich). Dieser Prozentsatz schrumpft, umso kleiner der Kreis der größten Un- ternehmen gezogen wird: Bei den 100 größten Unternehmen und den 30 DAX-Unter- nehmen waren es nur 2,2 %.2 27 der 30 DAX-Unternehmen haben keine einzige Mana- gerin in ihrem Vorstand. Und wenn Frauen Top-Positionen besetzen, sind sie schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, Frauen verdienen durchschnittlich 1/5 weniger, wobei die Differenz in Führungspositionen sogar noch weiter anwächst.3 Der WoB-In- dex (Women-on-Bord-Index) der FidAR (Frauen in die Aufsichtsräte e.V.) hat die 160 DAX, MDAX, SDAX und TecDAX-Unternehmen über ihren Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten und Vorständen befragt und die quantitativen Daten veröffentlicht. Die Daten sollen in den folgenden Jahren immer wieder aktualisiert werden, um einen even- tuellen Trend sichtbar zu machen. Doch diese kleinen Prozentsätze und der höchstens marginale Zuwachs an Frauen in Führungspositionen zeigt, dass die vor 10 Jahren ver- einbarte freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nichts verändert hat.4

Die Initiative FidAR reagiert mit ihrer Untersuchung auf Forderungen der Europäischen Kommission und der Bundesregierung. EU-Kommissarin für Justiz- und Gleichstel- lungsfragen Viviane Reding hat bereits im September 2010 mit einer gesetzlichen Quote gedroht, wenn bis Ende 2011 keine deutliche Verbesserung zu sehen ist5 und im Januar 2011 gab Arbeitsministerin Ursula von der Leyen der Diskussion erneut Schwung: Sie forderte eine feste, gesetzliche Frauenquote von 25 bis 30 % oder alternativ eine ver- bindliche Selbstverpflichtung der Unternehmen.6 Familienministerin Kristina Schröder hingegen tendiert zu einer freiwilligen Quote, die Unternehmen einer gewissen Größe sich selbst setzen, dann aber auch innerhalb von zwei Jahren erfüllen müssen: eine „ge- setzliche Pflicht zur Selbstverpflichtung“.7 Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt eine gesetzliche Frauenquote ab und setzt erneut auf die Freiwilligkeit der Unternehmen.8 Bei der Diskussion wird klar, dass verschiedene Möglichkeiten debattiert werden, Frau- en in Führungspositionen zu etablieren, dass sich aber etwas ändern muss und dieser skandalöse Zustand nicht beibehalten werden darf und kann, steht hingegen nicht zur Debatte. Wenn ich im weiteren Verlauf von Frauenquote spreche, meine ich eine flexi- ble Quote, bei welcher Unterrepräsentanz von Frauen vorliegen muss, um bei gleicher Qualifikation mit einem anderen, männlichen Bewerber bevorzugt eingestellt zu wer- den, wobei überwiegende Kriterien des männlichen Bewerbers berücksichtigt bleiben, solange sie selbst nicht diskriminierend sind (d.h. Definition der Frauenquote nach dem Urteil des EuGH zu Kalanke).9 Ich sehe die Quote demnach nicht als einen Automatis- mus, um Unternehmen zu zwingen, Frauen einstellen zu müssen. Sie enthält eine Öff- nungsklausel, um auch Männer bei gleicher Qualifikation einstellen zu können.10 Ich werde im Laufe meiner Arbeit die Vor- und Nachteile einer gesetzlichen Frauenquo- te untersuchen und gegeneinander abwägen. Der erste Punkt bezieht sich vor allem auf die in der öffentlichen Diskussion besonders beleuchteten Argumente: Was würde sich ändern, wenn Frauen wirtschaftliche Führungsposten übernähmen? Folgend werde ich definitorische Schwierigkeiten des Begriffs der Chancengleichheit erläutern und einord- nen, welcher Definition ich mich bediene. Bevor ich zu dem Fazit komme, werde ich die beiden Hauptargumente, die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Frau- enquote vorwiegend Anwendung finden, erläutern und deren Tragbarkeit untersuchen, um am Ende die Fragen zu klären: Ist eine Quote sinnvoll, ist sie gerecht und durchsetz- bar: Frauenquote - ja oder nein?

