Der Einfluss der frühen Fotografie auf die Malerei. Bildfindung bei Courbet und Leibl


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsangabe

1.Einleitung

2.Courbet und die Fotografie
2.1 Körperbilder
2.1.1 Die Aktfigur in “Das Atelier des Malers (Allégorie réelle)” (1855)
2.1.1.1. Zur Relation zwischen Gemälde und fotografischer Aktstudie
2.1.2 “Die Frau mit Papagei” (1866)
2.1.2.1 Zur Relation zwischen Gemälde und fotografischer Aktstudie
2.2.Landschaftsbilder
2.2.1. “Schloss von Chillon” (1874)
2.2.1.1 Zur Relation zwischen Gemälde 10 11 und Fotografie

3.Wilhelm Leibl und Fotografie
3.1 “Obstgarten von Kutterling” (1888)
3.1.1 Gemälde und fotografische Studie im Vergleich
3.2 “In der Bauernstube” (1890)
3.2 1 Gemälde und fotografische Studie im Vergleich

4.Fazit

5.Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Bekanntgabe der Erfindung des ersten praktikablen fotografischen Verfahrens, der Daguerreotypie, in Paris 1839 sollte nicht ohne Folgen für die künstlerische Wahrnehmung und Praxis des 19. Jahrhunderts bleiben.

Die Erfindung der Fotografie stieß auf einen für sie vorteilhaften Zeitgeist. So erschien im selben Jahr die erste Veröffentlichung von Auguste Comptes “Philosophie positive”, die den Wissenschaftsbegriff des 19. Jahrhunderts als “Herleitung der Gesetze aus der Beschreibung des Gegebenen”1 und sinnlich Erfahrbaren definieren sollte. Wichtigster Gegenstand der positivistischen Philosophie war neben der Soziologie die exakte Erforschung der Natur, die jegliche theologischen und metaphysischen Erklärungsmuster ersetzen sollte. Schnell in den Dienst der Wissenschaften, wie der Medizin, Ethnologie und Geologie gestellt, machte die Fotografie bislang Unsichtbares sichtbar, veränderte und schärfte zugleich so die Wahrnehmung der zeitgenössischen Wirklichkeit. Die von den Wissenschaften angestrebte Objektivität sollte auch für den Künstler zum Paradigma avancieren, weshalb diese die Fotografie mit ihrer vermeintlichen Exaktheit der Realitätsdarstellung zunächst als Bedrohung für den eigenen Berufsstand empfanden.2 So sahen sich die Künstler letztlich zur Neudefinierung ihrer künstlerischen Ausdrucksformen gezwungen und bemächtigten sich letztlich des neuen Mediums als künstlerisches Hilfsmittel.

Die Maler fanden in der Fotografie die Möglichkeit, sich in kürzester Zeit eine Sammlung an Naturstudien anlegen zu können, die, in traditioneller Manier geschaffen, mit hohem zeitlichen Aufwand, als auch Modellkosten verbunden, dabei aber mit geringerer Vollkommenheit zu erreichen gewesen wären. Die Fotografie erleichterte damit erheblich den Arbeitsprozeß des Künstlers, zumal die Herstellung von Naturstudien ausschließlich professionellen Fotografen vorbehalten war. Diese wiederum sahen neben der Portraitfotografie, das Anfertigen von Vorlagenstudien zunächst als ihre wichtigste Aufgabe an, in der sie die Möglichkeit zur Aufwertung ihres Handwerks als Kunst sahen3. Ab 1850 ist folglich eine blühende Bilderindustrie mit fotografischen Vorlagenstudien zu verzeichnen, die, über Buch-, Graphik- und Kunsthandel vertrieben, als Musterblätter letztlich auch Eingang in die Kunstakademien,sowie in die Künstlerateliers fanden.4 Obwohl sich die Fotografie als künstlerisches Hilfsmittel schnell etabliert hatte, war der Umgang der Künstler mit dieser sehr unterschiedlich, da nach damaligem Kunstverständnis, “ein originales Kunstwerk keinesfalls auf photographische, d. h. mechanistische Anregungen zurückgehen (durfte)”5. Als einer der ersten Maler bediente sich Gustav Courbet (1819-1877) fotografischer Vorlagenstudien, was ihm angesichts der Nähe seiner Gemälde zur Fotografie den Vorwurf der Zeitgenossen einbrachte, mangels Erfindungsgabe seine Kunst zum reinen Handwerk, zur “knechtische(n) Nachahmung” (Maxime du Camp)6 der Realität herabgewürdigt zu haben7. Ob dieser Vorwurf der “bloßen Nachahmung” auf das künstlerische Schaffen Courbets tatsächlich zutreffend erscheint, und inwieweit sich Courbet fotografischer Vorlagenstudien innerhalb seines Werkprozesses bediente, möchte ich im folgenden anhand meiner ausgewählten Bildbeispiele8 herausarbeiten. Daneben möchte ich Wilhelm Leibls (1844 -1900) Umgang mit dem neuen Medium beleuchten, um schließlich konkretisieren zu können, inwiefern die Fotografie formgebend für die Konzeption beider Künstler von einer realistischen Malerei war.

