Heute sind Subjektivität, Gefühle und moralische Empfindungen zentrale Fragestellungen für die Soziologie (vgl. Ehrenberg in: Menke & Rebentisch 2011, S. 52f.). Man nimmt an, dass es durch die Auseinandersetzung mit der Subjektivität gelingen könne, das Geheimnis der Sozialität des Menschen zu ergründen. Psychische
Leiden wie Depressionen werden in diesem Zusammenhang als gesellschaftliche Pathologien verstanden. Soziologen und Sozialphilosophen verstehen sie entweder als Symptome einer Lockerung sozialer Bindungen (vgl. hierzu Karp 1995), als Folge der Ich-Emanzipation der 60er und 70er Jahre oder des Kapitalismus, der das Ideal der Emanzipation individueller Subjektivität in neue Zwänge und Ausbeutungsformen
verkehrten. Der französische Psychiater und Soziologe Alain Ehrenberg ist jedoch der Ansicht, dass Depression nicht durch Kapitalismus, Emanzipation oder dergleichen verursacht wird, noch das sie ein Symptom gesellschaftlicher Rückzugstendenzen
darstellt. Sie gründet auf den Konflikt und Widerspruch eines Prozesses, welche auf der Aufwertung von Autonomie einhergeht. Vor vier Jahrzehnten basierte die Gesellschaft auf Gehorsam, Konformität und Verboten. Heute gelten die Autonomie, Initiative und Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen von uns. Während nach Freud die Neurose ein Krankheitsbild der Schuld war, scheint die Depression die Krankheit der Verantwortlichkeit und Unzulänglichkeit zu sein. Heute dreht sich die Frage nicht mehr
um „Darf ich das?“, sondern um „Kann ich das?“. Von jedem Individuum wird erwartet, dass es in allen Lebensbereichen selbst entscheidet und handelt. Ehrenberg zufolge, verstärkt die Zentralstellung des Werts der Autonomie die individualistische Sicht auf das Gesellschaftsgefüge. Er hebt hervor, dass die Veränderungen in unserem Handlungsbegriff auch institutionelle Veränderungen mit sich brachten (2011, S. 59).
Diese sind so ausgerichtet, dass der Bürger sich in einer Umgebung befinden soll, der ihn zum Hauptverantwortlichen seiner Handlungen werden lässt. Das Individuum ist dazu angehalten die Motivation zu finden, eigene Projekte zu entwickeln, sich dafür nötigen sozialen Fertigkeiten auszubilden und in zahlreichen gesellschaftlichen Situationen eigenverantwortlich zu verhalten. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- 1. Motivation und Forschungsinteresse
- 1.1 Das Phänomen Hikikomori
- 1.2 Vorgehensweise
- 2. Das Konstrukt der sozialen Isolation
- 2.1 Operationalisierung
- 2.2 Motive und Entstehungsfaktoren
- 2.3 Interne Faktoren
- 2.3.1 Beurteilungsprozesse als Bedingungen
- 2.3.2 Personenmerkmale als Bedingungen
- 2.3.3 Familiäre Sozialisationsbedingungen
- 2.4 Externe Faktoren
- 2.4.1 Persönliche Lebensverhältnisse
- 2.4.2 Bedingungen der Interaktion
- 2.5 Folgen längerfristiger sozialer Isolation
- 2.6 Resümee und Überleitung
- 3. Die psychische Lage von Kindern und Jugendlichen
- 3.1 Psychischer Gesundheitszustand
- 3.1.1 Wertorientierungen und Lebenseinstellungen
- 3.1.2 Freizeit zur Identitätsbildung
- 3.2 Stehen Jugendliche unter Druck?
