Wer ist erziehungsfähig?


Seminararbeit, 2003

19 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. WER IST ERZIEHUNGSFÄHIG?
2.1. WAS IST ERZIEHUNG?
2.2. BETRACHTUNG DER ERZIEHUNGSFÄHIGKEIT AUS RECHTLICHER SICHT
2.2.1. Gesetzliche Grundlagen
2.2.2. Die Rolle des Jugendamtes
2.3. WER IST EIN GUTER ERZIEHER?

3. ANWENDUNG DES BEGRIFFS „ERZIEHUNGSFÄHIGKEIT“ AUF ZWEI BEISPIELE
3.1. ZUR FRAGE DER ERZIEHUNGSFÄHIGKEIT IN „LADYBIRD, LADYBIRD“
3.1.1. Über das Recht der Hauptfigur als Mutter und das Wohl ihrer Kinder
3.1.2. Die Rolle des Jugendamtes im Film
3.2. BETRACHTUNG DES PROBLEMS IM ARTIKEL „DIE AFFÄRE KUTZNER“

4. SCHLUSSBETRACHTUNG

I. LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Während einer Diskussion im Plenum des Seminars über die Rolle des Jugendamtes im Film „Ladybird, ladybird“ (Ken Loach, GB 1993) wurde geäußert, dass das Jugendamt im Recht sei, da die Hauptfigur, Maggie, nicht „erziehungsfähig“ sei. Doch was ist „Erziehungsfähigkeit“ überhaupt? Zunächst müssen dabei Definitionen aber auch Auffassungen von guter und rich- tiger Erziehung geklärt werden. Hierzu ziehe ich den Artikel „Erziehung“ von Hubertus Ku- nert (1997) zu rate und werde meine eigene Vorstellung von guter Erziehung erläutern. In meiner Ausarbeitung werde ich den Begriff der „Erziehungsfähigkeit“ dann anhand von Ge- setzestexten und Aussagen eines Referents für Kindschafts- und Familienrecht in Hamburg analysieren. Hierbei geht es mir besonders um die Problematik der Entscheidungen des Ju- gendamtes über die Zukunft von Familien und das schlechte Image desselben. Um Aussagen darüber machen zu können, wer erziehungsfähig ist, muss auch geklärt werden, was das Ziel der Erziehung sein sollte, bzw. wie man als Erzieher handeln sollte, um den Ansprüchen „gu- ter“ Erziehung gerecht zu werden. Anschließend setze ich mich mit dem Film „Ladybird, la- dybird“ auseinander und gehe insbesondere auf die Situation der Hauptfigur sowie die Rolle des Jugendamtes ein. Ein weiteres Beispiel für die Entscheidung darüber, wer „erziehungsfä- hig“ ist, gibt der Artikel „Die Affäre Kutzner“ (Augstein 2002). Auch dieses Beispiel möchte ich für die Darstellung meiner Ansicht zur Hilfe nehmen.

2. Wer ist erziehungsfähig?

Um die Frage zu klären, welcher Mensch fähig ist einen anderen Menschen zu erziehen, muss man zunächst klären, was man unter Erziehung versteht. Hier gibt es selbstverständlich unterschiedliche Definitionen, Übergänge zu Begriffen wie Bildung, Sozialisation und Lernen sind oft fließend. Ich habe mich in meiner Ausführung an dem Text von Hubertus Kunert orientiert und zudem meine eigene Auffassung von Erziehung mit einfließen lassen.

2.1 Was ist Erziehung?

„Als Erziehung werden Handlungen bezeichnet, durch die Menschen versuchen, die Persön- lichkeit anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht zu fördern“ (Brezinka 1974). Diese knappe Definition des Begriffs „Erziehung“ von Wolfgang Brezinka entspricht der Vorstellung eini- ger Seminarteilnehmer, Erziehung sei als positive Handlung zu beurteilen. Erziehung ist auf einen Menschen ausgerichtet, mit dem Ziel, gesellschaftlichen Anforderungen zu genügen. Im Gegensatz zum Begriff der „Sozialisation“ versteht man unter Erziehung nicht die „Sozial- werdung“ sondern die „Sozialmachung“. Die zu erziehende Person ist jedoch sehr wohl an diesem Prozess beteiligt, es handelt sich um eine interaktive Beziehung. Diese Person, der Zögling, denkt selbst über den Sinn und das Ziel der Erziehung nach und verhindert so, dass Erziehung eine rein Zielgerichtete, Zweckbestimmte Handlung ist. Der Erziehungsprozess ist als Konfliktprozess zu verstehen, in dem Erzieher und Zögling lernen sich zu arrangieren und sich aufeinander einzustellen (vgl. Kunert 1997, 58).