2. Gustav Courbet und die Fotografie

2. 1. Körperbilder

Das vielfältigste Angebot an Vorlagenstudien für den Künstler bot der Akt. So war auch Courbet im Besitz zahlreicher Aktfotografien9, derer er sich innerhalb seines Schaffensprozesses bediente. Da verbürgt ist, dass Courbet 185810 “La Dame de Munich” nach einer Fotografie gemalt hatte11, wurden folglich weitere Gemälde des Künstlers auf fotografische Vorlagen zurückzuführen gesucht12. Die diesbezüglichen Recherchen gestalteten sich allerdings schwierig, konnten doch Courbets fotografische Studien aufgrund der Plünderung seiner Ateliers in Paris und Ornans während des Deutsch-Französischen Krieges, als auch aufgrund Juliette Courbets Zerstörung dieser13 nicht überliefert werden14. In der von mir verwendeten Literatur werden zahlreiche Fotografien angeführt, die Courbet als Vorlagen für einzelne Werke gedient haben sollen. Historisch belegbar sind die einzelnen Zuschreibungen nicht, jedoch läßt die Tatsache, dass Courbet in freundschaftlicher Verbindung zu renommierten Fotografen seiner Zeit stand, deren Ateliers regelmäßig besuchte und folglich die Modelle und Produktionen sehr wohl kannte15, eine ideelle Beeinflußung einzelner Werke durch Fotografien als wahrscheinlich anmuten.

2. 1. 1 Die Aktfigur in “ Das Atelier des Malers (All é gorie r é elle) ” (1855)

Im Begriff “Das Atelier” zu malen, erinnerte sich Courbet einer Aktfotografie, die er 16 bei seinem Freund und Mäzen Alfred Bruyas gesehen hatte. In einem Brief, datiert mit Dezember 185417, bat Courbet diesen, ihm “jene Aufnahme einer nackten Frau, die ich Ihnen nannte” zu schicken, “(s)ie wird hinter einem Stuhl in der Mitte meines Bildes stehen”18. Weiter gab er an, nur noch zwei Tage für die Schaffung jeder einzelnen Figur zu haben, weshalb Schmoll gen. Eisenwerth (1970), sich auf ältere Autoren stützend, annahm, dass Courbet die gewünschte Aktfotografie als Vorlage für seine zentrale Figur gedient haben musste19. Als diese wurde erstmals von Jean Adhémar (1955) eine Aktstudie des Pariser Malers und Fotografen Julien Vallou de Villeneuve vorgeschlagen20, der sich als Lithograph der “Imagerie galante” einen Namen hatte machen können und 1851-1855 eine populäre Fotoserie von Frauenakten unter dem Titel “Etudes daprès nature” als Künstlervorlagen herausgebracht hatte21. Die Assoziation des “Stehende(n) Akt(s) mit vorgehaltenem Gewand” (1854)22 von Vallou mit Courbets Aktfigur im Ateliergemälde wurde im folgenden stets von jüngeren Autoren aufgegriffen, ohne jedoch dieser kritisch nachgegangen zu sein, noch diese bestätigt zu haben23. Inwieweit sich die genannte Fotografie als Vorlage für die gemalte Figur tatsächlich hat eignen können, möchte ich nun anhand des Vergleich beider Medien skizzieren.

