Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Vorkriegszeit (1870 - 1919)
3 Erster Weltkrieg (1914 - 1918)
4 Weimarer Republik (1918 - 1933)
5 Ausblick und Fazit
6 Literaturverzeichnis
6.1 Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Die deutsche Landwirtschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt durch viele Veränderungen, die nach und nach zum Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion führten. Angefangen mit dem großen Strukturwandel von Agrarstaat zum Industriestaat und dem damit verbundenen Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft.1 Außerdem den, seit den 1865er / 1875er Jahren einsetzenden, vermehrt en Importen von Agrarprodukten - geschuldet dem allgemeinen Anstieg des Im- und Exportwesens, welche, letztens Endes, auch zu einem Sinken der inländischen Agrarproduktion führte.2 Des Weiteren wurde sie geprägt von zwei Weltkriegen, welche die landwirtschaftliche Arbeit behinderten und vor allem bei der Deckung der Nachfrage von Arbeitskräften zu menschenunwürdigen Behandlungen derselben führte.3
Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in die deutsche Landwirtschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geben. Hauptschwerpunkt der Hausarbeit werden die Veränderungen der Betriebsgrößen und Besitzverhältnisse sowie die Arbeitssituation, insbesondere in der Vorkriegszeit bis hin zur Weimarer Republik, sein. Dieser Zeitabschnitt bietet aus meiner Sicht die beste Möglichkeit die Entwicklung der Landwirtschaft, der Betriebe und der Arbeitskräfte zu veranschaulichen.
In meiner Hausarbeit werde ich auf den Wandel von überwiegend großen landwirtschaftlichen Gütern hin zu vielen kleinen Betrieben eingehen. Außerdem werde ich den zunehmenden Arbeitskräftemangel, insbesondere zu Kriegszeiten, in der deutschen Landwirtschaft aufzeigen. Die beiden Schwerpunktthemen habe ich gewählt, weil diese, meiner Ansicht nach, maßgeblich die Veränderungen der deutschen Landwirtschaft zu diesem Zeitpunkt der Geschichtsschreibung markieren, und explizit bezugnehmend auf die Kriegszeiten, einen besonderen Einschnitt im Verlauf der Entwicklung darstellen.
2 Vorkriegszeit (1870 - 1919)
In ganz Deutschland fand im 19. Jahrhundert der Wandel vom Agrarstaat zum Industriestaat statt. Maßgebend für diesen Strukturwandel war eine steigende Erwerbstätigenanzahl im sekundären Sektor (Bergbau, Hüttenwesen, Gewerbe, Industrie und Bauwesen) und der damit einhergehenden Abnahme der Erwerbstätigen im primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft, Gärtnerei, Jagd, Fischerei und Weinbau).4
In den Jahren von 1833 bis 1871 vollzog sich beispielsweise die gesamtwirtschaftliche Industrialisierung im Königreich Sachsen. So arbeiteten 1871 ca. 49,5% aller Erwerbstätigen im sekundären Sektor und nur noch rund 19,4% waren in der Landwirtschaft, also im primären Sektor, tätig. Dies war eine Folge vieler „Gewerbeförderungen in Form von Darlehen, Zuschüssen oder der Finanzierung von Ausbildungsstellen“.5
Ganz klassisch betrachtet, hatte die preußische Agrarpolitik bzw. später die des deutschen Kaiserreiches verschiedene Hauptbetätigungsfelder. Während man sich im 18. Jahrhundert hauptsächlich um die Förderung von Pflanzenbau und Tierzucht sowie die ländliche Siedlung bemühte, legte man im 19. Jahrhundert das Hauptaugenmerk auf die innere Kolonisation.6 Bei dieser sogenannten Siedlungspolitik ging es um die Ansiedelung „neuer“ Landbevölkerung mit deren Unterstützung man die allgemeine Landflucht und die damit Verbundene weitere Abnahme der Anzahl der Erwerbstätigen im primären Sektor unterbinden wollte.7 Ab den 80er Jahren wollte man mit der Aufsiedelung großer Güter („Innere Kolonisation“) zur Stützung der bäuerlichen Besitzungen eine Verstärkung der des staatlichen Machtgefüges herbeiführen. Denn damit, so glaubte man, könne ein beständiger und gefestigter Mittelstand geschaffen werden. Eine wichtige Rolle in der Siedlungspolitik spielte auch der Wandel von der Realteilung hin zur ungeteilten Erbfolge (Anerbenrecht) bei mittel- und großbäuerlichen Besitzungen. Allerdings hatte letzteres keine großen Auswirkungen in den meisten deutschen Gebieten, da man sich überwiegend auf die Testierfreiheit berief. Es kam also einzig und allein auf den Erblasser selbst an, an wen die Güter fielen, denn nur er konnte entscheiden, ob sein Besitz gemäß der ungeteilten Erbfolge an die Erben weitergegeben werden sollte, oder ob es gemäß der Realteilung zersplittert und unter den Erben verteilt werden sollte. In der Verteilung und den Betriebsgrößenstrukturen der deutschen Landwirtschaft, fand jedoch in den Jahren von 1870 bis 1914 keine größere Veränderung statt. Dies verdeutlicht die folgende Abbildung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die Betriebsgr öß enstrukturen der deutschen Landwirtschaft 1882, 1895 und 1907 nach der Zahl der Betriebe
