Mode und Nachhaltigkeit

Eine Untersuchung auf der Grundlage von Georg Simmels "Philosophie der Mode"


Bachelorarbeit, 2013

31 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Überblick über die Philosophie der Mode von Georg Simmel

3. Die Mode

4. Nachahmung, individuelle Differenzierung und die Bedeutung der Individualität

5. Moderne Beschleuniger des Modewandels
5.1 Die Beziehung von Kapitalismus und Mode
5.2 Massenproduktion und Massenmedien

6. Alles ist im Umbruch
6.1 Gegenwart als verbleibende stabile Größe
6.2 Frauenmode
6.3 Jugendmode
6.4 Neues und Wandel

7. Paradoxien, Widersprüchlichkeiten und Seltsamkeiten in Bezug auf Mode
7.1 Wandel und Beständigkeit
7.2 Kauf, Gebrauch, Verschleiß
7.3 Konsumterror
7.4 Anti-Moden
7.5 Scham und Verhüllung
7.6 Das Individuum im Staat

8. Schluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Sich zu kleiden ist für den Menschen ein Grundbedürfnis. Er tut dies aus Scham oder zum Schutz gegen Witterung. Wenn es bei diesen Motivierungen bliebe, wäre jede Art von Bekleidung ausschließlich zweckmäßig. Im Fall der Berufsbekleidung ist dies tatsächlich größtenteils so. Aber in fast allen anderen Fällen ist Bekleidung geprägt von Mode.1 Die Inhalte der Mode wechseln in bestimmten zeitlichen Abschnitten - nicht nur zwischen Sommer und Winter, was noch relativ zweckmäßig wäre. In den sich beschleunigenden gesellschaftlichen Wandlungsprozessen wechseln auch die Inhalte der Mode schneller. Da die Mode mehr und mehr Bereiche neben der Bekleidung in sich aufnimmt, erhöht sich auch das Ausmaß der sich im Umschwung befindlichen Gegenstände.

Die gesteigerte Geschwindigkeit der Neuerungen und Veränderungen ermöglicht viele positive Entwicklungen; aber sie hat auch negative Folgen. Für die Individuen wird die Zeit, sich auf Gegebenheiten einzustellen immer kürzer, weil sie sogleich von neuen abgelöst werden. Es wird schwieriger Verlässliches zu finden, an dem eine Orientierung und Ausrichtung des Inneren möglich ist. Mode hat den Wechsel als Prinzip. Sie lebt von Veränderungen, von der Zuwendung hin zu Neuem. Würde sich nichts ändern, würde es keine Mode geben. So ist ihre Macht am größten, je mehr und je schneller sich die Erscheinungen wandeln. Da eine Mode nicht abwartet, ob Sachen aufgetragen, verbraucht oder verschlissen sind, bevor eine vorangegangene Mode alte ablöst, müssen sich die Sachen akkumulieren. Wenn diesem Umstand entgegen gewirkt wird, indem Gegenstände von geringer Haltbarkeit hergestellt werden, sind sie zwar am Ende einer Mode tatsächlich nicht mehr nutzbar, aber eine Akkumulation wird dennoch stattfinden. In dem Fall handelt es sich dann jedoch um Müll.

Ist es auch möglich, außerhalb des Einflusses von Mode zu leben? Lassen sich die zuvor kurz angerissenen Folgen abwehren, wenn dem nicht so ist? Was treibt uns zur Mode?

Die Intention der vorliegenden Arbeit ist es, herauszufinden, ob es möglich ist, Mode als gesellschaftliches Phänomen zu akzeptieren und dennoch ihre negativen Auswirkungen zu unterbinden oder zumindest einzuschränken. Kurz - Kann Mode nachhaltig integriert und gelebt werden?

Zur Bearbeitung dieser Frage möchte ich die gesellschaftlichen Gründe freilegen, die es ermöglichen, dass Mode einen so großen Einfluss ausüben kann. Es wird nach Bedingungen im Individuum und im gesellschaftlichen Zusammenleben gesucht, die die Entstehung von Mode und den Modewechsel beeinflussen.

