Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung

Eine Untersuchung von Präventionsmöglichkeiten im Unterricht


Examensarbeit, 2013

79 Seiten, Note: 2,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Definitionen
2.1 Geistige Behinderung
2.2 Sexueller Missbrauch
2.3 Prävention

3 Sexueller Missbrauch bei Menschen mit geistiger Behinderung
3.1 Prävalenz von sexuellem Missbrauch von Menschen mit geistiger
3.1.1 Studien aus dem deutschsprachigen Raum
3.1.2 Studien aus dem nordamerikanischen Raum
3.1.3 Bewertung der Studienergebnisse
3.2 Täterinnen und Täter
3.2.1 Wer sind die Täterinnen und Täter?
3.2.2 Täterstrategien
3.2.3 Täterinnen und Täter mit einer geistigen Behinderung
3.2.4 Bewertung der Ergebnisse zu Täterinnen und Tätern
3.3 Risikofaktoren für sexuellen Missbrauch

4 Prävention sexuellen Missbrauchs im Unterricht
4.1 Theoretische Grundlage von Prävention
4.1.1 Bronfenbrenners ökologischer Ansatz
4.1.2 Verbindung des ökologischen Ansatzes mit den drei Stufen der Prävention
4.1.3 Bewertung der theoretischen Überlegungen zur Prävention von sexuellem Missbrauch
4.2 Evaluierte Präventionstrainings für Erwachsene mit geistiger
4.2.1 Verhaltenstrainings zur Prävention von sexuellem Missbrauch
4.2.2 Entscheidungsfindungstrainings zur Prävention von sexuellem
4.2.3 Bewertung der Präventionstrainings
4.3 Voraussetzungen für die Prävention von sexuellem Missbrauch im
4.3.1 Fortbildung von Lehrkräften
4.3.2 Sexualaufklärung bei Menschen mit geistiger Behinderung
4.3.3 Didaktisch-methodische Überlegungen
4.4 Präventionsmöglichkeiten im Unterricht
4.4.1 Präventionsansatz Auch wir dürfen NEIN sagen!
4.4.2 Präventionsansatz Mädchen stark machen
4.4.3 Präventionsansatz Prävention - Echt stark!
4.4.4 Präventionsansatz Anna ist richtig wichtig.
4.4.5 Bewertung der Präventionsansätze

5 Fazit und Ausblick

6 Literaturverzeichnis

7 Anhang

1 Einleitung

Das Thema sexueller Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung wurde lange Zeit nicht thematisiert, bzw. die Existenz dieser Problematik bestritten. In letzter Zeit rückt diese jedoch immer stärker ins Forschungsinteresse. Pionierarbeit im Bereich der Offenlegung von sexuellem Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung im deutschsprachigen Raum leisteten Noack und Schmid (1994), Zemp und Pircher (1996) sowie Zemp, Pircher und Schoibel (1997). Zuvor wurde sexueller Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung nur im englischsprachigen Raum thematisiert. Veröffentlichungen zu dieser Thematik bleiben dennoch nach wie vor rar, obwohl auch alle neueren Untersuchungen eindeutig belegen, dass sexueller Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung nicht als Randphänomen vernachlässigt werden darf (Schröttle, Glammeier, Sellach, Hornberg, Savemann, Puhe & Zinsmeister, 2013).

Auf Grundlage der Erkenntnisse um das Vorhandensein von sexuellem Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung wird in der vorliegenden Arbeit untersucht, ob die theoretischen Erkenntnisse der Forschung mittlerweile auch in der Praxis berücksichtigt werden und versucht Antworten darauf zu finden, wie sexueller Missbrauch möglichst früh auch schon im Kindes- und Jugendalter durch präventive Maßnahmen im Unterricht verhindert werden kann. Hierbei wird der Fragestellung nachgegangen, ob es adäquate und wirksame Präventionsmöglichkeiten für den Unterricht gibt, die speziell auf die besonderen Bedürfnisse und die individuellen Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zugeschnitten sind.

Ausgangspunkt war eine Literaturrecherche in der Datenbank PsycInfo mit den Stichworten sexual, abuse und disabil*. Alle Veröffentlichungen zwischen den Jahren 1997 und 2013 wurden auf ihre Relevanz bezüglich epidemiologischer Daten von sexuellem Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung überprüft. Dieser Zeitraum wurde gewählt um zu überprüfen, ob das Thema sexueller Missbrauch seit den Veröffentlichungen von Noack und Schmid, Zemp und Pircher sowie Zemp et al. verstärkt ins Forschungsinteresse gerückt ist. Bei der Auswertung wurden alle Zeitschriftenartikel und zugängliche Artikel in Buchform berücksichtigt.

Diese Recherche diente als Ausgangspunkt für weitere Recherchen.

Bevor die Präventionsmöglichkeiten von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Unterricht dargelegt werden können, muss zunächst ein grundlegendes Verständnis der Problematik des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung geschaffen werden.

