Deutsche Juden im Ersten Weltkrieg. Zwischen Euphorie und Enttäuschung


Hausarbeit, 2012

22 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorstellung zweier wesentlicher jüdischer Verbände
2.1. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens
2.2. Deutsch-Jüdische Zionisten

3. Beginn des Ersten Weltkriegs: Euphorie und Hoffnung
3.1. Der Burgfrieden
3.2. Euphorie bei den jüdischen Verbänden und Kriegsfreiwilligen
3.2.1. Aufrufe der jüdischen Verbände
3.2.2. Begeisterung bei den jüdischen Kriegsfreiwilligen
3.2.3. Gleichstellung durch militärische Leistungen?

4. Zäsur: Judenzählung als Ausdruck des zunehmenden Antisemitismus
4.1. Aufleben des Antisemitismus
4.2. Judenzählung
4.2.1. Erlass und Rechtfertigungen
4.2.2. Reaktion der jüdischen Soldaten
4.2.3. Antisemitismus am Ausgang des Ersten Weltkriegs

5. Nach der Judenzählung: Reaktionen der jüdischen Verbände
5.1. Der Centralverein
5.2. Die Zionisten
5.3. Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten

6. Die Auswertung der Judenzählung in verschiedenen Quellen

Bibliographie

Abbildungsverzeicnis

Abb.1: Aufruf der Zionistischen Vereinigung

Abb.2: Aufruf des Centralvereins..

Abb.3: Flugblatt vom 4.Mai 1924 des Reichsbund jüdischer Frontsoldaten

Tabellenverzeichnis

Tab.1:Anzahl der jüdischen Feldzugteilnehmer eingeteilt nach den Provinzen bzw. Staaten.15

1. Einleitung

„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche und zum Zeugnis dessen, daß sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, ohne Standes- und Konfessionsunterschiede zusammenzuhalten[…] fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir dies in die Hand zu geloben.“[1]

Die Thronrede des Kaisers vom 4.August 1914 leitete, kurz nachdem das Deutsche Reich Russland den Krieg erklärt hatte, den Burgfrieden ein. Dies gab den deutschen Juden Hoffnung und Zuversicht endlich Gleichberechtigung zu erhalten. Doch die Begeisterung hielt nicht lange an. Mit der zunehmend schlechteren Kriegslage kam der latent vorhandene Antisemitismus wieder zum Vorschein. Die zentrale Fragestellung der Hausarbeit bezieht sich auf die Folgen des zunehmenden Antisemitismus, die in der Judenzählung ihren Höhepunkt findet. Zu Beginn werden zwei wesentliche jüdische Verbände vorgestellt. Zum einem „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ und zum anderen die „Zionistische Vereinigung“. Welche Unterschiede gab es zwischen den Verbänden und wie machten sie auf sich aufmerksam?

Danach erfolgt die Abhandlung über den Beginn des Ersten Weltkriegs. Zunächst wird dabei auf den Burgfrieden eingegangen. Wie kam dieser zustande und was löste er bei den jüdischen Verbänden und Kriegsfreiwilligen aus? Um dies herauszufinden wurde die Zeitung des Centralverbandes „im deutschen Reich“ sowie die Zeitschrift der Zionisten die „Jüdische Rundschau“ genutzt. Darin kann man deutlich nachvollziehen, wie die jüdische Bevölkerung zu dieser Zeit gedacht und gefühlt hat. Die Euphorie der Kriegsfreiwilligen wird mit Hilfe der „Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden“ aufgezeigt.[2] Im jüdischen Volk wurde angenommen, dass man durch die militärische Leistungen Anerkennung im deutschen Reich erhalten werde. Ob dies wirklich der Fall war, wird in der Arbeit dargelegt.

Mit zunehmender Kriegsdauer nahm der Antisemitismus wieder zu. Dies führte zum Höhepunkt der judenfeindlichen Hetze, der Judenzählung. Dieser Aspekt bildet den Hauptpunkt der Hausarbeit. Es werden der Erlass und die Gründe für die Judenstatistik dargelegt. Weshalb handelte das Kriegsministerium auf diese Weise und schmälerte damit die Leistung der jüdischen Soldaten? Wer steckte hinter der Judenzählung?

Wie die jüdischen Soldaten darauf reagierten, wird ebenso erläutert. Welche Reaktion zeigten die jüdischen Verbände auf die Angriffe der Antisemiten? Wollten sie weiter für ihr Vaterland dienen oder haben sie sich zurückgezogen?

