Das Motiv der verbotenen Liebe in der Literatur ist von derart zeitloser Gültigkeit, dass es nicht verwundert, immer wieder neue Anläufe zu finden, die diese Problematik in unterschiedlicher Akzentuierung darstellen. Das betrifft die europäische Literatur des Mittelalters in erster Linie. In der Artusdichtung z.B. spielen die Liebesbeziehungen zwischen der Artuskönigin und dem Ritter Lancelot eine zentrale Rolle. Das 12. Jahrhundert, in dem auch Gottfrieds Tristan entstand, gilt als Blütezeit der deutschen Tagelieddichtung, in welcher die verbotene Liebe und der Abschiedsschmerz von Liebenden poetisiert wurden. Die Entstehung dieses psychologisch-sozialen Phänomens in der Literatur kann man als einen „Reflex auf bestimmte erotische Tabus der damaligen Gesellschaft“ 1 einsehen.
Gottfrieds Tristan lässt sich thematisch auch mit einem Tagelied vergleichen: wir haben ein nicht legitimes Liebespaar, eine unglückliche Liebe, schmerzhafte Abschiede, einen betrogenen Ehemann, eine Wächterin in der Gestalt der Brangäne, und wir haben schließlich auch Cläffer, Feinde, den Truchsess Marjodo und den Zwerg Melot. All das sind die typischen Elemente des Tagesliedes. Aber Gottfrieds Tristan hat eine andere dramatische Größe. Gottfried bereichert und erweitert die banale Geschichte eines unglücklichen Liebespaares durch weitere spannende Motive, die den Tristanroman zu einem märchenhaften Meisterstück machen. Eine der rätselhaftesten und umstrittensten Szenen des Romans ist die Szene „Gottesurteil“.
Den gottfriedschen Roman Tristan kann man mit einem Kaleidoskop vergleichen, das immer wieder unter verschiedenen Blickwinkeln verschiedene Bilder zeigt. In der Forschung gibt es deswegen keine Einigung in Hinsicht darauf, was Gottfried mit dieser Szene thematisieren wollte. Die meisten gehen davon aus, dass die Szene Gottfrieds religiöse Ansichten widerspiegeln soll. Im Weiteren probieren wir aber zu beweisen, dass diese Szene auch andere interessante Anknüpfungspunkte hat und ein wichtiger Baustein im gesamten Roman ist. Zuerst werden wir die Ausgangssituation kurz wiedergeben und die Hintergrundinformationen zum Gottesurteil aus historischer Sicht zusammentragen. Dadurch soll ein äußerer Rahmen für die Betrachtung dieser Szene gesetzt werden. In weiteren Kapiteln soll die Bedeutung des Gottesurteils für den gesamten Roman bestimmt werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- I. Die Ausgangssituation: Verdacht
- II. Das Gottesurteil
- II.1. Das Gottesurteil aus historischer Sicht
- II.2. Das Gottesurteil in Gottfrieds Roman „Tristan“
- III. Darstellung Gottes in der Episode
- IV. Bedeutung der Szene für den gesamten Roman
- IV.1. Charakterliche Entwicklung der Hauptfiguren durch das Gottesurteil
- IV.1.1. Darstellung des Königs Marke im Gottesurteil
- IV.1.2. Die Charakterisierung Brangäne im Gottesurteil
- IV.1.3. Die Charakterisierung Tristans im Gottesurteil
- IV.1.4. Die Charakterisierung Isoldes im Gottesurteil
- IV.2. Konstitutionelle Einordnung der Szene in die Struktur des gesamten Romans
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Bedeutung der Gottesurteil-Szene in Gottfried von Straßburgs „Tristan“. Ziel ist es, über die gängige Interpretation der Szene als bloße Reflexion religiöser Ansichten hinauszugehen und ihre Funktion innerhalb der Gesamtstruktur des Romans aufzuzeigen. Die Arbeit analysiert die Szene im Kontext der Handlung, beleuchtet die Charakterentwicklung der Hauptfiguren und erörtert ihre konstitutionelle Bedeutung für den Roman.
- Die Darstellung verbotener Liebe und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen
- Die Rolle des Gottesurteils als Mittel zur Wahrheitsfindung im Mittelalter
- Charakterentwicklung der Hauptfiguren Tristan, Isolde, und König Marke
- Die literarische Gestaltung der Szene und ihre Funktion im Gesamtkontext des Romans
- Die Ambivalenz und Komplexität der Darstellung religiöser Aspekte im Werk
Zusammenfassung der Kapitel
Einführung: Die Einleitung stellt den Kontext des Motivs der verbotenen Liebe in der mittelalterlichen Literatur dar und vergleicht Gottfrieds „Tristan“ mit dem Tagelied. Sie betont die dramatische Größe und Komplexität des Romans und fokussiert auf die Gottesurteil-Szene als rätselhaften und umstrittenen Aspekt, der verschiedene Interpretationen zulässt. Die Arbeit kündigt ihre Vorgehensweise an: Die Untersuchung der Ausgangssituation, die historische Einordnung des Gottesurteils und schließlich die Bestimmung seiner Bedeutung für den gesamten Roman.
