Macht, Herrschaft und Gewalt. Der bewaffnete Konflikt zwischen Maoisten und indischem Staat


Diplomarbeit, 2012

146 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1Kritischer Ü berblicküber den Forschungsstand
1.2Problem und Fragestellung
1.3Herangehensweise
1.4Gliederung der Arbeit
1.5Zentrale Begriffe

2 Macht, Herrschaft, Legitimität und Konflikt
2.1Macht
2.1.1 Macht nach Weber
2.1.2 Machtformen
2.2Herrschaft
2.2.1 Das Wesen der Herrschaft
2.2.2 Institutionalisierungsprozess von Macht zu Herrschaft
2.2.3 Prozesse der Machtbildung
2.3Legitimität
2.3.1 Legitime Herrschaft
2.3.2 Die Entstehung von Legitimität: Basislegitimität
2.4Konflikt und Herrschaftszerfall

3 Staatliche Herrschaft - Ideal und Wirklichkeit
3.1Das Ideal des modernen Staates
3.2 Staatliche Herrschaft in der Dritten Welt
3.3Der Staat als Machtfeld - staatliche Herrschaft in der Peripherie

4 Bewaffnete Gruppen
4.1Bewaffnete Gruppen als soziale Akteure
4.2Die gewaltsame Austragung des Konfliktes
4.2.1 Die Strategie der Guerilla
4.2.2 Der ambivalente Charakter der Gewalt
4.3Formierung und innere Institutionalisierung
4.4 Institutionalisierung nach Außen: Gebietsherrschaft und Legitimität

5 Der indische Staat
5.1Die historische Entstehung des indischen Staates - Kontinuitätslinien und Brüche
5.1.1 Politische Herrschaft im vorkolonialen Indien
5.1.2 Die britische Kolonialherrschaft
5.1.3 Das unabhängige Indien: Kontinuitäten
5.1.4 Der indische Entwicklungsstaat: Allmacht und begrenzte Reichweite
5.2Politische Herrschaft in der Peripherie
5.2.1 Die lokale Verwaltung
5.2.2 Der Agrarsektor
5.2.3 Die Marginalisierung der indigenen Adivasis

6 Die Institutionalisierung der naxalitischen Bewegung
6.1Formierung und Entwicklung der naxalitischen Bewegung
6.2Die CPI (Maoist)
6.2.1 Die Selbstbeschreibung der CPI (Maoist)
6.2.2 Die Institutionalisierung der CPI (Maoist)

7 Institutionalisierung von Gebietsherrschaft
7.1Angriff auf die bestehende Ordnung
7.2Machtanwendung der Naxaliten
7.3 Institutionalisierung der Macht - Etablierung von Herrschaft
7.3.1 Normierung und Positionalisierung
7.3.2 Positionsgefüge von Herrschaft - Gebietsherrschaft
7.4Herstellung von Legitimität

8 Die Reaktion des Staates
8.1Anpassung des Gewaltapparates
8.2Die staatlichen Sicherheitskräfte im Einsatz
8.3Undifferenzierte Gewalt
8.4Alternative Ansätze

9 Fazit
9.1Die Bedingungen für den Erfolg der Maoisten
9.2Ausblick

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ausbreitung der Maoisten (South-Asian Terrorism Portal 2009)

Abbildung 2: Organigramm der CPI (Maoist) (Ramana 2008: 198)

1 Einleitung

"I have consistently held that in many ways, left-wing extremism poses perhaps the gravest internal security threat our country faces." - Indischer Premierminister, Manmohan Singh, 15.9.2009 (zit. nach BBC 2009).

"No quarter can be given to those who have taken upon themselves to challenge the authority of the Indian state and the fabric of our democratic polity." - In- discher Premierminister Manmohan Singh, 21.4.2010 (zit. nach Indian Express

“ The battle is to restore hearts and minds. [ … ] For any reason, villagers think the Naxals are their friends and adversary is the govt, we cannot win this battle. ”

- Indischer Innenminister P. Chidambaram 13.9.2011 (zit. nach Today.IN 2011).

Diese Zitate beziehen sich alle auf die maoistischen Rebellen, die sogenannten Naxaliten, die den indischen Staat mit Waffengewalt herausfordern und über einige Regionen seines beanspruchten Territoriums erheblichen Einfluss ausüben. Aus den Zitaten ist herauslesen, dass die Naxaliten von Seiten des Staates als schwere Bedrohung eingestuft werden und dass dieser begegnet werden muss. Dies scheint sich jedoch als problematisch herauszustellen, da die Maoisten Unterstützung von weiten Teilen der indischen Gesellschaft erfahren und diese gleichzeitig den indischen Staat ablehnen.

Seit maoistische Rebellen im benachbarten Nepal 2005 nach jahrelangem Guerilla-Krieg (vgl. Hutt Hrsg. 2004) die bis dahin herrschende Monarchie stürzten, wird die Bedrohung durch die Naxaliten in Indien stärker wahrgenommen (vgl. Ramana 2008: 117). Nach Schätzungen des indischen Innenministeriums waren die Naxaliten im Jahr 2010 in 20 von insgesamt 28 Bun- desstaaten aktiv. Innerhalb dieser Staaten sind 223 Distrikte betroffen, im Jahr 2003 waren es hingegen nur 55 (Sahni/Singh 2010). Es kann also eine erhebliche Ausbreitung der Maoisten konstatiert werden. Im letzten Jahr sind 1003 Menschen bei gewalttätigen Auseinanderset- zungen zwischen Naxaliten und staatlichen Regierungstruppen ums Leben gekommen, das ist der höchste Wert seit 1971 (Magioncalda 2010; MHA 2011: 21). Der Konflikt zwischen indi- schem Staat und der naxalitischen Bewegung existiert nun schon länger als 40 Jahre. Teilwei- ser war der Staat in der Lage, mittels massiver Gewalt die Bewegung kurzzeitig zu unterdrü- cken. Jedoch war es ihm nie möglich, den Konflikt langfristig zu beenden (vgl. Dixit 2010). Auf der anderen Seite war die naxalitische Bewegung über lange Zeit fragmentiert und schwach. Anfang der 1980er Jahre bestanden mehr als 30 verschiedene Gruppen, die sich zuweilen auch gegenseitig bekriegten (vgl. Singh 2010: 124). Allerdings haben sich im Jahr 2004 die beiden größten Gruppen, die People ’ s War Group (PWG) und der Maoist Commu- nist Centre of India (MCCI), zur Communist Party of India (Maoist) [CPI (Maoist)] zusam- mengeschlossen. Seither sind etwa 95% der Bewegung unter dem Dach der neu gegründeten Gruppe organisiert (vgl. Marwah 2009:146). Von da an begann die massive Expansion der Maoisten, die in der Folge ihre Stützpunkte zusammenlegten und sehr viel koordinierter vor- gingen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Ausbreitung der Maoisten (South-Asian Terrorism Portal 2009)

Im Herbst 2009 hat der indische Staat eine großangelegte Offensive, die sogenannte Operati on Green Hunt gegen die Stellungen der Maoisten gestartet. Jedoch kann der Staat kaum Fortschritte vorweisen, stattdessen eskaliert der Konflikt (vgl. Sahni 2010). So waren die Maoisten wiederholt in der Lage besonders spektakuläre Anschläge auf die Sicherheitskräfte zu verüben, bei denen zahlreiche Polizeibeamte getötet wurden. Jeder dieser Anschläge erschütterte die indische Öffentlichkeit stark und ließ Zweifel an der staatlichen Fähigkeit aufkommen, den Konflikt für sich entscheiden zu können (vgl. Spacek 2010).

Aus der Perspektive der Maoisten kann ihre bisherige Entwicklung als relativ erfolgreich beschrieben werden. Sie haben es geschafft, trotz steter Repression durch den Staat beinahe ein halbes Jahrhundert zu überleben. Des Weiteren konnten sie ihr Einflussgebiet in den letzten Jahren stetig ausweiten, ohne dass der Staat in der Lage gewesen wäre, dieser Expansion effektiv etwas entgegen zu setzen.

Wiederholt haben Analysten davor gewarnt, dass der bewaffnete Konflikt Indiens Entwicklung als aufstrebende Wirtschaftsnation, die beabsichtigt, auf internationaler Ebene eine gewichtigere Rolle einzunehmen, ernsthaft gefährden könnte (vgl. Chakravarti 2010).

1.1 Kritischer Überblick über den Forschungsstand

Da der Konflikt schon seit über vier Jahrzehnten besteht, ist seither eine große Menge an wis- senschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema publiziert worden. Seit dem Jahr 2004, das Jahr, in dem sich die beiden größten naxalitischen Organisationen zusammenschlossen, wird dem Konflikt von wissenschaftlicher Seite allerdings erhöhte Aufmerksamkeit beigemessen. So sind in Economic and Political Weekly, der wohl wichtigsten regelmäßig erscheinenden Pub- likation für Politikwissenschaftler in Indien, seitdem 80 Artikel zu diesem Thema erschienen (vgl. EPW 2011). Trotz der ausgesprochenen Schwere des Konfliktes, hat dieser international bislang nur wenig Aufmerksamkeit geweckt. Deshalb wird er maßgeblich von indischen bzw. indisch-stämmigen Autoren behandelt.

Aufgrund der langen Dauer, der weiten räumlichen Ausbreitung des Konfliktgeschehens so- wie dem komplexen Charakter von bewaffneten Konflikten (vgl. Jung/Schlichte/Siegelberg 2003: 16) ist seither eine Fülle von Untersuchungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten erschienen. Diejenigen Autoren, die den Konflikt aus historischer Perspektive betrachten, machen deutlich, dass sich innerhalb der naxalitischen Bewegung seit den 1980er Jahren ein Prozess der Professionalisierung vollzieht (vgl. Singh 2010; Marwah 2009). Mit der formalen Vereinigung zur CPI (Maoist) sei in dieser Hinsicht ein Höhepunkt erreicht worden, wodurch die Bedrohung für den indischen Staat erheblich zugenommen habe (vgl. Banerjee 2006; Ku- mar 2008).

Andere Autoren haben sich insbesondere den Strategien und Aktivitäten der Maoisten ge- widmet (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010; Ramana Hrsg. 2008). Für die Macht der Rebellen ma- chen sie insbesondere deren Fokus auf die Bevölkerung verantwortlich, von der sie häufig Unterstützung erhalten. So üben die Maoisten vielerorts erheblichen Einfluss auf die lokale Gesellschaft aus, teilweise haben sie sogar eigene Regierungen errichtet. Ein Großteil der Literatur kreist um die Fragen der Konfliktursachen und welche Ansätze der Staat verfolgen sollte. Die meisten Autoren verweisen in diesem Zusammenhang auf sozio- ökonomische Missstände, wie ungerechte Gesetzgebung (vgl. Agrawal 2010), Armut und Unterentwicklung (vgl. Mehra 2009; Mohanty 2006) sowie Diskriminierung breiter Schichten der indischen Gesellschaft (vgl. Guha 2009; Subramanian 2007). Diese führten dazu, dass die Unterprivilegierten der Gesellschaft ob ihrer ausweglosen Situation zu Waffen griffen, um Widerstand zu leisten. Demnach sei der Konflikt in einem größeren Zusammenhang innerge sellschaftlicher Disparitäten eingebettet, die der indische Staat erst angehen müsse, bevor er daran denken könne, den Konflikt zu lösen. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder das gewaltsame Vorgehen des Staates kritisiert, das den Konflikt nur noch mehr eskalieren lassen würde (vgl. Subramanian 2010; Singh 2011). Seit einigen Jahren bereichern zudem umfangreiche Reportagen (vgl. Navlakha 2010; Roy 2010; Chakravarti 2007), sowie anthropologische Studien (vgl. Shah 2010; Shah/Pettigrew Hrsg. 2009) aus den Konfliktregionen den Forschungsstand. Diese Arbeiten, die gemeinhin die einfache Bevölkerung und die unteren Kader der Rebellen in den Mittelpunkt stellen, liefern wichtige Erkenntnisse in Hinblick auf das konkrete Vorgehen der Naxaliten im Lokalen.

Trotz der reichen wissenschaftlichen Bearbeitung dieses Themas wird der Konflikt generell nicht mittels verfügbarer Theorien aus der Kriegsforschung bearbeitet. In den meisten Fällen handelt es sich um theoriearme Überblicksdarstellungen und Faktensammlungen zu speziellen Einzelthemen. Obwohl es sich anerkanntermaßen um einen innerstaatlichen Konflikt handelt, werden die Bedingungen der indischen Staatlichkeit selten in die Analyse mit einbezogen (vgl. allerdings Subramanian 2007; Sahni 2010 a).

In diesem Zusammenhang kamen innerhalb der qualitativen Kriegsforschung in jüngster Zeit einige fruchtbare Beiträge aus politisch-soziologischer Perspektive (vgl. Bakonyi/Hensell/Siegelberg Hrsg. 2006; Jung/Schlichte/Siegelberg 2003; Daase 1999; Holsti 1996). Jung, Schlichte und Siegelberg verweisen darauf, dass es sich bei Krieg um ein gesell- schaftliches Phänomen handelt, das aus diesem Grunde auch gesellschaftstheoretisch erklärt werden muss (2003: 17). Zudem wird ein Formwandel des Krieges konstatiert, wonach die überwiegende Zahl aller weltweit geführten Kriege innerstaatlichen Charakters sind und in Afrika, Asien und Lateinamerika ausgetragen werden (vgl. Schlichte 2007: 296). In diesem Kontext wird gefordert insbesondere die Bedingungen staatlicher Herrschaft und die gesell- schaftlichen Verhältnisse der Konfliktregionen in den Blick zu nehmen (Jung/Schlichte/Siegelberg 2003: 17f.). So verweisen Hensell und Siegelberg auf den hybri- den Charakter der meisten Staaten außerhalb der OECD, also die Verbindung zwischen mo- dernen und traditionalen Herrschaftsformen (2006: 19). Diese Eigenschaft ist Ausdruck dafür, dass staatliche Herrschaft in der Dritten Welt umstritten geblieben ist. Daraus resultierende Konflikte eskalieren nicht selten zu innerstaatlichen Kriegen (Hensell/Siegelberg 2006: 30). In diesem Zusammenhang haben Jung, Schlichte und Siegelberg folgende These entwickelt: „ Die nachholende Konsolidierung vorausgesetzter Staatlichkeit ist die allgemeinste Bedin- gung für kriegerische Konflikte in den Staaten der Dritten Welt “ (2003: 60). Dies verweist auf die Wichtigkeit, die staatliche Herrschaft sowie alternative Machtarrangements in innerstaat- lichen Kriegen in den Blick zu nehmen, um ein Verständnis für die konfliktiven Bedingungen zu erlangen.

1.2 Problem und Fragestellung

Wie eingangs dargestellt waren die Maoisten während der letzten Jahre in der Lage, ihre Prä- senz stetig auf weitere Regionen auszudehnen. Ihr Einflussbereich reicht heute von der nepa- lischen Grenze bis tief in den Süden (vgl. Abb. 1) und wird in der indischen Öffentlichkeit ehrfürchtig Red Corridor genannt (vgl. Sahni 2007). Für die dort lebende Bevölkerung stellen die maoistischen Rebellen machtvolle Akteure dar, die teilweise sogar den lokalen Raum be- herrschen. Manche Gebiete, auf die der Staat keinerlei Zugriff besitzt, werden von den Naxa- liten Liberated Zones genannt. Dort haben sie staatsähnliche Herrschaftsstrukturen errichtet, inklusive Steuerabgaben, eigener Gesetze, Gerichte und Volksregierungen (vgl. Dash 2006: 56f.) Obwohl der indische Staat erhebliche Anstrengungen unternimmt, seinen Hoheitsan- spruch auf die betroffenen Gebiete durchzusetzen, kann er bisher kaum Erfolge vorweisen. So übersteigt die Streitmacht staatlicher Sicherheitskräfte, die gegen die naxalitischen Hochbur- gen 2009 in einer Großoffensive mobilisiert wurde, die der Rebellen um mindestens das Drei- fache, kann aber kaum Geländegewinne erzielen. Die Naxaliten auf der anderen Seite konnten trotz anhaltender Repressionen durch den Staat fast ein halbes Jahrhundert überleben und entwickelten sich in vielen Regionen Indiens zu einem mächtigen Akteur. In dieser Perspekti- ve scheinen die maoistischen Rebellen im Verhältnis zu ihrem staatlichen Gegner recht er- folgreich zu sein.

Im Zentrum der vorliegenden Arbeit soll deshalb die Frage stehen: Wie kann der relative Erfolg der maoistischen Rebellen erklärt werden? Der Erfolg der Maoisten bezieht sich auf ihre Anstrengungen, ihre Macht auf indischem Staatsterritorium auszubauen, teilweise bis hin zur Gebietsherrschaft. Um ein umfassendes Verständnis für diesen relativen Erfolg der Maoisten zu gewinnen, müssen verschiedene Faktoren, die in einem engen Zusammenhang stehen, in die Untersuchung mit einbezogen werden.

Da die Aktivitäten der Maoisten den Hoheitsanspruch des Staates unterminieren, gerät die indische Staatlichkeit in den Blick. Die Bedingungen staatlicher Herrschaft in Indien bilden den strukturellen Kontext, in dem die Maoisten agieren. Sie müssen berücksichtigt werden, will man etwas über die Umstände der Ausbreitung der Naxaliten und ihre Erlangung von Gebietskontrolle erfahren. Zudem muss für die Untersuchung des Erfolges der Maoisten selbstverständlich auch der Fokus auf die Rebellen gelegt werden. Da es sich bei den Naxali- ten um einen kollektiven Akteur handelt, ist zunächst die institutionelle Ausgestaltung ihrer Organisation von Interesse. Darüber hinaus sollten ihre Strategien und Methoden, die sie an- wenden, um ihre machtvolle Stellung in den betroffenen Gebieten auszuweiten, betrachtet werden.

Das Handeln des Staates ist grundsätzlich darauf gerichtet, die Expansion der Maoisten zu unterbinden. Da dieser allerdings bisher nicht in der Lage war, dieser Herausforderung Herr zu werden, müssen Strategie, Handeln und Effekte der staatlichen Reaktion für die Untersuchung mit einbezogen werden.

In der vorliegenden Analyse soll gezeigt werden, dass für den Erfolg der Maoisten mehrere Faktoren entscheidend sind. So finden die Naxaliten im Kontext indischer Staatlichkeit eine Reihe von günstigen Bedingungen vor, die sie gezielt ausnutzen. Zudem konnte die Bewegung aus ihren anfänglichen Fehlern lernen und eine starke Organisation aufbauen. Dieser war es möglich, eine Reihe an Strategien umzusetzen, um den Einfluss des Staates zurückzudrängen und an seine Stelle eigene Formen von Herrschaft zu etablieren. Im Gegensatz dazu war der Staat bisher aber nicht in der Lage, eine einheitliche Strategie zu entwickeln, um die Herausforderung erfolgreich für sich entscheiden zu können.