2. 1. 1. 1 Zur Relation zwischen Gem ä lde und fotografischer Aktstudie

In Courbets Gemälde “Das Atelier des Malers (Allégorie réelle)” fungiert neben dem autoportraitierten Künstler, der im Begriff ist, ein Landschaftsgemälde zu malen, eine nackte Frau als Zentralfigur, die rechts von dem sitzenden Maler positioniert wurde. Diese ist ins Dreiviertelprofil gewandt dargestellt und blickt, mit zu ihrer rechten Seite hin leicht geneigtem Kopf, auf das Landschaftbild. Die Aktfigur hält einen langen, weißen Stoff, der sich links von ihr vom Boden an über ihr linkes Knie zum Oberkörper hin windet, in lockerer Manier mit ihrer linken Hand über ihre rechte Brust, sodass der Anblick auf ihre Silhouette in Dreiviertelansicht freigegeben wird und nur ihre rechte Körperpartie verhüllt bleibt. Im rechten Bildvordergrund lagert Kleidung unsäuberlich auf dem Boden über der Ecke eines niedrigen Stehpodests, das die Figur als ein Aktmodell identifizieren und damit ihre Nacktheit logisch erscheinen lässt. Das Kleid bildet den direkten formalen Übergang zum schützenden weißen Stoff, der eine fließende Form zwischen dem autoportraitierten Courbet und dem Modell schafft. Das Kleid ist den Nuancen des Inkarnats der Aktfigur sehr nahe, weshalb der Eindruck einer erhöhten, sockelartigen Stellung optisch gestärkt würde, stünde das Modell auf dem niedrigen Podest zu ihrer Linken. So jedoch, neben das Stehpodest positioniert, vor allem aber sich hinter dem Künstler befindend, der im Begriff ist, eine figurenlose Landschaft zu malen, wird die Figur einer logischen Funktion als Aktmodell innerhalb des Bildgeschehens beraubt und folglich zu einer Allegorie stilisiert. In ihrer naturnahen Körpermodellierung blickt die Nackte “in die Natur”, derer Teil sie selbst ist und bildet eine formale Einheit mit dem durch die kompositorische Verbindung zum Landschaftsgemälde an eine Quelle erinnernden, fließenden Stoff. So scheint diese, hinter dem Künstler positioniert, als dessen Inspiration, folglich als Metapher für die reine Inspirationsquelle der Natur zu fungieren. Abseits vom Podest als Subjekt und nicht als ein zur idealen Figur zu malendes Objekt akademischer Tradition dargestellt, wird die Aktfigur gleichzeitig zu einer Allegorie der Wahrheit24 erhoben.

[...]


1 Schaar, Eckhard: Courbet und die Photographie. 1978, S. 524.

2 Vgl. ebd. S. 524-525.

3 Die Fotografie hatte in ihren Anfängen stets das Stigma des Technischen, Neutralen und des Seelenlosen gegenüber der Individualität und Genialität des Künstlers zu tragen, weshalb die Fotografen mit dem Nachempfinden malerischer Gestaltungsformen (wie z. B. Idealisierung durch Retusche und Requisiten als Nobilitierung des neuen Mediums) in den gefertigten Vorlagen ihr Handwerk als autonome Kunst zu etablieren trachteten. Vgl. Pohlmann, Ulrich: Ein(e) neue Kunst? Eine andere Natur!: Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert. 2004, S. 11 u. 73.

