In den Untersuchungen zur nationalsozialistischen Frontpropaganda werden neben deren Organisation und den Inhalten immer auch die Verteilungsmittel der Flugblattpropaganda thematisiert. Dabei finden sich zwar immer wieder Verweise auf das Deutsche Propaganda-Atelier (DPA), dessen Geschichte, Aufbau und genaue Funktion werden allerdings nirgends weiter erläutert. Daher widmet sich der Aufsatz der Geschichte dieser wenig bekannten deutschen Propagandainstitution und wirft damit auch einen Blick auf die Organisation der deutschen Frontpropaganda im Zweiten Weltkrieg. Insbesondere die Entwicklung von neuen Verbreitungsmitteln für die Flugschriften durch das DPA und die Probleme und Widerstände, die sich der deutschen Aktivpropaganda gegen den Feind entgegenstellten werden am Beispiel des DPA erläutert.
Inhaltsverzeichnis
- Nachdem der Erste Weltkrieg für Deutschland mit einer Niederlage geendet hatte und das Kaiserreich von einer Revolution weggefegt worden war, stand für die nationale Rechte Deutschlands fest, dass die Niederlage nur durch einen „Dolchstoß“ in den Rücken des deutschen Heeres zu erklären war, wie Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg in seiner berühmten Aussage am 18. November 1919 vor dem zweiten Unterausschuss des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung der Ursachen für den deutschen Zusammenbruch behauptet hat.
- Die Dolchstoßlegende blieb mit ihren antisemitischen Elementen während der gesamten Periode der Weimarer Republik lebendig und wurde zu einem wichtigen Bestandteil der nationalsozialistischen Propaganda².
- Ein integrativer Bestandteil des Vorwurfs war die Unterstellung, die alliierte Agitation habe einen wesentlichen Anteil daran gehabt, dass es zu dem ominösen Dolchstoß gekommen sei, „den die Heimat der kämpfenden Truppe versetzte, aufgewiegelt und irregeleitet von den Versprechungen der Feindpropaganda. Am Ende aber dieses Feldzuges mit der anderen Waffe' wetterleuchtete Versailles"³.
- Aus dieser Erfahrung und Deutung der geistigen Kriegführung des Ersten Weltkriegs ging der Glaube an die Macht der Propaganda als Kriegswaffe hervor, dessen berüchtigtste Manifestation der fast allumfassende Propagandaapparat des Dritten Reiches mit Joseph Goebbels an der Spitze wurde*.
- Nicht nur die eigene Bevölkerung bearbeiteten die kriegführenden Parteien des Zweiten Weltkriegs mit propagandistischen Mitteln aller Art, sondern auch die feindlichen Soldaten wurden erneut zum Ziel massiver Propagandakampagnen.
- Die Wehrmacht setzte Feind- und Frontpropaganda sowohl an der Ostfront, wie auch im Westen als Kriegswaffe gegen die gegnerischen Truppen ein, ebenso wie die deutschen Landser von den Feinden mit solcher Propaganda eingedeckt worden sind.
- Eine ausgiebige Dokumentation der Flugblattpropaganda des Zweiten Weltkriegs hat Klaus Kirchner mit einer umfangreichen Reihe von 18 Katalogen vorgelegt, in denen zahlreiche Flugschriften der wichtigsten Kriegsparteien in Europa zwischen 1939 und 1945 faksimiliert sind.
- Der Organisation der deutschen Kampfpropaganda zwischen 1939 und 1945 ist in den letzten Jahren vor allem Daniel Uziel mit seiner Dissertation und mehreren Aufsätzen nachgegangen.
- Daneben geben auch einige ältere Arbeiten einen guten Einblick in den Aufbau und die Durchführung der NS-Frontpropaganda, darunter die Erinnerungen des kommandierenden Offiziers der Propagandatruppen Hasso von Wedel.
- In den Untersuchungen zur nationalsozialistischen Frontpropaganda werden neben deren Organisation und den Inhalten immer auch die Verteilungsmittel der Flugblattpropaganda thematisiert.