2. Frauen in Führungspositionen

Zunächst muss geklärt werden, warum es nützlich und notwendig ist, Frauen in Füh- rungspositionen von Wirtschaftsunternehmen zu etablieren. Denn wir können nicht er- warten, dass erfolgreiche Wirtschaftsunternehmen sich nur aus altruistischen Gründen der Frauen annehmen, und das müssen sie auch gar nicht, wie die folgende Betrachtung zeigt.

2.1 Brauchen Unternehmen Frauen in Führungspositionen?

Ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen Männern und Frauen in den Führungsetagen von Unternehmen ist kein Selbstzweck. Nach Studien von „McKinsey“11 und dem ame- rikanischen Frauenforschungsinstitut „Catalyst“ haben Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil in den Vorständen eine höhere Eigenkapitalrendite und eine bessere Kurs- entwicklung.12 Damit ist nicht ausgesagt, dass Frauen die besseren Manager seien. Der Vorteil liegt jedoch darin, dass gemischte Teams kreativer arbeiten, dass mit einem aus- geglichenen Verhältnis zwischen Männern und Frauen eine heterogene Gruppe entsteht und somit das Risiko von Fehlentscheidungen verringert wird: „Eine Frau [arbeitet] nicht besser, [aber] anders“13.

Bisher wurden die Untersuchungsergebnisse zugunsten der Frauenquote gedeutet: Frauen modernisieren das Unternehmen von innen und machen es erfolgreicher. Aber anhand der Statistik ist nur eine Korrelation zu erkennen, keine Kausalität.14 Es ist auch möglich, dass moderne und erfolgreiche Unternehmen bereitwilliger Frauen Zugang zu den Führungsetagen verschaffen. Untersucht wurde nur der Frauenanteil, andere Einflussfaktoren wurden bei dieser Studie außer Acht gelassen.15

Doch selbst wenn die Annahme, Frauen verschaffen einem Unternehmen mehr Gewinn, nur Spekulation ist, ist der drohende Fachkräftemangel eine Tatsache. Laut einer weiteren McKinsey-Studie wird es im Jahre 2020 an 2,4 Millionen Fachkräften und 1,2 Millionen Akademikern fehlen. Daraus könnte sich ein Schaden von 1,2 Billionen Euro ergeben.16 Spätestens dann kann es sich die Wirtschaft nicht mehr leisten, die Hälfte des in der Gesellschaft vorhandenen Potentials brach liegen zu lassen.17

Gerade diese Tatsache nimmt Wirtschaftsressortleiter des SPIEGEL Thomas Tuma zum Ausgangspunkt für eine Argumentation gegen die Frauenquote. Weil die Wirtschaft in 10 bis 15 Jahren keine andere Alternative haben wird, als Frauen einzustellen, braucht man jetzt keine Quote: „Für sie [die Frauen] war Karriere noch nie so einfach, wie sie in allernächster Zukunft sein wird“18. Doch eine so lange Wartezeit ist inakzeptabel, wenn- gleich Ungeduld noch kein hinreichendes Argument zugunsten einer Quote ist. Auch wenn Frauen einem Unternehmen nicht mehr Gewinne bringen sollten, haben Frauen einen anderen Führungsstil als Männer, auch wenn die Unterschiede kaum als si- gnifikant bezeichnet werden können. Frauen sind ebenso wie Männer dazu in der Lage, Probleme anzusprechen und Anweisungen zu erteilen. Doch sie sind rücksichtsvoller und schenken den Anliegen ihrer Mitarbeiter mehr Aufmerksamkeit, sie sind „verständ- nisvoller, höflicher, loben häufiger und unterbrechen ihre Mitarbeiter im Gespräch selte- ner“19. Selbst wenn das dem Unternehmen nicht mehr Gewinn bringen sollte, verbessert es doch die Arbeitsatmosphäre und die Motivation der Mitarbeiter.