4 Vgl. ebd., S. 10-12.

5 Schaar (1978), S. 524.

6 Zitiert nach Pohlmann (2004), S. 13.

7 Vgl. Schaar (1978), S. 524 u. ebd..

8 Bei der Bildauswahl habe ich einzelne Werke herausgegriffen, die der Literatur nach auf fotografischen Vorlagen basieren. Dabei habe ich versucht, die einzelnen Genre zu erfassen.

9 Dies belegt das 1872 erstellte Inventar des während der Besetzung im Deutsch-Französischen Krieg geplünderten Ateliers in Ornans, in dem die “ quantités de photographies de femmes nues” verzeichnet sind. Vgl. de Font-Réaulx , Dominique: Courbet et la Photographie: Lexemple dun peintre réaliste, entre vérité et réalité. 1997, S. 86.

10 Datierung nach Toussaint, Hélène: Gustav Courbet (1819-1877). 1977, S. 187.

11 Dies wird durch den Frankfurter Maler Otto Scholderer in einer Korrespondenz an seinen Pariser Kollegen Fantin-Latour überliefert. Vgl. Schmoll, Josef A., gen. Eisenwerth: Malerei nach Fotografie: Von der Camera Obscura bis zur Pop-Art. Eine Dokumentation. 1970, S. 45, sowie Bajou-Charpentreau, Valérie: Courbet. 2003, S. 326.

12 So u. a. von Aaron Scharf, der 1968 in seinem Werk “Art and Photographie” als einer der ersten Courbets gelegentliche Benutzung fotografischer Vorlagen nachzuweisen suchte. Vgl. Schaar (1978), S. 524.

13 Geleitet von der Angst, der Fund fotografischer Vorlagen könne das öffentliche Ansehen Courbets als genialer Künstler trüben, zerstörte die Schwester Juliette Courbet als rechtsmäßige Erbin nach dem Tod des Bruders dessen fotografischen Aktstudien. Vgl. de Font-Réaulx (1997), S. 86.

14 Vgl. ebd..

15 Vgl. ebd..

16 Der Originaltitel lautet “LAtelier du peintre, allégorie rélle déterminant une phase de sept années de ma vie artistique”. 1855, Öl auf Leinwand, 359 x 598 cm, Paris, Musée dOrsay. Siehe Masanès, Fabrice: Gustav Courbet. 1819-1877. Der letzte Romantiker. 2006. S. 50/51.

17 Vgl. de Font-Réaulx (1997), S. 87.

18 Zitiert nach Schaar (1978), S. 540.

19 Vgl. Schmoll gen. Eisenwerth (1970), S. 45.

20 Vgl. de Font-Réaulx (1997), S. 87.

21 Vgl. Pohlmann (2004), S. 72.

22 Ausgeführt am 17. Januar 1854, Albuminabzug, vermutlich nach Wachspapiernegativ, 14 x 9 cm, Paris, Biliothèque Nationale. Siehe Schaar (1978), S. 539.

23 Vgl. de Font-Réaulx (1997), S. 87. Dieser sucht im Folgenden der Assoziation Adhémars kritisch nachzugehen und kann letztlich belegen, dass das Modell in Vallous Fotografie sowohl für den Fotografen, als auch für Courbet regelmäßig posiert hatte. Mangels diesbezüglichen Dokumenten bleibt jedoch offen, ob es sich bei der von Courbet gewünschten Fotografie tatsächlich um die Aktstudie Vallous handelte.

24 Vgl. Schmoll gen. Eisenwerth (1970), S. 45.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss der frühen Fotografie auf die Malerei. Bildfindung bei Courbet und Leibl
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Kunstgeschichtliches Seminar)
Veranstaltung
Von Courbet bis Leibl – Zum Realismusbegriff
Note
1,6
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V276295
ISBN (eBook)
9783656694625
ISBN (Buch)
9783656695813
Dateigröße
670 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
einfluss, fotografie, malerei, bildfindung, courbet, leibl
Arbeit zitieren
Eliza Grabarek (Autor:in), 2007, Der Einfluss der frühen Fotografie auf die Malerei. Bildfindung bei Courbet und Leibl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276295

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