- 3.3 Verbreitung von Depressionen im Kindes- und Jugendalter
- 3.4 Resümee
- 3.1 Psychischer Gesundheitszustand
- 4. Prozesse und Facetten der Individualisierung
- 4.1 Triebkräfte des Modernisierungsprozesses
- 4.2 Pluralismus der Lebenskonzepte
- 4.3 Individualisierung als Machtechnik
- 4.4 Diagnose der Vereinsamung
- 4.5 Narzissmus
- 4.6 Sucht
- 4.7 Identitätskonzepte in der modernen Gesellschaft
- 4.8 Der Preis der Moderne: Das Aufkommen der Depression
- 4.9 Psychische Befreiung und unsichere Identität
- 4.10 Tragödie der Kultur
- 5. Schlussbetrachtung
- Nachwort
- Quellenverzeichnis
- Websites
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Masterarbeit untersucht die Entwicklungsaufgaben und psychosozialen Befindlichkeiten von Kindern und Jugendlichen im Kontext erhöhter Handlungsspielräume und des Autonomieszwangs der individualisierten Gesellschaft. Der Fokus liegt auf dem Phänomen der sozialen Isolation und seinen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Die Arbeit analysiert die individuellen und gesellschaftlichen Faktoren, die zu sozialer Isolation beitragen, und untersucht die damit verbundenen Folgen.
- Soziale Isolation und Hikikomori
- Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
- Prozesse der Individualisierung und ihre Auswirkungen
- Zusammenhang zwischen Individualisierung, sozialer Isolation und psychischen Erkrankungen
- Entwicklungsaufgaben in der individualisierten Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
1. Motivation und Forschungsinteresse: Dieses Kapitel führt in die Thematik ein und beschreibt die Motivation der Autorin, sich mit dem Thema der sozialen Isolation und Hikikomori auseinanderzusetzen. Es wird die Vorgehensweise der Arbeit erläutert und der Forschungsfokus auf die psychosozialen Befindlichkeiten von Kindern und Jugendlichen in der individualisierten Gesellschaft gelegt. Das Kapitel legt den Grundstein für die folgenden Kapitel, indem es die Forschungsfrage formuliert und die Relevanz des Themas herausstellt. Die Erwähnung von Hikikomori dient als einleitendes Beispiel für die Problematik sozialer Isolation und den damit verbundenen psychischen Belastungen.
2. Das Konstrukt der sozialen Isolation: Dieses Kapitel definiert und operationalisiert den Begriff der sozialen Isolation. Es werden detailliert die Motive und Entstehungsfaktoren sowohl innerer (Beurteilungsprozesse, Personenmerkmale, familiäre Sozialisationsbedingungen) als auch äußerer (persönliche Lebensverhältnisse, Bedingungen der Interaktion) Art analysiert, die zu sozialer Isolation beitragen können. Besondere Aufmerksamkeit wird den langfristigen Folgen längerfristiger sozialer Isolation gewidmet, um die Tragweite des Problems zu veranschaulichen. Das Kapitel bildet die Grundlage für das Verständnis der Zusammenhänge zwischen sozialer Isolation und den im folgenden Kapitel dargestellten psychischen Befindlichkeiten.
3. Die psychische Lage von Kindern und Jugendlichen: Dieses Kapitel befasst sich mit dem psychischen Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen im Kontext sozialer Isolation. Es analysiert Wertorientierungen, Lebenseinstellungen und die Rolle der Freizeit bei der Identitätsbildung. Der Druck, der auf Jugendliche in der heutigen Gesellschaft ausgeübt wird, wird kritisch beleuchtet. Die Verbreitung von Depressionen im Kindes- und Jugendalter wird im Detail untersucht, um den Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und psychischen Erkrankungen aufzuzeigen. Das Kapitel verknüpft die Ergebnisse des zweiten Kapitels mit den realen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der betroffenen Jugendlichen.
4. Prozesse und Facetten der Individualisierung: Dieses Kapitel untersucht die Prozesse und Facetten der Individualisierung als gesellschaftlichen Hintergrund der sozialen Isolation. Es werden die Triebkräfte des Modernisierungsprozesses analysiert und der Pluralismus der Lebenskonzepte in der modernen Gesellschaft diskutiert. Die Individualisierung wird als Machtechnik betrachtet, deren Auswirkungen, wie Vereinsamung, Narzissmus und Sucht, im Detail untersucht werden. Schließlich wird der Preis der Moderne, das Aufkommen von Depressionen, im Zusammenhang mit den individuellen Identitätskonzepten und der psychischen Befreiung diskutiert.