Um dieses Ziel zu erreichen zieht diese Arbeit die Philosophie der Mode von Georg Simmel heran. Simmels Ausarbeitungen bilden eine geeignete Grundlage, weil Mode dort nicht als bloße Kleidermode behandelt wird. Auch in der vorliegenden Arbeit umfasst Mode weitere Bereiche, wie noch genauer ausgeführt werden wird. Des Weiteren legt Simmel der Mode, die im gesellschaftlichen Kontext verortet ist, den Dualismus von Individualität und Nachahmung zu Grunde. Als elementare gesellschaftliche Erscheinung bildet sie eine Basis, von der die Mode ihre Macht bezieht.

Wandel und Wechsel sind ebenfalls Themen der Philosophie der Mode. Da sich die Gegebenheiten und Moden in der Gesellschaft mit wachsender Geschwindigkeit abzulösen scheinen, ist dies ebenfalls ein guter Punkt, um dort einzuhaken und für die vorliegende Arbeit zu nutzen.

Nicht zuletzt ist Simmels Ausarbeitung interessant, weil sie bereits vor über 100 Jahren verfasst wurde und dennoch aktuell ist. Daraus wird ersichtlich, dass dort bereits fundamentale Erkenntnisse erbracht wurden. Da sich diese Arbeit auf die heutige westliche Gesellschaft bezieht, wird auf den Erkenntnissen der Philosophie der Mode aufgebaut und mit Erscheinungen der neueren Zeit ergänzt werden.

Die Philosophie der Mode bildet als Grundlage den ersten Teil der folgenden Ausführungen. An diese schließt ein Kapitel zur Mode an, welches sie charakterisiert und beschreibt. Der Dualismus von Individualität und Nachahmung wurde bereits erwähnt. Ihm ist das an die Mode anschließende Kapitel gewidmet. Da der Gedanke an Mode und ihre negativen Folgen unweigerlich den Kapitalismus mit einschließt, soll auf die Beziehung zwischen beiden eingegangen werden. Darauf folgen weitere Aspekte, die Simmel in der Philosophie der Mode erwähnt, die einerseits nochmal genauere Beachtung finden sollen, weil sie in der heutigen Gesellschaft so auffällig oder maßgeblich sind und die Beantwortung der Ausgangsfrage unterstützen. Der Hauptteil schließt mit Paradoxien im Zusammenhang mit Mode ab. Diese klingen teilweise bereits bei Simmel an und helfen noch einmal zu verstehen, welche Dimensionen an Ausmaß und Einfluss die Mode für sich beansprucht.

2. Überblick über die Philosophie der Mode von Georg Simmel

Die Philosophie der Mode basiert auf der Feststellung: „der Mensch ist ein dualistisches Wesen von Anbeginn an“.2 Das Leben bewegt sich stets zwischen zwei Polen der verschiedensten Erscheinungen und gewinnt daraus seinen Reichtum. Auf dieser Grundlage wird ein ganz bestimmter Dualismus aufgebaut, der sich durch die gesamte Philosophie der Mode zieht und somit ihr Hauptthema ist - der Dualismus von Nachahmung und individueller Differenzierung im gesellschaftlichen Miteinander.3 Durch Nachahmung ist es möglich, sinnvoll und zweckmäßig zu handeln, ohne dafür selbst entscheiden zu müssen. Sie entlastet von ethischer und ästhetischer Verantwortung.4 Das Individuum übernimmt die Handlungen der Gruppe und verringert die Wahrscheinlichkeit sozialer Ausgrenzung. Bei Simmel klingt bereits eine Hierarchie an, wenn er von der Nachahmung zur Beschreibung des Sich-Abhebens übergeht. Eigenes, zielgerichtetes Denken erhält einen größeren Wert als das Nachahmen. „Der Nachahmungstrieb als Prinzip charakterisiert eine Entwicklungsstufe, auf der der Wunsch zweckmäßiger persönlicher Tätigkeit lebendig, aber die Fähigkeit, individuelle Inhalte derselben zu gewinnen, nicht vorhanden ist. Der Fortschritt über diese Stufe hinaus ist der, dass außer dem Gegebenen, dem Vergangenen, dem Überlieferten die Zukunft das Denken, Handeln und Fühlen bestimmt; der teleologische Mensch ist der Gegenpol des Nachahmenden.“5 Fortschritt wird an dieser Stelle jedoch nicht weiter bewertet. Im Dualismus wäre eine Hierarchie ein wenig paradox. Dennoch ist der Begriff „Fortschritt“ auf mehreren Ebenen sehr zutreffend und wird diese Arbeit auf einer Metaebene begleiten. Es ist ein Fortschreiten von der Gruppe, eine Absonderung bzw. ein Heraustreten. Außerdem ist es ein Fortschritt in historischem Sinne; scheint es doch in jüngster Zeit immer wichtiger zu sein, etwas Individuelles und Besonderes zu sein oder zumindest darzustellen.