1.3 Herangehensweise

Bezug nehmend auf die innovativen Beiträge der Soziologie auf die Kriegsforschung soll auch im Folgenden ein gesellschaftstheoretischer Blickwinkel auf den bewaffneten Konflikt zwischen maoistischen Rebellen und indischem Staat erfolgen. Da der Fokus der Untersu- chung auf den Ausbau der maoistischen Macht und Herrschaft im Kontext indischer Staat- lichkeit gelegt wird, bietet sich eine herrschaftssoziologische Perspektive an. Zu diesem Zweck wird maßgeblich auf Max Weber, den Begründer der Herrschaftssoziologie (vgl. Aden 2010: 11), Bezug genommen. Die von ihm systematisierten Kategorien Macht, Herrschaft und Legitimität sollen dabei zur Analyse in Bezug zu dem Konflikt gesetzt werden, um eine neue, theoretisch fundierte Perspektive zu gewinnen. Jedoch ist Webers Konzept an manchen Stellen recht statisch und kann dynamische Prozesse, wie einen kriegerischen Kon- flikt, nicht vollständig erfassen. Zu diesem Zweck werden die herrschaftssoziologischen Grundlagen durch die Überlegungen von Heinrich Popitz erweitert, der die Entstehung von Herrschaft als Institutionalisierungsprozess dargestellt hat.

Da die maoistischen Rebellen und der indische Staat im Zentrum der Untersuchung stehen, sollen zudem Staaten und bewaffnete Gruppen in allgemeiner Perspektive zu den herrschaftssoziologischen Kategorien in Beziehung gesetzt werden. Die daraus gewonnen Einblicke dienen zur Einordnung des zu untersuchenden Konfliktes.

Die Themenbereiche Herrschaftssoziologie im Allgemeinen sowie staatliche Herrschaft und die Institutionalisierung bewaffneter Gruppen im Besonderen bilden die theoretische Basis der vorliegenden Arbeit. Die theoretischen Grundlagen werden in Bezug zu den beschriebe- nen Faktoren maoistischer Ausbreitung gesetzt, namentlich indische Staatlichkeit, Organisati- on der Maoisten, ihr strategisches Vorgehen sowie die Reaktion des Staates. Dabei wird der Konflikt als Aushandlungsprozess um Macht, Herrschaft und Legitimität mittels Gewalt be- trachtet.

Zu diesem Zweck wird eine qualitative Text- und Dokumentenanalyse auf Basis von Primärund Sekundärquellen durchgeführt, um die untersuchungsleitende Fragestellung zu bearbeiten. Bei den Sekundärquellen handelt es sich um wissenschaftliche Bearbeitungen des Konfliktes in Form von Monographien, Beiträgen in Sammelbänden sowie Zeitschriftenartikeln. Zudem werden öffentlich zugängliche Dokumente der CPI (Maoist), des indischen Innenministeriums, Menschenrechtsberichte von Nichtregierungsorganisationen sowie autographische Berichte als Primärquellen in die Untersuchung mit einbezogen.

Das Material wird unter herrschaftssoziologischen Gesichtspunkten in den Blick genommen und interpretiert, um Gründe für den Erfolg der Maoisten identifizieren zu können. Der Über- blick zum Forschungsstand hat gezeigt, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Themenbereiche für die Betrachtung der Auseinandersetzung relevant ist. Die beschriebene Herangehensweise bietet die Möglichkeit, mehrere Faktoren innerhalb des komplexen Themenbereiches Krieg zu berücksichtigen. Es soll der Versuch unternommen werden, zwischen den einzelnen For- schungsschwerpunkten Zusammenhänge herzustellen. Die Einbeziehung verschiedener Fakto- ren in die Analyse ermöglicht einen vielschichtigen Ansatz, der einseitige Erklärungen ver- meidet.

1.4 Gliederung der Arbeit

Die vorliegende Arbeit setzt sich aus zwei Hauptteilen zusammen: Einer allgemeinen theoretischen Grundlage (Kapitel 2-4) folgt die Analyse des bewaffneten Konfliktes aus herrschaftssoziologischer Perspektive (Kapitel 5-8).

Die theoretischen Grundlagen bestehen aus drei Kapiteln. Zunächst werden die herrschaftssoziologischen Kategorien Macht, insbesondere Gewalt, Herrschaft und Legitimität dargestellt. In den zwei folgenden Kapiteln werden diese sowohl mit den Bedingungen von Staatlichkeit, mit einem Schwerpunkt auf postkoloniale Staaten sowie der Institutionalisierung bewaffneter Gruppen in Verbindung gesetzt.

Die Kapitel 5 bis 8 nehmen die jeweiligen Faktoren gesondert in den Blick, die mit den theo- retischen Grundlagen aus den vorangegangenen Kapiteln in Beziehung gesetzt werden. Staat- liche Herrschaft in Indien wird im fünften Kapitel betrachtet. Da es sich bei Herrschaft um einen Prozess handelt, wird ihre Entwicklung zunächst aus historischer Perspektive dargestellt. Zudem wird die Ausgestaltung der Staatlichkeit im Lokalen, wo die Maoisten ihre Macht aus- dehnen, besonders in den Blick genommen. Das darauf folgende Kapitel befasst sich mit der Organisation der Maoisten. An dieser Stelle wird die Entwicklung der naxalitischen Bewegung aus historischer Perspektive nachgezeichnet. Daran anschließend werden Programm und Strategie sowie die institutionelle Ausgestaltung der heute agierenden CPI (Maoist) untersucht. Im siebten Kapitel steht das tatsächliche Vorgehen der Rebellen im Vordergrund. Es wird gezeigt, auf welche Weise die Maoisten versuchen, staatliche Strukturen zu verdrängen und eigene Formen der Gebietsherrschaft zu etablieren. Die staatliche Reaktion auf die Herausforderung durch die Naxaliten wird im letzten Kapitel behandelt. Dabei werden die angewandten Strategien sowie die Effekte des staatlichen Handelns betrachtet.

1.5 Zentrale Begriffe

Die Begriffe Naxaliten und Maoisten werden im Folgenden synonym verwendet. Der Begriff Naxaliten stammt von dem Namen des Dorfes Naxalbari ab, in dem sich 1967 ein gewaltsa- mer Bauernaufstand ereignete. Dieses Ereignis wird in der Literatur als Ausgangpunkt einer Bewegung genannt, die in der Folge, sich berufend auf Marxismus-Leninismus und Maois- mus, das Ziel einer gewaltsamen Revolution verfolgte (vgl. Gupta 2004: 79f.). Während ihrer Entwicklung entstand eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen, die sich zwar im Hinblick auf Organisation und Strategie uneins waren, jedoch alle den Umsturz des indischen Staates beab- sichtigten. Die maoistische Ideologie war seither das zentrale Kennzeichen der Bewegung, die sich auch selbst maoistisch bezeichnete (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010:1).

Allerdings haben sich einige wenige Gruppen, die für den heutigen Konflikt eine unbedeutende Rolle spielen, vom bewaffneten Kampf abgewandt (vgl. Kujur 2008: 6). Streng genommen bezeichnet der Begriff Naxaliten also nicht nur diejenigen Gruppen, die an der gewaltsamen Austragung beteiligt sind. Im Fokus der folgenden Untersuchung steht aber maßgeblich die 2004 neu gegründete CPI (Maoist), die etwa über 95% der Bewegung unter ihrem Dach vereinigt. Wenn also im Folgenden von Maoisten oder Naxaliten die Rede ist, ist entweder die CPI (Maoist) oder einer ihrer gewaltsam agierenden Vorgänger gemeint.

Der Begriff der Rebellen ist nicht ganz unumstritten. In der folgenden Arbeit soll er eine organisierte Gruppe bezeichnen, die den gewaltsamen Umsturz der herrschenden Ordnung beabsichtigt (vgl. Schmidt 2010:664; 1995: 801).

Über die genaue Abgrenzung zwischen Krieg und bewaffnetem Konflikt herrscht in der Kriegsforschung Uneinigkeit. Ich beziehe mich auf die Definitionen der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF). Für einen Krieg müssen demnach drei Bedingungen er- füllt seinen:

„ a) an den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte (Militär, para- militärische Verbände, Polizeieinheiten) der Regierung handelt; b) auf beiden Seiten muss ein Mindestmaßan zentralgelenkter Organisation der Kriegführen den und des Kampfes gegeben sein, selbst wenn dies nicht mehr bedeutet als or ganisierte bewaffnete Verteidigung oder planm äß ige Ü berfälle (Guerillaoperati onen, Partisanenkrieg usw.); c) die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuität und nicht nur als gelegentliche, spontane Zusammen st öß e, d.h. beide Seiten operieren nach einer planm äß igen Strategie, gleichgültig ob die Kämpfe auf dem Gebiet eines oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie dauern “ (Schreiber 2010: 7).

Im Gegensatz dazu handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt, sofern diese drei genann- ten Kriterien nicht komplett erfüllt sind. Die AKUF ordnet den Kampf zwischen Maoisten und dem indischen Staat seit 1997 als Krieg ein (Wojczewsk 2010). Da im Folgenden der Konflikt jedoch nicht nur ab dem Jahr 1997 behandelt wird, sondern auch seine historische Entwicklung in den Blick genommen wird, wird in dem Arbeitstitel der Begriff ‚bewaffneter Konflikt’ genannt.

Alle weiteren Begriffe, die für die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeit von Belang sind, insbesondere Macht, Gewalt, Herrschaft, Legitimität sowie Staat und bewaffnete Gruppen, werden eingehend in den anschließenden Theoriekapiteln behandelt.

2 Macht, Herrschaft, Legitimität und Konflikt

Da der Konflikt zwischen maoistischen Rebellen und indischem Staat im Folgenden entlang der Kategorien Macht, Herrschaft und Legitimität untersucht werden soll, werden an dieser Stelle diese zentralen Begriffe kurz vorgestellt.

2.1 Macht

2.1.1 Macht nach Weber

Max Weber definiert Macht als „ jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung, den eige- nen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichwohl, worauf diese Chance be- ruht “ (Weber 2010: 38). Diese doch recht knappe Bestimmung impliziert verschiedene Tat- bestände. Zunächst handelt es sich um eine asymmetrische soziale Beziehung, in der die eine Seite über Machtchancen verfügt, während sich die Gegenseite dem Machthabenden fügen muss. Der Begriff der Chance weist außerdem darauf hin, dass es sich bei Macht lediglich um die Verfügung von Handlungsmöglichkeiten handelt, nicht ihren tatsächlichen Einsatz (vgl. Palonen 1998: 175).

Des Weiteren bezeichnet Weber Macht als amorph (Weber 2010: 38), also formlos bzw. un- bestimmt, da diese in zahllosen Gestalten zu Tage treten kann, sie prinzipiell jedem unter be- stimmten Bedingungen und in unterschiedlichen Situationen zufallen kann. Deshalb impliziert der Machtbegriff weder eine Personengebundenheit, noch eine Dauerhaftigkeit. Diese Eigen- schaft hat Weber aber auch dazu veranlasst, dem Machtbegriff keine weitere soziologische Bedeutung beizumessen, da es nicht möglich sei, ihn zu präzisieren (vgl. Tyrell 1980: 60f.). Aus diesem Grund hat er sich auf die stabilisierte, dauerhafte Form von Macht konzentriert: die Herrschaft (vgl. Abschn. 2.2.1).

2.1.2 Machtformen

Im Anschluss an Webers Machtbegriff hat Heinrich Popitz hingegen den Versuch unternommen, diesen zu präzisieren. Laut Weber bezieht sich Macht auf eine ungleiche soziale Beziehung zwischen Unterlegenen und Überlegenen. Die Differenz fußt auf der Verbindung von Anwendungschancen von Macht auf der einen und der Abhängigkeit gegenüber dieser Anwendung auf der anderen Seite (vgl. Maurer 2004: 20). Aus dieser Konstellation hat Popitz vier unterschiedliche Machtformen ableiten können: die Aktionsmacht, die Instrumentelle Macht, die Autoritative Macht sowie die Datensetzende Macht.

Aktionsmacht

Aktionsmacht liegt in der Verbindung von prinzipieller Verletzbarkeit und Verletzungsfähigkeit von Menschen begründet: „ Aktionsmacht ist Verletzungsmacht “ (Popitz 2007: 43). Alles was der Mensch besitzt, kann ihm im Endeffekt durch Machtausübung genommen werden, im endgültigen Sinne sogar sein Leben. Der Machtausübende ist in der Lage, aufgrund der Verfügungsgewalt über Machtmittel dem Unterlegenden etwas anzutun. Die Verletzung kann körperlicher, sozialer wie auch materieller Natur sein (Popitz 2007: 43f.). Jedoch bezieht sich Popitz maßgeblich auf die physische Gewalt, deren Anwendung in der körperlichen Verletzungsoffenheit begründet liegt. Sein Gewaltbegriff wird eng gefasst und bezieht sich ausschließlich auf die absichtsvolle Verletzung des menschlichen Körpers. Der Verletze wird nicht nur physisch, sondern auch sozial unterworfen. Aktionsmacht ist häufig sporadischer Natur und verfolgt keine langfristigen Ziele (Popitz 2007: 46-48).

Da mittels Gewalt dem Menschen die endgültige Verletzung beigebracht werden kann, nämlich seinen Tod zu bewirken, verbindet sich mit dieser Form die Vorstellung der „vollkommenen Macht“ (Popitz 2007: 53). Diese entpuppt sich jedoch als zweischneidiges Schwert, denn auch der Machtausübende ist prinzipiell verletzungsoffen und kann getötet werden (Popitz 2007: 57). „ Macht kann vollkommen sein, weil sie das Äußerste tun kann. Macht ist un vollkommen, weil sich die Entscheidung zum Äußersten nicht monopolisieren lässt “ (Popitz 2007: 60). Unter dem Begriff totale Gewalt fasst Popitz drei Handlungselemente zusammen, die die Steigerung von Gewalt begründen (Popitz 2007: 66-74).

1.) Die Glorifizierung von Gewalt bezeichnet ihre Verherrlichung und bewirkt ihre Legi- timierung. Sie fußt entweder auf der Herausstellung ihrer Überlegenheit oder als In- strument zur Befreiung von Herrschaft.

2.) Die Indifferenz bezieht sich auf das Leid des Opfers und schaltet jegliche Hemmungen des Gewaltanwendenden aus. Ursächlich hierfür sind gemeinhin soziale Trennmauern, die dem Gewaltausübenden in die Lage versetzen, sich nicht mit dem Opfer identifi- zieren zu können.

3.) Technischer Fortschritt ermöglicht die unendliche Steigerung von Machtmitteln, die Reichweite ihrer Anwendung wird erhöht sowie die mögliche Zahl der Unterdrückten.

Instrumentelle Macht

Die Instrumentelle Macht ist Grundlage jeder auf Dauer angelegten Machtbeziehung und zielt auf die absichtsvolle Steuerung menschlichen Handelns (Popitz 2007: 79). Dabei wird durch den Einsatz von Drohen und Belohnen1 die menschliche Orientierung am Zukünftigen ausge-

nutzt. Die Drohung bezieht sich auf den Einsatz von Aktionsmacht. Das zukünftige Handeln des Bedrohten wird mit möglichen Konsequenzen belastet (Popitz 2007: 81). Dem Bedrohten werden zwei Möglichkeiten geboten: Er kann sich konform im Sinne der Aufforderung ver- halten oder nicht. Falls gegen die Aufforderung verstoßen wird, droht der Unterdrückende Sanktionsmittel selbst anzuwenden, es besteht eine Zwangssituation (Popitz 2007: 81-85).2 Jede dauerhafte Machtbeziehung ruht im Endeffekt auf Instrumenteller Macht, da sie das Handeln der Unterlegenen standardisieren kann (Popitz 2007: 87). In diesem Zusammenhang hebt Popitz die besondere Bedeutung von Instrumenteller Macht als „ Hebel zur Beherr- schung “ hervor (2007: 90). Im Falle des konformen Verhaltens erweist sich die Drohung als günstiges Machtmittel, da keine Sanktionsmittel eingesetzt werden müssen (Popitz 2007: 91). Gleichzeitig kann der Drohende eine Vergrößerung seiner Machtbasis verzeichnen, da er von dem gewünschten Verhalten selbst profitiert (Popitz 2007: 27). Darin ist ein Grund für die Expansion von Macht zu sehen.

Autoritative Macht

Die Autoritative Macht bezieht sich auf die Instrumentalisierung einer Autoritätsbindung. Die Autoritätsbindung bezeichnet eine soziale Beziehung, in der die eine Seite die Überlegenheit des anderen anerkennt und sich ihr freiwillig unterwirft. Dem Anderen wird Autorität zugeschrieben (Popitz 2007: 121). Sie liegt in dem menschlichen Bedürfnis begründet durch andere anerkannt und sozial akzeptiert zu werden. Dieses Anerkennungsstreben richtet sich insbesondere an diejenigen, denen man sich unterlegen fühlt (Popitz 2007: 115).

Wo Instrumentelle Macht vornehmlich auf der Furcht vor Anwendung von Aktionsmacht fußt, geht autoritäre Macht darüber hinaus, indem der Unterlegene sich freiwillig fügt. Das beson- dere dieser Machtform zeigt sich darin, dass auch außerhalb des Kontrollbereiches des Machthabenden auf konformes Verhalten gesetzt werden kann (Popitz 2007: 108). Darüber hinaus übernimmt der Unterlegene sogar die Positionen und Kriterien des Machthabenden, „ Autoritätsbeziehungen gehen unter die Haut “ (Popitz 2007: 108). Aus diesem Grund hat der Autoritätshabende es generell nicht nötig Zwang einzusetzen. Allerdings kann auch die Auto- ritätsbindung genutzt werden, indem mit der Verweigerung der Anerkennung gedroht oder mit der Aussicht auf Anerkennung gelockt wird (Popitz 2007: 109/129). Dies bezeichnet die Autoritative Macht, die auch in der Lage ist, das Verhalten von Menschen gezielt zu steuern.3

2 Dies verweist darauf, dass Drohungen dehnbar sind, über die eigentlichen Möglichkeiten hinaus. Mit Drohungen kann geblufft werden. Auf diese Weise kann die eigentliche Macht gesteigert werden und der Bedrohte befindet sich in einer Situation der Ungewissheit (Popitz 2007: 83-85).

Datensetzende Macht

Datensetzende Macht verweist auf die Fähigkeit von Menschen die materielle Umwelt, durch den Einsatz von Werkzeugen, gezielt zu verändern. Diese Veränderungen wirken auf die Menschen zurück, da sie Einfluss auf ihre Lebensbedingungen haben (Popitz 2007: 167). Diese Form der Macht nimmt vermittelt über das Materielle wiederum Einfluss auf die soziale Umwelt (Popitz 2007: 31). Über den technischen Fortschritt ist es möglich, Machtpotentiale zu vergrößern (Popitz 2007: 178).

2.2 Herrschaft

2.2.1 Das Wesen der Herrschaft

Herrschaft wird von Weber als „ Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei abgebbaren Personen Gehorsam zu finden “ definiert (Weber 2010: 38). Herrschaft bezeichnet eine stabi- lisierte, dauerhafte Machtbeziehung, die durch Über- und Unterordnung strukturiert ist. Inner- halb dieser Konstellation steuert die machtausübende Seite, mit Erfolg gezielt das Handeln der Unterlegenen. Mittels Disziplin trifft der Befehl der Herrschenden auf den widerspruchs- losen Gehorsam der Beherrschten, sie fühlen sich verpflichtet den Anweisungen der Befehls- gewalt Folge zu leisten (Weber 2010: 38/693-695).4 Die Erwartbarkeit der Herrschaftsbezie- hung verleiht ihr den spezifischen Charakter und stellt somit einen Sonderfall von Macht dar (Weber 2010: 691).5

Herrschaftsbeziehungen verregeln und strukturieren die Welt des Sozialen, indem sie verbind- liche Handlungsanweisungen formulieren. Der Bestand einer Herrschaftsordnung hängt davon ab, inwiefern die Beherrschten ihr Handeln tatsächlich anhand dieser Vorgaben orientieren. Um dies zu gewährleisten ruht die Herrschaftsordnung auf zwei Säulen, die ihre Existenz von innen und von außen stützen (vgl. Müller 2007 a: 123). Die äußere Garantie betrifft die Herr- schaftsorganisation, wobei die herrschende Seite die Herrschaftsordnung durch den Einsatz von Zwangsmitteln absichert.