2. 2 Wandel der Unternehmenskultur: Vorteil für Frauen und Männer

Gemeinhin erhoffen sich Befürworter der Frauenquote, dass sich mit steigendem Frauenanteil in Vorständen und Aufsichtsräten ebenfalls die männlich dominierte Unternehmenskultur, die in Deutschland noch aus den 50er Jahren stammt, ändert. Es wird immer noch angenommen, dass der Arbeiter, der am längsten in seinem Büro sitzt, auch das meiste leistet. Diese Präsenzkultur ist allerdings nicht mehr zeitgemäß, es muss eine andere Arbeitsweise gefunden werden. In kurzer Zeit arbeitet es sich eventuell effektiver. Und auch Männern wird der Wandel der Präsenzkultur nicht schaden, denn viele Männer wollen ebenfalls Zeit mit ihren Kindern verbringen.20

Die deutschen Frauen scheinen verinnerlicht zu haben, dass sie nur eins sein können: Karrierefrau oder Mutter. Wenn versucht wird, beides unter den sprichwörtlichen Hut zu bringen, haben sie das Gefühl, dass beides nur defizitär gelingt: In der Arbeitswelt nicht männlich genug, zu Hause nicht weiblich genug.21 Doch bei dem demographischen Wandel wird für das alternde Deutschland Nachwuchs immer wichtiger. Es muss mög- lich werden, beides zu sein und beides sein zu dürfen: Arbeitende und Mutter. Dazu muss man Flexibilität am Arbeitsplatz schaffen, d.h. mittags Zeit einräumen, um Kinder aus dem Hort abzuholen und abends stattfindende Konferenzen vermeiden.22 Darüber hinaus muss es möglich sein, dass eine Frau sich im Beruf nicht männlichen Verhaltens- mustern, Spielregeln oder gar Dresscodes zu unterwerfen hat und beispielsweise einen Rock anziehen darf, anders als es z. B. Marion Knaths, Inhaberin einer Choaching- Agentur vorschlägt: „Hosenanzüge sind besser“23. Denn Weiblichkeit und Effektivität sind keine Gegensätze. Wenn Frauen in Führungspositionen keine Ausnahme mehr sind und sie den Status „der Selbstverständlichkeit erreicht haben“24, werden sie auch weibli- che Arbeitsmethoden anwenden. Und nur das führt zu einem größeren Erfolg in einem Unternehmen. Denn wenn Frauen mit männlichen Arbeitsmethoden arbeiten müssen, braucht man keine Frauen.

Darüber hinaus werden sie als Vorbilder und Identifikationsfiguren für zukünftige Ar- beitnehmerinnen dienen.25 Denn die Behauptung, dass Frauen keine Macht anstreben, so wie Männer es tun, oder die Unterrepräsentation von Frauen nicht von Diskriminie- rungen sondern bloßem Desinteresse seitens der Frauen herrühre26, scheint mir gewagt und simplifizierend zu sein. Denn weder Männer noch Frauen können erahnen, was Frauen wollen würden, wenn sie sich in einer anderen Situation befänden, wenn „sie nicht von Geburt an mit gesellschaftlichen Strukturen konfrontiert [wären], die ge- schlechtsspezifisch geprägt sind und das weibliche Geschlecht benachteiligen“27. Es gibt bestimmte berufliche Optionen, die Frauen von vornherein gar nicht in Betracht ziehen, andere wiederum werden Frauen besonders nahegelegt. So gibt es Präferenzen und Wünsche, die gar nicht wahrgenommen und somit auch nicht verfolgt und verwirklicht werden können.28 Wenn es jedoch weibliche Vorbilder in männlich dominierten Berufen und Positionen gibt, ist es auch für andere Frauen möglich, diesen Berufswunsch auszu- bilden und letzten Endes zu ergreifen.

