Von der Reiseerziehung zum Nachhaltigen Tourismus. Eine Schulbuchanalyse für die Sekundarstufe I


Masterarbeit, 2012

107 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Zum Schulbuch
2.1 Rahmenbedingungen der Schulbuchanalyse - das Schulbuch im Spannungsfeld von Politik, Unterricht und Gesellschaft
2.2 Das Erdkundeschulbuch im Unterricht
2.3 Entwicklung der geographischen Lehrpläne
2.4 Verfahren und Kriterien in der Schulbuchforschung

3 Von der Reiseerziehung zum Nachhaltigen Tourismus
3.1 Begriffsbestimmungen
3.1.1 Tourismus
3.1.2 Nachhaltigkeit
3.1.3 Sanfter Tourismus / Nachhaltiger Tourismus
3.1.4 Reiseerziehung
3.2 Geschichte und Entwicklung des Tourismus
3.3 Zur Notwendigkeit der Reiseerziehung
3.4 Ziele der Reiseerziehung
3.5 Reiseerziehung im Geographieunterricht
3.6 Das Thema ‚Tourismus‘ in den Bildungsplänen für Hamburger Gymnasien für das Fach Geographie, Sekundarstufe I
3.7 Themenfelder der Reiseerziehung im Spiralcurriculum nach HEMMER

4 Methodik der eigenen Forschung
4.1 Hypothesen
4.2 Auswahl des Untersuchungsmaterials
4.3 Zur Methodik der quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse
4.4 Vorgehen der Untersuchung

5 Ergebnisse der Schulbuchanalyse
5.1 Ergebnisse der quantitativen Inhaltsanalyse
5.1.1 Identifizierte Tourismusseiten
5.1.2 Aufgabenstellungen
5.1.3 Visuelle Textsorten
5.2 Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse
5.2.1 Themenanalyse
5.2.2 Ausrichtung der Themen
5.2.3 Raumbezug
5.2.4 Operatoren
5.2.5 Handlungsorientierung
5.3 Die historischen Schulbuchreihen im Vergleich
5.4 Überprüfung der Hypothesen
5.4.1 ‚Umsetzung der Bildungspläne‘
5.4.2 ‚Visuelle Textsorten‘
5.4.3 ‚Das Konzept der Reiseerziehung‘
5.5 Kritische Betrachtung der Ergebnisse
5.6 Kritik an der Untersuchung und Ausblick

6 Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 - Akteure der Schulbuchentwicklung

Abb. 2 - Die vier Komponenten des Sanften Tourismus

Abb. 3 - Entwicklung des internationalen Tourismus von 1960-

Abb. 4 - Der von Deutschland ausgehende Tourismus seit 1800 im Trend zur Ferne

Abb. 5 - In- und Auslandsreiseanteile 1954 -

Abb. 6 - Hypothesen

Abb. 7 - Arbeitsschritte der Untersuchung

Abb. 8 - Identifizierte Schulbuchseiten mit Tourismusinhalten (in Prozent)

Abb. 9 - Anzahl der Seiten mit Tourismusinhalten und Aufgabenstellungen (gesamt)

Abb. 10 - Vergleich von Aufgabenstellungen und enthaltenen Operatoren (gesamt)

Abb. 11 - Häufigkeiten der visuellen Textsorten den aktuellen Jahrgangsstufen entsprechend (absolut)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 - Dimensionen & Kategorien einer produktorientierten Schulbuchforschung

Tabelle 2 - Verbindliche Inhalte der Bildungspläne von 2004 und

Tabelle 3 - Konzept der Reiseerziehung im Spiralcurriculum

Tabelle 4 - Themenanalyse der Tourismusinhalte nach Jahrgangsstufen..

1 Einleitung

„Quo vadis Tourismus?“[1] - „Wohin gehst du, Tourismus?“ Diese Frage scheint in Anbetracht aktueller Statistiken schnell beantwortet zu sein. „In die weite Welt! …und wenn es geht, noch weiter!“ Doch wenn man sich dieser Frage umgangssprachlich annimmt, scheint die deutsche Übersetzung „Wohin soll das noch führen, Tourismus?“ nicht so einfach zu beantworten zu sein. Diese Frage impliziert einen kritischen Ansatz, der das Überdenken von Vergangenem erfordert, um für das gegenwärtige Verhalten Veränderungen zu erzielen. ‚Doch w as ist schief gelaufen? ‘ Es geht hierbei um die Auswirkungen und Problemfelder, die durch bestehende touristische Nutzungs-strukturen entstanden sind und sich fortwährend weiterentwickeln.

Sowohl in den geoökologischen als auch sozioökonomischen Bereichen sind diese verheerend. Als Folgen sind unter anderem die Beeinflussung des Naturraumes, die Probleme der Ver- und Entsorgung sowie die sozioökonomischen Veränderungen in den Zielregionen zu nennen. Dem gegenüber stehen wenige positive Auswirkungen wie beispielsweise die Schaffung neuer Arbeitsplätze oder der Ausbau der Infrastruktur. Nichts desto trotz überwiegen die Probleme, die sich aus der intensiven touristischen Nutzung ergeben. Um der aktuellen Situation und der stetigen Weiterentwicklung des Massentourismus entgegenzuwirken, können konkrete Handlungsfelder benannt werden, die auf diese Entwicklung Einfluss haben. Im Bereich der Tourismuspolitik, bei den Verantwortlichen in den Tourismusdestinationen und den Reiseveranstaltern aber auch bei den Reisenden selbst, lassen sich diese Handlungsfelder identifizieren (vgl. HEMMER 2006, Strukturskizze).

Aufgrund dieser Gegebenheiten muss eine umfassende, möglichst früh beginnende sowie nachhaltige Aufklärungsarbeit stattfinden. Der schulische Aktionsraum, aufgrund seiner zahlreichen Adressaten als Reisende, sollte hierfür genutzt werden, um eine wert- und handlungsorientierte Reiseerziehung leisten zu können. Die Anbindung an den Geographieunterricht kann somit einen wesentlichen und grundlegenden Beitrag zur Sensibilisierung Reisender beitragen. Die hier vorliegende Arbeit wurde in der Fachdidaktik für Geographie erstellt und richtet sich in ihrer inhaltlichen Darstellung in erster Linie an künftige Pädagogen und aufgrund der Aktualität des Themas an bereits im Schuldienst tätige Lehrkräfte des Faches Geographie, nicht zuletzt auch an fachfremde. Diese Arbeit nimmt sich der Frage an, ob der Geographieunterricht diesen Aufgaben gerecht wird und untersucht anhand von publizierten Schulbuchreihen zweier Verlage[2], inwiefern und in welcher Form die nachhaltige Reiseerziehung nach HEMMER (1996b) im Geographieunterricht bereits Einzug hält und somit letztlich zu einer nachhaltigen Reisekultur führt. Ferner findet ein Vergleich der untersuchten Schulbuchreihen für die gymnasiale Sekundarstufe I statt, um mögliche Unterschiede zwischen diesen konstatieren zu können. Darüber hinaus werden neben der Analyse der aktuell publizierten Schulbücher auch die historischen Schulbücher beider Verlage betrachtet, um ebenso eine Entwicklung in der Thematik des Tourismus in der Geographiedidaktik feststellen zu können.

