Down Under ist alles entspannter

Mit Liebeskummer nach Australien und Tasmanien


2014-04-15, 243 Seiten (ca.)

PDF, ePUB und MOBI

Originalausgabe


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Will ich wirklich nach Australien?

Melbourne
Gekreuche und Gefleuche – die Tierwelt Australiens
Erster Eindruck von der Pflanzenwelt
Teddybären in echt
Australische Gelassenheit und europäischer Packwahn

Northern Territory
„Freshies“ und „Salties“
Indigenous People
Katherine Gorge und Litchfield Nationalpark
Ein Tag in Darwin

Port Douglas
Ausflug zu den Low Isles
Mossman Gorge

Cape Tribulation
Treffpunkt Baum
Regenwaldtour
Eine Nacht in Cairns und weiter geht’s

Mission Beach
Hör auf Deine Intuition
Ausflug nach Dunk Island

Whitsunday Islands
Mehr als nur ein Segeltörn!
Raus zum äußeren Riff
Whitehaven Beach und die Whitsundays

Great Keppel Island
Kaninchen und Agakröten
Heimwehattacke

Fraser Island
„Adventure Safari“
Ein Missverständnis zwischen Mann und Frau?

Noosa Heads
Shark biscuits
Linksverkehr und Hinterlanderfahrungen
Schnell mal ins „Outback“?
Koalas im Noosa Nationalpark

Lamington Nationalpark
Im Regen über den Baumkronen
Gold Coast – bloß nicht!

Byron Bay
Life’s a beach!

Sydney
Liebe auf den (beinahe) ersten Blick
Biergarten auf Australisch
Mit einem waschechten Bayern nach Manly
Beaches, beaches, beaches
Italien mitten in Sydney
„Blaue“ Berge gibt’s hier wirklich!
Flughunde in der Stadt
Der Traum vom Segeln?
Letzter Tag in Sydney

Melbourne
„Sheilas“ und „Mates“
Melbourne, Sydney, Canberra – welche ist die Hauptstadt?
Melbourne City

Wilson’s Promontory Nationalpark
Barramundi und gute Freunde

Tasmanien
Rundreise mit einem „Höllenbus“
Umweltzerstörung in Tasmanien
Zurück in der intakten Natur
Tasmanische Teufel, knuddelige Wombats und putzige Pinguine
Die Geister der Sträflingskolonie Port Arthur

Hobart und Bruny Island
Spaziergang durch Hobart
Ein Hexenhäuschen für zwei

Great Ocean Road
Schiffswracks und Apostel

Grampians Nationalpark
Das Telefon der Ureinwohner

Ballarat
Gold, Gold, Gold!

Melbourne
Ein überraschender Anruf
Abschied von Rose

Sydney
Great Barrier Reef mitten in Sydney!
The Rocks
Mein Weihnachtsgeschenk: Segeln in Sydney Harbour
Weihnachtsbäume am Strand und der wohl schönste Zoo der Welt!
Und jetzt doch: Abschied von Australien

Bücherliste:
Reiseführer
Reiseberichte und allgemeine Bücher über Australien

Nützliche Internetlinks:
Links zu Hintergrundinformationen
Links zu Unterkünften
Links zu Touren/Ausflügen
Links zu Wanderwegen/Scenic drives

Die Autorin

Bildnachweis

Lesetipps

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Meine Route durch Australien. Quelle: Christina Danisio

Will ich wirklich nach Australien?

„Nur wenn du eine Absicht hast, kommst du dahin, wo du wirklich hin willst.“ Wie oft hatte ich das bereits gehört oder gelesen! Und jetzt? Wollte ich diese Reise nach Australien wirklich? Oder wusste ich einfach noch nicht, dass ich sie wollte?

Im Augenblick war mir nur eines klar: Ich wollte irgendwie weg. Weg aus dem Alltag, um Neues zu entdecken und vor allem um zu vergessen. Wieder einmal litt ich an Liebeskummer und am besten half mir erfahrungsgemäß die Flucht. Gleichzeitig hatte mich mein Chef gebeten, meine Überstunden abzubauen und mich darauf hingewiesen, dass in ein paar Monaten ein günstiger Zeitpunkt war.

Dazu kam, dass mich meine gute Freundin Rose zum wiederholten Mal zu sich nach Melbourne eingeladen hatte. Wie immer in den letzten Jahren fand ich die Idee reizvoll, dankte aber mit den üblichen Begründungen ab: keine Zeit, kein Geld, einfach zu weit weg. In Wirklichkeit war es die Angst, alleine zu verreisen, die mich abhielt. Bisher war auf meinen Reisen immer ein Partner oder eine Freundin dabei gewesen. Alleine konnte ich mich höchstens zu einem Sprachurlaub aufraffen. Aber gleich eine längere Fernreise?

Und dann auch noch diese Angst vor dem Fliegen. Nein, nicht die Angst abzustürzen, sondern die Angst davor, eingepfercht mit vielen Menschen stundenlang in diesem metallenen Käfig zu sitzen. Wirklich gerne war ich noch nie geflogen, doch seit ein paar Jahren war es immer schwieriger geworden, die Enge zu ertragen.

Nein, nein, Australien war viel zu weit weg und kam überhaupt nicht infrage. Außerdem war es langweilig. Was gab es da schon außer roter Erde, Eukalyptusbäumen und ein paar Koalas? Obwohl die Koalas schon putzig waren …

An diesem Punkt befand ich mich, als mein Chef wieder einmal nachfragte … Einer spontanen Eingebung folgend antwortete ich: „Ich würde gerne den gesamten aufgesparten Urlaub und die Überstunden zusammen nehmen, um eine größere Fernreise zu planen. Können Sie sich vorstellen, dass ich zwei bis drei Monate weg bin?“ Natürlich rechnete ich mit einer Absage, doch zu meinem Erstaunen meinte er: „Wenn Sie im Oktober gehen, könnte es passen. Wir müssen sowieso umstrukturieren.“ Natürlich musste ich das mit dem
„Umstrukturieren“ genauer mit ihm klären, doch es zeigte sich, dass es tatsächlich machbar war.

„Jetzt muss ich wohl oder übel nach Australien, die Gelegenheit kommt nie wieder“, dachte ich mir, während ich das nächstgelegene Reisebüro ansteuerte. Auch wenn ich noch nicht so recht an die Reise glaubte, wollte ich mich wenigstens informieren, was so ein Flug kostete und wie lange er dauerte. Erschrocken kam ich wieder heraus: 22 Stunden bis Sydney, 24 bis Melbourne – reine Flugzeit! Wer sollte das durchhalten? Und der Preis war auch nicht ohne!

Immer noch zweifelnd besorgte ich mir einen Reiseführer, um mich einzulesen. Die Idee, bis nach Australien zu fliegen, kam mir einfach unrealistisch vor. Doch je mehr ich las, umso neugieriger wurde ich auf Down Under. Das Land schien eine Fülle an echten Sehenswürdigkeiten zu besitzen. Ich würde es also wagen!

Die Reiseplanung stellte außerdem eine ideale Ablenkung von meinem Liebeskummer dar. Also trug ich alles an Informationen zusammen, was ich nur finden konnte: Reiseführer, Prospekte, Internetseiten, Aufzeichnungen von Freunden …

Trotz meiner gründlichen Vorbereitung kamen immer wieder Zweifel in mir auf: Würde ich diese Reise auch wirklich alleine schaffen und hatte ich überhaupt genug Geld gespart? Ich plante weiter und holte mir Rat bei Freunden, wenn die Unsicherheit überhand nahm. Blieb immer noch mein größtes Problem: der lange Flug.

Am meisten Unterstützung erhielt ich zu diesem Thema von Rose: „Ich fliege doch auch immer wieder alleine nach Europa. Das ist gar kein Problem, weißt du. Ich setze mich einfach in den Flieger, schaue ein paar Filme an und schlafe. Alles easy!“ Tja, alles easy also …

Somit recherchierte ich weiter und staunte über die Größe des riesigen Kontinents Australien. Melbourne war nur ein kleiner Punkt auf der Landkarte. Sollte ich mich wirklich nur auf eine Stadt beschränken?

Nein, langsam wurde ich neugierig: Wenn ich schon so weit flog, dann wollte ich auch mehr von Australien sehen. Selbst wenn das bedeutete, die enorm lange Ostküste mit dem Flugzeug hochzufliegen, um sie dann mit dem Bus wieder hinunterzufahren – eine Strecke, deren Länge ungefähr der Entfernung von München nach Kairo entspricht. Was für ein abwegiger Gedanke!

Außerdem musste ich mir darüber klar werden, wo ich übernachten wollte und wie viel ich ausgeben konnte. Dabei entdeckte ich die Möglichkeit der backpacker hostels für mich. Die gibt es zwar auch in Europa, aber in Australien werden sie wirklich von allen Altersgruppen genutzt: Familien buchen Familienzimmer, Paare Zweibettzimmer und Alleinreisende, die sparen wollen, ein Zimmer im dorm, im Sechs- oder Acht-Bett-Zimmer.

Einige Hostels haben sich in Verbänden zusammengeschlossen und stellen einen Mitgliedsausweis aus. Dieser berechtigt zu Ermäßigungen bei Übernachtungen, Busfahrten, Autovermietungen, Einkäufen sowie diversen Tourismuseinrichtungen. Die bekanntesten Hostelverbände sind YHA, Nomads und VIP.

Die Tatsache, dass in Australien scheinbar jedermann die Hostels nutzte, kam mir sehr entgegen. Mit 35 war ich schließlich nicht gerade im typischen Backpackeralter. Außerdem hatte ich noch nie im Mehrbettzimmer einer Jugendherberge geschlafen. Da kam der nächste Zweifel in mir hoch: würde ich das hinkriegen? Egal, ich organisierte weiter und entdeckte immer mehr interessante Seiten an Australien. Allein schon das Great Barrier Reef schien die ganze Reise wert zu sein …

Allmählich kam ich auf den Geschmack. Zeit zu zögern blieb mir sowieso nicht mehr viel, denn günstige Flüge sind meist viele Wochen vorher ausgebucht. Also führte mich mein Weg wieder ins Reisebüro, wo ich auf eine sehr kompetente Beraterin traf. Als erfahrene Australienreisende berichtete sie begeistert von eigenen Erlebnissen und gab mir zahlreiche Ratschläge. Nach zwei Stunden hatten wir eine Tour zusammengestellt, die mir zusagte:

Mein erstes Ziel sollte natürlich Melbourne sein, damit ich Rose besuchen konnte. Nach nur zwei Tagen würde ich hoch in den Norden nach Darwin fliegen, um rechtzeitig vor der Regenzeit dort anzukommen. Da ich kaum alleine mit dem Jeep in einem mir völlig unbekannten Nationalpark herumfahren würde, buchte ich eine „Top End Safari Tour“, eine sechstägige Tour durch den Kakadu und Litchfield Nationalpark.

Blieb noch die Frage, ob ich im swag, einer Art Schlafsack ohne Reißverschluss aber inklusive Unterlage, oder lieber im Zelt übernachten sollte? Als ich an all die Tiere dachte, die bereits in Europa am Boden herumkriechen, entschied ich mich lieber fürs Zelt. Wer weiß, was es in Australien noch alles gab?

Danach planten wir einen Flug nach Cairns, von wo aus ich mit dem Greyhound-Bus die Ostküste bis nach Sydney entlangfahren würde, also beinahe so weit wie von München nach Kairo: gut 2.400 km. Würde schon irgendwie machbar sein, schließlich war ich nicht die erste, die das vorhatte.

Mit dem „Aussie Explorer Pass“ durfte ich unterwegs so oft ein- und aussteigen wie ich wollte, wodurch ich mich nicht festlegen musste. Nur die Richtung wechseln war mit dieser Fahrkarte nicht erlaubt.

Als begeisterte Seglerin überlegte ich nicht lange, sondern entschied mich auch noch für einen Segeltörn ab Airlie Beach. In sechs Tagen an Bord der „Coral Trekker“, einem traditionellen norwegischen Windjammer, wollte ich die Inselwelt der Whitsunday Islands und das Great Barrier Reef entdecken. Danach würde ich mit dem Greyhound-Bus weiter in Richtung Sydney fahren, um von dort das letzte Stück bis Melbourne zu fliegen.

Ich buchte und verließ glücklich das Reisebüro. Alle Gedanken an meine Finanzen und meine weiterhin existierende Flugangst verdrängte ich erfolgreich.

Die Wochen vergingen. Ich las meinen Reiseführer, legte mir Trekkingschuhe, eine Trekkingjacke sowie einen Leichtschlafsack zu, ließ mich von allen möglichen und unmöglichen Tipps meiner Freunde besäuseln …

Auch der Grund meines Liebeskummers, mein Freund Steve, meldete sich wieder und lud mich zu sich nach England ein. Wir hatten uns nicht richtig getrennt, sein Vertrag in Deutschland war ganz einfach abgelaufen.

Entgegen aller Vernunft flog ich kurzerhand übers Wochenende zu ihm. Was erwartete ich mir eigentlich davon, ihn wiederzusehen? Schließlich hatte ich nie in Erwägung gezogen, zu ihm nach England zu ziehen. Auch er hatte das Thema Zukunft möglichst gemieden.

Dennoch lagen wir uns direkt nach meiner Ankunft wieder in den Armen, als ob es keinerlei Ende unserer Beziehung gegeben hätte. Genauso verlief das ganze Wochenende: Wir gingen aus, trafen seine Freunde, besichtigten die Stadt, küssten uns leidenschaftlich. Dann war das Wochenende vorbei … und wir verabschiedeten und wieder einmal, ohne klar definiert zu haben, wie es weitergehen sollte.

Als ich im Flugzeug saß, musste ich mir erneut eingestehen, dass es ganz einfach keine Zukunft gab, weder für ihn in München noch für mich in London. Er war am Beginn seiner Karriere und startete beruflich durch. Für eine feste Beziehung war es zu früh, das hatte er mir oft genug zu verstehen gegeben. Warum nur hatte ich mich auf ihn eingelassen? Schniefend holte ich mein zehntes Taschentuch heraus und sah aus dem Fenster.

Australien … das war im Augenblick die einzige Zukunft, die greifbar war. Steve und ich wollten uns weiter schreiben und „mal sehen, was aus uns würde“. Mir blieb nur eins: Ich stürzte mich noch intensiver in die Planung meiner Reise und hoffte, mein Herz würde sich irgendwann wieder beruhigen.

Der Tag des Abflugs nahte und inzwischen waren alle, aber wirklich alle um mich herum völlig entnervt von meiner Panik, in dieses Flugzeug „ans Ende der Welt“ zu steigen. Schließlich sprach eine Freundin aus, was alle dachten: „Warum bleibst du nicht einfach hier, wenn es dich so mitnimmt?“ Das war die Frage, die auch ich mir immer wieder stellte. Und somit war ich wieder bei meiner anfänglichen Erkenntnis: Die Absicht zählt und das, was du wirklich willst. Irgendetwas in mir wollte es schaffen. Irgendetwas zog mich nach Australien und erst heute weiß ich, wie stark der Sog war – und immer noch ist.

Nun war es so weit, die Reise begann: von München über Frankfurt, Kuala Lumpur und Sydney bis nach Melbourne. Bereits auf der Fahrt zum Münchner Flughafen hatte ich mehr als nur einen Kloß im Hals.

