Leseprobe
Index
A Einführungsteil
1. Einleitung
B Hauptteil
2. Konzeptualisierung
a. Definition relevanter Begriffe
b. Theoretisches Gerüst der Analyse
3. Operationalisierung (OP)
a. Unabhängige/erklärende Variablen
b. Abhängige Variablen
4. Empirische Analyse
C Schluss
5. Konklusion
D Zusätzliches
6. Abkürzungsverzeichnis
7. Vermerke
8. Literatur
1. Einleitung
Mit der Auflösung der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre ist nicht nur der Ost-West-Konflikt (OWK) Geschichte, sondern damit einhergehend auch eine wichtige Konstante im internationalen System: die Bipolarität zwischen den USA und der Sowjetunion als den zwei Hegemonialmächten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aus der darauffolgenden unipolaren Stellung des einzig verbliebenen Hegemons - der USA - ist jedoch spätestens mit dem durch die Globalisierung provozierten Aufkommen neuer (Wirtschafts-)Mächte Anfang des 21. Jahrhunderts eine neue Unübersichtlichkeit bzw. Unsicherheit entstanden, welche Wissenschaft, Politik und Gesellschaft gleichermaßen vor große Herausforderungen stellt.
Insbesondere die neorealistische Denkschule der internationalen Beziehungen ist durch die mangelnde Prognosekraft in Bezug auf das Ende des „Kalten „Krieges“, v.a. durch idealistisch-liberale Gegenpositionen, in Kritik geraten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die spannende Frage, ob der Neorealismus noch (oder wieder) geeignet ist, aktuelle Funktionslogiken in der internationalen Politik adäquat zu erklären. Basierend auf der Annahme sich verschiebender Machtverhältnisse in der Welt wird in der vorliegenden Arbeit folgender Fragestellung nachgegangen: wie lassen sich die bilateralen Beziehungen zwischen der EU und Brasilien anhand der neorealistischen Denkschule interpretieren?
Da diese Arbeit die Funktionsbedingungen von Politik zwischen Staaten1 in den Fokus stellt und nicht isoliert betrachtete Logiken des Außenverhaltens eines Staates, wird die erwähnte neo realistische und damit eine systemische Theorie- Fundierung gewählt (Schieder u. Spindler 2010, S.59 ff.). An dieser Stelle sei kurz auf die von Kenneth Waltz geübte Kritik am „klassischen“ Realismus von Hans J. Morgenthau et.al. verwiesen: dieser (Waltz) hat in Rechnung gestellt, dass eine Theorie der internationalen Politik nicht nur von den interagierenden Staaten allein ausgehen könne, sondern v.a. den sich aus den zwischenstaatlichen Beziehungen ergebenden Gesamtzusammenhang im Blick haben müsse (Waltz 1990).
Zielsetzung der Analyse ist es, herauszufinden, inwieweit die Beziehungen zwischen der EU und Brasilien von den jeweiligen staatlichen Interessen geleitet werden und darzulegen, welche dies konkret sind.
Hierzu wird zunächst eine Definition wichtiger Begriffe vorgenommen, ehe auf die theoretische Basis der Hausarbeit eingegangen wird. Anhand der neorealistischen Analyse-Konzepte von Kenneth Waltz, Stephen Walt, Randall Schweller und Robert Gilpin werden die zu überprüfenden Hypothesen und Variablenkonstrukte erarbeitet, welche der Operationalisierung dienen und sodann der empirischen Überprüfung unterzogen werden. Die methodologische Vorgehensweise von neorealistischen Ansätzen ist in der Tradition des naturwissenschaftlich-ökonomischen Szientismus anzusiedeln, welcher durch Deduktion und auf Basis weniger zentraler Annahmen allgemeine Interaktionsmuster und Strukturmerkmale der internationalen Beziehungen zu erklären versucht. Es handelt sich also um einen Theorietest.
Da sich die Analyse vor allem auf die 2007 ins Leben gerufene strategische Partnerschaft zwischen der EU und Brasilien konzentriert, bildet die Periode von 2007 bis aktuell den Untersuchungszeitraum. Allerdings muss auch immer wieder auf zeitlich weiter zurückliegendes Material zurückgegriffen werden, da ohne die historische Entwicklung die aktuellen Beziehungen zwischen der EU und Brasilien nicht adäquat nachvollzogen werden können.
