Politisches Lernen im bürgerschaftlichen Engagement

Ein Lernort der politischen Bildung zwischen Mythos und Wirklichkeit


Examensarbeit, 2011

91 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Betrachtungen zum bürgerschaftlichen Engagement
2.1. Zum Begriff des bürgerschaftlichen Engagement
2.2. Die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für ein demokratisches Ordnungssystem
2.3. Die Lernerwartungen an das bürgerschaftliche Engagement

3. Empirische Ergebnisse zum bürgerschaftlichen Engagement in der Demokratie – zwischen Wunsch und Wirklichkeit?
3.1. Bereiche des Engagements
3.2. Sozio-demographische Bedingungsfaktoren
3.3. Tätigkeitstypen und Organisationsformen in Vereinen

4. Politisches Lernen
4.1. Zum Begriff des Politischen Lernens
4.2. Lernbegriff und -formen
4.3. Der außerschulische Lernort in der politischen Bildung

5. Kompetenzerwerb im bürgerschaftlichen Engagement
5.1. Vorbemerkungen
5.2. Konzeptuelles Deutungswissen
5.3. Sozialwissenschaftliches Analysieren und politische Urteilsfähigkeit
5.4. Partizipationsfähigkeit
5.5. Perspektivenübernahme und Konfliktfähigkeit
5.6. Bewertung der Lernpotentiale auf Grundlage der empirischen Studien

6. Transfer und Reflexion von sozialen und politischen Lernerfahrungen im bürgerschaftlichen Engagement
6.1. Transfermöglichkeiten
6.2. Reflexion
6.3. Sozialität
6.4. Sozialisation versus Selektion

7. Service Learning – „Lernen durch Engagement!“ ?
7.1. Entstehungszusammenhang
7.2. Ziele und Qualitätsstandards
7.3. Eine Projektauswahl
7.3.1. Projekt – „Schüler als Gemeindedetektive“
7.3.2. Projekt – „Santa Cruz River“
7.4. Politische Lerneffekte: Ergebnisse von sozialwissenschaftlichen Studien zum Service Learning
7.5. Ein Zwang zur Freiwilligkeit?
7.6. Eine Bewertung des Service Learning Konzeptes

8. Fazit und Ausblick - Bestimmungsfaktoren für politisches Lernen im bürgerschaftlichen Engagement

9. Zusammenfassung

10. Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2-1: Bürgerschaftliches Engagement im Spannungsfeld zwischen Staat, Markt und Privatsphäre

Abbildung 2-2: Typologie des Engagements.

Abbildung 3-1: Verteilung der Aktivität nach Altersgruppen.

Abbildung 3-2: Freiwilliges Engagement nach Tätigkeitsbereichen, von Jugendlichen und Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren.

Abbildung 3-3: Verteilung der Tätigkeitstypen nach Organisationsbereichen

Abbildung 3-4: Auswahl der Vereine nach satzungsmäßiger Zielstellung

Abbildung 4-1: Kategorien der Untersuchungsfolie

Abbildung 5-1: Unterschiede des politischen Wissens zwischen Engagierten und Nicht-Engagierten

Abbildung 5-2: Mittelwertvergleich zwischen Aktive und Nicht-Aktive hinsichtlich der Einstellung zur Politik

Abbildung 5-3: Modell des Zusammenhangs zwischen bürgerschaftlichem Engagement und politischer Partizipation

Abbildung 6-1: Prosozialistät und Demokratieverständnis.

Abbildung 8-1: Modell der Bestimmungsfaktoren von politischem Lernen im bürgerschaftlichen Engagement

Tabellenverzeichnis

Tabelle 3-1: Übersicht zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland.

Tabelle 3-2: Innen- und Außenorientierung von Freiwilligenorganisationen.

Tabelle 5-1: Zusammenhänge von Aktivität in Vereinen, in informellen Gruppen und Bildung zu politischer Kompetenz.

Tabelle 5-2: Förderung von Kompetenzen in freiwilliger Tätigkeit nach Lernorten

1. Einleitung

Schon im 19. Jahrhundert verstand Alexis de Tocqueville Vereine als „Schulen der Demokratie“, in denen die Bürger Fähigkeiten und Kompetenzen individuell erwerben und diese in gesamtgesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen anwenden können. Bis heute sind die zivilgesellschaftlichen Einrichtungen als stabilisierende und reproduzierende Funktionsträger in einem demokratischen System nicht mehr wegzudenken. Das Interesse von Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik am bürgerschaftlichen Engagement als universalen Lernort ist in den letzten Jahren gestiegen. So wird mit Initiativen wie dem diesjährigen europaweiten „Jahr des Ehrenamtes“ versucht, mehr Bürgerinnen und Bürger für diese Form der Partizipation zu gewinnen und an den diesbezüglichen Lernchancen teilhaben zu lassen. Auch auf pädagogischer Ebene rückt das bürgerschaftliche Engagement in den Fokus. So sehen Vertreter der der Demokratiepädagogik hier eine Möglichkeit, dass gemeinschaftliche Erfahrungen in elementaren politischen Organisationsformen vom sozialen Nahraum auf größere politische Belange übertragen werden kann (vgl. Edelstein/Fauser 2001: 30). Mit dem Konzept des „Service Learning“ wurde ein schulisches bzw. universitäres Programm aus dem nordamerikanischen Raum übernommen und auf deutsche Verhältnisse angepasst, welches das bürgerschaftliche Engagement als Ort von politischen Lernprozesse identifiziert, in dem Jugendliche demokratische Kompetenzen erwerben können.

Abgesehen von der Frage, ob die oben beschriebenen an das Ehrenamt herangetragenen Erwartungen als plausibel einzustufen sind, entbehren sie zumeist sowohl einer Beschreibung, um welche politischen Kompetenzen es sich im Detail handelt, die hier erworben werden sollen, als auch einer empirischen Grundlage, die die Vermutung von individuellen Lernchancen im bürgerschaftlichen Engagement verifizieren könnte. An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an und geht dabei den folgenden Fragestellungen nach: Findet im bürgerschaftlichen Engagement politisches Lernens statt? Welche Ausdifferenzierung und Nuancierung von Lernchancen ist dabei bezüglich des Gesamtspektrums politischer Kompetenzen festzustellen? Haben Bevölkerungsschichten gleichermaßen Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement und den damit verbundenen Lernprozessen? Unter welchen Umständen und Bedingungsfaktoren kann politisches Lernen im Bürgerschaftlichen Engagement stattfinden und kann das Erlernte auf die gesellschaftliche und politische Umwelt transferiert werden?

