Soziale Arbeit als intermediäre Instanz. Psychosomatische Rehabilitation zwischen System und Lebenswelt


Hausarbeit, 2013

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Einleitung

1 Die Theorie des kommunikativen Handelns
1.1 Lebenswelt
1.1.1 Kommunikatives, verständigungsorientiertes Handeln und symbolische Reproduktion
1.2 System
1.2.1 Zweckrationales Handeln
1.2.2 Austauschbeziehungen mittels Steuerungsmedien
1.2.3 Kolonialisierung der Lebenswelt

2 Soziale Arbeit als intermediäre Instanz
2.1 Soziale Arbeit im Spannungsfeld zwischen System und Lebenswelt
2.2 Entwicklungen und Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit in der psychosomatischen Rehabilitation
2.2.1 Folgen der Veränderungen für die Soziale Arbeit in der psychosomatischen Rehabilitation
2.3 Handelt es sich bei der Sozialen Arbeit in der psychosomatischen Rehabilitation um eine intermediäre Instanz?

3 Fazit

0 Einleitung

In seiner Theorie des kommunikativen Handelns beschäftigt sich Habermas mit der Bedeutung des kommunikativen Handelns für die Entstehung, Erhaltung und Erneuerung der gesellschaftlichen Lebenswelt und der sozialen Ordnung. Die Gesellschaft besteht für Habermas aus einem Netz kommunikativer Hand-lungen, in dem gemeinsame Deutungen und eine gemeinsame soziale Wirklich-keit - die Lebenswelt - konstituiert und reproduziert werden (vgl. Brunkhorst et al. 2009: 318).

Für die Analyse der Gesellschaft unterscheidet Habermas zwischen Binnen – und Außenperspektive. Aus der Binnenperspektive der Lebenswelt stellt sie sich als Netz kommunikativ vermittelter Handlungen dar. Aus der Außen-perspektive betrachtet erscheint sie als grenzerhaltendes System (vgl. Habermas 1995b: 223ff.). Mit dem System-Lebenswelt-Konzept versucht er, eine Brücke zwischen der Handlungs- und der Systemtheorie zu schlagen (vgl. Treibel 2006: 185).

Moderne Gesellschaften können ohne Geld und Macht nicht funktionieren. Merkmale der Moderne sieht Habermas in einem produktiv wirtschaftenden ökonomischen System und einem effektiv verwaltenden System (vgl. Müller – Doohm 2008: 87). Die Grundidee besteht darin, dass die ökonomische und bürokratische Systemrationalität zunehmend in lebensweltliche Bereiche eindringt und sie kolonialisiert, woraus schließlich Sinn- und Freiheitsverluste resultieren (vgl. Reese – Schäfer 2001: 48).

Diese Entwicklungen betreffen auch die Soziale Arbeit. Sie soll zwischen den Anforderungen und Imperativen der Systeme und den Überlebens- und Lebensbedürfnissen der Betroffenen in der Lebenswelt vermitteln (vgl. Rauschenbach & Treptow 1999: 105), indem sie eine „intermediäre Stellung“ (Rauschenbach & Treptow 1984: 43) zwischen den beiden Teilbereichen einnimmt. Ob die Soziale Arbeit diese Funktion im Bereich der psychosomatischen Rehabilitation erfüllt, wird als ein weiterer Aspekt dieser Hausarbeit beleuchtet.

1 Die Theorie des kommunikativen Handelns

In seiner Theorie des kommunikativen Handelns entwickelt Habermas seine Gesellschaftstheorie. Die Keimzelle der sozialen Evolution liegt aus seiner Sicht in der Lebenswelt. Sie stellt ein mehrdimensionales Bezugs- und Orientierungs-system dar, das sich aus überlieferten kulturellen Traditionen, der Interaktion mit anderen Personen und den eigenen biografischen Erfahrungen des Individuums zusammensetzt.

1.1 Lebenswelt

Die Lebenswelt bietet den Menschen einen intuitiven Rahmen, in dem sie sich auf bestimmte Annahmen und Routinen berufen können, die nicht hinterfragt werden müssen. Die Lebenswelt ist für die Individuen „in einem Modus der Selbstverständlichkeit gegeben" (Habermas 1995b: 199), der bei der Alltags-bewältigung hilft. Sie bietet ein Werte - und Normensystem an, das unhinter-fragt befolgt werden kann und nicht problematisiert werden muss. Der Einzelne kann sich an handlungsleitenden Normen, an kollektiven Verhaltens-anforderungen, orientieren, die soziales Handeln ermöglichen (vgl. Habermas 1995b: 141f.).