2. Konzeptualisierung
2 a. Definition relevanter Begriffe
Zunächst ist es wichtig, den Begriff der Macht zu veranschaulichen. Macht spielt nicht nur in der Politikwissenschaft insgesamt eine übergeordnete Rolle, sondern v.a. im Bezug auf die (neo)realistischen Theorieströmungen. Max Weber definiert Macht als Chance, den eigenen Willen auch gegen Widerstand anderer durchzusetzen, wobei diese Chance auf unterschiedlichsten Machtmitteln beruhen kann (von Bredow 2013, S.24). Aus der Perspektive des „klassischen“ Realismus im Geiste Hans J. Morgenthaus, ist Macht Herrschaft von Menschen über Menschen. (Schieder u. Spindler 2010, S.49). Allerdings sieht sich diese vage Definition mehr oder minder scharfer Kritik v.a. von neorealistischer Seite ausgesetzt und wird durch die Begriffs-Kategorie des Interesses ergänzt. In einer Theorie, die Staaten als die entscheidenden bzw. einzigen Akteure in der internationalen Politik festmacht, muss Interesse notwendigerweise national verstanden werden.
Nationales Interesse „ist zunächst das, was (außen-)politischen
Entscheidungsprozessen gewissermaßen als abstrakte, aus dem Handeln der beteiligten politischen Akteure amalgamierte Motivation zugrunde liegt (...)“ (Maull 2006). Die Definition dessen, was das nationale Interesse konkret ist, obliegt in der Regel der Regierung und hat daher subjektiven Charakter. In neorealistischer Perspektive wird jedoch unterstellt, dass das primäre Ziel eines Staates die Selbsterhaltung ist, was auf den Begriff der Sicherheit als zentrales Element des nationalen Interesses verweist.
Gemeint ist vorwiegend die politisch-militärische Sicherheit, die man in eine innere und äußere Dimension aufspalten kann. Innere Sicherheit meint die Aufrechterhaltung der fixierten Ordnung innerhalb des Staates. Äußere Sicherheit bezieht sich auf den Schutz vor externen Angriffen auf den Staat (von Bredow 2013, S.1). Wenn Buzan und Hansen davon sprechen, dass „security is about constituting something that needs to be secured (…). Whether in the form of 'national security' 2 , or later, as traditionalist 'international security', the nation/state was the analytical and normative referent object.“ (Buzan u. Hansen 2010, S. 10-11), wird deutlich, dass der Bezugspunkt der hier verstandenen Sicherheit der Staat bzw. die Nation ist3.
Das sog. Sicherheitsdilemma ist diejenige soziale Konstellation, welche sich ergibt, wenn „units“ (in diesem Fall Staaten) in ihren Beziehungen zueinander keinem von einer höheren Stelle gesetzten Normen-Gerüst unterliegen, was sie daran hindern könnte, sich gegenseitig anzugreifen (Herz 1961). Konflikte gehen demnach nicht aus einem anthropologisch begründeten Machttrieb - wie der „klassische“ Realismus behauptet -, sondern aus der Struktur des internationalen Systems hervor. Die Struktur des internationalen Systems, in welcher Sicherheit als nationales Interesse lokalisiert wird, ist durch Anarchie gekennzeichnet.
Anarchie bedeutet in diesem Zusammenhang die Abwesenheit eines zentralen und überstaatlichen Gewaltmonopols, sprich einer Art „Weltregierung“, sodass sich die Staaten in einem fortwährenden und ungebremsten Wettstreit befinden (Zangl u. Zürn 2003, S.43).
Das internationale System ist demgegenüber die Analyse-Einheit der systemischen Ansätze in den Internationalen Beziehungen. Diese können verstanden werden als „ (…) ein Beziehungsgeflecht grenzüberschreitender Interaktionen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure (…), die gewöhnlich in die Bereiche der internationalen Politik und der transnationalen Beziehungen unterteilt werden.“ (Schieder u. Spindler 2010, S.18). In Bezug auf das gewählte Thema interessieren die genuin politischen Beziehungen zwischen der EU und Brasilien, welche bilateraler Natur sind.