Regelverstöße werden sanktioniert, sodass eine allgemeine Bedrohungssituation vorliegt. Die innere Garantie der Ordnung wird durch Webers Begriff der Legitimität hergestellt (vgl. Abschn. 2.3). In diesem Falle glauben die Beteiligten an die normative Geltung der Ordnung, akzeptieren und folgen ihren Anweisungen aus innerer Überzeugung. In diesem Zusammenhang unterstreicht Popitz, dass dauerhafte, legitime Herrschaftsbeziehungen sowohl auf autoritärer als auch Instrumenteller Macht beruhen (2007: 79/135).

In Bezug auf die Herrschaftsorganisation stellt Weber klar, dass jede Herrschaft über eine Vielzahl von Menschen eines Verwaltungsstabes bedarf, der die Herrschaftsordnung durch- setzt und umsetzt (2010: 157). Zwischen den beiden Polen Herrscher und Beherrschte tritt die Verwaltung, die für die alltägliche Umsetzung der Herrschaft zuständig ist (Weber 2010: 697). Zur Aufrechterhaltung und Durchführung der Ordnung stehen dem Herrscher und seinem Stab sachliche Verwaltungsmittel zur Verfügung. Nicht das typische, jedoch das spezifische Verwaltungsmittel betrifft die physische Gewaltanwendung als Ultima Ratio (Weber 2010: 39). Bei dem Stab handelt es sich in der Regel um eine kleine Anzahl von Menschen, die an den Herrscher gebunden ist. Weber stellt heraus, dass lediglich Motive, wie einfache Ge- wohnheit und zweckrationale Erwägungen, der Beziehung einen prekären Charakter ausstel- len würden. Entscheidend ist auch hier, dass dem Stab der Glaube an die Legitimität der Ord- nung vorschwebt (Weber 2010: 157).

Die soziale Wirklichkeit wird durch Regelmäßigkeiten des sozialen Handelns strukturiert. Diese Regelmäßigkeiten werden etwa durch tatsächliche Übung (Brauch), Gewohntheit (Sitte) und Interesse konstituiert (Weber 2010: 20f.). Von Weber wird der Begriff der sozialen Ordnung verwendet, um Handlungsanweisungen zu bezeichnen, die durch Sanktionen abgesichert werden. Die unorganisierte Sanktionsdurchsetzung wird Konvention genannt, die organisierte Recht. Letzteres ist das Produkt von Herrschaft. Durch ihren höchsten Organisationsgrad erhält sie höchste Beständigkeit (Weber 2010: 25f.). Eine Ordnung ist zudem legitim, sofern den Handelnden die Anweisungen als verbindlich erscheinen. Dies verschafft ihr Stabilität (vgl. Fitzi 2004: 98). Die tatsächliche Orientierung der Handelnden an der Ordnung ist für ihre Reproduktion verantwortlich. Die objektive Geltung ist somit abhängig von der subjektiven Vorstellung der Beteiligten bezüglich ihrer Verbindlichkeit.

Herrschaft bewirkt das Zusammenhalten von sozialen Gruppen und ist für ihr zielgerichtetes Handeln ursächlich. Soziale Gruppen werden von Weber als Verband bezeichnet. Sie zeich- nen sich dadurch aus, dass die Mitgliedschaft in dieser sozialen Beziehung geschlossen bzw. regulierend beschränkt ist. Sein Bestand wird durch den Leiter, meist gemeinsam mit einem Erzwingungsstab, garantiert. Des Weiteren existiert eine Verbandsordnung, die für seine Mit- glieder gilt und an der sich das Handeln des Leiters sowie des Stabes orientieren, um diese durchzusetzen (Weber 2010: 34f.).

Ein Verband, der die Geltung seiner Ordnung für alle Menschen innerhalb eines bestimmten geografischen Gebiets beansprucht und diese mittels Zwang versucht erfolgreich durchzusetzen, ist ein Gebietsverband. Auf diese Weise wird auch Nicht-Mitgliedern des Verbandes die Ordnung oktroyiert (Weber 2010: 662f.).

Gebietsverbände streben danach die Herrschaftsausübung in ihrem beanspruchten Gebiet zu monopolisieren. In diesem Zusammenhang ist das Gewaltmonopol von zentraler Bedeutung.6 Dabei handelt es sich um das Entwicklungsprodukt eines Prozesses, bei dem konkurrierende Gewaltpotentiale graduell durch den Verband enteignet werden und dieser für sich selbst die einzig legitime Ausübung von Gewalt erfolgreich beansprucht. Mit der Monopolisierung der Gewalt gewinnt der Verband Beständigkeit (Weber 2010: 662). Hinzu treten das Monopol auf Rechtssetzung und Rechtsprechung. Das Endprodukt dieser Entwicklung stellt der Idealtypus des okzidentalen Anstaltsstaates dar (vgl. Abschn. 3.1).

2.2.2 Institutionalisierungsprozess von Macht zu Herrschaft

Wo sich Weber der Untersuchung des Wesens von Herrschaft gewidmet hat, interessierte Popitz insbesondere ihre Entstehung. Popitz versteht Herrschaft als eine institutionalisierte Form von Macht. In einem Stufenmodell hat er den Versuch unternommen, den Prozess der schrittweisen Institutionalisierung von sporadischer Macht zur Herrschaft nachzuzeichnen. Popitz macht drei allgemeine Tendenzen dieses Prozesses aus:

1.) Durch Entstehung von Machtstrukturen, Positionen und Ämtern bleibt die Machtbe- ziehung auch trotz des Wegfalls des derzeitigen Machthabenden bestehen. Diese Ent- wicklung wird Entpersonalisierung genannt.

2.) Im Zusammenhang mit der Strukturierung ist eine Formalisierung der Machtbeziehung zu konstatieren. Es entstehen Regelmäßigkeiten der Machtanwendung, verbunden mit Normen und Regeln.

3.) Die Machtverhältnisse stoßen in das soziale Umfeld vor und verbinden sich sukzessiv mit jenem, sodass sie sich gegenseitig stabilisieren. Die Machtverhältnisse integrieren sich „ in eineübergreifende Ordnung “ (Popitz 2007: 233).

Zusammengenommen führen diese drei Tendenzen einer schrittweisen Verfestigung und Sta- bilisierung des Machtverhältnisses. Mit zunehmender Institutionalisierung ist auch eine Ver- größerung der Macht verbunden. Zum einen kann Macht über mehr Menschen sowie über ein größeres geografisches Gebiet ausgedehnt werden. Aber auch die Geltung und damit zusam- menhängend die Konformität können gesteigert werden. Zum anderen kann auch die Wir- kungsintensität vergrößert werden, indem der Machtausübende in der Lage ist, soziale Ord- nungen zu verändern bzw. seine Macht gegen Widerstände durchzusetzen (Popitz 2007: 235).

Mit jeder Stufe des Institutionalisierungsprozesses verfestigt sich die Machtbeziehung. Bei der ersten Stufe handelt es sich um sporadische Machtausübung. Sie läuft in einer der eingangs beschriebenen Machtformen ab, wiederholt sich jedoch nicht. Um die normierende Macht als nächste Stufe zu erreichen, müssen vier Bedingungen erfüllt sein:

1.) Es müssen genügend Machtmittel zur Verfügung stehen, um die Ausübung zu wieder- holen.
2.) Es müssen wiederholbare Situationen bestehen, auf die diese Macht anwendbar ist.
3.) Es müssen dadurch mit Erfolg wiederholbare Leistungen durchgesetzt werden (Popitz 2007: 237).
4.) Zu guter Letzt muss der Unterlegene an den Machthabenden in irgendeiner Weise ge- bunden sein, sodass er sich dieser Machtanwendung nicht entziehen kann. Diese Ge- bundenheit kann die Form einer Autoritätsbeziehung annehmen, wie auch der Tatsa- che geschuldet sein, dass der Unterlegene mit Machtmitteln an seiner Flucht gehindert wird (Popitz 2007: 238).

Normierende Macht standardisiert das Verhalten, das konforme Verhalten wird zur Normali- tät. „ Aus einer Hier-und-Jetzt-Fügsamkeit ist eine Immer-wenn-dann-Fügsamkeit gewor- den “ (Popitz 2007: 239). Gewalt, wie auch Instrumentelle Macht, treten schrittweise in den Hintergrund. Durch diese Entlastung werden Kräfte frei, sodass sich die Macht weiter aus- dehnen und intensivieren kann. Normierende Macht wird für alle Betroffenen erwartbarer (Popitz 2007: 242f.).

Der Entpersonalisierung, die sich bereits durch routinierte Machtanwendung abzeichnet, wird auf der nächsten Stufe, der Positionalisierung, abgeschlossen. Die Position des Machthabers entwickelt sich zum Amt. Die Machtbeziehung erhält Gestalt und Struktur und wird ab dieser Stufe als Herrschaft bezeichnet (Popitz 2007: 244f./255). Popitz entwickelt drei Archetypen von Herrschaftspositionen, die für sich genommen, Antworten auf elementare Herausforde- rungen von Gesellschaft darstellen (2007: 254).7 Die Aufgabe des Richters betrifft die Lösung von Normkonflikten. In seiner Befugnis identifiziert er Verstöße gegen die soziale Ordnung und entscheidet über den Sanktionsvollzug (Popitz 2007: 250). Die Position des Heerführers entsteht im Falle einer Gefahr von Außen, um die Verteidigungsfähigkeit der Gruppe sicher- zustellen. Durch die Machtkonzentration in seinen Händen, insbesondere in Form von Ge- waltmitteln und einer bewaffneten Anhängerschaft, tendiert dieser Typus zur Konsolidierung seiner Macht (Popitz 2007: 254).

Auf der vierten Stufe, der „Entstehung von Positionsgefügen der Herrschaft“, bildet sich ein Herrschaftsapparat heraus, also auf Dauer angelegte Positionen und Ämter um den Machtha- ber herum, der an der Herrschaft beteiligt wird. Mit der Verregelung der Beziehungen zwi- schen den Mitgliedern des Stabes tendiert der Herrschaftsapparat zu Spezialisierung und Ar- beitsteilung, wodurch neue Kräfte frei gesetzt werden (Popitz 2007: 255). Die dazugehörige Gefolgschaft rekrutiert sich zumeist aus bereits vorstrukturierten sozialen Beziehungen, oder aber während sozialer Krisen, in denen die Bindungsbedürftigkeit steigt (Popitz 2007: 256). Die Ausbildung von Herrschaftsapparaten verlangt allerdings eine kontinuierliche Versor- gungsbeziehung zwischen Herrscher und Apparat, um diesen auf Dauer zu binden. Um die kontinuierliche Einnahme von Gütern und Mitteln zu gewährleisten, werden Leistungen von den Beherrschten verlangt und umverteilt (Popitz 2007: 257). Aus diesem Grund tendiert die Macht auf dieser Stufe dazu, sich über mehr Menschen auszudehnen und Herrschaft über ein festes geografisches Gebiet zu etablieren. (Popitz 2007: 258).8

Auf der fünften und letzten Stufe des Institutionalisierungsprozesses, sieht Popitz die Entstehung staatlicher Herrschaft. Diese ist verbunden mit der Ausschaltung etwaiger Konkurrenten und der damit verbundenen Monopolisierung von Herrschaftsrechten, auf den Gebieten Gewaltanwendung, Rechtssetzung und Rechtssprechung (Popitz 2007: 258).

2.2.3 Prozesse der Machtbildung

Im Zusammenhang mit dem Prozess der Institutionalisierung von Machtbeziehungen sind die Fragen relevant, wie es einer Minderheit möglich ist über eine Mehrheit zu herrschen und welche Faktoren die Machtbildung und Ausdehnung begünstigen. Dabei kommt Popitz zu dem Schluss, dass Personen oder Gruppen Chancen zufallen, die von ihnen genutzt werden können, um die eigene Macht auszubauen. Werden sie nicht genutzt, bleibt der Machtbildungsprozess stecken (Popitz 2007: 186). Dabei arbeitet er verschiedene Möglichkeiten heraus, die für den Machtbildungsprozess entscheidend sein können.9

1.)überlegene Organisationsfähigkeit:

Innerhalb einer Gruppe kann es einer Minderheit, die ein gemeinsames Interesse verfolgt, gelingen, sich schneller und effektiver als die Mehrheit zu organisieren. Dies passiert insbe- sondere dann, wenn die Minderheit ein gemeinsames Interesse zur Kooperation hat (Popitz 2007: 191/196). Dies ist dann wahrscheinlich, wenn die Minderheit die Profiteure einer Ord- nung sind, etwa Besitzende, und diese Ordnung nach Außen verteidigt werden soll. Das bedeutet nicht, dass die Ordnung auf Einverständnis der Mehrheit treffen muss, jedoch fällt es dieser Mehrheit schwer, ein gemeinsames Interesse zu formulieren. Ihre Chance und Fähigkeit sich zu organisieren, sind geringer einzustufen (Popitz 2007: 194).

2.) Ü berlegenheit durch Solidarität:

Krisenhafte soziale Bedingungen erhöhen die Bindungsbereitschaft und besitzen das Potential Menschen eng „zusammenzuschweißen“. Die Solidarität innerhalb der Gruppe erzeugt eine Einstellung des „ Helfen[s] und Teilen[s] “ (Popitz 2007: 204), die durch enge Kooperation in verschiedenster Weise Effizienzsteigerungen erzielen kann. Dies setzt weitere Ressourcen frei (Popitz 2007: 209).

3.) Staffelung der Unterlegenen:

Um die Machtausübung einer Minderheit zu garantieren, muss die Organisation einer weite- ren Gruppe aus dem Kreis der Unterlegenen, die diese Machtbeziehung herausfordern kann, verhindert werden. Zu diesem Zweck kann die machthabende Gruppe die Unterlegenen staf- feln und fragmentieren, indem ein Teil an der Machtausübung beteiligt wird. Auf diese Weise wird die Organisation einer schlagkräftigen Opposition verhindert (Popitz 2007: 210f.).

4.) Reproduktion von Macht durch Umverteilung:

Durch den Einsatz von Machtmitteln (Gewalt/ Drohung) kann die machthabende Gruppe die Unterdrückten dazu zwingen, materielle Güter an das Machtzentrum abzutreten, die wieder- um weiterverteilt werden können, etwa zum Stab. Durch diesen Umverteilungsprozess wer- den den Machthabenden regelmäßig materielle Machtmittel in die Hand gegeben, die zur Re- produktion des Machtverhältnisses führen (Popitz 2007: 219). Ist das System etabliert, tritt Zwang in den Hintergrund.

2.3 Legitimität

2.3.1 Legitime Herrschaft

Für den Bestand und die Dauer des Herrschaftsverhältnisses ist das so genannte Legitmität- seinverständnis entscheidend (Weber 2010: 659). Es beschreibt die wechselseitige Bezug- nahme von Herrschern, die Geltung der Herrschaftsordnung beanspruchen sowie den Be- herrschten, die an die Rechtmäßigkeit der Ordnung glauben. In diesem Fall trifft der Legitimi- tätsanspruch der Überlegenen auf den Legitimitätsglauben der Unterlegenen. Für den Bestand von Herrschaft, setzt Weber generell die Existenz eines Legitimitätseinverständnisses voraus (Weber 2010: 157). Abhängig von den Legitimitätsquellen, aus denen heraus sich der Glaube an die Rechtmäßigkeit einer Herrschaftsbeziehung speist, ist die Herrschaftsbeziehung nach unterschiedlichen Gesichtspunkten strukturiert. Um dies zu verdeutlichen, formuliert Weber drei Idealtypen10 legitimer Herrschaft.

Die legal-rationale Herrschaft

Die rationale oder legale Herrschaft beruht auf Satzung. Das heißt, dass der Herrschaft auf- grund des Glaubens an eine formal-abstrakte Norm, etwa Gesetzen, gefolgt wird (Weber 2010: 159). Die Ordnung ist unpersönlich und auch die Personen in einem Herrschaftsverband, die die tatsächliche Herrschaft ausüben, der Leiter und der Verwaltungsstab, sind an sie gebunden. Durch die Anwendung der sachlichen Ordnung werden die Mitglieder des Herrschaftskreises bestimmt. Ihre Beziehung ist durch sachliche, strenge Amtshierarchie und Arbeitsteilung strukturiert. Die Verwaltung wird an der sachlichen Ordnung orientiert. Sie gilt für alle Perso- nen innerhalb der Herrschaftsbeziehung gleichermaßen. Neues Recht kann mittels Vereinba- rung oder Oktroyierung eingeführt werden, dies ist lediglich abhängig von den Bestimmungen der Ordnung (Weber 2010: 160f.). Der Idealtypus des Verwaltungsstabes in der rationalen Herrschaft ist das bürokratische Beamtentum. Die legal-rationale Herrschaft ist Kennzeichen aller modernen Verbände und des okzidentalen Staates (Weber 2010: 164).

Die Traditionale Herrschaft

Die traditionale Herrschaftsordnung beruht auf eingelebter Gewohnheit und dem Glauben an die Rechtmäßigkeit der immer dagewesenen Ordnung. Der Herrscher wird mittels traditionaler Regeln bestimmt (Weber 2010: 167).

Auch der Herrscher ist an die Tradition gebunden, deshalb ist im reinen Typus die Neuschaf- fung von Recht prinzipiell unmöglich. Nichtsdestotrotz bietet sich dem Herrscher ein gewis- ser Willkürbereich. Wenn er jedoch selbst gegen die traditionale Ordnung verstößt, so muss er mit Widerstand rechnen (Weber 2010: 167). Dieser Widerstand gegen den Herrschenden ori- entiert sich aber dann an ihm als Person, nicht gegen die gesamte Herrschaftsordnung. Der Verwaltungsstab besteht generell aus Dienern, die durch persönliche Treue an den Herren gebunden sind. Dem Verwaltungsstab fehlen die formalen Kriterien der Bürokratie. Sein Handeln wird maßgeblich von der willkürlichen Befehlsgewalt des Herrschers geprägt (We- ber 2010: 169).

Die Charismatische Herrschaft

Der Legitimitätsglaube bei der charismatischen Herrschaft beruht auf dem Charisma des Herr- schers. Das Charisma bezeichnet die außeralltägliche Fähigkeit einer Person, Weber spricht in diesem Zusammenhang von „gottgesandter“ oder „vorbildlicher Erscheinung“ des Charis- maträgers, die andere Menschen in dieser Person erblicken. Diese Eigenschaft macht den In- haber zum Führer, sein Verwaltungsstab wird nach charismatischen Gesichtspunkten, Einge- bung und persönlicher Bindung ausgewählt (Weber 2010: 179f.). Sie ist neuartig und bricht in revolutionärer Weise mit dem Dagewesenen. Die Herrschaft zeichnet sich durch den indivi- duellen Willen des Führers und deshalb Regelfremdheit aus. Sie verfügt nur über einen gerin- gen Grad von Berechenbarkeit (Weber 2010: 181). Die charismatische Herrschaft hat ein au- ßerordentliches Legitimationsproblem, da sie abhängig vom Bestand des Charismas des Füh- rers ist. Vergeht sie, vergeht auch die Herrschaft. Der Charismaträger ist in der Pflicht sein Charisma regelmäßig zu bewähren, worauf seine außeralltägliche Fähigkeit auch beruht. Da die Herrschaft vollständig auf den Führer abgestellt ist, zerbricht sie in der Regel mit dem Verschwinden des Inhabers (Weber 2010: 179). Allerdings ist die Veralltäglichung des Cha- rismas, also Umformung in Richtung traditionaler oder rationaler Herrschaft, möglich. Dies kann aufgrund des materiellen und ideellen Interesses der Beherrschten, aber insbesondere des Verwaltungsstabes an Fortführung dieser Ordnung, erfolgen (Weber 2010: 182-188).