Die Beschreibung von politischen Lernprozessen im Rahmen des bürgerschaftlichen Engagements ist ein bisher vernachlässigtes Forschungsgebiet. So muss in großem Maße auf Arbeiten zurückgegriffen werden, die zwar das bürgerschaftliche Engagement untersuchen, aber kein genuin politikdidaktischen Interesse an diesem Forschungsgegenstand besitzen und diese Dimension daher nur am Rande oder indirekt beleuchten. Dieser Umstand hängt auch damit zusammen, dass die politische Bildung sich bisher schwertut, die zur Diskussion stehenden Kompetenzmodelle konsensual zu etablieren und Formen der Diagnostik und Evaluation zu entwickeln. So beschränken sich die für die vorliegende Arbeit relevanten Publikationen auf eine geringe Anzahl. Horst Biedermann beschäftigte sich in seiner 2006 erschienen Dissertation mit den Wirkungen partizipatorischer Erfahrungen auf die soziale und politische Identität von Jugendlichen (ergänzend dazu Biedermann/Öser 2010). Ferner vertiefte Sybille Reinhardt in einer Reihe von Veröffentlichung die Frage, inwieweit die theoretische und empirische Kopplung von sozialem Lernen und politischem Lernen Synergien erzeugen kann. (vgl. 2010; Reinhardt/Tillmann 2002). Das „Forschungszentrum für bürgerschaftliches Engagement“ in Potsdam veröffentlichte in den letzten Jahren eine Reihe von Arbeiten, die das bürgerschaftliche Engagement mittels qualitativer Interviews vor allem unter dem Fokus der Sozialkapital-Theorie beleuchten (vgl. Braun 2001; Braun/Hansen/Ritter 2007; Braun/Hansen 2010). Aus diesem Zusammenhang entsprang auch Stefan Hansens Monographie zum Lernen im freiwilligen Engagement (2008). Mit der Studie „Informelle Lernprozesse im Jugendalter in Settings des freiwilligen Engagements“ legte Wiebken Düx (vgl. 2008) die empirisch und theoretisch umfassendste Publikation zum informellen Lernen vor, welche sich jedoch nur am Rande mit politikdidaktisch relevanten Lernprozessen beschäftigt. Für die Partizipationsforschung, die einen vergleichsweise großen Publikationsumfang aufweisen kann, seien hier exemplarisch die Arbeiten von Heinz Reinders (vgl. 2005, 2006, 2009), die DJI-Forschungsgruppe um Martina Gille (vgl. 2006) und aus dem amerikanischen Raum stammenden James Youniss (vgl. 2000, 2007) genannt. Den größten Einfluss auf die schulische und wissenschaftliche Verbreitung des Service-Learning-Konzeptes und in Deutschland hat Anne Sliwka (vgl. 2004; Frank/Seifert/Sliwka/Zentner 2009), die in einer Vielzahl von Veröffentlichungen die Vorzüge des Modell zu vermitteln versucht. Abschließend soll aus dem Kreis der politischen Sozialisationsforschung auf den Sammelband von Hans-Peter Kuhn, Harald Uhlendorff und Lothar Krappmann (2000) sowie die sekundäranalytischen Beiträgen in Nobis/Baur (2007) aufmerksam gemacht werden.

Als inhaltlicher Rahmen dienen eine Definition des Begriffs „bürgerschaftliches Engagement“ und eine allgemeine Betrachtung der Bedeutung dieses Bereiches für ein demokratisches Ordnungssystem. Ebenfalls vorgestellt werden die von der Gesellschaft herangetragenen Lernerwartungen, mit Hilfe derer die bürgerschaftlichen Vereinigungen und Tätigkeitsformen als politische und demokratierelevante Lernorte definiert werden (Kapitel 2). Anschließend geben empirische Ergebnisse einen Einblick, in welchem Maße und mit welcher Intensität bürgerschaftliches Engagement in Deutschland, vor allem von Jugendlichen betrieben wird (Kapitel 3). Im sich daran anschließenden fachdidaktischen und pädagogischen Teil (Kapitel 4) wird neben der Definition des Lernbegriffes und einem Blick auf den außerschulischen Lernort, eine Analysefolie entwickelt, die sechs spezifische Kategorien des politischen Lernens umfasst. Anhand dieser werden die bisher erschienenen empirischen Studien zum Kompetenzerwerb im bürgerschaftlichen Engagement untersucht (Kapitel 5). Diese indirekte und sekundäre Auswertung der empirischen Studien ist notwendig, da bisher keine Untersuchungen vorliegen, welche den Erwerb von politischen Teilkompetenzen im Rahmen dieses außerschulischen Lernortes explizit erfassen. Danach soll die Frage beantwortet werden, inwieweit ein Transfer von während einer Tätigkeit erworbenen Lerninhalten in die gesellschaftliche Außenwelt und vor allem in den politischen Raum stattfindet und inwieweit dabei von einem reflexiven Handeln gesprochen werden kann. Welche sozialisierenden und selektiven Wirkungen vom bürgerschaftlichen Engagement ausgehen, wird ebenfalls beleuchtet (Kapitel 6). In Kapitel der vorliegenden Arbeit werden Ziele und Qualitätsstandards des Service-Learning-Konzepts als eine Form der schulischen Integration des bürgerschaftlichen Engagements betrachtet, um im Anschluss diesen Ansatz im Hinblick auf das politische Lernen zur Diskussion zu stellen. Abschließend gilt es die relevanten Bestimmungsfaktoren aufzuzeigen, unter denen politisches Lernen im bürgerschaftlichen Engagement möglich ist und welche diesbezüglichen Hoffnungen zurückgewiesen werden müssen (Kapitel 8).

Eine Eingrenzung des Forschungsgegenstandes erfolgt dergestalt, dass das Engagement von Jugendlichen zwischen 14 und 25 im Vordergrund stehen soll. Dies hat einerseits einen lernpsychologischen Hintergrund, da sich in dieser Lebensphase die Entwicklung einer politischen Identität vollzieht, welche die Partizipations- und Integrationsbereitschaft des Einzelnen in der Gemeinschaft prägt (vgl. Hofer/Buhl 2000). Anderseits ist diese Altersgruppe, von den wenigen empirischen Untersuchungen die am umfangreichsten analysierte. Aussagen über Werte, Entwicklungen, Bereitschaften und Kompetenzen von Jugendlichen sind demnach am wissenschaftlich fundiertesten. Gleichwohl sollen stets auch über diese Altersgruppe hinausschauende Arbeiten einbezogen werden, sofern sie für das Anliegen dieser Arbeit relevante Erkenntnisse bieten.

2. Theoretische Betrachtungen zum bürgerschaftlichen Engagement

2.1. Zum Begriff des bürgerschaftlichen Engagement

Der Gebrauch des Terminus „bürgerschaftliches Engagement“ ist durch eine ausgesprochene Unschärfe und Vielfältigkeit gekennzeichnet. Dies führt dazu, dass dieser Begriff zwar in einer Vielzahl von Publikationen Verwendung findet, eine genaue Bestimmung des eigentlichen Untersuchungsgegenstandes aufgrund der Offenheit und fehlenden Trennschärfe in der Begriffsverwendung jedoch beeinträchtigt wird. Begriffliche Einheitlichkeit herrscht lediglich in der Verortung des bürgerschaftlichen Engagements innerhalb der Gesellschaft, zwischen den Sphären des Staates, des Marktes und der Privatsphäre (Abbildung 2-1).

Abbildung 2-1: Bürgerschaftliches Engagement im Spannungsfeld zwischen Staat, Markt und Privatsphäre, eigene Darstellung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Bürgerschaftliches Engagement“ im engeren Sinne meint vor allem gemeinwohl- und diskursorientierte Aktivitäten im Raum zwischen Staat, Markt und Privatheit, die den Bürger als Mitglied des Gemeinwesens unmittelbar definieren. Dies bedeutet für eine repräsentative Demokratie, dass neben den parlamentarischen Verfahren und Formen der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung auch die Handlungsmöglichkeiten des Bürgers selbst gestärkt werden. Die Intensität des in dieser Zivilgesellschaft gezeigten Engagements hängt dabei von der Identifikation mit der Gemeinschaft und den individuell vorhanden Bürgerkompetenzen ab. Auf individueller Ebene äußert sich das Bürgerengagement in diesem Zusammenhang im Interesse an und der Artikulation von politischen Belangen, der konventionellen sowie unkonventionellen Partizipation am gesellschaftlichem Leben sowie der Tätigkeit in gemeinwohlorientierten und öffentlichen Gesellschaftsbereichen (vgl. Heinze/Olk 2001: 14).

