Pathologien der Aufklärung. Das Ende von Erkenntnis, Moral und Subjektivität


Hausarbeit, 2009

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Einleitung

Die Dialektik der Aufklärung will „zum Verständnis (beitragen, d.A.) ..., daß die Ursache des Rückfalls von Aufklärung in Mythologie ... bei der in der Furcht vor der Wahrheit erstarrenden Aufklärung selbst zu suchen ist.“ (DA: 3f., Abkürzungen siehe Seite 15) Das dialektische an der Aufklärung ist, dass sie einerseits das Potenzial zur Befreiung des Menschen als selbstbestimmtes Individuum beinhaltet, andererseits aber „schon den Keim zu jenem Rückschritt (enthält, d.A.) ..., der heute überall sich ereignet“ (DA: 3), des Rückfalls in die Barbarei, der konkret wird in der faschistischen Realität. Dialektisches Denken versucht Aufklärung als eine, beide Elemente enthaltende, widersprüchliche Geistesbewegung zu denken, damit aber Aufklärung zu retten. „Nimmt Aufklärung dieses rückläufige Moment nicht in sich auf, so besiegelt sie ihr eigenes Schicksal.“ (Ibid.) Ihr rückläufiges Moment macht sich in drei Phänomenen bemerkbar, der Erkrankung von Erkenntnis, Moral und Subjektivität. Vernunft, einst das Vermögen, dem menschlichen Handeln Sinn und Zweck zu geben, ist nur noch Werkzeug von Herrschaft. Die faschistischen Herren gebrauchen sie um Wahrheit zu machen. Moral, die in der kantschen Philosophie die Autonomie des Individuums begründete, besteht nur noch in dem Zwang zum Konformismus an die durch Führerwillen und das Kollektiv legitimierten Verhaltensnormen. Subjektivität schließlich, welche die aufklärerische Befreiung von Heteronomie möglich machen sollte, geht als das Besondere völlig im Allgemeinen der beherrschten Gesellschaft unter. In der totalen Gesellschaft reicht Herrschaft bis in die Seelen der Beherrschten, sodass es zum Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft nicht mehr kommt, an dem das Individuum sich erst konstituierte. Diese Arbeit ist ein Versuch, die Erkrankung von Erkenntnis, Moral und Subjektivität zur Darstellung zu bringen. Ihre Aufgabe wird es sein, sie nicht als voneinander unabhängige Phänomene, sondern zusammen zu denken, als Momente der „Selbstzerstörung der Aufklärung“ (DA: 1).

2. Erkenntnis

Wahrheit war immer schon Projektion. Früh hatten die Philosophen festgestellt, dass die Dinge nicht so in der Welt sind, wie wir sie wahrnehmen. Vielmehr habe der Mensch selbst einen großen Anteil am Inhalt dessen, was er perzepiert. Für Kant schließlich hatte die Welt der Erkenntnis nicht mehr zu bieten, als physische Beschaffenheit, die Gegenstand menschlicher Sinneswahrnehmung ist. Erkenntnis besteht für ihn aus beidem, sinnlicher Erfahrung und der „Spontaneität des Erkenntnisse (i.e., d.A.) der Verstand“ (KRV: 104). Letzterer funktioniert nach Regeln der Logik, welche apriori erkannt werden können. Damit ist die intersubjektive Einheitlichkeit der Erfahrung gewährleistet. Wenn auch zufällig ist, was wir wahrnehmen, die Art wie wir es wahrnehmen ist es nicht. So entsteht Wahrheit. Den menschlichen Anteil an der Wahrnehmung stellt Kant unter die Gesetze des reinen Verstandes.

