Leseprobe
Inhalt
0. Zum Gegenstand der Arbeit
1. Was darf Literatur?
1.1. Ein inszenierter Skandal?
1.2. Literatur, die Kunst des schönen Wortes?
2. Die Grenzen der Literatur am Beispiel von Bret Easton Ellis’ „American Psycho“
2.1. Frauenfeindlichkeit als Grenze für Literatur?
2.2. Muss Literatur moralisch sein?
3. Abschlussbemerkung
4. Bibliografie
0. Zum Gegenstand der Arbeit
Die Frage nach den Grenzen der Literatur ist nicht neu. Nicht erst seit den Terrorakten des elften September im vergangenen Jahr gibt es in den Medien und in der Literaturforschung die vieldiskutierte Frage, wie weit Gewaltdarstellungen gehen dürfen, müssen und sollen. Kurz nach den Anschlägen in New York und Washington wurden zeitweise gewaltverherrlichende Filme aus den Kinoprogrammen genommen – heute, ein knappes Jahr später, werden sie wieder gezeigt.
Doch während Gewalt im Fernsehen und im Kino größtenteils akzeptiert und kritiklos wahrgenommen wird, bildet die Literatur scheinbar eine Ausnahme. Die Kunst des schönen Wortes darf das nicht aussprechen, was wir tagtäglich visualisieren. So scheint es zumindest. Anders lässt sich der Skandal, den der amerikanische Jungautor Bret Easton Ellis 1991 mit seinem dritten Roman „American Psycho“[1] auslöste, nicht erklären.
Im Anschluss soll nun anhand des Romans und zahlreicher Stellungnahmen von Seiten des Autors sowie von Kritikern, Befürwortern und Behörden die Frage diskutiert werden, ob es Grenzen für das Sagbare in der Literatur gibt und wenn ja, worin diese bestehen.
1. Was darf Literatur?
Bret Easton Ellis, der 1985 im Alter von einundzwanzig Jahren noch während seiner Studienzeit mit „Less than Zero“[2] bereits seinen ersten Bestseller verfasste, gehörte Anfang der neunziger Jahre mit seinem Roman „American Psycho“ wohl zu den umstrittensten und meist diskutierten Autoren der Gegenwart. Zwar hatte es schon vorher Romane über Massenmörder, die aus der Perspektive eines Icherzählers die Handlung schildern, gegeben - man denke nur an James Elroys „A Killer on the Road“.[3] Aber Ellis „American Psycho“ ging damals über die bisherigen genretypischen Eigenschaften hinaus und führte aus vielerlei Gründen in den USA zu einem handfesten Skandal. Dessen Darstellung sowie die Aufnahme des Romans in der deutschen Kritik soll nun im Folgenden die Frage nach der Aufgabe und den Grenzen der Literatur einleiten.
1.1. Ein inszenierter Skandal?
„Können wir nicht mehr das sagen, was wir sagen wollen, nur weil ein kleiner, winziger, minimaler Teil der Bevölkerung das Ganze falsch verstehen könnte?“[4] So reagiert Bret Easton Ellis, wenn er auf die Aufregung um „American Psycho“ angesprochen wird. Zu brutal sei die Geschichte des Psychopathen Patrick Bateman, dessen Leben zwischen dem schönen Schein an der Wall Street und den dunklen Seiten des Serienmordes für Aufsehen sorgte. Im gleichen Atemzug wurde Ellis oft vorgeworfen, er habe nur deshalb ein solch kontroverses Buch geschrieben, um sich nach dem Misserfolg seines vorhergehenden Romans „The Rules of Attraction“[5] wieder ins Gespräch zu bringen. Zugegebenermaßen ist ihm das mit „American Psycho“ gelungen.