Ein vergleichsweise weites Verständnis von bürgerschaftlichem Engagement liegt einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen zugrunde. So definiert die im Jahr 1999 durch den Bundestag eingesetzte Enquête-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ bürgerschaftliches Engagement als „freiwilliges, gemeinwohlorientiertes und nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtetes Engagement“ (Enquête-Kommission 2002: 692). Diesem Vorschlag sind in den letzten Jahren mehrere Forschungsgruppen gefolgt und begannen von diesem Begriffsfixpunkt aus ihre empirischen Erhebungen anzulegen. Somit kann diese Definition als eine Art begrifflicher Minimalkonsens angesehen werden. Dieser wurde zusätzlich ergänzt durch den allgemeinen öffentlichen, gemeinschaftlichen bzw. kooperativen Charakter der Tätigkeit (vgl. Düx et al. 2007: 40; BMFSFJ 2005: 40). Zunächst wurde ein Engagement nur dann als bürgerschaftlich anerkannt, wenn es innerhalb eines organisatorischen Rahmens durchgeführt wurde. So verstand Hofer (1999: 114) unter bürgerschaftlichem Engagement ein „voluntary and continuous unpaid work within an organization that is performed in the interest of others during one’s spare time“. Auch die international vergleichende Civic-Education-Study der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) definierte bürgerschaftliches Engagement über die Zugehörigkeit von Jugendlichen zu sozialen oder karitativen Einrichtungen (vgl. Torney-Purta 2001: 141f). Schließlich ermittelten die Shell-Studien lediglich, ob sich die Befragten in ihrer Freizeit für gesellschaftliche Zwecke oder für andere Menschen einsetzen und wählten somit einen wesentlich weiteren und organisations­ungebundenen Engagementbegriff (vgl. Schneekloth 2010: 152).

Den nicht-institutionellen Engagementformen und damit dem neueren, breiteren Engagementbegriff, welcher um die Jahrtausendwende im Kontext der wissenschaftliche Diskussion zum Strukturwandel des Ehrenamts aufkam (vgl. dazu mit Literatur Beher/Liebig/Rauschenbach 2000; Roth 2000), wird die von Heinz Reinders (vgl. 2009: 8) entwickelte Typologie gerecht. Von den vier idealtypischen Engagementtypen dieses Modells (vgl. Abb. 2-2) sollen in der vorliegenden Arbeit vor allem die Engagementform des Typ 1 und mit Einschränkungen des Typ 2 aufgrund des aktiven Charakters der damit verbundenen Tätigkeiten im Mittelpunkt stehen. Typ 1 als institutionelles Engagement, welches eine soziale Aktivität in einer bereits bestehenden Organisation meint, lässt sich beispielsweise bei dem Gruppenleiter der Pfadfinder und der Trainerin einer Freizeittrainingsgruppe im Sportverein als Realtypus vorfinden. Der Typ 2 umschließt nach Reinders alle Engagementphänomene, welche sich außerhalb von traditionellen Institutionen befinden und so dem „neuen Ehrenamt“ entsprechen. Darunter fällt das Einbringen in Interessengruppen und Bürgerinitiativen, aber auch die persönlichen und unverbindlichen Aktivitäten, welche nach der Shell-Studie 2010 etwa ein Drittel des gesamten Engagements, wohlgemerkt unter den Jugendlichen, in Deutschland ausmachen (vgl. Schneekloth 2010: 156).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2-2: Typologie des Engagements, nach Reinders (2009: 8).

Eine Mitgliedschaft in einer Organisation, die ohne tatsächliche aktive Teilhabe besteht, bezeichnet Reinders mit dem Typ 3. Als diesbezügliche Beispiele nennt er unter anderem das inaktive Parteimitglied und den Sportler, der ausschließlich zum Sporttreiben dem Verein beigetreten ist. Der Vierte Typ ist weder sozial aktiv noch organisatorisch eingebunden und somit nicht engagiert.

Aufgrund der Vielfältigkeit der Realphänomene im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements ist eine empirisch fundierte, trennscharfe Typologieentwicklung nur annähernd zu gewährleisten. Allerdings bleibt trotz dessen zu konstatieren, dass Reinders in seiner Kategorisierung die Tätigkeit in einer Interessengruppe oder einer Bürgerinitiative dem nicht-institutionellen Engagement zuordnet, obwohl diese bereits einen relativ hohen Organisationsgrad aufweisen. Generell ist es fragwürdig, ob ein gänzlich von Institutionen losgelöstes Engagement, wie es der Typ 2 nach Reinders beschreibt, überhaupt denkbar ist. Selbst bei einem kurzfristigen, informellen Engagement, welches charakteristisch für das „neue Ehrenamt“ ist, tritt der Aktive in ein Organisationskonzept ein, in dem er sich, möglicherweise sogar umgeben von Hierarchien, bewegen muss. Ebenso ist bei der Zuordnung von persönlichen Aktivitäten – auch hier bleiben Reinders sowie die Shell-Studie eine genauere Beschreibung schuldig – zum Begriff „bürgerschaftliches Engagement“ die Gefahr gegeben, dass jegliche individuelle Tätigkeiten und „Einzelaktionen“, die im weitesten Sinne gemeinwohlorientiert sein mögen, aber nur privaten Charakter besitzen, den Begriff gut gemeint erweitern, letztendlich aber die theoretische und empirische Wissenserweiterung durch die somit entstehende Beliebigkeit der Begriffsverwendung eher erschweren. So stammt eine nicht geringe Anzahl von empirischen Untersuchungen aus den Bereichen Ehrenamts- und Selbsthilfeforschung, den Neuen sozialen Bewegungen, politische Partizipationsforschung, Vereinsforschung, Dritte-Sektor-Forschung und aus der empirischen und normativen Demokratieforschung. Diese lassen sich allesamt auf der Grundlage eines breiten Begriffsverständnisses als Forschungsbeitrag zum bürgerschaftlichen Engagement verstehen, erschweren aber gerade deshalb die Vergleichbarkeit der Studien erheblich.

Für die vorliegende Arbeit wird diese Argumentation in Anlehnung an Hannah Arendt (2006) um die Bedingung ergänzt, dass einer Tätigkeit nur dann eine politische Dimension zu Teil wird, wenn sie öffentlich, gemeinschaftlich und korporativ ausgeführt werden. So kann eine Handlung, eine Tätigkeit, ein Engagement oder eine Problemlage per se nur dann potentiell für das politische Lernen und die Politikdidaktik interessant sein, wenn sie schon diese politische Dimension besitzt oder dieser Dimension durch Mediatoren zugeführt wird. Mediatoren können im weitesten Sinne als Lehrende verstanden werden, die den Engagierten eine solche schon vorhandene, aber für sie nicht unmittelbar zugängliche politische Dimension vergegenwärtigen. Demgegenüber scheinen private, nicht öffentliche und unreflektierte Handlungen des Einzelnen ohne sozialen und politischen Kontext, wie beispielsweise eine individuelle Hilfeleistung in der Nachbarschaft oder in der Familie, für das politische Lernen somit nicht geeignet zu sein.