Dabei fürchtete ich mich am meisten vor dem Augenblick, in dem ich in den „großen Flieger“, also von Frankfurt nach Kuala Lumpur, steigen musste. Ich hatte schlichtweg Angst vor mir selber und meiner Reaktion. Schließlich war diesmal niemand dabei, der mich „reinschubsen“ würde, falls ich kneifen sollte.

Zum Glück war mir meine Freundin Sarah in Frankfurt eingefallen, die mit mir am Flughafen Kaffee trinken wollte. „Dann kannst du nicht weglaufen“, hatte sie mir geantwortet, als ich sie um Unterstützung gebeten hatte. Wir mussten darüber lachen und das half erst einmal.

Sarah kam, bequatschte mich beim Kaffeetrinken und „schubste“ mich weiter. „Du sitzt bestimmt neben netten Leuten, die sich mit dir angeregt unterhalten und dich ablenken“, versuchte sie mir einzureden.

Doch weit gefehlt: Ich landete neben einer missmutigen Dame, die mich keines Blickes würdigte und in den zwölf Stunden bis Kuala Lumpur keinen einzigen Ton sprach. War das die Unterstützung, die ich mir gewünscht hatte?

Zur Beruhigung stopfte ich mir all die Rescue-Drops und Globuli rein, die ich auf Empfehlung diverser Freunde mitgenommen hatte. Das Flugzeug hob ab und ich wollte raus. Doch das ging natürlich nicht.

Nun „durfte“ ich die erste nützliche Erfahrung dieser Reise machen: Auch die Angst vergeht und dauert nicht 23 Stunden lang. Hab Geduld und Vertrauen.

Tatsächlich erlangte ich nach zwei Stunden Globulilutschen, Essen und Filmeschauen, eine Art stoischer Gleichgültigkeit. Ich ergab mich meinem Schicksal und ließ es gewähren. Nach gefühlten drei Tagen landeten wir endlich in Kuala Lumpur.

„Lauf herum, so viel du kannst“, hatte mir Rose mit auf den Weg – also auf den Flug – gegeben. „Dein Kreislauf braucht das und dann kannst du im Flieger besser weiterschlafen.“ Das mit dem Herumlaufen war machbar, aber „schlaf weiter“ stellte eine utopische Aufgabe dar. Wie sollte man bitte auf diesen engen, ungemütlichen Sitzen nur an Schlafen denken? Ich schaffte es jedenfalls nicht. Sobald ich etwas eindöste, schmerzten mein Genick oder mein Rücken so stark, dass ich gleich wieder hellwach war.

Immerhin folgte ich Roses Rat und schleppte mich schlaftrunken und teilnahmslos um drei Uhr morgens, der aktuellen mitteleuropäischen Zeit, durch den Flughafen von Kuala Lumpur.

Ebenso gleichgültig und schlaftrunken stieg ich wieder ein und hatte keinerlei Probleme mit dem Abflug. Auch mein Sitznachbar war mir vollkommen egal. Ich fühlte mich einfach zu fertig, um noch an irgendetwas zu denken oder mir gar weiter Panik zu machen.

Diesmal saß niemand neben mir, dafür hatte ich mehr Platz. Zäh verronnen die nächsten zwölf Stunden bis Sydney. Heute weiß ich, dass man auch eine Schlaftablette nehmen kann und damit selbst auf den unbequemsten Sitzen einschläft. Doch um das zu lernen, musste ich erst noch zweimal nach Australien fliegen.

Todmüde landete ich in Sydney, um dann ein letztes Mal loszustarten. Nach „nur“ insgesamt 28 Stunden kam ich völlig lethargisch in Melbourne an. Und da stand sie: Rose, meine liebe Freundin Rose, die mich immer wieder
aufgebaut und bestärkt hatte, diese Reise anzutreten. Ohne sie hätte ich mich nie getraut!

In all den Jahren, in denen wir uns nun kannten, war immer sie diejenige, die zwischen den Kontinenten hin und her flog. Gemeinsam hatten wir Florenz kennen- und liebengelernt, dort hatte unsere Freundschaft auch begonnen. Doch dieses Mal war ich aufgebrochen, ihre Heimat zu entdecken!

Während wir uns vor Freude in den Armen lagen, fühlte ich mich plötzlich überglücklich: Ich hatte meine Angst überwunden, ich hatte mich aufgemacht bis ans andere Ende der Welt. Ich war wirklich in Australien!

Melbourne

Am nächsten Morgen wachte ich wegen des Jetlags erst gegen Mittag auf. Neun Stunden Zeitverschiebung ließen sich eben nicht so einfach wegstecken. Im Traum war ich überall und nirgends. Fröstelnd drehte ich mich in Richtung Fenster. Wieso war es eigentlich nicht wärmer um diese Jahreszeit?

„Wir haben hier in Melbourne vier Jahreszeiten an einem Tag“, hatte mir Rose bei der Ankunft erklärt. „Wirst schon sehen, wie heiß es wird, wenn die Sonne erst mal rauskommt.“ Im Augenblick war es bewölkt und daher ganz einfach kalt. Was allerdings mein Interesse gerade mehr weckte als das Wetter, war eine große Spinne an der Wand.

Da erinnerte ich mich an das Kapitel über Australiens Tierwelt, das ich während meines Flugzeugdeliriums im Reiseführer gelesen hatte. Zwar hatte ich beim Planen alles Mögliche über das Land gelesen, aber das Kapitel Tierwelt vollkommen übersehen. Und das war gut so, denn ansonsten wäre diese Reise ziemlich sicher ins Wasser gefallen.

Gekreuche und Gefleuche – die Tierwelt Australiens

Australien hat viele außergewöhnliche Tiere, sowohl niedliche, als auch giftige. Von den zehn gefährlichsten Tierarten der Welt leben ganze sieben auf diesem Kontinent! Erstaunlicherweise belegt Platz eins weder eine Schlange noch eine Spinne, sondern die Würfelqualle (box jellyfish), auch Seewespe (sea wasp) genannt. Sie hat bis zu drei Meter lange Tentakel, die ein lähmendes Gift absondern. Streift ein Tentakel die Brust, so führt dies zu Atem- und Herzstillstand. Allerdings stellen die Würfelquallen nur zwischen Oktober und Mai eine Gefahr dar und kommen ausschließlich an der Nord- und Nordostküste Australiens vor.

Seit einigen Jahren macht an diesem Küstenabschnitt noch eine winzige, fast durchsichtige Würfelquallenart von sich reden, die den ausgefallenen Namen Irukandji trägt. Der Name geht zurück auf einen Stamm der Ureinwohner Australiens, der an der Nordostküste von Queensland lebte.

Kaum zu sehen, löst diese Miniqualle durch das Nesselgift, das sie ausschüttet, erst circa 30 Minuten nach Berührung schier unerträgliche Schmerzen in Rücken, Bauch und Brust sowie Erbrechen und Kopfschmerzen aus. Diese Symptome können wochenlang anhalten. In sehr seltenen Fällen kann die Begegnung sogar zum Tod führen! Diese Quallenart wurde kürzlich auch in der Gegend von Fraser Island an der mittleren Ostküste vorgefunden. Anders als bei der Seewespe hilft Essig im Falle eines Stiches nicht.

An den Stränden Australiens ist jedoch überall Vorsicht geboten, denn dort lebt eine extrem giftige Schnecke in einer Muschel, die Kegelschnecke (cone shell), für die es bisher gar kein Gegengift gibt. Man muss wirklich aufpassen, denn sie hat ein sehr schönes Gehäuse, nur berühren sollte man sie eben nicht. Allerdings passiert eher selten etwas und somit nimmt sie „nur“ Platz vier auf der Top-Ten-Liste des Fürchtens ein.

Und was war mit den Schlangen? Für mich schienen sie am aller gefährlichsten. Immerhin leben die meisten der weltweit existierenden Giftschlangen in Australien! Dank der Gegengifte enden Begegnungen mit ihnen jedoch nur sehr selten tödlich.

Der in Australien vorkommende Inlandtaipan, die giftigste Schlange der Welt, liegt somit auch „nur“ auf Platz sieben. Noch dazu ist diese Schlange eher scheu und beißt nur, wenn man sie stark bedrängt.

Gut, sollte ich also Wanderungen durch den Wald und am Strand unbeschadet überleben, so warteten im Wasser Haifische und Krokodile, denen ich wirklich nicht begegnen wollte. Erstaunlicherweise gehören sie jedoch nicht zu den zehn gefährlichsten Tierarten der Welt. Dafür nimmt der blue ringed octopus, eine Krake mit blauen Ringen, Platz fünf ein.

Blieben noch die giftigen Spinnen wie die Rotrückenspinne (redback spider) und die Trichternetzspinne (funnel web spider). Letztere belegt Platz acht, denn ihr Biss tötet innerhalb kürzester Zeit.

Ich rechnete mir also meine Chancen durch, wie ich die Zeit in Australien überleben sollte, während ich die Spinne nicht aus den Augen ließ. Hilflos rief ich nach Rose. „ No worries, kein Grund zur Sorge“, war ihr einziger Kommentar. Diesen Ausdruck sollte ich in Australien noch sehr oft hören, denn die Australier sind ein eher gelassenes Völkchen.

Kurzerhand ergriff sie ein Marmeladenglas, stülpte es über die Spinne, schob ein Papier darunter und trug das achtbeinige Tier behutsam in den Garten. Dort wurde es einfach in die Büsche gekippt. „Aber“, stammelte ich, „wenn das jetzt eine funnel web spider war …“ „Papperlapapp“, meinte Rose nur und lachte. „Die gibt es nur in und um Sydney. Außerdem existiert ein Gegengift.“ „Wie beruhigend“, dachte ich mir.

„Weißt du“, fuhr Rose fort, „hier gibt es so viele giftige Tiere, dass wir viel zu tun hätten, hätten wir immer Angst. Wir wachsen damit auf und sind dementsprechend vorsichtig. Schlimmstenfalls kann man ja ‚000‘ anrufen, das ist die nationale Notfallnummer.

Nicht alle Spinnen sind giftig und diese hier war es sicher nicht. Es gibt auch welche, die gefährlich aussehen, es aber gar nicht sind. Die huntsman spider (Jägerspinne) zum Beispiel. Sie sieht zwar Furcht einflößend aus, weil sie recht groß und haarig ist, doch in Wahrheit ist sie ungefährlich.

Außerdem steht nicht jeden Tag in der Zeitung, dass Menschen von Spinnen getötet werden. Dagegen habe ich gelesen, dass mehr Leute am Stich einer normalen Biene als an dem einer Spinne sterben. Das passiert auch bei dir zuhause! Sei also einfach vorsichtig und greif nicht mit der bloßen Hand in dunkle Ecken oder unter Steine.“ Ich gab mich erst einmal geschlagen und versuchte, richtig wach zu werden.

Erster Eindruck von der Pflanzenwelt

Rose wollte mir an diesem Tag einen ersten Eindruck von den australischen Eukalyptuswäldern geben und schlug vor, in die Hügel der Dandenong Ranges zu fahren: „Zu den Dandenongs gehören drei Naturgebiete: der Ferntree Gully Nationalpark, der Sherwood Forest und die Doongalla Reserve. Wir können dort ein wenig spazieren gehen, vielleicht siehst du auch ein paar lyrebirds, Leierschwänze. Die können fast jedes Geräusch imitieren, weißt du?“ Gesagt, getan.

„Einen Steinwurf weit weg“ hieß in diesem Fall fast eine Stunde Autofahrt. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich lernen musste, was „einen Steinwurf weit weg“ oder „ganz in der Nähe“ in Australien bedeutete.

Rose wohnte in einem Vorort von Melbourne, sodass wir nicht durch die City fahren mussten. Ich staunte über breite Straßen mit hübschen Einfamilienhäuschen sowie mir fremden Bäumen am Straßenrand. Als ich Rose darauf ansprach, erklärte sie mir, dass neben den Eukalypten oft Papierrinden- und Teebäume gepflanzt wurden. Weiße oder pinkfarbene Blüten gaben dem Straßenbild einen fröhlichen Touch.

Als Beifahrer auf der linken Seite zu sitzen, war für mich völlig ungewohnt. Doch zum Glück musste ich nicht selber fahren, mit Linksverkehr hatte ich nämlich keinerlei Erfahrung.

Auf dem Weg zu den Dandenong Ranges Nationalparks konnte ich mich an der Natur gar nicht satt sehen: Wir fuhren durch weite, grüne Hügel und Eukalyptuswälder. Rose erklärte mir, dass es allein schon 700 Arten von diesen gum trees, wie die Australier die Eukalyptusbäume nennen, gibt. Von den wattles, den Akazien, die auch überall in Australien vorkommen, existieren sogar noch mehr, nämlich rund 800 Arten.

In den Bergen der Dandenongs standen hauptsächlich hohe Königseukalypten, die sich mit kleinen, schattigen Schluchten voller Baumfarne (ferntree gullies), Moosen und Blumen abwechselten. Durch die häufigen Regenfälle wachsen die Pflanzen äußerst üppig, ein sattes Grün hüllte alles ein. Wirklich ein reizendes Ziel, um einen ersten Eindruck von Australiens Flora zu bekommen. Allerdings war ich noch viel zu müde, um alles ganz aufzunehmen. Ich dämmerte durch meinen ersten Tag.

Teddybären in echt

Am nächsten Morgen schien die Sonne und es wurde sehr warm. Da ermahnte mich Rose gleich zum slip slop slap („ Slip on a shirt, slop on sunscreen and slap on a hat “ – oder auf gut Deutsch: „Zieh ein Hemd an, creme dich mit Sonnenschutz ein und setz einen Hut auf“). Die Ozonschicht in Australien ist sehr dünn und es ist das Land mit der höchsten Hautkrebsrate der Welt. Sonnenschutzfaktor 30 ist also Minimum.

Als sie mit ihrem Outfit auftauchte, wurde mir jedoch klar, dass ich nicht mithalten konnte: Sie trug eine Sonnenbrille mit Seitenschutz, einen Hut mit langem Nackenteil sowie lange weite Hosen und ein entsprechendes Hemd. Liefen denn alle hier so herum? Nein, einige wurden einfach krebsrot. Die sah ich aber erst später am Strand von Bondi Beach in Sydney.

Wir fuhren heute wieder „in die Nähe“, soll heißen: gut 45 km weit weg zum Healesville Sanctuary, einem Privatzoo, der in den 1930ern mitten im Buschland für australische Tierarten angelegt wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Koala in Healesville

Nun sah ich das erste Mal in meinem Leben Koalas und war hin und weg. Wie knuddelige Teddybären hingen sie in den Bäumen. Wenn sie mal nicht schliefen oder sich in Zeitlupentempo bewegten. Kaum verwunderlich, schließlich verputzen sie täglich ein Kilogramm Eukalyptusblätter, die für andere Tiere giftig sind. Von den Eukalyptusölen werden Koalas furchtbar müde, da sie schwer verdaulich sind und wenig Energie liefern. Um die 17 Stunden Schlaf brauchen sie täglich! Bei der Wahl der Eukalyptusblätter sind sie äußerst mäklig: Von Hunderten Eukalyptusarten fressen sie nur zwölf!

Wir liefen weiter. Endlich entdeckte ich auch meine ersten Kängurus und Wallabies. Bis zu diesem Moment war mir nicht bewusst, dass es so viele unterschiedliche Känguruarten gibt. Von den Riesenkängurus, die zwei Meter groß werden können, über die halb so großen Wallabies bis hin zu den noch kleineren Baumkängurus, leben in Australien bis zu 50 Arten.