Anhand der Tabelle lässt sich schlussfolgern, dass die meisten Betriebe über weniger als 2 ha Nutzfläche verfügten. Dies waren sogenannte Kleinst- oder auch Parzellenbetriebe. Der Anteil dieser Betriebsgruppe, gemessen an den gesamten Betriebsgrößengruppen, war von zwei Faktoren abhängig. Einerseits von dem Vorhandensein von Arbeitsstellen außerhalb der Landwirtschaft und andererseits von der Bodenzersplitterung, welche Folge der Realerbteilung war und der Hauptgrund für die flächenmäßig kleinen Landwirtschaftsbetriebe.8
Während die Kleinst- bzw. Parzellenbetriebe eher im Westen Deutschlands vorherrschten, waren im Osten die großen Betriebsgruppen angesiedelt. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges waren aber auch die Fideikommisse, oder auch „Majoratsbetriebe“, weit verbreitet. Fideikommisse leitet sich vom Lateinischen „fidei commissum“ ab und bedeutet so viel wie „zu treuen Händen belassen“. Eine solche Form von Betrieben hatte zur Aufgabe den land- und auch forstwirtschaftlichen Besitz zu erhalten und nach ungeteilter Erbfolge an die bestimmten Erben weiterzugeben. Die Fideikommisse sind jedoch kein Phänomen des 19. oder 20. Jahrhunderts. Ihre Entstehungsgeschichte geht zurück auf das 16. Jahrhundert, als diese Form des Besitzes eine Entschädigung für Personen darstellte, welche dem Land Preußen bzw. dem jeweiligen Landesherren einen Dienst erwiesen hatten. Dieses Sonderrecht wurde allerdings mit der 1919 in Kraft tretenden Weimarer Verfassung aufgehoben. Bis zu diesem Zeitpunkt lag der Anteil der Fideikommisse an der Landwirtschaft Preußens bei ca. 7,6 %. Der größte Flächenanteil entfiel dabei auf die Forste. In Ostpreußen verzeichnete man bis 1919 ca. 80 Fideikommisse, welche, im Schnitt, eine Größe von 1.000 - 5.000 ha umfassten.9 Doch hatten die Fideikommisse nicht nur Befürworter. Schon Max Weber bezeichnete die Majoratsbetriebe als „extremste Form der Monopolisierung“, welche in dem meisten Fällen „ein Zentrum der Bodenakkumulation“ darstellten. Der 1903 in Kraft tretende Gesetzesentwurf über Familienfideikommisse sah eigentlich eine Schwächung der Bourgeoisie gegenüber den Großgrundbesitzern vor. Bewirkt hat er jedoch teilweise das Gegenteil. Das Gesetz bot nämlich einigen preußischen Bourgeoisien die Möglichkeit aufzusteigen zu einem „Fideikommiss besitzenden Junkertum“.10
Eines aber hatten alle Betriebe, ob kleiner als 2 ha oder größer als 100 ha, gemein. Sie mussten mit Hilfe von Arbeitskräften bewirtschaftet werden. In der Zeit um 1900 war es jedoch sehr schwer landwirtschaftliche Arbeiter zu finden, denn die Erwerbstätigenanzahl im primären Sektor nahm, infolge der Industrialisierung, durch die Abwanderung vom Land in die Städte, stetig ab. Doch die Ausbreitung des Hackfrüchteanbaus, insbesondere der Zuckerrüben, brachte einen erhöhten Arbeitskräftebedarf mit sich.11 Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse sollten allerdings nicht ausschließlich die Selbstversorgung des jeweiligen Betriebes decken, sondern auch auf dem inländischen Markt angeboten werden. Außerdem herrschte ein Mangel an technischen Hilfsmitteln. Doch nicht alle Betriebsgrößenklassen hatten die finanziellen Mittel, um landwirtschaftliche Arbeiter zu beschäftigen. So konnten die Kleinstbetriebe, welche weniger als 10 ha bewirtschafteten, nur auf familiäre Unterstützung bauen. In den mittelbäuerlichen Betrieben, mit einer Größe bis zu 20 ha, arbeiteten sogenannte „Hofgänger“ und „Freiarbeiter“. Sie wurden jedoch nicht das ganze Jahr über gebraucht, sondern nur zur Aussaat und Ernte zur temporären Entlastung der Familienarbeiter. Die großen landwirtschaftlichen Betriebe konnten Landarbeiter, welche auch als „Jahreslöhner“ oder „Heuerlinge“ bezeichnet wurden, meist ganzjährig beschäftigen. Oft wurden in diesen Betriebsgrößen auch Knechte und Mägde zur Arbeit herangezogen, welche sich, als Entschädigung, mit freier Unterkunft und Verpflegung zufrieden gaben, was im Vergleich zu den Landarbeitern ausgesprochen preiswert war.12 Vergleicht man allerdings die Landarbeiterlöhne mit denen der Industriearbeiter, so wird schnell klar, warum trotz der hohen landwirtschaftlichen Arbeitskräftenachfrage, die Abwanderung der