- Dabei finden sich zwar Verweise auf das Deutsche Propaganda-Atelier (DPA), dessen Geschichte, Aufbau und genaue Funktion werden allerdings nirgends weiter erläutert.³
- Weitergehende Forschungsliteratur über das Atelier ist daher bisher noch ein Desiderat der Forschung, obwohl das DPA als Tochterunternehmen des „,Reichministeriums für Volksaufklärung und Propaganda“ (RMVP) neben der Wahrnehmung von anderen propagandistischen Aufgaben auch die zentrale deutsche Entwicklungsstelle für die technische Verbreitung von Propagandaflugblättern war.
- Nachdem im Folgenden die Organisation der NS-Frontpropaganda noch einmal kurz dargestellt worden ist, soll aus diesem Grund die nachstehende Abhandlung auf Grundlage von bisher unbeachteten Akten aus dem Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde einen Einblick in die Organisation und die Arbeit des DPA geben.
- Insbesondere die Entwicklungsabteilung des DPA in Rüdersdorf, die für die Entwicklung neuer Verbreitungstechniken verantwortlich war, wird dabei betrachtet.
- Dadurch wird deutlich werden, wie die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs noch provisorischen Verteilungsmethoden der deutschen Feindpropaganda immer weiter perfektioniert und den herrschenden Umständen (etwa der steigenden Materialknappheit) angepasst wurden.
- Anhand der Arbeit der Entwicklungsabteilung des DPA wird aber auch ersichtlich werden, dass die Entwicklung neuer Propagandatechniken nicht von allen Instanzen der NS-Bürokratie gefördert wurde, sondern die Feindpropaganda teilweise sogar mit Behinderungen zu kämpfen hatte, wie ein Blick auf die geplante Zersetzungspropaganda gegen die alliierten Invasionstruppen vor und nach der Landung in der Normandie im Juni 1944 zeigen wird.
- Mit welchen Taktiken und Mitteln Wehrmacht und SS gegen die Psyche der vormarschierenden Westalliierten in Frankreich und später in Deutschland vorgehen wollten und die Rolle der technischen Entwicklungen des DPA wird dabei ebenfalls thematisiert werden.
- Vor allem aber soll eine weitere Beforschung des Deutschen Propaganda-Ateliers angeregt werden, das nicht nur auf dem Gebiet der Frontpropaganda, sondern auch in vielen Fragen der Inlandspropaganda aktiv und innovativ war.
- Zwar steht das DPA sicherlich nicht stellvertretend für die gesamte NS-Propaganda oder deren Einsatz im Krieg, aber die Geschichte dieser Institution offenbart, wie die Propaganda-Vorgaben aus dem Propagandaministerium und der Wehrmacht praktisch umgesetzt wurden, welche Probleme dabei gemeistert werden mussten und welche Lernprozesse die Entwickler der nationalsozialistischen Agitation durchlaufen haben, um deren technischen Aspekte zu perfektionieren.
- Die NS-Frontpropaganda
- In seinen Kriegserinnerungen attestierte Erich Ludendorff der deutschen Führung ein völliges Versagen angesichts der mehr als 65 Millionen Flugschriften, die von den Alliierten über den deutschen Linien an der Westfrontverbreitet verbreitet worden waren.
- Gleichzeitig drückte er aber auch seine Bewunderung für die feindlichen Propagandisten aus: „Auf die feindliche Propaganda starrten wir, wie das Kaninchen auf die Schlange. Sie war ausnehmend großzügig und geschickt, arbeitete mit starken, auf die Massen wirkenden Gedanken, in vollständiger Übereinstimmung mit der Kriegführung und gebrauchte skrupellos alle Mittel “¹º.
- Auch andere führende Militärs, wie der spätere Reichspräsident Paul von Hindenburg, oder der Leiter des militärischen Geheimdienstes der Obersten Heeresleitung (OHL) Oberst Walter Nicolai zeigten sich überzeugt von der Wirksamkeit der feindlichen Propaganda¹¹.
- Unterstützt wurden sie dabei von den Veröffentlichungen alliierter Propagandisten des Ersten Weltkriegs, die sich mit den angeblichen Erfolgen ihrer Propagandaoffensiven brüsteten ¹².