Der Name „Känguru“ stammt übrigens von den Ureinwohnern Australiens. Es wird erzählt, dass Kapitän James Cook bei seiner Ankunft 1770 einen australischen Ureinwohner fragte, was das für ein seltsames Tier sei, dass da herum sprang. Die Antwort lautete: „Känguru“ – nur, dass dies in der Sprache der Ureinwohner schlichtweg „ich verstehe nicht“ hieß. Somit sahen wir jetzt einige „ich verstehe nicht“, die mit Riesensprüngen durch den Park hüpften.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Känguru

Ich lernte heute fast alle australischen Tiere kennen, denen ich später in freier Wildbahn begegnen sollte: possums (Beutelratten), wombats (Plumpbeutler), echidnas (Schnabeligel), dingos (australische Wildhunde), platypus (Schnabeltiere), cockatoos (Kakadus), pelicans (Pelikane) und den kookaburra (Lachender Hans).

Der „Lachende Hans“ heißt so, weil seine Schreie wie verrücktes Lachen klingen. Da er regelmäßig frühmorgens loslegt, konnte ich heute noch nicht nachprüfen, ob er wirklich „lacht“. Wenn man Rose glauben sollte, war das allerdings gut so. Sie hatte nämlich gehört, dass der Ruf des Kookaburras bei den Ureinwohnern einen baldigen Tod ankündigt. Ob es stimmte, wusste sie natürlich nicht …

Australische Gelassenheit und europäischer Packwahn

Der Tag war herrlich, doch erst einmal mein letzter bei Rose. Am nächsten Nachmittag ging mein Flug weiter nach Darwin. Im Northern Territory würde bald die Regenzeit einsetzen und daher hatte ich es eilig, dorthin zu kommen. Am Ende meiner Reise würde ich mir mehr Zeit für Rose nehmen.

Wir kochten, quatschten und genossen den Abend zusammen. Natürlich wurde es spät, denn durch meinen Jetlag fühlte ich mich abends putzmunter und war morgens noch mehr der Morgenmuffel, der ich sonst schon bin.

Also wachte ich wieder erst gegen Mittag auf, denn Rose ließ mich so lange schlafen, wie ich wollte. „Wir haben ja viel Zeit, bis dein Flug geht“, meinte sie immer wieder. Als ich zu packen begann und nachfragte, wann wir los müssten, kam wieder. „ Take your time! “ Ich hatte also keine Eile. In Ruhe packte ich meinen Rucksack um. Die 60 Liter Fassungsvermögen waren bis auf den letzten Millimeter ausgenutzt und ihn zuzumachen bedeutete schon beim ersten Mal in Deutschland eine Geduldsprobe.

Diverse Klimazonen lagen vor mir: Im Süden war es eher kühl, im Norden subtropisch warm. Also hatte ich an alles gedacht. Nur nicht daran, dass ich diesen Rucksack von nun an jeden Tag ein- und auspacken musste. Nachdem das Packen zur Qual wurde und viel zu lange dauerte, beschloss ich kurzerhand, ein paar T-Shirts und einen Pulli bei Rose zu deponieren.

Als ich immer noch mit dem elendigen Rucksack kämpfte, bemerkte ich Roses steigende Nervosität. „Jetzt sollten wir aber mal los“ war alles, was sie mit ihrer australischen Freundlichkeit sagte. In Wirklichkeit war es höchste Zeit. Die australische Definition von „nur einen Steinwurf weit weg“ hatte ich schon wieder verdrängt und somit nicht bedacht, dass wir eine gut einstündige Fahrt zum Flughafen noch vor uns hatten.

Als Rose nach mehreren roten Ampeln zu fluchen begann, wurde auch ich nervös. „Wie lange dauert es denn noch?“, fragte ich vorsichtig nach. „Wenn ich die Abkürzung finde, eine halbe Stunde. Sonst länger“, war die knappe Antwort. Mein Flugzeug nach Darwin startete in genau einer Stunde. Langsam ging ich die Konsequenzen eines verpassten Fluges durch: Die „Safaritour“ würde ohne mich losfahren und ich würde in Darwin festsitzen. Darüber hinaus wäre das Geld für die Tour weg.

Nun fluchte Rose fortwährend. Erstaunt sah ich sie an. So kannte ich sie gar nicht. Sie war sonst ein sehr ruhiger Mensch! Am Ende fand sie zwar die Abkürzung, doch wir trafen erst 15 Minuten vor Abflug am Flughafen ein. Mit einem schnell hingeworfenen „ Bye and thanks a lot “, war ich draußen und rannte so schnell ich konnte zur Abfertigungshalle.

„Sie können Ihr Gepäck nicht mehr einchecken“, hieß es. „Lassen Sie es hier und laufen Sie so schnell es geht mit dem Handgepäck zum Security Check“. Ich rannte. Zwar nicht um mein Leben, doch um den Verlauf der nächsten Woche.

In letzter Minute sprang ich ins Flugzeug, wo ich mich keuchend auf den einzigen freien Platz setzte. Alle starrten mich an, während ich mit meinen eigenen Sorgen beschäftigt war. Wie ging es nun mit meinem Gepäck weiter?

Schon kam der Stewart auf mich zu und erklärte mir, dass mein Rucksack mit dem nächsten Flieger mitkommen würde. Das Problem war nur der sehr kurze Zwischenstopp in Sydney. Es sah so aus, als ob es mein Gepäck nicht rechtzeitig schaffen würde.

„Gehen Sie in Sydney sofort zur Gepäckstelle und melden Sie denen, dass Ihr Rucksack nachkommt und weiter nach Darwin soll. Vielleicht haben Sie ja Glück!“ Das konnte mich nur wenig beruhigen.

Wie sollte ich eine ganze Woche Zelten ohne Wechselwäsche und Waschzeug durchstehen? Ich sah meinen kleinen Handgepäckrucksack nach brauchbarem Inhalt durch: Kamera, MP3-Player, Tempos, Müsliriegel, Sonnencreme, Sonnenhut, ein Pulli. Würde zur Not gehen. Nur müsste ich eine Woche lang mit den gleichen Sachen herumlaufen. Egal, jetzt hatte ich keine Wahl mehr.

Als wir in Sydney landeten, stürzte ich zur Gepäckstelle, wo mich ein freundlicher Herr beruhigte, er würde sich persönlich um alles kümmern. Aber versprechen konnte er auch nichts.

Somit suchte ich kurzerhand den nächsten Flughafenshop auf, um mir das „Allerwichtigste“ zu kaufen. Nur: Was war das? Was brauchte ich unbedingt, um die Woche zu überstehen? Das Thema Reinlichkeit ging mir nicht aus dem Sinn und so kaufte ich ein kleines Handtuch und eine Seife. So, nun würde es irgendwie gehen.

Blieb immer noch die Frage, wie ich an meinen Rucksack kommen sollte. Sobald ich mit der Tour im Busch unterwegs war, konnte ihn mir auch keiner mehr nachschicken. Egal, es war, wie es war. Auch das war eine Lektion meiner Reise: Nimm die neue Situation an und mach das Beste draus!

Sobald ich mich innerlich auf eine Woche Busch ohne Gepäck eingestellt hatte, kam es allerdings ganz anders: Der Anschlussflug nach Darwin hatte so viel Verspätung, dass es mein Rucksack aus Melbourne schaffte und mit nach Darwin fliegen durfte. Ich atmete auf.

Erleichtert stieg ich ins Flugzeug und vergaß dabei völlig meine Flugangst. Auch über einen „passenden“ Sitznachbarn machte ich mir keinerlei Gedanken.

Diesmal saß ich neben einem attraktiven jungen Australier, der sofort ein angeregtes Gespräch mit mir anfing. Und das war gut so. Der Flug wurde sehr unruhig, draußen tobte ein heftiges Gewitter. Hätte mich mein charmanter Nachbar nicht mit Geschichten über seinen Job in der Uranmine „in der Nähe von“ Darwin unterhalten, dann wäre ich tausend Tode gestorben. So aber wollte ich mir auf keinen Fall etwas anmerken lassen. Das wäre mir doch zu peinlich gewesen! Nach „nur“ sieben Stunden Gewackel kamen wir in Darwin an, wo wir uns kurz verabschiedeten.

„Schade“, dachte ich und sah ihm nach. Doch für mich ging es erst mal per Pickup-Taxi weiter in meine Jugendherberge. Wie sie wohl werden würde, meine erste Nacht im Sechs-Bett-Zimmer?

Die Antwort ist kurz und knapp: furchtbar! Spät nachts kam ich in ein mit Kleidung und Rucksäcken übersätes Zimmer voller schnarchender Bewohner. Die Luft war stickig und heiß, ich war ja jetzt in den Tropen. Gleichzeitig rumorte eine völlig veraltete Klimaanlage vor sich hin.

Es gelang mir irgendwie, mich im Halbdunkel auszuziehen und ins Stockbett zu hieven, doch an Schlaf war nicht zu denken. Meine innere Uhr spielte mir weiterhin Streiche: Ich war hellwach.

Dementsprechend gerädert fühlte ich mich um 6 Uhr morgens. Die Hitze, der Jetlag und der fehlende Schlaf waren der reinste K. o.-Cocktail. Die Küche war noch geschlossen und somit blieb mir nur einer meiner deutschen Müsliriegel als Frühstück. Während ich mir nichts sehnlicher als einen Kaffee wünschte, wartete ich auf den Bus.

Northern Territory

Kurz nach halb sieben kam ein Kleinbus angefahren. Müde wie ich war, verstaute ich meinen Rucksack und setzte mich in eine freie Reihe. Unser Tourguide Jack stellte sich kurz vor, doch mehr Zeit war nicht. Erst mussten die restlichen Teilnehmer abgeholt werden. Also kuschelte ich mich in meinen Sitz und begann, die Mitreisenden zu begutachten.

Wir waren nicht viele und alle machten einen genauso müden Eindruck wie ich: Ein junges Pärchen saß ineinander geschlungen da, ein älteres Paar sah gelangweilt aus dem Fenster, zwei junge Frauen schliefen und ein Herr mit schütterem Haar las in seinem Reiseführer. Allmählich kamen noch zwei Paare aus Deutschland sowie eine Australierin um die 30 dazu. Nun hielt unser Tourguide an, um uns alle offiziell zu begrüßen.

Er lebte in Darwin und führte seit ein paar Jahren die Touren durch das Northern Territory. So viele Jahre konnten es nicht sein, denn er war höchstens 23. Dennoch kam er sich sehr wichtig vor und betonte mehrmals, was für ein erfahrener Tourguide er war. Dabei setzte er sein bestes Sonnyboylächeln auf. Die beiden jungen Frauen reagierten sofort und strahlten ihn ihrerseits begeistert an. Jetzt waren sie hellwach.

Die Tour sollte uns in den Kakadu Nationalpark führen, in dem 1986 der Film „Crocodile Dundee“ gedreht wurde. Damals hatte ich mich köstlich über die Abenteuer des Buschmanns Mick Dundee amüsiert. Gleichzeitig waren dies meine ersten Eindrücke von Australien. Jetzt war ich gespannt, wie es wirklich war. Doch erst mussten wir ein paar Stunden mit dem Bus fahren.

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Kakadu Nationalpark

Der Kakadu Nationalpark mit seinen gewaltigen Sandsteinklippen liegt 171 km östlich von Darwin und ist, wie alles in diesem Land, riesig. Ganze 20.000 km² misst er, sodass wir nur einen kleinen Teil sehen würden. Sein Name „Kakadu“ hat nichts mit den gleichnamigen Vögeln zu tun, sondern mit einem Stamm der Ureinwohner Australiens. Ihre Sprache, das Gagudju, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Norden des Parks gesprochen. Inzwischen benutzt sie niemand mehr, doch die Nachkommen dieses Stammes leben immer noch im Park.

Jack verteilte eine Broschüre und gab uns weitere Informationen. Dabei erfuhr ich, dass der Ausdruck Aboriginees oder Aboriginals für die Ureinwohner in Australien seit ein paar Jahren als abwertend gilt. Daher sprach er nur noch von den Indigenous People.

Im Northern Territory leben prozentual die meisten Indigenous People Australiens, circa 30% der dortigen Bevölkerung sind Ureinwohner. Zahlenmäßig leben die meisten Ureinwohner in New South Wales.

Wissenschaftler fanden heraus, dass sie bereits vor 40.000 bis 60.000 Jahren mit Booten oder über damals existierende Landbrücken nach Australien kamen. Dieser Zeitraum ist so unvorstellbar lange, dass sich dadurch ihr ursprünglicher Name Aboriginees erklärt, der aus dem Lateinischen ab origine stammt: Jemand, der von Anfang an da war. Kein anderes Volk auf der Welt kann von sich behaupten, dass seine Kultur derart lange ohne Unterbrechung andauert.

Laut Schätzungen lebten vor Ankunft der ersten Europäer ungefähr 500.000 Indigenous People auf diesem Kontinent. 1788 landete jedoch die erste Flotte mit britischen Sträflingen in der Bucht von Sydney, das damals als „Niemandsland“ angesehene Australien sollte besiedelt werden.

Die von den Neuankömmlingen „importierten“ Krankheiten wie Pocken, Masern oder Typhus hatten verheerende Auswirkungen auf die Ureinwohner. Wenn sie diese dennoch überlebten, wurden sie von den Siedlern getötet oder als Sklavenarbeiter auf den Farmen eingesetzt. Kaum 100 Jahre später, also Ende des 19. Jahrhunderts, waren schätzungsweise nur noch 50.000 ursprüngliche Einwohner Australiens übrig.

Für viele Jahre lebten die Indigenous People ohne Rechte am Rande der Gesellschaft. Erst 1967 erhielten sie in ganz Australien volle Bürger- und Wahlrechte. Leider gab ihnen das auch offiziell das Recht, Alkohol zu trinken. Bis heute ist der hohe Alkoholkonsum ein Problem, das viele Ureinwohner Australiens regelrecht zerstört.

Allerdings gibt es auch Gruppen, die in den Gebieten weit weg von großen Städten gemäß ihrer Stammestraditionen weiterleben. Andere setzen sich für das Miteinander von Schwarz und Weiß, von blackfellas und whitefellas in verschiedenen Projekten ein.

Der Kakadu Nationalpark wird inzwischen von Indigenous People und Mitarbeitern von Parks Australia gemeinschaftlich verwaltet. Dies war jedoch erst ab 1976 durch den Aboriginal Land Rights Act möglich, ein Gesetz, das den Indigenous People Landrechte im Northern Territory zusprach.

All die Diskussionen um das Land mussten und müssen für die australischen Ureinwohner sehr verwirrend sein, denn für sie ist es unvorstellbar, das Land als Eigentum zu „besitzen“.

Sie glauben nämlich, dass die Erde mit ihren Lebewesen von ihren spirituellen Vorfahren während der sogenannten „Traumzeit“ erschaffen wurde und von allen respektiert sowie geschützt werden muss.

Den Ausdruck „Traumzeit“ fand ich irreführend, da es ja nicht wirklich etwas mit dem Träumen zu tun hat. Es bezieht sich auf die „Schöpferzeit“, während der eben jene Vorfahren songlines hinterließen. Auf Deutsch spricht man von „Traumpfaden“. Erstaunlicherweise können die Indigenous People solche Pfade heute noch erkennen. Jeder Baum, jeder Felsen, jeder Hügel, alles erhält dadurch eine besondere Bedeutung.