Nicht erst im Faschismus löst sich Erkenntnis und damit Wahrheit überhaupt von den Sinneswahrnehmungen. In der Philosophie wie in der Wissenschaft und Gesellschaft nach Kant hat das Denken den ganzen „Anspruch der Erkenntnis … preisgegeben.“ (DA: 33) Für Kant ist Erkenntnis ohne Anschauung, sind „Gedanken ohne Inhalt … leer ... Nur daraus, dass sie sich vereinigen, kann Erkenntniß entspringen.“ (KRV: 104) Eben solche leeren Gedanken, „Tautologien“ produziert das „Protokollieren und Systematisieren“ der modernen Wissenschaft wie der Philosophie, das nichts sich gegenüber hat „als das abstrakte Material, das keine Eigenschaft besitzt als solchem Besitz Substrat zu sein.“ (DA: 33). Was für Kant die notwendige Vereinigung von Sinneswahrnehmung und Verstand ist, nämlich die Bedingung von Erkenntnis, ist für Adorno „Vermittlung von Wesen und Erscheinung, von Begriff und Sache“ (ND: 172). „Zwischen dem wahrhaften Gegenstand und dem unbezweifelbaren Sinnesdatum, zwischen innen und außen, klafft ein Abgrund, den das Subjekt, auf eigene Gefahr, überbrücken muss.“ (DA: 198) Den Abgrund hat auch Kant erkannt. Er hat ihn überbrücken wollen, indem er die Einheit systematischen Denkens, des Verstandes postulierte. Zwar besteht Erkenntnis in der Vereinigung von Erscheinung und Begriff. Diese unterliegt aber den Gesetzen des Verstandes. Damit ist Erkenntnis und Naturbeherrschung in eins gesetzt. „Die Naturbeherrschung zieht den Kreis, in den Kritik der reinen Vernunft das Denken bannte.“ (DA: 32). „Die glückliche Ehe zwischen dem menschlichen Verstand und der Natur der Dinge … ist patriarchal: der Verstand … soll über die entzauberte Natur gebieten.“ (DA: 10) Die notwendig objektive Erkenntnis über die Welt wird vom als objektiv gedachten Verstand betrieben, während die Sinnesdata nur sein Material sind, Objekt seiner Herrschaft. Das „Moment von Subjektivität im Objekt“ (ND: 172) wird nicht mehr erkenntlich, wo Erkenntnis vollends objektiviert ist. Damit gerät aber Objektivität und Erkenntnis überhaupt in Gefahr. (Vgl. ND 173) Die Vermittlung wird unvermittelt, wo sie schematisiert wird. Das Gegenteil von Wahrnehmung ist Stereotypie. Sie erspart dem Individuum die Last, den Abgrund zu überspringen. Sie errichtet eine Brücke über die alle gehen sollen. Die starre Brücke ersetzt den dynamischen Prozess des Überbrückens, das System das Denken.

Zu Beginn der faschistischen Periode war die Stereotypie den Menschen schon so eingeschliffen, dass sie sich der Vermitteltheit ihres Denkens schon gar nicht mehr bewusst waren. Alles Wahrnehmen ist Projektion. Solange die Projektion aber noch individueller Anstrengung bedurfte, war die Reflexion auf den subjektiven Anteil am Objekt noch wahrscheinlich. Als später die Projektion, auf arbeitsteilige Wissenschaften aufgeteilt, objektiviert war, verschwand auch die Reflexion. Wahrnehmung erscheint dem Wahrnehmenden unvermittelt, wo er selbst sich im Wahrgenommenen nicht wiederfindet. Sie „unterliegt der verblendenden Macht falscher Unmittelbarkeit.“ (DA: 203) Als Verblendete sieht die Wahrnehmende weder den eigenen, noch den fremden Anteil am Gegenstand ihrer Wahrnehmung. Was ihr als wahr gilt ist wirklich Produkt von Herrschaft und falscher Projektion.

