Der Bystander-Effekt. Wie persönliche und situative Faktoren unser Hilfeverhalten beeinflussen


Hausarbeit, 2011

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

1. Einleitung

2. Der Bystander-Effekt
2.1 Geschichtlicher Hintergrund
2.2 Die Entdeckung des Bystander-Effekts
2.3 Gründe für das Auftreten des Bystander-Effekts

3. Beeinflussende Faktoren
3.1 Persönliche Einflussgrößen
3.2 Situative Einflussgrößen

4. Resumé

5. Literatur

Zusammenfassung

Das Phänomen, dass Individuen dazu neigen, in Gegenwart anderer wegzuschauen, wenn eine andere Person Hilfe benötigt, ist berüchtigt. Dass es sich dabei allerdings um ein sozialpsychologisch erforschtes Konzept, um den Bystander-Effekt, handelt, ist nur wenigen Menschen geläufig. Es werden die beiden wesentlichen Ursachen für diese menschliche Verhaltenstendenz, die Verantwortungsdiffusion und die Pluralistische Ignoranz, erklärt werden. Darüber hinaus wird auf zusätzliche Aspekte eingegangen werden, die die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Bystander-Effekt auftritt, erhöhen können. Dabei werden persönliche von situativen Einflussfaktoren abgegrenzt. Weiterhin werden Maßnahmen angesprochen werden, die dazu dienen können, den Bystander-Effekt in zukünftigen Situationen zu verhindern.

1 Einleitung

Immer wieder berichten Medien von Überfällen und Gewaltakten in der Öffentlichkeit. Obwohl oft eine Vielzahl von Passanten zu Zeugen solcher Taten wird, greifen die wenigsten dieser Menschen in die jeweilige Situation ein, um dem Opfer oder den Opfern zu helfen. So geschieht es auch am 11. Februar 2011 als sich der Maler- und Lackierermeister Marcel R. zusammen mit einem Kollegen auf dem Heimweg von der Arbeit befindet: In der Berliner U-Bahn-Station „Lichtenberg“ werden sie von vier Jugendlichen überfallen. Während sein Kollege fliehen kann, wird Marcel R. von den Tätern brutal zusammengeschlagen. Selbst als er am Boden liegt, treten die jungen Männer weiter auf ihn ein, bis er schließlich ins Koma fällt. Anschließend wird er von seinen Peinigern ausgeraubt. Das Video der Überwachungskamera des U-Bahnhofs dokumentiert dieses Szenario und zeigt darüber hinaus auch Passanten, die den Vorfall ignorieren. Lediglich ein Pärchen leistet Hilfe, indem es die Polizei ruft.

Damit half das Pärchen auf indirekte Weise: Bei dieser berichtenden Art der Hilfestellung teilt man einer anderen, qualifizierteren Person seine Beobachtungen mit und überträgt ihr so die Verantwortung. In der Regel erfolgt der indirekte Weg zur Hilfe über die Polizei, allerdings sind auch andere Optionen (z.B. die Frage nach einem zufällig anwesenden Arzt im Falle eines Unfalls oder eines anderen medizinischen Notfalls) denkbar. Konträr zu dieser Form von Hilfeverhalten ist der direkte Weg: Dabei hilft man, indem man unmittelbar in die Situation eingreift. So spricht man beispielsweise beim Schlichten einer gewalttätigen Auseinandersetzung oder beim Löschen eines Feuers von direkter Hilfeleistung. Diese Art zu helfen, zeichnet sich dadurch aus, dass sie oftmals bestimmte Fähigkeiten, Wissen und körperliche Kraft voraussetzt und darüber hinaus ein gewisses Gefahrenpotential für den Helfer beinhalten kann (Darley & Latané, 1968).

Der zuvor geschilderte Fall von Marcel R. ist nur eins von vielen Beispielen, in denen Menschen zu Zeugen einer Straftat wurden und dennoch nicht einschritten. Dieses Verhaltensmuster ist sogar weitreichender als man zunächst denken könnte: Im Rahmen der sozialpsychologischen Forschung wurden viele Studien zu diesem Thema durchgeführt, die dazu dienten, das oben beschriebene Phänomen zu identifizieren und zu erklären. John M. Darley und Bibb Latané gelten als Pioniere auf diesem Gebiet und prägten durch ihre Untersuchungen den Begriff des „ Bystander-Effekts “ (zu Deutsch: „Zuschauer-Effekt“).