Ziel dieser Arbeit ist es somit, eine theoriegeleitete und praxisbezogene Untersuchung durchzuführen, die sowohl den aktuellen Stand der Reiseerziehung als auch die historischen Perspektiven im Geographieunterricht berücksichtigt und hinsichtlich der gewonnenen Erkenntnisse Impulse zur Verbesserung und Weiterentwicklung ermöglicht.

Hierzu wird im theoretischen Teil der Forschungsgegenstand der vorliegenden Untersuchung, das Schulbuch, in aller Kürze beleuchtet (Kapitel 2). Tiefgründige Kenntnisse über das Schulbuch werden entsprechend der Zielgruppenformulierung vorausgesetzt. In Hinblick auf das Schulbuch als Forschungsgegenstand werden die Verfahren und Kriterien in der Forschung vorgestellt. Daraufhin findet eine theoretische Auseinandersetzung mit den thematischen Gesichtspunkten der Arbeit statt (Kapitel 3). Es werden Begriffsbestimmungen von Tourismus, Nachhaltigkeit[3] und dem Konzept der Reiseerziehung angeführt, um gleichermaßen eine Grundlage für die Schulbuch-analyse zu schaffen. Darüber hinaus gilt es, die Ziele der Reiseerziehung sowie die einzelnen Themenfelder des Tourismus im Geographieunterricht darzulegen, um mit der Schulbuchanalyse an jenen Aspekten anknüpfen zu können. Dafür werden die Bildungspläne für Geographie an Hamburger Gymnasien (Sek. I) auf verbindliche Inhalte zum Thema Tourismus begutachtet, um diese dann im empirischen Teil der Arbeit mit einbinden zu können. Im vierten Kapitel wird die Methodik der eigenen Forschung unter Berücksichtigung der Hypothesen, des Untersuchungsmaterials und der Vorgehensweise angeführt. Anschließend werden im fünften Kapitel die Ergebnisse der quantitativen sowie qualitativen Inhaltsanalyse dargestellt, interpretiert und diskutiert. Des Weiteren wird eine kritische Betrachtung der Analyseergebnisse und der durchgeführten Untersuchung geleistet, an die ein Ausblick anschließt. Im letzten Teil der Arbeit findet eine zusammenfassende Schlussbetrachtung statt.

2 Zum Schulbuch

2.1 Rahmenbedingungen der Schulbuchanalyse - das Schulbuch im Spannungsfeld von Politik, Unterricht und Gesellschaft

„Wer unbefangen ein Schulbuch in die Hand nimmt, der kann sich kaum vorstellen, dass sich über diesen Gegenstand Wissenschaftler in aller Welt den Kopf zerbrechen […]“ (WEINBRENNER 1995, S. 21).

Im Zeitalter Neuer Medien nicht ganz unumstritten, gilt das Schulbuch als Basis- und Leitmedium des Unterrichts (vgl. RINSCHEDE 2007, S. 374), da es als Mittler zwischen curricularen Vorgaben und Unterricht gilt und außerdem die zentrale Fachliteratur für die Schüler darstellt (vgl. BAMBERGER 1995, S. 46). Trotz dieser hohen Relevanz des Schulbuchs bietet die Beschäftigung mit diesem Medium drei Defizite. Zum einen führt WEINBRENNER (1995) das theoretische Defizit an. Dieses bestehe darin, „daß [sic] es eine elaborierte und allgemein anerkannte ‚Theorie des Schulbuchs‘ noch nicht gibt. […]“ (ebd., S. 21). Ferner sei es nicht möglich, die didaktischen und methodischen Funktionen eines Schulbuchs hinreichend zu bestimmen. Das empirische Defizit meint, dass man wenig darüber weiß, in welcher Art und Weise Lehrerinnen und Lehrer, Schüler und Schülerinnen[4] innerhalb sowie außerhalb des Unterrichts mit einem Schulbuch arbeiten. Hinzu kommt das methodologische Defizit, welches darauf hinweist, dass es bisher noch keine bewährten und einheitlichen Verfahren in der Schulbuchforschung gäbe (vgl. ebd., S. 21 f.).

Einig ist sich die Wissenschaft lediglich über bedeutsame Merkmale des Schulbuchs. Dazu gehört vor allem der Bezug des didaktisch aufbereiteten Materials auf die Lebenswelt des Schülers, die „[…] mit Hilfe […] [der jeweiligen] Wissenschaft erklärt und verständlich gemacht werden […]“ soll (BAMBERGER 1995, S. 30). Weiterhin wird in der Schulbuchanalyse immer wieder die Charakteristik des Schulbuchs als „Politicum, Informatorium und Pädagogicum“ (STEIN 1979, S. 12) aufgegriffen. Demnach enthält ein jedes Schulbuch eine politische Dimension, verfügt über einen Informationsgehalt und impliziert eine pädagogische Absicht. Dies kann zugleich als Funktionszuweisung verstanden werden (vgl. HOPPE 2011, S. 18). Flankiert werden diese allgemein formulierten Informationen von unterschiedlichen Ansprüchen vonseiten der Lehrer und Schüler an das Schulbuch.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Trotz dieses Dualismus und der Vielzahl an Problemen bei der Definitionsfindung für das Schulbuch können diesem eine Reihe an Funktionen und Aufgaben zugeschrieben werden, die sowohl für die Lehrer- als auch für die Schülerperspektive als didaktisch wertvoll bewertet werden können (vgl. BAMBERGER 1995, S. 68 ff.).