Darüber hinaus ist der Verzicht auf Karriere bei vielen Frauen vermutlich keine autono- me Entscheidung, sondern ein Kompromiss. Denn die Zahlen der Hochschulabsolven- tinnen sind hoch und ein Abschluss geht doch zumeist mit dem Wunsch einher, ihn be- ruflich zu nutzen. Denn die Alternativen für Frauen wären häufig nicht das Hausfrau- und Mutterdasein, sondern weniger bezahlte, weniger prestigeträchtige, untergeordnete Stellen. Doch warum sollten Frauen nicht auch attraktiv finden, was Männer an einer Karriere reizt: gute Bezahlung, Handlungsspiel- und Freiräume, Prestige?29

3. Die Chancengleichheit - ein zweischneidiges Schwert

Der Begriff Chancengleichheit dient sowohl Befürwortern als auch Gegnern der Frauenquote als argumentatives Instrument, um den jeweiligen Standpunkt zu rechtfertigen. Das liegt an unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs.

3.1 Der formale Begriff der Chancengleichheit

Die Gegner der Quote bedienen sich des formalen Begriffes der Chancengleichheit. Formal und gesetzlich besteht in der BRD Chancengleichheit, nach Artikel 3 GG dürfen Frauen nicht diskriminiert werden und es geschieht auch (so gut wie) gar nicht mehr, dass Frauen ein Arbeitsplatz oder eine Ausbildung ausdrücklich aufgrund ihres Geschlechtes verwehrt bleibt.

In diesem Sinne bedeutet Chancengleichheit eine „strikte Gleichbehandlung bei der Stellenvergabe“30 und eventuell vorherige Maßnahmen, damit Frauen Qualifikationen erreichen und ihre Talente fördern können, um eine faire Chance zu haben, in Konkurrenz zu männlichen Bewerbern zu treten.31

Allerdings wird oft behauptet, dass Frauen eine bessere Qualifikation bräuchten, um als genauso gut zu gelten wie ein Mann.32 Das ist unter anderem ein Resultat der informel- len Diskriminierung, die unbewusst sowohl von Männern als auch von Frauen ausgeht. Die Einstellungen, die zur Benachteiligung der Frauen führen, sind tief in der Gesell- schaft verankert.33 Daher reicht bloße formelle Chancengleichheit nicht aus, vorerst muss den informellen Diskriminierungen entgegengewirkt werden. Um das zu errei- chen, müssen sich Frauen beweisen und in den Führungsetagen präsent sein, um den Vorurteilen aktiv entgegenzuwirken.

3.2 Der substantielle Begriff der Chancengleichheit

Die Befürworter der Quote argumentieren mit einem substantiellen Begriff der Chancen- gleichheit, faktisch und gesellschaftlich ist die Chancengleichheit nicht erfüllt. Hier geht es um die tatsächliche Gleichheit der Chancen,34 um den Unterschied zwischen geschrie- bener Verfassung und Verfassungswirklichkeit: Erst wenn die im Grundgesetz festgeschriebene Chancengleichheit verwirklicht ist, wird das Land auch dem Grundgesetz und seinen eigenen moralischen Ansprüchen gerecht.

Nun wird den Befürwortern der Frauenquote oft vorgeworfen, nicht Chancengleichheit herstellen, sondern lediglich Machtinteressen durchsetzen zu wollen. Denn Chancen- gleichheit bedeutet nicht, eine bestimmte prozentuale Verteilung erreichen zu müssen. Sie ist auch nicht dazu da, einen wünschenswerten Endzustand herzustellen, sie bedeutet lediglich, dass alle Bewerber und Bewerberinnen bei der Stellenvergabe exakt gleich be- handelt werden. Dass in der prozentualen Verteilung der Besetzung von Stellen noch lange Zeit vergangene Diskriminierungen ablesbar sind, wird hingenommen.35 Dieses Argument fußt jedoch wieder auf dem formalen Verständnis der Chancengleichheit und übersieht darüber hinaus, dass bei der Stellenvergabe nicht nur die vergangene Diskrimi- nierung, sondern vor allem ein noch heute bestehendes „effizientes System informeller Diskriminierung“36 eine Rolle spielt.