Hierzu werden im Folgenden zunächst die der Arbeit zugrundeliegenden Begrifflichkeiten definiert. Darauf folgt die die Auseinandersetzung mit der Thematik des sexuellen Missbrauchs von Menschen mit geistiger Behinderung. In diesem Bereich werden Prävalenzen betrachtet, auf potentielle Täterinnen und Täter eingegangen sowie spezielle Risikofaktoren für den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung ermittelt. Die Annäherung an das Thema Präventionsmöglichkeiten im Unterricht geschieht über die theoretischen Grundlagen von Prävention und die Vorstellung von evaluierten Präventionstrainings für Erwachsene mit geistiger Behinderung. Außerdem werden Voraussetzungen für die präventive Arbeit im Unterricht behandelt. Schließlich werden verschiedene Ansätze zur Prävention von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Unterricht besprochen und versucht diese im Hinblick auf ihre Verwendbarkeit und Wirksamkeit in einem Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zu bewerten.

2 Definitionen

Nachfolgend werden nun die der Arbeit zugrundeliegenden Begrifflichkeiten definiert. Begonnen wird mit dem Terminus geistige Behinderung. Darauf folgt die Bestimmung der Begriffe sexueller Missbrauch und Pr ä vention.

2.1 Geistige Behinderung

Dem Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kommt bei der Beschreibung von geistiger Behinderung eine wichtige Rolle zu. Im ICD-10 wird allerdings der Terminus Intelligenzminderung anstatt geistige Behinderung verwendet.

Laut der neusten Version des ICD-10 wird unter einer Intelligenzminderung „ein Zustand von verzögerter oder unvollständiger Entwicklung der geistigen Fähigkeiten [verstanden]; Besonders beeinträchtigt sind Fertigkeiten, die sich in der Entwicklungsperiode manifestieren und die zum Intelligenzniveau beitragen, wie Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten. Eine Intelligenzminderung kann allein oder zusammen mit jeder anderen psychischen oder körperlichen Störung auftreten“ (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 2012, 215).

Die WHO definiert die Intelligenzminderung1 alleine über den Intelligenzquotienten. Der Schweregrad einer geistigen Behinderung wird übereinstimmungsgemäß anhand standardisierter Intelligenztests festgestellt.

Eine leichte geistige Behinderung wird über einen IQ im Bereich von 50 bis 69 definiert. (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 2012, 215). Eine mittelgradige geistige Behinderung liegt vor, wenn der IQ im Bereich von 35-49 liegt. Im Bereich zwischen 20 und 34 wird von einer schweren geistigen Behinderung gesprochen. Eine schwerste geistige Behinderung wird durch einen Intelligenzquotienten unter 20 Punkten definiert (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 2012, 216). Eine Übersicht gibt Tabelle 1.

Tabelle 1: Schweregrade der geistigen Behinderung nach ICD-10

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Klassifizierung von psychischen Störungen nach dem DSM-5 der American Psychiatric Association (APA) verwendet erstmals den Terminus intellektuelle Behinderung2 anstatt mentale Retadierung. Damit soll eine bessere Vergleichbarkeit zu anderen Klassifikationssystemen wie dem der WHO gewährleistet werden (American Psychatric Association, 2013). Eine geistige Behinderung wird nach DSM-5 über drei Bereiche definiert, die beschreiben, wie gut ein Individuum seinen Alltag bewältigen kann. Der konzeptuelle Bereich beinhaltet sprachliche Fähigkeiten, Lese- und Schreibfertigkeiten, mathematische Fertigkeiten, schlussfolgerndes Denken, Wissen und Gedächtnisleistung. Der soziale Bereich bezieht sich auf Empathie, soziale Urteilsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeiten und die Fähigkeit Freundschaften zu schließen und aufrechtzuerhalten. Der praktische Bereich zentriert Selbstversorgung, Arbeit, Verantwortung, Geldmanagement und Organisation von Schul- und Arbeitsaufgaben (American Psychatric Association, 2013).

Das DSM-5 betont die Notwendigkeit, sowohl eine klinische Beurteilung als auch standardisierte Intelligenztests bei der Diagnose von geistiger Behinderung zu nutzen. Durch das Entfernen von IQ-Testergebnisse aus den diagnostischen Kriterien, sie aber immer noch in der Beschreibung von geistiger Behinderung einschließt, stellt das DSM-5 sicher, dass sie nicht als alleiniger Faktor bei der Beschreibung einer Person dienen, ohne die Alltagsbewältigung zu berücksichtigen. Im DSM-5 wird eine geistige Behinderung durch ungefähr zwei Standardabweichungen oder mehr festgelegt. Dies entspricht einem IQ-Wert von 70 oder weniger (American Psychatric Association, 2013).