So soll im Weiteren dem Freiwilligensurvey folgend, das bürgerschaftliche Engagement als freiwillige, gemeinwohlorientierte, nicht auf materiellen Gewinn abzielende Tätigkeit verstanden werden, die öffentlich, gemeinschaftlich bzw. kooperativ vorgetragen wird.

Die Formen des bürgerschaftlichen Engagements umfassen jegliche Möglichkeiten der konventionellen und unkonventionellen politischen Beteiligung, so beispielsweise eine ehrenamtliche Beteiligung an kommunalen Gremien und Beiträten, sowie die aktive Mitarbeit in Verbänden, Gewerkschaften und Parteien, jedoch auch in Bürgerinitiativen und direktdemokratischen Partizipationsformen. Hinzu kommen die Mitgliedschaft und das Engagement in Schülervertretungen und -organisationen, Runde Tische, Senioreninitiativen und Bürgerversammlungen. Ferner gilt ebenfalls die unentgeltliche Wahrnehmung von öffentlichen Funktionen als Ehrenamt. Darin enthalten sind Tätigkeiten wie Wahlhelfer, Schöffen und Elternbeiräte, aber auch ein Engagement in der freiwilligen Feuerwehr und anderen öffentlichen kommunalen Einrichtungen (Bibliotheken und Museen), die auf die Mitwirkung von Ehrenamtlichen angewiesen sind. Des Weiteren werden die Formen des sozialen Engagements unter dem Dach von Wohlfahrtsorganisationen, Hospiz-Gruppen und „Tafel“-Einrichtungen der Obdachlosenfürsorge als wichtige Aspekte der bürgerschaftlichen Tätigkeiten angesehen. Zum bürgerschaftlichen Engagement gehören auch moralökonomische, aber nicht erwerbsarbeitliche Tätigkeitsformen, wie die Arbeit in Genossenschaften und Senioren-Zentren. Schließlich umfasst der Begriff auch ein Engagement in Selbsthilfegruppen und gemeinschaftsorientierten Organisationen, so beispielsweise in Sportvereinen (vgl. Roth 2000: 30f).

Das Prädikat bürgerschaftlich wird in dieser Arbeit deshalb anderen synonym verwendeten Termini, wie „freiwillig“, „gesellschaftlich“, „gemeinwohlorientiert“, „gemeinschaftlich“ oder „ehrenamtlich“ sowie den englischen Bezeichnungen „volunteering“ und „civic engagement“ vorgezogen, da im Hinblick auf die politische Bildung die funktionale Notwendigkeit des bürgerschaftlichen Engagements für die Demokratie herausgestellt werden soll. Das heißt für die Politikdidaktik sind jene Tätigkeiten interessant, die einerseits politikwissenschaftlich für ein demokratisches System und dessen Bürgergesellschaft relevant sind (s. Kapitel 2.2). Zum anderen sollen jene Tätigkeiten im Mittelpunkt stehen, die potenziell die Möglichkeit bieten, an ihnen oder durch sie politisch zu lernen, also Kompetenzen zu erlernen, die dem Ziel der politischen Bildung, also dem/der mündigen Bürger/in, dienlich sein können.

Dem praktischen Selbstverständnis, welches die Aktiven ihrer eigenen Tätigkeit entgegenbringen, entspricht diese Wortwahl jedoch nicht. So verstehen, mit abnehmender Tendenz, 42% der bürgerschaftlich Engagierten in Deutschland ihr Engagement als eine „freiwillige Tätigkeit“. Der bürgerlich konnotierte Begriff des „Ehrenamts“ wird von 35% der Aktiven wahrgenommen und hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Der hier verwendete Terminus „bürgerschaftliches Engagement“ wird lediglich noch von 9% der Engagierten für ihre Tätigkeit in Betracht gezogen, gefolgt von „Initiativen- und Projektarbeit“ mit 8% (vgl. BMFSFJ 2010a: 111f).

2.2. Die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für ein demokratisches Ordnungssystem

Alexis de Tocqueville bezeichnete die Assoziationen[1] als „Schulen der Demokratie“ (1974), in denen die Bürger all jene notwendigen Fähigkeiten schulen, die für eine funktionsfähige Demokratie von Nöten sind. Dem lag die Überzeugung zugrunde, dass Regierungen nicht von bürgerlichen Vereinigungen geschwächt werden, wie seiner Zeit in Europa, sondern dass Vereinigungen vielmehr zur Legitimität von und Vertrauen in demokratische Regierungen beitragen. Während jene Assoziationen im vormärzlichen und restaurativen Europa den Druck auf die bestehende aristokratisch geprägte Ordnung zu Gunsten eines demokratisch orientierten Systems erhöhten (vgl. Nipperdey 1972, Düding 1984), stellt Tocqueville auf seiner Reise durch das demokratisch geprägte Amerika fest, dass die dortigen Assoziationsgründungen die Grundlage der kollektiven Wahrnehmung der Freiheitsrechte waren und die Dynamik und Vitalität der amerikanischen Gesellschaft aufrecht erhielten (vgl. Zimmer 1996: 59f).

In dieser Tradition stehend kamen Almond & Verba (1989 [1963]) in ihrer Studie, bei der die politische Kultur von fünf westliche Gesellschaften (USA, Großbritannien, Bundesrepublik, Italien und Mexiko) untersucht wurde, zu dem Ergebnis, dass Vereinsmitglieder die Möglichkeit haben, in ihrer Vereinigung Erfahrungen mit der Organisation und Durchführung von Wahlen sowie demokratischen Abstimmungs­prozessen zu sammeln, möglicherweise kognitive Wissensbestände über aktuelle politische und gesellschaftlich relevante Themen oder demokratische und tolerante Einstellungen erwerben können. Somit übernimmt die bürgerschaftliche Vereinigung eine Sozialisationsfunktion gegenüber der Demokratie, d.h. über die Institution „bürgerschaftliches Engagement“ als vordemokratischer Raum findet ein Kompetenz­erwerb statt, der die in diesem Kontext notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten an das Individuum übergibt. Zugleich fanden Almond & Verba (ebd.: 244-265) einen engen Zusammenhang zwischen der Betätigung in einer Freiwilligenvereinigung, dem interpersonalen Vertrauen und dem Gefühl subjektiver politischer Kompetenz. Der Verein fungiert also als Bindeglied zwischen der Mikroebene des Individuums und der Makroebene des Staates (vgl. auch Hansen 2008: 31f; Zimmer 1996: 65f).