2.3.2 Die Entstehung von Legitimität: Basislegitimität

Wo Weber die prinzipielle Legitimität einer bestehenden Herrschaftsordnung unterstellt, hat sich Popitz der Frage gewidmet, unter welchen Umständen diese entstehen kann. In der Kon- zeption Webers beruht das Legitimitätsverhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten auf einer vertikalen Ebene. Popitz hat dieses Bild durch eine horizontale Dimension erweitert. So könnten in einer Machtbeziehung, in der noch kein Legitimitätseinverständnis besteht, verschiedene Privilegierte sich in ihrer Position gegenseitig anerkennen, da sie in ihrem Legi- timitätsanspruch an die Rechtmäßigkeit der bestehenden Verhältnisse glauben. Hier entsteht eine Legitimitätsgeltung zunächst über den Köpfen der Beherrschten, die allerdings auf sie eine suggestive Wirkung entfaltet. Dieser Mechanismus kann einen Prozess der Legitimitäts- bildung einleiten (Popitz 2007: 199f.).

Hinzu kann die Entstehung von Basislegitimität treten. Diese beschreibt einen Legitimie- rungsprozess, bei dem eine Machtordnung durch Dauerhaftigkeit ihres Bestehens, die Aner- kennung der Unterlegenen erhalten kann. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass die Ord- nung für die Unterlegenen durch Entstehung von Regelmäßigkeiten in ihrer Machtanwendung erwartbar wird (Popitz 2007: 223). Dieses Wissen der Machtabhängigen um die Bedingungen der Ordnung wird als Ordnungssicherheit bezeichnet (Popitz 2007: 224). Die Unterlegenen richten sich in der Ordnung ein und verhalten sich konform. Durch ihr alltägliches Handeln verbinden sie sich sukzessiv mit den bestehenden Machtstrukturen. Durch die Dauer der Ord- nung kann das angepasste Verhalten als akkumulierende Investitionen begriffen werden, die Ordnung erhält einen Investitionswert. Damit verbunden entwickeln sie ein natürliches Inte- resse am Bestand der Ordnung, um die getätigten Investitionen zu erhalten (Popitz 2007: 225). Die beiden Phänomene zusammengenommen werden mit dem Ordnungswert beschrieben, die bestehenden Verhältnisse erhalten für die Unterlegenen einen Wert (Popitz 2007: 224). Je länger diese Ordnung anhält, desto mehr nimmt ihr Wert und somit ihre Akzeptanz zu. Auf diese Weise kann sich ein Legitimitätsverhältnis im Weberschen Sinne entwickeln (Popitz 2007: 226). „ Wir finden [Basislegitimität] in verschiedenen Ausprägungen bei allen Unter- mietern der Macht “ (Popitz 2007: 227). Trutz von Trotha, Popitz Schüler, hat die Basislegi- timität weiter ausgearbeitet, indem er sechs verschiedene Typen gebildet hat. Jede dieser For- men bezieht sich auf unterschiedliche Tatsachenerfahrungen der Unterlegenen in ihrem Alltag. Diese Erfahrungen werden durch die Bedingungen der bestehenden Ordnung geprägt, was zu ihrer Anerkennung durch die Ordnungsabhängigen führt (von Trotha 1994 b: 74).

Basislegitimität derüberlegenen Gewalt

Bezug nehmend auf Popitz Gewaltbegriff, der eine Machtbeziehung zwischen Verletzungsfä- higen und Verletzungsoffenen beschreibt, entwickelt von Trotha seine erste Basislegitimitäts- form. Die natürliche bzw. körperliche Machtdifferenz wirkt auf die soziale Welt zurück und strukturiert sie in Überlegene und Unterlegene (von Trotha 1994 b: 76). „ Gewalt ist die ord- nungsstiftende Erfahrung schlechthin “ (Popitz 2007: 61), denn die „Ü berlegenheit ist absolut, weil sie das absolute in dieser Welt, den Tod, ins Werk setzen kann “ (von Trotha 1994 b: 76). Diese Erfahrung leistet einen Beitrag zur Ordnungssicherheit der Unterlegenen (von Trotha 1994 a: 40).

Basislegitimität der Organisationsmacht

Diese weitere Form verweist auf die überlegene Organisationsfähigkeit von Herrschenden, denen es möglich ist, das Handeln der Menschen in ihrem Herrschaftsbereich auf die Umset- zung eines bestimmten Zieles hin zu steuern (von Trotha 1994 b: 77). Diese Organisationsfä- higkeit offenbart sich insbesondere in den Ergebnissen des Einsatzes Datensetzender Macht, die die Umwelt planvoll verändern. Sie dienen fortan als Symbole und Beweise der Organisa- tionsfähigkeit der Herrschenden (von Trotha 1994 b: 78). Die Unterlegenen erfahren die per- sönliche Einbeziehung und den direkten Kontakt mit den Produkten der Organisation, wel- ches sie zur Anerkennung der Ordnung und ihrer überlegenen Herren veranlasst (von Trotha 1994 b: 78).

Ordnungswert der Ordnung

Hier bezieht sich von Trotha maßgeblich auf die oben genannte Ordnungssicherheit. Durch die Verregelung des Sozialen und die Herstellung der persönlichen Sicherheit erhält die Ordnung für die Unterlegenen einen Wert, der zu ihrer Akzeptanz beiträgt. Ihr Wert steigt mit der Dauer ihres Bestehens (von Trotha 1994 b: 79f.).

Basislegitimität der Teilhabe

Dieser Typ der Basislegitimität drückt aus, dass jeder im Herrschaftsbereich, der sich im Sin- ne der Ordnung konform verhält, zu ihrer tatsächlichen Geltung und somit Legitimierung bei- trägt (von Trotha 1994 b: 81). Zum einen verweist von Trotha in diesem Zusammenhang auf den oben genannten Investitionswert. Zum anderen nennt er den Alltagswert. Dieser entsteht, indem die Machtabhängigen sich an die Ordnung gewöhnen und ihrem Alltag, der von der Ordnung geprägt wird, unterbewusst einen Wert beimessen. Die beiden Werte entwickeln sich erst durch die Dauer der Ordnung, nehmen aber stetig zu (von Trotha 1994 b: 82f.).

Demonstrationswert

Der Demonstrationswert hat einen direkten Bezug zur Basislegitimität der Teilhabe. Das Ein- richten der ersten Menschen in eine neue Ordnung wirkt auf die Beobachter suggestiv und überzeugt (von Trotha 1994 b: 84). Diejenigen, die in der vorherigen Ordnung nur zu einem geringen Maße integriert waren, tendieren leicht dazu, mit den neuen Verhältnissen zu koope- rieren (von Trotha 1994 b: 85). Ihr Handeln demonstriert das Ende einer vergangenen Ord- nung und den Beginn einer Neuen (von Trotha 1994 b: 85). Hilfreich kann zudem die Unter- stützung der neuen Herrschaftsverhältnisse durch die Eliten der vorherigen Ordnung sein (von Trotha 1994: 85f.). Zur Steigerung des Demonstrationswertes ist auch hier wieder die Dauer entscheidend.

Basislegitimität der kulturellen Zugehörigkeit

Gemeinschaften und Gesellschaften etablieren sich über die Bestimmung und Trennung von Zugehörigen und Außenseitern. In den Köpfen der Beteiligten besteht eine Vorstellung dar- über, wer zur sozialen Gruppe gehört und wer nicht (von Trotha 1994 b: 86). Dabei ist zu be- achten, dass soziale Grenzen relativ und variabel sind. Wird die herrschaftsausübende Seite von den Unterlegenen als zugehörig zur eigenen sozialen Gruppe akzeptiert, entsteht zwi- schen den Mitgliedern der Herrschaftsbeziehung ein Gefühl von Gleichheit und damit ver- bunden wird Solidarität geschaffen (von Trotha 1994 b: 87). Ordnungen, die nicht die Basis- legitimität der kulturellen Zugehörigkeit besitzen, scheint es unmöglich zu sein je ein Legiti- mitätseinverständnis im Weberschen Sinne zu erreichen (von Trotha 1994 b: 88).

2.4 Konflikt und Herrschaftszerfall

In seiner Herrschaftssoziologie ging es Weber insbesondere um die ideelle Zustandsbeschreibung eines Herrschaftsverhältnisses. Zu der Problematik des Herrschaftszerfalls und des Konfliktes um Herrschaft hat er sich nur sparsam geäußert (vgl. Breuer 1998: 25). Jedoch lassen sich aus einigen Bemerkungen Webers und Popitz und der Anwendung ihrer Theorien Schlüsse ziehen, unter welchen Bedingungen Konflikt und Herrschaftszerfall ablaufen. Dies soll an dieser Stelle skizziert werden.

Bei Herrschaft handelt es sich nach Weber um eine institutionalisierte soziale Beziehung zwischen Befehlenden und Gehorchenden (vgl. Tyrell 1980: 69). Um dies auf Dauer zu gewährleisten geht er grundsätzlich davon aus, dass als Grundlage für ein Herrschaftsverhältnis der Legitimitätsglaube der Beherrschten an die Rechtmäßigkeit der Ordnung vorhanden sein muss. Andersartige Motivationslagen der Unterlegenen ihr Handeln an den Vorschriften der Ordnung zu orientieren, wie etwa zweckrationales Interesse und physischer Zwang, würden der Herrschaft einen lediglich labilen Charakter ausstellen (Weber 2010: 157; vgl. Tyrell 1980: 61; Anter 1995: 66). Einer legitimen Ordnung wird gehorcht, weil sie unreflektiert, alternativlos erscheint (Tyrell 1980: 86f.). Dies ist die Grundlage ihrer Stabilität.

Gehorchen die Beherrschten den Befehlen der Herrscher tatsächlich und handeln in ihrem Sinne, reproduziert sich die Herrschaftsordnung (vgl. Tyrell 1980: 85). An dieser Stelle sei an den Begriff der Chance in Webers Herrschaftsdefinition erinnert (vgl. Abschn. 2.2.1). Dieser drückt aus, dass lediglich eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Handlungssequenz Be- fehl-Gehorsam auf diese Weise abläuft (vgl. Käsler 1978: 135). Dies impliziert, dass der Be- stand der Herrschaft gefährdet ist, sobald sich Unterlegene nicht mehr an der Ordnung orien- tieren. Im Falle eines zur Regel werdenden Verstoßes gegen die Handlungsanweisungen, wird der Reproduktionsprozess unterbrochen und die Herrschaft vergeht (Weber 2010: 23). In diesem Sinne unterstreicht Weber, dass zwischen Gelten und nicht Gelten der Ordnung flüssige Übergänge bestehen (Weber 2010: 23).

Dies lässt die Frage entstehen, unter welchen Bedingungen der Prozess des Zerfalls eingeleitet wird. Popitz bemerkt, dass soziale Ordnungen menschengemacht sind und mittels Machtein- satzes veränderbar seien (2007: 20-22). In Hinblick auf Webers Operieren mit Idealtypen ist zu unterstellen, dass es sich bei einem Legitimitätsglauben mit totalem Anspruch, nach dem alle Unterlegenen das Herrschaftsverhältnis unhinterfragt hinnehmen, um einen Grenzzustand handelt, den man so in der Realität nicht erwarten kann (vgl. Anter 1995: 107). Dort wo Herr- schaft besteht, kann man davon ausgehen, dass sie ihre Kritiker hat. Es besteht die Möglich- keit, dass es in diesem Kreise zu einem Prozess der politischer Vergemeinschaftung bzw. Vergesellschaftung kommt und die entstehende Gruppe den Herrschaftsanspruch der Befeh- lenden herausfordert (vgl. Ernst 2002: 76). In diesem Fall formiert sich eine Alternative zur bestehenden Ordnung und es kommt zum Kampf.11

Weber bemerkt, dass diejenigen, die es darauf anlegen den Herrschaftszerfall eines Herr- schaftsverbandes herbeizuführen, in der Pflicht sind, einen eigenen Stab zu konstituieren, wenn es ihnen nicht gelingt sich an die Spitze des Bestehenden zu setzen (Weber 2010: 196). Dies verweist darauf, dass die Gruppe der Herausforderer einen Prozess der Institutionalisie- rung zu einem Verband erleben muss, um eine Konkurrenz für die bestehende Ordnung dar- zustellen. Die Formierung eines alternativen Herrschaftsverbandes, der eine alternative Ord- nung proklamiert und das bestehende Herrschaftsverhältnis herausfordert, ist ein Symbol des Zweifels und Kennzeichen für eine Erschütterung des Legitimitätsglaubens. Der Ordnungs- wert ist durch den Kampf gefährdet. In der Regel ist die Legitimitätsbeziehung „unsicht- bar“ (Anter 1995: 66). Sie tritt nur in Phasen der Krise zu Tage und offenbart sich. Die Kon- kurrenzsituation stürzt sie in eine Krise und stellt das unterstellte Legitimitätseinverständnis offen zur Disposition, was die Mitglieder der Ordnung zur Reflexion des Legitimitätsglaubens anhalten kann.

Das „Prestige der Natürlichkeit und Verbindlichkeit“ der Ordnung erhält Brüche. Der heraus- fordernde Verband steckt wie ein Stachel im Fleische der Herrschaftsordnung und bedroht ihre Existenz. Zur erfolgreichen Durchsetzung der Herrschaftsordnung würde der Herausge- forderte sich genötigt sehen, den Herausforderer wieder in den eigenen Herrschaftszusam- menhang zu integrieren oder ihn zu vernichten. Um jedoch eine ernstzunehmende Gefährdung für den Bestand der Herrschaft darzustellen, muss der herausfordernde Verband seine Macht konsolidieren und ausbauen. Dies kann, wie von Popitz beschrieben, als stufenartiger Institu- tionalisierungsprozess erfolgen. Das würde im Falle des Konfliktes innerhalb eines Gebiets- verbandes bedeuten, dass auch der Herausforderer Gebietsherrschaft etablieren und expandie- ren muss, was etwaige vorherige Monopolisierungserfolge zu Nichte machen würde. Beide würden nicht nur um die Durchsetzung ihres Anspruches mit Machtmitteln ringen. Da das Bestehen der Verbände auf dem Spiel steht, müssen sie ihre Stabilität durch Legitimität gewährleisten. Für den Herausforderer heißt dies insbesondere, Anerkennung zunächst über die verschiedenen Formen von Basislegitimität zu erhalten. Allerdings machen es Investiti- onswert, Alltagswert und Demonstrationswert der bestehenden Ordnung den Herausforderern schwer, Überzeugung für eine neue Ordnung herzustellen. Die Durchsetzung des Herausfor- derers ist deshalb dort wahrscheinlich, wo diese Werte schwach ausgeprägt sind und eine Verbesserung durch eine alternative Ordnung für die Unterlegenen glaubwürdig erscheint. Der Versuch der Unterminierung des Potentials zur Herstellung von Basislegitimität würde den Bestand des konkurrierenden Herrschaftsverbandes bedrohen, weshalb beide Seiten ge- neigt sein könnten derlei Handlungsstrategien anzuwenden.

Es wäre nicht ungewöhnlich, wenn die Konfliktaustragung gewaltsam erfolgen würde. So beschreiben Popitz und von Trotha die Gewalt als eine Machtform, die Herrschaft zerschlagen und eine neue konstituieren kann (Popitz 2007: 61; von Trotha 1994 b: 77). Ist der herausfor- dernde Verband erfolgreich im Hinblick auf die Zerschlagung der Herrschaft, kann er sich an die Stelle des vorherigen setzen und eine neue Herrschaftsordnung konstituieren. Sind die neuen Herrscher in der Lage, die Ordnung auf Dauer zu garantieren, gewinnt sie an Legitimi- tät. Die Erreichung eines Legitimitätseinverständnisses im Weberschen Sinne ist möglich.

Innerhalb eines solchen Konfliktes um die soziale Ordnung sind die bisher beschriebenen Begriffe fundamental. Die Kontrahenten streben danach, Herrschaft durchzusetzen. Dies ge- lingt über den Einsatz und die Institutionalisierung von Macht. Dabei kann insbesondere die Machtform der Gewalt eine elementare Rolle spielen. Die Institutionalisierungserfolge müs- sen zu ihrer Absicherung mit Legitimität bzw. Basislegitimität abgesichert werden.

3 Staatliche Herrschaft - Ideal und Wirklichkeit

Um ein Verständnis für die staatlichen Herrschaftszusammenhänge in Indien zu gewinnen, werden an dieser Stelle die zuvor erläuterten Begriffe Macht, insbesondere die Form der Ge- walt, Herrschaft und Legitimität in Beziehung zum Konzept und zur Realität des Staates ge- setzt. Zunächst erfolgt eine Beschreibung des Ideals des modernen Staates, das von Max We- bers Konzeptionalisierung stark geprägt wurde. Jedoch zeigt sich, dass staatliche Herrschaft in der Dritten Welt von diesem Ideal in vielerlei Bereichen abweicht (vgl. Clapham 2004: 45). Mit dem Begriff Dritte Welt soll keine generelle Homogenität unterstellt werden, jedoch tei- len die Staaten einige Gemeinsamkeiten. Diese liegen in einer ähnlichen Entstehungsge- schichte, nämlich der Erfahrung des Kolonialismus begründet. Auch der indische Staat kann diesem Typ zugeordnet werden. Abweichungen und Entstehung werden im folgenden Ab- schnitt behandelt. Schließlich erfolgt eine Zusammenführung der beiden Abschnitte, die den Ansatz verfolgt, Erklärungsangebote für die Bedingungen staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt zu liefern.

3.1 Das Ideal des modernen Staates

Webers Interesse gilt nicht dem Zweck des Staates. Stattdessen konzipiert er ihn ausgehend von seiner Funktionalität (Weber 2010: 1043). In Webers idealtypischer Konzeption wird der Staat als eine Herrschaftsbeziehung zwischen Befehlenden und Gehorchenden dargestellt, die das Bestehen von legitimer Ordnung und Herrschaftsorganisation mittels der Kontrolle über physische Zwangsmittel, voraussetzt. Jedoch handelt es sich um einen Sonderfall von Herr- schaft. Die zentralen Eigenschaften des Staates können mit Gewaltmonopol, Suprematie, bü- rokratischer Verwaltung und Territorialität zusammengefasst werden (vgl. Schlichte 2004: 64; von Trotha 1999 b: 223).

Der Staat ist eine Anstalt, also ein besonderer Typus des Herrschaftsverbandes. Die Anstalt wird der legal-rationalen Herrschaftsform zugeordnet (vgl. Abschn. 2.3.1). Weber definiert sie als einen Verband, „ dessen gesatzte Ordnungen innerhalb eines angebbaren Wirkungsberei- ches jedem nach bestimmten Merkmalen angebbaren Handeln (relativ) erfolgreich oktroyiert werden “ (Weber 2010: 38). Die hervorstechende Eigenschaft der Anstalt ist folglich, dass ihre Ordnung innerhalb ihres Wirkungsbereiches auch für all jene, die nicht Mitglieder des Verbandes sind, erfolgreich Geltung beansprucht und somit ihr Handeln steuern kann. Der Wirkungsbereich bezieht sich beim Staat stets auf eine Territorialbeziehung mit festen Gren- zen (Weber 2010: 40/1043).

