„Resignation“ (WoO 149) von Ludwig van Beethoven. Eine musikalische Analyse


Hausarbeit, 2014

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Erste Annäherung

3. Das Gedicht von Paul Graf von Haugwitz

4. Musikalische Analyse - Die Vertonung Beethovens

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Die im Seminar untersuchte musikalische Epoche ist mir - wahrscheinlich auch durch mein Blockflötenstudium bedingt - nicht ganz so vertraut wie die Barockzeit oder die Musik des 20. Jahrhunderts. Innerhalb dieser Epoche schien mir bisher immer Schubert näher zu liegen als Beethoven, da ich noch lebhafte Erinnerungen an die Behandlung der Winterreise während meiner Abiturzeit habe und mir damals die über Hans Zenders Interpretation vermittelte Idee der „historischen Ohren“1 eine Art Offenbarung war. Von Beethoven als Liederkomponisten wusste ich nur, dass oft gesagt wird, er verstünde es weniger gut, gesanglich-sängerisch zu komponieren.2

Von diesem Beethovenlied wurde ich durch den Titel sofort angesprochen. Es ist auch der Titel eines Bildes von Francisco de Goya, das bei mir zu Hause hängt. Was mich an dem Motiv so fasziniert, ist die Ambivalenz, die es ausstrahlt: Da ist zwar einerseits der unverkennbar niederzwingende Gestus der Resignation, andererseits verströmt es aber auch eine große innere Ruhe, die völlig frei von Schmerz zu sein scheint. Ich war neugierig, ob ich etwas davon auch in Beethovens Lied finden würde oder ob er „Resignation“ ganz anders interpretiert.

Bei der Analyse habe ich versucht, erst einmal meine eigenen Eindrücke zu Papier zu bringen, bevor ich mich mit der vorhandenen Literatur zu diesem Stück beschäftigt habe. Einige Dinge, die mir auffällig erschienen, müssen für Menschen, die sich schon länger mit Beethoven beschäftigen, nicht zwingend auffallend sein.

2. Erste Annäherung

Ich habe mich zunächst mit der Bedeutung des Wortes „Resignation“ auseinandergesetzt. Da dies nicht als Hauptthema zu behandeln ist, sondern lediglich dem Verständnis und einer späteren Interpretation dient, habe ich für die folgenden Ausführungen nur eine Internet-Quelle benutzt.3 Resignation leitet sich demnach vom Lateinischen re-signare ab: Das Feldzeichen (signum) senken, kapitulieren. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts soll es die „menschliche Haltung bzw. Gestimmtheit des Sichfügens in einer unausweichlichen Situation“ oder die Einsicht beschreiben, „dass ein angestrebtes Ziel mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht erreichbar ist“ oder - und in dieser Formulierung finde ich die Hervorhebung des aktiven Moments sehr wichtig - „die Einsicht, dass man sich nicht auf den erforderlich erscheinenden Einsatz oder die potentiellen Folgen einlassen will.“ Die Entsagung könne zwar eine (vorübergehende) Antriebsschwäche hervorrufen, diese sei jedoch deutlich von Apathie und Lethargie zu trennen. Kulturgeschichtlich sei „die Resignation manchmal als eine weise Bescheidung gerühmt worden, da sie helfe, Zorn und Eifer zu vermeiden“ und darüber hinaus eine „heitere Ruhe und ein Gefühl der Überlegenheit schenke.“

Interessant ist, dass der Terminus der Resignation in der Zeit der mittelalterlichen Mystik dem deutschen „Gelassenheit“ zur Seite gestellt wurde. (Letzteres hat heute eine deutlich positivere Konnotation.) Gelassenheit bedeutete in der Religion Selbstaufgabe und Ergebung in den göttlichen Willen. Die Verwandtschaft des Wortes mit „etwas (los)lassen“ wird sehr deutlich und erscheint in der Form von „sich losbinden“ im Gedicht Paul von Haugwitz’.

3. Das Gedicht von Paul Graf von Haugwitz

Paul Graf von Haugwitz lebte von 1791 bis 1856 und war der Sohn von Heinrich Christian Curt Graf von Haugwitz (1752 - 1832) und Johanna Katharina (geb. 1755 - ?), geb. von Tauentzien4. Seine Jugend verbrachte er zum großen Teil in Berlin. Er lebte ab 1806 aber auch zwei Jahre in Wien und könnte dort als 15-, 16-jähriger vielleicht nicht mit Beethoven persönlich, aber mit dessen Namen durchaus in Berührung gekommen sein. Die Jahrgänge des Fouqué'schen Frauentaschenbuchs 1816-1821 und verschiedene andere Almanache enthalten von ihm lyrische und erzählende Dichtungen, am bekanntesten ist er aber durch Übersetzungen aus dem Englischen (z. B. von Thomas Moore und einer Reihe von Werken Byrons) geworden.5