2.2 Sexueller Missbrauch

In der Fachliteratur werden verschiedene Begriffe für sexuellen Missbrauch verwendet: Sexuelle Ausbeutung (Zemp & Pircher, 1996, 7; Zemp, Pircher & Schoibel, 1997, 8), Sexueller Missbrauch (Gerdtz, 2003, 11), Sexuelle Gewalt (Noack & Schmid, 1996, 32; Becker, 2001, 11), Sexualisierte Gewalt Mickler, 2009, 27). Häufig werden diese Begrifflichkeiten synonym verwendet, obwohl bei genauerer Betrachtung unterschiedliche Schwerpunkte erkennbar sind (Noack & Schmid, 1994, 11; Gerdtz, 2003, 11).

Der Begriff Sexuelle Ausbeutung betont die Gewalt- und Machtverhältnisse (Gerdtz, 2003, 11) und verdeutlicht, dass das Opfer ausgenutzt wird (Zemp & Pircher, 1996, 8). Sexueller Missbrauch objektiviert das Opfer (Gerdtz, 2003, 11). Kritisch anzumerken ist hierbei, dass der Begriff suggeriert, dass es auch einen legalen sexuellen Gebrauch von Kindern und Jugendlichen geben könnte (Zemp & Pircher, 1996, 7). Die Termini Sexuelle Gewalt und Sexualisierte Gewalt heben wiederrum die Gewalt- und Machtverhältnisse (Noack & Schmid, 1994, 33) hervor und betonen, dass es sich „um Gewalt mit sexuellen Mitteln“ (Mickler, 2009, 27) handelt.

In dieser Arbeit wird der Begriff Sexueller Missbrauch, trotz oben genannter Kritik, verwendet, da dieser im deutschsprachigen Raum am weitesten verbreitet ist (Zemp & Pircher, 1996, 7).

Darüber hinaus wird in der Fachliteratur zwischen engen und weiten Definitionen von sexuellem Missbrauch unterschieden. Es herrscht keine Einigkeit darüber, ab welchem Tatbestand von sexuellem Missbrauch gesprochen werden kann (Gerdtz, 2003, 11). Enge Definitionen weisen beispielsweise einzig Genitalkontakt als Kriterium für sexuellen Missbrauch auf, wohingegen weite Definitionen davon ausgehen, dass sexueller Missbrauch dort beginnt, wo Personen von anderen Personen zu der Befriedigung ihrer Bedürfnisse objektiviert werden (Zemp et al., 1997, 9). Auch Noack und Schmid (1994, 35) betonen, dass sexueller Missbrauch nicht erst bei einer Vergewaltigung anfängt.

In dieser Arbeit wird von einer weitgefassten Definition ausgegangen, welche in Anlehnung an Zemp et al. (1997, 9) auch Nicht- Kontakthandlungen mit einschließt, da Opfer beispielsweise auch schon durch Gesten auf eine körperliche Komponente herabgesetzt werden können und somit allein als Objekt wahrgenommen werden. Des Weiteren wird auf eine Altersangabe oder Altersdifferenz als Missbrauchskriterium verzichtet, da die unterschiedliche Reife von Tätern und Opfern fokussiert werden sollte (Gerdtz, 2003, 13). Gerade bei Menschen mit einer geistigen Behinderung ist das Alter kein verlässlicher Indikator für den Entwicklungsstand bzw. die sexuelle Reife einer Person. So können „Menschen mit einer Behinderung auch im erwachsenen Alter von gleichaltrigen und/oder jüngeren Täterinnen ausgebeutet werden“ (Zemp et al., 1997, 9).

Nachfolgend werden zwei Definitionen, die dieser Arbeit zugrunde gelegt werden, wiedergegeben, die den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs beschreiben und die zuvor genannten Kriterien beinhalten. Zemp und Pircher definieren sexuellen Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung wie folgt:

„Sexuelle Ausbeutung von Kindern und/oder physisch und/oder geistig abhängigen Menschen durch Erwachsene (oder ältere Jugendliche) ist eine sexuelle Handlung des Erwachsenen mit einem abhängigen Menschen, der aufgrund seiner emotionalen, intellektuellen oder physischen Entwicklung nicht in der Lage ist, dieser sexuellen Handlung informiert und frei zuzustimmen. Dabei nützt der Erwachsene, der/die Helferin die ungleichen Machtverhältnisse zwischen sich und der/dem Abhängigen aus, um es/sie/ihn zur Kooperation zu überreden oder zu zwingen. Zentral ist dabei die Verpflichtung zur Geheimhaltung, die das Kind/die abhängige Person zu Sprachlosigkeit, Wehrlosigkeit und Hilflosigkeit verurteilt“ (Zemp & Pircher, 1996, 8).

Banges Definition ist nicht speziell auf den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung bezogen, kann jedoch auf diesen Tatbestand übertragen werden. Er betont im Besonderen die Bedürfnisbefriedigung auf Kosten des Kindes:

„Sexueller Mißbrauch an Kindern und Jugendlichen ist jede sexuelle Handlung durch Erwachsene, die an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder das Kind aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Der Täter nutzt seine Macht- und Autoritätsposition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen“ (Bange, 1992, 57).

2.3 Prävention

Das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis von Prävention ergibt sich aus mehreren Definitionen des Begriffs.