In der Broschüre fand ich folgenden Stammesspruch, den ich für meine bevorstehende Reise sehr passend fand: „Wenn du das Land respektierst, dann wirst du es fühlen. Diese Erfahrung wirst du nirgendwo anders auf der Welt machen können.“

Allerdings wirkte das Land, das an mir vorüberzog, im Augenblick nur eintönig. Überall sah ich die sogenannten savanna woodlands: Savanne mit hohem Gras, Eukalyptus-, Papierrinden- und Grasbäumen. Diese black boys oder grass trees heißen so, da sie richtige Grasbüschel auf dem Kopf tragen. Sogar Buschfeuer überleben sie und blühen danach regelrecht auf. Aber durch meine Jetlag-Müdigkeit war ich nicht sehr aufnahmefähig. Ich ließ einfach alles an mir vorbeiziehen.

„Freshies“ und „Salties“

Unser erster Stopp war Fogg Dam, ein Sumpfgebiet voller Orchideen und Wasserlilien, wo wir Kormorane, Reiher und Kraniche beobachten konnten. Danach fuhren wir zum Wetland Visitor Centre mit seiner Ausstellung über die flood plains. Das Gebiet um den Adelaide River, das wir von dort überblicken konnten, wird jährlich während der Regenzeit überflutet. Daher kommt der Name „überflutete Ebenen“. Während die anderen durch die Ausstellung liefen, kämpfte ich mit dem Schlaf. Sobald ich mich hinsetzte, döste ich weg.

Da kam mir ein Badestopp an einem billabong sehr gelegen. Ein billabong ist ganz einfach ein Teich und davon sollte es noch viele geben. Aber Vorsicht! Nicht alle billabongs sind badetauglich. Krokodile wandern gerne die Flussläufe hoch und verstecken sich schon mal in so einem Teich. „ No worries “, keine Sorge, meinte Jack. „Nur die salties, also Salzwasser- oder Leistenkrokodile, sind wirklich lebensgefährlich. Die anderen, die freshies, Süßwasserkrokodile, können dir nur einen Arm oder ein Bein abbeißen.“ „Wie beruhigend“, dachte ich mir nur wieder. Irgendwie musste ich mich erst an die Denkweise der Australier gewöhnen. Dieser billabong war laut Jack sicher und somit schwammen wir sorglos zwischen wunderschönen Lotusblüten herum.

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Lotusblüte im „billabong“

Allmählich waren wir alle etwas munterer und halfen Jack beim Vorbereiten unseres ersten Picknicks. Wie an vielen Rastplätzen in Australien, gab es auch hier öffentliche Toiletten und ein paar Tische und Bänke. Die mitgebrachten Klappstühle und -tische stellten wir einfach dazu.

Die meisten der Gruppe schienen mir nicht recht gesprächig. Die Deutschen blieben unter sich, das ältere Paar, aus Frankreich, unterhielt sich mit dem älteren Herrn, aus Kanada, auf Französisch. Doch die beiden jungen Frauen, aus England, und Kerrie, die Australierin, machten einen netten Eindruck.

Während wir den Tisch deckten, sprachen wir natürlich über die Reise. Dabei fiel mir auf, dass die beiden Engländerinnen sich immer möglichst nah bei Jack aufhielten und versuchten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sei es durch ein abruptes Umdrehen, bei dem sie Jack „versehentlich“ berührten oder durch Aussprüche wie: „Wow, da hast du ja leckeren Schinken eingepackt!“ Jede versuchte dabei, die andere auszustechen. Ich musste schmunzeln und war gespannt, wie sich das noch entwickeln würde.

Das Essen sollte von nun an jeden Tag gleich ablaufen und alle mussten zupacken: Tische und Stühle aufstellen, Salat schnippeln, Wurst, Käse, Butter, Ketchup, Mayonnaise sowie Getränke auspacken.

Zu den Getränken gehörte natürlich immer ein stubbie, eine kleine Flasche australisches Bier wie Foster’s, XXXX – gesprochen four ekses – oder Victoria Bitter. Die meisten Australier haben dazu einen stubbieholder, einen Dosenkühler aus Neopren. Damit das Essen frisch bleibt, gibt es die eskies, Tiefkühlboxen.

Ich muss gestehen, ein kühles Bier war bei dieser Hitze wirklich das Beste. Das Brot hingegen war eher eine Enttäuschung. Es gab immer weiches, labberiges Brot. Morgens, mittags und abends! Leider sollte sich in den nächsten Wochen nicht viel ändern.

Nach dem Essen stand crocodile watching auf dem Programm. Wir fuhren zum Rose River und bestiegen ein Boot, das für meinen Geschmack etwas klein war. Auf einem größeren hätte ich mich definitiv sicherer gefühlt. Auf der Fahrt sahen wir wieder majestätische Lotusblüten, alles wirkte sehr beschaulich. Bis wir das erste Krokodil ins Wasser gleiten sahen. Und dann noch eins und noch eins. Jack erklärte uns, wir hätten Glück, dass wir gleich so prächtige salties sehen konnten, die kleinen freshies wären doch ziemlich langweilig. Die salties würden bis zu sieben Meter lang und 100 Jahre alt. Na ja, so nahe am Boot hätte mir auch ein kleineres Krokodil gereicht.

Ganz gruslig wurde es dann, als wir an einem toten Ochsen vorbeifuhren, dessen Kadaver an einem Baumstumpf hängen geblieben war. Nun taten sich gleich zwei Krokodile gütlich daran und hielten ihren Festschmaus, der Verwesungsgeruch des Ochsen lag in der Luft.

Jack erzählte uns noch, dass es am Adelaide River einen Veranstalter gab, der mit den Krokodilen das Springen geübt hatte. Die jumping crocodiles schnellten in die Höhe, wenn ihnen ein Stück Fleisch hingehalten wurde. Ehrlich gesagt reichte es mir auch so.

Zum Übernachten fuhren wir weiter zu einem permanent camp. Das bedeutete, dass wir nicht jede Nacht selber die Zelte aufbauen mussten, sondern bereits kleine „Zelthütten“ vorfanden. Sie waren eine Mischung aus Hütte und Zelt: Die Wände bestanden teils aus Tuch, teils aus festem Moskitonetz. Das Tuch war horizontal durch die Mitte gespannt, damit keiner hineinsehen
konnte. Innen gab es rechts und links je zwei Stockbetten. Praktisch und ungewöhnlich, hatte man doch das Gefühl, ganz draußen zu schlafen.

In meiner ersten Nacht konnte ich wieder kaum schlafen, zu unheimlich waren die Geräusche, die aus dem Busch kamen. Vor allem hörte ich ständig etwas rascheln. Schlich da jemand ums Zelt? Zum Glück war ich nicht alleine: Ich teilte mir das Hüttenzelt mit Kerrie, der Australierin und war heilfroh darüber.

Am nächsten Morgen musste es schnell gehen: anziehen, packen, frühstücken. Das bedeutete für mich wieder, den Kampf mit dem Fassungsvermögen meines Rucksacks aufzunehmen. Verzweifelt zerrte und ruckelte ich an den Reißverschlüssen, die sich vehement wehrten. Kerrie war schon längst fertig, als auch ich es irgendwann geschafft hatte.

Das gemeinsame Frühstück lief immer gleich ab: Tische und Stühle aufbauen, Kaffee kochen, Essen auspacken, labberiges Weißbrot essen. Zum Frühstück gehörte auch das in Australien beliebte vegemite, ein salziger Brotaufstrich aus Hefeextrakt. Sehr gewöhnungsbedürftig. Außer Kerrie und Jack, den beiden Australiern, aß es eigentlich keiner. Nicht einmal die Engländerinnen versuchten, Jack damit zu beeindrucken. Noch schnell Zähne putzen und weiter ging’s mit dem Bus.

Irgendwie war ich zu langsam. Wie gesagt war ich schon immer ein Morgenmuffel und brauche meine Anlaufzeit. Nun mit dem Jetlag, der doch fast eine Woche lang anhielt, dem wenigen Schlaf und der heiklen Aufgabe des Rucksackpackens konnte ich mit den anderen kaum mithalten. Doch Jack trieb uns gnadenlos an.

Indigenous People

Unsere heutigen Ziele waren der Ubirr sowie der Nourlangie Rock. Die dortigen Felsmalereien der Indigenous People sind bis zu 20.000 Jahre alt und zählen zu den schönsten und am besten erhaltenen.

Ungewöhnlich ist ihr sogenannter „Röntgenstil“: Die Körper werden zusammen mit ihrem Skelett und den inneren Organen dargestellt. Viele Malereien, die auch Tiere wie die Regenbogenschlange, Schildkröten, Kängurus oder Fische zeigen, erzählen Geschichten über die Urahnen der Indigenous People.

Nach einem kurzen Spaziergang erreichten wir eine große Felsspalte, in der die Ureinwohner bis vor ein paar Jahrzehnten lebten. Geschützt vor Regen und schlechtem Wetter konnten hier zahlreiche Felsmalereien überleben. Jack zeigte uns ein paar, hatte jedoch nicht sehr viel dazu zu sagen.

Enttäuscht sah ich zu ihm hinüber. Wenn er so ein „erfahrener“ Guide war, wieso wusste er dann nicht mehr? Nicht einmal über die Regenbogenschlange konnte er uns berichten. Gut, dass ich mich selbst etwas eingelesen hatte. Daher wusste ich, dass sie für viele Ureinwohner „das“ Schöpfertier darstellt, das alle anderen Lebewesen herbeirief.

Doch Jack fühlte sich bei seinen knappen Erklärungen ganz in seinem Element, was durch das Augenklimpern der beiden Engländerinnen nur noch unterstützt wurde.

Was fanden die beiden nur an ihm? Mein Geschmack war seine ganze Art nicht. Inzwischen suchte auch er ständig ihre Nähe und genoss ihr weibliches Interesse sichtlich. Allmählich ging mir das Getue auf die Nerven.

Doch auch sonst fühlte ich mich in der Gruppe nicht recht wohl. Wie auch? Jeder blieb für sich, nur beim Vorbereiten des Essens und beim Aufräumen packten alle mit an. Gut, dass es nur noch ein paar Tage waren.

Nun begann es zu regnen. Schade, denn über diverse Treppen hatten wir beeindruckende Aussichtspunkte erreicht. Bei Sonnenschein war es bestimmt unbeschreiblich, von hier auf das umliegende Felsmassiv zu blicken.

Bevor wir klatschnass waren, stiegen wir wieder in den Bus und fuhren weiter bis nach Jabiru. Hier sah ich zum ersten Mal einen Ureinwohner mit eigenen Augen.

Jabiru liegt zwischen Ubirr und Nourlangie Rock. Benannt wurde es nach der einzig existierenden australischen Storchenart, dem jabiru. Der kleine Ort entstand in den 1970er Jahren, um die Arbeiter der umliegenden Uranminen mit dem Nötigsten zu versorgen. Heutzutage spielt der Bergbau immer noch eine wichtige Rolle, doch darüber hinaus ist Jabiru „der“ Ausgangspunkt für die Touristen geworden, die den Kakadu Nationalpark erkunden wollen. Touristische Hauptattraktion ist neben dem öffentlichen Pool ein Hotel in Form eines Krokodils, das „Gangudju Crocodile Holiday Inn“.

Unser Bus hielt vor einem Supermarkt, wo wir unsere persönlichen Bedürfnisse an Postkarten, Schokolade, Chips, Zigaretten und dergleichen stillen konnten. Viel fand ich nicht, doch hier draußen brauchte man eigentlich nicht mehr als guten Sonnenschutz und kühles Bier.

Kühles Bier gab es im Pub. Genau vor dem Pub saßen ein paar Indigenous People teilnahmslos im Schatten eines Baumes. Mir fielen ihre sehr dunkle Hautfarbe und ihr welliges Haar auf. Ihre Kleidung war abgewetzt und ausgebleicht. Als wir an ihnen vorbeigingen, starrten sie uns mit ausdruckslosen Gesichtern an. Irgendwie unheimlich wirkten sie auf mich.

Ich hatte gelesen, dass viele Ureinwohner arbeitslos sind und in der Gesellschaft immer noch keinen Platz finden. Deshalb flüchten sich angeblich viele in den Alkohol. Daran musste ich nun denken.

Fast alles, was ich bisher über die „ Indigenous People “ wusste, stammte aus diversen Reiseführern. Neben all den Fakten hatten mich allerdings zwei Bücher besonders zum Nachdenken angeregt: „Traumfänger“ und „Ich hörte den Vogel rufen“.

Die Autorin von „Traumfänger“, Marlo Morgan, ist eine Amerikanerin, die mit den Indigenous People auf einen walkabout geht, sie wandert mit ihnen ins Outback und erlebt Unglaubliches. Zum Beispiel heilen die Indigenous People ein gebrochenes Bein innerhalb kürzester Zeit und mit einfachsten Mitteln. Auf der ganzen Wanderung ernähren sie sich ausschließlich von dem, was sie in der Natur finden: Pflanzen, Wurzeln, Tiere.

„Ich hörte den Vogel rufen“ wurde von der bekannten westaustralischen Malerin und Schriftstellerin Sally Morgan geschrieben. Sie erzählt die Geschichte ihrer Familie: Sowohl ihre Mutter als auch ihre Großmutter beharrten darauf, dass sie Inder wären und daher eine so dunkle Hautfarbe hätten. Mit der Zeit kommt jedoch heraus, dass die Mutter ein „gestohlenes Kind“ der Indigenous People ist.

Zwischen 1910 und circa 1970 wurde ungefähr jedes zehnte Kind seiner Ureinwohner-Mutter weggenommen, um es in einem christlichen Kinderheim zu erziehen. Der Einfluss der Weißen sollte aus den Kindern „bessere Menschen“ machen. Heutzutage spricht man von der stolen generation, der gestohlenen Generation.

Zu diesem Thema hatte ich auch einen bewegenden Film gesehen: „Long Walk Home“ aus dem Jahre 2002. Er handelt von drei „gestohlenen“ Kindern, die aus ihrem Erziehungsheim weglaufen. Zu Fuß legen sie unglaubliche 2.400 km zurück, immer entlang des rabbit proof fence. Dieser Zaun wurde in Westaustralien errichtet, um die Kaninchenplage einzudämmen. Die Geschichte beruht auf Tatsachen, die Kinder schafften es tatsächlich bis zu ihren Familien.

Heute versuchen immer mehr Menschen dieser „gestohlenen“ Generation, zurück zu ihren Wurzeln zu finden, indem sie zum Beispiel ihre ursprünglichen Ureinwohner-Namen annehmen. Andere bringen sich in Kunstprojekte ein oder machen sich für den Bereich Schule und Ausbildung stark.

Sowohl der Film als auch die Bücher waren ein schöner Einstieg für meine Reise und eine gute Möglichkeit, mehr über die Indigenous People zu erfahren. Nun hoffte ich, allmählich eigene Eindrücke zu sammeln.

Immer noch stand ich in Jabiru vor dem Pub, meine Reisegruppe drängte hinein. Ich ließ meine Gedanken über die Indigenous People los und folgte ihnen.