Beethoven selbst beschäftigte sich schon immer auch mit zeitgenössischen Dichtern, fand inspirierende Gedichte in Almanachen und Zeitschriften und unterhielt persönliche Kontakte zu Autoren, die ihm Gedichte in Manuskriptform zur Verfügung stellten.6 Der älteste bekannte Abdruck von Haugwitz Gedicht „Resignation“ stammt aus dem Jahr 1817 aus einem der Frauentaschenbücher7. Beethoven muss aber schon vorher damit bekannt gewesen sein, da Skizzen existieren, die man auf die Jahreswende 1814/15 datiert hat.8 Möglicherweise hatte er eine Abschrift von Haugwitz bekommen. Der Vermittler zwischen beiden könnte auch Johann Schickh gewesen sein9, der Herausgeber der Zeitschrift, in der 1818 die Komposition als Beilage erschien (die Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode 3, Nr. 39; 31.3.1818).10 Beethoven hatte ab 1800 eine recht hohes Ansehen in Wien, viele Periodika erbaten sich deshalb Beiträge von ihm.11

Der genaue Wortlaut des Gedichtes ist wie folgt (ohne Versnummern)12: Resignation.

(1) Lisch aus, mein Licht!
(2) Was dir gebricht,
(3) Das ist nun fort,
(4) An diesem Ort
(5) Kannst du’s nicht wieder finden!
(6) Du musst nun los dich binden,
(7) Sonst hast du lustig aufgebrannt,
(8) Nun hat man dir die Luft entwandt;
(9) Wenn diese fortgewehet,
(10) Die Flamme irre gehet,
(11) Sucht - findet nicht -
(12) Lisch aus, mein Licht!

Was mir als erstes auffiel, war die Kürze der ersten Verszeilen. Die Wörter sind größtenteils einsilbig, es gibt nur ein Wort mit mehr als drei Silben, d. h. sie sind von einer Kürze, die dem Deutschen nicht immer eigen ist Wahrscheinlich hätte sich so bei mir auch ohne das Wissen, welche Taktart und damit implizite Tempoangabe Beethoven wählte, das Gefühl einer Art Gehetztheit und Vorwärtsdrängens eingestellt. Die ersten vier Zeilen werden auch optisch immer kürzer und gedrängter. Die mittleren vier Verse sind dagegen länger und zum Ende zu verkürzen sich die Zeilen wieder, wenn man so will, einem „Aufflammen“ und wieder „Zurücksinken“ vergleichbar. Das Versmaß ist dementsprechend nicht ganz gleichmäßig, allerdings ergibt sich ein fast symmetrischer Aufbau aus Jamben: die ersten vier Zeilen zweihebig mit stumpfer Endung, in den nächsten zwei Zeilen dreihebig mit klingender Endung, danach zwei vierhebige mit stumpfer Endung und wieder Verkürzung zu zwei dreihebigen Jamben mit klingender Endung und zum Schluß noch einmal zwei zweihebige mit stumpfer Endung. Der Versakzent stimmt mit dem Sprachakzent natürlich nicht immer überein. Schon in der ersten Zeile könnte man „Lisch aus“ als vorgeschobenen Spondäus charakterisieren, denn die alleinige Betonung des „aus“ wäre etwas übertrieben, schließlich ist etwas anderes als auslöschen nur schwer denkbar (beim „Löschen“ geht es ja immer darum, das etwas weniger wird). Der Imperativ „Lisch“ hingegen wird natürlicherweise betont. Ähnlich in der 3. und 8. Zeile: bei „Das ist (nun fort)“ bzw. „nun hat (man dir...)“ wäre eine Einzelbetonung von „ist“ und „hat“ eher sinnwidrig. Bedeutungstragend wird der Sprachakzent meiner Meinung nach im 7. Vers. Unbetont klingt das Wort „sonst“ eher wie „andernfalls“ bzw. wie eine Fortsetzung des vorherigen Verses, was aber keinen Sinn ergäbe. „Sonst“ ist ganz sicher betont zu sprechen, im Sinne von „damals“ oder „früher einmal“.13 Und schließlich in Zeile 11 ganz unverkennbar die Verschiebung des Versfußes in Richtung eines dreihebigen Trochäus, dessen erste (und evt. letzte) Senkung ohne Silbe, also stumm, nur im Gedankenstrich angedeutet ist.