Anhand verschiedener Quellen wird zum Schluss die Auswertung der Judenzählung dargestellt. Waren die Bemerkungen der Antisemiten gerechtfertigt, die sich im Spruch der Zeit „Überall grinst ihr [das] Gesicht [der Juden], nur im Schützengraben nicht!“ äußerte?[3] Oder war es nur ein Ablenkungsmanöver von den eigentlichen innenpolitischen Problemen? Zum Schluss werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.

2. Vorstellung zweier wesentlicher jüdischer Verbände

2.1. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens

Der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“(CV) wurde im März 1893 gegründet.[4] Der Verband repräsentierte die Mehrheit der „religiös-liberalen, assimilierten, deutschgesinnten, mittelständischen jüdischen Bevölkerung.“[5] Der CV wurde vom jüdischen Volk schnell anerkannt. Aus diesem Grund nahm die Anzahl der Mitglieder schnell zu. Darüber hinaus fand der Verband Zuspruch in Vereinen, anderen Verbänden und Gemeinden. Ihre Aufgabe bestand zunächst auf rechtlicher Ebene. Die Öffentlichkeitsarbeit und die Abwehr gegen den Antisemitismus nahmen mit der Zeit allerdings zu. Die liberalen Juden verstanden sich als Deutsche, waren aber gleichzeitig stolz auf ihre jüdische Religion.[6] Um gegen die Judenfeindlichkeit anzukämpfen, wurde die Zeitung „Im deutschen Reich“ gegründet. Bis 1913 sind 37 000 Exemplare der Zeitung erschienen. „Im deutschen Reich“ zählte im Vergleich zu anderen Zeitschriften zu den meist gelesenen Zeitungen. Sie stellte sich aus 40-50 Seiten zusammen und enthielt Leitartikel, Rezensionen und Leserbriefe.[7]

2.2. Deutsch-Jüdische Zionisten

Die „Zionistische Vereinigung“ für Deutschland wurde 1897 als Reaktion auf die Unterdrückung der russischen und polnischen Juden im zaristischen Russland gegründet. Ein weiteres Ziel war den Antisemitismus im Deutschen Reich zu bekämpfen.[8] Im Gegensatz zu den liberalen Juden, dachten die Zionisten, dass alle Juden Angehörige einer jüdischen Nation seien. Ihre Ziele wollten sie durch die Gründung eines eigenen Staates in Palästina erreichen.[9] Das Sprachrohr der Zionisten war die „Jüdische Rundschau“. Die achtseitige Zeitung erschien wöchentlich. Darin festgehalten wurden Ehrungen, Nachrufe und Hinweise auf Wahlen und Konferenzen. Ein weiterer Abschnitt beschäftigte sich mit Berichten und Kommentaren. Eine Rubrik war „An unsere Leser“. Zu Beginn der Zeitung waren die Zeilen: „Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimatstätte in Palästina“ zu lesen.[10] Andere jüdische Gruppierungen wie die Orthodoxen oder die Ostjuden werden in der Hausarbeit nicht berücksichtigt.

3. Beginn des Ersten Weltkriegs: Euphorie und Hoffnung

3.1. Der Burgfrieden

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs machte es den Anschein, als habe die Euphorie über die gesellschaftlichen Probleme gesiegt.[11] Eine Welle von Patriotismus ergriff die Gesellschaft und sorgte für Anerkennung der Juden. Die deutschen Juden waren zu jedem Opfer bereit und wollten für ihr Vaterland dienen.[12] Der Empfang des Kaisers von allen Parteien, Konfessionen und vieler Organisationen anlässlich seiner Thronrede am 04. August 1914 am Berliner Schloss trug zur Hoffnung der deutschen Juden bei. Sein Ziel war die Einigkeit der Nation darzustellen und die Anwesenden mit folgenden Worten auf den Kampf vorzubereiten: „ Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche und zum Zeugnis dessen, daß sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, ohne Standes- und Konfessionsunterschiede zusammenzuhalten, […] fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir dies in die Hand zu geloben“.[13] Der Aufruf erreichte seine Wirkung und wurde von den Juden als Versöhnungsangebot angesehen. Alle wollten dem Vaterland dienen und meldeten sich euphorisch zum Kriegsdienst.[14] Der Burgfriede schien die Barrieren in der Gesellschaft zu überwinden. Es gab Hoffnung auf Gleichberechtigung, was sich anhand der Worte von Victor Klemperer, einem jungen Münchner Romanisten, nachweisen lässt: „Wenn wir uns behaupten, so erwächst uns ein großes Glück aus diesem Krieg: größere Brüderlichkeit im Volk“.[15] Mit dem Einsatz im Militär nahmen die deutschen Juden an, sich im deutschen Reich integrieren zu können und anerkannt zu werden.[16]