Laut Hafen bezeichnet Prävention

„eine bestimmte Perspektive, die einen Zusammenhang zwischen gegenwärtigen Maßnahmen und dem Nichtauftreten eines zukünftigen -> Problems beobachtet. Als Frage formuliert: Wie kann mit gegenwärtigen Maßnahmen dem Auftreten eines zukünftigen Problems zuvorgekommen werden (lat. p raevenire = »zuvorkommen«)? Ansatzpunkte der präventiven Maßnahmen sind Risikofaktoren, welche das Auftreten eines Problems wahrscheinlicher machen, und Schutzfaktoren, welche den Einfluss der Risikofaktoren einschränken“ (Hafen, 2012, 309-310).

Wichtige Bestandteile der Prävention von sexuellem Missbrauch von Kindern mit geistiger Behinderung ergeben sich in diesem Zusammenhang aus den Risikofaktoren für sexuellen Missbrauch und möglichen Faktoren, die vor sexuellem Missbrauch schützen.

Leppins Verständnis von Prävention zeigt auch die Grenzen von Prävention auf:

„Prävention versucht, durch gezielte Interventionsmaßnahmen das Auftreten von Krankheiten oder unerwünschten physischen oder psychischen Zuständen weniger wahrscheinlich zu machen bzw. zu verhindern oder zumindest zu verzögern" (Leppin, 2007, 31).

Leppins Definition ist zu entnehmen, dass Prävention nicht zwangsläufig einen unerwünschten Zustand, in diesem Fall sexueller Missbrauch, verhindert, sondern lediglich dafür sorgen kann, dass sich die Wahrscheinlichkeit des Eintretens verringert.

Des Weiteren wird häufig zeitlich zwischen drei Stufen der Prävention unterschieden: Primäre Prävention, sekundäre Prävention und tertiäre Prävention. Demnach beinhaltet die Stufe der primären Prävention „Aufklärung, Anleitung und Beratung“ (Böllert, 2001, 1394). Die sekundäre Prävention bezeichnet „frühzeitige beratende, behandelnde und betreuende Angebote“ (Böllert, 2001, 1394), welche „die Verfestigung abweichenden Verhaltens verhindern“ (Böllert, 2001, 1394). Die tertiäre Prävention beschreibt Maßnahmen, „die der Besserung, Nacherziehung und der Resozialisierung […] dienen“ (Böllert, 2001, 1394). Da die tertiären Prävention nicht mehr vorgebeugt, sondern auf bestehende Probleme reagiert wird, wird in diesem Zusammenhang häufig eher der Interventionsbegriff benutzt (Böllert, 2001, 1394).

In Bezug auf den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung ist die primäre Prävention von größter Bedeutung, da der Missbrauch im Voraus verhindert werden muss (Gerdtz, 2003, 54). Sekundäre und tertiäre Prävention werden trotzdem bei den theoretischen Überlegungen zur Prävention von sexuellem Missbrauch mit einbezogen3.

Für die Prävention von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung ergibt sich aus diesen Überlegungen die Prämisse, dass Prävention „die Antwort der Pädagogik auf Täterstrategien und missbrauchsbegünstigende Umstände“ (STROHHALM E.V., 2001, 37, zitiert nach Gerdtz, 2003, 53) ist.

3 Sexueller Missbrauch bei Menschen mit geistiger

Im Folgenden werden zunächst Prävalenzstudien zu sexuellem Missbrauch an Menschen mit geistiger Behinderung dargestellt. Danach wird auf potentielle Täterinnen und Täter sowie Täterstrategien eingegangen.

3.1 Prävalenz von sexuellem Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung

Da es im deutschsprachigen Raum erst sehr wenige Untersuchungen gibt, die sich mit der Thematik des sexuellen Missbrauchs von Menschen mit geistiger Behinderung beschäftigen, werden zusätzlich Studien aus dem nordamerikanischen Raum vorgestellt.

3.1.1 Studien aus dem deutschsprachigen Raum

Bis Anfang der 1990-er Jahre gab es im deutschsprachigen Raum keine Studien und Untersuchungen zur Problematik des sexuellen Missbrauchs von Menschen mit geistiger Behinderung. Erste Daten erfassten Noack und Schmid im Jahr 1994 im Rahmen einer bundesweiten, quantitativen Erhebung, bei der das Personal von 874 Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen schriftlich zur Thematik des sexuellen Missbrauchs befragt wurde (Noack & Schmid, 1994, 12). 51,3% der Einrichtungen gaben an, dass ihnen Fälle von sexuellem Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung in ihrer Einrichtung bekannt sind (Noack & Schmid, 1994, 44). Von 31,5% der in den Einrichtungen lebenden Frauen mit geistiger Behinderung waren Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt, bei Mädchen 10,7% und bei weiblichen Jugendlichen 8,7%. Bei Männern mit geistiger Behinderung lag die Quote bei 16,6%, bei Jungen 5,2% und männlichen Jugendlichen bei 2,9%. (Noack & Schmid, 1994, 45). Kritisch merken Noack und Schmid (1994, 45-46) selbst an, dass es vermutlich eine hohe Dunkelziffer in Institutionen gibt, da sexueller Missbrauch nicht wahrgenommen oder verschwiegen wird.