„Das pathische am Antisemitismus ist nicht das projektive Verhalten als solches, sondern der Ausfall der Reflexion darin.“ (DA: 199) Das pathische, erkrankte besteht darin, dass der Wahrnehmende sich nicht mehr bewusst ist, dass „zur Wahrheit Einbildungskraft gehört“ (DA: 203). Damit öffnet er der Einbildung aber Tür und Tor, das Ganze der Wahrheit zu bilden. Es kann ihm „stets vorkommen, als ob die Wahrheit phantastisch und seine Illusion die Wahrheit sei.“ (Ibid.) Erkenntnis bestünde gerade in der Reflexion auf die Begrenztheit der Wahrnehmung der Welt, mit dem ihr notwendig immanenten Element der Einbildung dessen, was sich der Wahrnehmung nicht von selber erschließt. Dieser Gedanke ist wieder nah bei Kant, der in seiner Kritik der reinen Vernunft die Grenzen des verstandesmäßig Erkennbaren aufzuzeigen trachtete, um damit die Erkenntnis selbst zu retten. Nur wenn der Verständige auf die Möglichkeiten des Verstandes reflektiert, kann er diesen Bereich des Möglichen ausschöpfen, i.e. erkennen.

So konnte, als Erkenntnis schon längst abgestorben war, Rasse zur Wahrheit gemacht werden. Wo Erkenntnis, dem Subjekt entzogen, gesellschaftlich objektiviert ist, ist sie den herrschenden Zwecken vollends preisgegeben. Was sich der Einzelnen gegenüber als Objektivität gebärdet ist tatsächlich „zur Wirklichkeit versteinerter Schein“. (DA: 214) Der Schematismus, den die aufgeklärte Epistemologie vom Individuum forderte, die Verstandestätigkeit, dient dem Schematismus der Kulturindustrie als Einfallstor. Er nimmt dem Individuum die Last, Sinnesdaten und Verstandesbegriffe aufeinander zu beziehen. „Für den Konsumenten gibt es nichts mehr zu klassifizieren, was nicht selbst im Schematismus der Produktion vorweggenommen wäre.“ (DA: 153) Es ist die Idee, Erkenntnis müsse einheitlich sein, i.e. aus einem Verfahren hervorgehen, welches dem Subjekt apriorisch ist, die das herrschende Subjekt gegenüber den Beherrschten als Hebel benutzt, um sich selbst auf den Standpunkt der Objektivität zu stellen. So gelingt es ihm, das eigene partikulare Interesse als reine Objektivität zu inthronisieren. Wahrheit kann dann gemacht werden, wenn der Geist von Herrschaft unterworfen wurde.

3. Moral

Moral ist die Utopie „einer Menschheit, die, selbst nicht mehr entstellt, der Entstellung nicht länger bedarf.“ (DA: 127) Sie ist utopisch, weil sie möglich wäre erst dann, wenn Vernunft und Herrschaft nicht länger identisch wären. Herrschaft ist die Realität. Sie besteht in der sich als objektiv gebärdenden Subjektivität. Das absolute und einzige Subjekt ist die Industriegesellschaft. Ihr Interesse ist Selbsterhalt. Rationalität ist ihr modus vivendi. Rational verfährt sie mit Arbeitern, Waren und Konsumenten. Den Beherrschten selbst wird Rationalität als Moral eingeprägt. Rational nimmt die Arbeiterin ihre Karrierechancen wahr, rational vergleicht sie die Preise der Discountsupermärkte, rational überlegt sie, wann sich eine „Babypause“ einschieben lasse, etc.

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Details

Titel
Pathologien der Aufklärung. Das Ende von Erkenntnis, Moral und Subjektivität
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Adorno & Horkheimer: Die Dialektik der Aufklärung
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
15
Katalognummer
V272868
ISBN (eBook)
9783656646464
ISBN (Buch)
9783656646457
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adorno Aufklärung Dialektik
Arbeit zitieren
Felix Mayer (Autor:in), 2009, Pathologien der Aufklärung. Das Ende von Erkenntnis, Moral und Subjektivität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/272868

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