Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. His Name It Is Nothin’ ? Eine Einleitung
2. Blowin In The Wind: Versuche, einen Künstler zu fassen
3. Rainy Day Women #12 & 35- Analyse
4. Rainy Day Women #12 & 35- Interpretationen
4.1 Go and lets get stoned!
4.2 Der Messias
5. Don't Think Twice, It's All Right! Ein Fazit
6. Anhang: Songtext Rainy Day Women #12 & 35
7. Literaturverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
1. His Name It Is Nothin’ ? Eine Einleitung
Vielleicht ist es nicht klug so etwas einer solchen Arbeit voranzusetzen, aber die Autorin kannte Bob Dylan vor dem Seminar Hollywood Music Biopic in einem Sinne, der landläufig als „vom Hörensagen“ bezeichnet wird.
Die erste Begegnung mit Bob Dylan fand durch „I´m not there“1 statt. Es entstand der Eindruck, dass es sich bei diesem Künstler um eine bewegende Persönlichkeit zu handeln scheint. Da „I`m not there“ jedoch ein Biopic ist, wundert es zunächst nicht, dass Bob Dylan dort als eine solche dargestellt wird.
Die weitere Suche und Recherche in Büchern, die sich dem Thema Folk gewidmet haben, zeigt, dass es sich bei Bob Dylan tatsächlich um eine Ausnahmeerscheinung handelt. Der Blick in das Personenregister des Buches Folk von C.-L. Reichert zeigt: 25 Einträge zu Bob Dylan, selbst Woody Guthrie schafft es hier nur auf 7. In Folksong von Denselow und anderen beträgt das Verhältnis immerhin 37 zu 16.
Diese Fakten und ersten Eindrücke lassen Feuer fangen und wecken den Wunsch, mehr zu erfahren über diesen Mann, der als die Personifizierung des Folkrevival2 bezeichnet wird und anscheinend in Newport die Gemeinde ebenjenes Genres gehörig vor den Kopf gestoßen hat. Beginnt man seine Begegnung mit Bob Dylan mit dem oben erwähnten Biopic dann bleibt vor allem das Gefühl zurück, nicht viel verstanden zu haben von dem Künstler, Menschen, Mann und Selbstdarsteller Bob Dylan. Schreibt man diesen Eindruck zunächst dem eigenwilligen Drehbuch zu, so muss man nach eigener Recherche der Erkenntnis Rechnung tragen, dass dieses Drehbuch tatsächlich einige Berechtigung hat: Interviews, in denen Bob Dylan sich im Zeilenabstand selbst revidiert, neu erfindet, plötzlich ganz verstummt, Ablenkungsmanöver des Künstlers, der in dem einen Moment vorgibt nach Jerusalem3 ziehen zu wollen um später zu behaupten, ihm sei Jesus erschienen4.
All dies kann frustrieren, motivieren oder inspirieren - der Wunsch das Phänomen Bob Dylan zu verstehen ist zwar nachvollzieh- aber nicht erfüllbar. Vielleicht trifft auf Bob Dylan zu, was er selbst über Folksongs gesagt hat: „Jeder Folksong hat über tausend Gesichter […]. Ein Folksong kann in der Bedeutung variieren […]. Das hängt davon ab, wer ihn spielt und wer ihm zuhört“5.
Diese Arbeit ist daher nicht als ein Versuch zu verstehen, möglichst viele Fäden des Mysteriums zu verstricken, sondern mehr als das Häkeln mit einer Nadel. Dies soll in dem Versuch geschehen, einige Muster in dem Kult um Bob Dylan zu erkennen. Ein besonderes Phänomen ist, dass er als Identifikationsfigur seiner Generation gebraucht wurde- er selbst dies jedoch als Missbrauch empfand. Diese „paranoische Flucht vor der Vereinnahmung durch andere“6 unterscheidet ihn von anderen Künstlern ähnlicher Ausdruckskraft. Es stellt sich die Frage, warum gerade er sein Publikum dazu brachte, als ihr Sprachrohr (miss-) verstanden zu werden. Dieser Frage soll im Sinne eines Einstiegs zu Beginn dieser Arbeit nachgegangen werden.
Der Song Rainy Day Women #12 & 35 ist ein ausgewähltes Beispiel anhand dessen gezeigt werden soll, wie Bob Dylan seine Songs einem Kaleidoskop gleich nutzt, um scheinbare Facetten seiner Person zu völlig neuen Mustern zusammenzusetzen.
2. Blowin In The Wind: Versuche, einen Künstler zu fassen
Pete Seeger zitierte einmal Bob Dylan mit der Aussage, die bürgerliche Schublade, in die der Folk gesteckt wurde, sei ungesund7. Ganz offensichtlich trifft dies nicht nur auf das Genre, sondern ganz besonders auch auf den Musiker Dylan selbst zu.
Das Kaleidoskop Dylan drehte sich beständig, doch zweimal mit einem solchen Ruck, dass die Auswirkungen bis in die heutige Zeit zu spüren sind.