1.1.1 Kommunikatives, verständigungsorientiertes Handeln und symbolische Reproduktion

Kommunikation sichert das Fortbestehen der Lebenswelt; sie ist der Kitt, der die Lebenswelt zusammenhält und auf das Erreichen eines Konsenses abzielt. Die Verständigung strebt ein Einverständnis an, das auf drei Ebenen erfolgen kann: Der Handelnde beabsichtigt, eine wahre Aussage zu machen, damit sein Interaktionspartner sein Wissen teilt. Ferner beabsichtigt er Handlungen zu vollziehen, die normativ richtig sind, damit die Beziehung zum Interaktions-partner als legitim gilt. Nicht zuletzt beabsichtigt er, Gefühle und Gedanken wahrhaftig mitzuteilen, um glaubhaft zu sein. Diese drei Geltungsansprüche verlangen, jedem Gesprächspartner zumindest bis zu ihrer Prüfung zu unterstellen, dass er vernünftig handelt. Unterstellt man beispielsweise, dass ein Gegenspieler per se die Unwahrheit sagt, so wird man auch dann von einer falschen Aussage ausgehen, wenn er eine unbestreitbare Wahrheit vorbringt. Geht man von einem falschen Argument aus, müssen auch alle folgenden Aussagen unwahr sein. Will man also die Äußerungen eines Gegenspielers auf Wahrheit, normative Richtigkeit und Aufrichtigkeit prüfen, müssen diese Geltungsansprüche, die Rationalität des Anderen, angenommen werden. Diese Vernünftigkeitsvorraussetzungen nennt Habermas kommunikative Rationalität. Sie ist der Maßstab aller Gesellschaften (vgl. Reese – Schäfer 2001: 53).

Da Menschen Situationen nicht immer einvernehmlich definieren, ist häufig zunächst ein Aushandlungsprozess notwendig. Letztlich müssen sie aber über-einstimmende Situationsdefinitionen erreichen, wenn sie eine erfolgreiche Problemlösung erzielen wollen (vgl. Habermas 1995b: 193f.). Endet die Verständigung im Dissens, endet der Kommunikationsprozess in einer Sackgasse: „Die Beteiligten können ihre Ziele nicht erreichen, wenn sie den für die Handlungsmöglichkeiten der Situation erforderlichen Verständigungsbedarf nicht decken können - jedenfalls können sie ihr Ziel dann nicht mehr auf dem Wege kommunikativen Handelns erreichen“ (Habermas 1995b: 194).

Auf dieser Grundlage reproduziert sich die Lebenswelt vor allem über das Medium Sprache. Ohne sie können kulturelle Werte, Normen und Selbst-verständlichkeiten nicht konserviert und tradiert werden (vgl. Habermas 1995a: 190f.). Menschen müssen sich in ihren sozialen Handlungen mit ihren Mitmenschen über die Sprache koordinieren. Die Alltagsbewältigung hängt davon ab, ob sie sich auf gemeinsame Situationsdefinitionen einigen und sich dabei auf kulturelle Selbstverständlichkeiten berufen können (vgl. Habermas 1995a, 161f.). Die zentrale Funktion der Lebenswelt liegt also in ihrer symbolischen Reproduktion. Habermas legt die Bedeutung des kommunika-tiven Handelns für die Existenz der Lebenswelt wie folgt dar:

„Unter dem funktionalen Aspekt der Verständigung dient kommunikatives Handeln der Tradition und der Erneuerung kulturellen Wissens; unter dem Aspekt der Handlungskoordinierung dient es der sozialen Integration und der Herstellung von Solidarität, unter dem Aspekt der Sozialisation schließlich dient kommunikatives Handeln der Ausbildung von personalen Identitäten“ (Habermas 1995b: 205).

Diese Aufgaben kann die Lebenswelt nur dann erfüllen, wenn Menschen mitei-nander kommunizieren und Konsens erzielen. Dadurch reproduzieren sie die Strukturelemente der Lebenswelt, also Kultur, Gesellschaft und Individualität, immer wieder neu. Die kommunikativ Handelnden erkennen Geltungsan-sprüche wechselseitig an und koordinieren das Miteinander sozialer Gruppen, die soziale Integration und fördern damit schließlich auch die gesellschaftliche Solidarität. Durch die Kommunikation mit kompetent handelnden Bezugs-personen erlernen Heranwachsende die Wertorientierungen ihrer Gruppe, verinnerlichen sie und erlangen zentrale soziale Handlungskompetenzen, die für die Entwicklung und das Aufrechterhalten einer persönlichen Identität notwendig sind (vgl. Habermas 1995b: 208).