Am Rande ist zu erwähnen, dass grundsätzlich zwischen einer unterrichtlichen, auch pädagogisch-didaktischen, und einer außerschulischen, auch gesellschaftlichen, Funktion unterschieden wird. Die außerschulische Funktion beinhaltet dabei wiederum einen kulturellen sowie politischen Aspekt (vgl. WIATER 2003, S. 13 f.). Als unterrichtliche Funktionen sind folgende zu benennen (vgl. BRUCKER 1983, S. 645 f.; BULLINGER, HIEBER, & LENZ 2005, S. 67 ff.; HACKER 1980; HOPPE 2011, S. 17 ff.; NIEMZ 1984, S. 88; RINSCHEDE 2007, S. 371 f.; THÖNEBÖHN 1995, S. 9 ff.; WIATER 2003, S. 12 ff.):

- Information und Transformation von Wissen
- Konkretisierung und Strukturierung der Inhalte
- Objektivierung des Lehrers durch Objektivierung der Unterrichtsinhalte
- Repräsentation von Inhalten zur Strukturierung von Lernprozessen
- Steuerung des Unterrichts durch Auswahl der Informationsträger und Arbeitsaufträge
- Motivierung des Schülers beispielsweise durch das Layout
- Differenzierung
- Übung und Kontrolle
- Kommunikations- und Sozialisationsfunktion
- Modernisierung des Unterrichts durch innovative Methoden
- Vermittlung fachmethodischer Kompetenzen

Mit Blick auf den Schüler gerichtet lässt sich schwer zwischen außerschulischer und unterrichtlicher Funktion unterscheiden. Es lassen sich diesbezüglich die folgenden vier Tätigkeiten aufzeigen, in deren Rahmen die Schüler das Schulbuch verwenden:

„1. als Hilfsmittel zum Bearbeiten von Aufgaben, die der Lehrer im Unterricht oder als Hausaufgabe gestellt hat;
2. als Quelle für Aufgaben und Informationen zum Üben und Wiederholen;
3. als Mittel, um sich neues, d.h., im Unterricht noch nicht behandeltes Wissen anzueignen;
4. im Zusammenhang mit interessemotiviertem Lernen. (REZAT 2010, S. 22)“

Bei der Entwicklung und Veröffentlichung von Schulbüchern, die diesen Merkmalen eigentlich entsprechen sollten, spielen die verschiedensten Akteure eine Rolle (vgl. Abb. 1). Für den Unterricht an Hamburger Schulen[5] ist im Besonderen das Hamburgische Schulgesetz (HmbSG) als politischer Akteur bedeutsam[6], dass die Entscheidung und Auswahl über Lernmittel[7] den einzelnen Schulkonferenzen überträgt (Li.Hamburg.de, siehe unter Publikationen unter Schulbuchzulassung). Ihnen wird eine Zusammenstellung allgemeiner Kriterien, die sich an den Grundsätzen der ‚Goldauer Konferenz zur Beurteilung von Lernmitteln‘[8] ausrichtet, zur Seite gestellt (vgl. Li.Hamburg.de, Kriterien zur Beurteilung von Lernmitteln). Neben dieser politischen Instanz sind verschieden wissenschaftliche Akteure relevant. Dazu gehören die jeweilige Fachdidaktik und Pädagogik sowie das Autorenkollektiv, das über Inhalte und Aufbau entscheidet (vgl. HOPPE 2011, S. 17). Ergänzt wird diese „Diskursarena“ (HÖHNE 2003, S. 61 ff.) durch den Verlag, der als wirtschaftlicher Akteur auftritt. So stellt HÖHNE (2003) das Spannungsfeld von Bedeutung, Merkmalen und Funktionen des Schulbuchs sowie den Akteuren der Veröffentlichung desselben zusammen-fassend so dar, „[…], daß [sic] in Schulbüchern keine Wirklichkeit abgebildet wird, sondern spezifisches Wissen in hochselektiver Weise von zahlreichen Akteuren konstruiert wird, das von unterschiedlichen Interessen durchdrungen ist. Als Konstruktorium steht das Schulbuch am Ende eines langen Aushandlungs- und sozial hochgeregelten Kontrollprozesses“ (ebd., S. 64).

Abb.1- Akteure der Schulbuchentwicklung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung

2.2 Das Erdkundeschulbuch im Unterricht

Leider existieren nur wenige empirische Forschungen zur Nutzungshäufigkeit, zur Nutzungsweise und zu Nutzungszielen von Schulbüchern durch Lehrkräfte im Unterricht. Mit Bezug darauf führte THÖNEBÖHN (1995) eine Interviewstudie durch. Es ging ihm darum, etwas über den Umgang von Lehrern mit dem geographischen Schulbuch im schulischen Alltag, unter anderem im Unterricht, herauszufinden. Eine Tatsache, die sowohl den Erwartungen der Schulbuchforschung als auch den Interessen der Geographiedidaktik entgegen kommt (vgl. ebd., S. 1). Zusätzlich wird diese Studie von NIEMZ (1989) begrüßt, da er eine „[…] verstärkte praxisnahe fachdidaktische Forschung zur Steigerung der Ergebnisse des Geographieunterrichts und zur Verbesserung geographischer Qualifikationen der Schüler […]“ fordert (ebd., S. 163).

THÖNEBÖHN (1995) identifizierte durch die Befragung von Erdkundelehrkräften drei typische Formen der Schulbuchnutzung durch den Lehrer. Typ 1 kam dabei am häufigsten vor und ist dabei diejenige, bei der das Schulbuch als Leitmedium verwendet wird. Bei Typ 2 hingegen wird das geographische Schulbuch als didaktische Leitlinie verwendet während bei Typ 3, die am seltensten festgestellt werden konnte, das Schulbuch lediglich als Ergänzungsmedium genutzt wird (vgl. ebd., S. 203 ff.). Ebenso konnte durch die Studie aufgezeigt werden, dass 84,9% der Lehrer das Schulbuch „als Basis oder Kern der Unterrichtsplanung heran[ziehen]“ (ebd., S. 329). 63,2% der Befragten nennen die Schulbücher als Grundlage ihrer Themenauswahl für den Unterricht (vgl. NIEMZ 1989, S. 112) und lediglich 2,5% gebrauchen die Schulbücher „nicht“ (vgl. ebd., S. 131). Die Schlussfolgerung aus der benannten Untersuchung war, „[…] dass das Schulbuch im Erdkundeunterricht eine zentrale oder zumindest wichtige Rolle hat“ (DOLL & REHFINGER 2012, S. 31). Ebenso stellte sich heraus, dass die Erdkundebücher sowohl zur lang- als auch zur kurzfristigen Unterrichtsplanung sowie im Unterricht selbst benutzt werden (vgl. ebd., S. 31).