Gegenstand dieser Hausarbeit ist der Hintergrund und die Entdeckung des Bystander-Effekts. Gründe, die dieses Phänomen verursachen, werden aufgeführt. Darüber hinaus wird auf Faktoren eingegangen, die die Auftretenswahrscheinlichkeit dieses Effekts erhöhen.

Im zweiten Abschnitt wird der Fall „Kitty Genovese“ erläutert, der den geschichtlichen Hintergrund darstellt. Dieses Ereignis war der Auslöser, der Darley und Latané dazu bewegte, das Phänomen des Bystander-Effekts zu untersuchen. Auf zwei ihrer wichtigsten Studien zu dieser Thematik (Darley & Latané, 1968, 1970) wird im Folgenden genauer eingegangen. Schließlich wird die Begrifflichkeit des „Bystander-Effekts“ definiert und Ursachen für sein Erscheinen werden erläutert.

Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit Einflussgrößen, die Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit haben, mit der der Bystander-Effekt auftreten wird. Dabei wird anhand einer Studie von Karakashian, Walter, Christopher und Lucas (2006) zunächst ein Beispiel für Faktoren, die von der Persönlichkeit eines Individuums abhängen, erwähnt. Dem werden einige Beispiele für situative Einflussfaktoren entgegengestellt, die in einer Studie von William Howard und William D. Crano (1974) getestet wurden.

Der vierte Abschnitt bildet das Resumé, das abschließend das Zusammenspiel von persönlichen und situationalen Einflussgrößen zusammenfasst. Außerdem werden Hinweise gegeben, die dazu nützlich sein können, den Bystander-Effekt zukünftig zu vermeiden.

2 Der Bystander-Effekt

Im Folgenden wird zuerst der geschichtliche Kontext des Bystander-Effekts skizziert, der als Beweggrund für John M. Darley und Bibb Latané, Forschung in diesem Bereich anzustellen, gilt. Anhand ihrer ersten Studie (Darley & Latané, 1968) wird die Begriffsdefinition des „Bystander-Effekts“ illustriert. Außerdem werden die von Darley und Latané angenommenen Ursachen für dieses Phänomen reflektiert.

2.1 Geschichtlicher Hintergrund

Das ausschlaggebende Ereignis, das die Erforschung des Bystander-Effekts hervorbrachte, war der im Jahr 1964 verübte Mord an Kitty Genovese: Die in New York lebende Frau wurde damals auf offener Straße erstochen. Obwohl sie lautstark um Hilfe bat, griff keiner der Anwohner ein (Aronson, Wilson & Akert, 2008). Anders als die Presse glaubten John M. Darley und Bibb Latané nicht daran, dass dieses Ereignis lediglich auf die Gleichgültigkeit und Kaltblütigkeit der New Yorker zurückzuführen sei. Aus diesem Grund stellten sie eine Reihe von Studien an, in denen sie ähnliche Situationen simulierten, um eventuell eine Systematik hinter diesem Verhalten des Nicht-Eingreifens aufzudecken.

2.2 Die Entdeckung des Bystander-Effekts

Darley und Latané (1968) überprüften mithilfe einer Querschnittstudie, ob die folgende Hypothese zutreffen würde: Je mehr Leute einer Gefahrensituation beiwohnten, umso unwahrscheinlicher und umso langsamer würde einer der Zuschauer eingreifen und helfen. Für diesen Zweck wurden 72 Versuchspersonen untersucht. Die Forscher gestalteten ihre Studie dabei so, dass sie sich auf den Fall „Kitty Genovese“ (s.o.) übertragen lässt: Versuchspersonen wurden in einen Raum geführt und bekamen Kopfhörer, an die ein Mikrophon gekoppelt war, aufgesetzt. Der Leiter des Experiments erklärte ihnen, dass sie mithilfe dieses Kommunikationssystems mit anderen Studenten, die ebenfalls an der Untersuchung partizipierten, über alltägliche Probleme von College-Studenten diskutieren sollten (der Untersuchungsleiter gab vor, dass dies der Zweck der Studie sei). Dabei würde die Apparatur der direkten Diskussion vorgezogen werden, um die Anonymität jeder Versuchsperson zu wahren.