Um die erfolgreiche Durchsetzung und Umsetzung seiner Ordnung innerhalb des besagten geografischen Gebietes zu gewährleisten, obliegt dem Staat „ das Monopol legitimen physi schen Zwanges “ (Weber 2010: 39). Das Gewaltmonopol ist das Entwicklungsprodukt eines lange währenden Prozesses, bei dem der Anstaltsstaat sukzessiv private Inhaber physischer Gewaltmittel enteignet und alle Gewalt bei sich konzentriert hat (vgl. Anter 1995: 37). Der private Gewaltgebrauch wird rechtlich verboten, der staatliche einer legalen Ordnung unterstellt und erhält somit Legitimität (Weber 2010: 663).12

Damit verbunden sind weitere Monopolisierungserfolge auf den Feldern Verwaltung, Rechts- setzung, Rechtssprechung und weiteren Gebieten sozialer Ordnung (Weber 2010: 660; vgl. Anter 1995: 38). Der Staat etabliert sich als einzige Quelle und Garant der gesellschaftlichen Ordnung und wird zur Rechtsschutzanstalt (Weber 2010: 663). Im Begriff des Nationalstaates verbindet sich die Vorstellung, dass der Staat außerdem die politische Repräsentanz eines homogenen Volkes nach außen darstelle (Weber 2010: 315/674-678; vgl. Migdal 2001: 17). Mit der Ausschaltung aller Konkurrenten auf dem beanspruchten Herrschaftsgebiet und dem Zusammenziehen aller Ordnungsfunktionen beim Staat, erfolgt die Begründung staatlicher Zentralherrschaft (vgl. Popitz 2007: 258). Der Staat ist einzige legitime Autorität innerhalb eines begrenzten Gebietes. Damit verbunden ist die Vorstellung der Autonomie und Suprema- tie des Staates. Der Staat scheint der sozialen Sphäre enthoben zu sein (vgl. Migdal: 2001: 17). Er dominiert die Gesellschaft und keine weiteren sozialen Akteure oder Organisationen üben neben ihm und ohne seine Zustimmung politische Herrschaft aus. Die staatliche Herrschafts- ordnung rangiert vor allen weiteren sozialen Handlungsanweisungen und genießt deshalb die höchste Chance auf Befolgung (Weber 2010: 1044f.). Hinzu kommt, dass dem Staat die Ten- denz innewohnt, seine Herrschaft auf immer mehr Bereiche des Sozialen auszudehnen (We- ber 2010: 660). Das Band zwischen Staat und Gesellschaft wird stetig enger geknüpft.

Die Verwaltung, sprich die alltägliche Form der Herrschaft, wird von einem darauf eingestell- ten Stab organisiert. Sie ist an das Herrschaftszentrum gebunden, gehorcht ihren Befehlen und führt sie aus. Die Verwaltung wird entlang formaler, rationaler Regeln organisiert. Diese Ei- genschaften machen die Verwaltung zum Apparat (Weber 2010: 1048). Der Stab wird im modernen Staat vom bürokratischen Berufsbeamtentum repräsentiert. Es zeichnet sich insbesondere durch Amtskompetenz, freie Auswahl, Fachqualifikation, schriftli- che, aktenmäßige Fixierung der Vorgänge, feste Gehälter und Trennung der Verwaltungsmit- tel vom Amt aus, was einen regelgebundenen Betrieb ermöglicht (Weber 2010: 162f.).

Die Aufgabe des Staatsapparates betrifft die Aufrechterhaltung und Durchsetzung der staatlichen Ordnung. Sie zielt auf den persönlichen Schutz der Untergebenen vor äußeren und inneren Gefahren. Mittels des bürokratischen Verwaltungshandelns ist der Staat in der Lage auf das Handeln der Beherrschten gezielt Einfluss zu nehmen (vgl. von Trotha 1999: 224; Migdal 2001: 17). Der Staat oktroyiert soziale Regeln in Gestalt formal gesatzten Rechts. Dieses zeichnet sich durch Systematik und Berechenbarkeit aus. Der Herrschaftsapparat beurteilt, ob Rechtsbrüche vorliegen, um diese dann zu sanktionieren (Weber 2010: 660). Zu diesem Zweck werden Zwangsmittel zur Disziplinierung eingesetzt. Das rationale und unpersönliche Herrschaftsprinzip ist zentrale Legitimitätsquelle des Staates, indem es die „ umfassende Dis ziplinierung “ (Breuer 1991: 211) der Unterlegenen ermöglicht.

Die Ausübung der Herrschaft und die Geltung des Rechts beziehen sich dabei stets auf ein geografisches Gebiet mit festen, definierbaren Grenzen. „ Der ‚ Staat ’ ist Gewaltmonopolist und ‚ Souverän ’ immer nur auf begrenztem Raum “ (Tyrell 1992: 283).

Allerdings ist zu ergänzen, dass noch eine weitere Qualität des Staates Webers Konzeption ausmacht, die häufig vergessen wird (Tyrell 1992: 284). So legt er Wert darauf, dass es sich beim Staat um einen politischen Verband handelt (Weber 2010: 1042). Politik bedeutet bei Weber Kampf um Machtgewinnung, Machtverteilung und Machterhalt. Diese Kämpfe finden nicht nur zwischen den Staaten, sondern auch innerhalb statt (Weber 2010: 1043). Im moder- nen demokratischen Staat sind diese Kämpfe durch Parlamentarismus und Parteiendemokratie verregelt (Weber 2010: 213). Gewaltmonopol, Suprematie, bürokratische Verwaltung und Territorialität sind Ausdruck eines Herrschaftsgebildes, welches über ein erhebliches Maß an Durchsetzungsfähigkeit und Stabilität verfügt.

3.2 Staatliche Herrschaft in der Dritten Welt

Wenn nun die genannten Kriterien des modernen Anstaltsstaates als Maßstab an alle Staaten weltweit angelegt würden, so würde auffallen, dass etwa zwei Drittel bis drei Viertel aller Staaten diesen Ansprüchen nicht genügen würden (Reinhard 1999: VII). Diese Staaten kön- nen mit der sogenannten Dritten Welt13 gleichgesetzt werden. Weber unterstreicht allerdings auch, dass der moderne Anstaltsstaat das Entwicklungsprodukt der spezifischen Geschichte des Okzidents ist (Weber 2010: 1034-1042). Aus diesem Grunde ergeben sich zwei Folgerun- gen: Zum einen ist es ratsam davon abzusehen, Webers Staatsideal unkritisch als Maßstab an jene Länder der Dritten Welt anzulegen und die Abweichungen lediglich als Dysfunktionalitäten zu klassifizieren (vgl. Migdal/Schlichte 2005: 11f.; Schlichte 2008: 142). Zum anderen empfiehlt es sich die spezifische Entstehungsgeschichte der Staaten der Dritten Welt in den Blick zu nehmen, um Erklärungen für die Unterschiede zu finden. Dieses wird im Folgenden skizziert. Im Anschluss folgt eine Zusammenfassung der Unterschiede zwischen Staatsideal und staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt.

Im Falle der historischen Entstehung des Staates außerhalb des Okzidents, gerät die Epoche des Kolonialismus als entscheidende Zäsur in den Blick. In diesem globalen Prozess wurde das europäische Staatsmodell in die unterworfenen Weltregionen exportiert, was zur „ Ver- staatlichung der Welt “ (Reinhard 1999) führte. Auch in Regionen, wo die Herrschaftspraxis der Indirect Rule14 zur Geltung kam, wurden nach und nach Charakteristika des okzidentalen Staates importiert, etwa durch den Aufenthalt westlicher Berater am Herrschaftshof sowie dem kontinuierlichen Kontakt und Austauschprozess mit den mächtigen Vertretern der euro- päischen Welt (vgl. Reinhard 1999: XI). Die wenigen nicht-westlichen Regionen, die nicht kolonialisiert wurden, etwa Japan und die heutige Türkei, haben sich im Zuge von Moderni- sierungsprogrammen den modernen Anstaltsstaat zum Vorbild genommen und Eigenschaften indirekt importiert (vgl. Migdal/Schlichte 2005: 16).15

Die unterschiedlichen Entstehungsprodukte dieser Prozesse, die Staaten der Dritten Welt, können sich in Bezug auf die Institutionalisierung von Machtbeziehungen stark unterscheiden, insbesondere abhängig von der Struktur der einheimischen Bevölkerung und den unterschiedlichen Praktiken der Kolonialmächte (vgl. Clapham 2004: 20). Entscheidend ist die Beobachtung, dass der Kolonialismus, durch die Interaktion der europäischen Mächte mit den lokalen Machtbeziehungen, entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung der späteren unabhängigen Staaten genommen hat (vgl. Reinhard 1999 b: 320).

Bei dem Aufbau kolonialer Herrschaft haben sich Eigenschaften des modernen Anstaltsstaates mit den lokalen Gesellschaften verbunden, Prinzipien staatlicher Herrschaft verknüpften sich mit lokalen und traditionalen Machtarrangements (Schlichte 2005: 120). Dieser Prozess wird mit Hybridbildung beschrieben (vgl. Reinhard 1999 b: 321).

Die Kolonialherren hatten in der Regel nie direkte Kontrolle über das gesamte beanspruchte Gebiet (vgl. Schlichte 2005: 46). Vielmehr konzentrierte sich der Einfluss in großen Städten und Handelszentren. Hier fand die Institutionalisierung von Machtbeziehungen nach westlichem Vorbild am intensivsten statt und der Kolonialstaat bediente sich bürokratischem Verwaltungshandeln zur Herrschaftsdurchsetzung.

Abseits der kolonialen Herrschaftsenklaven musste sich der Kolonialstaat jedoch anderer Mit- tel bedienen, um seinem Gestaltungsanspruch Nachdruck zu verleihen. Neben dem bürokrati- schen Verwaltungshandeln unterscheidet von Trotha in diesem Zusammenhang noch das Des- potische und Intermediäre (1999 a: 226). Ersteres meint die Gewaltandrohung und Gewaltan- wendung zur Umsetzung der Herrschaft. Letzteres bezieht sich auf den Versuch, einheimische Kollaborateure in den kolonialen Herrschaftszusammenhang zu integrieren. Zur indirekten Herrschaftsdurchsetzung forcierte die Kolonialverwaltung insbesondere die Zusammenarbeit mit lokalen Eliten, um deren Autorität als Transmissionsriemen zu nutzen (vgl. von Trotha 1999 a: 226). Diese Intermediäre konnten aufgrund ihres Einflusses zwischen Kolonialver- waltung und lokaler Gesellschaft vermitteln.

Auch wenn sich die nachkolonialen Staaten meist sehr darum bemühen nicht den Anschein zu erwecken, so sind die Kontinuitätslinien zwischen Kolonie und Postkolonie im Hinblick auf ihre Herrschaftspraxis sehr groß (vgl. von Trotha 1999: 233 a). Die zentralen Hinterlassen- schaften der Kolonialmächte, die auch heute noch den Staat in der Dritten Welt erheblich prä- gen, sind die territorialen Grenzen und die politischen Institutionen (vgl. Leftwich: 2005: 145). Es deutete sich zwar mit den antikolonialistischen Bewegungen und Unabhängigkeitskriegen ein Wandel an. So konnten die siegreichen Befreiungsbewegungen dank des „ Charismas der Revolution “ zunächst ihre Herrschaft mit erhöhter Legitimität ausstatten. Doch auch dies war dem Prozess der „Veralltäglichung“ ausgesetzt (Schlichte 2006: 556) und so musste der nach- koloniale Staat häufig auf die Verwaltungsapparate und Herrschaftspraktiken der ungeliebten Besatzer zurückgreifen (vgl. Clapham 2004: 68). Der Mix aus bürokratischen, intermediären und despotischen Verwaltungsmitteln gehört auch zum Herrschaftsalltag der Staaten der Drit- ten Welt (von Trotha 1999 a: 233). Diese Staaten waren häufig nicht in der Lage ihren Herr- schaftsanspruch auf das gesamte staatliche Territorium auszuweiten. Der moderne Anstalts- staat bleibt weiterhin in Enklaven verwurzelt. Dementsprechend ist „ staatliche Herrschaft in der Dritten Welt … bis heute unvollendet geblieben [ … ] “ (Schlichte 2005: 111).

Im Folgenden sollen anhand der vier Ideale des modernen Staates, Gewaltmonopol, Suprematie, Territorialität und bürokratische Verwaltung, die Realität staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt skizziert werden.

Gewaltmonopol

Die Institutionalisierung kolonialer Herrschaft fußte im besonderen Maße auf der Verfügung über gewalttätige Aktionsmacht. Es kam immerzu da zum Einsatz, wo intermediäres und bürokratisches Verwaltungshandeln versagten (von Trotha 1999 a: 226). Die Überlegenheit der Kolonialherren, die sich weitgehend auf despotisches Vorgehen stützte, basierte auf der externen Machtbasis in den europäischen Mutterländern (vgl. Schlichte 2005: 120). Aus der Basislegitimitätsform der überlegenen Gewalt bezog die koloniale Herrschaft maßgeblich ihren Anspruch auf Gültigkeit (von Trotha 1999: 234).

Der Staat der Dritten Welt ist häufig nicht in der Lage gewesen, sein beanspruchtes Gewalt- monopol, insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzung auf der gesamten Staatsfläche, zu konsolidieren (vgl. Leftwich 2005: 150). Das Bestehen organisierter, gewaltkompetenter Ak- teure neben dem Staat, die mit ihm um Souveränitätsrechte konkurrieren, ist keine Seltenheit (vgl. Pereira 2003: 388). Dabei handelt es sich etwa um organisierte Kriminalität, Rebellen oder traditionale bewaffnete Gemeinschaften (vgl. Schlichte 2000: 166; 2005: 140). Die Ver- suche der Enteignung dieser Gruppen äußern sich stets in Konflikten, wie auch nicht anders als in der Geschichte des Okzidents (vgl. Schlichte 2009: 192). Meist bleibt dieser Prozess unvollkommen. Das Bestehen gewaltkompetenter Akteure neben dem Staat, die ebenso einen Anspruch auf Herrschaft auf bestimmte Regionen erheben, führt dazu, dass der Staat der Drit- ten Welt häufig über manche Regionen seines Staatsterritoriums nur wenig, oder gar keine Kontrolle ausübt (vgl. Schlichte 2000: 157-170).

Wie ihre kolonialen Vorgänger agieren die Gewaltapparate häufig repressiv und willkürlich. Durch dieses Vorgehen, mit der Gewalt als Aktionsmacht, die vorübergehend in der Lage ist, allen anderen Machtformen überlegen zu sein, ist es möglich, immer kurzzeitig den Machtan- spruch des Staates zu untermauern. Die Geltung der Herrschaft des nachkolonialen Staates beruht häufig auch im besonderen Maße auf der Basislegitimität der überlegenen Gewalt (von Trotha 1999: 235). Allerdings macht dies staatliche Herrschaft extrem fragil, da das stete ge- walttätige Verwaltungshandeln Ressentiments erzeugt und die Schwäche staatlicher Anerken- nung offenbart (Migdal/Schlichte 2004: 34). Die häufig nicht gelungene flächendeckende Durchsetzung des Monopols der legitimen Gewaltausübung im Staat der Dritten Welt engt seinen Gestaltungsspielraum ein.

Suprematie

Die begrenzte Macht des Staates zeigt sich außerdem darin, dass seine Ordnung auf beanspruchtem Herrschaftsgebiet und den Lebensbereichen seiner Einwohner in der Regel nicht unbedingte Gültigkeit besitzt (vgl. Leftwich 2005: 151).

Häufig stehen neben dem Staat mächtige Akteure oder Organisationen, die etwa ihre Legitimität aus traditionalen Quellen schöpfen (vgl. Leftwich 2005:147). Praktiken, wie Korruption, Klientelismus und Patronage sind nicht nur Ausdruck der Nicht-befolgung staatlicher Normen, sondern darüber hinaus Anzeichen für die Orientierung an konkurrierenden Ordnungen (Mig- dal 2001: 54).

Trutz von Trotha hat in diesem Zusammenhang den Begriff der Parastaatlichkeit geprägt (1999 a: 239-250). So existieren neben dem Staat eine Reihe mächtiger Akteure und Organi- sationen, die mit dem Staat um staatliche Aufgaben konkurrieren und sie ihm auch abnehmen (vgl. auch Leftwich 2005: 150). Durch ihre Übernahme idealtypischer Funktionen des Staates höhlen sie seine Legitimität aus und seine Akzeptanz schwindet. Je effizienter diese Gruppen sind, desto ineffizienter wird der Staat. Der Legitimitätsglaube wird erschüttert, da seine Leis- tungsfähigkeit in Frage gestellt wird. In diesem Zusammenhang schwindet die staatliche Ba- sislegitimität der überlegenen Organisationsmacht, die der Kolonialstaat in den meisten Fällen durchaus besessen hat (von Trotha 1999 a: 242). Stets haben Staaten Versuche unternommen ihre Macht gegen konkurrierende Akteure durchzusetzen und ihre Herrschaft auszudehnen. Diese Prozesse werden aber in aller Regel von Widerständen begleitet und lösen nicht selten soziale Verwerfungen aus (vgl. Schlichte 2005: 160).

Territorialität:

Aus den vorangegangenen Abschnitten ergibt sich, dass der Staat in der Dritten Welt häufig nicht die effektive Kontrolle über sein gesamtes Staatsgebiet besitzt. In dieser Beziehung steht er in der Tradition seines kolonialen Vorgängers: Der moderne Anstaltsstaat existiert häufig nur in Enklaven rund um die Zentren der ehemaligen kolonialen Herrschafts- und Wirt- schaftszentren (vgl. von Trotha/Klute 2001: 2). Daneben bestehen Regionen, in denen andere Ordnungen nicht selten mit personellen und traditionalen Elementen überwiegen (vgl. Schlichte 2005: 46). Diese Regionen außerhalb der anstaltsmäßigen Ordnung sind häufig auch wirtschaftlich schwächer entwickelt. Diese sozialen und ökonomischen Disparitäten sind Quelle von Widersprüchen und rufen Legitimationsdefizite hervor (vgl. Schlichte 2005: 45). In den Regionen, in denen der Staat keinen Zugriff mittels bürokratischer Verwaltungsmittel besitzt, muss er sich, wie der Kolonialstaat, auf intermediäres und despotisches Verwaltungs- handeln stützen (von Trotha 1999 a: 251).

Hinzu kommt die Beobachtung, dass es sich bei den Gesellschaften der postkolonialen Staaten in aller Regel nicht um homogene Einheiten handelt (vgl. Migdal/Schlichte: 2005: 18). Durch die kolonialen Grenzziehungen sind meist fragmentierte Gesellschaften entstanden, denen ein Gemeinschaftsgefühl fehlt. Aufgrund von Legitimitätsdefiziten ist die Bindung zum Staat lose. Die Vorstellung des Staates als Repräsentant der Bevölkerung ist unter den Beherrschten schwach ausgeprägt (vgl. Clapham 2004: 42).