Eben diese genutzten Schulbücher stellen eine Kombination der verschiedenen Schulbuchtypen dar. Nach der didaktischen Konzeption lassen sich aktuell drei Grundtypen von Schulbüchern unterscheiden. So gibt es zum einen die Lernbücher, die keine Strukturierung des Ablaufs vorweisen können, wodurch eine Mithilfe des Lehrers erforderlich wird, und stoffliche Angebote im Rahmen von Ergebnistexten anbieten. Ferner gibt es die Arbeitsbücher, die gleiche Materialien enthalten, aber unterschiedliche lernpsychologische Funktionen haben, womit sich eine jeweils andere Gestaltung erklären lässt. Die Lernbücher bieten zusammenhängende Ergebnis- und Lerntexte mit Fragen und Aufgaben für den Unterricht und zur Wiederholung für zu Hause an. Die Arbeitsbücher hingegen stellen strukturierte Arbeitsunterlagen zur Gewinnung selbsterarbeiteter Erkenntnisse und dem Einüben von Fertigkeiten zur Verfügung. Die Ergebnisse werden hierbei also nicht genannt, sondern müssen erarbeitet werden. Daraus entstehen die Forderungen an das geographische Arbeitsbuch, dass die Informationstexte in alters- und stufengemäßer Sprache verfasst werden. Grafische und numerische Medien bestimmen dabei die Struktur, wodurch die Schüler in erster Linie in ihrer Eigentätigkeit gefördert sowie informiert werden sollen (vgl. BÖHN 1987, S. 175; RINSCHEDE 2007, S. 370 f.; SITTE & WOHLSCHLÄGEL 2001, S. 450 - 452). Bei der ‚Mischform‘ „[…] herrscht Einigkeit, dass heute fast alle Schulbücher [solch eine] Kombination [aller]“ darstellen, da sie vielfältige Einsatzmöglichkeiten für den Unterricht bieten (BULLINGER, HIEBER, & LENZ 2005, S. 68). Sowohl zahlreiche Materialien als auch zusammenfassende Ergebnisse werden hier kombiniert angeboten (vgl. RINSCHEDE 2007, S. 371). Es sei hier jedoch angemerkt, dass die Tendenz im Zuge der stärker betonten Selbsttätigkeit der Schüler im methodischen Bereich in Richtung des Arbeitsbuches gehen sollte (vgl. BULLINGER, HIEBER, & LENZ 2005, S. 68).

Durch die Forschungsergebnisse von THÖNEBÖHN (1995) und NIEMZ (1989), dass Schulbuch- und Unterrichtsrealität große Überschneidungen aufweisen und die Dominanz vom Schulbuch weiterhin unbestritten ist (vgl. NIEMZ 1989, S. 128), lässt sich die vorliegende Untersuchung legitimieren, ebenso Schulbücher für die Untersuchung zu nutzen und daraus Aussagen über Unterricht zu entwickeln.

In diesem Kontext ist auch die methodische Funktion eines Geographiebuches zu verstehen, welches in das Spiralcurriculum von Klasse 5 bis 10 eingebettet ist, wodurch gleichzeitig eine Stärkung des eigenverantwortlichen Arbeitens angestrebt wird (vgl. BULLINGER, HIEBER, & LENZ 2005, S. 69).

Trotz dessen seien hier auch die Grenzen des Schulbuchs angemerkt. Eine dieser ist das Doppelseitenprinzip der Erdkundeschulbücher. Ferner führen die teils stark komprimierten Autorentexte dazu, dass die Schulbücher in der Umsetzung an die didaktischen und methodischen Anforderungen eingeschränkt werden. Eine vertiefende Betrachtung eines Themas bedingt demnach weitere Unterrichts-materialien. Um der Aktualität des Faches gerecht zu werden, sind ebenfalls weitere Begleitmedien wie bspw. Zeitschriften und Tageszeitungen notwendig. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass bestimmte Themen sich anbieten, diese direkt zu erfahren und konkret zu erleben. Demzufolge ist dann die unmittelbare Anschauung dem Schulbuch vorzuziehen (vgl. BULLINGER, HIEBER, & LENZ 2005, S. 69).

2.3 Entwicklung der geographischen Lehrpläne

Die oben beschriebenen Funktionen von Erdkundeschulbüchern als auch deren möglicher Funktionswandel lassen sich aus dem Kontext der geographiedidaktischen Entwicklungen erklären, in die das Erdkundeschulbuch eingebunden ist. Dementsprechend findet im Folgenden ein kurzer Einblick in die unterschiedlichen Entwicklungen der Geographiedidaktik und deren Einflüsse auf die Konzeption von Schulbüchern statt. „Die geographischen Lehrpläne[9] haben in der zweiten Hälfte des 20.Jh.s. eine wechselvolle Entwicklung durchgemacht“ (RINSCHEDE 2007, S. 121; vgl. auch HAVERSATH 2000, S. 51 ff.). Der Aufbau der Fachwissenschaft Geographie sowie die pädagogischen und allgemeindidaktischen Ansichten haben die Entwicklung wesentlich geprägt.

Ferner lassen sich zu den verschiedenen Zeiten unterschiedliche Akzentuierungen des Themas Tourismus im Geographierunterricht konstatieren (vgl. HEMMER 2006, S. 8). In Anlehnung an RINSCHEDE (2007), der sieben Epochen der Schulbuchentwicklung identifiziert, werden diese im Folgenden dargelegt[10] (vgl. hierzu HAVERSATH 2001, S. 28 ff.; HAVERSATH 2000, S. 51 ff.; HEMMER 2006, S. 8 f.; RINSCHEDE 2007, S. 121 ff.; THÖNEBÖHN 1995, S. 15 ff.):

Der „Länderkundlicher Durchgang“ war von der Einführung der Erdkunde als eigenständiges Fach (1872) bis etwa 1970 das vorherrschende systematische Anordnungsprinzip in konzentrischen Kreisen. Dabei war die übliche enzyklopädische Abfolge, die Länder ausgehend von der Heimat über den eigenen Staat, dem eigenen Erdteil bis hin zu entfernten Kontinenten in den Blick zu nehmen. Für das synthetische (idiographische) Vorgehen vom Bekannten zum Unbekannten („Vom Nahen zum Fernen“) wurden der lernpsychologische Grund sowie die Vermittlung eines umfang-reichen (topographisch-geographischen) Faktenwissens angeführt. Die Thematisierung des Tourismus erfolgte indirekt über Reisebeschreibungen und Entdeckerberichte, die dem Schüler zunächst in separaten Leseheften angeboten wurden. Später erfolgten dann Gestaltungselemente in einzelnen Schulbuchkapiteln. Diese Konzeption der Fachdidaktik wird als Abbild-Didaktik bezeichnet. Der Massentourismus steckte zu dieser Zeit noch in den Anfängen.