- Auch auf Adolf Hitler hatte die Kriegspropaganda des Ersten Weltkriegs offenbar einen solch starken Eindruck gemacht, dass er diesem Thema ein ganzes Kapitel in „Mein Kampf“ widmete ¹³.
- Wenn auch die Betonung der verheerenden Wirkung der Zersetzungspropaganda der Entente zu einem nicht geringen Teil dazu diente, die Fehler der eigenen Kriegführung zu kaschieren, blieb die Erkenntnis, dass in einem zukünftigen Krieg auf die geistige Kriegführung ein besonderes Auge zu werfen war, wenn man auf deutscher Seite nicht erneut im Kampf mit den „Anderen Waffen“ unterliegen wollte¹⁴.
- Auch wenn er sich objektiv betrachtet nicht wirklich messen ließ, trug die stetige Betonung des geradezu legendären Erfolgs der alliierten Propaganda gegenüber den deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg entscheidend dazu bei, gerade im nationalistischen Lager falsche und überzogene Annahmen über die Wirkungsmacht der Propaganda im Kriegseinsatz zu wecken" ¹⁵.
- Ein direktes Resultat aus diesen Deutungen der gegnerischen Propaganda im Ersten Weltkrieg und dem vermeintlichen Versagen der deutschen psychologischen Kriegführung war die gewaltige Propagandamaschinerie, die von den Nationalsozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP) nach ihrem Machtantritt geschaffen wurde und deren bekannteste Institution das Reichministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels war¹⁶.
- Das Ministerium war am 13. März 1933 zum „Zwecke der Aufklärung und Propaganda unter der Bevölkerung über die Politik der Reichsregierung und den nationalen Wiederaufbau des deutschen Vaterlandes“ gegründet worden¹⁷.
- Zwei Tage zuvor waren die Mitglieder der Reichsregierung außerhalb der Tagesordnung davon in Kenntnis gesetzt worden, dass die Gründung eines solchen Ministeriums notwendig war.
- Adolf Hitler nutzte in seiner Begründung für die Dringlichkeit der Schaffung dieser neuen und bis dahin in der deutschen Geschichte einmaligen Behörde die Befürchtungen vor einem nochmaligen Unterliegen in einem künftigen Propagandakrieg aus.
- Er wies unter anderem darauf hin, dass die Arbeit eines solchen Ministeriums nicht nur für die „Vorbereitung wichtiger Regierungshandlungen“, sondern auch „für den Kriegsfall“ unverzichtbar sei¹⁸.
- Mit Hilfe des RMVP etablierten die Nationalsozialisten ihre staatliche Propaganda als ein „politisches Führungsmittel mit dessen Hilfe eine geschlossene Ausrichtung des Volkes in allen polit. Fragen sichergestellt“ war¹⁹.
- Aus diesem Grund wies das RMVP die gleichgeschaltete Presse 1937 an, „das Wort, Propaganda“ nicht missbräuchlich zu verwenden.
- Propaganda ist im Sinne des neuen Staates gewissermaßen ein gesetzlich geschützter Begriff geworden und soll nicht für abfällige Dinge Verwendung finden. […] Kurzum-Propaganda nur dann wenn für uns, Hetze wenn gegen uns “20.
- Als Resultat dieser allgegenwärtigen Propaganda zeigte sich, dass die NSDAP die deutsche Bevölkerung völlig abhängig von der staatlichen Informationspolitik machte und von den internationalen Informationsströmen so gut wie ausschloss²¹.
- Durch diese weitgehende Abschottung war es möglich, die ideologische Indoktrinierung der eigenen Bevölkerung ungehemmt und ungehindert voranzutreiben, um die Treue zum Regime felsenfest in den Deutschen zu verankern.
- Hier spiegelt sich wieder die Lehre aus dem Ersten Weltkrieg, da man durch absolute Regimetreue einen nochmaligen Zusammenbruch wie im November 1918 zu verhindern suchte.
