„Zu einem […] Abarbeiten in der Selbstbeobachtung berechtigte […] die aufwachende empirische Psychologie, die nicht gerade alles was uns innerlich beunruhigt für bös und verwerflich erklären wollte […]“
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe erkannte in diesem Zitat bereits den Prozess, welcher sich in der Anthropologie des 18. Jahrhunderts in den verschiedensten Bereichen der Wissenschaftsdisziplinen manifestierte. Am Menschen selbst orientieren sich nun jene Disziplinen, sodass besonders die Literatur als Medium der selbstreflexiven Wahrnehmung des subjektgewordenen Individuums zum Anschauungsgebiet wird. Thematisch konzentrieren und prägen sich in ihr nun jene Kontexte, welche den ‚ganzen Menschen‘ bilden. Innerhalb dieser Relationen bewegt sich so auch Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“, der 1787 als bearbeitete Ausgabe des Autors erschien (erstmalig erschienen 1774 unter dem Titel „Die Leiden des jungen Werthers“). Entsprechend der anthropologischen Intentionen des 18. Jahrhunderts, die den Einzelnen in den Fokus wissenschaftlicher Diskurse rücken, berichtet Goethe in seiner Autobiographie „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ zur Entstehung seines Werkes, dass ihn „[j]ener Vorsatz, meine innere Natur nach ihren Eigenheiten gewähren, und die äußere nach ihren Eigenschaften auf mich einfließen zu lassen […] “ , hierbei indoktriniert hätte.
Helmut Schmiedt schrieb über das Werk folgendes „[…] [es] dürfte […] wenige andere Werke geben, die unter so vielen verschiedenen Perspektiven das dauerhaft intensive Interesse der Literaturwissenschaftler auf sich gezogen haben […]“ Bei den Zeitgenossen löste der Roman teils widersprüchliche Resonanz aus, sodass jene vom Verbot bis hin zur Huldigung des Werkes und seines Protagonisten, den jungen Werther reichte.
Die Entstehung sowie Wirkung des Romans bezieht sich retrospektiv dichotomisch zurück auf die Geschehnisse in der Wirklichkeit: Einerseits gründet Goethes Werk auf einer Fallgeschichte, andererseits wird es, zahlreiche Debatten um Nachahmungseffekte auslösend, zum zeitgenössischen Archetypen der Modekrankheiten Melancholie und Hypochondrie. Die kausalpsychologische Entwicklung hin zum finalen Selbstmord, vollzieht sich laut Goethe auf Basis einer ‚krankhaft‘ veränderten Perspektive, die „[…] das Leben als eine ekelhafte Last.“ empfindet.
„[…] das Schicksal des »der freien und allseitigen Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit« [nach; AR] lebenden Protagonist
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Themenrelevanz und Aufbau der Arbeit
- Ein anthropologischer Roman
- Begriffsklärung – Was bedeutet/ beinhaltet Anthropologie im 18. Jahrhundert?
- Rekurs zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte
- Wirklichkeit und Poesie
- Factum Fallgeschichte
- Werther - Eine poetische Nachbildung?
- Goethes,,Krankengeschichte“ – „Das Innere eines kranken jugendlichen Wahns“
- Melancholie & Werthers Krankheit zum Tode
- Elysischer Infantilismus?
- Natur als Spiegel verborgener Innerlichkeit
- Schlusswort
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ als Beispiel für die Anthropologie des 18. Jahrhunderts. Ziel ist es, die anthropologischen Aspekte des Werkes aufzuzeigen und zu untersuchen, wie sich die sich entwickelnde Anthropologie in der Literatur manifestiert.
- Die Entwicklung der Anthropologie im 18. Jahrhundert
- Die Rolle der Literatur als Medium der Selbstreflexion und des individuellen Bewusstseins
- Die Darstellung von „Krankheit“ und „Wahnsinn“ in der Literatur
- Der Einfluss des Romans „Die Leiden des jungen Werther“ auf die zeitgenössische Gesellschaft
- Goethes „Krankengeschichte“ im Kontext der anthropologischen Debatten des 18. Jahrhunderts
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Themenrelevanz und den Aufbau der Arbeit vor. Sie zeigt auf, wie Goethe bereits im 18. Jahrhundert den Prozess der empirischen Psychologie erkannte, der sich in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen manifestierte.
- Ein anthropologischer Roman: Dieses Kapitel widmet sich der Klärung des Begriffs „Anthropologie“ im 18. Jahrhundert und beleuchtet die humanorientierten Themen, die in der Literatur dieser Zeit eine zentrale Rolle spielen. Es wird die literarische Verhandlung der Konditionierungen von menschlicher „Natur“ und „Kultur“ sowie der Hierarchisierungskonflikte untersucht.
- Wirklichkeit und Poesie: Dieses Kapitel untersucht die Beziehung zwischen der Fallgeschichte, auf der Goethes Roman basiert, und der poetischen Nachbildung der Realität. Es wird die Frage beleuchtet, inwiefern der Roman einen Realitätsbezug für sich beanspruchen kann.
- Goethes „Krankengeschichte“: Dieses Kapitel analysiert Goethes Darstellung von „Krankheit“ und „Wahnsinn“ im Kontext von Melancholie, Hypochondrie und Werthers Krankheit zum Tode. Die Rolle der Natur als Spiegel der inneren Welt wird ebenfalls untersucht.
Schlüsselwörter
Schlüsselbegriffe dieser Arbeit sind Anthropologie, Literatur, Selbstreflexion, Individualität, Krankheit, Wahnsinn, Melancholie, Hypochondrie, Natur, Kultur, "Die Leiden des jungen Werther", Goethe, 18. Jahrhundert.
- Quote paper
- Anika Richmann (Author), 2013, Die Leiden des jungen Werther. Eine anthropologische Spurensuche im 18. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277335