Während der traditionelle länderkundliche Durchgang in erster Linie auf die Vermittlung exakter Informationen über Länder und Völker der Erde in Form von Faktenwissen aus war, beabsichtigte ab 1957 der „Exemplarische Ansatz“ mit seinem „Mut zur Lücke[11] “ an Beispielen grundlegende Kenntnisse sowie Einsichten zu übermitteln. Diese sollen dann auf andere Sachverhalte angewendet werden können und dadurch eine erschließende Wirkung erzielen. Es sei an dieser Stelle verständlicherweise erwähnt, dass es sich dabei um ein Prinzip der Stoffauswahl[12] handelt, nicht aber um ein Gestaltungsprinzip für den Unterricht.

Die zuvor dargelegten Ansätze mussten sich vieler Kritik unterziehen. So gipfelte die Kritik am länderkundlichen Ansatz sogar in dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit. „Es könne nicht der Sinn eines gesellschaftskritischen Erdkundeunterrichts sein, die Schüler im Lesen von Reiseprospekten fit zu machen“ (HAVERSATH 2001, S. 31). Der 37. Deutsche Geographentag in Kiel (1969) leitete schließlich eine entscheidende Wende ein und beendete den länderkundlichen Durchgang in den 70er Jahren. Der „Allgemeingeographischer Ansatz“ kennzeichnet sich bspw. durch eine Rangfolge der Themen im Lehrplan vom Einfachen sowie Grundlegendem zum Komplexen aus. Hierdurch soll eine stetige Lernanforderung gewährleistet werden. „Statt der regionalen Abfolge wie beim länderkundlichen Durchgang bietet der Lehrplan eine thematische Gliederung mit austauschbaren Fallbeispielen“ (RINSCHEDE 2007, S. 126). Die neuen allgemeingeographischen Erkenntnisse werden demzufolge angebunden an konkrete Räume vermittelt, wobei in allen Jahrgangsstufen die ganze Erde im Fokus steht.

„Die Sozialgeographie ist die Wissenschaft von den räumlichen Organisationsformen und raumbildenden Prozessen der Daseinsgrundfunktionen menschlicher Gruppen und Gesellschaften“ (MAIER, PAESLER, RUPPERT, & SCHAFFER 1977, S. 21). Der „Sozialgeographische Ansatz“ knüpft ab 1969 mit den Daseinsgrundfunktionen, wie z.B. ‚sich erholen‘, an die Bedürfnisse und die unmittelbare Erfahrungswelt der Schüler an. Dadurch können wichtige Probleme und Zusammenhänge in den Blick gelangen und zu anwendungsbezogenen, raumorientierten Überlegungen weitergeführt werden. Allerdings trat ab 1975 eine schnelle Ernüchterung des Konzeptes ein, da nicht die Daseinsgrundfunktionen, sondern die mit ihnen verknüpften Strukturen und Prozesse Gegenstände des Geographieunterrichts waren.

Durch die allgemein- sowie sozialgeographische Konzeption der Lehrpläne wurden die Lebenswirklichkeiten als auch die Wissenschaftsorientierung zu den Hauptauswahl-kriterien der Inhalte. Die unterrichtliche Umsetzung erfolgte über die beschreibende, erklärende sowie kritische Erarbeitung des Themas Freizeit und Tourismus (Freizeiterziehung). Durch seine neue Wissenschaftsorientierung wurde das Schulfach nun als geowissenschaftliches Zentrierungsfach verstanden.

Der „Curriculare Ansatz“ zielt darauf ab, dass der Geographieunterricht sowie die geographischen Lehrpläne nicht nach Fachstrukturen und Fachwissen ausgerichtet, sondern nach zu erreichenden Qualifikationen, die der Schüler in seinem Leben wirklich braucht, strukturiert werden. Dabei wird nach S. B. ROBINSHON (1967) von einem Lehrplan (Curriculum) ausgegangen, „[…] bei dem die Lernziele im Hinblick darauf ausgerichtet werden, ob sie Qualifikationen zur Bewältigung des gegenwärtigen und zukünftigen Lebens der Schüler leisten können“ (RINSCHEDE 2007, S. 129). Die lernzielorientierten Lehrpläne sind inhaltlich stark vom Allgemeingeographischen und vor allem sozialgeographisch geprägt und bestehen als Grundidee bis heute. Dabei finden die Fragen der Schüler-, Fach- und Gesellschaftsrelevanz bei der Erstellung Berücksichtigung.

Beim „Thematisch-regionalen/Regional-thematischen Ansatz“ vollzieht sich eine Verknüpfung allgemeingeographischer und regionalgeographischer Bereiche. Die Verbindung findet dadurch statt, dass die Themen und Inhalte aus der Allgemeinen Geographie zu einer regional geordneten Abfolge angeordnet werden. Die inhaltlichen Schwerpunkte werden dabei von allgemeingeographischen Themen bestimmt. Die regionalen Fallbeispiele sind hingegen austauschbar. Dieser Ansatz hat sich in den gymnasialen Curricula der Bundesrepublik (Stand 2003) bis auf wenige Ausnahmen durchgesetzt[13]. Erwähnt werden muss jedoch, dass entweder die Betonung des thematischen (z. B. NRW, Hessen) oder regionalen (z. B. Bayern, Sachsen) Aspekts stattfindet. Die Konzeption der Fachdidaktik war weiterhin geowissenschaftlich zentrierend ausgerichtet, nun allerdings mit der Reiseerziehung als fachlicher Ausrichtung. Hierbei stand nun die wertorientierte Analyse eigenen und fremden Reiseverhaltens sowie sie Suche nach einem neuen Reisestil bei der unterrichtlichen Umsetzung im Vordergrund. Die Ordnung und Auswahl der Themen erfolgte seitdem unter dem Aspekt, dass Tourismus als Auslöser geoökologischer und gesellschaftlicher Konflikte gesehen wird, und mit der Suche nach Lösungen als Ziel. In diesen Kontext ist das seit Mitte der 1990er Jahre favorisierte sowie empirisch abgesicherte Konzept der Reiseerziehung von HEMMER (1996b) einzuordnen.

Der „Regional/global-thematische Ansatz“ beabsichtigt die Lehrplangestaltung nochmals zu überdenken, wodurch bspw. eine stärkere Einbindung der Physischen Geographie als auch eine stärkere Berücksichtigung der Umwelterziehung/ Nachhaltig-keit/ Bewahrung der Erde erfolgen soll[14]. Letzteres hielt bereits neben wenigen Themen in einigen neuen Lehrplänen Einzug.

Zuletzt seien hier die nationalen Bildungsstandards im Fach Geographie (DGfG 2008) zu benennen, die auf die zu erwartenden Ergebnisse von Lehr- und Lernprozessen, auch output, ausgerichtet sind. Die Bildungsstandards legen sechs Kompetenz-bereiche fest, die mit Erreichen eines bestimmten Ausbildungsabschnittes zu erwerben sind. Dabei handelt es sich um Regelstandards und nicht um Mindeststandards, die in Kooperation von Lehrern, Fachdidaktikern und Fachwissenschaftlern entwickelt wurden (vgl. ebd., S. 1 ff.).