Bürokratische Verwaltung

Es wurde gezeigt, dass das bürokratische Verwaltungshandeln zur Durchsetzung der staatli- chen Ordnung immer wieder an seine Grenzen stößt, weshalb der Staat sich genötigt sieht, auch auf die beiden anderen Formen des Verwaltungshandelns zurückzugreifen. Diese Praxis offenbart die geringe Reichweite, Durchsetzung und Anerkennung bürokratischer Prinzipien (von Trotha 1999 a: 229).

Die Praxis bürokratischer Apparate wird außerdem häufig durch widersprüchliches Handeln der Staatsbeamten selbst unterhöhlt (vgl. Clapham 2004: 46; Leftwich 2005: 150). Die Praxis der Patronage und des Klientelismus gehören zu den alltäglichen Phänomenen bürokratischer Verwaltungsapparate in der Dritten Welt. Sie sind Kennzeichen der schwachen Geltung staatlicher Institutionen (Migdal 2001: 44). Persönliche Loyalitäten und das Prinzip der Gegenseitigkeit sind für manche Staatsbeamte zwingendere Handlungsanweisungen als das bürokratische Reglement (vgl. Leftwich 148). Aus diesen Gründen kann der Staat nicht als autonomer und kohärenter Akteur begriffen werden (vgl. Schlichte 2005: 233).

3.3 Der Staat als Machtfeld - staatliche Herrschaft in der Peripherie

Die beiden vorangegangenen Abschnitte zeigen, dass zum einen die Vorstellung eines Ideals staatlicher Herrschaft existiert, zum anderen dies jedoch mit der Wirklichkeit staatlichen Handelns in der Dritten Welt in vielen Fällen nicht übereinstimmt. Joel S. Migdal hat den Versuch unternommen, beide Aspekte des Staates in einer neuen Konzeption zu vereinen. Mittels einer dialektischen Methode generiert er aus den Widersprüchen Erklärungsangebote für die Bedingungen staatlicher Herrschaft in der Dritten Welt (vgl. Migdal 1988; 2001; Migdal/Schlichte 2005). Migdal und Schlichte definieren den Staat als

„ [ … ] field of power marked by the use and threat of violence and shaped by (1) the image of a coherent, controlling organization in a territory, which is a repre- sentation of the people bounded by that territory, and (2) the actual practices of its multiple parts and those they engage in their roles as state officials ” (Mig- dal/Schlichte 2005: 15).

Der Staat wird als Machtfeld beschrieben, dessen Gestalt sich durch Bild und Praxis konstituiert. Sowohl Bild, als auch Praxis beinhalten das zentrale Element staatlicher Herrschaft, die Androhung und Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung seiner Ordnung (Migdal/Schlichte 2005: 18; vgl. auch Migdal 2001: 18).

Das Bild des Staates bezieht sich auf seine Wahrnehmung durch die Menschen innerhalb und außerhalb seiner Grenzen (Migdal 2001: 16). Es orientiert sich maßgeblich an Webers Staats- ideal eines kohärenten, autonomen Akteurs, der die Menschen auf seinem beanspruchten Staatsgebiet repräsentiert und für sie die soziale Ordnung herstellt und durchsetzt. Der Staat wird durch territoriale, wie auch soziale Grenzen bestimmt. Letzteres meint die Trennung zwischen öffentlich und privat, bzw. zwischen dem Staat als Herrschaftsverband und dem Rest der Gesellschaft, der durch ihn regiert wird (Migdal 2001: 17).

Die Praxis meint das alltägliche Handeln der staatlichen Akteure. Sie kann sich im Einklang mit der staatlichen Ordnung befinden und somit ihre Reproduktion ermöglichen. In diesem Fall würde das Handeln das Bild des Staates verstärken. Jedoch wurde festgestellt, dass es häufig zu abweichendem Handeln kommt (Migdal/Schlichte 2005:2), welches durch die Ori- entierung an alternativen Ordnungen entsteht, die zur staatlichen in einem Spannungsverhält- nis stehen (Migdal 2001:19). Das Bestehen dieser Ordnungen impliziert nicht nur, dass inner- halb des staatlich beanspruchten Herrschaftsbereichs Menschen ihr Handeln an ihnen orientie- ren und sie so reproduzieren, sondern auch dass hinter ihnen soziale Akteure stehen, die kon- kurrierende Ordnungen setzen und durchsetzen. Dies hat zur Folge, dass die idealen Grenzen verwischen und das Bild des Staates darunter leidet (Migdal 2001: 20). Eklatante Widersprü- che zwischen Bild und Praxis, können den Legitimitätsglauben der Beherrschten an die staat- liche Ordnung schmälern. Wenn sich Niemand mehr an der staatliche Ordnung orientiert, hieße das ihr Ende (Migdal/Schlichte 2005: 19; vgl. Abschn. 2.4).

Die beiden Elemente Bild und Praxis stehen in einer engen Wechselbeziehung (Mig- dal/Schlichte 2005: 15f.). Abweichendes bzw. konformes Handeln schwächen oder stärken das Bild des Staates in der Vorstellung der Menschen. Abhängig von der Ausprägung des Bildes in den Köpfen der Gesellschaftsmitglieder nimmt es wiederum Einfluss auf ihre Hand- lungsorientierung. Beide Einheiten stehen in einer dynamischen Beziehung und bestimmen den Staat als Machtfeld.16

Der Begriff des Machtfeldes meint, dass soziale Konflikte um die Prinzipien und Trennlinien des Staates die Geltung und die Reichweite staatlicher Herrschaft bestimmen (vgl. Migdal 2001: 22). Denn neben dem Staat existieren unterschiedliche machtvolle soziale Akteure, die je für sich beabsichtigen ihre Macht zu institutionalisieren und Anspruch auf die Geltung ihrer Regeln und Ordnungen beanspruchen (Migdal 2001: 64/88). Die konkurrierenden Ansprüche staatlicher17 und nichtstaatlicher Akteure äußern sich konfliktiv, können aber auch Anpassung und Allianzen zur Folge haben. Die Form und der Grad staatlicher Herrschaft werden durch diesen Aushandlungsprozess stetig neu bestimmt (Migdal/Schlichte 2005: 15). Die Ergebnisse dieser Konflikte haben wiederum Einfluss auf das Bild und die Praxis des Staates.18

Die Konflikte zwischen Teilen des Staates und sozialen Akteuren offenbaren sich insbesonde- re in Regionen abseits des staatlichen Herrschaftszentrums, sozusagen in seiner Peripherie, im lokalen Raum (Migdal 2001: 65). Hier sind häufig durch Indirect Rule und intermediäres Verwaltungshandeln der ehemaligen Kolonialherren mächtige Herrschaftsverbände entstan- den, etwa repräsentiert durch Großgrundbesitzer, traditionale Eliten und Geldverleiher, die Migdal unter dem Begriff strongmen subsumiert (Migdal 2001: 67/70). 19 Durch ihre Verfü- gungsgewalt über materielle Ressourcen neigen sie dazu, ihrer Herrschaft Stabilität zu verlei- hen (Migdal 2001: 67; 1988: 95).

Staatliche Akteure, die beabsichtigen, den territorialen Hoheitsanspruch des Staates durchzusetzen, geraten mit diesen Machtzentren notgedrungen in Konflikt. Der Staat könnte durch den Einsatz von Instrumenteller Macht gegenüber der dort lebenden Bevölkerung versuchen, die konkurrierende Herrschaft zu unterminieren (Migdal 2001: 68). Allerdings ist die Macht des Staates begrenzt (Migdal 2001: 115). Die meist schwachen staatlichen Institutionen sind nicht in der Lage, sich gegen besonders mächtige Akteure durchzusetzen.

Die staatlichen Verwaltungsapparate in der Peripherie, insbesondere die Staatsbeamten auf der untersten Ebene, die mit der Umsetzung der staatlichen Politik betraut sind und im direk- ten Kontakt mit der lokalen Bevölkerung stehen, bestimmen den Grad staatlichen Einflusses auf lokalem Level und somit auch insgesamt (Migdal 2001: 84). Ihr Handeln wird indes durch unterschiedliche Interessenslagen und Machtzentren beeinflusst. So würde die genaue Umset- zung der Anweisungen aus dem staatlichen Herrschaftszentrum, die darauf zielen den staatli- chen Anspruch Geltung zu verleihen und seine Macht auszudehnen, sie notgedrungen mit den lokalen strongmen, die an der Erhaltung des Status Quo interessiert sind, in Konflikt bringen (Migdal 2001: 88). Auf der anderen Seite sind die lokalen Verwaltungsbeamten mit der Kon- trolle durch ihre Vorgesetzten konfrontiert (Migdal 2001: 89). Sie entwickeln Strategien sich ihrem Blick zu entziehen und vermindern den Informationsfluss (Migdal 2001: 87). Teilweise sind strongmen auch in der Lage, Teile des Staates zu erobern, indem sie selbst oder Famili- enmitglieder Staatsämter übernehmen. Das versetzt sie in die Lage den staatlichen Apparat für ihre Zwecke gezielt zu instrumentalisieren (Migdal 2001: 91).

Aus diesen Gründen weicht das Handeln der staatlichen Stellen im Lokalen häufig von den Intentionen derjenigen, die die Anweisungen im Zentrum formuliert haben, stark ab (Migdal 2001: 90). Des Weiteren besitzt staatliches Recht an diesen Orten nicht selten ein geringeres Gewicht, als das alternativer Ordnungen. Durch komplexe Aushandlungsprozesse zwischen den verschiedenen Akteuren, mit jeweils unterschiedlichen Handlungsmotivationen kommt esin diesen Fällen häufig zur sogenannten Akkomodation. Jede Seite versucht die für sie am günstigsten Konditionen zu erreichen. Das Resultat ist, dass in diesen Regionen weder Staat noch die strongmen autonome Herrschaft ausüben, keiner konnte in diesem Fall seine Macht monopolisieren. (Migdal 2001: 65/90). Beide Seiten können sich häufig damit abfinden. Mit Prozessen der Akkomodation sind auch Umverteilungen staatlicher Ressourcen an die strongmen verbunden. Mit derlei Arrangements sind sie in der Lage ihre Macht zu konsolidieren (Migdal 2001: 71). Die Stabilität, die die strongmen im Lokalen garantieren, verschafft auch der staatlichen Herrschaft allgemein Stabilität.

Allerdings hat das staatliche Herrschaftszentrum meist wenig Interesse in diesen Regionen große finanzielle Investitionen zu tätigen. Diese fließen vielmehr in jene Regionen, wo die staatliche Macht zu einem hohen Grade institutionalisiert ist (Migdal 2001: 91). All dies trägt zur Erklärung sozialer und ökonomischer Disparitäten innerhalb von Staaten in der Dritten Welt bei.

Aus dem fragmentierten Charakter politischer Herrschaft in der Dritten Welt ergibt sich, dass die staatliche Ordnung vielerorts Legitimitätsdefizite aufweist. Der Glaube an die Rechtmä- ßigkeit der legalen Ordnung des Staates und seines Vertretungsanspruches ist nicht allgemein gegeben. Dort wo der Staat in der Lage war seine Macht zu einem großen Maße zu institutio- nalisieren, ist dieser Glaube stärker ausgeprägt. Jenseits der Herrschaftszentren, in den Regio- nen, die zuvor mit dem Begriff der Peripherie bezeichnet wurden, erhält die Ordnung maß- geblich ihre Stabilität durch Akkomodation und Allianzen mit lokalen Machtzentren. Ebenso wie der Kolonialstaat, dem auch die grundsätzliche Anerkennung der Beherrschten fehlte, muss der Staat der Dritten Welt seine Herrschaft auf eine Reihe von Basislegitimitäten stützen. So kann im Gegensatz zum Kolonialstaat, der nachkoloniale Staat vielerorts auf die Basislegi- timität der kulturellen Zugehörigkeit zählen (von Trotha 1999 a: 234). Da das staatliche Han- deln in vielen Staaten der Dritten Welt noch maßgeblich von der Androhung und Ausübung von Gewalt geprägt wird, besitzt die Basislegitimität der überlegenen Gewalt zentrales Ge- wicht, um der staatlichen Ordnung Geltung zu verschaffen (vgl. von Trotha 1999 a: 234).

Im Zeichen parastaatlicher Symptome, besitzt der postkoloniale Staat nicht selten geringere Kapazitäten als sein Vorgänger. Um gezielt Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben, ist die Basislegitimität der Organisationsmacht meist nicht besonders stark ausgeprägt (von Trotha 1999 a: 233).

Der Grad von Ordnungswert, Demonstrationswert und Basislegitimität der Teilhabe ist stets abhängig von den Fähigkeiten und Strategien der Staaten, ihre Bevölkerung in den eigenen Herrschaftszusammenhang zu integrieren und ihren Anspruch durchzusetzen. Diese Formen können nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Staaten variieren.

Es wurde gezeigt, dass staatliche Herrschaft in der Dritten Welt von dem Ideal, das sich in der Geschichte des Okzidents entwickelte, in verschiedener Weise abweicht. Zwar haben diese Staaten Elemente des europäischen Staatsmodells übernommen, jedoch waren sie nicht in der Lage, ihre Herrschaft zu konsolidieren. So kann die staatliche Ordnung nicht auf dem gesam- ten Staatsgebiet Geltung beanspruchen, da ihr in der Regel das Monopol der legitimen Ge- waltsamkeit fehlt. Eine Reihe von Akteuren ringen mit dem Staat um Macht und Einfluss. Insbesondere in der Peripherie, wo der Staat nur schwach institutionalisiert ist verhindern sie die Durchsetzung der staatlichen Ordnung. Hier ist das inkohärente Auftreten des Staates am offensichtlichsten. Dies ist auch der Ort, wo das Entstehen gewaltsamer Konflikte bis hin zu innerstaatlichen Kriegen am wahrscheinlichsten ist, wo nichtstaatliche Akteure gegen den staatlichen Anspruch auf Vorherrschaft mit Waffengewalt vorgehen. Von diesen Gruppen ist im folgenden Kapitel die Rede.

4 Bewaffnete Gruppen

Im vorherigen Abschnitt wurde gezeigt, dass staatliche Herrschaft in der Dritten Welt durch kontinuierliche Konflikte und Aushandlungsprozesse mit verschiedenen sozialen Akteuren geprägt und Gewaltmonopolisierung zumeist unvollendet geblieben ist. Vielerorts handelt es sich bei jenen Akteuren um organisierte bewaffnete Gruppen, die den staatlichen Hoheitsanspruch mit Gewalt herausfordern.

4.1 Bewaffnete Gruppen als soziale Akteure

Bewaffnete Gruppen werden hier als politische Verbände verstanden. Im Sinne von Webers Begriffsdefinition sind sie als politische Organisationen zu charakterisieren, da sie nach Machtgewinn und Machterhalt streben (vgl. Abschn. 3.1). Die Bestimmung als Verband imp- liziert, dass ein Herrschaftsverhältnis zwischen Herrscher und Stab existiert, eine Form der sozialen Schließung vorliegt und das Handeln an einer Verbandsordnung orientiert wird. Um ihre Macht ausbauen und konsolidieren zu können, stehen innere und äußere Institutionalisie- rung im Zentrum des Verbandshandelns. Gelingt es, territoriale Kontrolle zu erringen und eine Form der Herrschaftsbeziehung zu der dort lebenden Bevölkerung zu etablieren, erfolgt die Entwicklung zu einem Gebietsverband. In diesem Zusammenhang stellen sie Anspruch auf Geltung ihrer Ordnung und versuchen, diese durchzusetzen. Um dem Herrschaftsverhält- nis Stabilität zu verleihen, steht die bewaffnete Gruppe vor der Herausforderung, diese mit Legitimität auszustatten.

Aufgrund der Tatsache, dass diese Gruppen zu den bereits etablierten einen alternativen Herr- schaftsanspruch formulieren, treten sie mit dem Staat bzw. weiteren sozialen Organisationen in eine konfliktive Beziehung (vgl. Kalyvas 2006: 17). Die Ausübung von Gewalt ist der all- gemeine Modus der Konfliktaustragung. Bewaffnete Gruppen setzen zwar verschiedene Machtformen ein um ihren Einfluss auszubauen, jedoch ist die Anwendung von Gewalt die ihr spezifische.

Da die jeweiligen Akteure bestrebt sind ihren Herrschaftsanspruch durchzusetzen, treten sie mit den anderen in eine Konkurrenzsituation um territoriale Kontrolle und die Erlangung des Legitimitätsglaubens der Bevölkerung (vgl. Kalyvas 2006: 109; Bakonyi/Stuvøy 2005: 49). Nimmt ihre Legitimität in innerstaatlichen Konflikten zu, sinkt gleichzeitig die des Staates (Clapham 1998: 4).

Viele langlebige innerstaatliche Konflikte werden außerhalb des staatlichen Herrschaftszent- rums ausgetragen (vgl. Buhaug 2009: 556). Dies könnte darauf verweisen, dass die Bedin- gungen in der Peripherie, wo politische Herrschaft meist umstritten und schwach institutiona-

lisiert ist, die Eruption gewaltsamer Konflikte wahrscheinlicher machen und die Herren der bisherigen Ordnung nur eingeschränkte Kapazitäten haben, um auf die gewaltsame Heraus- forderung erfolgreich reagieren zu können (vgl. Laqueur 2004: 394; Clapham 1998: 14). In Bezug auf den Staat als Machtfeld, das durch Bild und Praxis konstituiert wird, impliziert das Bestehen bewaffneter Gruppen die Offenbarung der Nichtgeltung des staatlichen Herr- schaftsanspruches und damit verbunden seine Legitimitätsdefizite. Bewaffnete Gruppen un- terminieren die staatliche Ordnung und stellen so für den Staat eine erhebliche Bedrohung dar.

4.2 Die gewaltsame Austragung des Konfliktes

Im Folgenden werden die besonderen Eigenheiten gewaltsamer innerstaatlicher Konflikte beschrieben werden. Dazu gehört zum einen die Strategie bewaffneter Gruppen, die häufig die Guerillakriegsführung adaptieren. Zum anderen wird auf die spezifischen Eigenschaften der Gewalt eingegangen, die den Konflikt prägen und besondere Herausforderungen für die handelnde Akteure darstellen.

4.2.1 Die Strategie der Guerilla

Bei einem innerstaatlichen Krieg handelt es sich um eine asymmetrische Konfliktaustragung, bei der sich mindestens zwei unterschiedlich organisierte Akteure gegenüberstehen (vgl. Weinstein 2007: 128; Münkler 2009: 118). Auf der einen Seite stehen meist staatliche hoch- gerüstete, nach bürokratischen Prinzipien organisierte Sicherheitskräfte, auf der anderen eine bewaffnete Gruppe, die auf den ersten Blick zahlenmäßig und hinsichtlich Bewaffnung unter- legen erscheint (vgl. Etzersdorfer 106f.). Der Kampf wird auf einem Gebiet ausgetragen, auf das der beteiligte Staat offiziell einen Hoheitsanspruch erhebt, der gleichzeitig von der be- waffneten Gruppe gewaltsam herausgefordert wird (vgl. Kalyvas 2006: 17; Bakonyi/Stuvøy 2005: 49).