Nun stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, ein Kind nicht zu erziehen. Denn jegli- che Art der Kommunikation und Interaktion zwischen Zögling und Erzieher ist als Erziehung zu verstehen, wenn auch nicht unbedingt als bewusste Erziehung. Ursachen für eine „schlech- te“ Erziehung muss man also in der Art und Weise der Erziehung und somit in der Beziehung zwischen Zögling und Erzieher sowie deren Umfeld suchen. Wenn man hört, ein Kind sei „schlecht erzogen“, dann ist der Grund hierfür ein nicht den Wünschen der Gesellschaft ent- sprechendes Verhalten. Dabei spielen Normen und Werte eine Rolle, die mitunter nicht ge- setzlich festgehalten sind, sondern Ansichten von Benimm und Höflichkeit der Gesellschaft widerspiegeln. Das größte Problem hierbei ist, dass es zwar in schriftlicher Form festgehaltene Regeln gibt (wie zum Beispiel den „Knigge“), diese jedoch je nach Region und Trend vonein- ander abweichen. Beinahe jeder Mensch hat ein anderes Bild von guter Erziehung und gut erzogenen Kindern. Wie bereits erwähnt, hat das Umfeld des Kindes einen großen Einfluss auf die Erziehung desselben. Die Aufgabe der Erzieher besteht also nicht nur darin, mit dem Kind zu sprechen und ihm gesellschaftliche Regeln einzuflößen. Die Erzieher sollten dafür sorgen, dass der unselbstständige Zögling in einem positiven Umfeld aufwächst, in dem seine Entwicklung weder eingeschränkt noch gefährdet ist. Das heißt, die Erzieher haben die volle Verantwortung für ein Kind, dessen Bedürfnisse zu befriedigen sind. Zu der notwendigsten Bedingung für die Erziehung eines Kindes zählt die Einhaltung der im Grundgesetz festgeleg- ten Pflichten der Erziehenden.

2.2 Betrachtung der Erziehungsfähigkeit aus rechtlicher Sicht

Die Erziehung eines Kindes ist eine bedeutsame Aufgabe, die aus diesem Grund auch im Grundgesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch Beachtung findet. Hier wird festgelegt, wel- che Rechte und Pflichten Eltern (in der Rolle des Erziehers) haben und welche Grundsätze bei der Erziehung beachten werden müssen. Aber auch die Rechte des Kindes als Mensch und die Gesetze zum Schutze des Kindeswohls geben Hinweise auf die gute Erziehung aus verfas- sungsrechtlicher Sicht.

2.2.1 Gesetzliche Grundlagen

Die gesetzlichen Grundlagen regeln die Möglichkeiten und Grenzen der Erziehung eines Kin- des. Eine Schwierigkeit besteht darin, die Rechte des Kindes und die der Eltern als Erzie- hungsberechtigte in Einklang zu bringen. Zunächst sei das Grundgesetz zu beachten, welches in Artikel 1 und 2 die Rechte des Kindes als Mensch schützt. Ein Kind hat dieselben Men- schenrechte wie ein Erwachsener, seine Menschenwürde steht an oberster Stelle. Der in Arti- kel 1 genannte Schutz dieser Rechte soll in diesem Fall durch das Jugendamt gewährleistet werden. Ein Kind hat nach Artikel 2 Grundgesetz (GG) zudem ein Recht auf die freie Entfal- tung seiner Persönlichkeit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit, sowie auf seine Frei- heit.