Diese Problematik ist darauf begründet, dass die Bewohner und Bewohnerinnen der Einrichtungen nicht selbst befragt wurden, sondern lediglich das Personal Auskünfte erteilte.

Noack und Schmid gehen von einem weiten Begriffsverständnis von sexuellem Missbrauch aus, welches heimliche Berührungen impliziert und auf dem Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern basiert (Noack & Schmid, 1994, 35). In ihrer Untersuchung ließen sie jedoch die Befragten individuell definieren, welche Aspekte für sie unter sexuellem Missbrauch fallen. Die Befragung ist somit subjektiv geprägt.

Eine weitere Studie im deutschsprachigen Raum folgte von Zemp und Pircher im Jahre 1996. Sie befragten 130 Frauen mit Behinderung im Alter zwischen 17 und 69 Jahren, die in Einrichtungen in Österreich lebten (Zemp & Pircher, 1996, 29-30). 57,5% dieser Frauen bezeichneten sich selbst als geistig behindert (Zemp & Pircher, 1996, 32). Auch dieser Befragung liegt ein weites Begriffsverständnis von sexuellem Missbrauch zugrunde. Darunter fallen „Handlungen wie despektierliche Bemerkungen über den Körper, Berühren von Geschlechtsorganen bis hin zum Geschlechtsverkehr“ (Zemp & Pircher, 1996, 8). Demnach haben 63,8% der befragten Frauen körperlich ausgeübte sexuelle Gewalt erfahren (Zemp & Pircher, 1996, 42).

Zemp und Pircher (1996, 21) weisen jedoch darauf hin, dass ihrer Erhebung keine repräsentative Stichprobe zugrunde liegt.

Im Jahre 1997 führten Zemp, Pircher und Schoibel eine Studie durch, die sexuellen Missbrauch von Männern mit Behinderung fokussiert. Zentrale Begriffe und Definitionen wurden von Zemp und Pircher (1996) übernommen (Zemp et al., 1997, 7). Befragt wurden 136 Männer mit Behinderung im Alter zwischen 18 und 78 Jahren, die in österreichischen Einrichtungen lebten (Zemp et al., 1997, 39). 50% der befragten Männer gaben an, Formen von sexueller Belästigung oder sexueller Gewalt erfahren zu haben (Zemp et al., 1997, 58).

Im Vergleich zur Studie von Noack und Schmid ist anzumerken, dass bei Zemp und Pircher sowie bei Zemp et al. Menschen mit Behinderungen direkt befragt wurden und nicht das Personal der Einrichtungen Auskünfte gab. Somit deutet aufgrund der unterschiedlichen Prävalenzraten einiges darauf hin, dass das Personal von Wohneinrichtungen sexuellen Missbrauch häufig nicht wahrnimmt oder verschweigt, wie Noack und Schmid bereits vermuteten.

Klein, Wawrok und Fegert untersuchten 1999 im Rahmen eines Forschungsprojektes „die Situation 12-25-jähriger Berliner Mädchen und Frauen mit geistiger Behinderung, die sexualisierte Gewalt erfahren haben“ (Klein et al., 1999, 497). In diesem Zusammenhang wurden die Einrichtungsleiter von 367 Wohneinrichtungen der Berliner Behindertenhilfe befragt (Klein et al., 1999, 497-498). Letztlich konnten Auskünfte über 116 Mädchen und Frauen der Zielgruppe eingeholt werden. Die Einrichtungsleiter gaben an bzw. vermuteten, dass 27,6% der 12-25-jährigen Mädchen und Frauen mit geistiger Behinderung bereits sexuelle Missbrauchserfahrungen gemacht haben (Klein et al, 1999, 503). Ihre Vermutungen stützen sie auf verbale Aussagen und überwiegend allgemeine Verhaltensauffälligkeiten und -veränderungen (Klein et al., 1999, 504).

Auch bei der Untersuchung von Klein et al. handelt es sich nicht um eine repräsentative Erhebung. Die Rahmenbedingungen lassen sich mit denen, der Studie von Noack und Schmid vergleichen. Eventuell lassen sich dadurch die annähernd gleichen Prävalenzraten zumindest in Bezug auf Frauen und Mädchen mit geistiger Behinderung erklären. Aufgrund des ähnlichen Settings sind auch die gleichen Kritikpunkte am Studiendesign gegeben. So beruhen die Prävalenzraten auch bei Klein et al. lediglich auf der subjektiven Einschätzung und Wahrnehmung der Einrichtungsleiter und Einrichtungsleiterinnen. Klein (2004, 25) führt an, dass es den Leiterinnen und Leitern schwer fiel, konkrete Kriterien für sexuellen Missbrauch zu nennen. Trotzdem gaben alle die Unfreiwilligkeit der sexuellen Handlung sowie die Ausnutzung von Abhängigkeits- und Machtstrukturen als verbindliche Merkmale sexuellen Missbrauchs an.