Drinnen waren die Wände übersäht mit Reklameschildern und -aufklebern. Die Szene kam mir irgendwie bekannt vor. Warum nur? Da fiel es mir ein: Genau wie im Film „Crocodile Dundee“ hingen ein paar Männer mit den typischen breitkrempigen Hüten, ärmellosen T-Shirts und stubbies am Tresen herum.

Während wir uns kaltes Bier bestellten, erklärte Jack, dass es hier oben sogar 2,25 Liter-Flaschen als stubbies gab. „In Darwin brauchen sie so große Flaschen, denn sie sind die ‚Weltmeister im Biertrinken‘“. Stolz wies er wieder mal darauf hin, dass er aus Darwin stammte und sich daher „so gut auskannte“.

„Sie trinken so viel, dass sie jedes Jahr eine beer can regatta organisieren“, fuhr er fort. Wie der Name schon sagt, bestehen die Boote dann ganz aus Bierdosen. Soviel zum Thema Alkohol. Gab es hier nichts Besseres zu tun?

Die zweite Nacht verbrachten wir wieder in einer „Zelthütte“. Wieder hörte ich das ständige Rascheln. Noch dazu musste ich nachts raus und ein paar Meter zur Toilette laufen. Todesmutig wagte ich mich aus der Hütte … und sah gerade noch ein paar Kängurus weghüpfen. Raschelnd verschwanden sie im Gebüsch. Das war es also, was ich jede Nacht hörte! Ich musste lachen und lief beruhigt weiter.

Die Nacht war wortwörtlich sternenklar. Weit und breit gab es kein Haus oder irgendeine Beleuchtung, die Sterne strahlten um die Wette. Fasziniert blieb ich stehen und sah nach oben. Noch nie hatte ich die gesamte Milchstraße, noch nie hatte ich so unzählig viele Sterne gesehen. Auch das Kreuz des Südens entdeckte ich. Zum ersten Mal fühlte ich mich wirklich weit weg von zuhause, denn dieses Sternenbild kann man in unseren Breitengraden gar nicht erkennen.

Seitdem habe ich nie mehr einen so fantastischen Sternenhimmel bewundert, der sich wie eine Kuppel über unseren Hütten wölbte. In dieser Nacht schlief ich bestens und am nächsten Morgen war ich sogar etwas schneller als sonst.

Nun sollten eigentlich die Jim Jim Falls und die Twin Falls auf dem Programm stehen. Doch die Wege dorthin waren nicht mehr passierbar, es hatte bereits zu viel geregnet. „ No worries “, meinte Jack. Natürlich , dachte ich. „Ich kenne noch einen kleineren, unbekannten Wasserfall ‚ganz in der Nähe‘. Da könnt ihr sehr gut baden.“ „Ganz in der Nähe“ also … Nach kaum zwei Stunden Fahrt waren wir da.

Wir entdeckten den Wasserfall erst nach einer kleinen Wanderung durch den Busch: Zwischen den für Australien so typischen Akazien, den wattles, Eukalyptusbäumen und dem scharfkantigen Stachelkopfgras, dem spinifex, tauchten plötzlich hohe Felsen auf. Nachdem wir eine kleine Schlucht durchquert hatten, standen wir direkt davor: Wie ein flüssiger Vorhang ergoss sich der Wasserfall aus fünf Metern Höhe in ein kleines Bassin. Herrlich! Sogar hinter den „Vorhang“ konnte man gelangen, denn dort tat sich eine Höhle auf.

Es war brütend heiß, also stellten wir uns mitsamt unserer Kleidung direkt unter das kühle Nass, schließlich trocknete ja alles ganz schnell. Die Engländerinnen hatten natürlich ganz besonderen Spaß daran, in ihrer nassen Kleidung vor Jack herumzuhopsen.

Wer Lust hatte, konnte noch über den Wasserfall klettern. Es schien nicht allzu schwierig zu sein und somit war ich sofort dabei. Die Kraxelei war schweißtreibend, wurde jedoch mit einer atemberaubenden Aussicht weit übers Land belohnt: So weit das Auge reichte nur pure Natur, eine Farbpalette aus verschiedenen Grün- und Grautönen sowie rotgelber Erde.

Ein letztes Bad noch, dann hieß es wieder einige Stunden Bus fahren, um zu unserem permanent camp für diese Nacht zu gelangen. Während der Fahrt lief immer wieder Rockmusik gemischt mit Didgeridoo-Klängen. Ein Lied hatte es mir besonders angetan: „Treaty“. Der Text war interessant und lautet übersetzt folgendermaßen:

„Ich hörte es im Radio und sah es im Fernsehen. Im Jahr 1988, all das Gerede der Politiker. Worte sind einfach, Worte sind billig. Viel billiger als das unbezahlbare Land. Doch Versprechen können verschwinden wie eine Schrift im Sand. Treaty, Vertrag …“ Dann folgte ein Gesang in einer australischen Ureinwohner-Sprache.

„Treaty“, auf was sich das wohl bezog? Damals, 1988, war das Land den Ureinwohnern noch nicht offiziell anerkannt worden. Wahrscheinlich hatte es damit zu tun.

Bei seiner Besiedelung wurde Australien als Terra Nullius, als „Niemandsland“ betrachtet, so als ob vorher keine Menschenseele dort gelebt hätte. Für die Siedler gehörte das Land niemandem.

Lange Zeit kämpften die Indigenous People für die Anerkennung ihrer Landrechte. Erst 1993, nachdem ein Mann namens Eddie Mabo gegen die Regierung Queenslands geklagt hatte, wurde das „Mabo“-Gesetz verabschiedet. Es definiert die Ansprüche der Indigenous People auf den Grundbesitz vor Ankunft der ersten Siedler.

1996 versuchte der liberale Premierminister John Howard jedoch schon wieder, das Mabo-Gesetz durch Ausnahmeregelungen einzuschränken.

Ganze elf Jahre lang weigerte sich eben jener Premierminister, sich offiziell bei den Indigenous People im Namen der Australier für das ihnen angetane Unrecht zu entschuldigen. Erst 2008 sprach der australische Außenminister Kevin Michael Rudd die längst fällige Entschuldigung aus.

Selbst wenn die Indigenous People sehr lange auf diesen Augenblick warten mussten, so war ein großer Schritt in der Geschichte Australiens getan. Denn während Einwanderer aus der ganzen Welt mit offenen Armen empfangen werden, haben es die Indigenous People in der Gesellschaft immer noch schwer. Zu unterschiedlich sind die Kulturen, zu viel Unverständnis und Intoleranz herrscht gegenüber ihrer Denk- und Lebensweise.

Das Lied hatte Energie, richtig viel Kraft und Energie. Ich fragte Jack, von wem es sei. Die Gruppe hieß Yothu Yindi, was übersetzt „Mutter und Kind“ bedeutet. Diese australische Band wurde bereits 1986 gegründet und setzt sich aus Indigenous People, Australiern und Europäern zusammen.

Sie versuchen, die traditionelle Musik der australischen Ureinwohner mit moderner Rock- und Popmusik zu kombinieren – was ihnen sehr gut gelingt! Außerdem setzen sie sich für Verständnis und Respekt zwischen den verschiedenen Kulturen ein. 2000 traten sie sogar bei der Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele in Sydney auf. Leider ist der Sänger und Gründer der Band, Mandawuy Yunupingu, im Juni 2013 verstorben.

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Blick auf die Katherine Gorge

Katherine Gorge und Litchfield Nationalpark

Die Katherine Gorge im Nitmiluk Nationalpark war das Ziel des nächsten Tages. Mit einem großen Motorboot unternahmen wir eine Fahrt auf dem Katherine River und fuhren gemächlich durch die 13 beeindruckenden Sandsteinschluchten. Wem das zu langweilig war, der konnte mit dem Kajak fahren. Doch nur die deutschen Paare nutzten diese Möglichkeit.

Anschließend hatte Jack mit uns einen bushwalk geplant, also eine Wanderung durch das Buschland. Bei den hohen Temperaturen und der extremen Luftfeuchtigkeit wurde es zu einer echten Herausforderung. Keuchend und schwitzend stiegen wir eine der steilen Schluchten hinauf. Oben eröffnete sich uns eine sagenhafte Aussicht auf den Fluss und die Felswände. Die Mühe hatte sich gelohnt!

Nach dem Abstieg waren wir so nass geschwitzt, dass ein Bad im Katherine River sehr verlockend war. Allerdings stand da ein unmissverständliches Warnschild mit dem Bild eines Krokodils: „Vorsicht Krokodile“! Doch Jack versicherte uns, dass Schwimmen absolut ungefährlich war.

Sofort sprangen die Ersten in den Fluss. Ich war hin und her gerissen zwischen dem starken Verlangen nach Abkühlung und meiner Erinnerung an einen Zeitungsartikel. Darin hatte ich von einer deutschen Touristin gelesen, die in einem australischen billabong von einem Krokodil unter Wasser gezogen wurde. Ihre Leiche wurde nie gefunden. Angeblich hatte der Tourguide damals auch gesagt, dass es vollkommen ungefährlich sei.

Also ließ ich erst mal alle anderen ins Wasser gehen und wartete ab. Als nichts passierte, wagte auch ich mich hinein, blieb aber am Rand. Trotz meiner Bedenken tat die Abkühlung so gut.

Von nun an sollte das Schwimmen jedoch eine sicherere Angelegenheit werden und mehr Spaß machen, denn wir erreichten die traumhaft schönen Edith Falls. Zu meiner Beruhigung zierte kein Warnschild das Ufer. Auch die zahlreichen Badegäste ließen auf ungestörtes Vergnügen schließen.

Australien zeigte sich ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte: ursprüngliches Buschland mit Schluchten und traumhaften Wasserfällen, alles in Grün-, Braun- und Rottönen durch die unterschiedlichen Pflanzen und Felsen. Schade nur, dass ich weder einen Partner noch eine gute Freundin dabeihatte, mit der ich die Schönheit der Natur teilen konnte. Wehmütig dachte ich an Steve …

Auf der Fahrt zum Litchfield Nationalpark fielen mir riesige Termitenhügel auf. Laut Jack errichten die Termiten die Hügel bis zu acht Meter hoch aus Erde und zerkautem Holz. Die abgeflachten Termitenhügel werden von den magnetic termite mounds, den Kompasstermiten, gebaut und sind genau in Nord-Süd-Richtung ausgerichtet. Dadurch können sie sich bei Hitze auf die Nordseite und bei Kälte auf die Südseite zurückziehen. Erstaunlich, was es in Australien alles gab!

Während das typische Buschland, unterbrochen von Schluchten und Regenwald, an uns vorbeizog, las ich in Jacks Broschüre ein paar Tipps unter Surviving the Tropics. Um also die Tropen zu überleben, wurde folgendes empfohlen: „Tragen Sie leichte und bequeme Kleidung, die sie vor einem Sonnenbrand und vor Mückenstichen schützt. Trinken Sie ausreichend, um Dehydrierung zu vermeiden. Denken Sie daran, dass Wege und Straßen in kürzester Zeit zu reißenden Strömen anschwellen können und ihnen der Rückweg abgeschnitten werden kann.“ Dies betraf die Regenzeit, die, wie wir selbst erfahren hatten, bereits begonnen hatte. Inzwischen regnete es immer öfter.

Ich las weiter und fiel fast vom Sitz: „Beachten Sie unbedingt die Warnschilder. Aufgrund der im Nationalpark lebenden Krokodile ist sicheres Schwimmen nur im öffentlichen Pool von Jabiru zu empfehlen.“ Ich schluckte und fragte mich noch mehr, was ich von Jack halten sollte. Ich würde jedenfalls nicht mehr irgendwo schwimmen, wo ein Warnschild angebracht war.

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Badestopp im Litchfield Nationalpark

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Florence Falls

Am Buley Rockhole entdeckte ich kein Warnschild. In mehreren kleinen Kaskaden strömte das Wasser von einem Badepool zum nächsten. Sehr einladend! Ich legte mich in einen und ließ meine Seele baumeln.

Australien faszinierte mich immer mehr. Was ich wohl noch alles sehen und erleben würde? Heute ging meine Safaritour zu Ende. Im Nachhinein war sie ganz gut gewesen. Genüsslich lehnte ich mich zurück und badete im warmen Wasser.

Noch einladender als das Buley Rockhole präsentierten sich die Florence Falls inmitten des Regenwalds. Von einem Hochplateau aus konnte man bereits auf sie hinunterblicken: Mehrere Wasserfälle stürzten in ein großes Becken, umrahmt von roten Felsen und üppigem Grün. Ich kam mir wie in einer Märchenlandschaft vor!

Ausgelassen sprangen die Mutigsten unserer Gruppe von den Felsen ins Wasser. Baden stellte hier laut unserem Guide und angesichts der zahlreichen Touristen keine Gefahr dar. Natürlich sprang auch Jack und erntete großen Beifall – vor allem von den kichernden Engländerinnen. Alle genossen diesen letzten Badestopp sichtlich. Doch allmählich näherte sich der letzte Tag unserer Safaritour seinem Ende.

Ein Tag in Darwin

Zurück in Darwin war ich erleichtert, die Gruppe los zu sein. Eine Woche straffer Zeitplan sowie sich wiederholende Kommentare von Jack und den anderen waren genug.

Mithilfe meines Reiseführers fand ich ein Hostel, das ganz gut klang. Diesmal wollte ich unbedingt ein Zimmer für mich ganz alleine haben. Allerdings gab es nur Sechs-Bett-Zimmer und somit war ich gezwungen, sechs Betten zu buchen. Endlich keine nächtlichen Geräusche! Endlich ein richtiges Bett! Endlich kein Frühstücksmarathon mehr!

Leider war der Preis für diesen Luxus dementsprechend hoch. Ich begann zu rechnen. Wenn ich weiterhin so ein Zimmer für mich alleine beanspruchen wollte, würde ich meine Reise nach zwei bis drei Wochen aus Geldmangel abbrechen müssen. Kein schöner Gedanke. Aber sei’s drum, wahrscheinlich war ich schlichtweg zu alt für die Erfahrung im Mehrbettzimmer.

Bevor ich weiter nach Cairns flog, hatte ich noch einen ganzen – öden – Tag in Darwin vor mir. Die Stadt war einfach nur heiß und feucht. Jetzt, kurz vor Beginn der Regenzeit, fühlte es sich besonders unerträglich an. Die Durchschnittstemperaturen lagen tagsüber bei 31-37 °C!

Diese Zeit des buildup, bevor die sintflutartigen Regenfälle einsetzten, war spannungsgeladen. Bei einigen Menschen löst sie Gereiztheit und Aggressionen aus. Dementsprechend viel hat die Polizei zu tun.

Ich hatte gelesen, dass sich auch electrical storms, Glutstürme, entwickeln konnten. In Darwin schlagen sogar die meisten Blitze weltweit ein! Gut, dass ich bald weg war, denn auch ich spürte die Anspannung.

Die Einwohner Darwins dagegen zeigten im Laufe der Jahre außerordentlich viel Durchhaltevermögen. Die Stadt wurde im zweiten Weltkrieg von den Japanern bombardiert und schon mehrfach durch Wirbelstürme zerstört. Der letzte verheerende Zyklon, Tracy, schlug 1974 zu.

Immer wieder wurde Darwin ganz nach Plan aufgebaut, sodass die Straßen im Schachbrettmuster verlaufen. Wie in jeder australischen Stadt gibt es diverse Fastfood Restaurants, Autohändler, Tankstellen, Supermärkte, Hotels, Motels und Hostels. Nicht sehr abwechslungsreich also.