Der erste Ruck ereignete sich, „als er 1965 seine Gitarre an einen Verstärker anschloss“8. Das war in New Port, Rhode Island, auf dem bedeutenden Folkfestival, das einige Jahre zuvor unter anderem vom späteren Manager Dylans, Al Grossman9, ins Leben gerufen wurde. Der zweite Ruck 1979, als sein ungläubiges Publikum sich plötzlich unfreiwillig in einem Gospelkonzert wiederfand und er ihrem Protest tatsächlich mit einer Predigt begegnete10.
Besonders in älterer Literatur kann man dem politisch- moralischen Pathos, der Dylan umgibt, original nachspüren: Im eingangs erwähnten Rowohlt- Werk Folksong von 1985 wird ihm attestiert, er habe den „revolutionärsten und politischsten Protestsong überhaupt“11 geschrieben und sei der „Volksbarde“12 einer Bewegung, die „das Herz auf dem rechten Fleck“13 hatte. Diese Ausdrücke verdeutlichen, mit welcher Emotionalität man dem Phänomen Dylan begegnete und bis heute begegnet. In seiner Folkzeit bediente er das Bedürfnis vieler nach Ursprünglichkeit, die mit Authentizität und heiler Welt gleichgesetzt wurde14. Aber Dylan wollte nicht, dass seine Songs mit den Ideen der jeweiligen Zeit konform gehen15 und er glaubte auch nicht an ein letztes großes Ziel der Kunst16.
Er drücke einfach nur aus, wie er die Welt empfinde, kann man in seiner Biographie Chronicles lesen17. Es war ein tief empfundener Sog der Veränderung der Amerika erfasste „und ich schwamm einfach mit18 “. Oft scheint es, als sei er sich nicht im Klaren darüber, welche Dynamik ihn erfasste und warum. Dies nahmen viele andere zum Anlass, Spekulationen anzustellen.
Lässt man Dylan selber zu Wort kommen, klingt das so:
Manchmal weiß man, dass sich etwas ändern muss, ändern wird, aber es ist nur eine Ahnung […] man hat es nicht klar und zielsicher vor Augen. Unscheinbare Vorzeichen kündigen einen Wandel an, doch sie sind nicht leicht zu erkennen. Und dann gerät auf einmal alles in Bewegung, man springt ins Unbekannte und findet sich in einer anderen Welt wieder, die man instinktiv versteht - man ist befreit.19
Es sind diese Art Äußerungen, die aus dem Künstler eine Art Orakel machten, in das jeder hineinlesen konnte, was er oder sie für die Wahrheit hielt und hält. Bei der Beschäftigung mit Dylan kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass er Wahrheit, besonders in Bezug auf sich selbst, für überflüssig und behindernd hielt. Dylan litt unter den üblichen Symptomen desjenigen, der sein Geld im Rampenlicht verdient: Verlust von Privatsphäre durch Belagerung von Journalisten und Fans, Probleme in Verbindung von Job und Familie und dem ständigen Missverstandenwerden durch sein Publikum.
Das Besondere an der Dylanology ist jedoch die Leidenschaft, mit der dem stilisierten Künstler politische Motive angedichtet wurden:
Ich hatte die Schnauze voll davon, dass ich zum Obermufti geweiht worden war. Dass man alles Mögliche in meine Texte hineingeheimniste […] und dass ich zum Oberpropanz der Rebellion ernannt worden war, zum Hohepriester des Protests, zum Zaren der Andersdenkenden, zum Herzig der Befehlverweigerung, zum Chef der Schnorrer, zum Kaiser der Ketzer, zum Erzbischof der Anarchie, zum großen Zampano.20
Weiß der Teufel, was das sollte.
Eine Wegbegleiterin Dylans ist die große Folksängerin Joan Baez. Sie war selbst schon ein Star, als sie begann mit dem damals noch unbekannten Dylan Musik zu machen. Im Gegensatz zu Dylan verstand sie sich selbst als ausgesprochen politische Sängerin und die Musik, die sie machte durchaus als Protest. Im Laufe ihrer Zusammenarbeit erfuhr jedoch auch sie, in welchem Maße Dylan sich jeder Art von Etikettierung entzog. Baez` Wunsch, gemeinsam mit Dylan einen starken Motor für die politische Bewegung zu bilden, wurde nicht erfüllt. „All he wanted to do was music and I wanted to do all this other stuff“. So trennten sich ihre Wege wieder. Baez versucht noch heute zu verstehen, wie Dylan die „greatest songs in our anti-war- civil-rights-movement“ schreiben und sich doch allen poltischen Statements verweigern konnte21.