Auf der anderen Seite stehen die Rechte der Familie bzw. der Erziehungsberechtigten. Der Begriff der Familie, wie er im Artikel 6 GG benutzt wird, muss für die Anwendung auf die heutige gesellschaftlich Situation mit zunehmend mehr „Patchwork“- Familien, allein erzie- henden Eltern oder eheähnlichen Lebensgemeinschaften, näher betrachtet werden. Das Filia- tionsprinzip und das Sorgerechtsprinzip sind die rechtlichen Definitionsgrundlagen des Fami- lienbegriffs. Das heißt, dass eine Familie im rechtlichen Sinne besteht, sobald eine biologische Elternschaft vorliegt oder diese durch Adoption entstanden ist (Filiationsprinzip) und die Fra- ge des Sorgerechts geklärt wurde (Sorgerechtsprinzip) (vgl. Braaksma 1995, 9). Im Artikel 6 GG wird den Eltern ein natürliches Recht, aber auch die Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder zugesprochen (Absatz 2). Die Eltern sind also verantwortlich für das körperliche Wohl (Pflege) und die seelisch - geistige Entwicklung (Erziehung) des Kindes. Hierzu gehört mögli- cherweise die Verpflichtung, für die Ernährung, den Wohnraum, die Kleidung, die Gesundheit und die schulische sowie berufliche Ausbildung ihres Kindes zu sorgen, soweit es ihnen mög- lich ist.

Im BGB 4. Buch/5. Titel wird die elterliche Sorge detaillierter erklärt und Rechte und Pflich- ten der Eltern festgelegt. Laut § 1626 BGB umfasst die elterliche Sorge die Personensorge („[…]die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und sei- nen Aufenthalt zu bestimmen.“ BGB, §1631) und die Vermögenssorge. Sie sind verpflichtet, das minderjährige Kind in seiner Entwicklung zu einem verantwortungsbewussten und selbst- ständigen Handeln zu unterstützen und es gemäß seines Entwicklungsstandes in die Fragen der Erziehung mit einzubeziehen. In § 1631 BGB wird dem Kind ein Recht auf eine gewalt- freie Erziehung zugesprochen. Demnach sind „körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig“. Sollten die Eltern dagegen verstoßen, so besteht eine Gefährdung des Kindeswohls. Nach §1666 BGB besteht diese Gefährdung auch dann, wenn das Kind vernachlässigt wird oder die Eltern unverschuldet versagen. In diesen Fällen ist das Eingreifen des Staates in die Familie zulässig. Zum Entzug des Sorgerechts darf es allerdings nur kommen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, eine Gefährdung des Kindeswohls zu verhindern.

Die Familie ist durch Artikel 6 GG Absatz 1 vor Eingriffen des Staates in deren Privatsphäre geschützt. Die staatliche Gemeinschaft darf gegen den Willen der Erziehungsberechtigten nur eingreifen, „[...]wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.“ (Artikel 6 GG Absatz 3). Das „Versagen“ der Erzie- hungsberechtigten muss jedoch zunächst durch den Staat bzw. das Jugendamt als Wächter erkannt werden. Um einem Verstoß der Erziehenden gegen das Gesetz vorzubeugen, müsste das Jugendamt also genauestens überprüfen, wie es dem Kind zu jeder Zeit in der Familie geht. Dies könnte aber unter Umständen ein Eingriff in die Autonomie der Familie sein, vor dem sie aber in Artikel 6 GG Absatz 1 geschützt werden soll. Sollte das Kind jedoch „zu ver- wahrlosen drohen“, so muss hierfür die Schuld nicht zwangsläufig bei den Eltern liegen. In einem Grundgesetz-Kommentar heißt es:

„[…] sie [=die Verwahrlosung] liegt dann vor, wenn körperliche, seelische oder geistige Entwicklung des Kindes - aus welchen Gründen auch immer - so weit unterhalb der normalen Entwicklung bleibt, dass um weitere Nachteile für das Kind zu vermeiden, die Trennung von der Familie erforderlich wird.“ (Münch 1992)

Hieraus wird ersichtlich, dass es Eltern gibt, die nicht erziehungsfähig sind, obwohl sie ihren Möglichkeiten entsprechend erziehen. Ein Beispiel hierfür ist der Fall der Familie Kutzner, den ich in 3.2 erläutern werde.