Ich wälzte den Reiseführer, um herauszufinden, was ich hier unternehmen konnte. Fishfeeding war das Einzige, was ich fand. Also lief ich zu einem Strandabschnitt, der Aquascene heißt, um mit all den anderen Touristen Fische zu füttern. Es stellte sich heraus, dass diese Aktion viel besser war als erwartet: Tausende von Fischen wie Brassen, Katzenfischen und Meeräschen kommen regelmäßig beim Höchststand der Flut, und nur dann, bis ans Ufer geschwommen, um sich füttern zu lassen. Auch ich holte mein Brot hervor und versuchte mein Glück.

Zufällig traf ich dort Kerrie, die mich nach meinen Plänen für den Abend fragte. Nachdem ich sowieso nichts vorhatte, verabredeten wir uns zum Abendessen.

Den Nachmittag verbrachte ich am Pool meines Hostels in einem lieblosen Hinterhof. Dann ging ich shoppen, um meine Ausrüstung auf australischen Stand zu bringen. In Erinnerung an Roses Ratschlag slap on your hat kaufte ich mir einen waschechten australischen Outdoorhut. Besonders nützlich fand ich eine zusätzliche Wasserflasche zum Umhängen. Auf der Wanderung in Nitmiluk Nationalpark hatte ich viel zu wenig zu trinken dabei gehabt, das musste ich ändern. Praktischerweise hatte diese Flasche in ihrer Isolierhülle sogar ein kleines Kühlfach!

Sicher hatte Darwin noch mehr zu bieten, doch mir war nicht nach Sightseeing. Es war einfach viel zu heiß. In Erwartung einer Mail von Steve lief ich zurück ins Hostel.

Jedes Hostel bietet normalerweise die Möglichkeit eines Internetzugangs, teils sogar kostenlos. Meistens kostet die PC-Benutzung jedoch extra. Viele Backpacker reisen auch mit eigenen Laptops oder haben ihre Smartphones dabei und surfen dank einer australischen Flatrate mehr oder weniger günstig im Internet. Die Preise in diesem Bereich sind sehr unterschiedlich, je nachdem auf welchen Zeitraum man sich festlegt.

Leider war ich nicht so gut ausgestattet und auf den Computer hier angewiesen. Dieser arbeitete extrem langsam, sodass die Minuten zäh verrannen, während meine Mails herunter geladen wurden. Nichts von Steve, aber Post von Antonio, meinem privaten Seelsorger.

Antonio ist ein römischer Priester, der für meine Seele sorgt, also wirklich eine Art privater „Seel-Sorger“. In den letzten Jahren war er immer da, wenn ich Kummer hatte und „umsorgt“ werden musste.

Kennen gelernt hatte ich ihn mit seiner Arbeitsgruppe auf einer Konferenz in München. Anschließend zeigte ich ihnen spontan die Stadt und wir verbrachten einen unterhaltsamen Abend. Als sie mich beim Abschied nach Rom einluden, hätte ich nicht gedacht, wie schnell ich diese Einladung wirklich annehmen würde.

Nach einigen Monaten, in denen wir ein paar Mails ausgetauscht hatten, ging es mir nicht gut. Was ich am meisten brauchte, waren Klima- und Tapetenwechsel. Da wandte ich mich spontan an meine Bekanntschaft aus Rom.

„Wann kommst du genau?“, lautete die sofortige Antwort, eine Woche später saß ich bereits im Nachtzug nach Rom. Antonios Freunde holten mich am Bahnhof ab, er selbst nahm sich trotz seiner Verpflichtungen Zeit für ausgiebige Stadtführungen. Dabei führten wir sehr gute Gespräche und er tat sein Bestes, um mich aufzubauen.

In Antonio steckt nicht nur ein Priester, sondern ein Menschenkenner und Philosoph, der vielseitig interessiert ist. Seine Gemeinde konnte sich glücklich schätzen. Was sie auch tat: Immer wieder begegneten wir Menschen auf der Straße, die ihn herzlich grüßten und ihm für irgendeinen Rat dankten.

Inzwischen war ich noch zwei Mal in Rom gewesen und durfte seine privaten Stadtführungen genießen. Als Professor für Kirchengeschichte weiß er mehr als die meisten anderen. Vor allem kennt er viele unterhaltsame Anekdoten, aber auch Geschichten, die zum Nachdenken anregen.

An folgende Geschichte, die er mir „ganz nebenbei“ im überfüllten römischen Bus erzählt hatte, muss ich noch heute immer wieder denken:

„Das Leben ist eine große Reise: Du packst deinen Koffer und überlegst genau, was du mitnehmen kannst und willst. Der Koffer hat jedoch nur eine begrenzte Kapazität und daher ist es wichtig, genau das einzupacken, was du wirklich brauchst. Auf deiner Reise stellst du vielleicht fest, dass du die falschen Dinge mitgenommen hast oder dass dir etwas fehlt. Es kann dir sogar passieren, dass der ganze Koffer aufplatzt, wenn du zu viel hineingestopft hast. Dann musst du von Neuem sortieren und auswählen. Das ist gleichzeitig deine große Chance, das Richtige für die neue Situation einzupacken, statt unnötigen Ballast mit dir herumzuschleppen.“

Damals befand ich mich an einem Punkt in meinem Leben, an dem mir alles vor die Füße fiel und ich gezwungen war, neu zu „packen“. Hier in Darwin erinnerte mich das konkret an meinen Rucksack, der sicher auch bald platzen würde.

Wegen des feuchtheißen Klimas hier oben trug ich nur noch T-Shirts und Shorts. Alle wärmeren Kleidungsstücke mussten im Rucksack Platz finden. Wie lange das wohl noch gut ging? Irgendwann würde ich aussortieren und neu packen müssen. Doch nicht hier und nicht jetzt.

Jetzt las ich erst einmal Antonios Mail: „ Benvenuta in Australia “. Er hatte mir versprochen, mich in Gedanken auf meiner Reise zu begleiten. Wusste er doch um meine Flugangst und meinen Liebeskummer. Sicher war er auch ganz einfach neugierig, was ich so trieb. Dementsprechend erreichte mich alle paar Tage eine Mail von ihm, in der er sich nach mir erkundigte und mich ermahnte, mich vor Schlangen und Krokodilen in Acht zu nehmen.

Ehrlich gesagt war es gut, Antonio gewissermaßen dabeizuhaben. Wenigstens fühlte ich mich dadurch weniger allein, denn trotz aller Begegnungen fehlte mir die Nähe einer lieben Person. Natürlich dachte ich dabei an Steve, den ich mehr vermisste als mir lieb war.

Als ich über eine Antwort auf Antonios Mail nachdachte, fühlte ich mich plötzlich beobachtet. Die anderen Computer waren nicht besetzt, ich war alleine. Ich sah mich um und erstarrte vor Schreck. Beobachtet wurde ich von einer Riesenschlange, die direkt über mir lag! Dann sah ich über dem Computer neben mir noch eine Schlange, daneben einen Leguan. Vor Schlangen hatte ich viel mehr Angst als vor Spinnen. Natürlich waren die Tiere hinter Glasscheiben, aber dennoch … Ich verschob die Antwort auf ein andermal und verließ den Computerraum, oder besser gesagt: das Terrarium. Nein, Darwin und dieses Hostel waren nichts für mich!

Obwohl ich auf nichts mehr Lust hatte, traf ich abends Kerrie in einem Pub oder besser gesagt einer „Hotelkneipe“. Die Pubs tragen oft noch die Bezeichnung hotel, was mit ihrer Geschichte zu tun hat: Früher durfte Alkohol nur in Hotels ausgeschenkt werden. Heute gibt es not licensed restaurants, die keine Lizenz für den Alkoholausschank haben, und fully licensed restaurants, die Alkohol ausschenken dürfen. Allerdings nur zusammen mit Speisen.

Die Angabe BYO bedeutet bring your own. Dann kauft man Bier oder Wein selber, bringt es mit ins Restaurant und zahlt für das Öffnen der Flaschen eine Entkorkungsgebühr. Sehr ungewöhnlich. In Deutschland soll es das zwar auch geben, aber ich selbst war noch nie in so einem Restaurant. In unserer Kneipe hier gab es außerdem eine interessante Speisekarte: Krokodil, Känguru und sogar Kamel standen hier schwarz auf weiß. „Probier doch mal, Krokodil schmeckt wie Hühnchen“, meinte Kerrie. Sie als Australierin musste es ja wissen. Dennoch blieb ich lieber bei ein paar wedgies, gebackenen Kartoffelspalten, und trank dazu ein, zwei stubbies.

Zurück im Hostel dachte ich über meine Reise nach: Ab jetzt würde ich alleine weiterziehen und musste mich nach niemandem richten. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Bis zu meinem Segeltörn in zwei Wochen hatte ich keinerlei Pläne, nur der morgige Flug nach Cairns stand fest. Keinen Plan zu haben war mir neu und so schlief ich mit gemischten Gefühlen ein. Alleine in meinem Sechs-Bett-Zimmer.

Port Douglas

Im Flugzeug nach Cairns musste ich die ersten Entscheidungen treffen: Was wollte ich in Cairns unternehmen und wo sollte ich übernachten? Ich vertiefte mich wieder einmal in meinen Reiseführer.

Cairns liegt in Queensland, dem sunshine state, der für die vier großen „S“ steht: sun, sand, surf and sailing (Sonne, Sand, Surfen und Segeln). Ab hier ziehen nahezu alle Backpacker die 2.300 km lange Ostküste entlang in Richtung Süden.

Hauptattraktion ist das Great Barrier Reef mit seinen 3.000 Einzelriffs. Es erstreckt sich über 2.300 km und ist 60 bis 250 km breit! 2.300 km – das entspricht etwas mehr als der Luftlinie von Oslo nach Brindisi! Bei dieser Vorstellung wird offensichtlich, dass es das größte Riffsystem der Welt ist.

In Australien schien mir alles enorme Ausmaße zu haben: enorme Nationalparks, enorme Korallenriffe, enorme Sonneneinstrahlung, enorm giftige Tiere, enorm weiches Brot …

„Wohin geht’s denn?“, sprach mich plötzlich der Herr neben mir an. Seinem Akzent nach zu urteilen musste er Australier sein. So wie er angezogen war, erst recht: Er trug Shorts, darüber ein lässiges Hemd und den obligatorischen Outdoorhut. Seine Sonnenbrille war mit einem Seitenschutz ausgestattet.

Neben ihm saß eine rothaarige, sommersprossige Dame, die sich nun einschaltete: „Wir sind auf dem Weg nach Port Douglas. Da waren wir schon öfters und wir lieben es einfach!

Sie berichteten von diesem kleinen Ort, nördlich von Cairns, der angeblich von den Touristenmassen verschont geblieben ist. Wobei „Touristenmassen“ in Australien immer noch relativ ist, verglichen zu italienischen Stränden im August.

Die beiden schwärmten von Traumstränden, umrahmt von Bergen und Regenwald. Klang gut, sehr gut sogar. Laut Reiseführer war jedoch Cairns der Anlaufpunkt für Taucher und Schnorchler, die zum Great Barrier Reef wollten. Auch ich wollte unbedingt am Riff schnorcheln.

„Von Port Douglas aus sind Sie aber noch schneller dort“, meinten die beiden Australier. „Machen Sie doch einen Tagesausflug mit dem Katamaran zu den Inseln der Low Isles. Sie werden es lieben!“

Wir landeten und ich wusste immer noch nicht, wohin. Das australische Paar winkte mir zu und verschwand. Unentschlossen stand ich in der Ankunftshalle, als ich neben dem Ausgangsschild einen Wegweiser zum Bus nach Port Douglas entdeckte. „Abfahrt in zehn Minuten“ stand daneben.

Jetzt musste eine schnelle Entscheidung her. Endlich brauchte ich niemanden zu fragen, ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Kurzerhand lief ich zum Bus und stieg ein.

Die Fahrt dauerte circa eineinhalb Stunden und führte durch eine abwechslungsreiche Tropenlandschaft an der Küste entlang. Kein Wunder, dass sie als eine der schönsten Küstenstrecken Australiens gilt. Das gefiel mir! Die drückende Schwüle Darwins war auch wie weggeblasen. Voller Vorfreude suchte ich im Reiseführer nach einem Hostel als Anlaufpunkt.

Als ich mich für das „Dougies“ entschied, bekam ich eine neue Vorstellung von Hostels. Gleich hinter dem fantastischen langen Strand von Port Douglas lag es, mitten in einem schönen Tropengarten mit Pool.

Vorsichtshalber fragte ich wieder nach einem Zimmer für mich alleine. Doch alle Zimmer waren zumindest teilweise belegt. Also sah ich mir zögernd ein Sechs-Bett-Zimmer an. Anders als die beiden Jugendherbergen in Darwin war es modern eingerichtet und in freundlichen, hellen Farben gestrichen. Sehr ansprechend!

Sogleich wurde ich von drei jungen Schwedinnen begrüßt, die bereits dort wohnten. „Hier, das Bett ist frei, du kannst gerne zu uns kommen. Es gefällt uns so gut hier, wir wollen gar nicht mehr weg.“ Sie kicherten. „Vor allem kannst du tolle Ausflüge machen. Sieh dir doch mal das schwarze Brett draußen an.“

An der Rezeption befand sich wirklich eine Art schwarzes Brett mit Informationen zu möglichen Tagestouren. Die Backpacker konnten hier buchen und wurden anschließend direkt vom Hostel abgeholt.

Zwischen all den Broschüren entdeckte ich einen Flyer, der eine Fahrt mit einem großen Katamaran zu den Low Isles anbot. Das war sicher der Tipp des australischen Paares! Spontan meldete ich mich für den nächsten Tag an, bevor ich zum Baden an den Strand lief.

Der sah wie im Bilderbuch aus mit all den dschungelbewachsenen Bergen im Hintergrund. Allerdings gab es hier im Norden Australiens die gefährlichen Würfelquallen, die box jellyfish. Überall am Strand waren Essigkanister angebracht, mit genauen Erklärungen, was bei Verbrennungen durch Quallen zu tun sei. Baden kam wohl nicht in Frage.

Dennoch sah ich einige Leute im Wasser und wunderte mich. Aufmerksam beobachtete ich sie und wartete auf gellende Schmerzensschreie. Als neben mir ein paar junge Australier ins Wasser wollten, sprach ich sie darauf an. Sie lachten nur über meine Sorge: „Die box jellyfish kommen erst später im Jahr hierher. Jetzt ist es noch ok. Du kannst ruhig baden.“ Schon stürzten sie sich ins Wasser … und ich hinterher!

Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, sah ich mir alles genauer an. Herrlich war es hier, einfach nur herrlich! Das Meer glitzerte, eine leichte Brise machte die Temperaturen angenehm. Ich lehnte mich zurück und beobachtete, wie ein paar junge Leute Ball spielten oder sich auf den Wellen treiben ließen. Wie schön dieser Strand war! Und so lang!

Nach einiger Zeit lief ich auf ein paar Häuser zu, die sich an einem Ende des Strandes befanden. Da entdeckte ich ein kleines Café, in dem ich mir einen white flat bestellte. Der besteht aus einem Drittel Espresso, zwei Drittel heißer Milch und etwas Milchschaum. Wer es stärker will, der bestellt einen double white flat mit extra viel Espresso oder gleich einen short black, also einfach einen Espresso. Mit heißem Wasser verlängert wird der zum long black.