1.2 System

In seinen weiterführenden Überlegungen entwickelt Habermas seine Theorie zur Evolution von Gesellschaft. In frühen Gesellschaftsformen, wie z. B. archa-ischen Stammesgesellschaften, haben Lebenswelt und Gesellschaftskörper eine Einheit gebildet, sodass die Lebenswelt sowohl die symbolische als auch die materielle Reproduktion übernommen hat (vgl. Habermas 1995b: 238ff.). Habermas legt dar, wie sich Systeme im Verlauf der gesellschaftlichen Evolution aus der Lebenswelt entwickeln, und wie sich System und Lebenswelt entkoppeln. Er geht von einer Verbindung von System und Sozialintegration bei Stammesgesellschaften aus, die durch Mechanismen, die Entkopplungs-prozesse vorantreiben, nach und nach aufgelöst wird. Die zunehmende Komplexität erschwert die sprachliche Verständigung, sodass sie nach und nach durch entsprachlichte Medien ersetzt wird.

1.2.1 Zweckrationales Handeln

Handeln, das strategisch im Bezug auf Subjekte oder instrumentell in Bezug auf Objekte ist, fällt nicht unter die Kategorie des sozialen Handelns (vgl. Müller – Doohm 2008: 82). Das zweckrationale Handeln als Gegensatz zum kommuni-kativen Handeln (das charakteristisch für lebensweltliche Aushandlungs-prozesse ist und auf ein Einverständnis der Beteiligten abzielt) stellt eine erfolgs- und effizienzorientierte Einwirkung der Akteure auf ihre Umwelt dar. Es ist auf Prozesse gerichtet, die der materiellen Bestandssicherung der Gesell-schaft dienen. Systeme sind diejenigen Gesellschaftsbereiche, die durch zweckrationales Handeln bestimmt sind (vgl. Treibel 2006: 174).

1.2.2 Austauschbeziehungen mittels Steuerungsmedien

Die zunehmend komplexeren Gesellschaften müssen mit zwei Risiken für die Lebenswelt umgehen: das „Risiko der fehlschlagenden Verständigung, also des Dissenses oder des Mißverständnisses, und das Risiko des fehlschlagenden Handlungsplanes, also des Mißerfolges“ (Habermas 1995b: 194, kursiv im Original). Die Interaktionen in modernen Gesellschaften bilden ein immer kom-plexeres Netz und werden nicht unmittelbar normativ gesteuert (vgl. Horster 1999: 81). Mit der steigenden Modernisierung, Rationalisierung und Aus-differenzierung von Gesellschaften entfernen sich Lebenswelt und System immer mehr voneinander. Eigenständige Systeme, wie die Ökonomie und der Staat, koppeln sich nach und nach von der Lebenswelt ab. Mithilfe der beiden Steuerungsmedien Geld, das der Ökonomie zuzurechnen ist, sowie Macht, die zum Staat gehört, können sie vollständig unabhängig von der Lebenswelt werden. Mit der kapitalistischen Wirtschaft entsteht in der europäischen Neuzeit ein ausdifferenziertes Teilsystem, das sich durch das Geldmedium immer mehr von der staatlichen Ordnung entkoppelt und schließlich eine Neuausrichtung des Staates forciert. Durch seine Abhängigkeit von Steuereinnahmen, die im kapitalistischen Produktionsprozess erwirtschaftet werden, ist der Staat gezwungen, offene Konflikte einzudämmen und auf breiter gesellschaftlicher Ebene sozialdisziplinierend zu wirken, was z. B. durch den Ausbau der Recht-sprechung geschieht.

„Die gesamtgesellschaftlich relevanten Funktionen verteilen sich auf verschiedene Handlungssysteme. Mit Militär, Verwaltung, Rechtsprechung spezialisiert sich der Staatsapparat darauf, über bindende Entscheidungen die kollektiven Ziele zu verwirklichen. Andere Funktionen werden entpolitisiert und an nicht staatliche Subsysteme ausgegliedert. Das kapitalistische Subsystem markiert den Durchbruch zu dieser Ebene der Systemdifferenzierung; es verdankt seine Entstehung einem neuen Mechanismus, dem Steuerungsmedium Geld" (Habermas 1995b: 255).

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Soziale Arbeit als intermediäre Instanz. Psychosomatische Rehabilitation zwischen System und Lebenswelt
Hochschule
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
22
Katalognummer
V272583
ISBN (eBook)
9783656640271
ISBN (Buch)
9783656640233
Dateigröße
408 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
soziale, arbeit, instanz, psychosomatischen, rehabilitation, system, lebenswelt
Arbeit zitieren
Christin Schörmann (Autor:in), 2013, Soziale Arbeit als intermediäre Instanz. Psychosomatische Rehabilitation zwischen System und Lebenswelt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272583

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