Ein Mechanismus im Kommunikationssystem steuerte dabei den Gesprächsablauf: Dieser schaltete das Mikrophon des jeweiligen Sprechers für ungefähr zwei Minuten an. Während eine Person an der Reihe war, zu reden, waren die Mikrophone der anderen Teilnehmer ausgeschaltet. Das Gespräch wurde immer durch das zukünftige Opfer eröffnet, das unter anderem erwähnte – besonders in stressigen Situationen – unter epilepsieähnlichen Anfällen zu leiden. Dann zählten – je nach Gruppengröße – die anderen Studienteilnehmer ihre alltäglichen Probleme auf und zum Schluss war die eigentliche Versuchsperson an der Reihe. Als das Opfer zum zweiten Mal sprechen sollte, schien es, als erlitt es einen epileptischen Anfall. Von diesem Punkt an wurde die Geschwindigkeit gemessen, die die Versuchsperson benötigte, um den Experimentalleiter über diesen Vorfall zu informieren (Darley & Latané, 1968).

Bei der oben geschilderten Erklärung des experimentellen Leiters handelte es sich also in Wahrheit um die Cover-Story der Untersuchung (Darley & Latané, 1968). Tatsächlich waren die „anderen Versuchsteilnehmer“ zuvor aufgezeichnete Stimmen auf Tonbändern. Der Gebrauch des Kommunikationssystems sollte verhindern, dass die Versuchsperson die Reaktion der „anderen Teilnehmer“ sah. Darüber hinaus sollte dem Probanden die Möglichkeit genommen werden, sich mit den anderen absprechen zu können, was zu tun sei.

Die unabhängige Variable dieses Experiments (Darley & Latané, 1968) war die wahrgenommene Anzahl der Leute, von denen die Versuchsperson dachte, dass auch sie Zeugen des epileptischen Anfalls geworden waren (entweder keine, eine oder vier weitere Personen neben dem Opfer und der Versuchsperson). Die abhängige Variable war die gemessene Zeit, die es dauerte, bis die Versuchsperson den Vorfall gemeldet hatte. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass die Anzahl der vermeintlichen Zeugen einen bedeutenden Effekt auf die Reaktion der Versuchsperson hatte: Je mehr andere Leute – der Wahrnehmung der Versuchsperson nach – ebenfalls den Anfall mitbekommen hatten, desto seltener und desto langsamer griff die Versuchsperson ein.

Als Konsequenz der Ergebnisse, die John M. Darley und Bibb Latané (1968) bei ihrem zuvor erläutertem Experiment fanden, wurde der Begriff des „ Bystander-Effekts “ eingeführt. Dieser ist nach Aronson et al. (2008) als die Erscheinung definiert, „dass die Wahrscheinlichkeit, dass dem Opfer bei einem Notfall geholfen wird, umso geringer ist, je größer die Anzahl der Zuschauer ist“ (S. 367).

2.3 Gründe für das Auftreten des Bystander-Effekts

Als einen möglichen Grund für dieses Muster nannten Darley und Latané (1968) die sogenannte „ Verantwortungsdiffusion “. Dabei handelt es sich um „das Phänomen, dass in Notfällen das Gefühl, für die Hilfe verantwortlich zu sein, bei jedem Zuschauer umso stärker abnimmt, je mehr die Zahl der Zuschauer zunimmt“ (Aronson et al., 2008, S. 370).