3.2. Euphorie bei den jüdischen Verbänden und Kriegsfreiwilligen

3.2.1. Aufrufe der jüdischen Verbände

Nachdem der Kaiser den Burgfrieden ausgerufen hatte, wurden in zahlreichen Appellen von jüdischen Verbänden, wie z.B. in Abbildung 1 der Zionistischen Vereinigung und in

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Aufruf der Zionistischen Vereinigung

Quelle: Messerschmidt, Manfred: Juden im preußisch- deutschen Heer. In: Ausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamte(Hg.): Deutsch Jüdische Soldaten. Von der Epoche der Emanzipation bis zum Zeitalter der Weltkriege. Hamburg u.a. 1996, S.49.

Abbildung 2 der CV, die deutschen Juden aufgerufen sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Dies geschah unter anderem mit den Worten: „Deutsche Juden! Wir rufen euch auf, im Sinne des alten jüdischen Pflichtgebots mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen Euch dem Dienste des Vaterlandes hinzugeben“ und „Eilet freiwillig zu den Fahnen!“.[17]

Insbesondere die liberalen Juden waren euphorisch. Zwar war ihnen bewusst, dass der Antisemitismus nicht vollständig zu beseitigen war, aber man erhoffte sich Verbesserungen für die Zeit nach dem Krieg: „Die Bluttaufe des Schlachtfeldes wird nicht alle Anfeindungen verwischen, aber doch viel nützen.“[18] Den Kampf für Deutschland sah man als „heilige Aufgabe“ an. Die liberalen Juden sahen den Krieg als Bewährungsprobe an. Sie meldeten sich zum Kriegsdienst „beseelt von den Gedanken, daß man jetzt die Nichtigkeit aller Verdächtigungen gegen Vaterlandsliebe und Tapferkeit der Juden im klarstem Sinne erweisen könne.“[19]

Die Zionisten erklärten ebenfalls in der „Jüdischen Rundschau“, dass sie „trotz aller Anfeindungen in den Zeiten des Friedens keinen Unterschied gegenüber andern Deutschen“ kennen. „Brüderlich stehen wir mit allen im Kampfe zusammen.“[20] Die kurze Aufweichung der zionistischen Ziele, weil man sich zur deutschen Nation bekannte, war nur kurzfristig bis zur Nachkriegszeit vorgenommen worden. Die Übersiedlung nach Palästina und die Erhaltung des Jüdischen Volksstammes blieben ein Ziel.[21] Dennoch wollte man als deutsche Staatsbürger den Staat verteidigen.[22] Typisch für die Einstellung der Zionisten war der Ausspruch in der Jüdischen Rundschau: „In deutschen Dingen deutsch, in jüdischen jüdisch!“ Zwar fühlten sich die Zionisten der jüdischen Nation angehörig, waren aber dennoch patriotisch für das Deutsche Reich.[23] Eine weitere Motivation seitens der Zionisten war die Befreiung der Glaubensbrüder im Osten. An erster Stelle stand allerdings die Verteidigung des Vaterlandes, aber man nutzte die Gunst der Stunde, um die polnischen und russischen Juden möglicherweise zu befreien.[24] Der Enthusiasmus bei den jüdischen Kriegsfreiwilligen wird im folgenden Abschnitt dargestellt.