Eine erste repräsentative Studie, die auch den sexuellen Missbrauch von Frauen mit Behinderungen thematisiert wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in den Jahren 2009-2011 von einem Forschungsteam um Schröttle et al. (2013) durchgeführt. Zu ihrer Lebenssituation und Belastungen wurden 1561 Frauen mit unterschiedlichen Behinderungen im Alter von 16 bis 65 Jahren befragt, die in privaten Haushalten oder Einrichtungen lebten. Frauen mit einer geistigen Behinderung, die in Einrichtungen lebten, wurden in vereinfachter Sprache interviewt (Schröttle et al., 2013, 10). Je nach Wohnort und Form der Behinderung, gaben 25-36% der befragten Frauen an, mindestens eine Erfahrung von sexuellem Missbrauch in ihrer Kindheit und Jugend durch Erwachsene oder andere Kinder und Jugendliche erlebt zu haben. Der Anteil bei Frauen mit geistiger Behinderung lag bei 25% (Schröttle et al., 2013, 162). Schröttle et al. (2013, 165) verweisen jedoch darauf, dass der Anteil von Frauen mit geistiger Behinderung, die keine Angaben zu sexuellem Missbrauch machten oder sich nicht erinnern konnten, mit 14% am höchsten von allen Befragten war. Daraus schließen sie auf ein großes Dunkelfeld.

Auf die Frage nach erzwungenen sexuellen Handlungen in ihrem Erwachsenenleben antworten zwischen 21% und 38% der befragten Frauen, dass sie mindestens eine derartige Situation erlebt haben (Schröttle et al., 2013, 198).

Der Anteil der Frauen, die sexuellen Missbrauch in Kindheit und Jugend und/oder im Erwachsenenleben erlebt haben, beträgt zwischen 34% und 56%.

Anders als bei den zuvor vorgestellten Studien liegt dieser Studie ein enges Verständnis von sexuellem Missbrauch zugrunde, welches „alle erzwungenen sexuellen Handlungen, (…), zu denen die Frau gegen ihren Willen durch körperlichen Zwang und/oder Drohungen oder dem Ausnützen eines Abhängigkeitsverhältnisses (…) gezwungen wurde“ (Schröttle et al., 2013, 195). Schröttle et al. liefern im Vergleich zu den anderen Studien eine sehr differenzierte Studie mit einer repräsentativen Stichprobe.

3.1.2 Studien aus dem nordamerikanischen Raum

Sullivan und Knutson lieferten im Rahmen ihrer im Jahre 2000 veröffentlichten Studie sehr differenzierte Ergebnisse zum Thema Misshandlung und Behinderung. Ausgewertet wurden die Daten von 40211 Kindern und Jugendlichen im Alter von 0-21 Jahren, die im Schuljahr 1994-1995 Schulen, Kindergärten und Frühfördereinrichtungen in Omaha, Nebraska, besuchten (Sullivan & Knutson, 2000, 1258-1259). Laut Sullivan und Knutson (2000, 1261) haben 31% der Kinder und Jugendlichen mit einer Behinderung Misshandlung, Missbrauch oder Vernachlässigung erfahren. Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung im Speziellen, haben ein vierfach erhöhtes Risiko sexuell missbraucht zu werden im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen ohne Behinderung (Sullivan & Knutson, 2000, 1266).

In einer weiteren Studie untersuchten Martin, Ray, Sotres-Alvarez, Kupper, Moracco, Dickens, Scandlin und Gizlice, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Behindertenstatus von Frauen und dem Risiko innerhalb eines Jahres physisch oder sexuell missbraucht zu werden gibt (Martin et al., 2006, 823). Während den Jahren 2000 und 2001 wurden hierzu 5326 Frauen im Alter von 18 und 99 Jahren, die nicht in Einrichtungen leben und aus North Carolina stammen, interviewt (Martin et al., 2006, 826). Demnach wurden 1,7% der Frauen mit einer geistigen Behinderung innerhalb eines Jahres Opfer von sexuellem Missbrauch (Martin et al., 2006, 829). Dies entspricht einem um den Faktor 5,2 erhöhten Risikos innerhalb eines Jahres sexuell missbraucht zu werden im Vergleich zu Frauen ohne geistige Behinderung (Martin et al., 2006, 832).

