Das Jugendarbeitsschutzgesetz im Kontext seiner Historie

Wie sieht sinnvoller Jugendarbeitsschutz aus?


Seminararbeit, 2010

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Geschichte des Jugendarbeitsschutzes

Die Entwicklung des Jugendarbeitsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland

Das Jugendarbeitsschutzgesetz

Wie sieht sinnvoller Jugendarbeitsschutz aus?

Fazit

Bibliographie

Einleitung

Ziel dieser Arbeit ist es, dreierlei Schritte zu gehen. Zunächst soll ein historischer Abriss die Geschichte des Jugendarbeitsschutzes nachzeichnen. Dabei erfolgt die Darstellung zu- nächst allgemein auf Europa bezogen, wobei das Hauptaugenmerk auf die Entwicklung in England und Preußen gelegt wird, bevor die Darstellung übergeht zur Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949. Beginnend mit den ersten Kinderschutzgesetzen im 13. Jahrhundert in Venedig, findet eine Ausarbeitung des Jugendarbeitsschutzes erst in der Industrialisierung statt. Vorreiter der Industrialisierung und der immanenten Diskussion um Jugendarbeitsschutz ist England. Inspiriert vom ersten „Factory Act“ in England 1802 kommt es in Preußen 1839 zum „Preußischen Regulativ“. Die Folgezeit ist geprägt von kleinen Fortschritten, erkämpft durch die entstehende Arbeiterbewegung, die 1853 eine Neufassung des „Preußischen Regulativs“ bewirkt. Diese entfaltet jedoch erst 1878 mit der Einführung einer Gewerbeaufsicht ihre Wirksamkeit. Als Ergebnis Bismarckscher Sozialpoli- tik kann das 1891 verabschiedete Arbeiterschutzgesetz gesehen werden, welches den Kampf der Arbeiterbewegung für ein betriebsübergreifend geltendes Jugendarbeitsschutz- gesetz (1903) aber nicht enden lässt. Große Einschränkungen des Jugendarbeitsschutzes müssen während des Ersten Weltkrieges aufgrund der Mobilmachung und des Nationalso- zialismus bzw. des Zweiten Weltkrieges vermerkt werden, die erst mit Gründung der Bun- desrepublik Deutschland 1949 ein Ende nehmen. Aufgrund der großen historischen Zeit- spanne (zwischen 1284 und heute) kann der folgende Abriss die stattgefundenen Entwick- lungen nur skizzenhaft andeuten.

Anschließend erfolgt eine kurze und fokussierte Darstellung des Jugendarbeitsschutzgeset- zes in seiner heutigen Form. Es wird versucht, die Bedeutung, die Funktion aus sozialpoliti- scher Sicht, den wesentlichen Inhalt und den Sinn des Jugendarbeitsschutzgesetzes zu betrachten und zu erläutern. Wen betrifft das Jugendschutzgesetz und wieso existiert ein solches Gesetz? Welche gesetzlichen Regelungen beinhaltet es und vor welchen Gefahren soll dieses Gesetz schützen? Dies sind Fragen, die es im zweiten Teil zu beantworten gilt. Schließlich widmet sich der dritte Teil der strukturell bedingten Problematik von Schutzge- setzen. Es soll die Frage erörtert werden, ob das Jugendschutzgesetz sich hemmend auf die betriebliche Ausbildung auswirkt und ob spezielle Schutzregelungen (wie beispielsweise Nachtarbeit) generell sinnvoll sind oder in ihrer Fülle den Rahmen eines Schutzgesetzes sprengen. Daran anschließend soll die Frage beantwortet werden, wie sinnvoller Jugendar- beitsschutz aussehen würde. Diese soll stets im Kontext der Historie beantwortet werden, um so nachvollziehen zu können, warum dieses oder jenes Gesetz Geltungsanspruch hat. Selbstverständlich hat diese Arbeit hierbei keineswegs den Anspruch, sämtliche Argumen- tationsgänge der derzeitigen Diskussion zu erfassen, sondern will vielmehr versuchen die prinzipielle Problematik zu beleuchten.