Aus dieser Konfliktkonstellation haben die prominentesten Praktiker und Theoretiker des Guerilla-Krieges, Mao Tse-tung und Che Guevara, Taktiken und Strategien für bewaffnete Gruppen formuliert, die sich so und in ähnlicher Form in den meisten innerstaatlichen Kon- flikten wiederfinden lassen (vgl. Clapham 1998: 2; Weinstein 2007: 29). Demnach müssen die Guerillas versuchen, ihre relative Schwäche durch Anpassung an die asymmetrische Kon- fliktaustragung zu kompensieren. So existieren in der Regel keine eindeutig voneinander zu trennenden Konfliktlinien bzw. Fronten (vgl. Kalyvas 2006: 87; von Trotha 1999 b: 89). Auf- grund leichter Bewaffnung und geringer Truppengröße ist es den Guerillas möglich, überaus mobil zu sein. In sogenannten hit-and-run Attacken wird der Gegner überrascht und an seinen schwachen Punkten angegriffen, woraufhin ein zügiger Rückzug folgt (vgl. Etzersdorfer 2007:

106). In diesem Zusammenhang weisen sowohl Mao als auch Guevara darauf hin, dass die Guerillas unzugängliches Gelände bevorzugen sollte, in denen der Staat Schwierigkeiten hat seine überlegene Größe und Bewaffnung auszuspielen (Mao: 1966: 67; Guevara 1962: 31f.). Nach Mao sollte der irreguläre Akteur einen verlängerten Krieg anstreben, sprich schnelle Entscheidungsschlachten vermeiden und den Gegner kontinuierlich schwächen, um so nach und nach das Ungleichgewicht auszugleichen (Mao: 1966: 53).20

Dabei wird stets die Unterstützung der Bevölkerung als entscheidendes Element für den Er- folg der Aufständischen hervorgehoben (vgl. Kalyvas 2006: 92). Schon allein aus zweckratio- nalen Gründen besteht die Notwendigkeit der Kooperation: Sie entscheidet über den Zugang zu Nahrungsmitteln, Rückzugsorten und Informationen (vgl. Weinstein 2007: 163). Jedoch ist auch die Herrschaft über die Bevölkerung notwendig, kann sie doch als Machtmultiplikator dienen (vgl. Popitz 2007: 27). Dies verweist auch auf die Herstellung eines Legitimitätsglau- bens zur Stabilisierung. Mao schrieb dazu: "Die Armee muss mit dem Volk zu einem Ganzen verschmelzen, so dass sie vom Volk als seine Armee angesehen wird. Eine solche Armee wird unbesiegbar sein" (Mao 1966: 198).

4.2.2 Der ambivalente Charakter der Gewalt

Entgegen der Theorie, wonach bewaffnete Gruppen stets um ein gutes Verhältnis zur Bevölkerung bemüht sein sollten, zeigt bereits ein oberflächlicher Blick auf das weltweite innerstaatliche Kriegsgeschehen, dass diese häufig ein hohes Maß an Gewalt gegen Zivilisten einsetzen (vgl. Schlichte 2009:74; Kalyvas 2006: 54f.).

Im Verlauf der Arbeit wurde bereits der legitimierende Charakter der Gewalt aufgezeigt. Die Gewalttat kann durch Glorifizierung legitimiert werden, indem sie etwa als Instrument zur Zerstörung bestehender Herrschaft inszeniert wird (vgl. Popitz 2009: 66f.; Abschn. 2.1.2). In der Form der Basislegitimität der überlegenen Gewalt, kann sie aber auch dauerhaften Machtdifferenzen Geltung verschaffen. Des Weiteren wohnen der Gewalt langzeitliche Effekte inne (vgl. Schlichte 2009: 58). Jene, die Opfer von Gewalt wurden, tragen ihre Schmerzerfahrungen auch lange nach der Tat mit sich herum (vgl. Sofsky 1996: 75). Sie neigen dazu Gegengewalt zu legitimieren (vgl. Schlichte 2009: 71).

Jedoch muss auch die deligitimierende Seite der Gewalt in den Blick genommen werden. Die Begrenzung und der Einsatz von Gewalt stehen in direkter Verbindung zu den sozialen Re- geln der Gemeinschaft bzw. Gesellschaft (vgl. Bakonyi/Stuvøy 2006: 39). Ob Gewalt von den Beteiligten als legitim angesehen wird ist abhängig von den ihr eigenen Moralvorstellungen(vgl. Schlichte 2009: 64). Der Trennung zwischen Mitglied und Nichtmitglied der sozialen Gruppe kommt dabei eine besondere Bedeutung zu (vgl. Schlichte 2009: 63; Popitz 2007: 70). Diese Grenze ist jedoch keine objektive, vielmehr ist sie den subjektiven Vorstellungen der Beteiligten unterworfen (vgl. Schlichte 2009: 64).

Die Gewalt gegen Außenseiter ist schwächeren Begrenzungsregeln unterworfen. Dies ver- weist auf Popitz Bemerkung, dass Gewalt gesteigert werden kann, wenn der Gewaltanwen- dende ein Gefühl der Indifferenz gegenüber den Leiden seines Opfers entwickelt (vgl. Popitz 2007: 68f.; Abschn. 2.1.2). Bewaffnete Gruppen verfügen auch über soziale Ordnungen, die den Gewalteinsatz verregeln. Diese stehen zumeist in enger Verbindung zu bereits existieren- den gesellschaftlichen Normen (vgl. Schlichte 2009: 68). Wenn der Gewalteinsatz im Ein- klang mit der Verbandsordnung der Gruppe steht und sie ihren Zwecken dienlich erscheint, wird sie von den Verbandsteilnehmern als legitim wahrgenommen. Ob sie jedoch auch von der Bevölkerung außerhalb des Verbandes als legitim anerkannt wird, ist wiederum abhängig von ihren Moralvorstellungen.

Kalyvas trifft die Unterscheidung zwischen differenzierter und undifferenzierter Gewalt.21 Differenzierte Gewalt läuft gezielt ab, undifferenzierte macht keine Unterschiede. Beides sind prinzipiell instrumentelle Formen von Gewalt, die das Ziel verfolgen über den Schrecken Zusammenarbeit herzustellen bzw. Zusammenarbeit mit der Gegenseite zu unterbinden (Kalyvas 2006: 142). Allerdings erscheint undifferenzierte Gewalt gegen Zivilisten eher kontraproduktiv zu sein, da die deligitmierenden Tendenzen überwiegen, sofern eine Alternative besteht, die Gegenseite glaubwürdig Schutz versprechen und sich die Loyalität der Bevölkerung an dieser orientieren kann (Kalyvas 2006: 151f.).

Kalyvas hat in diesem Zusammenhang gezeigt, dass ein Mangel an Informationen problema- tisch ist: Da die Bevölkerung in innerstaatlichen Kriegen eine wichtige Rolle spielt und in diesen die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten schwierig ist, ist es elemen- tar Informationen über die Zuordnung zu besitzen (Kalyvas 2006: 149). Besteht ein Mangel an diesen Informationen, häufig im Zusammenhang mit der Operation von Kriegsakteuren in Regionen, die ihnen nicht vertraut sind, kann es zu Formen undifferenzierter Gewalt gegen Zivilisten kommen.

Von der Konzeption her handelt es sich bei Krieg um organisierte Gewalt (vgl. von Trotha 1999 b: 71). Ihr Einsatz erfolgt, um bestimmte Kriegsziele zu erreichen (vgl. Beckmann 2010: 20). Gewalt im Krieg lässt sich jedoch nicht auf ihre gezielte Anwendung reduzieren. Sie wird häufig zum Sinngehalt für weitere Gewaltanwendung (vgl. Apter 1997: 1). Verschiedene Gründe können die Gewalt auch immer wieder entgleisen lassen. Rachegefühle und Angst der Betroffenen sowie die Unübersichtlichkeit der Konfliktaustragung können dafür ausschlaggebend sein, dass die Gewalt soziale Verwerfungen hervorruft (vgl. Kalyvas 2006: 55-86/99; Schlichte 2009: 76-82).

Bewaffnete Gruppen, die das Ziel verfolgen, mittels Gewalt ihre Macht zu institutionalisieren und auszudehnen, müssen den ambivalenten Charakter der Gewalt, der ihr Handeln und ihre Ordnung sowohl legitimieren als auch delegitimieren kann, beachten. Delegitimierende Gewalt stellt eine schwere Herausforderung für die bewaffneten Gruppen dar, da sie das Projekt der Institutionalisierung von Macht bedroht (Schlichte 2009: 74). Zunehmende Gewalt, insbesondere gerichtet gegen die Zivilbevölkerung, kann der Gruppe ihre Unterstützung berauben und für das endgültige Scheitern ursächlich sein (vgl. Blum 2003: 192). Über die Dauer der Konfliktaustragung erleiden alle Parteien Legitimitätskosten.

Um diesen Effekt zu kompensieren, muss Wert auf die Etablierung von verschiedenen For- men der Legitimität gelegt werden.22 Durch die stets präsente Form der Gewalt im Krieg und ihrer delegitimierenden Effekte bleibt Herrschaft in diesem Zusammenhang immer umstritten und prekär. Der Prozess der Institutionalisierung bewaffneter Gruppen soll im Folgenden be- handelt werden.

4.3 Formierung und innere Institutionalisierung

Bewaffnete Gruppen entstehen stets in einem sozialen Kontext, der Einfluss auf die Muster der Institutionalisierung und Legitimitätsquellen hat (vgl. Schlichte 2009: 90; Clapham 1998: 12). Die Verbindung von traditionalen und formalen Legitimitätsformen lassen an die Hybrid- formen der Staaten erinnern, in denen sie entstehen (Schlichte 2009: 222). Zu Beginn des Ent- wicklungsprozesses, hin zu einem politischen Verband steht die Formierung der Gruppe. Die- se baut gemeinhin auf bereits bestehende soziale Strukturen, zumeist auf vergemeinschaftete Beziehungen. 23 Die Begründer einer bewaffneten Gruppe wurden häufig gemeinsam soziali- siert, sie teilen gemeinsame Herkunft und Erfahrungen (Schlichte 2009: 56). Sobald sich Gruppen entschließen Gewalt zur Beherrschung von Menschen innerhalb eines Gebietes ein- zusetzen, kann man von politischem Gemeinschaftshandeln sprechen (vgl. Breuer 2006: 169). Die Solidaritätsbeziehung erleichtert die Machtbildung. Zuweilen kann aber auch auf bereits formalisierte Strukturen zurückgegriffen werden, etwa dann, wenn eine politische Partei den Pfad zur gewalttätigen Konfliktaustragung einschlägt (vgl. Schlichte 2009: 41). Umstände wie staatliche Repression, die Marginalisierung von Teilen der Bevölkerung, soziale Disparitäten und ein Klima der Unsicherheit erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich bewaffnete Gruppen formieren (vgl. Metelits 2010: 168; Bøås/Dunn 2007: 25-31).

Die Gruppe muss jedoch wachsen, um ihr Machtpotential auszubauen (vgl. Weinstein 2007: 129). Bezug nehmend auf Hobbes hat Vinci unterstrichen, dass einer der wichtigsten Motivationsgründe, sich einer bewaffneten Gruppe anzuschließen, in dem persönlichen Sicherheitsbedürfnis begründet liegt (2006: 5; vgl. auch Kalyvas 2006: 93).24 Die existentielle Bedrohung fördert den Zusammenhalt der Gruppe.25 Zudem führen die meisten Gruppen Disziplinierungsprogramme durch (vgl. Weinstein 2007: 136). Zum einen werden für die Rekruten politischer Unterricht und militärisches Training angeboten, die als disziplinierende Macht einen Legitimitätsglauben unter den Neulingen generieren sollen (vgl. Weinstein 2007: 136). Zum anderen werden zur Abschreckung Verräter und Deserteure demonstrativ gewaltsam diszipliniert (Mao 1966: 120; Guevara 1962: 30/46).

Durch den Einsatz von Belohnung und Bestrafung kann der Ablauf von Befehl und Gehorsam standardisiert (vgl. Gates 2002: 111) und somit die Machtbeziehung verregelt werden (vgl. Schlichte 2009: 167). Auf diese Weise kann die erste Stufe der Institutionalisierung, die Normierung, genommen werden.

Wächst die Gruppe, wird sie auch heterogener. So kann die anfängliche Bindung der Gruppe, begründet auf Vergemeinschaftung, keine zuverlässige Kohäsion der Gruppe mehr garantie- ren (vgl. Schlichte 2009: 159). Hinzu kommt, dass traditionale Legitimitätsquellen im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen vergehen können (vgl. Schlichte: 2009: 90). Um die Handlungsfähigkeit der Gruppe zu gewährleisten, muss ihr die Integration ihrer Mitglieder gelingen (vgl. Bogner 2003: 53). Wird versucht die Legitimität allein über das Charisma des Führers zu generieren, stellt dies eine recht instabile Form der Konsolidierung dar. Das Cha- risma des Führers bzw. Heerführers ist außeralltäglichen Charakters und stets an die Wieder- holbarkeit der Gnadengabe gebunden. Gelingt dies nicht, zerfällt die Legitimationsbasis (vgl. Schlichte 2009: 88). Allerdings kann über das Charisma eine weitere Form der Legitimität gewonnen werden, nämlich über charismatische Ideen. Politische Projekte, meist sozial- revolutionäre, die die Befreiung von Fremdherrschaft und die Erneuerung der Gesellschaft proklamieren, können Legitimität innerhalb und außerhalb der Gruppe erzeugen und somit auch die Mobilisierung von Rekruten erleichtern. Geborgte Ideologien, können als Vorbild zur internen Strukturierung der Gruppe dienlich sein (Schlichte 2009: 99-107).

Jedoch geraten sie stets unter Druck, sofern die Gruppe in der Lage ist, ihre anvisierten Ziele in die Tat umzusetzen, spätestens dann, wenn eine Form von Gebietsherrschaft etabliert werden konnte. Konfrontiert mit den Herausforderungen der Realpolitik sieht die Gruppe sich dann häufig gezwungen, harte Kompromisse einzugehen, was eine Veralltäglichung der einst charismatischen Ideen verursacht (Schlichte 2009: 88).

Um das Funktionieren der Gruppe zu gewährleisten, damit sie in der Lage ist kollektiv zu handeln, benötigt sie eine hierarchische Struktur mit einem Stab, der die Herrschaft innerhalb der Gruppe organisiert (vgl. Vinci 2006: 56). Bewaffnete Gruppen können zentral oder dezen- tral organisiert sein. Zentral organisierte Gruppen verfügen über eine strengere Hierarchie. Die Mitglieder sind im Hinblick auf die Befolgung der Befehle stärker diszipliniert. Die de- zentrale Herrschaft offeriert den Mitgliedern des Stabes mehr Unabhängigkeit in ihrer Ent- scheidungsfindung. Jedoch ergibt sich daraus die Gefahr, dass die Gruppe zerfällt. Ein hoher Grad des Legitimitätsglaubens kann diese Gefahr jedoch kompensieren (vgl. Vinci 2006: 57f.). Dezentrale Herrschaft kann in Phasen der Krisen das Überleben der Gruppe sichern. Jedoch ist ein Maß an zentralisierter Herrschaft notwendig, um die Koordination der Gruppe und künftiges Wachstum zu gewährleisten (vgl. Schlichte 2009: 144/167).

Viele erfolgreiche Gruppen beschreiten den Weg zur Formalisierung ihrer Herrschaft.26 Dem Verwaltungshandeln werden bürokratische Elemente beigefügt. Sofern die Gruppe eine gewisse Größe und Gebietsherrschaft erreicht hat, ist dieser Schritt meistens notwendig, da die Befehlsketten zu lang werden und die Aufgabenfülle zu groß ist, dass sie ausschließlich von einer Person abhängig sein könnte (Schlichte 2009: 176).

Neben die horizontale Differenzierung, sprich der Hierarchisierung der Struktur, tritt nun auch eine vertikale, die funktionale Differenzierung. Innerhalb der Gruppe entstehen feste Machtstrukturen, verbunden mit differenzierten Posten, zur Machtausübung. Durch die Entpersonalisierung kann der Institutionalisierungsprozess auf die nächste Ebene, die Positionalisierung gehoben werden. Hinzu können Frontorganisationen für bestimmte Gesellschaftsschichten kommen, um breitere Schichten der Bevölkerung in die Organisation zu integrieren und tiefer in die Gesellschaft vordringen zu können (vgl. Schlichte 2009: 162/174).

Ist es möglich Gebietsherrschaft auf lange Sicht zu stabilisieren und einen differenzierten Herrschaftsapparat zu entwickeln, der auf einer stabilen Versorgungsbeziehung fußt, kann sogar das Positionsgefüge von Herrschaft hergestellt werden.

4.4 Institutionalisierung nach Außen: Gebietsherrschaft und Legitimität

Um die Machtbasis einer Gruppe stabilisieren und vergrößern zu können, muss sie auch Ein- fluss auf die Bevölkerung außerhalb des Verbandes gewinnen. Im Zuge des internen Instituti- onalisierungsprozesses kann es der Gruppe gelingen, ihre Macht mit dem sozialen Umfeld zu verschränken. Das endgültige Ziel der Gruppe ist es, zur bestehenden Ordnung einen konkur- rierenden Herrschaftsanspruch durchzusetzen, was notwendigerweise Gebietsherrschaft ein- schließt.

Wie in Abschnitt 2.4. beschrieben, wird die bestehende Ordnung durch die sichtbare Formie- rung einer Opposition, die durch ihren Kampf die Handlungsmöglichkeiten des bestehenden Regimes einschränkt, erschüttert. Der Zugriff der Herrschaftsverwaltung auf die Konfliktregi- onen nimmt ab.

Es wurde bereits darauf verwiesen, dass diese Konflikte vornehmlich in Regionen stattfinden, in denen die Integration der Bevölkerung in den Herrschaftszusammenhang nur in einem schwachen Maße stattgefunden hat. Somit ist die Institutionalisierung der Macht nicht beson- ders ausgeprägt (vgl. Metelits 2010: 166). Dies mag auch darauf verweisen, dass die bewaff- neten Gruppen sich hier größere Chancen ausrechnen, eigenen Herrschaftsformen zu entwi- ckeln (vgl. Clapham1998: 14). In diesem Zusammenhang könnte es für die bewaffnete Grup- pe ratsam sein, direkte Angriffe auf die Geltungsgründe der Herrschaft, insbesondere in Be- zug auf verschiedene Formen von Basislegitimität, durchzuführen. Der Ordnungswert der bestehenden Ordnung wird bereits durch regelmäßige Angriffe und durch die Transformation zum Kriegsgebiet erschüttert. Durch die Gewalt des Krieges verschwindet der Alltag und kurzfristiges Denken, orientiert am eigenen Überleben gewinnt Überhand (vgl. Metelits 2010: 164).

Der gewaltsame Konflikt lässt die Legitimität der Ordnung und somit die soziale Struktur aufbrechen. Die Bindungsbedürftigkeit der Bevölkerung nimmt in diesen Zeiten der Krise zu. Diese Prozesse stellen für die bewaffnete Gruppe zur Erlangung von Territorialherrschaft gute Voraussetzungen dar.