Studien zum sexuellen Missbrauch von Männern mit geistiger Behinderung sind rar. Diesen Missstand nahmen sich Mitra, Mouradian und Diamond zum Anlass und untersuchten die Lebenszeitprävalenz und das Risiko innerhalb eines Jahres sexuell missbraucht zu werden von Männern mit geistiger Behinderung im Vergleich zu Männern ohne Behinderung und Frauen mit und ohne Behinderung. Hierzu werteten sie Daten von 25756 Männern und Frauen mit und ohne Behinderung in Massachusetts aus (Mitra et al., 2011, 494). Die Auswertungen bestätigten die Vermutung, dass auch Männer mit geistiger Behinderung ein erhöhtes Risiko haben, Opfer von sexuellem Missbrauch zu werden. So berichteten 13,9% der Männer mit geistiger Behinderung von Formen von sexuellem Missbrauch. Im Vergleich dazu haben nur 3,7% der Männer ohne Behinderung Missbrauchserfahrungen machen müssen. Bei den Frauen mit Behinderung wurden 26,6% Opfer von sexuellem Missbrauch im Gegensatz zu Frauen ohne Behinderung, von denen 12,4% sexuell missbraucht wurden (Mitra et al., 2011, 496).

Zu den drei hier exemplarisch dargestellten Studien aus dem nordamerikanischen Sprachraum ist zu erwähnen, dass es sowohl in Nebraska, North Carolina und Massachusetts eine Meldepflicht für Kindeswohlgefährdungen gibt. Alle Studien greifen für die Erhebung ihrer Daten auf Datenbanken, die Auskünfte über Art der Gefährdung und Behinderung geben, zurück (Sullivan & Knutson, 2000, 1259; Martin et al, 2006, 826; Mitra et al., 2011, 494).

Trotz einer Meldepflicht und geführten Datenbanken wird es auch im nordamerikanischen ein Dunkelfeld geben. Wie Unnerstaller anführt, werden „selbst bei Meldepflichten nicht alle Misshandlungen, Vernachlässigungen und schon gar nicht jeder Missbrauch ans Tageslicht“ (2009, 14) kommen.

3.1.3 Bewertung der Studienergebnisse

Je nach genauem Studiendesign, variieren die Prävalenzraten zu sexuellem Missbrauch von Menschen mit (geistiger) Behinderung. In den Studien von Noack und Schmid, sowie Klein et al., in denen Leiter und Leiterinnen zu sexuellem Missbrauch in ihren Einrichtungen befragt wurden, gab es Prävalenzen zwischen 16,6% und 31,5% bei Erwachsenen mit geistiger Behinderung. Wie bereits erwähnt, lag beiden Studien jedoch keine repräsentative Stichprobe zugrunde. Außerdem liegt die Annahme einer großen Dunkelziffer in Einrichtungen aufgrund von Verschleierung oder Nichtwahrnehmung nahe.

Die Untersuchungen von Zemp und Pircher, Zemp et al. und Schröttle et al., in denen Menschen mit Behinderungen direkt interviewt wurden, liefern mit Angaben von 49,5-63,8% bzw. 34-56% höhere Prävalenzraten. Die vergleichsweise höheren Prävalenzen bei Zemp und Pircher und Zemp et al. lassen sich hierbei vermutlich auf das weitere Begriffsverständnis von sexuellem Missbrauch zurückführen. Alarmierend sind die hohen Prävalenzen von Schröttle et al., die sich trotz des engen Verständnisses von sexuellem Missbrauch ergeben.

Der größte Unterschied der deutschsprachigen Studien im Vergleich zu den nordamerikanischen Studien besteht darin, dass die Daten der nordamerikanischen Studien aus Datenbanken stammen, welche Kindeswohlgefährdungen erfassen. In weiten Teilen der USA sowie Kanada besteht eine Meldepflicht bei Kindeswohlgefährdungen. Im deutschen Sprachraum gibt es dagegen keine Meldepflicht und somit auch keine Datenbanken und Statistiken (Unnerstaller, 2009, 10; Noack & Schmid, 1996, 42). Auch in der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes über sexuellen Missbrauch werden Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung nicht separat aufgeführt (Becker, 2001, 40; Gerdtz, 2003, 30).

Zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung im Speziellen, liefern die vorgestellten Untersuchungen wenig eindeutige Daten. Aus den von Noack und Schmid erhobenen Daten geht hervor, dass sexueller Missbrauch von Menschen mit geistiger Behinderung schon im Kindesalter beginnt und das Risiko Opfer von Missbrauch zu werden im Laufe des Lebensalters sogar noch steigt. Zemp und Pircher sowie Zemp et al. befragten Menschen mit geistiger Behinderung ab einem Alter von 17 Jahren. Da auch diese teilweise Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind, liegt die Vermutung nahe, dass es auch hier schon Missbrauchsfälle im Kindes- und Jugendalter gab. Die Daten von Klein et al. beziehen sich auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Dies ist ziemlich genau die Population, um die es in dieser Arbeit geht. Schröttle et al. berichten davon, dass 25-36% der Frauen mit Behinderungen bereits im Kindes- und Jugendalter Missbrauchserfahrungen gemacht haben. Die von Sullivan und Knutson durchgeführte Studie bezieht sich auf Kinder und Jugendliche im Kindergarten- bzw. Schulalter. Martin et al. befragten Frauen mit Behinderungen, die nicht in Einrichtungen lebten. Das festgestellte 4,0 - 5,2-fach höhere Risiko von Kindern und Jugendlichen bzw. Frauen mit geistiger Behinderung sexuell missbraucht zu werden, ist höchst alarmierend.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass es über den sexuellen Missbrauch von Jungen und Männern mit Behinderung nahezu keine Daten gibt. Häufig behandeln Untersuchungen lediglich die Situation von Mädchen und Frauen mit Behinderungen als potentielle Missbrauchsopfer. Allein die Erhebungen von Zemp et al. und Mitra et al. bilden hier die rühmliche Ausnahme.