Phil Ochs, ein weiterer so genannter amerikanischer Protestsänger und damit Zeitgenosse und Zeuge vermutete, dass Dylan und seine Musik in der Psyche der Menschen verankert seien22. Tatsächlich sehnte sich die (politische) Jugend nach Glaubhaftigkeit in der Politik und sah diesen Wunsch in Dylan erfüllt23. So ähnlich wird dies auch in der Pichaske Studie interpretiert, die den Studierenden der 60er attestierte, sie wollten „mit aller Macht, dass alles eine Bedeutung haben sollte“24. Ihnen musste es brutal erscheinen, wenn ihr Idol mitteilte: „I`m trying to go up without thinking about anything trivial, such as politics”25.
Mit der Abkehr von der „reinen“ Folkmusik enttäuschte Dylan nicht nur seine Fans, sondern zertrümmerte ihre Hoffnungen. Die Fans fühlten sich betrogen26:
Suzen Rotolo, die jahrelang mit ihm liiert war, schreibt in ihrer Biographie: „All diese Diskussionen über seine neue Richtung- den Verrat, wie viele es nannten- hatten für mich etwas Dogmatisches und Starres. Das war nicht die Reaktion schockierter Fans. Es steckte mehr hinter dieser Verurteilung“27.
1963 in New Port sang er zu den informiertesten und einflussreichsten jungen Menschen Amerikas. Es waren jene, die im Sommer 1963 unter tödlicher Gefahr für die Wahlrechte der Schwarzen im Süden auf die Straße gegangen waren. Ihnen hatten seine Songs Mut gegeben. Sie fühlten sich durch seine Musik verstanden und verbunden- miteinander und mit dem Künstler. Dann spürten sie, dass ‚ihr’ Dylan ihnen entglitt28. Sie hatten geglaubt, einen politischen, prophetischen, persönlichen Wegbegleiter gefunden zu haben und mussten dann schmerzhaft erkennen, dass diese Bindung einseitig war. Mickey Jones, Schlagzeuger auf Bob Dylans Welttournee, fasst die paradoxe Beziehung zwischen Publikum und Künstler zusammen: „He was someone who everyone loved and they didn`t like what he was doing”29.
3. Rainy Day Women #12 & 35- Analyse
Rainy Day Women #12 & 35 erschien 1966 als erster Titel auf dem Album Blonde on Blonde.
Dieses erfolgreiche Doppelalbum entstand innerhalb eines Jahres, während Dylan und seine Band auf Welttournee waren. Obwohl einiges daraufhin deutet, dass der Künstler psychisch und physisch am Ende seiner Kräfte war30, schien dies seiner Kreativität keinen Abbruch zu tun. Im Gegenteil: „Blonde ist ein großartiges Werk, ein Meilenstein, der seinen mit Back home begonnenen ersten großen Rockzyklus abschließt31.
An mehreren Stellen32 wird als eine Ursache für diesen Erfolg die besondere, inspirierende Atmosphäre zwischen Dylan und seinen Musikern an ihrem neu entdeckten Studioort Nashville.
Dylan berichtet in einem Interview, es sei „dieser dünne, dieser quecksilbrige Klang“33, den er im Kopf höre und den er einzig auf einigen Titeln des Albums Blonde On Blonde erreicht hätte. Eine große Rolle der Erzeugung dieses Sounds spielten auf der einen Seite die Instrumente, die durch eine „federnde und doch scharfe, strikt durchartikulierte, aber schwerelose Eleganz“34 bestechen. Auf der anderen Seite der Gesang Bob Dylans, der „wie von den Gewichten der Erde abhebt“35, während er gleichzeitig die Gravitation im menschlichen Strebens besingt.
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1 Biopic des Regisseurs Todd Haynes von 2007, Tobis
2 Frey, Siniiver: Die Geschichte des Folk, 207
3 Shelton: Bob Dylan, 558
4 MGG, Sp. 1794
5 Dylan: Chronicles, 75
6 MGG, 1769
7 Frey; Siniveer: Eine Geschichte der Folkmusik, 207
8 MGG, Sp. 1796
9 No Direction Home, Disc 1, min. 1:28
10 Detering: I believe, 111
11 S. 51
12 S. 173
13 S. 201
14 Shapiro: Drugs, 142
15 Dylan: Chronicles, 94
16 Klein. My name, 32
17 S. 54
18 Dylan: Chronicles, 77
19 Dylan: Chronicles, 65
20 Dylan: Chronicles, 124
21 No Direction Home, Disc 2, min. 26 ff.
22 Marcus: Basement Blues, 29
23 Macus, Basement Blues, 39
24 Shapiro: Drugs, 141
25 No Direction Home, Disc 2, min 0:09
26 Marcus: Basement Blues, 41
27 Rotolo: Als sich die Zeiten, 246
28 Boyd: White Bicycles, 120
29 No Direction Home, Disc 2, min. 1:09
30 No Direction Home, Disc 2, min 1:20 ff.
31 Shelton: Bob Dylan, 451
32 Williams: Like, 286 f. und Shelton: Bob Dylan, 451
33 Klein: My name, 38f.
34 Klein: My name, 39
35 Klein: My name, 39