Bereits vor der Veröffentlichung des Romans kommt es in den USA zu massiven Protesten – meist von Frauenrechtsorganisationen. Ganze zwei Monate vor dem eigentlichen Erscheinungstermin bringt die sonntägliche „New York Times Book Review“ eine Buchbesprechung von „American Psycho“ mit dem Vorabdruck einiger gewalttätiger Szenen unter der Überschrift „Tötet dieses Buch! Soll Bret Easton Ellis ungestraft morden dürfen?“[6] heraus. Dieser Artikel, der hauptsächlich auf die Sex- und Gewaltszenen, aber nicht auf die gesellschaftskritischen Aspekte des Romans eingeht, zieht eine Welle der Empörung nach sich. Aufgrund der massiven Proteste entschließt sich Ellis ursprünglicher Verlag Simon & Schuster die erste Auflage des Romans postwendend einzustampfen. Der Vertrag mit Ellis wird aufgekündigt und Simon & Schuster verzichtet, um weiteren Wirbel zu vermeiden, freiwillig auf das bereits gezahlte Vorschusshonorar von 300.000 Dollar.[7] Es dauert keine achtundvierzig Stunden bis sich der Konkurrenzverlag Vintage Books, eine Tochterfirma des Verlags Randomhouse, die Rechte an American Psycho sichert.
Die Aufregung hat einige lokale Indizierungsversuche in US-Büchereien und Boykottaufrufe bis hin zu Morddrohungen gegen den Autor zur Folge. Jedoch wird eine generelle Indizierung des Romans in den USA nicht durchgesetzt. „American Psycho“ wird in mehrere Sprachen übersetzt und kommt im Frühjahr 1992 auch in Deutschland auf den Markt, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten.
Der ursprüngliche deutsche Verleger Rowohlt tritt mit Blick auf den Skandal, den der Roman in den USA verursacht hat, vom der Veröffentlichung zurück. Stattdessen erscheint „American Psycho“ beim wesentlich kleineren Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch.[8] Der Roman stößt jedoch auf ein mäßiges Leserinteresse. Geradeeinmal siebzigtausend Exemplare, davon zwanzigtausend gebundene und fünfzigtausend Taschenbuchausgaben, werden bis 1995 verkauft.[9] In der Öffentlichkeit finden kaum Auseinandersetzungen über Form und Inhalt statt. Doch dann, ganze vier Jahre später, am 31. Januar 1995, kommt es zur Indizierung des Romans durch die Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BJS).[10] Nach deren Ansicht sei „American Psycho“ in manchen Passagen „menschenverachtend und geeignet, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren.“[11] Die Prüfstelle entscheidet sich mit der Indizierung allerdings gegen die Empfehlung durch die eigens engagierten Gutachter für literarische Texte, Professor Mainusch und Professor Knoll.[12] Diese kommen nach der Lektüre des Romans zu dem Ergebnis, dass „lediglich eine isolierte Stellenlektüre durch Jugendliche“[13] als gefährlich einzustufen sei.
[...]
[1] Ellis, “American Psycho”, New York/ Köln 1991. Im folgenden werden Zitate unter Verwendung der Sigle “AP” nachgewiesen.
[2] Ellis, “Less than Zero“, New York 1985.
[3] Elroy, “A Killer on the Road” , Los Angeles 1986.
[4] Silbert, „Gericht liest ‚American Psycho’ anders“, 1996.
[5] Ellis, Bret Easton: “The Rules of Attraction”, New York 1987.
[6] Rosenblatt, „Tötet dieses Buch“, in: Times, 1990.
[7] Vgl. z.B. Lewerenz, „Anleitung zur Folter“, in: Kieler Nachrichten, 1991.
[8] Fortan zitiert unter der üblichen Verlagsabkürzung KiWi.
[9] Keller, „Apokalyptischer Cocktail“, in: Kölner-Stadtanzeiger, 1995.
[10] Börsenblatt, „Scharmützel um Ellis Roman ‚American Psycho’“, 1995.
[11] KiWi, Erklärung zum Beschluss des OVG Münster, 1996.
[12] Börsenblatt, „Scharmützel um Ellis Roman ‚American Psycho’“, 1995.
[13] Ebd., 1995.