„Etwas ist nicht recht, weil es Gesetz ist,

sondern es muss Gesetz sein, weil es recht ist.“1

Die Geschichte des Jugendarbeitsschutzes

Die Geschichte des Jugendarbeitsschutzes ist eng verbunden mit der Geschichte der In- dustrialisierung. Natürlich hat es auch in vorindustrieller Zeit Kinderarbeit gegeben, so etwa in bäuerlichen Betrieben. Dennoch gab es im Handwerk, zumeist bedingt durch die stren- gen Zunftzwänge, so gut wie keine Kinderarbeit. Trotz alledem stammen die ersten überlie- ferten Kinderschutzbestimmungen aus dem 13. Jahrhundert, auch wenn diese nur dazu genutzt wurden, die Lehrlingszahlen zu begrenzen, um Störungen des Zunftgefüges zu vermeiden. So legte beispielsweise die venezianische Zunft der Glasschleifer im Jahre 1284 das Mindestalter für Lehrlinge auf 8 Jahre fest.2 Auch im 16. Jahrhundert gab es ver- einzelte Vorschriften für das Beschäftigen von Lehrlingen: Buchbinder in Nürnberg und Ziegler in Württemberg setzten das Mindestbeschäftigungsalter auf 14 bzw. 15 Jahre. An- sonsten war Kinderschutz im Mittelalter weitgehend unbekannt, da Mitarbeit der Kinder selbstverständlich war.3

Mit Beginn der Industrialisierung in England um 1750 und der damit einhergehenden hem- mungslosen Ausbeutung von Kindern entwickelten sich im Laufe des Industrialisierungs- prozesses erstmals gesetzliche Regelungen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor einer Überbeanspruchung durch Arbeit. Auf deutschem Gebiet (im ehemaligen Preußen) findet der Industrialisierungsprozess rund 50 Jahre später statt. Um 1800 führt der verstärk- te Einsatz von Maschinen und die damit zunehmende Arbeitsteilung zu extremen Ausbeu- tungsmethoden und unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Dies galt sowohl für Männer und Frauen, aber vor allem für Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer Körpergröße für man- che Arbeiten, so z. B. bei der Arbeit in Bergwerkstollen, sogar bevorzugt wurden. Kinder hatten bis Mitte des 19. Jahrhunderts keinen eigenen Rechtsstatus; sie waren kleine Er- wachsene, die zwar körperlich schwächer, aber dennoch prinzipiell für gleiche Arbeiten ge- eignet waren.4

Zudem war man bis 1850 - abgesehen von wenigen Ausnahmen - noch der wissenschaft-lichen Auffassung, dass das Kindesalter mit 10 Jahren, spätestens aber mit 11 Jahren en- den würde und direkt danach der Übergang in das Erwachsensein erfolgte. Die Phase des Jugendlichen war unbekannt. Jugendarbeitsschutzregelungen, sofern es sie denn gab, er- streckten sich also zumeist auf die höchstens Elfjährigen.5 Eine gesetzliche Regelung für Jugendliche taucht erstmals im Preußischen Regulativ von 1839 auf, in dem die Arbeit für Jugendliche unter 16 Jahren beschränkt wurde. Hierauf soll später genauer eingegangen werden.

Für die Zeit vor 1850 gibt es keinerlei Statistiken über Umfang und Art von Kinderarbeit, sodass man sich hier nur auf Einzelberichte stützen kann. Der Oberpräsident von Heydebreck von Brandenburg schildert beispielsweise in einem Bericht, dass fünfjährige Kinder einen 15-Stunden-Tag mit nur einer Stunde Mittagspause hätten, und 1834 beschreibt der Preußische Geheime Regierungsrat Keller die Lage der arbeitenden Kinder in den Baumwollfabriken wie folgt:

„Die Kinder sind täglich von fünf Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags und nachmittags von ein Uhr bis am späten Abend im Winter natürlich bei Lichte, beschäftigt. Schulunterricht genießen sie gar nicht, weder in den frühesten Jahren, noch während der Zeit, in welcher sie hier Arbeit finden, nicht einmal in Sonntagsschulen.“6

Durch eine frühzeitige Einbindung von Kindern ins Arbeitsleben erhoffte man sich, Erziehungsideale wie Fleiß, Pünktlichkeit, Gehorsam, Geschicklichkeit und Ausdauer vermitteln zu können. Dementsprechend wurde Kinderarbeit als „pädagogisch wertvoll“, Schulbildung als unnütze Sekundärtugend angesehen.7

Auch deutsche und englische Fabrikinspektoren schildern in ihren Jahresberichten die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen8.

Die Armut in der Bevölkerung war so groß, dass viele Familien ihre Frauen und Kinder arbeiten ließen, obwohl diese bei gleicher Arbeit wesentlich geringer entlohnt wurden als die Männer.9 Diese große Menge an sehr günstigen Arbeitskräften drückte natürlich auch den Preis der erwachsenen Arbeiter und die Unternehmer hatten somit keinerlei Interesse, an der vorhandenen Situation etwas zu ändern.

Es dauerte fast 50 Jahre, bis es in England zur ersten staatlichen Regelung zum Schutz der Kinder und Jugendlichen kam. Diese wurde im Jahre 1796 teilweise von Fabrikanten initiiert und traf auf die große Unterstützung der breiten Masse, die dafür sorgte, dass das Ziel,wenigstens die schlimmsten Missstände durch eine gesetzliche Regelung zu bekämpfen,sechs Jahre später erreicht wurde.

„Kinder von 6 Jahren werden bereits hinter die Maschinen gestellt, um dort selber zur Maschine zu werden. Sechs Tage lang in jeder Woche, wenn nicht ein eintretender Feiertag eine Ausnahme macht, und auch wohl bei dringender Arbeit - sieben Tage, und jeden Tag von früh morgens bis spät abends bewegt der Knabe in derselben Stellung dieselben Maschinen unaufhörlich zu demselben Geschäft. […] Doch kann die Sache nicht bleiben wie sie ist […].“10

In Deutschland lassen sich die ersten staatlichen Aktivitäten zum Schutz der Jugend um 1824 feststellen. So erließ der preußische Unterrichtsminister von Altenstein sogenannte Zirkularverfügungen an die Regierungspräsidenten, in denen er zur Berichterstattung über die Kinderarbeit und zu Gesetzesvorschlägen aufforderte.11

Den wohl entscheidenden Ansatzpunkt für eine wirkungsvolle gesetzliche Regelung lieferten aber vielmehr wehrpolitische Überlegungen und nicht diese sozial-moralisch begründete Initiative. 1828 richtet sich der Kommandeur der Rheinarmee, Generalleutnant von Horn, mit einem Bericht an den preußischen König, in dem er die übermäßige Kinderarbeit in den Fabriken und Bergwerken kritisiert. Grund dafür war die unerfreuliche Tatsache, dass die Rekrutierungszahlen stark zurückgingen, weil zu viele Kinder arbeiten mussten. Er schloss daraus: „Infolge der Nachtarbeit der Fabrikkinder können wohl die Industriebezirke nicht mehr den erforderlichen Rekrutennachwuchs stellen.“12

Diese Überlegungen beschleunigten den Jugendarbeitsschutz und führten 1839 zum „Re- gulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken“. Vorbild der vor rund 170 Jahren verabschiedeten Jugendschutzgesetzgebung auf deutschem Boden war der vierte in Großbritannien erlassene „Factory Act“13, welcher erstmals in Europa Kinderarbeit in größerem Rahmen einschränkte. Wesentliche Inhalte des „Preußischen Regulativs“ waren das Arbeitsverbot von Kindern unter neun Jahren in Fabriken, im Bergbau sowie in Hütten- und Pochwerken (§ 1)14. Ein Verbot der Beschäftigung von Arbeitern unter 17 Jahren be- stand, wenn diese noch keinen dreijährigen Schulbesuch oder die Lese- und Schreibkennt- nis der Muttersprache durch ein Zeugnis des Schulvorstands vorweisen konnten (§ 2). Bis zum Erreichen des 17.