Bevölkerung in die Städte nicht aufzuhalten war. Im Durchschnitt lag der Lohn eines Landarbeiters rund 15 % unter dem eines Industriearbeiters.13 Die unzähligen, dringend benötigten, Arbeitskräfte wurden schließlich, bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, aus einem Heer von, nach Deutschland strömenden, ausländischen Wanderarbeitern rekrutiert. Was zur Folge hatte, dass die Zahl, der ausländischen Beschäftigten in der Landwirtschaft, von Jahr zu Jahr weiter anstieg und 1914 mit über 400.000 Personen pro Jahr ihren Höhepunkt erreichte.14 Damit waren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges größtenteils nur ausländische Arbeiter in der deutschen Landwirtschaft beschäftigt. Sie kamen häufig aus Polen und Russland, aber auch aus Mähren, Galizien und Italien. Im Gegensatz zu den deutschen Wanderarbeitern, waren die ausländischen Arbeitskräfte nicht nur weitaus billiger, da sie sich, was Unterkunft und Versorgung betraf, leichter diskriminieren ließen, sondern standen zudem in großer Zahl zur Verfügung. Aufgrund der daraus entstehenden Vorteile für den Gutsbesitzer wurden ausländische Wanderarbeiter auch bevorzugt eingestellt.15
Da die Notlage dieser ausländischen Wanderarbeiter, resultierend aus der Tatsache, dass die gezahlten Löhne in ihren jeweiligen Herkunftsländern noch weit unter denen in Deutschland lagen, jedoch ein Aufbegehren gegen die, teilweise menschenverachtenden, Zustände nicht zuließ, konnte diese Art der Ausbeutung ungehindert fortgesetzt werden und der Strom der Wanderarbeiter riss in keinem Frühjahr ab.16
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1 Harnisch, Hartmut, Agrarstaat oder Industriestaat. Die Debatte um die Bedeutung der Landwirtschaft in Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Reif, Heinz (Hg.), Ostelbische Agrargesellschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Agrarkrise - junkerliche Interessenpolitik - Modernisierungsstrategien, Berlin 1994, S. 33-50, hier: S. 33.
2 Eckart, Karl, Agrargeographie Deutschlands. Agrarraum und Agrarwirtschaft Deutschlands im 20. Jahrhundert, 1. Auflage, Gotha 1998, S. 62.
3 Lehmann, Joachim, Die deutsche Landwirtschaft im Kriege. In: Eichholtz, Dietrich (Hrsg.), Geschichte der Deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945. Band II: 1941-1943, in: Kuczynski, J.; Mottek, H. und Nussbaum, H. (Hrsg.), Geschichte der Deutschen Kriegswirtschaft 1939- 1945, Berlin 1985 (= Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1), S. 570-700, hier S. 610.
4 Kiesewetter, Hubert, Industrialisierung und Landwirtschaft. Sachsens Stellung im regionalen Industrialisierungsprozess Deutschlands im 19. Jahrhundert. Köln 1988 (= Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 94), S. 247.
5 Kiesewetter, Kiesewetter, Ebd., S. 650.
6 Harnisch, Hartmut, Agrarstaat oder Industriestaat. Die Debatte um die Bedeutung der Landwirtschaft in Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Reif, Heinz (Hg.), Ostelbische Agrargesellschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Agrarkrise - junkerliche Interessenpolitik - Modernisierungsstrategien, Berlin 1994, S. 33-50, hier: S. 33.
7 Kluge, Ulrich, Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Gall, Lothar, München 2005 (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 73), S. 10.
8 Henning, Friedrich-Wilhelm, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland. 2. Auflage, Paderborn 1988 (= UTB 774, Bd. 2), S. 145-149.
9 Eckart, Karl, Agrargeographie Deutschlands. Agrarraum und Agrarwirtschaft Deutschlands im 20. Jahrhundert, 1. Auflage, Gotha 1998, S. 54-55.
10 Kato, Fusao, Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Fideikommißfrage in Preußen 1871 - 1918, in: Reif, Heinz (Hg.), Ostelbische Agrargesellschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Agrarkrise - junkerliche Interessenpolitik - Modernisierungsstrategien, Berlin 1994, S. 73-93, hier S. 74-75.
11 Eckart, Karl, Ebd., S. 56.
12 Kluge, Ulrich, Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Gall, Lothar, München 2005 (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 73), S. 8.
13 Henning, Friedrich-Wilhelm, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland. 2. Auflage, Paderborn 1988 (= UTB 774, Bd. 2), S. 151.
14 Kluge, Ulrich, Ebd., S. 8.
15 Eckart, Karl, Agrargeographie Deutschlands. Agrarraum und Agrarwirtschaft Deutschlands im 20. Jahrhundert, 1. Auflage, Gotha 1998, S. 56-57.
16 Spoerer, Mark, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart München 2001, S. 22.