An dieser Stelle kommt die Mode ins Spiel, weil es ihr gelingt, beide Aspekte unter sich zu vereinen. Einerseits ist es möglich, das zu tun, was alle tun. Andererseits besteht durch den steten Wandel der Modeinhalte die Möglichkeit, auch individuell zu handeln.6 Wenn ständig alles in Bewegung ist, kann nie ein Zustand völliger Anpassung erreicht werden. Oder aber es bieten sich, noch bevor dieser Zustand in der Gesellschaft erreicht ist, neue Richtungen, in die fortgeschritten werden kann. Dass eine Mode nie vollständig bei jedem einzelnen Mitglied der Gesellschaft angelangt, liegt für Simmel auch darin begründet, dass „Moden immer Klassenmoden sind“.7 Ein System aus Klassen8 trennt die Gesellschaft in verschiedenen Gruppen. Gleichzeitig sind die Mitglieder der einzelnen Gruppen stärker miteinander verbunden, was wiederum durch die Moden dieser Gruppen sichtbar ist und sich in ihrer äußeren Erscheinung und Ausdrucksweise sowie den Dingen, mit denen sich sich umgeben und den Orten, an denen sie sich aufhalten, äußert. Da die einzelnen Klassen versuchen nach oben zu streben, sind es die jeweils Oberen, die sich zur Abgrenzung wiederum neuen Moden zuwenden, sobald diese von den unteren Klassen übernommen wurden. Als Beleg dafür, dass Moden Klassenmode sind und eine trennende und somit ausschließlich soziale Funktion haben, führt Simmel an, dass sie zumeist jedweder Zweckmäßigkeit entbehren. Mode und ihre Inhalte hätten nicht den Anspruch nützlich oder dienlich zu sein. Ebenso wenig stellt die Mode einen ästhetischen Anspruch an sich, „womit sie eben auf andere Motivierungen, nämlich die formal-sozialen, als die einzig übrig bleibenden hinweist“.9