2.4 Verfahren und Kriterien in der Schulbuchforschung

Mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglich gegossenen Lettern durch Johannes Gutenberg (1397-1468) begann damals das eigentliche Nachdenken über das Schulbuch als Medium des Lehrens und Lernens. J.A. Comenius (1592-1670), der Autor des „Orbis sensualium pictus“ und der „Janua linuarum reserata“, wird an den Anfang der modernen Schulbuchtheorie gesetzt. Er entwarf eine noch heute lesenswerte Konzeption für die Gestaltung von Schulbüchern, die sich in 12 Punkten zusammenfassen lässt (vgl. Anhang I). Eben jene konzeptionellen Überlegungen, wie sie Comenius anstellen musste, sind ebenso in der heutigen Schulbuchforschung Voraussetzungen - wenn auch unter anderen Bedingungen als zur damaligen Zeit (vgl. WIATER 2003, S. 11 f.).

Das Schulbuch ist inzwischen ein Medium, dass sich großer Beliebtheit erfreut und „[…] vom Unterricht offenbar so wenig wegzudenken [ist], wie der Lehrer selbst“ (HACKER 1980, S. 7). Zugleich bereitet es vielen Wissenschaftlern aufgrund seiner Komplexität in aller Welt Kopfzerbrechen. Indessen fand seit den 90er Jahren eine zunehmende Forschung im Bereich der Neuen Medien statt, wodurch ein mangelndes Forschungsinteresse gegenüber dem Gegenstand Schulbuch konstatiert werden kann. Die Gründe sind zum einen die staatlich unterstützten Ausstattungen der Schulen mit Computern und zum anderen die privatwirtschaftlich organisierte Produktion sowie der Vertrieb von Schulbüchern. Dieses geschieht in Abhängigkeit von den Bedürfnissen des Marktes, wodurch Schulbücher der Wissenschaft ‚suspekt‘ erscheinen und diese ihre Prioritäten anders setzt (vgl. HACKER 1980, S. 7). Des Weiteren sind die staatlichen Genehmigungsverfahren mit den dazugehörigen Kontrollen der Schulbücher ein weiterer Grund für die zunehmende Verdrängung der wissenschaftlichen Begutachtung (vgl. HOPPE 2011, S. 21).

Letztlich existiert die eigentliche Schulbuchforschung erst seit den 70er Jahren. Bis dahin war Schulbucharbeit, Schulbuchverbesserung, Schulbuchrevision im Sprachgebrauch verankert. Von Schulbuchforschung im wissenschaftlichen Sinne kann erst gesprochen werden, seit dem das Georg-Eckert-Institut (GEI) in Braunschweig eine Wende auf zwei Ebenen vollzogen hat[15] (vgl. FRITZSCHE 1992, S. 12). Es lässt sich inzwischen eindeutig feststellen, dass es in der Schulbuchforschung nicht nur um den Aspekt der Lerneffektivität im kognitiven Bereich geht. Vielmehr geht es auch darum, die Erreichung affektiver bzw. sozialer Lernziele zu überprüfen. Ferner wird ebenso der Frage nachgegangen, „[…] ob bzw. welche Schulbücher im Unterricht tatsächlich (bzw. in welchem Ausmaß) und in welchem methodisch-didaktischen Zusammenhang verwendet werden […]“ (OLECHOWSKI 1995, S. 9). Diese Aspekte weisen auf den mehrdimensionalen Ansatz in der Schulbuchforschung hin.

Das Schulbuch muss sich in vielerlei Hinsicht Kritik unterziehen. Schulbuchforschung ist demzufolge „mehr als die herkömmlich darunter verstandene ‚Inhaltsanalyse‘“ (WEINBRENNER 1995, S. 22). Unter Berücksichtigung der bereits benannten Defizite können grundsätzlich mindestens drei Typen von Schulbuchforschung unterschieden werden: Die prozessorientierte Schulbuchforschung orientiert sich am Lebenszyklus eines Schulbuches und umfasst insgesamt sechs Forschungsfelder, die jeweils eigene Forschungsobjekte, -dimensionen und -methoden implizieren. Dabei wird auch der Prozess von der Entstehung über die Zulassung bis zur Aussonderung des Schulbuches betrachtet (vgl. ebd., S. 22).

Ein weiterer Typ ist als produktorientiert zu bezeichnen. Diese Forschung setzt bei dem Gegenstand des Schulbuches als Unterrichtsmedium und als Mittel der visuellen Kommunikation an. Das Schulbuch als Medium der visuellen Kommunikation unterläuft bei der produktorientierten Schulbuchforschung vier Analysedimensionen und einem vierstufigen Analyseraster (vgl. ebd., S. 22 f.). Die Tabelle 1 stellt eben diese Dimensionen und Kategorien vor.

Der wirkungsorientierte Aufbau steht für den dritten Typ von Schulbuchforschung. Dieser ist ein Teil der Schul- und Unterrichtsforschung, bei dem „das Schulbuch als Sozialisationsfaktor des Unterrichts im Hinblick auf seine Wirkungen auf Schüler und Lehrer untersucht [wird]“ (WEINBRENNER 1995, S. 22). In diesem Forschungsfeld kann auch von Medien-, Kommunikations- und Rezeptionsforschung gesprochen werden. Dabei werden unter anderem auch die Art und Weise untersucht, in der die Öffentlichkeit auf bestimmte Schulbücher reagiert, so auch Schüler und Eltern (vgl. HOPPE 2011, S. 23).

Tabelle1- Dimensionen & Kategorien einer produktorientierten Schulbuchforschung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: bearbeitet nach WEINBRENNER 1995, S. 24

Die seit Jahren verbreitete ‚Schulbuchschelte[16] ‘ (vgl. STEIN 1979), die ebenso Gegenstand wissenschaftlicher Schulbuchanalyse sowie -kritik sein kann, lässt sich in diesen Kontext einordnen. Mit Blick auf die drei benannten Forschungstypen muss angeführt werden, dass sich die Schulbuchforschung, auf den deutschsprachigen Raum bezogen, fast ausschließlich auf den zweiten Forschungstyp konzentriert. Diese Tatsache ist jedoch als bedauerlich anzusehen, da die anderen Forschungsfelder ebenso wichtige und interessante Fragstellungen enthalten. „Analysen von Schulbüchern - insofern sie nicht historisch orientiert sind - sind keine reine Bestandsaufnahme, sondern letztlich auf eine Optimierung der Schulbücher gerichtet“ (REZAT 2010, S. 12). Schulbuchforschung ist demnach auf eine kontinuierliche Qualitätssteigerung von Schulbüchern aus.

Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass die Analyse eines Schulbuches nicht die alleinige Grundlage zur Qualitätsverbesserung ist und nur bedingt Einzug erhalten kann. Die Analyse eines Schulbuchs ist das Eine. Allerdings entsteht unter Bezug-nahme der tatsächlichen Nutzung von Schulbüchern im Unterricht ein Spannungsfeld, innerhalb dessen sich erst die Qualität eines Schulbuchs beurteilen lässt (vgl. ebd., S. 12 f.). „Alle Analysen, die das Schulbuch unabhängig von seiner Nutzung betrachten, können nur Potentiale des Buches aufzeigen. Über die tatsächliche Rolle des Schulbuches im Unterricht, über seine Verwendung durch Lehrer und Schüler, über die Realisierung seiner Potentiale kann keine Aussage gemacht werden“ (ebd., S. 13).

Unter dem eben besagten Aspekt muss nach REZAT (2010) entscheidend festgehalten werden, dass nicht alles, was in Schulbüchern steht, gelehrt wird. Im logischen Umkehrschluss und im Wissen um das obige Zitat bedeutet dies auch, dass nicht alles, was gelehrt wird, auch in den Schulbüchern steht (vgl. ebd., S. 13; NIEMZ 1984, S. 1). „Das Vorhandensein von Aufgaben […] sagt nichts über die Relevanz für den tatsächlichen Unterricht aus“ (REZAT 2010, S. 13). Die Nutzung sowie die Wirkungen eines Schulbuches sind folglich lehrkraft-, klassen- und schülerabhängig und müssen zudem in einem fachspezifischen Kontext betrachtet werden. Hinzu kommen sowohl die Beachtung der unterschiedlichen Fächer mit deren jeweils unterschiedlichen Anforderungen und Zielen als auch die verschiedenen bildungspolitischen Rahmenbedingungen der Bundesländer, wodurch sich eine enorme Komplexität der Schulbuchforschung feststellen lässt (vgl. DOLL & REHFINGER 2012, S. 26). Untersuchungen hinsichtlich eben jener Nutzung und Wirkung im Unterricht sind, wie bereits oben benannt, jedoch rar. Dennoch konnte durch einschlägige Studien[17] belegt werden, dass es einen Einfluss von Schulbüchern auf Entscheidungen von Lehrern im Rahmen von Unterrichtsplanung gibt.

In Bezug darauf war in der Mitte der 80er Jahre die Entwicklung von Beurteilungsrastern, die ursprünglich für die Hand des Lehrers konzipiert wurden, ein bedeutender Schritt. Die Raster sollen als Hilfestellung für die Auswahl von Schulbüchern dienen, werden aber gegenwärtig kaum verwendet, da sie aufgrund von zahlreichen Fragen sowie unterschiedlichsten Dimensionen zu aufwendig sind. Diese Differenziertheit sei nach FRITZSCHE (1992) schwer zu handhaben (‚Bielefelder-Raster[18] ‘ sowie das ‚Reutlinger-Raster[19] ‘) (vgl. ebd., S. 13 f.).

Nachdem die drei vorherrschenden Defizite benannt und die drei grundlegenden Schulbuchforschungstypen beleuchtet wurden, gilt es an dieser Stelle kurz die grundlegenden Dimensionen der Schulbuchanalyse vorzustellen. Zum einen wird dadurch der komplexe sowie mehrdimensionale Charakter von Schulbuchforschung nochmals verdeutlicht und zum anderen ist dies eine weitere wichtige Grundlage der vorliegenden Arbeit, da ebenso eine Einordnung der eigenen Analyse erfolgen wird. Die Autoren RAUCH und TOMASCHWESKI (1986) unterscheiden die Schulbuch-analyse in sechs Typen:

1. Gesamt- oder Teilanalyse: Hierbei werden ganze Bücher oder einzelne Themen sowie Unterrichtseinheiten analysiert.
2. Aspekt- oder Gesamtanalyse: Einzelne Aspekte bzw. Themen finden Einzug in die Analyse, wie zum Beispiel Umwelt, Frauenfrage etc. Es wird hierbei zumeist mit Stichproben gearbeitet.
3. Horizontal- oder Vertikalanalyse: Ein auserwähltes Thema wird durch mehrere Unterrichtswerke verfolgt oder man erfasst die Konzeption und den Aufbau eines Unterrichtswerkes.
4. Hermeneutische oder erfahrungswissenschaftliche Inhaltsanalyse: Hierfür werden in einem Kategoriensystem nicht alle relevanten Buchmerkmale erfasst. Stattdessen werden nur einige besonders praxisrelevante Merkmale, die weiter operationalisiert werden, erfasst.
5. Nichtvergleichende oder vergleiche Analyse: Es werden Vergleiche alter und neuer Fassungen von Büchern verschiedener Länder durchgeführt.
6. Schreibtischinspektion oder Wirkungsevaluation: Zumeist erfolgten die Analysen auf Basis von Theorien und Erfahrungen von Experten, die Effektivität bzw. Lernwirksamkeit wurde kaum beachtet (vgl. RAUCH & TOMASCHEWSKI, 1986).

Mit den hier dargelegten Informationen lässt sich festhalten, dass das Gebiet der empirischen Schulbuchforschung sehr heterogen sowie komplex zugleich ist. Das Schulbuch an sich kann zudem aufgrund seiner eigenen Komplexität als „kulturelles Werkzeug“ verstanden werden, da es sowohl der Schüler- als auch der Lehrerseite ‚behilflich‘ sein kann. Die Werkzeugmetapher integriert dabei die selbstgesteuerten Lernprozesse im Sinne der konstruktivistischen Lerntheorien (‚Jeder Schüler konstruiert sein Wissen über die Welt selber‘ vgl. RINSCHEDE 2007, S. 47 ff.). Die Komplexität des Gegenstandes ‚Schulbuch‘ lässt sich zusammenfassend durch die Makro-, Meso- und Mikroebene beschreiben. Eben diese Unterscheidungen in die verschiedenen Schulbuchebenen können als die möglichen Ansatzpunkte der Schulbuchforschung für die zahlreich verschiedenen Methoden verstanden werden. Die Makroebene bezieht sich dabei auf das Schulbuch als Ganzes. Die Mesoebene bezieht sich auf einzelnen Lerneinheiten eines Schulbuches und die Mikroebene unterteilt sich abermals auf die einzelnen Elemente, wie bspw. dem Anteil an Fachbegriffen, Argumentationsmustern, Aufgaben und Bildern (vgl. REZAT 2011, S. 153 ff.).

[...]