- Durch ihre unbedingte Treue zum Führer sollten auch die Soldaten der Wehrmacht gegen die Einflüsse der feindlichen Kriegspropaganda immunisiert werden, denn wie Goebbels in einem Leitartikel im März 1941 konstatierte, waren die Soldaten des NS-Regimes „nicht nur militärische, sie sind auch politische Soldaten. Sie vertreten eine neue Weltanschauung. Damit aber sind sie vollkommen immun gegen heimtückische Verführungskünste.“
- Der Krieg war nicht nur in den Augen von Goebbels zu einem Kampf der Ideologien geworden, den das Deutsche Reich diesmal gewinnen würde, denn „[i]n diesem Lande findet eine Parole aus London keinen Widerhall. Sie wird nicht aufgenommen sondern verhallt. Uebrig bleiben die harten Realitäten des Krieges, eine militärische Situation, ungleich günstiger für uns als im Weltkriege, die bekanntlich auch nicht zur Kapitulation gezwungen hatte, wenn nicht der Zusammenbruch des deutschen Volkes auf seelischem Gebiet dazu den Anlass gegeben hätte “22.
- Für die Nationalsozialisten war von Beginn an klar, dass sie den Fehler der militärischen und zivilen Führung im Ersten Weltkrieg auf keinen Fall wiederholen durften, die Macht der Propaganda zu unterschätzen.
- Das galt für Friedenszeiten und noch stärker für den Kriegszustand, weshalb man ab dem 13. März 1933 ein eigenes Ministerium für Propaganda einrichtete.
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Geschichte des Deutschen Propaganda-Ateliers (DPA) im Zweiten Weltkrieg. Sie untersucht die Organisation und Funktionsweise des DPA als zentrale Entwicklungsstelle für die technische Verbreitung von Propagandaflugblättern im Rahmen der NS-Feindpropaganda.
- Die Rolle der Propaganda als Kriegswaffe im Ersten und Zweiten Weltkrieg
- Die Entwicklung und Organisation der NS-Feindpropaganda
- Die Arbeit des Deutschen Propaganda-Ateliers (DPA) und seine Bedeutung für die Verbreitung von Propagandaflugblättern
- Die Entwicklung neuer Verbreitungstechniken und die Herausforderungen, denen das DPA gegenüberstand
- Die Bedeutung der technischen Aspekte der Propaganda für den Erfolg der NS-Feindpropaganda
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Entstehung der Dolchstoßlegende und ihre Bedeutung für die nationalsozialistische Propaganda. Es wird gezeigt, wie die Legende die deutsche Bevölkerung auf die Gefahr einer erneuten Niederlage im Krieg vorbereitete und die Bedeutung der Propaganda als Kriegswaffe unterstrich.
Das zweite Kapitel widmet sich der Organisation und Funktionsweise der NS-Frontpropaganda. Es werden die wichtigsten Akteure und Institutionen der Propaganda vorgestellt, darunter das Reichministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) unter Joseph Goebbels.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der Geschichte des Deutschen Propaganda-Ateliers (DPA) und seiner Rolle bei der Entwicklung und Verbreitung von Propagandaflugblättern. Es werden die verschiedenen Abteilungen des DPA vorgestellt und die Herausforderungen, denen das Atelier gegenüberstand, beleuchtet.
Das vierte Kapitel analysiert die Entwicklung neuer Verbreitungstechniken und die Bedeutung der technischen Aspekte der Propaganda für den Erfolg der NS-Feindpropaganda. Es werden Beispiele für die Verwendung von Flugblättern, Lautsprechern und anderen technischen Mitteln zur Verbreitung von Propaganda vorgestellt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen das Deutsche Propaganda-Atelier (DPA), die NS-Feindpropaganda, die Flugblattpropaganda, die technische Verbreitung von Propaganda, die Entwicklung neuer Verbreitungstechniken, die Herausforderungen der NS-Propaganda, die Bedeutung der Propaganda als Kriegswaffe und die Rolle der Propaganda im Zweiten Weltkrieg.
- Quote paper
- M.A. Christian Koch (Author), 2013, Das Deutsche Propaganda-Atelier und die NS-Feindpropaganda im Zweiten Weltkrieg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276414