Bilateralität meint schlicht Zweiseitigkeit. Bilateralismus als gewissermaßen (ver-)wissenschaftlich(t)er Begriff stellt das System zweiseitiger Abkommen im internationalen politischen und wirtschaftlichen Verkehr dar (Springer Gabler Verlag 2014). In logischer Konsequenz ist mit Multilateralismus die Mehrseitigkeit von Abkommen bzw. generell zwischenstaatlicher Beziehungen gemeint.
2.b Theoretisches Gerüst der Analyse
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, erweist sich für die Beantwortung der Forschungsfrage das neorealistische Theorie-Angebot als sinnvoll. Dies wird jedoch nur deutlich, wenn nochmal kurz auf den „klassischen“ Realismus eingegangen wird, der gewissermaßen der Kritik- und Ansatzpunkt für neorealistische Denkansätze war und ist.
Das viel zitierte Werk „Politics Among Nations“ von Hans J. Morgenthau wird als die Geburtsstunde des „klassischen“ Realismus gesehen, wobei sich der US-amerikanische Politikwissenschaftler maßgeblich von früheren Schriften der Denker Machiavelli, Thukydides, Hobbes, Weber u.a. inspiriert sieht. Dieses opus magnum der internationalen Beziehungen enthält die zentrale realistische Aufforderung, die „Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist“ (Schieder u. Spindler 2010, S.39). Damit lässt sich auch erklären, dass der Realismus als Antwort bzw. Kritik auf den Idealismus zu verstehen ist, welcher die Entwicklung von internationalen Organisationen zur Befriedung der Welt und dies v.a. als Antwort auf den ersten Weltkrieg propagiert hat. Dem Idealismus wird unterstellt, dass dieser Aspekte der Gewalt und Macht ignoriere und deshalb eine enorme Diskrepanz zwischen idealistischer Welt- Vorstellung (wie die Welt sein sollte) und realer politischer Gegebenheiten (wie die Welt wirklich ist) existiere4. Zentrales Vorhaben des Realismus ist daher die wissenschaftliche Erklärungskraft des politischen Geschehens. Zudem wird deutlich, dass Macht die Analyse-Kategorie in Morgenthaus Überlegungen ist. Staaten können zwar aus vielschichtigen Motivlagen heraus handeln, letztlich bleibe, so Morgenthau, das Mittel zur Erreichung nationaler Ziele immer die Macht (Schieder u. Spindler 2010, S.46 f.). Wenngleich Morgenthau beide Begriffe im gleichen Atemzug nennt, entsteht durch die fehlende definitorische Präzision der Eindruck eines Zirkelschlusses zwischen Macht und Interesse im Realismus (Schieder u. Spindler 2010, S.50 f.). Hier unterscheidet sich der „klassische“ vom Neorealismus, da letzterer die Verstehens-Kategorie des Interesses in den Mittelpunkt der Analyse von internationaler Politik stellt und staatliches Handeln nicht aufgrund angeborener Machttriebe, sondern aufgrund der strukturellen Bedingungen des internationalen Systems erklärt. Macht wird eher als Mittel zur Interessenverfolgung verstanden. Es wird desweiteren unterstellt, dass die anarchische Struktur Staaten dazu zwingt, in erster Linie ein auf Sicherheit und Überleben fixiertes nationales Interesse zu verfolgen. Die analytische Perspektive ist vergleichbar mit der ökonomischen Logik des Marktwettbewerbs: Staaten agieren demzufolge wie Unternehmen am freien Markt und streben statt Gewinnmaximierung die Maximierung ihrer Sicherheit an. Idealerweise pendelt sich so das internationalen System (wie der Markt) immer wieder auf ein Gleichgewicht ein (Behrens et al. 2005, S.47).
In Verbindung mit der Forschungsfrage lässt sich folgende Hypothese formulieren: Brasilien und die EU versuchen mit Hilfe einer strategischen Partnerschaft ihre jeweilige Machtposition im internationalen System zu verbessern, um nationale Interessen besser verfolgen zu können. Um die Hypothese empirisch überprüfen zu können und/oder sie ggf. zu spezifizieren, bedarf es einer weiteren theoretischen Diversifizierung. Diese orientiert sich an den vier neorealistischen Denkern Kenneth Waltz, Stephen Walt, Randall Schweller und Robert Gilpin. Im Folgenden wird kurz auf die jeweils wichtigsten Annahmen eingegangen, um eine Basis für die Operationalisierung zu schaffen.
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