3.2.2. Begeisterung bei den jüdischen Kriegsfreiwilligen

Bei den jüdischen Soldaten war zu Beginn die Begeisterung groß. Anhand der „Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden“[25] lässt sich dies nachvollziehen. Zunächst soll Kurt Simon genannt werden. Er schreibt am 1. September 1914, dass er dem Ruf des Vaterlandes nachgegangen sei und „begeistert zu den Waffen geeilt“ war. Er beschreibt sich selbst als ein „von Vaterlandsliebe durchdrungene[s] Menschenkind“. Kurt Simon hatte sich mit 15 Jahren freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet, wurde zunächst zurückgestellt und später wieder eingezogen. Hier zeigt sich treffend der Wille für das Vaterland zu dienen.[26] Die gleiche Stimmung wird ersichtlich aus dem Kriegsbrief des Gefreiten Fritz Schäffer vom 2. August 1914: „Ihr [seine Eltern] könnt versichert sein, daß ich mit Liebe und Begeisterung für mein Vaterland kämpfen werde…[…] Ihr geliebten Eltern, könnt stolz darauf sein, drei Söhne unter der Fahne zu haben, zur Ehre und Befreiung des deutschen Vaterlandes“.[27] Aus dem Brief des Rabbiners Alfred Zweig geht hervor, dass es keine Unterschiede zwischen Juden und Nicht-Juden auf dem Kriegsfeld gab: „Einmal habe der Krieg, den wir um Deutschlands Existenz führen, alle Unterschiede politischer und konfessioneller Art aufgehoben. Es gebe im Felde keine Katholiken, keine Protestanten, keine Juden, keine Zentrumsleute[…]; sondern Deutsche, wie es unser Kaiser betont hatte;“[28] Da diese Worte ein Rabbiner schrieb, wird deutlich, dass der Patriotismus alle jüdischen Gesellschaftsgruppen erfasst hatte. Insgesamt dreißig Feldrabbiner dienten im Ersten Weltkrieg.[29]

In dem letzten Zitat von Josef Zurndörfer, das aus seinem Testament stammt, soll aufgezeigt werden, dass die Juden mit dem Einsatz im Militär ihre Gleichberechtigung erreichen wollten: „Ich bin als Deutscher ins Feld gezogen, um mein bedrängtes Vaterland zu schützen. Aber auch als Jude, um die volle Gleichberechtigung meiner Glaubensbrüder zu erstreiten“.[30] In diesem Zitat wird das Ziel der Gleichberechtigung für deutsche Juden ersichtlich. Die Frage stellt sich, ob durch militärische Leistungen wirklich Gleichberechtigung möglich war. Dies soll im Folgenden beleuchtet werden.

3.2.3. Gleichstellung durch militärische Leistungen?

Es erweckte den Eindruck als sei eine Gleichstellung mit Hilfe der Leistungen im Militär tatsächlich greifbar. Eine Abnahme des Antisemitismus wurde erkennbar. Es ist aber nicht festzustellen, in welchem Ausmaß dies in Politik und im Militär erfolgte.[31] Einen Einblick in die Sicht leitender Personen über den Antisemitismus bietet das Interview mit dem deutschen Botschafter in Nordamerika Graf Bernstorff. Darin äußerte er sich zu den Leistungen der jüdischen Soldaten und lobte deren Tapferkeit, Mut und Intelligenz. Auf die Frage, welche politische Folgen zu erwarten seien, antwortete er erst einmal, dass diese bereits zu erkennen sind. Damit wies er auf die gelöste Offiziersfrage hin. Die Emanzipation der Juden, dachte er, werde nach dem Krieg vollzogen sein.[32]

Es machte den Anschein, als gäbe es Hoffnung für die deutschen Juden endgültig im deutschen Reich anerkannt zu werden. Allerdings änderte sich die Situation mit der Dauer des Krieges. An den Fronten herrschte Verzweiflung, da keiner sich entscheidend durchsetzen konnte. Dazu plagten Hungersnöte die Bevölkerung im deutschen Reich. Ein Sündenbock wurde gesucht und schnell in Person der deutschen Juden gefunden. Die antisemitische Propaganda ließ sich kaum noch unterdrücken.[33] Wie der Antisemitismus wieder auflebte und mit der Judenzählung von 1916 ihren Höhenpunkt fand, wird im nächsten Abschnitt erläutert.