In den 1990er Jahren führte Robert Putnam diese Ergebnisse weiter, indem er die gesellschaftlichen Differenzen in Nord- und Süditalien untersuchte. Die norditalienischen Provinzregierungen arbeiteten scheinbar zufriedenstellender und effektiver als die süditalienischen, was sich nicht zuletzt in ihrer wirtschaftlichen Performanz zeigte. Putnam kam zu dem Schluss, dass der Norden über ein größeres „Soziales Kapital“ verfüge und aufgrund dessen das Gebiet einen höheren Wohlstand, aber auch eine höhere Demokratiezufriedenheit sowie Wahlbeteiligung in Folge einer höheren Assoziationsdichte generieren könnte (Putnam/Leonardi/Nanetti 1993). Das „Soziale Kapital“ beinhaltet nach Putnam drei Dimensionen: Erstens soziales Vertrauen, das die Kommunikation und Kooperation innerhalb der Gesellschaft zwischen den Individuen gewährleistet und zweitens Reziprozität, die als Prinzip des menschlichen Handelns dafür Sorge trägt, soziale Probleme zu lösen. Beide Konzepte werden, drittens, in den sozialen Netzwerken des bürgerschaftlichen Engagements multipliziert (ebd.: 170ff; 1995: 66f). Auch für Putnam gelten somit die Organisations- und Tätigkeitsformen des bürgerschaftlichen Engagements als Orte der Generierung von individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen, die eine hohe gesellschaftliche und politische Relevanz besitzen. Putnams konstatiert dies unter einer pessimistischen Perspektive des Niedergangs der amerikanischen Zivilgesellschaft aufgrund nach­lassender politischer und gemeinwohlorientierter Engagementbereitschaft und bezeichnet das sinkende Sozialkapital mit dem Terminus „bowling alone“ (vgl. Putnam 1995; 2000).

Soziales Kapital als soziologischer Begriff ist seit der anfänglichen Euphorie der 1990iger Jahre jedoch nicht mehr unumstritten. Die Schlussfolgerung Putnams, welche die hohe Bedeutsamkeit des bürgerschaftlichen Engagements als intermediären Sektor für die Funktionalität und Stabilität des politischen Systems postuliert, wurde ob der mit normativen Darlegungen geführten und auf Plausibilitätsgründen basierenden Diskussion, die keine empirischen Unterfütterung birgt, zurückgewiesen (vgl. Roth 2004: 49f; Kunz/Gabriel 2000: 48). Ein in diesem Zusammenhang häufig vorgebrachtes Argument ist erstens die Entwicklung in Ostdeutschland. Nach der Wiedervereinigung hat sich hier die Vereins- und Vereinigungsdichte deutlich erhöht. Die Zahlen zur Demokratieakzeptanz und die Einstellung zur Demokratie können jedoch auch unter ostdeutschen Jugendlichen bestenfalls als stagnierend bezeichnet werden. Zwar wird die Demokratie von dem meisten 15 bis 25-Jährigen als eine „gute“ Staatsform angesehen, ein Unterschied des Ostniveaus zu den Einstellungen im westlichen Deutschland ist mit 70% zu 86% jedoch eklatant (vgl. Schneekloth 2010: 137f; siehe auch Roth 2004: 44f). Zweitens wird mit der Bezeichnung der „Schattenseiten des Sozialkapitals“ herausgestellt, dass keineswegs alle Einrichtungen des bürgerschaftlichen Engagements zwingend demokratisch organisiert sind. So ist beispielsweise der Verein in Deutschland laut BGB, mit der Mitgliederversammlung als höchster Instanz nach demokratischen Prinzipien zu organisieren (vgl. Zimmer 1996: 23ff). Bei grundsätzlicher Gewährleistung der formalen demokratischen Anforderungen sind die Meinungsbildungs- und Entscheidungspraktiken in Vereinigungen nicht immer pluralistischer Natur. So ist der ausschließlich demokratisch geführte Sportverein ebenso ein Mythos, wie der angeblich stets vorzufindende Pluralismus. Auch in anderen Organisationsformen, so besonders auf Parteiebene oder bei Wohlfahrtsverbänden haben vor allem Minoritätsinteressen und vernachlässigte Themen einen schweren Stand (vgl. Roth 2004: 47f; Zimmer 2007:199ff).

In Deutschland ruhen auf den Schultern des bürgerschaftlichen Engagements eine Reihe von Hoffnungen, die von Seiten der Gesellschaft, aber auch der politischen und wissenschaftlichen Elite an den intermediären Sektor herangetragen werden. Diese hohe Anspruchshaltung ist nicht überraschend, soll doch das bürgerschaftliche Engagement als Bindeglied zwischen den Sphären von Staat, Markt und familiärer Privatheit fungieren. So wird zum einen darauf gesetzt, dass im Zuge der Reform des deutschen Sozialstaates, eine finanzielle Entlastung des angeblich nicht mehr bezahlbaren sozialen Sicherungsnetzes möglich wird. Durch eine höhere Beteiligung von Bürgern an der Gestaltung sozialer Programme wird sich eine höhere Effizienz und Qualität der sozialen Errichtungen versprochen. Andererseits soll die Bürgergesellschaft in der Lage sein, die destruktiven Folgen von Pluralisierungs- und Individualisierungsfolgen (vgl. Beck 1986) in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels mit Hilfe eines bürgerschaftlich geprägten und gemeinwohlorientierten Wertekanons abzumildern. In dieser Soziali­sations­instanz sollen entsprechende Werte, Normen und Verhaltensweisen vermittelt werden. Ihr wird ebenfalls eine Integrationserwartung zuteil, nach der angenommen wird, dass Menschen mit Migrationshintergrund vor allem in bürgerschaftlichen Vereinigungen Anschluss an die übrige Gesellschaft finden (vgl. Hansen 2008: 32f). Des Weiteren wird durch eine stärkere Einbindung des Bürgers in Möglichkeiten der politischen Beteiligung eine Weiterentwicklung der Demokratie erwartet, welche die eher steigende, im besten Fall stagnierende Politikverdrossenheit (auch unter Jugendlichen, vgl. Schneekloth 2010: 142) im Blick, ihren demokratieunterstützenden Kern sukzessive zu verlieren scheint. Schlussendlich wird das bürgerschaftliche Engagement auch zunehmend als Qualifikationsmedium für die Lebensphase der Erwerbs­arbeit angesehen. Neben den erlernten fachlichen und handwerklichen Fähigkeiten spielt die Möglichkeit der individuellen Identitätsbildung hier eine große Rolle (vgl. Heinze/Olk 2001: 11f).

Die Anforderungen, die von der Gesellschaft an das bürgerschaftliche Engagement gestellt werden, können hier nur deskriptiv angerissen werden. Bezüglich der politikdidaktischen Lernmöglichkeiten werden die Ansprüche an das bürgerschaftliche Engagement im Folgenden präzisiert. In der vorliegenden Arbeit geht es jedoch nicht um die Diskussion des kollektiven Zustandes des Sozialkapitals auf der Makroebene, sondern der Fokus wird vielmehr auf die individuelle Ebene gerichtet werden, in der der Einzelne bestimmte Kompetenzen erlernen soll, um diese in einem mit politischer und gesellschaftlicher Bedeutung besetzten Zusammenhang anwenden zu können. Bei der Ausdifferenzierung der individuellen Lernpotentiale im bürgerschaftlichen Engagement bilden sich dennoch sowohl eine makro- als auch eine mikrosystemische Dimension von Lernerwartungen heraus.

2.3. Die Lernerwartungen an das bürgerschaftliche Engagement

Für die Politikdidaktik, sind jene Lernerwartungen von Bedeutung, da sie mit der Frage, welche Lernchancen die politische Bildung vom bürgerschaftlichen Engagement zu erwarten hat, einhergehen. Dazu sollen im Folgenden sowohl (1) makrosystemische als auch (2) mikrosystemische bzw. individuelle Erwartungen dargestellt werden.