Bei der klanglichen Gestaltung fällt die Alliteration bzw. Assonanz zwischen „Lisch“ und „Licht“ auf. Die ersten fünf Verse werden durch den Vokal „a“ in den Anfangswörtern miteinander verbunden. Ansonsten findet man nicht übermäßig viele dunkle Vokale, wie man vielleicht nach der heutigen Auslegung des Titels vermuten könnte. Es findet sich hingegen in jedem Vers der helle Klang des „i“.

Ob das Lyrische Ich männlich oder weiblich ist, liegt sicherlich im Herzen des oder der Betrachtenden. Mir selbst kam es männlich vor, wahrscheinlich aufgrund der Autorschaft von Haugwitz und Beethoven und der Überzahl an männliche Interpreten dieses Liedes. Natürlich kann es genauso gut von einer Frau gesprochen werden. Trotz der neutralen Formulierung „was (dir gebricht), das (ist nun fort)“ war für mich immer klar, dass es sich um eine verlorene Liebe handeln muss. Aber bei weiterem Nachdenken kommt m. E. auch eine politisch Deutung, z. B. enttäuschte Reformhoffnungen, in Betracht. Möglich ist auch der Bezug auf einen Ort, der es jemanden nicht (mehr) ermöglicht, künstlerisch oder beruflich ein gutes Auskommen zu haben. Alles Themen, die auch in Beethovens Leben eine Rolle spielten.14 Das Lebensspendende - Lebensnotwendige - Lebenserhaltende ist jedenfalls fort, alles was das Leben lebenswert und „lustig“ macht. Hat sich da womöglich eineR „aufgezehrt“, „ausgebrannt“ und hat nun keine Kraft, keinen Lebensfunken mehr? Das Lyrische Ich ist aber anscheinend ohne eigene Schuld in diese Situation geraten, denn jemand, „man“, hat die Luft entwandt. Ohne diese erstickt alles, ist man dem Tode ausgeliefert. Dafür steht das Sinnbild der Kerze, die, des Sauerstoffs beraubt, immer mehr flackert, Lebensatem vergeblich „sucht“, und schließlich verlischt. Die Frage ist, ob mit dem Bild der Kerze der allerletzte Tod gemeint ist, oder nur einer der vielen kleineren, die wir im Verlaufe des Lebens sterben, z. B. wenn wir resignieren (müssen).

„Resignation“ ist im eigentlichen Sinne kein Strophengedicht, dennoch könnte man verschiedene Möglichkeiten finden, die Verse zu trennen. Beethovens Liedtext lautet:

Lisch aus, lisch aus, mein Licht!

was dir gebricht,

das ist nun fort; an diesem Ort

kannst du's nicht wieder finden!

Du mußt nun los dich binden,

ja, du musst nun los dich binden.

[...]


1 Gemeint ist der Gedanke, dass Schuberts Musik, die für viele heute vielleicht „langweilig“ klingt, damals aber eine „unerhörte“ Musik war. Und dass Hans Zender mit seiner Instrumentierung diese Neuartigkeit der Winterreise für unsere Ohren erlebbar machen wollte.

2 Viele meinen wohl auch, sein Liederschaffen stehe zahlenmäßig hinter seinen Instrumentalwerken zurück, er hat aber ähnlich viele Sololieder mit Klavierbegleitung geschrieben wie Felix Mendelssohn-Bartholdy, der als einer der Liederkomponisten des 19. Jh. gilt. (vgl. Boettcher, S. 2)

3 http://de.wikipedia.org/wiki/Resignation; 16.03.2014

4 http://www.berliner-klassik.de/forschung/Nathaus-Minister/haugwitz; 16.03.2014

5 http://www.deutsche-biographie.de/sfz28264.html; 16.03.2014

6 Seedorf, S. 549

7 Es ist sogar noch antiquarisch erhältlich.

8 Kritischer Bericht „Beethoven Gesamtausgabe“, S. 71

9 ebd.

10 West, S. 564

11 Seedorf, S. 552

12 Kritischer Bericht, S. 71f

13 http://www.duden.de/rechtschreibung/sonst; 1.4.2014

14 Kropfinger, Sp. 667-943

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
„Resignation“ (WoO 149) von Ludwig van Beethoven. Eine musikalische Analyse
Hochschule
Universität der Künste Berlin
Veranstaltung
Lieder und Gesänge von Mozart, Beethoven und Schubert
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
18
Katalognummer
V275640
ISBN (eBook)
9783656686538
ISBN (Buch)
9783656686507
Dateigröße
2218 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
musikalische, analyse, liedes, resignation, ludwig, beethoven
Arbeit zitieren
Juliane Kühne (Autor:in), 2014, „Resignation“ (WoO 149) von Ludwig van Beethoven. Eine musikalische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275640

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