Nicht nur die Übernahme von Moden durch untere Schichten ist für Simmel ein Motor des Modewandels, auch das Bedürfnis nach Neuem, nach dem Reiz, den ein Unterschied mit sich bringt, treibt den Wechsel an.10 Das unterscheidende Element in der Mode liegt jedoch nicht nur im individuellen Bereich. Es geht nicht nur um das sich st ä ndig neu erfinden, sondern, wie bereits erläutert wurde, um die Unterscheidung von anderen. So muss denn eine Mode enden, sobald sie von der Mehrheit der Individuen aufgegriffen wurde, weil dies die Unterschiedlichkeit aufhebt.11 Nicht nur einzelne Moden, sondern die Mode überhaupt würde ihre Macht verlieren, wenn nur eines der beiden bereits thematisierten Elemente fehlen würde: das Bedürfnis des Zusammenschlusses und das Bedürfnis der Absonderung.12 Solange dies jedoch nicht der Fall ist, herrscht die Mode mit ihrem ständigen Wandel, mit der Negation der Vergangenheit, einer dank ihrer Unberechenbarkeit ungewissen Zukunft und einem enormen Gegenwartsbezug. „Der Bruch mit der Vergangenheit, den zu vollziehen die Kulturmenschheit seit mehr als hundert Jahren sich unablässig bemüht, spitzt das Bewusstsein mehr und mehr auf die Gegenwart zu. Diese Betonung der Gegenwart ist ersichtlich zugleich Betonung des Wechsels, und in demselben Maße, in dem ein Stand Träger der bezeichneten Kulturtendenz ist, in demselben Maß wird er sich der Mode auf allen Gebieten, keineswegs etwa nur auf dem der Kleidung, zuwenden, ja es ist fast ein Zeichen der gestiegenen Macht der Mode, dass sie statt ihrer ursprünglichen Domäne: der Äußerlichkeiten des Sichtragens, mehr und mehr auch den Geschmack, die theoretischen Überzeugungen, ja die sittlichen Fundamente des Lebens in ihre Wechselform hinabzieht.“13 An späterer Stelle seiner Ausführungen verwendet Simmel eine noch gewaltsamere Sprache, um die Verflechtung von der Negation des Alten und dem Zuwenden zu Neuem in der Mode zu beschreiben: „Das Leben gemäß der Mode ist in sachlicher Hinsicht eine Mischung von Zerstören und Aufbauen, in dem Vernichten einer früheren Form gewinnt ihr Inhalt seinen Charakter, er besitzt eine eigentümliche Einheitlichkeit, in der die

Befriedigung des Zerstörungstriebes und des Triebes zu positiven Inhalten nicht mehr voneinander zu trennen sind.“14 Da, wie aufgezeigt wurde, eine Mode nie bei allen angelangt und zuerst im Umfeld der oberen Klassen zu finden ist, spielt Neid bei Simmel eine entscheidende Rolle. „Es gibt eine Nuance des Neides, die eine Art ideellen Anteilhabens an den beneideten Gegenständen einschließt. […] Indem man einen Gegenstand oder einen Menschen beneidet, ist man schon nicht mehr absolut von ihm ausgeschlossen, man hat irgend eine Beziehung zu jenem gewonnen, zwischen beiden besteht nun der gleiche seelische Inhalt, wenngleich in ganz verschiedenen Kategorien und Gefühlsformen.“15 Diese Neidgefühle sind jedoch in bestimmter Weise gemildert, da durchaus die Möglichkeit besteht, eines Tages selbst in den Besitzt des beneideten Gutes zu kommen. Gerade in der Mode, von der Niemand gänzlich ausgeschlossen ist, ist dies möglich.16

Es ist sehr paradox - obgleich die Mode in der Gesellschaft einen immer größeren Platz einnimmt, scheint sie und den Menschen, die ihr folgen, nicht der beste Ruf zu begleiten. Auch Simmel rückt Modeanhänger nicht in das beste Licht, wenn er sagt, dass „die Mode der eigentliche Tummelplatz für Individuen ist, welche innerlich unselbstständig und anlehnungsbedürftig sind, deren Selbstgefühl aber doch zugleich einer gewissen Auszeichnung, Aufmerksamkeit, Besonderung bedarf. Sie erhebt den Unbedeutenden dadurch, dass sie ihn zum Repräsentanten einer Gesamtheit macht, zur Verkörperung eines Gesamtgeistes.“17

Nun ist natürlich nicht jeder ein Anhänger der Mode. Manch einer mag sich vielleicht gerade durch sie in seiner Individualität bedroht sehen und wählt daher den Weg, sich ihr entgegen zu stellen. Er macht das, was gerade nicht Mode ist. Die Negation der Mode ist für Simmel jedoch lediglich eine „Nachahmung mit umgekehrtem Vorzeichen“18 und ein Beweis für die soziale Macht der Mode. Es kann sogar in bestimmten Gruppen Mode werde, sich unmodern zu kleiden. Egal also aus welchem Motiv man sich ihr zu- oder abwendet, ob aus Stärke oder Anlehnungsbedürftigkeit, ob aus Angst, Individualität einzubüßen oder um ihre Einzigartigkeit Anerkennung suchend hervorzutun, es ist kein Vorbeikommen möglich.19