Aus einer Gruppe von Zeugen würde sich demnach keiner der Beteiligten dazu berufen fühlen, in die Notfallsituation einzugreifen, da genug andere Menschen anwesend seien, die dies ebenfalls tun könnten. Jeder einzelne würde sich vor den möglichen Kosten scheuen, die das Hilfeverhalten mit sich bringen könnte (z.B. das eigene Leben zu gefährden oder sich durch eine unangemessene Reaktion zu blamieren) und so käme es letztendlich dazu, dass keiner einschreiten würde (Aronson et al., 2008). Dieses Verhalten zeigen Menschen besonders dann, wenn sie wissen, dass andere Leute anwesend sind, sie diese anderen aber nicht sehen und damit nicht sagen können, ob eine andere Person bereits Schritte zur Hilfeleistung eingeleitet hat. (Aronson et al., 2008). Dies war sowohl in der oben beschriebenen Studie (Darley & Latané, 1968), als auch bei der Ermordung von Kitty Genovese der Fall.

Um einen weiteren Grund für die Entstehung des Bystander-Effekts zu verstehen, lohnt es sich, zunächst eine weitere Querschnittstudie von Latané und Darley (1970), bei der insgesamt 58 Versuchspersonen untersucht wurden, zu betrachten: Das Ziel dieses Experiments (Latané & Darley, 1970) war es, herauszufinden, wie Probanden einzeln bzw. in Gruppen auf einen potentiellen Notfall, der ihr eigenes und – je nach Bedingung – das Leben der anderen Anwesenden gefährden könnte. Dies wurde den Versuchspersonen jedoch zuvor nicht mitgeteilt; man ließ sie glauben, dass es bei der Studie darum ginge, die Einstellungen der Menschen zu den negativen Aspekten des Großstadtlebens zu messen. Zu diesem Zweck wurden die Teilnehmer in einen Raum gebracht, wo sie die Anweisung erhielten, einen Fragebogen auszufüllen und zu warten, bis der Studienleiter sie abholte, um die Untersuchung zu beginnen. Abhängig von der jeweiligen Bedingung befand sich die Versuchsperson nun alleine, zusammen mit zwei eingeweihten Studienhelfern oder zusammen mit zwei anderen ahnungslosen Versuchsteilnehmern im Warteraum. Während der Proband bzw. die Probanden den Fragebogen bearbeiteten, wurde durch einen kleinen Lüftungsschacht weißer Rauch in den Raum gepumpt. Mithilfe dieser Maßnahme sollte der Eindruck erweckt werden, dass Gefahr, z.B. durch ein Feuer, das sich in dem Gebäude entfacht hätte, bestünde. Befanden sich neben dem Versuchsteilnehmer zwei Helfer, die um das tatsächliche Ziel der Studie wussten, im Raum, verhielten diese sich so, als würden sie den Rauch zwar bemerken, sich aber nicht weiter darum kümmern. Nun wurde die Zeit gemessen, die die Versuchsperson bzw. eine der Versuchspersonen in der Bedingung mit drei unwissenden Teilnehmern dazu benötigte, den Vorfall zu melden. Es stellte sich heraus, dass sich Teilnehmer, die alleine im Raum waren, signifikant öfter an einen wissenschaftlichen Mitarbeiter wandten, um ihn über den Rauch zu informieren als Versuchspersonen in einer der beiden anderen Bedingungen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Bystander-Effekt. Wie persönliche und situative Faktoren unser Hilfeverhalten beeinflussen
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
19
Katalognummer
V276450
ISBN (eBook)
9783656694724
ISBN (Buch)
9783656695219
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Womöglich hat jeder in den Medien schon einmal von einem Fall gehört, bei dem ein Mensch an einem öfentlichen Ort (wie z.B. in einer U-Bahn-Station) auf brutalste Art und Weise verprügelt wurde. Auch in dieser Arbeit wird zu Beginn ein solcher Fall porträtiert. Der Theorieteil der Arbeit befasst sich mit den Gründen, warum andere Menschen in solchen Situatinen oft nicht eingreifen. Am Ende wird noch einmal auf den Beispiefall eingegangen und es werden Maßnahmen erläutert, um Zivilcourage zu fördern.
Schlagworte
bystander-effekt, faktoren, hilfeverhalten
Arbeit zitieren
Caren Hilger (Autor:in), 2011, Der Bystander-Effekt. Wie persönliche und situative Faktoren unser Hilfeverhalten beeinflussen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276450

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