4. Zäsur: Judenzählung als Ausdruck des zunehmenden Antisemitismus

4.1. Aufleben des Antisemitismus

Der Erste Weltkrieg ging nicht wie erwartet schnell vorbei. Er „entwickelte sich zur nationalen Katastrophe“.[34] Durch das Fronterlebnis und die Grausamkeiten im Krieg kam es zur wiederholten Entfremdung zwischen Juden und Nicht-Juden. Deutsche Juden sind als „Drückeberger“ und „Ausbeuter“ bezeichnet worden.[35] Kurz nach Kriegsbeginn kam es zum Aufruf des Reichhammerbundes und anderer antisemitischer Verbände Kriegsermittlungen über die Juden anzustellen. Die Mitglieder sollten die Anzahl jüdischer Soldaten bei Feldzügen und im öffentlichen Dienst festhalten, um möglicherweise die Juden als Drückeberger darstellen zu können.[36] Der nationalistische Alldeutsche Verband, der 1891 gegründet wurde, verfolgte das Ziel der Verbreitung des Antisemitismus. Der Vorsitzende Heinrich Class veröffentlichte unter dem Pseudonym Daniel Frymann mehrere Auflagen des Buches „Wenn ich der Kaiser wär“.[37] Darin erklärte er in verschiedenen Abschnitten, wie man mit den Juden umgehen soll. Wenn er der Kaiser wäre, wurde er den jüdischen Einfluss ganz ausschalten oder „auf das Maß des Erträglichen, Ungefährlichen“ zurückschrauben. Class forderte die Emanzipation aufzuhalten indem unter anderem Einwanderungen verhindert sowie Ausweisungen durchgeführt werden sollten. Zuletzt verlangte er ein Fremdenrecht für die Juden. Darin enthalten waren verschiedene Maßnahmen wie bspw. der Ausschluss aus öffentlichen Ämtern und dem Dienst im Heer. Er war der Meinung, dass „niemals in der Geschichte […] ein großes, begabtes, tüchtiges Volk so schnell und widerstandslos unter den Einfluss und die geistige Führung eines fremden Volkes von völlig anderer Veranlagung gekommen [sei], wie jetzt das deutsche unter die jüdische Leitung.“ Die Presse war Class zu Folge die „Waffe des Judentums“. Deswegen forderte er in diesem Bereich eine Reform, um die „Vergiftung des Volkes“ aufzuhalten. Mit diesem zeitgenössischen Buchbeispiel zeigt sich unter welchen Umständen die deutschen Juden lebten und dass der Antisemitismus selbst durch die Euphorie im Ersten Weltkrieg nicht verschwand.[38] Durch antisemitische Organisationen, wie dem Bund der Landwirte, dem mitgliedsstärksten und einflussreichsten Verband im Kaiserreich, wurde die Propaganda gegen Juden verschärft.[39]

[...]


[1] Vogel, Rolf: Ein Stück von uns. Deutsche Juden in deutschen Armeen 1813-1976. 2.Aufl., Mainz 1977, S.65.

[2] Seewald, Heinrich(Hg.): Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden. 2.Aufl., Tübingen 1961.

[3] Jahr, Christopher: Sündenböcke der Niederlage. Warum der deutsche Antisemitismus im Ersten Weltkrieg immer radikaler wurde. In: Spiegel Special, Heft 1, 2004, S.89.

[4] Volkov, Shulamit: Die Juden in Deutschland 1780-1918. In: Gall, Lothar u.a. (Hg.): Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd.16, München 1991, S.61.

[5] Paucker, Arnold: Die Problematik einer jüdischen Abwehrstrategie in der deutschen Gesellschaft. In: Mosse, Werner(Hg.): Juden im Wilhelmischen Deutschland 1890-1914. Tübingen 1976, S.491.

[6] Volkov, S.61.

[7] Kremer, Arndt: Deutsche Juden- deutsche Sprache. Jüdische und judenfeindliche Sprachkonzepte und –konflikte 1893-1933. Berlin u.a. 2007, S.172f.

[8] Volkov, S.63.

[9] Kremer, S.290f.

[10] Ebd., S.298f.

[11] Friedländer, Saul: Politische Veränderungen der Kriegszeit und ihre Auswirkungen auf die Judenfrage. In: Mosse, Werner(Hg.): Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923. Tübingen 1971, S.30.

[12] Volkov, S.67.

[13] „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.“ Zitiert nach Vogel, S.65.

[14] Berger, Michael: Eisernes Kreuz und Davidstern. Die Geschichte Jüdischer Soldaten in Deutschen Armeen. Berlin 2006, S.131.

[15] Zitiert nach Ullrich, Volker: Fünf Schüsse auf Bismarck. Historische Reportagen 1789-1945. München 2002, S.108.

[16] Nägler, Frank: Einführung in die Ausstellung. In: Ausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamte(Hg.): Deutsch Jüdische Soldaten. Von der Epoche der Emanzipation bis zum Zeitalter der Weltkriege. Hamburg u.a. 1996, S.18.

[17] Zitiert nach Messerschmidt, S.49.

[18] Zitiert nach Im deutschen Reich(IdR), Heft 1-2, Januar 1915, S.16.

[19] Zitiert nach Ebd., Heft 10-12, Oktober 1914, S.370.