4. Ist die Quote moralisch vertretbar?

Aus jeder Art von Frauenförderung, und besonders bei einer Quote, ergibt sich ein moralisches Problem: Werden dadurch Männer diskriminiert? Verstößt eine Bevorzugung der Frauen gegen die Gleichheit vor dem Gesetz?37 Denn ein Präferieren von Frauen bei Berufsvergaben oder Beförderungen verstößt gegen Artikel 3 GG:

„(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. […]
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“38

Widerspricht es der liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, Unternehmen ge- setzlich dazu zu zwingen, Frauen statt Männer einzustellen? Werden durch eine Frauen- quote die Gleichheitsideale zugunsten feudalistischer Zustände verletzt, so wie es Bernd Gräfrath konstatiert? Werden somit „Machtkämpfe [..] auf dem Rücken der in langen Kämpfen durchgesetzten bürgerlichen Freiheitsrechte ausgetragen“?39

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich darüber hinaus den Artikel 3 Abs. 2 GG genauer vor Augen führen:

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“40

Demnach ist der im Grundgesetz angestrebte Zustand nicht der der formalen Chancengleichheit, sondern der der substantiellen, auch in der sozialen Wirklichkeit vorhandenen Chancengleichheit.

Wenn die programmatische Gleichberechtigung, die im Artikel 3 proklamiert wird, auf die strukturellen Benachteiligungen der Frauen trifft, ergibt sich, dass die Chancen- gleichheit keine reale ist. Auf der Basis begünstigender Maßnahmen, die laut Grundge- setz gewünscht und gefordert sind, wird Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG Realität.41 Das Bundesverfassungsgericht hält begünstigende Maßnahmen als Verstoß gegen das Diskri- minierungsverbot des Artikel 3 Absatz 3 GG für rechtens, wenn sie durch das Gleichbe- rechtigungsgebot im Artikel 3 Absatz 2 GG gerechtfertigt sind. Ebenfalls die Rentenal- ter-Entscheidung begründete das BVG damit, dass faktische Nachteile auf Grund von Artikel 3 Absatz 2 GG durch begünstigende Maßnahmen ausgeglichen werden können.42 Es gibt zwei Hauptargumente zur Rechtfertigung einer Frauenquote, die ich im Folgen- den anführen und diskutieren werde.

4.1 „Kompensation für erlittenes Unrecht“

Die Kompensationstheorie beruft sich 43 auf die retributive Gerechtigkeit, wodurch in der Vergangenheit erlittenes Unrecht ausgeglichen und die Unterdrückung der Frauen wiedergutgemacht werden soll: Männer haben Frauen jahrhundertelang diskriminiert, Frauen mussten kämpfen, um arbeiten zu dürfen, um wählen zu dürfen etc., nun müssen auch Männer mal kürzer treten.

[...]


1 Vgl.: Beyer, Susanne / Claudia Voigt: Die Machtfrage. In: Spiegel 5 / 2011. S. 60. Siehe Anhang.

2 Vgl.: Merkel gegen Frauenquote per Gesetz. http://www.tagesschau.de/inland/frauenquote128.html. (letzte Einsicht:

27.02. 2011).

3 Vgl.: Höfner, Roman: Infografik: Eine Frage der Quote - Frauen und Karriere. http://www.spiegel.de/video/video- 1106477.html (letzte Einsicht: 27. 02. 2011).

4 Vgl.: WoB-Index. http://www.fidar.de/WOB-Index.92.0.html (letzte Einsicht: 27. 02. 2011).

5 Vgl.: EU will Konzerne mit Frauenquote bändigen. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,717963,00.html (letzte Einsicht: 27. 02. 2011).

6 Vgl.: Von der Leyen stellt Macho-Firmen Ultimatum. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,740316,00.html (letzte Einsicht: 27. 02. 2011).

7 Kristina Schröder will Frauenquote nach Belieben. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,742143,00.html (letzte Einsicht: 27. 02. 2011).

8 Vgl.: Merkel gegen Frauenquote per Gesetz.

9 Vgl.: Compensis, Ulrike: Frauenquote (nicht nur) am Prüfstand des EU-Rechts. In: Boshammer, Susanne / Matthias Kayß: Halbe-Halbe? Zur Gerechtigkeit der Frauenquote. Münster 1999. S. 159.

10 Vgl.: Compensis: Frauenquoten. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 155.

11 Vgl.: Baumgarten, Pascal / Georges Desvaux, Sandrine Devillard-Hoellinger: Women Matter. Gender diversity, a corporate performance driver. http://www.mckinsey.de/downloads/publikation/women_matter/Women_Matter_1_brochure.pdf (letzte Einsicht: 27. 02. 2011).