2.2.2 Die Rolle des Jugendamtes

Das Jugendamt übernimmt die Rolle des Wächters und entscheidet, ob Eltern fähig sind, ihr Kind zu erziehen. Oftmals wird das Jugendamt als Institution dargestellt, die sich zwischen Eltern und Kind stellt und somit Familien regelrecht auseinander reißt. Um einen genaueren Einblick in die Arbeit des Jugendamtes zu bekommen habe ich Herrn Eichenmüller, einen Referenten für Kindschafts- und Familienrecht in Hamburg, zum Thema „Erziehungsfähig- keit“ befragt. Er bestätigte mir, dass es tatsächlich ein großes Problem wäre, darüber zu ent- scheiden, ob Eltern oder ein Elternteil erziehungsfähig seien oder nicht. Gerade aus diesem Grund hat das Jugendamt oftmals einen so schlechten Ruf. Bei Entscheidungen über Verstö- ße gegen die festgelegte elterliche Sorge wird zunächst genauestens überprüft, welche Gesetze missachtet wurden. An erster Stelle muss immer der Schutz des Kindes stehen, wie er im GG Artikel 2 festgelegt ist. Die Sicherstellung des Kindeswohls kann durch kein anderes Gesetz gefährdet werden. Dann erst greift das Recht der Eltern nach ihren Zielen und mit ihren Mit- teln zu erziehen. Da es hier zu Konflikten kommen kann, deren Lösung nicht immer eindeutig gesetzlich festgelegt sind, muss das Jugendamt oft nach eigenem Ermessen entscheiden und die vielen Gesetze, Rechte und Pflichten von Kind und Eltern abschätzen.

An Beispielen hat Herr Eichenmüller dieses Problem verdeutlicht: Ist eine allein erziehende Mutter, die aufgrund ihrer Panikattacken das Haus nicht verlassen kann und dies auch ihrer 9- jährigen Tochter verbietet, nicht erziehungsfähig? Dürfen Eltern aufgrund ihres strengen christlichen Glaubens ihrem 18-jährigen Sohn verbieten, vor seiner Hochzeit sexuelle Erfah- rungen zu sammeln, weil das gegen ihre moralische Vorstellungen verstößt? Hier ist es eine Ermessensfrage, ob die Eltern nun erziehungsfähig sind oder nicht. In allen Fällen muss die Situation auch aus der Sicht der Eltern betrachtet werden und deren Erziehungsgrundsatz geprüft werden. Außerdem sind die Entscheidungen immer Persönlichkeitsabhängig und wer- den - soweit möglich - mit den Vorstellungen der Eltern in Einklang gebracht.

Zunächst sollte immer ein Gespräch zwischen Sozialarbeitern (Jugendamt) und Eltern statt- finden, an dem das Kind ab seinem 14. Lebensjahr oder in Einzelfällen ab dem 7. Lebensjahr beteiligt ist. Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz soll das Jugendamt immer eine Hilfe- stellung bieten und nicht bestrafen. Bevor es also zu einem Sorgerechtsentzug kommt, wird versucht, ein pädagogisches Gespräch zu führen und eine Strategie zu entwickeln, wie Miss- stände der Erziehung verhindert werden können. Tritt keine Besserung ein, so wird der Fall an das Familiengericht weitergegeben. Sollte jedoch festgestellt werden, dass das Kindeswohl massiv gefährdet (durch körperliche oder psychische Gewalt) ist, wird sofort das Familienge- richt eingeschaltet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Wer ist erziehungsfähig?
Hochschule
Universität Hamburg  (Pädagogisches Institut)
Note
1-
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V27365
ISBN (eBook)
9783638294331
Dateigröße
597 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zur Frage der Entscheidung über Elternrecht und Kindeswohl am Beispiel des Films "Ladybird, Ladybird" (Ken Loach, GB 1993) und des Zeitungsartikels "Die Affäre Kutzner"
Arbeit zitieren
Beeke Tillert (Autor:in), 2003, Wer ist erziehungsfähig?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27365

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