[20] Zitiert nach Jüdischer Rundschau (JR), Heft 32, 7.August 1914, S.343.

[21] vgl. Ebd., Heft 50, 11.Dezember 1914, S.451.

[22] Ebd., Heft 41-42, 16.Oktober 1914, S.387.

[23] Ebd., Heft 36, 4.September 1914, S.358.

[24] Vgl. Ebd., Heft 32, 7.August 1914, S.343.

[25] Seewald, Heinrich(Hg.): Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden. 2.Aufl., Tübingen 1961.

[26] Zitiert nach Ebd., S.109f.

[27] Zitiert nach Ebd., S.116.

[28] Zitiert nach Ebd.; S.133.

[29] Berger, S.139.

[30] Zitiert nach Seewald, S.135.

[31] Berger, S.132.

[32] Vollständiges Interview zitiert nach Vogel, S.94f. Dr. Melamed: „Was denkt man in Deutschland über die Leistungen der jüdischen Soldaten in diesem Kriege?“ Graf Bernstorff: „Ich kann Ihnen nur sagen, daß unsere jüdischen Soldaten sich glänzend schlagen. Sie sind tapfer, mutig und intelligent und unsere Regierung weiß das zu schätzen. Bisher sind ungefähr 800 Jüdische Soldaten mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden und 200 jüdische Soldaten sind auf dem Schlachtfelde zu Offizieren ernannt worden.“ Dr. Melamed: „Glauben Exzellenz, daß der Eindruck, den diese kriegerische Leistungen gemacht haben, irgendwelche politische Folgen nach sich ziehen werden?“ Graf Bernstorff: „Vor dem Juden genossen die Juden alle politischen und bürgerlichen Freiheiten, nur Offiziere konnten sich nicht werden. Nicht deshalb, weil die Regierung dagegen war, sondern weil sie von den Offizierkorps nicht gewählt worden ist. Die Regierung konnte beim besten Willen nichts dagegen tun, weil unsere Offzierkorps in dieser Frage vollständig autonom sind. Jetzt sind aber im deutschen Heere etwa 200 Offiziere jüdischen Glaubens, mit anderen Worten, die Macht der Ereignisse hat sich stärker erwiesen als die Vorurteile des deutschen Offizierkorps. Da nun dieses bis jetzt existierende Vorurteil in nicht weniger als 200 Fällen gebrochen wurde, so darf man ruhig behaupten, daß das Vorurteil als solches überhaupt nicht mehr existiert. Sobald ein Regiment einen oder mehrere Juden zu seinen Offizieren zählt, wird in der Zukunft ein jüdische Offziersaspirant wegen seines Judentums nicht mehr abgewiesen werden können. Die jüdische Offiziersfrage in Deutschland kann als gelöst betrachtet werden. Dazu sagt er zur politischen und sozialen Stellung der Juden: „Es ist wahr, der Antisemitismus war weit verbreitet, aber nach dem Kriege wird der Judenhaß verschwinden, denn erstens wird das Volk nach dem Kriege viel demokratischer werden, und zweitens ist das deutsche Volk von der Treue der deutschen Juden zum Reich und von ihrer ehrlichen Anteilnahme am jetzigen Kriege überzeugt. Ich bin fest überzeugt, daß, soweit Deutschland in Betracht kommt, der Antisemitismus als abgetane Sache betrachtet werden kann. Nach dem Kriege wird die jüdische Emanzipation ganz und voll durchgeführt.“

[33] Chickering, Roger: Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg. München 2002, S.158f.

[34] Nägler, S.18.

[35] vgl. Zimmermann, Moshe: Die deutschen Juden 1914-1945. München 1997, S.3.

[36] Berger, S.134.

[37] Frymann, Daniel [Heinrich Claß]: Wenn ich der Kaiser wär. Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten. Leipzig 1913.

[38] vgl. Frymann, S.71f.

[39] Ullrich, S.110.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Deutsche Juden im Ersten Weltkrieg. Zwischen Euphorie und Enttäuschung
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,5
Autor
Jahr
2012
Seiten
22
Katalognummer
V276667
ISBN (eBook)
9783656705987
ISBN (Buch)
9783656709541
Dateigröße
1048 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
deutsche, juden, ersten, weltkrieg, zwischen, euphorie, enttäuschung
Arbeit zitieren
Kristina Tarcal (Autor:in), 2012, Deutsche Juden im Ersten Weltkrieg. Zwischen Euphorie und Enttäuschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276667

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