(1) In der Tradition der euphorischen Diskussion um das soziale Kapital von Tocqueville über Almond & Verba und zuletzt Putnam wird angenommen, dass die für eine demokratische Teilhabe notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen durch bürgerschaftliches Engagement erlernt und angeeignet werden können. Dazu zählen soziale Kompetenzen wie Artikulationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit und Kompromiss­fähigkeit. Zum anderen können prozedurale Abläufe einer demokratischen Ordnung im bürgerschaftlichen Engagement, als Vor- oder Kleinform von Demokratie aufgefasst, verinnerlicht und eingeübt werden. Der oder die Engagierte wird während seiner bzw. ihrer Tätigkeit politisch sozialisiert und auf die Teilhabe am politischen Alltag vorbereitet. Anschließend wird ein Transfer dieser individuell erlernten Kompetenzen auf gesellschaftlich relevante Kontexte erwartet. Kurzum: das bürgerschaftliche Engagement soll als Lernort für demokratische Kompetenzen dienen (vgl. Hansen 2008: 30ff; Braun/Hansen/Ritter 2007: 2ff; Lerner/Alberts/Bobek 2007; Buchstein 2002: 198; Trumann 2010: 66; Hartnuß/Heuberger 2010: 468ff).

(2) Die mikrosystemische Ebene wird durch die Wahrnehmung des bürgerschaftlichen Engagements als individuellen Bildungsfaktor bestimmt. Es dient als Lernort für eine Vielzahl von Kompetenzen, sozialer, organisationaler und selbstbezogener Natur. Die während des Engagements erworbenen Kompetenzen könnten sowohl innerhalb der freiwilligen Tätigkeit genutzt werden als auch in der individuellen Außenwelt. Denkbar sind hier Transfers in den Kontext von Ausbildung oder Berufswelt. Ein weiterer Aspekt ist die motivationale Wirkung von Selbstwirksamkeits- und Anerkennungserfahrung im bürgerschaftlichen Engagement, die die eigene Aktivität steigern sollen. Das bürgerschaftliche Engagement wird daher allgemein mit den Konzepten des lebenslangen Lernens und des „Service Learning - Durch Verantwortung lernen“ in Verbindung gebracht und als Beitrag zur beständigen Weiterbildung und Qualifizierung verstanden (vgl. Enquête-Kommission 2002: 280f; Hansen 2008: 37f).

3. Empirische Ergebnisse zum bürgerschaftlichen Engagement in der Demokratie – zwischen Wunsch und Wirklichkeit?

3.1. Bereiche des Engagements

Bei der Analyse der empirischen Studien, die in den letzten beiden Jahrzehnten Auskunft über das bürgerschaftliche Engagement in Deutschland geben, fallen durchaus differenzierte Ergebnisse ins Auge. So ist eine deutliche Zunahme der freiwillig Engagierte in den letzten 15 Jahren festzustellen. Die EUROVOL-Studie (vgl. Gaskin u. a. 1996: 65) identifizierte 1994 18% der deutschen Bevölkerung, die einer unbezahlten Arbeit oder Aktivität nachgingen. Somit belegte Deutschland im europäischen Vergleich einen Platz im hinteren Mittelfeld. Demgegenüber waren nach dem Freiwilligensurvey des Jahres 2009 (vgl. BMFSFJ 2010a) bereits 36% der Bevölkerung freiwillig engagiert. Weitere Studien (vgl. Tab. 3-1) um die Jahrtausendwende unterstützen den statistisch errechneten Zuwachs des bürgerschaftlichen Engagements.

Tabelle 3-1: Übersicht zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Bewertung dieses rasanten Anstieges des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland fällt nicht leicht, da sich die Untersuchungen vor allem seit der Jahrtausendwende dem Vorwurf ausgesetzt sehen, den Engagiertenanteil durch künstliche Herabsetzung der quantitativen Zugehörigkeitskriterien (Umfang und Häufigkeit der Tätigkeit) herabzusetzen und damit diese Veränderungen „herbeizuforschen“. Gleichzeitig müssen die jeweils verschiedenen Forschungsdesigns, Stichprobenqualitäten und die modifizierten Messintrumente und –skalen zur Erklärung dieser Befunde in Betracht gezogen werden. So wird zudem, wie oben angedeutet, eine Vielzahl von unterschiedlichen Begriffsdefinitionen als Grundlage der Studien verwendet, welche eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse erschweren. Trotz des Verdienstes der Freiwilligensurveys, eine erste Längsschnittanalyse des bürger­schaftlichen Engagements in Deutschland zur Verfügung zu stellen, gilt gerade bei dieser vom Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Studie zu bemerken, dass die „Engagementhürden“ im Vergleich zu anderen Untersuchung deutlich gesenkt wurden. Beispielsweise würde das Engagementniveau des Jahres 1999 bereits von 34% auf 29,5% sinken, wenn diesem das relativ niedrige Kriterium einer mindestens einmal im Monat durchgeführten, mindestens vierstündigen Tätigkeit zugrundegelegt werden würde. Zudem erleichtert die Hinzunahme einer großen Abfragevielfalt von Engagementformen die Zuordnung der Befragten, wobei in den vorangegangen Studien meist nur Kategorien wie Ehrenamt oder freiwillige Tätigkeit als Filterfrage dienten. (vgl. Braun 2001: 16f; auch Buchstein 2002: 205f). Zudem erhöht sich die Reichweite der Zivilgesellschaft auf 71% der deutschen Bevölkerung durch die Einbeziehung derjenigen, die sich „zwar an Veranstaltungen, in Gruppen oder Mannschaften und an anderen Aktivitäten“ beteiligen, sich jedoch nicht auf diese Tätigkeiten oder Aktivitäten verbindlich und dauerhaft festlegen wollen (vgl. BMFSFJ 2010a: 5). Diese Öffnung des Engagementbegriffes wird für empirische Untersuchungen aber notwendig, da reine Mitgliederzahlen in Vereinen als Erhebungsgrundlage in zweierlei Form problematisch sind. Zum einen fällt das Verhältnis von aktiven und nichtaktiven Vereinsmitgliedern je nach Organisations- oder Verbandsfunktion unterschiedlich aus. In Gewerkschaften und Berufsverbänden ist beispielsweise weniger als die Hälfte der Mitglieder aktiv am Vereinsgeschehen beteiligt. Demgegenüber sind die „Karteileichen“ in Sportvereinen und Bürger­initiativen wesentlich geringer ausgeprägt (vgl. Gaiser/de Rijke 2006: 227f). Zum anderen lässt sich freiwilliges Engagement nicht nur durch eine formale Mitgliedschaft in Verbänden oder gemeinwohlorientierten Vereinigungen vollziehen, sondern auch informelle, ungebundene und nicht mit einer Amtsbekleidung verbundene Organisations- oder Hilfeleistungen in Vereinigungen sind ebenfalls zunehmend bei wissen­schaftlichen Untersuchungen in den Fokus zu rücken, da diese Tätigkeitsmöglichkeit in den letzten Jahren an Relevanz zugenommen haben.