Schlüsselwörter
Soziale Isolation, Hikikomori, Individualisierung, psychische Gesundheit, Kinder, Jugendliche, Depression, Sucht, Identitätsbildung, Modernisierung, Vereinsamung, Narzissmus, Entwicklungsaufgaben, Handlungsspielräume, Autonomie.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Masterarbeit: Soziale Isolation und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der individualisierten Gesellschaft
Was ist der Gegenstand dieser Masterarbeit?
Die Masterarbeit untersucht die Entwicklungsaufgaben und psychosozialen Befindlichkeiten von Kindern und Jugendlichen im Kontext erhöhter Handlungsspielräume und des Autonomieszwangs der individualisierten Gesellschaft. Der Fokus liegt auf dem Phänomen der sozialen Isolation und seinen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Analysiert werden die individuellen und gesellschaftlichen Faktoren, die zu sozialer Isolation beitragen, und die damit verbundenen Folgen.
Welche Themen werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt die soziale Isolation, insbesondere im Bezug auf Hikikomori, die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, die Prozesse der Individualisierung und deren Auswirkungen, den Zusammenhang zwischen Individualisierung, sozialer Isolation und psychischen Erkrankungen sowie die Entwicklungsaufgaben in der individualisierten Gesellschaft.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel: Kapitel 1 beschreibt die Motivation und das Forschungsinteresse. Kapitel 2 definiert und analysiert das Konstrukt der sozialen Isolation (inkl. Motive, Entstehungsfaktoren und Folgen). Kapitel 3 befasst sich mit der psychischen Lage von Kindern und Jugendlichen im Kontext sozialer Isolation. Kapitel 4 untersucht die Prozesse und Facetten der Individualisierung. Kapitel 5 bietet eine Schlussbetrachtung. Zusätzlich enthält die Arbeit eine Danksagung, Einleitung, Zusammenfassung der Kapitel, Schlüsselwörter, Quellenverzeichnis und Websites.
Was versteht die Arbeit unter sozialer Isolation?
Die Arbeit operationalisiert den Begriff der sozialen Isolation und analysiert detailliert die inneren (Beurteilungsprozesse, Personenmerkmale, familiäre Sozialisationsbedingungen) und äußeren (persönliche Lebensverhältnisse, Bedingungen der Interaktion) Faktoren, die zu sozialer Isolation beitragen. Es wird auch auf die langfristigen Folgen eingegangen.
Welche Rolle spielt Hikikomori in der Arbeit?
Hikikomori dient als einleitendes Beispiel für die Problematik sozialer Isolation und die damit verbundenen psychischen Belastungen. Es wird im ersten Kapitel erwähnt und im Kontext der sozialen Isolation im zweiten Kapitel weiter beleuchtet.
Wie wird die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen betrachtet?
Die Arbeit analysiert den psychischen Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen, ihre Wertorientierungen und Lebenseinstellungen, die Rolle der Freizeit bei der Identitätsbildung, den Druck auf Jugendliche und die Verbreitung von Depressionen im Kindes- und Jugendalter. Der Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und psychischen Erkrankungen wird untersucht.
Welche Aspekte der Individualisierung werden untersucht?
Die Arbeit analysiert die Triebkräfte des Modernisierungsprozesses, den Pluralismus der Lebenskonzepte, die Individualisierung als Machtechnik und deren Auswirkungen wie Vereinsamung, Narzissmus und Sucht. Der Zusammenhang zwischen Individualisierung, dem Aufkommen von Depressionen und individuellen Identitätskonzepten wird diskutiert.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit am besten?
Soziale Isolation, Hikikomori, Individualisierung, psychische Gesundheit, Kinder, Jugendliche, Depression, Sucht, Identitätsbildung, Modernisierung, Vereinsamung, Narzissmus, Entwicklungsaufgaben, Handlungsspielräume, Autonomie.
Für wen ist diese Arbeit relevant?
Diese Arbeit ist relevant für Wissenschaftler, Pädagogen, Sozialarbeiter und alle, die sich mit der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und den Auswirkungen der Individualisierung auf die Gesellschaft auseinandersetzen.
- Quote paper
- Sabrina Wurzenberger (Author), 2012, Psychosoziale Befindlichkeiten von Kindern und Jugendlichen im Rahmen erhöhter Handlungsspielräume und einer individualisierten Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/274994