Für die weitere Arbeit ergibt sich daraus, dass die Prävention von sexuellem Missbrauch definitiv im Unterricht thematisiert werden muss, um Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung kurzfristig sowie längerfristig im Erwachsenenalter vor sexuellem Missbrauch zu schützen.

3.2 Täterinnen und Täter

Im Hinblick auf die Prävention von sexuellem Missbrauch müssen auch die potentiellen Täterinnen und Täter sowie mögliche Täterstrategien betrachtet werden. Wissen über Täterinnen und Täter sowie der Vorgehensweisen ermöglichen mehr Handlungsoptionen in der präventiven Arbeit. Abgesehen davon werden Täterinnen und Täter mit einer geistigen Behinderung als mögliche besondere Herausforderung gesondert thematisiert.

3.2.1 Wer sind die Täterinnen und Täter?

Noack und Schmid befragten die Einrichtungsleiter und Einrichtungsleiterinnen im Rahmen ihrer Erhebung auch zu möglichen Täterinnen und Tätern. Genannt wurden in folgender Rangfolge:

Angehörige, Bekannte, Eltern, Freunde, geistig behinderte Menschen, Fremde und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Noack & Schmid, 1996, 67). Zemp führt an, dass sich Täterinnen und Täter „im gesamten Umfeld, in dem Frauen aufwachsen, leben und arbeiten“ (Zemp, 2002, 619) befinden. Zu beachten ist, dass sexueller Missbrauch durch Frauen kaum erwähnt wird. 3% der Täterschaft war weiblich (Zemp, 2002, 620). In den meisten Fällen geschieht sexueller Missbrauch durch Männer. Dabei sind 39,4% der Täter dem Opfer bekannt, leben jedoch nicht in der gleichen Einrichtung und sind keine Familienangehörigen. 23,1% der Täter sind dem Opfer namentlich nicht bekannt bzw. gänzlich unbekannt. In 13,3% der Fälle ist ein Heimbewohner der Täter (Zemp & Pircher, 1996, 44).

Bei den männlichen Opfern von sexuellem Missbrauch ergibt sich ein anderes Bild. 44% der Missbrauchsfälle gehen von Täterinnen und Tätern mit einer Behinderung aus. Darunter fallen andere Heimbewohnerinnen und Heimbewohner sowie Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen (Zemp et al., 1997, 60). Bei den Männern liegt der Anteil von Missbrauchsfällen durch Unbekannte bei 23%. Der Anteil von bekannten Personen in der Täterschaft liegt bei 14%. Das Betreuungs- und Pflegepersonal ist in 13% der Fälle für den Missbrauch verantwortlich (Zemp et al., 1997, 61). Bei den männlichen Missbrauchsopfern ist der Anteil der Täterinnen mit 22% relativ hoch im Vergleich zur Anzahl der Täterinnen bei weiblichen Missbrauchsopfern (Zemp et al., 1997, 63).

Schröttle et al. (2013, 167) ermittelten, dass 44-46% der Täterinnen und Täter bei den von ihnen befragten Frauen bei Missbrauch in Kindheit und Jugend aus dem direkten familiären Umfeld der Frauen stammten. In 12- 31% der Missbrauchsfälle handelte es sich um unbekannte Täterinnen und Täter. Flüchtig bekannte Täterinnen und Täter waren für 10-22% der Missbrauchsfälle verantwortlich.

Bei sexuellem Missbrauch im Erwachsenenleben wurden 6-20% der Fälle vom Partner verübt. 4-10% der Täterinnen und Täter waren unbekannt. Der Anteil der Täterinnen und Täter, die kaum bekannt waren, lag bei 3- 10% (Schröttle et al., 2013, 205).

[...]


1 Im Folgenden wird der Terminus geistige Behinderung benutzt.

2 Im Folgenden wird der Terminus geistige Behinderung verwendet.

3 Vgl. Kapitel 4.1

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung
Untertitel
Eine Untersuchung von Präventionsmöglichkeiten im Unterricht
Hochschule
Universität zu Köln
Note
2,2
Autor
Jahr
2013
Seiten
79
Katalognummer
V272780
ISBN (eBook)
9783656644569
ISBN (Buch)
9783656644552
Dateigröße
1516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sexueller Missbrauch, geistige Behinderung, Prävention
Arbeit zitieren
Andreas Allofs (Autor:in), 2013, Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272780

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