Lenkt man die Aufmerksamkeit auf das Modeinteresse der beiden Geschlechter, sind es augenscheinlich die Frauen, die darin am stärksten aufgehen. Simmel begründet diese Auffälligkeit mit der schwächeren sozialen Position, die den Frauen seit jeher zufällt. Die daraus resultierenden begrenzten Möglichkeiten werden nun in der Mode kompensiert; wobei es den Frauen möglich ist, sich im Schutze dessen zu wiegen, was sich ziemt und gleichzeitig auch ihre Individualität in dem vorgegebenen Rahmen so weit wie möglich herauszustellen.20 „So scheint es, als wäre die Mode gleichsam das Ventil, aus dem das Bedürfnis der Frauen nach irgendeinem Maß der Auszeichnung und individueller Hervorgehobenheit ausbräche, wenn ihnen dessen Befriedigung auf anderen Gebieten mehr versagt ist.“21 Als weiteren Grund für das stärkere Modeinteresse der Frauen führt Simmel an, dass diese vom Wesen her treuer und gleichmütiger seien als Männer, weshalb sie im Äußeren der Abwechslung bedürften.22

Obgleich die Mode nicht nur Äußerlichkeiten wie Frisur und Kleidung, sondern auch Gestus und Habitus und zunehmend sogar auch Dinge des täglichen Bedarfs erfasst, sich in Architektur, Literatur, in unserer gesamten Kultur immer weiter ausbreitet, vermag sie es doch nicht, unser Innerstes zu ergreifen. Der Kern des Menschen bleibt unverändert, „denn die Form der Veränderlichkeit, in der sie sich ihm bietet, ist doch unter allen Umständen ein Gegensatz gegen die Beständigkeit des Ichgefühles, ja dieses letztere muss gerade an diesem Gegensatz sich seiner relativen Dauer bewusst werden, nur an diesem Dauernden kann die Veränderlichkeit jener Inhalte sich überhaupt als Veränderlichkeit zeigen und ihren Reiz entfalten.“23 Gerade dieser Wesenskern kann dank der Mode verhüllt und geschützt werden: Durch die Anpassung an die Mode kann nach außen hin der Schein gewahrt werden, sich in die Gesellschaft einzufügen, was nach innen eine größere Freiheit bedeutet. Der Mode kommt demnach auch die Funktion einer Maske zu. Ihr Träger macht sich ihre nivellierenden Eigenschaften zu Nutze.24 Nicht nur Freiheitsdrang, auch Scham kann ein Grund sein, sein Inneres zu verhüllen und sich in die Allgemeinheit einzufügen. Der Auslöser des Schamgefühls ist dabei jedoch nicht der spezifische Sachverhalt, für den man sich schämt, sondern die Tatsache des Sich-abhebens.25 „Die Mode nun bietet wegen ihrer eigentümlichen inneren Struktur ein Sich-abheben, das immer als angemessen empfunden wird. Die noch so extravaganteste Erscheinungs- und Äußerungsart ist, insoweit sie Mode ist, vor jenen peinlichen Reflexen geschützt, die das Individuum sonst fühlt, wenn es der Gegenstand der Aufmerksamkeit anderer ist.“26

Die Freiheit des Inneren wurde bereits angedeutet. Der Gegenpol zur Freiheit ist die Bindung. Ob nun innerlich oder äußerlich, das Individuum bewegt sich stets zwischen diesen beiden Polen und kann dabei nie völlig nur einen von beiden besetzen. Simmel stellt diesen Polen das Innere und Äußere an die Seite und fordert, das Leben so zu gestalten, dass seine Inhalte möglichst förderlich in diesem Rahmen verteilt sind. Ihm scheint ein Leben am besten, dessen auf die Gesellschaft bezogene Teile sich an die sozialen Normen binden, wodurch jedoch das Innere mehr und mehr Freiheit erlangt. Die Mode gäbe dem Menschen die Möglichkeit an die Hand, sich in sein Sozialgefüge einzugliedern und dadurch Freiheit zu erlangen, sich auf seinen Wesenskern konzentrieren zu können.27 Da, bedingt durch Nachahmung, keine eigenen Entscheidungen und Abwägungen getroffen werden müssen, kann die eingesparte mentale Energie und Zeit für die persönliche Bewusstwerdung genutzt werden.