Genüsslich trank ich meinen Kaffee und schrieb die ersten Postkarten. Mails waren praktisch, doch ich fand eine gute, alte Postkarte einfach besser. Vor allem, wenn dieser tolle Strand darauf abgebildet war, der in Wirklichkeit genauso schön aussah wie auf der Karte.

Dann schlenderte ich zurück in den tropischen Garten des „Dougies“ und genoss den Pool. Neben den jungen Frauen aus meinem Zimmer fand ich eine freie Liege, sodass wir uns „beschnuppern“ konnten. Sie waren gerade mal 20 und sprühten vor Lebensfreude. Dass ich viel älter war, schien sie nicht zu stören. Mich auch nicht. Diesmal würde ich mich im Sechs-Bett-Zimmer
sicher wohl fühlen. Es kam eben auf das jeweilige Hostel und die Gesellschaft an. Ja, Port Douglas schien „mein“ Ort zu sein!

Ausflug zu den Low Isles

Am nächsten Tag sollte es noch besser kommen: An Bord der „Wavedancer“, einem modernen Riesenkatamaran, genoss ich den Blick zurück auf den Hafen mit all den Booten, die im Wind schaukelten. Wie malerisch der Kontrast der tiefgrünen Berge im Hintergrund zum türkisblauen Meer war!

Die „flachen Inseln“ der Low Isles liegen am östlichen Rand des Great Barrier Reefs und bieten sogar ein eigenes kleines Riff. Durch glasklares Wasser glitten wir an einer hübschen Insel mit einem Leuchtturm vorbei bis hin zu einem kleinen, schneeweißen Strand. Ein Traum!

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Low Isles

Der Tauchlehrer der Schiffsbesatzung lud nun die Gäste ein, ihm ins Wasser zu folgen. Gespannt holte ich meine Schnorchelausrüstung. Kaum im Wasser, staunte ich über eine atemberaubende Unterwasserwelt mit bunten Fischen, Anemonen, Riesenvenusmuscheln, Seesternen, Schnecken, Korallen in verschiedenen Farben und dann … Das hätte ich nie zu träumen gewagt: Unter mir schwamm eine Meeresschildkröte durch! Ich liebe Meeresschildkröten, sie sehen so ausgeglichen und erhaben aus. Glücklich ließ ich mich auf dem Wasser treiben und freute mich über diesen Anblick.

Als ich zurück an den Strand kam, hatte die Crew ein barbie, ein Barbecue, organisiert und grillte snags, australische Würstchen. Australier lieben ihre barbies und sobald mehr als zwei zusammen sind, wird gleich gegrillt. So hatte es mir Rose berichtet und so erlebte ich es auch.

Während ich mein Würstchen mit dem üblichen „Labbertoast“ kaute, hörte ich vertraute Töne. Als Halbitalienerin horche ich sofort auf, wenn jemand Italienisch spricht. Ich drehte mich um und erblickte eine Familie, Eltern mit zwei erwachsenen Kindern, die ihre Begeisterung über die Insel lautstark kundtaten. Nun holten sie ihren Fotoapparat hervor und baten mich auf Englisch darum, sie zu fotografieren. Kaum hatte ich mich durch meine Antwort geoutet, entwickelte sich ein angeregtes Gespräch auf Italienisch.

Die Familie aus Padua erzählte mir von ihren ersten Eindrücken von Australien, sie waren vor knapp einer Woche angekommen. „Erstaunlich, wie gut die Australier organisiert sind, es klappt alles bestens“, betonten sie mehrmals. Dann schlugen sie mir spontan vor, abends gemeinsam in ihrem Hotel in Port Douglas zu essen. Gerne willigte ich ein, verlief mich auf dem Weg dorthin allerdings mehr als einmal. Das Hotel lag außerhalb des Ortes und ich war zu Fuß unterwegs. Dementsprechend lange dauerte es, bis ich ankam.

Als ich endlich die Auffahrt erreichte, dachte ich wehmütig an mein Auto zuhause, das mir immer zur Verfügung stand. Daheim war vieles selbstverständlich, doch auf dieser Reise sollte ich Annehmlichkeiten wie ein eigenes Bad, ein Auto oder eine Waschmaschine immer mehr zu schätzen lernen.

Wenigstens wurde mein langer Weg mit einem abwechslungsreichen Buffet belohnt, an dem ich reichlich Auswahl hatte. Kein Vergleich zu all den Picknicks mit dem „Labbertoast“ auf der Safaritour!

Bei leckeren Salaten, Fisch, Fleisch sowie interessanter Unterhaltung ging der Abend viel zu schnell vorüber. Spät abends brachten mich die Italiener in ihrem Leihwagen zurück zum „Dougies“, wo wir uns verabschiedeten. Zurück in meinem Zimmer dachte ich wehmütig, dass diese Begegnung viel zu kurz war. Doch die Reise meiner neuen Bekannten ging gleich am folgenden Morgen weiter.

So sollte es mir in den nächsten Wochen noch öfter ergehen: Ich traf nette Leute, verbrachte ein paar Stunden mit ihnen und schon zog jeder seines Weges. Mit der Zeit lernte ich jedoch, mich über jedes Gespräch einfach zu freuen und den Augenblick zu genießen. Carpe diem, „Genieße den Tag“ wurde zu meinem Motto.

Auch an der Rezeption des „Dougies“ hatte ich nette Gespräche. Die Mitarbeiter waren sehr freundlich und gaben gerne Auskunft und Tipps zu Ausflügen. Sie legten mir eine geführte Tour mit den Kuku Yalanji in Mossman ans Herz.

Mossman Gorge

„Wenn du etwas mehr über die Ureinwohner Australiens erfahren willst, dann ist das genau das Richtige. Eine Gruppe der Indigenous People organisiert diesen Spaziergang und führt Touristen durch den Regenwald. Dabei geben sie Auskunft über Pflanzen und Tiere, von denen sie sich ernähren und die sie im Alltagsleben nutzen. Du kannst Fragen stellen und dir selber ein Bild machen, wie sie lebten und teilweise noch leben.“ Das klang genau nach dem, was ich gesucht hatte!

Der Pickup-Bus holte mich ab und brachte mich nach Mossman, einem kleinen Zuckerrohrort nordwestlich von Port Douglas. Dort, am südlichen Ende des Daintree Nationalparks, gibt es eine schöne Schlucht im Regenwald, die Mossman Gorge . Diese Schlucht wollte ich mir nach der Tour näher ansehen.

Neugierig betrat ich das dortige Informationszentrum, um mich über die Kuku Yalanji, die traditionellen Bewohner des Regenwalds, zu informieren. Doch da kam bereits der Guide auf mich zu. „Hi, ich bin Jack“. Aha, schon wieder ein Jack. „Das ist nicht mein wirklicher Name, aber Jack ist leichter auszusprechen“, sagte er belustigt, als er meinen zweifelnden Blick sah. Dieser Nachfahre der australischen Ureinwohner war mir gar nicht unheimlich. Er hatte freundliche, Vertrauen erweckende Augen.

Bei den nun folgenden Erklärungen war er sehr bemüht, uns einen umfassenden Eindruck vom Leben der Indigenous People zu geben. Ich merkte, dass ihm dies ein großes Anliegen war. Dankbar hörte ich zu und wir begannen den Spaziergang durch den Regenwald.

Meine Gruppe bestand nur aus mir und einem Paar aus München, das einen sympathischen Eindruck machte. Wie ich wollten sie ihr Reiseführer-Wissen erweitern.

Wir lernten, dass die Indigenous People selbst im trockenen Outback überleben können, wo sie sich von Pflanzen, Wurzeln, Knollen aber auch von Fleisch und Insekten ernähren. Sie finden sogar Wasser, wo man keines vermutet. Zum Beispiel speichern einige Pflanzen Flüssigkeit, die sie trinken.

Schlangen, Eidechsen, Raupen und Ameisen stehen ebenfalls auf dem Speiseplan. Obwohl es etwas Überwindung kostete, leckten wir an großen, grünen Ameisen, die tatsächlich nach Zitrone schmeckten. „Das ist nahrhaft und schmeckt gut – ist nicht immer so.“ Jack grinste.

Wir erhielten auch umfangreiche Informationen über die Lebens- und Denkweise der Indigenous People. Zum Beispiel erfuhren wir, dass für jeden australischen Ureinwohner ein bestimmtes Tier eine besondere Bedeutung hat. So ein „Totem“ ist sozusagen sein Schutzgeist, mit dem er sich ein Leben lang verbunden fühlt. Ein „Totem“-Tier darf weder verletzt noch getötet werden.

Jack erklärte uns außerdem, dass die Stämme Initiationsriten durchführten. Nur wer sich so einem Ritus unterzogen hatte, durfte Malereien an Felsen aufbringen. Die Symbole, die dabei benutzt wurden, haben verschiedene Bedeutungen: Punkte stellen Menschen- oder Tierspuren dar, Kreise stehen für Orte, Wellen und Dreiecke für Bewegungen. Diese Tour war außergewöhnlich, vor allem außergewöhnlich gut.

Am Ende bedankten wir uns von Herzen. Dabei kam mir der Satz mit der Anerkennung dem Land gegenüber in den Sinn. Zum Land gehörten natürlich auch die Menschen. Den Satz hatte ich zwar im Bus auf der Safaritour gelesen, jedoch noch nicht umgesetzt. Jetzt war ich wirklich dankbar, hier zu sein. Und ich war offen für das Land und seine Erfahrungen. Die nächste ließ auch nicht lange auf sich warten.

Nachdem die beiden Münchner sofort zurück nach Port Douglas wollten, blieb mir nichts anderes übrig, als den Regenwald alleine weiter zu erkunden. Entlang der Schlucht von Mossman Gorge verläuft ein Wanderweg, den ich nun einschlug. Kein Mensch war unterwegs, nur ich. Diese Gegend wird zwar viel von Touristen besucht, doch das bedeutet zu dieser Jahreszeit, dass man zwei bis drei Personen in einer Stunde trifft. Wenn überhaupt! In den Sommerferien ist natürlich überall mehr los. Aber die waren erst an Weihnachten.

Neugierig sah ich mich um. Der Regenwald war faszinierend und unheimlich zugleich. Je weiter ich lief, umso dichter wurde das Blätterdach und umso mehr unbekannte Geräusche hörte ich. Es raschelte und knackte rings um mich herum. Gleichzeitig rauschte im Hintergrund der Mossman River. Selbst die welken Blätter, die von den Bäumen fielen, waren zu hören und unterstrichen die Geräuschkulisse. In Gesellschaft hätte ich mich definitiv wohler gefühlt, doch beschwingt durch meine Tour lief ich einfach weiter.

Plötzlich stach es heftig in meinem Fuß. Ich hatte Trekkingsandalen an, war jedoch barfuß in den Sandalen. Irgendetwas hatte mich gestochen oder gebissen und es tat richtig weh!

Schlagartig wurde mir klar, dass ich keinerlei Ahnung hatte, was es gewesen sein konnte. Eigentlich hatte ich von den Tieren im Regenwald überhaupt keine Ahnung. Gab es in Australien auch giftige Käfer oder Spinnen, die am Boden lauerten? Ich wusste noch viel zu wenig über die Natur hier. Wie dumm von mir, einfach alleine loszulaufen! In der Hoffnung, der Schmerz würde bald nachlassen, ohne dass irgendein lähmendes Gift wirken würde, humpelte ich zurück.

Am Informationsstand traf ich Jack wieder und bat ihn um Hilfe. Er beruhigte mich und rieb mir eine Salbe auf die stark gerötete Stelle. „ No worries, ist nur ein harmloser Stich. Es wird bald besser. Zieh das nächste Mal unbedingt geschlossene Schuhe und Socken an. Lange Hosen wären auch besser. Dann kann nix passieren. „ Enjoy your stay in Australia! Genieße Deinen Aufenthalt in Australien!“ Ich dankte ihm erneut und war sehr nachdenklich, während ich auf den Bus zurück nach Port Douglas wartete.

Es war an der Zeit, mir ein Konzept zu überlegen. Wenn ich Australien richtig erleben wollte, musste ich auch in den Regenwald, ins Outback, raus aufs Riff und in die Nationalparks. Alleine schien nicht immer ratsam und eine Begleitperson konnte ich mir nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Also studierte ich zurück im Hostel nochmals die Aushängetafel im „Dougies“ und wandte mich an die junge Frau an der Rezeption.

Bereitwillig gab sie mir Auskunft: „Du kannst nicht nur hier, sondern in jedem Hostel Tagestouren und Ausflüge buchen. Schau einfach immer auf das schwarze Brett bei der Rezeption. Wenn dich der Regenwald fasziniert, würde ich dir raten, nach Cape Tribulation zu fahren. Dort gibt es viel unberührten, tropischen Regenwald und es werden geführte Wanderungen, Kanutouren und dergleichen angeboten. Sogar Nachtwanderungen durch den Regenwald kannst du buchen. Jeden Morgen gehen Busse ab Port Douglas, das sind nur ein paar Stunden Fahrt.“

Gute Idee! Cape Tribulation, der Nordzipfel Australiens, sollte mein nächstes Ziel werden.

Cape Tribulation

Ich legte mich an den Pool und studierte meinen Reiseführer. Cape Tribulation, das „Kap des Kummers“ wurde von Kapitän James Cook so genannt, da er dort auf ein Riff gelaufen war. Es gehört zum Daintree Nationalpark mit dem angeblich ältesten Regenwald der Erde. Ganze 135 Millionen Jahre soll er alt sein!

Alles ist Teil einer Halbinsel, die Cape York Peninsula heißt und unvorstellbare 200.000 km² groß ist. Um bis ans Ende der Halbinsel und damit an die äußerste Spitze Australiens zu gelangen, muss man sich einen Jeep mieten. Klang spannend.

Der Reiseführer schrieb auch, dass nur ein paar Schotterpisten durch die größtenteils aus Wildnis bestehende Halbinsel führen. Ausreichend Wasser, Lebensmittel, Fahrzeugzubehör und Benzin sind lebensnotwendig. Auf der Fahrt sind noch dazu viele Flüsse zu überqueren. Alleine konnte ich das unmöglich machen. Vielleicht fand ich noch ein paar Reisebegleiter? Abwarten.

Da fiel mir ein, dass ich mit den Münchnern zum Abendessen verabredet war. Die konnte ich gleich darauf ansprechen. Treffpunkt war ihr YHA-Hostel, wo es ein kleines Bistro gab.

Ab morgen musste ich allerdings mit dem Kochen beginnen, denn essen gehen war auf die Dauer zu teuer. Die Hostels hatten alle Gemeinschaftsküchen, in denen ich immer jemanden brutzeln sah. Doch dazu benötigte ich Lebensmittel. Vielleicht sollte ich einen Supermarkt suchen, bevor ich nach Cape Tribulation oder gar Cape York fuhr?

„Dort oben im Regenwald gibt es bestimmt keine Einkaufsmöglichkeiten“, lachte die Hostel-Mitarbeiterin, als ich sie danach fragte. „Wie in den meisten Hostels bekommst du zwar das Wichtigste wie Milch, Cornflakes, Toast und Butter an der Rezeption, aber mehr nicht. Deck dich lieber noch vorher ein.“

Also zog ich los, wieder zu Fuß, zu einem kleinen Supermarkt nicht weit weg. Zum Glück war es diesmal ein deutsches „nicht weit weg“. Die Auswahl war begrenzt und ich musste mir genau überlegen, was ich überhaupt transportieren konnte.