12 Vgl.: Beyer / Voigt: Machtfrage. In: Spiegel 5 / 2011. S. 61.

13 Dettmer, Markus / Claudia Voigt: „Das tut richtig weh“. In: Spiegel 5 / 2011. S. 65.

14 Vgl.: Baumgarten P. / G. Desvaux, S. Devillard-Hoellinger: Women Matter. Exhibit 9. S. 14.

15 Vgl.: Tuma, Thomas: XY ungelöst. In: Spiegel 6 / 2011. S. 126.

16 Vgl.: Zukunftsvermögen Bildung. http://www.mckinsey.de/html/kompetenz/industry_practices/public_services/public_services_zukunftsvermoegen_bi ldung.asp (letzte Einsicht: 01. 03. 2011).

17 Vgl.: Beyer / Voigt: Machtfrage. In: Spiegel 5 / 2011. S. 67.

18 Tuma: XY. In: Spiegel 6 / 2011. S. 126.

19 Luig, Judith: Männer und Frauen leben in getrennten Welten. http://www.welt.de/vermischtes/partnerschaft/article12627521/Maenner-und-Frauen-leben-in-getrennten- Welten.html (letzte Einsicht: 24. 03. 2011).

20 Vgl.: Beyer / Voigt: Machtfrage. In: Spiegel 5 / 2011. S. 63.

21 Vgl.: ebd. S. 67.

22 Vgl.: ebd. S. 68.

23 Vgl.: ebd. S. 60.

24 Pfarr, M. Heide: Quoten sind nicht alles, aber ohne Quoten ist alles nichts. In: Arioli, Kathrin (Hrsg.): Quoten und Gleichstellung von Frau und Mann. Basel 1996. S. 9.

25 Vgl.: Gräfrath, Bernd: Umgekehrte Diskriminierung. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 65. 26 Vgl.: ebd. S. 73.

27 Pfarr: Quoten. In: Arioli: Gleichstellung. S. 5.

28 Rössler, Beate: Quotierung als moralisches Problem. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 35.

29 Vgl.: Herrmann, Martina: Quotierung als Mittel gerechter Verteilung. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 87f.

30 Gräfrath: Diskriminierung. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 62.

31 Vgl.: ebd.

32 Vgl.: Compensis: Frauenquoten. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 153f.

33 Vgl.: ebd. S. 69.

34 Vgl.: Rössler: Quotierung. In: Boshammer / Kayß : Halbe-Halbe? S. 35ff.

35 Vgl.: Gräfrath: Diskriminierung. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 62ff.

36 Rössler: Quotierung. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 37.

37 Vgl.: Herrmann: Verteilung. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 78.

38 Artikel 3. Gleichheit vor dem Gesetz. In: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Berlin 2010. S. 15. (Hervorhebung durch Autor)

39 Gräfrath: Diskriminierung. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 72.

40 Artikel 3. In: Grundgesetz. S. 15.

41 Compensis: Frauenquoten. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 150f.

42 Sacksofsky, Ute: Die verfassungsrechtliche Beurteilung von Quotenregelungen. In: Arioli: Gleichstellung. S. 28.

43 Gräfrath: Diskriminierung. In: Boshammer / Kayß: Halbe-Halbe? S. 54.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Ist eine gesetzliche Frauenquote in der Wirtschaft sinnvoll?
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften)
Veranstaltung
Frauen und Politik - Politik und Frauen
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
21
Katalognummer
V272109
ISBN (eBook)
9783656635819
ISBN (Buch)
9783656635796
Dateigröße
754 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frauenquote, Frauen und Politik, Frauen Wirtschaft, Aufsichtsräte, Vorstände, Führungspositionen, Frauen, Politik, Wirtschaft, Geschlechtergerechtigkeit, Gender
Arbeit zitieren
Victoria Flägel (Autor:in), 2011, Ist eine gesetzliche Frauenquote in der Wirtschaft sinnvoll?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272109

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