So wie es den Modewandel innerhalb einer Gesellschaft gibt, so gibt es ihn ebenso bezogen auf das Individuum. Auch der Einzelne kann das Bedürfnis verspüren, sich von eigenen alten Verhaltensweisen oder Ähnlichem zu trennen und sie durch neue zu ersetzen. Simmel nennt dies Personal- bzw. Individualmoden.28 Gruppen- oder Personalmoden können zum Beispiel daraus bestehen, Dingen bestimmte, mehr oder weniger sinnvolle Bezeichnungen zu geben und ihnen somit etwas Fremdes aufzuerlegen. „Es ist nicht zu leugnen: indem den Dingen durch jene Bezeichnungsmoden Gewalt angetan wird, indem sie alle gleichmäßig in eine von und an sie herangebrachte Kategorie eingekleidet werden, übt das Individuum einen Machtanspruch über sie, es gewinnt ein individuelles Kraftgefühl, eine Betonung des Ich ihnen gegenüber.“29

[...]


1 Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Mode, so wie sie im westlichen Kulturkreis bekannt ist. Auf Trachten Sitten und Gebräuche von stärker traditions- oder religionsgebundenen Gruppen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden.

2 siehe Georg Simmel: Philosophie der Mode. In: Philosophie der Mode (1905). Die Religion (1906/1912). Kant und Goethe (1906/1916). Schopenhauer und Nietzsche (1907). hrsg. v. Michael Behr, Volhard Krech u. Gert Schmidt. In: Georg Simmel Gesamtausgabe. hrsg. v. Otthein Rammstedt. Bd. 10. Frankfurt am Main 1995, S. 9.

3 vgl. ebd., S. 10f.

4 vgl. Georg Simmel: Zur Psychologie der Mode. Sociologische Studie. In: Aufsätze und Abhandlungen 1894-1900. hrsg. v. Heinz-Jürgen Dahme u. David Frisby. In: Georg Simmel Gesamtausgabe. hrsg. v. Otthein Rammstedt. Bd. 5. Frankfurt am Main 1992, S. 114.

5 siehe ebd., S.10f.

6 vgl. ebd., S. 11.

7 siehe ebd., S.11.

8 Die hier und im Folgenden aufgeführten gesellschaftsneschreibenden Termini sind den Ausführungen Simmels entnommen. Auf eine genaue Differenzierung kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht eingegangen werden.

9 siehe ebd., S. 13.

10 vgl. ebdd., S. 15f.

11 vgl. ebd., S. 16.

12 vgl. ebd., S. 15.

13 siehe ebd., S. 17.

14 siehe ebd., S.20.

15 siehe ebd., S. 18.

16 vgl. ebd., S. 18.

17 siehe ebd., S. 18f.

18 siehe ebd., S. 20.

19 vgl. ebd., S. 20ff.

20 vgl. ebd., S. 22.

21 siehe ebd., S 22.

22 vgl. ebd., S. 23.

23 siehe ebd., S. 25.

24 vgl. ebd., S. 25f.

25 vgl. ebd., S. 26f.

26 siehe ebd. S. 27.

27 vgl. ebd., S. 27ff.

28 vgl. ebd., S. 29f.

29 siehe ebd., S. 30.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Mode und Nachhaltigkeit
Untertitel
Eine Untersuchung auf der Grundlage von Georg Simmels "Philosophie der Mode"
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
2,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
31
Katalognummer
V272333
ISBN (eBook)
9783656757948
ISBN (Buch)
9783656757641
Dateigröße
508 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
mode, nachhaltigkeit, eine, untersuchung, grundlage, georg, simmels, philosophie
Arbeit zitieren
Michaela Kuhn (Autor:in), 2013, Mode und Nachhaltigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272333

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