Ich würde alles zusätzlich zu meinen beiden Rucksäcken tragen müssen und hatte mehrere Stunden keinen Kühlschrank zur Verfügung. Also nicht zu viel und am besten keine Schokolade, denn die würde ja schnell schmelzen bei der Hitze. Außerdem brauchte ich endlich irgendetwas anderes zum Frühstück als die dauernden Müsliriegel, die ich immer noch aus Deutschland hatte. War sowieso nur noch einer übrig. Also kaufte ich Nudeln, Tomatensoße, Obst, Gemüse und etwas sehr Praktisches, über das ich mich richtig amüsieren konnte: Olivenöl in der Spraydose. Das fand ich überaus praktisch!

Außerdem hatte ich mir in den Kopf gesetzt, endlich anderes Brot als „Labbertoast“ zu essen. Voller Tatendrang suchte ich nun nach einer Bäckerei. Fehlanzeige. Port Douglas war eben nicht Melbourne oder Sydney, wo man genug Bäckereien fand.

Gut, dass ich einen zweiten Supermarkt entdeckte. Hier hatte ich die Auswahl zwischen Roggenbrot, Weizenbrot, glutenfreiem Brot oder Vollkornbrot. Vollkorn musste doch etwas körniger sein. Das kaufte ich.

Im Endeffekt lernte ich mit der Zeit, dass es vollkommen egal war, welches Brot ich kaufte. Es war alles labberig und schmeckte mehr oder weniger gleich. Für das Frühstück kaufte ich dann doch wieder Müsliriegel, diesmal australische.

Kaum entdeckte ich das YHA in Port Douglas, da gefiel es mir beinahe so gut wie das „Dougies“. Das dazugehörige kleine Bistro war schön in einem Garten gelegen und hatte eine kleine Auswahl an Gerichten.

Das Münchner Paar studierte bereits die Speisekarte und winkte mich zu sich. Vier Wochen hatten sie Zeit auf ihrer Hochzeitsreise in Australien. Im Vergleich dazu fühlte ich mich mit meinen neun Wochen, auf die ich mich letztendlich mit meinem Chef geeinigt hatte, wirklich privilegiert.

Um Zeit zu sparen, waren sie viel mit dem Flugzeug unterwegs, hatten den Ayers Rock und Sydney gesehen. Jetzt wollten sie noch nach Cairns, um am Great Barrier Reef zu tauchen. Nein, für Cape Tribulation und Cape York hatten sie leider keine Zeit mehr.

Also fuhr ich alleine mit dem Bus nach Cape Tribulation, das die Australier einfach Cape Trib nennen. Ich hatte mit ein bis zwei Stunden Fahrzeit gerechnet, brauchte dann aber geschlagene fünf Stunden.

Als der Bus auf einer Fähre über den Daintree River geschippert wurde, war ich froh noch rechtzeitig dran zu sein. Sobald die Regenzeit beginnt, schwillt der Fluss nämlich so stark an, dass es kein Weiterkommen mehr gibt. Manches ergab sich scheinbar von selber. Schließlich hatte ich Cape Trib gar nicht eingeplant.

Die Fahrt dauerte deshalb so lange, weil der Bus erst alle Backpacker von ihren unterschiedlichen Hostels in Port Douglas aufsammelte und sie in Cape Trib nacheinander wieder absetzte. Das hatte den Vorteil, dass ich die dortigen Hostels zu sehen bekam und jederzeit einfach aussteigen konnte. Doch nirgends gefiel es mir. Beim nächsten Stopp, dem „Cape Trib Beach House YHA“ sprang ich einfach aus dem Bus. Würde schon passen.

Nach meinem heiß geliebten „Dougies“ war es jedoch schwer, eine Bambushütte im Regenwald zu akzeptieren, in der einfache Eisenbettgestelle standen. Schränke gab es auch keine, alles lag am Boden herum. Zum Wechseln war es jedoch zu spät, die schöneren Bungalows und Zwei-/Dreibettzimmer waren belegt und hätten mein Budget gesprengt. Na ja, zu lange würde ich sicher nicht bleiben.

Wie immer – und das sollte eine Gewohnheit werden – wenn ich mich nicht wohl fühlte, las ich meine Mails. Wieder nichts von Steve, dafür eine aufmunternde Mail von Antonio. Außerdem hatten noch ein paar Freunde geschrieben. Wie gut das tat. Ich nahm mir Zeit, ihnen zu antworten und zu versichern, dass ich bisher weder eine Giftschlange noch einen Hai zu Gesicht bekommen hatte. Irgendwie mussten sich alle zu diesen Themen auslassen und dazu Witze reißen. Das war von Deutschland aus auch einfach. Seit ich hier war, fand ich’s nicht mehr so lustig. Die Natur hatte es in sich.

Als ich nämlich am nächsten Morgen zum Strand wollte, warnten mich die Leute an der Rezeption, dass Schwimmen nicht drin wäre. „ Box jellyfish ?“, fragte ich. „Genau. Hier oben kommen sie zu dieser Jahreszeit über Flussläufe ins Meer. Wir haben schon die ersten entdeckt. Wenn du dir aber einen stinger suit ausleihst, kannst du natürlich baden.“Stinger suit hatte ich noch nie gehört. Tatsächlich gab es spezielle Schutzanzüge, die man zum Schwimmen tragen konnte, doch ich lehnte dankend ab.

Gerade wollte ich gehen, als sie ganz nebenbei bemerkten: „Es können auch Krokodile da sein, die der Fluss ins Meer gespült hat. Es hat doch viel geregnet die letzten Tage …“ Oh Gott! Wo war ich nur gelandet? Krokodile am Strand! „Aber nur freshies, no worries “, riefen sie mir hinterher. Inzwischen hatte ich gelesen, dass die kleinen Süßwasserkrokodile wirklich nicht gefährlich waren. Trotzdem hatte ich meine Bedenken.

Da sah ich ein paar andere Backpacker in Richtung Strand gehen und lief ihnen hinterher. Sollten die doch ausloten, was Sache war.

Der Strand war sagenhaft schön: Bis zu 1.400 m ragte der Regenwald empor und schien regelrecht ins Meer zu stürzen. Weit und breit sah ich weder Krokodile, noch irgendeine Menschenseele. Die anderen waren auf einmal weg.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Blick auf den Strand in Cape Tribulation

Treffpunkt Baum

Ich lief am Strand entlang und hielt mich vorsichtshalber fern von der Flussmündung. Laut Reiseführer gab es irgendwo einen boardwalk, also einen Spazierweg über Holzplanken durch den Regenwald. Wo der wohl war? Diesmal brauchte ich wirklich Begleitung. Alleine wollte ich nicht wieder im Regenwald herummarschieren; dachte ich und setzte mich unter einen großen, einladenden Baum am Strand, denn es hatte begonnen zu regnen.

Als ich so da saß, kam eine Frau in meinem Alter und gesellte sich zu mir. „Na, wie geht’s so?“, sprach sie mich mit australischem Akzent an. So lernte ich Linda kennen, die mit ihrer Freundin Elizabeth für ein paar Tage Urlaub machte. Beide waren aus Melbourne und wollten durch den Regenwald wandern. Wandern? Das war mein Stichwort: „Kann ich vielleicht mitkommen?“ „Na klar doch“, kam die Antwort, begleitet von einem einladenden Lächeln. „Ich stell dir gleich mal Elizabeth vor.“

Die schien hocherfreut, mich kennenzulernen und überschüttete mich mit Fragen: „Was hast du schon gesehen? Wie gefällt’s dir in Australien? Wo lebst du in Europa? Deutschland?“ Ja, da war sie schon zwei Mal. Vor allem Berlin und Heidelberg hatten es ihr angetan. Dort lebten ihre Verwandten.

Inzwischen hatte ich bereits einige Australier getroffen, die sich ein sabbatical, ein arbeitsfreies Jahr, gegönnt hatten, um Europa zu bereisen. Nachdem die meisten europäische Vorfahren haben, ist es für sie sozusagen eine Reise in ihre eigene Vergangenheit.

Auch Elizabeth hatte sich nach ihrem Studium eine Auszeit von sechs Monaten genommen, um Europa und vor allem das Land ihrer Vorfahren kennenzulernen. Linda war irischer Abstammung, schwärmte jedoch von Italien. Als sie erfuhr, dass ich Halbitalienerin war und in Florenz studiert hatte, gab es genug Gesprächsstoff.

Fröhlich schnatternd zogen wir los in Richtung boardwalk. Diesmal hatte ich gutes Schuhwerk mit Socken an und mich ausgiebig mit Mückenlotion eingerieben. Ein langärmeliges Hemd und mein neuer Aussiehut mit seiner breiten Hutkrempe schützten mich zusätzlich vor der Sonne. Ich war also bestens ausgerüstet. Die beiden Australierinnen sowieso.

Gemeinsam staunten wir über den Regenwald mit seinen unterschiedlichen tropischen Pflanzen, Sträuchern, Lianen und riesenhaften Bäumen in allen erdenklichen Grüntönen. Dazwischen wuchsen immer wieder farbenprächtige Blüten.

Die Hinweistafeln auf dem boardwalk gaben nähere Auskunft über die Flora und Fauna des Waldes, wie zum Beispiel über den fig tree, die Würgefeige. Sie wächst entlang des Stamms eines Urwaldbaums und „würgt“ ihn irgendwann ab. Dann bleibt nur noch sie stehen, sozusagen ein neuer Baum, nur innen ganz hohl.

Nach einiger Zeit erreichten wir einen kleinen billabong, wo ein Seil direkt an einem überhängenden Baum angebracht war. Unter dem Baum saß ein junger Mann, an dem Seil hing ein Zweiter, der sich nun lautstark in den Tümpel fallen ließ. Wir wollten gerade eine Pause machen und so kam der Schatten sehr gelegen. Also fragten wir den jungen Mann, ob wir uns mit unter den Baum setzen konnten.

„Natürlich“, er lachte uns an und stellte sich vor: „Ich bin Piet aus Holland.“ Dann kam der andere dazu: „ Hi there ! Müsst ihr unbedingt ausprobieren, ist voll cool.“

Das Wasser des billabongs war düster und nicht sehr einladend. Daher blieb ich lieber unter dem Baum sitzen. Genau wie mein Baum am Strand schien dieser Baum „der“ Treffpunkt hier draußen zu sein, denn die beiden Männer hatten sich auch gerade hier kennengelernt.

David, der „Tümpelspringer“, war Amerikaner und nach seinem Studium losgezogen, die Welt zu erkunden. Nun war er seit acht Monaten unterwegs. Piet war sogar noch länger auf Reisen. Er jobbte immer wieder auf Obstplantagen als Erntehelfer, wenn ihm das Geld ausging. Meistens waren es Wassermelonen oder Mangos, die er pflückte.

Für mich schienen zwei Monate Auszeit schon sehr viel, doch acht Monate oder länger? Unvorstellbar! Ich beneidete die beiden. Elizabeth und Linda dagegen waren nur zwei Wochen unterwegs. Sie arbeiteten beide in einem australischen Unternehmen, wo sie nur vier Wochen Urlaub pro Jahr bekamen.

Die beiden Jungs schlossen sich uns an und gemeinsam liefen wir zurück zum Strand. Während wir mehr von ihren Reisen erfuhren, verging die Zeit wie im Flug. Abends kochten wir gemeinsam in der Hostelküche und saßen noch lange draußen, um bei Bier und Spaghetti die Kulturen unserer Länder zu vergleichen. Irgendwann trugen wir zusammen, was man üblicherweise so von einem Australier, Holländer, Amerikaner oder Deutschen denkt.

Ich war demnach das bayrische Mädel, das im Dirndl in den Bergen herumläuft, Schweinebraten isst, Bier trinkt und in der Freizeit jodelt. Das Wort „jodeln“ wusste ich natürlich nicht auf Englisch. Ich machte es irgendwie nach und alle krümmten sich vor Lachen. Wie gut dieser Abend tat!

Leider mussten Elizabeth und Linda am nächsten Morgen zurück nach Cairns. „Wenn dir der Regenwald heute gefallen hat, solltest du unbedingt morgen früh eine geführte Wanderung mit „Mason’s Tours“ machen. Das lohnt sich“, gaben sie mir beim Abschied mit auf den Weg.

Eigentlich hatte ich mir eine Nachtwanderung durch den Regenwald vorgenommen. Das hieße aber, nochmals hier zu übernachten. Nicht gerade verlockend, wenn ich an die letzte Nacht dachte: Um 3 Uhr morgens waren noch ein paar Männer ins Zimmer gekommen, die einen Höllenlärm gemacht hatten. Bisher waren immer nur Frauen zusammen untergebracht. Es ging also auch anders! Anscheinend war das Hostel total überfüllt. Doch mir wurde das alles zu viel. Ich würde morgen Nachmittag weiterziehen.

Kurzerhand erschien ich daher gleich am nächsten Morgen an der Rezeption, um die vormittägliche Regenwaldwanderung mitzumachen.

Regenwaldtour

Der Guide war sozusagen ein zweiter „Crocodile Dundee“: Er trug einen Lederhut, eine ärmellose Lederweste und zog eine riesige Machete aus seinem Schaft. „Falls uns unliebsame Tiere begegnen, ihr seht, ich bin gerüstet.“ Grinsend steckte er sie wieder ein, bevor er uns in ein Dickicht aus Schlingpflanzen, Lianen, Palmen und riesigen Urwaldbäumen mit meterhohen Brettwurzeln führte. Die Kronen der Bäume waren so dicht, dass kaum Sonnenlicht durchschien.

„Passt immer gut auf, wohin ihr eure Füße setzt, wir haben nette Giftschlangen hier.“ Sogleich machten wir beim Gehen möglichst viel Lärm. Es hieß doch, dass man damit Schlangen fernhalten konnte. „Ihr braucht gar nicht so rumzustampfen“, meinte unser Guide, „Es ist ein Ammenmärchen, dass die Schlangen dadurch wegbleiben. Wenn eine Schlange über deinen Weg kriechen will, dann tut sie das einfach. Stampfen hin oder her. Das ist ihr völlig egal.“ Aha, das war mir neu. Wachsam setzte ich einen Fuß vor den anderen.

Er erklärte uns nun einige Pflanzen wie die wait-a-while, was wörtlich übersetzt „warte ein wenig“ bedeutet. Diese Rotangpalme sieht eher wie eine Liane aus, die sich mit ihren Stacheln und Widerhaken an anderen Pflanzen festhält. Weshalb sie so heißt, kann man sich jetzt denken: Verheddert sich so eine Liane in der Kleidung, dann dauert es eine Weile, bis man sich befreit hat. Konnten wir gleich ausprobieren, denn es gab genug davon.

[...]

Ende der Leseprobe aus 243 Seiten

Details

Titel
Down Under ist alles entspannter
Untertitel
Mit Liebeskummer nach Australien und Tasmanien
Autor
Seiten
243
Erscheinungsform
Originalausgabe
ISBN (eBook)
9783656637523
ISBN (Buch)
9783656637530
Dateigröße
6426 KB
Sprache
Deutsch

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