[1] aus dem Lateinischen

[2] jeweils die Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I, 5.-10.Klasse

[3] Der Begriff der Nachhaltigen Entwicklung sowie des Nachhaltigen Tourismus werden als Eigennamen angesehen, weswegen im Folgenden die Nennungen mit großen Anfangsbuchstaben erfolgt.

[4] Zur Verbesserung der Lesbarkeit wird in dieser Arbeit ausschließlich die männliche Form verwendet. Diese impliziert stets auch die weibliche Form.

[5] An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass lediglich der Bezug zu Hamburg gesetzt wird, da die der Analyse zugrunde liegenden Schulbücher für Hamburg publiziert wurden. Die Begründung dafür, warum sich ausschließlich für Hamburg entschieden wurde, wird im Methodikteil dieser Arbeit erfolgen.

[6] Vgl. hierzu die ‚ Informationen zur Auswahl von Lernmitteln ‘ des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg (http://li.hamburg.de/lernmittel/ ) sowie § 9 des Hamburgischen Schulgesetzes (HmbSG), vom 16. April 1997 (HmbGVBl. S. 97), zuletzt geändert am 5. April 2012 (HmbGVBl. S. 144)

[7] Vgl. hierzu auch die Lernmittelverordnung (LernMVO) vom 3. Mai 2005. Hier wird im § 2 zu Lernmitteln lediglich von Schulbüchern im Sinne des HmbSG gesprochen. Demzufolge findet hier auch keine klare Definition von Schulbüchern statt. Letzter Zugriff am 19.7.2012, bis zu diesem Tag die aktuellste verfügbare Fassung (http://www.schulrecht.hamburg.de/jportal/portal/t/1g5f/bs/18/page/sammlung.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr-LernMVHA2005pP3&doc.part=X&doc.price=0.0#focuspoint )

[8] von der Goldauer Konferenz vom 22.09.1999 in der Schweiz veröffentlicht. Die Goldauer Konferenz (GK) war bis 2003 die Lehrmittel-Fachkonferenz der Interkantonalen Lehrmittelkonferenz (IKLK) von neun Kantonen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein. Sie hat nach einem von der IKLK vorgegebenen Leistungsauftrag und mit entsprechenden Rahmenbedingungen gearbeitet.

[9] Lehrpläne haben eine inhaltliche und prozessuale Orientierungs- und Steuerungsfunktion. Sie haben die Aufgabe, anzugeben, welche Inhalte und Themen, in welcher Reihenfolge, Verknüpfung, Anwendung und Art und Weise behandelt werden sollen und welche Kompetenzen auf welchen Stufen zu erwerben sind. Lehrpläne beschreiben und strukturieren demzufolge den Weg zur Zielerreichung (vgl. RINSCHEDE 2007, S. 143 f.). Für eine umfassende Darlegung zum Begriff des ‚Lehrplans‘ vgl. hierzu RINSCHEDE 2007, S. 118 ff.

[10] Eine ausführliche Beschreibung der jeweiligen Ansätze kann hier nicht geleistet werden. Es gilt lediglich die Strömungen kurz aufzuzeigen, um das ‚historische‘ Erdkundeschulbuch als auch die Thematik Tourismus und dessen Entwicklung zum heutigen Nachhaltigen Tourismus bei der Analyse didaktisch einordnen zu können. Die einzelnen Epochen der Entwicklung der geographischen Lehrpläne finden sich in detaillierter Beschreibung bei RINSCHEDE 2007, S. 121 ff.; THÖNEBÖHN 1995, S. 15ff.

[11] WAGENSCHEIN (1956) formulierte die Überlegungen zum ‚Exemplarischen Ansatz‘ als „Mut zur Lücke“; vgl. hierzu RINSCHEDE 2007, S. 123 f.

[12] Bei der Stoffauswahl lassen sich hinsichtlich des länderkundlichen Durchganges zwei Varianten unterscheiden. Zum einen das pars-pro-toto-Verfahren und zum anderen das typisierende Verfahren. Die Funktion der Reduzierung der Stoffmengen konnte hierdurch erfolgreich erreicht werden. Dennoch beinhalten sie jeweils ihre eigenen Schwachstellen, vgl. hierzu RINSCHEDE 2007, S. 124

[13] Hinsichtlich der Lernplanvorstellungen lassen sich verschiedene Varianten konstatieren, bei denen der regionale Aspekt stärker betont wird. So z.B. die Problemländerkunde, die Kulturerdteilkonzeption und verschiedene Möglichkeiten regionaler Abfolge. Vgl. hierzu RINSCHEDE 2007, S. 132 ff.

[14] Vgl. weitere Bereiche bei RINSCHEDE 2007, S. 134

[15] „Ein Schwerpunkt der Arbeit verlagerte sich von der bilateralen Entwicklung eines Konsenses über zu bereinigende und zu vergleichende Schulbuchinhalte hin zu meist multilateralen Forschungsprojekten über vergleichbare Problemfelder der beteiligten Länder und deren Darstellungen in Schulbüchern. Eine weitere Schwerpunktverlagerung vollzog sich mit der Konzentration auf die Erforschung grundlegender nationaler Wahrnehmungs- und Denkmuster, die sog. ‚underlying assumptions‘“ (FRITZSCHE 1992, S. 12).

[16] Lange Zeit sprach man nur über die Modernisierung bzw. Aktualisierung der Lerninhalte von Schulbüchern. Die gesellschaftliche Diskussion über politische Schulbuchinhalte wurde mit dem Begriff ‚Schulbuchschelte‘ etikettiert und wegen ihrer Beschränkung auf Schulbuchinhalte verurteilt (vgl. HOPPE 2011, S. 22)

[17] In den Fächern Mathematik und Deutsch (vgl. hierzu REZAT 2010, S. 12 ff.)

[18] Von M. LAUBIG, H. PETERS und P. WEINBRENNER

[19] Von M. RAUCH und L. TOMASCHEWSKI

Ende der Leseprobe aus 107 Seiten

Details

Titel
Von der Reiseerziehung zum Nachhaltigen Tourismus. Eine Schulbuchanalyse für die Sekundarstufe I
Hochschule
Universität Hamburg  (Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft, Fachbereich: Didaktik der gesellschaftswissenschaftlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer.)
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
107
Katalognummer
V272587
ISBN (eBook)
9783656641520
ISBN (Buch)
9783656641513
Dateigröße
1790 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reiseerziehung, Nachhaltiger Tourismus, Schulbuchanalyse
Arbeit zitieren
Katharina Thurbahn (Autor:in), 2012, Von der Reiseerziehung zum Nachhaltigen Tourismus. Eine Schulbuchanalyse für die Sekundarstufe I, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272587

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