Die engagierte Jugend, welche im Freiwilligensurvey von den Lebensjahren 14 und 25 eingegrenzt wird, kann als eine leicht abnehmende Engagiertengruppe bezeichnet werden. Trotz eines Rückgangs während der letzten 10 Jahre der längerfristig Engagierten von jeweils 2% der Gruppe der 14-19-Jährigen und der 20-24-Jährigen (Abb. 3-1) auf 36 bzw. 34%, entspricht dies nach wie vor dem Durchschnitt der Bevölkerung (vgl. BMFSFJ 2010a: 141f). Die Shell-Jugendstudie hingegen bezifferte den Anteil der Jugendlichen die sich oft für soziale oder gesellschaftliche Zwecke einsetzten auf 39% der 12-25-Jährigen (vgl. Schneekloth 2010: 152). Den Befund der EUROVOL-Studie, die bis 25-Jährigen seien die engagierteste Altersgruppe (vgl. Gaskin u.a. 1996: 66), wurde durch die folgenden Untersuchungen in dieser Deutlichkeit nicht bestätigt. Trotz eines möglicherweise leichten Rückgangs des Engagementniveaus kann im Vergleich zur übrigen Bevölkerung dennoch kaum von einer am Gemeinwohl nicht interessierten und nicht engagierten Jugend die Rede sein.

Abbildung 3-1: Verteilung der Aktivität nach Altersgruppen, in Prozent.

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Die Shell-Studie 2010 fragte traditionsgemäß nach der Häufigkeit von sozialen und gesellschaftlichen Aktivitäten oder allgemein nach dem Einsatz für andere Menschen. Dabei gelangt sie trotz der breiteren Fragestellung zu ähnlichen Ergebnissen. 39% der befragten Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren gaben an, in dieser Beziehung „oft“ aktiv zu sein. Der Anteil der gelegentlich Aktiven belief sich auf 41% und der nicht Aktiven auf 20%. Im Längsschnitt verzeichnet die Shell-Studie allerdings einen Zuwachs von oft Engagierten (vgl. 2002: 34%; 2006: 33%). Diese im Vergleich gegenläufigen Befunde der beiden Studien gehen insofern konform, da eine grundsätzliche Bereitschaftserhöhung, d.h. eine Vergrößerung der Gruppe, die mindestens gelegentlich einer freiwilligen Tätigkeit im unmittelbaren Umfeld nachgeht, in den letzten Jahren zu verzeichnen ist (vgl. Schneekloth 2010: 152ff).

Mit einer ähnlichen Fragestellung, wie die Shell-Studien, gelangt das DJI-Jugendsurvey 2003 zu einem Ergebnis, bei dem wesentlich weniger Jugendliche (zwischen 3% und 19%) sich „oft“ an prosozialen Aktivitäten beteiligen. Wie im Freiwilligensurvey wird auch in der DJI-Jugendstudie erkennbar, dass die Bereitschaft sich gemeinschaftlich zu engagieren im fortschreitenden Jugendalter abnimmt (vgl. Gaiser/de Rijke 2006: 214f).

Zusammenfassend kann von etwa einem Drittel der Gesamtbevölkerung im Allgemeinen, als auch von den Jugendlichen im Besonderen ausgegangen werden, das sie sich aktiv gemeinschaftlich engagieren. Dem gegenüber steht etwa ein Viertel der Bürger, die noch nie gesellschaftlich aktiv waren und auch nicht bereit sind, sich in Zukunft freiwillig zu engagieren. Die verbleibende Masse der Bevölkerung ist gelegentlich aktiv bzw. zumindest grundsätzlich bereit sich initiativ zu betätigen. Bei allen Schwierigkeiten der Vergleichbarkeit und den möglichen Vorbehalten gegenüber den Surveydesigns, stehen nach den angesprochenen Längsschnittuntersuchungen etwa zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland der Zivilgesellschaft zur Verfügung, womit die Befürchtung eines Verfalls derselben zumindest im Moment als unbegründet erscheint.

Der Tätigkeitsbereich, in dem sich die Jugendlichen am häufigsten engagieren, wurde im Freiwilligensurvey 2004 mit Sport und Bewegung zusammengefasst. 14% aller Jugendlichen in Deutschland zwischen 14 und 24 Jahre engagieren sich aktiv in Sportvereinen und -organisationen und somit etwas mehr als die Gruppe der über 25-Jährigen (12%). Es folgen Schule und Kindergarten (7%), Kirche und Religion (6%) sowie Kultur und Musik (5%). Sowohl Politik und Interessenvertretung (2%), lokales Bürgerengagement (3%) als auch Umwelt- und Tierschutz (2%) nehmen eher einen untergeordneten Teil im Engagement von Jugendlichen in Deutschland ein. Dabei unterscheidet sich die junge Altersgruppe nur geringfügig von ihren älteren Mitbürgern (Abb. 3-2). Die auftretende Tendenz der Tätigkeitshäufigkeit unter den Engagierten kann auch die Studie „Informelle Lernprozesse“ bestätigen. Neben den stärksten Engagementbereichen Kirchen und religiöse Einrichtungen sowie Sportvereine, traten hier daneben auch Rettungsdienste und Jugendverbände hervor (vgl. Düx u.a. 2008: 61ff).

Abbildung 3-2: Freiwilliges Engagement nach Tätigkeitsbereichen, von Jugendlichen und Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren, Mehrfachnennungen, in Prozent (BMFSFJ 2005: 217).

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3.2. Sozio-demographische Bedingungsfaktoren

Die Teilnahme an einer freiwilligen Tätigkeit unterliegt zahlreichen Prädikatoren. Bei nahezu allen Untersuchungen, die empirische Analysen des bürgerschaftlichen Engagements durchführten, kristallisierte sich heraus, dass tendenziell männliche Jugendliche und junge Erwachsene sich insbesondere im Sportvereinen und Rettungsdiensten beteiligen (vgl. Gaskin u.a. 1996: 65; Schneekloth 2010: 154; Gaiser/de Rijke 2006:224ff). Das allgemeine Engagement der weiblichen 14-19-Jährigen, welches gegenüber der männlichen Alterskohorte vor allem im sozialen, religiösen und schulischen Bereich sogar stärker ausgeprägt ist, erfährt mit Beginn des 20. Lebensjahres, ausgelöst durch komplexe Verpflichtungen und Bedürfnisse der Frauen in Ausbildung, Erwerbsarbeit und Familie einen erheblichen Einbruch. Die Längsschnittuntersuchungen konstatieren aber eine abnehmende Tendenz gender­spezifischer Differenzen (vgl. Reinders 2005: 44; BMFSFJ 2010a: 39ff, 167ff; Mutz/Nobis 2007: 250ff).

Bedeutender für die Entscheidung, sich bürgerschaftlich zu engagieren, ist jedoch der Bildungshintergrund. Die empirischen Untersuchungen belegen eine eindeutige Korrelation zwischen Bildungsstand und finanzieller Ausstattung des Elternhauses sowohl mit einer Mitgliedschaft in einer Vereinigung, als auch einer aktiven Teilnahme im Verein. So sind 32% der deutschen Bevölkerung mit einfacher Bildung und demgegenüber 43% mit hoher Bildung Mitglied in einer gemeinnützigen Organisation, wobei Mehrfachmitgliedschaften zu berücksichtigen sind (vgl. BMFSFJ 2010a: 54). Noch größer wird diese Diskrepanz bei der Frage nach allgemeiner, auch organisationsungebundener bürgerschaftlicher Aktivität (vgl. Düx u.a. 2008, 40; Gaiser/de Rijke 2006: 258; Reinders 2009: 15). So sind nach Reinders idealtypischer Kategorisierung des bürgerschaftlichen Engagements etwa doppelt so viele Menschen mit hohem Bildungsstatus in Typ 1 und 2 zu finden wie Aktive mit niedrigerem Bildungsniveau (43% zu 22%). Bei der Betrachtung des Vierten nicht engagierten Typs dreht sich dieses Bild in sein Gegenteil. 35% der Nicht-Aktiven sind einem niedrigen Bildungsstatus zuzuordnen, demgegenüber steht eine Gruppe von 18% mit einem höheren Bildungsniveau (vgl. ebd.).