[...]


1 Charles de Montesquieu (1689-1755), frz. Staatstheoretiker und Schriftsteller, Begründer der modernen Staatswissenschaft und der Lehre von der Drei-Gewaltenteilung

2 Bayrisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen (Hrsg.): Kinder- und Jugendarbeitsschutz. Unterrichtshilfe für Lehrkräfte. Bayern 2010. S. 4

3 Lotte Adolphs: Industrielle Kinderarbeit im 19. Jahrhundert unter Berücksichtigung des Duisburger Raumes. Ein Beitrag zur Geschichte der Wirtschafts- und Sozialpädagogik. Duisburg 1972 (= Duisburger Forschungen, hrsg. v. Stadtarchiv Duisburg in Verbindung mit der Mercator-Gesellschaft, Beiheft 15). S. 17. (Im Folgenden „Adolphs“)

4 Thomas Lakies, Michael Schoden: Jugendarbeitsschutzgesetz. Basiskommentar zum JArbSchG. 6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Frankfurt a. M. 2010. RdNr. 7. (Im Folgenden „Lakies und Schoden“).

5 Lakies und Schoden. RdNr. 4.

6 Ruth Hoppe: Dokumente zur Geschichte der Lage des arbeitenden Kindes in Deutschland von 1700 bis zur Gegenwart. Berlin 1969. S. 53.

7 Nikolas Dörr: 165 Jahre Einschränkung der Kinderarbeit in Preußen. Ein Beitrag zum Beginn der Sozialgesetzgebung in Deutschland. In: MenschenRechtsMagazin Nr. 2 (2004). S. 142. (Im Folgenden: „Dörr“)

8 Adolphs. S. 56ff

9 Lakies und Schoden. RdNr. 7.

10 Beschreibung der Kinderarbeit in Preußen 1815 vom Direktor für öffentlichen Unterricht in der preußischen Provinz Niederrhein Karl Friedrich August Grashoff, zitiert nach: Lotte Adolphs: Kinderarbeit, Lehrerverhalten, Schulrevision im 19. Jahrhundert. Duisburg 1979. S. 20.

11 Helmut Roscher: Die Anfänge des modernen Arbeitsrechts. Ein Beitrag zur Geschichte des Jugendarbeitsschutzes unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Preußen. Frankfurt u. a. 1985 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe II. Bd. 446). S. 191ff.

12 Lakies und Schoden. RdNr. 10.

13 Der vierte „Labour of Children, etc., in Factory Act“ verbot die Arbeit von Kindern unter neun Jahren in der Textilindustrie (die Arbeit für Kinder unter neun Jahren in Baumwollspinnereien war bereits 1819 verboten worden). Kinder von neun bis zwölf Jahren durften maximal 48, Kinder zwischen 14 und 18 Jahren maximal 68 Stunden pro Woche arbeiten. Kontrollinspekteure sollten die Einhaltung des Gesetzes überwachen und darüber an das britische Innenministerium berichten.

14 Roscher. S. 371.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Jugendarbeitsschutzgesetz im Kontext seiner Historie
Untertitel
Wie sieht sinnvoller Jugendarbeitsschutz aus?
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
19
Katalognummer
V275109
ISBN (eBook)
9783656679134
ISBN (Buch)
9783656679097
Dateigröße
616 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
jugendarbeitsschutzgesetz, kontext, historie, jugendarbeitsschutz
Arbeit zitieren
Tobias Manner-Romberg (Autor:in), 2010, Das Jugendarbeitsschutzgesetz im Kontext seiner Historie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275109

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