I. Die Ausgangssituation: Verdacht: Dieses Kapitel beschreibt den wiederkehrenden Verdacht König Markes auf die Beziehung zwischen Tristan und Isolde. Es zeigt, wie die Liebenden durch List und zweideutige Reden immer wieder dem Verdacht entgehen, besonders in der Baumgartenszene. Isoldes Aussage (Verse 14755-14766) wird analysiert, um ihre Taktik zu verdeutlichen und die "intellektuelle Überlegenheit" des Liebespaares zu betonen. Die Szene unterstreicht Markes Degradierung zum Lauscher und seinen Wechsel von der Rolle des Staatsmannes zur Rolle des eifersüchtigen Ehemannes. Der schließlich endgültige Verdacht nach dem Aderlass führt zur Entscheidung des Gottesurteils.
II. Das Gottesurteil: Dieses Kapitel unterteilt sich in zwei Abschnitte. Abschnitt II.1 beleuchtet das Gottesurteil aus historischer Perspektive, beschreibt es als ein im Mittelalter praktiziertes Verfahren zur Wahrheitsfindung, wobei der Glaube an Gottes Eingreifen zentral ist. Verschiedene Methoden des Gottesurteils werden erwähnt, und die unterschiedliche Anwendung je nach sozialem Status der Beteiligten wird erläutert. Abschnitt II.2 würde den konkreten Ablauf des Gottesurteils in Gottfrieds Roman und seine Einbettung in die Handlung analysieren, vermutlich im Kontext der bereits beschriebenen Verdachtsmomente und der Entscheidung des Konzil.
Schlüsselwörter
Gottfried von Straßburg, Tristan, Gottesurteil, verbotene Liebe, Mittelalter, Charakterentwicklung, mittelalterliche Literatur, religiöse Aspekte, Ordal, historischer Kontext, Romanstruktur.
Häufig gestellte Fragen zu Gottfried von Straßburgs "Tristan" - Gottesurteil-Szene
Was ist der Gegenstand dieser wissenschaftlichen Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Gottesurteil-Szene in Gottfried von Straßburgs "Tristan". Sie geht über gängige Interpretationen hinaus und untersucht die Funktion der Szene innerhalb der Gesamtstruktur des Romans, beleuchtet die Charakterentwicklung der Hauptfiguren und erörtert ihre konstitutionelle Bedeutung.
Welche Themen werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt die Darstellung verbotener Liebe und ihre gesellschaftlichen Konsequenzen, die Rolle des Gottesurteils als Wahrheitsfindung im Mittelalter, die Charakterentwicklung von Tristan, Isolde und König Marke, die literarische Gestaltung der Szene und ihre Funktion im Roman, sowie die Ambivalenz religiöser Aspekte im Werk.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einführung, vier Hauptkapitel und ein Resümee. Kapitel I beschreibt die Ausgangssituation (Verdacht König Markes). Kapitel II behandelt das Gottesurteil, historisch und im Roman. Kapitel III analysiert die Darstellung Gottes in der Szene, und Kapitel IV untersucht die Bedeutung der Szene für den gesamten Roman, einschließlich der Charakterentwicklung der Hauptfiguren und der konstitutionellen Einordnung der Szene in die Romanstruktur.
Welche Kapitelzusammenfassungen werden geboten?
Die Zusammenfassung der Kapitel beschreibt die Einleitung mit Kontextualisierung des Motivs verbotener Liebe, Kapitel I mit der Analyse des wachsenden Verdachts König Markes, Kapitel II mit der Erläuterung des Gottesurteils (historisch und im Roman), und skizziert den Inhalt von Kapitel IV, welches die Bedeutung der Szene für den gesamten Roman aufzeigt.
Welche Schlüsselwörter sind relevant für diese Arbeit?
Die relevanten Schlüsselwörter sind: Gottfried von Straßburg, Tristan, Gottesurteil, verbotene Liebe, Mittelalter, Charakterentwicklung, mittelalterliche Literatur, religiöse Aspekte, Ordal, historischer Kontext, Romanstruktur.
Welche Zielsetzung verfolgt die Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, die Bedeutung der Gottesurteil-Szene in Gottfrieds "Tristan" über eine bloße religiöse Interpretation hinaus zu verstehen und ihre Funktion innerhalb der Gesamtstruktur des Romans aufzuzeigen. Die Analyse fokussiert auf Handlungskontext, Charakterentwicklung und konstitutionelle Bedeutung.
Wie wird die Ausgangssituation (Verdacht) dargestellt?
Kapitel I beschreibt König Markes wiederkehrenden Verdacht auf Tristan und Isolde. Es analysiert List und zweideutige Reden der Liebenden, insbesondere Isoldes Aussage (Verse 14755-14766), um ihre Taktik und "intellektuelle Überlegenheit" zu belegen. Markes Degradierung zum Lauscher und sein Rollenwechsel vom Staatsmann zum eifersüchtigen Ehemann werden hervorgehoben. Der endgültige Verdacht nach dem Aderlass führt zur Entscheidung für das Gottesurteil.
Wie wird das Gottesurteil behandelt?
Kapitel II unterteilt sich in zwei Abschnitte. Abschnitt II.1 beleuchtet das Gottesurteil historisch als mittelalterliches Wahrheitsfindungsverfahren mit dem Glauben an Gottes Eingreifen. Verschiedene Methoden und deren Anwendung je nach sozialem Status werden erwähnt. Abschnitt II.2 analysiert den konkreten Ablauf des Gottesurteils in Gottfrieds Roman und seine Einbettung in die Handlung im Kontext der beschriebenen Verdachtsmomente und der Entscheidung des Konzil.
- Arbeit zitieren
- Natalja Groo (Autor:in), 2011, Die Bedeutung der Szene "Gottesurteil" für Gottfrieds Roman "Tristan", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/274062