Hofer (vgl. 1999: 119f) fand außerdem eine positive Wechselbeziehung zwischen freiwilliger Aktivität und Bildungsstand der Eltern zur Engagementbereitschaft des Kindes. So spielt das Bildungsniveau als Indikator für kulturelles Kapital für die Jugendlichen eine Rolle bei der Dauer der Zugehörigkeit im Bildungssystem und auch bei den Ausgangsbedingungen für die Perspektiven gesellschaftlicher Beteiligung (vgl. auch Hofer/Buhl 2000).

Neben der Bildung treten auch regionale Besonderheiten in Wechselbeziehung mit dem Grad der Beteiligung an der Bürgergesellschaft. Die Engagementdichte bleibt seit Aufnahme der Freiwilligensurveys in den neuen Bundesländern hinter der der alten Bundesrepublik zurück. In Ostdeutschland sind 31% der Bevölkerung bürgerschaftlich aktiv, gegenüber 37% in Westdeutschland. Die sich angleichende Tendenz zwischen 1999 und 2004 konnte 2009 nicht bestätigt werden (vgl. BMFSFJ 2010: 24f). Mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt liegt das Engagementniveau in den neuen Bundesländern jedoch noch über dem der Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg. Dies korrespondiert mit den Ergebnissen des Surveys, wobei ländliche Räume einen zum Teil deutlich höheren Engagementanteil aufweisen als urbane Areale mit deren Umland (vgl. BMFSFJ 2010: 26).

Dem bürgerschaftlichen Engagement wird auf dem Gebiet der Integration von Migranten eine große Bedeutung beigemessen. Diese Bevölkerungsgruppe wird nach eigener Feststellung im Freiwilligensurvey nur unbefriedigend und unterrepräsentativ erfasst. Aufgrund der ausschließlichen Verwendung der deutschen Sprache während des Telefoninterviews im Rahmen des Surveys wurden einige, nicht deutsch sprechende Migranten exkludiert. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund unter den Befragten des Jahres 2009 betrug 9,1% und liegt somit deutlich unter dem Niveau, welches der sozialstrukturerfassende Datenreport 2006 mit etwa 18% ermittelte (vgl. BMFSFJ 2010b: 21; Statistisches Bundesamt u.a. 2008: 19). Nach dem Freiwilligensurvey 2004 waren 22% der Migranten freiwillig engagiert und blieben damit 14 Prozentpunkte unter der übrigen in Deutschland lebenden Bevölkerung. An diesem Verhältnis hat sich auch fünf Jahre später wenig geändert. Tendenziell sind aber jene Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren wurden, häufiger gemeinschaftlich aktiv als im Ausland Geborene (vgl. BMFSFJ 2005: 369ff; BMFSFJ 2010a: 23).

So lässt sich konstatieren, sofern sich im Folgenden politische Lernpotentiale im bürgerschaftlichen Engagement herauskristallisieren, dass weibliche Bürger, die in den neuen Bundesländern beheimatet sind, in einem urbanen Umfeld leben, ein niedriges Bildungsniveau einnehmen und/oder einen Migrationshintergrund aufweisen, diese Chancen statistisch seltener wahrnehmen würden.

3.3. Tätigkeitstypen und Organisationsformen in Vereinen

Durch die Vielfältigkeit und Bandbreite der übernommenen Aufgaben und Verantwortungsbereiche kann im bürgerschaftlichen Engagement die Tätigkeits- und Organisationsstruktur nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ differenziert werden. Es scheint plausibel, dass in Abhängigkeit zu den Anforderungen der spezifischen freiwilligen Tätigkeiten das allgemeine Lernpotential und im Besonderen das politische Lernen unterschiedliche Dimensionen annehmen können. Die Studie „Informelle Lernprozesse“ konnte aus einer Reihe von qualitativen Interviews vier idealtypische Tätigkeittypen identifizieren (vgl. Düx u.a. 2008: 64f).

a) Der/die praktische Helfer/in ist vor allem im handwerklichen und technischen Bereich zu finden, wird aber auch bei der Lebensrettung und allgemeiner Hilfe tätig.

b) Der/die Gruppenleiter/in und Trainer/in arbeitet vor allem mit Kindern und Jugendlichen. Er übernimmt Verantwortung als Übungsleiter, indem er Jugendgruppen neben der Anleitung bei wöchentlichen Trainingseinheiten oder Treffen auch bei Wochenendausflügen oder Turnieren begleitet.

c) Der/die Organisator/in arbeitet ehrenamtlich in den verschiedensten Bereichen der Planung und Durchführung von Ausflügen und Wettbewerben und ist für die Entwicklung von Projekten verantwortlich. Dieser Typus schließt auch eine formelle Amtsübernahme beispielsweise eines Kassenwart mit ein.

d) Als der/die Funktionär/in wird jener Typ beschrieben, der vor alle politische Verantwortung übernimmt, aktiv die Interessen der entsprechenden Organisation nach außen vertritt, die Leitung von Sitzungen übernimmt und teilweise hauptamtliche Mitarbeiter einstellt und kontrolliert.

Aufgrund von Mehrfachtätigkeiten, informeller Aufgabenübernahme und methodischen Schwierigkeiten bei der Erhebung sind Vermischungen der idealtypischen Tätigkeitscluster im tatsächlichen Engagement durchaus möglich und nicht selten vorzufinden. Düx u.a. (vgl. 2008: 67f) konnte aber ein deutliches Übergewicht an „Organisatoren“ bei den Befragten finden, die zu 44% diese Gruppe zuzuordnen sind. Es folgen die „Gruppenleiter“ mit 25%, die „praktischen Helfer“ (15%) und schließlich mit 14% die „Funktionäre“. Auch der Freiwilligensurvey konnte den Befund bestätigen, dass die Mehrheit der bürgerschaftlich Engagierten im organisatorischen Bereich tätig ist (vgl. BMFSFJ 2010a: 212).

Entsprechend der Anforderungsprofile an die Tätigkeiten finden sich die vier Tätigkeitstypen unterschiedlich häufig in den verschiedenen, oben herausgearbeiteten Tätigkeitsbereichen wieder (vgl. Abb. 3-3).

Abbildung 3-3: Verteilung der Tätigkeitstypen nach Organisationsbereichen, in Prozent. Quelle: Studie „Informelle Lernprozesse“, Düx u.a. (2008: 69).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Diese ältere Form der Bezeichnung von Vereinen und Vereinigungen wird im Folgenden synonym verwendet

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Politisches Lernen im bürgerschaftlichen Engagement
Untertitel
Ein Lernort der politischen Bildung zwischen Mythos und Wirklichkeit
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
91
Katalognummer
V277325
ISBN (eBook)
9783656700517
ISBN (Buch)
9783656703457
Dateigröße
1071 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
politisches, lernen, engagement, lernort, bildung, mythos, wirklichkeit
Arbeit zitieren
André Beyer (Autor:in), 2011, Politisches Lernen im bürgerschaftlichen Engagement, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277325

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