Um dieses Ziel zu erreichen setzt die Gruppe verschiedene Machtformen ein, um Einfluss auf das Handeln der Bevölkerung zu gewinnen (vgl. Metelits 2010: 26). Der Einsatz organisierter Gewalt als Aktionsmacht stellt dabei nur das spezifische Unterscheidungskriterium zu ande- ren sozialen Organisationen dar, die innerhalb des Staates um Macht kämpfen. Solange die Anwendung von Gewalt jedoch noch nicht in einen institutionellen Zusammenhang, etwa zum Sanktionsvollzug, integriert wurde, bleibt ihre Anwendung sporadischer Natur und trägt die Gefahr, deligitimierend zu wirken. Wenn sie jedoch als Grundlage für Instrumentelle Macht eingesetzt wird, kann sie den beginnenden Institutionalisierungsprozess innerhalb der Bevölkerung einläuten. Neben Zwang können bewaffnete Gruppen jedoch noch weitere In- strumentarien anwenden, etwa Leistungen für die Bevölkerung durchsetzen, von denen sie profitiert, um Einfluss auf sie zu gewinnen (vgl. Metelits 2010: 5; Schlichte 2009: 149). In der Folge ist es möglich, dass die Menschen im Einflussbereich der Gruppe die Überlegenheit der Gruppe anerkennen und sich ihr freiwillig unterwerfen. So kann eine Autoritätsbindung ent- stehen, die beste Voraussetzungen für die Gruppe darstellt, das Handeln der ihr Unterlegenen zu standardisieren (vgl. Abschn. 2.1.2). Über die langzeitliche Anwendung Instrumenteller und Autoritativer Macht, gewöhnen sich die Unterlegenen an die Befehlsausführung, die Machtbeziehungen zur Bevölkerung werden normiert (vgl. Abschn. 2.2.2.).27

Mit der Dauer entstehen feste Machtstrukturen zwischen bewaffneter Gruppe und den Men- schen innerhalb ihres Einflussbereiches. Die Bindung wird weiter intensiviert, wenn die Gruppe ordnungsstiftende Aufgaben übernimmt (vgl. Schlichte 2009: 145). Dazu zählen etwa die Lösung von Normenkonflikten und die Garantie der persönlichen Sicherheit. Hat die Gruppe im Zuge eines Formalisierungsprozesses ihre internen Herrschaftsbeziehungen ent- personalisieren können, kann auch die Stufe der Positionalisierung nach außen hin genommen werden.

Zentralisierte Gebietsherrschaft kann jedoch erst entstehen, wenn sich auch ein Verwaltungs- apparat entwickelt, der die alltägliche Herrschaft umsetzt und durchsetzt (vgl. Weinstein 2007: 195). Um diese Aufgabe erfüllen zu können, wird dieser meist nach funktional differenzierten Kriterien organisiert (vgl. Schlichte 2009: 158). Auf dieser Ebene wird die Stufe des Positi- onsgefüges der Herrschaft erreicht. In der Folge kann die Gebietsherrschaft staatsähnliche Züge annehmen, die mit dem Begriff des Quasi-Staates umschrieben wird (Bakonyi/Stuvøy 2006: 44). Damit verbunden ist die Entstehung eines informellen Gewaltmonopols und die Durchsetzung regelmäßiger Abgaben (vgl. Bakonyi/Stuvøy 2006: 44; Weinstein 2007: 169), die die Reproduktion des Herrschaftsverhältnisses absichern. Der Verwaltungsstab nähert sich den Funktionen von Fachministerien an. Die soziale Ordnung wird durch Rechtssetzung, Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung konstituiert. Wohlfahrtsstaatliche Leistungen, finan- ziert aus regelmäßigen Steuereinnahmen können die Beziehung stabilisieren. Zumeist trägt die Herrschaftsbeziehung in diesem Falle formal-rationale Züge, verbunden mit bürokrati- schen Prinzipien des Verwaltungshandelns (vgl. Bakonyi/Stuvøy 2006:43).

In einer weiteren Perspektive wird auf die Herstellung von Legitimität Bezug genommen. Viele Gruppen setzen Techniken ein, um die Bevölkerung in den von ihnen eroberten Gebie- ten auf ihre Seite zu ziehen. Sie klären über Kriegsziele auf und führen ideologische Schulun- gen durch Propaganda ein, um ihre Untergebenen zu disziplinieren (vgl. Weinstein 2007: 179; Schlichte: 161). Diese Praxis kann als disziplinierende Macht verstanden werden, um den Legitimitätsglauben unter der Bevölkerung entstehen zu lassen, mit dem Ziel, dass diese sich mit der bewaffneten Gruppe identifiziert. Zudem kann die Herrschaft über die verschiedenen Formen der Basislegitimität Stabilität erlangen (Im Folgenden vgl. Abschn. 2.3.2).

Durch die gewaltsame Niederwerfung oder Vertreibung derjenigen, die auf dem eroberten Territorium zuvor geherrscht haben, wird die vormalige Herrschaftsbeziehung gekappt. (vgl. Clapham 1998: 14). Auf diese Weise kann die überlegene Verletzungsmacht der bewaffneten Gruppe demonstriert werden. Falls dies eine Siegerjustiz mit einschließt und zuvor unbeliebte Herrscher und Eliten bestraft werden, kann die Gewalt unter Umständen zusätzliche Legitimi- tät erzeugen. Die Gewalt bricht die vormalige Ordnung und begründet eine neue. Wird ge- waltsamer Zwang allerdings in einem zu hohen Maße gegen die Bevölkerung eingesetzt, kön- nen die delegetimierenden Tendenzen der Gewalt den Legitimitätsglauben der Bevölkerung unterminieren (Schlichte 2009: 156f.).

Mit der Etablierung eines Verwaltungsapparates ist die Fähigkeit verbunden, die Bevölkerung zielgerichtet zu koordinieren, um Projekte größeren Maßstabs, wie etwa Landreformen, durchzuführen. Auf diese Weise erhält die Herrschaftsbeziehung die Basislegitimität der über- legenen Organisationsmacht. Die Herrschaft erhält für die Unterlegenen zudem den Ord- nungswert der Ordnung, wenn die bewaffnete Gruppe ihre persönliche Sicherheit garantieren kann. Das schließt zum einen die Annäherung an ein Gewaltmonopol im inneren ein. Zum anderen muss die Gruppe in der Lage sein, gewaltsame Angriffe von außen abwehren zu kön- nen.28

Gleiches gilt für die Basislegitimität der Teilhabe, die auf Investitionswert und Alltagswert der Bevölkerung beruht. Im Angesicht der ständigen Gefahr, dass die Gewalt zurückkehren könnte, ist sie stets bedroht. Diese Form der Basislegitimität kann sich entwickeln, wenn sich die Bevölkerung entsprechend der Ordnung konform verhält und diese sich auf Dauer bewäh- ren kann.

Zu vergleichen mit der Praxis kolonialer Herrschaft, kann es für die bewaffneten Gruppen ratsam sein, Kollaborateure unter der lokalen Bevölkerung und die Verbindung zu traditionalen Eliten als Intermediäre, zu suchen (vgl. Weinstein 2007: 181). Durch gegenseitige Anerkennung von traditionalen Autoritäten und bewaffneter Gruppe erhält letztere Zugang zu traditionalen Legitimitätsquellen.

Abhängig vom Organisationsgrad der Ordnung ist es möglich die Bevölkerung an der lokalen Verwaltung partizipieren zu lassen, Dorfmilizen zum Schutz der Bevölkerung zu organisieren, Teile der Bevölkerung als Rekruten in die bewaffnete Gruppe aufzunehmen und Frontorgani- sationen zur flächendeckenden Integration in den Herrschaftszusammenhang zu gründen (vgl. Weinstein 2007: 164f.; Kalyvas 2006: 106f.). In diesem Zusammenhang wird die Bevölke- rung gestaffelt, um effektiven Widerstand zu verhindern. Sofern die eingebundenen Mitglie- der der Bevölkerung von der Ordnung profitieren und sich mit ihr identifizieren, entwickeln sie ein Interesse am Bestand der Ordnung. Gleichzeitig fungieren sie als demonstratives Be- spiel für den unentschlossen Teil der Bevölkerung, dass die neue Ordnung Vorteile bieten kann.

Ob die bewaffnete Gruppe außerdem erfolgreich die kulturelle Zugehörigkeit zu der beherrschten Bevölkerung beanspruchen kann, ist abhängig davon, inwiefern die Beherrschten diesem Anspruch zustimmen. Wenn die Gruppe jedoch über einen längeren Zeitraum mit der Bevölkerung zusammenlebt, kann sich ein Gefühl der Solidarität entwickeln (vgl. Clapham1998: 14). Die Gruppe muss allerdings stets die vorherrschende Sitte beachten. Insbesondere im ländlichen Raum ist die Gesellschaft traditionaler strukturiert, als es etwa in urbanen Zentren der Fall ist. Ohne diese Zustimmung der kulturellen Zugehörigkeit wird die Ordnung als Fremdherrschaft wahrgenommen und die Entwicklung zu einer Legitimitätsbeziehung im Sinne Webers ist unwahrscheinlich.

Bewaffnete Gruppen entstehen im Kontext staatlicher Herrschaft. Sie formieren sich auf einem geografischen Gebiet, auf das der Staat seinen idealtypischen Hoheitsanspruch erhebt. Durch ihr gewaltsames Handeln und dem Streben, eigene Herrschaftsbeziehungen zu etablieren, wird die staatliche Herrschaft bedroht. Die Gefahr ist nicht nur physischer Natur. Indem die Gruppe der Bevölkerung eine alternative Ordnung offeriert, gerät der Legitimitätsglaube gegenüber dem Staat unter Druck. Mittels Guerilla-Strategie wird versucht, das Machtverhältnis umzukehren. Der Gewalteinsatz ist die spezifische Konfliktaustragungsform. Bewaffnete Gruppen werden aber nur erfolgreich sein, wenn sie in der Lage sind ihre Macht auf ein stabileres Fundament zu stellen. Das bedeutet der Prozess der Institutionalisierung nach innen und außen entscheiden erheblich über den Erfolg der Gruppe.

5 Der indische Staat

“ The point is if you don ’ t govern an area, it is not yours. Except on the maps, it is not part of India. At least half of India today is not being governed. It is not in your control … you have to create a complete society in which local people have very significant stakes. We ’ re not doing that. ” - Ajay Sahni, Director of the Institute for Conflict Management (zit. nach Chakravarti 2007: 112).

Der indische Staat ist in Bezug auf den bewaffneten Konflikt mit den maoistischen Rebellen nicht nur Akteur sondern bildet für den Konflikt auch den strukturellen Rahmen. Die Naxali- ten fordern mit ihren gewaltsamen Aktionen den idealen Hoheitsanspruch des Staates heraus, um eigene Formen der Herrschaft zu etablieren. Deshalb stellen die Bedingungen staatlicher Herrschaft eine wichtige Variable für den Erfolg der Maoisten dar. Aus diesem Grund ist es notwendig, die staatliche Herrschaft Indiens zu betrachten. Dabei wird die politische Herr- schaft im vorkolonialen Indien, während des britischen Kolonialismus und nach der Unab- hängigkeit betrachtet. Insbesondere soll der Prozess der Hybridisierung dargestellt werden.

Wie viele andere innerstaatliche Kriege werden die bewaffneten Auseinandersetzungen weit ab vom Zentrum staatlicher Herrschaft ausgetragen, in der Peripherie. Die Anhänger und Un- terstützer der Maoisten stammen maßgeblich vom unteren Ende der sozialen Hierarchie. Aus diesem Grunde wird im zweiten Abschnitt dieses Kapitels, die politische Herrschaft im Loka- len näher betrachtet, insbesondere im Hinblick auf die Mechanismen der Marginalisierung.

5.1 Die historische Entstehung des indischen Staates - Kontinuitätslinien und Brüche

Der indischen Staatlichkeit kann, wie den meisten Staaten der sogenannten Dritten Welt, ein hybrider Charakter attestiert werden. Da diese Hybridisierung durch das Zusammenwirken vorkolonialer politischer Institutionen und den Institutionen des Kolonialstaates stattfand, woraus sich die spezifischen Eigenheiten des postkolonialen Staates entwickelten, soll an dieser Stelle zunächst dieser historische Prozess kurz zusammengefasst werden. Besonderes Augenmerk wird hier auf die Kontinuitätslinien gelegt.

5.1.1 Politische Herrschaft im vorkolonialen Indien

Die Muster politischer Herrschaft im vorkolonialen Indien müssen berücksichtigt werden, um die weitere Entwicklung unter Kolonialherrschaft und nach der Unabhängigkeit verstehen zu können.

Bevor die ersten europäischen Eroberer indischen Boden betraten, bildete seit Jahrhunderten die Dorfgemeinschaft den Mittelpunkt politischer Herrschaft (vgl. Kaviraj 1997: 227). Zwarexistierten immer wieder regionale Großreiche auf dem indischen Subkontinent, doch hatten diese verhältnismäßig geringen Einfluss auf das alltägliche Leben der ländlichen Bevölkerung (vgl. Kaviraj 1997: 230; Rothermund 1999: 70). So konnten die Großreiche zwar ein erhebli- ches Gewaltpotential im Zentrum konzentrieren, jedoch blieb ihre Macht auf die ländliche Dorfgemeinschaft marginal und beschränkte sich auf den Einzug der Grundsteuer, der durch die Dorfvorsteher als Intermediäre organisiert wurde (vgl. Kaviraj 1997: 229; Saberwal 1997: 92).

Die sozialen Beziehungen innerhalb des Dorfes waren durch die unpersönliche, oft uninstitutionalisierte religiöse Ordnung des Kastensystems strukturiert (vgl. Frankel 1990: 482).29 Es beruht auf Ungleichheit und Trennung, schafft aber auch Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Kasten (vgl. Rothermund 1995: 122). Es differenzierte die Gesellschaft und war die Quelle politischer Herrschaft (vgl. Kaviraj 1997: 228).30 Die Vormachtstellung der hohen Kasten im Lokalen beruhte zum einen auf der Ausübung der Gewaltkontrolle, zum anderen auf ihrer Verfügungsgewalt über die wichtigste Ressource der damaligen Agrargesellschaften, dem Landbesitz (vgl. Saberwal 1997: 76/92; Kaviraj 1997: 229). Sowohl innerhalb als auch zwischen den Kasten herrschten Patronagebeziehungen31 vor. Aus der obersten Kaste, den Brahmanen, rekrutierte sich der Dorfvorsteher, der die politische Herrschaft über das Dorf organisierte, basierend auf traditionalen Legitimitätsquellen. Zu seinen Aufgaben gehörte die Durchführung religiöser Zeremonien, Normensetzung, ihre Interpretation und Durchsetzung sowie die Regelung der wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. Kaviraj 1997: 229). Ihre Stellung wurde zudem gefestigt, da sie die intermediäre Verbindung zwischen Großreich und Dorf bildeten, da ihnen die Aufgabe oblag, die Grundsteuer einzutreiben (vgl. Mohanty 1990: 325). Die Praxis intermediärer Herrschaft kann in Indien für die letzten 2300 Jahre nachgewiesen werden (vgl. Mohanty 1990: 325).

Solange die Grundsteuer entrichtet wurde, kam es zu keiner Einmischung der regionalen Herrscher in die lokalen Verhältnisse. Nur in Ausnahmen setzten sie gewaltsamen Zwang ein, um ihr Recht durchzusetzen (vgl. Kaviraj 1997: 230). Der Grad ihres normierenden Einflusses war äußerst begrenzt und sie waren selbst der sozialen Ordnung des Kastensystems unterwor- fen (vgl. Kaviraj 1997: 228/230). Während sich die Reichsgrenzen stets verschoben, regionalen Reiche zerfielen und neue entstanden, blieb die soziale Ordnung, die sich über den Mechanismus der Tradition reproduzierte, über lange Zeit weitestgehend intakt (vgl. Kaviraj 1997: 229). Den Machthabern des Mogulreiches, dem letzten traditionalen Großreich auf indischem Boden, gelang es, die Mehrheit des indischen Subkontinents unter ihre direkte bzw. indirekte Kontrolle zu bringen. Während ihrer späten Herrschaft wurden die Feudalverhältnisse auf dem Land durch die Standardisierung des Lehns- und Steuerwesens sowie der Monetarisierung der Grundsteuer verstärkt institutionalisiert. Die Position des Steuereintreibers wurde ein vererbbarer Adelstitel (vgl. Rothermund 1999: 70).

Bereits an dieser Stelle lassen sich zwei Tendenzen politischer Herrschaft in Indien ausma- chen, die für die spätere Entwicklung bedeutsam waren. Zum einen fällt die begrenzte Reich- weite der Großreiche auf, deren Einfluss auf lokaler Ebene marginal war. Die lokale Ebene wurde schon immer von traditionalen Eliten beherrscht. Zum anderen bestand eine intermedi- äre Verbindung zwischen den beiden Herrschaftszentren, die die Ordnung reproduzierte und konsolidierte.

5.1.2 Die britische Kolonialherrschaft

Die britische Kolonialherrschaft markiert für die weitere politische sowie gesellschaftliche Entwicklung eine bedeutende Zäsur, da sie auf der einen Seite neue, bisher unbekannte Prin- zipien und Institutionen einführte, zum anderen bestehende Muster noch verstärkte. Mit dem Beginn der Eroberungskampagne der Ost-Indien-Kompanie ab dem Jahre 1757, setz- te die Hybridisierung der indischen Herrschaftsstrukturen ein (vgl. Rothermund 1999: 69). Die territoriale Ausbreitung der Briten begann an den Brückenköpfen der indischen Küsten- streifen, breiteten sich aber im Zusammenhang mit der Erosion der Mogulherrschaft und der Industrialisierung der Textilindustrie rasch auf das Hinterland aus (vgl. von Albertini 1982: 21; Rothermund 1999: 71). Nachdem die Briten die Großmoguln militärisch geschlagen hatten, traten sie formal ihr Erbe an und griffen so auf die Symbolik der Tradition zu Zwecken der Herrschaftslegitimation zurück (vgl. Rothermund 1999: 69). Sie beanspruchten als ihre Nach- folger territoriale Herrschaft und damit zusammenhängend Steuerhoheit und lokale Rechts- sprechung (vgl. Rothermund 1999: 73).

Zu Zwecken der Steuereintreibung übernahmen die Briten das bereits etablierte System der Intermediäre und passten es den eigenen Bedürfnissen an. Durch die Übertragung von Rech- ten und Vollmachten an die Steuereintreiber erlangten diese von den Briten ein großes Maß an Autonomie, wie etwa polizeiliche Hoheitsrechte (vgl. Mohanty 1990: 322). Auf diese Wei- se entstanden enge Verbindungen zwischen traditionalen Eliten und Kolonialstaat. Die loka- len Machthaber konnten auf diese Weise ihre hervorgehobene Stellung konsolidieren.

Regionale Herrscher wurden militärisch besiegt oder über den Mechanismus der Indirect Rule in den kolonialen Herrschaftszusammenhang integriert (vgl. Rothermund 1999: 73). Auf diese Weise war es den Briten möglich, etwa zwei Drittel des Indischen Subkontinents unter direkte Kontrolle und etwa ein Drittel über Intermediäre unter indirekte Kontrolle zu bringen (vgl. Frankel 1990: 483). Nach der großflächigen Entwaffnung der militärfeudalen Lehnsherren gelang den Briten eine annähernde Monopolisierung der Gewalt, was die Grundlage für eine Jahrzehnte andauernde, unumstrittene Herrschaft bildete.

Der Kolonialstaat trieb die Normierung seiner Macht voran. Nur in Ausnahmefällen musste mittels Gewalt, Ruhe und Ordnung hergestellt werden (vgl. Rothermund 1999: 80). Bürokra- tische Prinzipien des formal-rationalen Anstaltsstaates wurden über die Kolonialverwaltung eingeführt und verschmolzen mit den vorgefundenen Institutionen. Wie für den Kolonialstaat üblich, war es den Briten aber nicht möglich, mittels bürokratischer Verwaltungsmittel Kon- trolle über die Regionen außerhalb der Herrschaftszentren auszuüben. Dort wo dieses Prinzip an seine Grenzen stieß, musste auf intermediäres und despotisches Verwaltungshandeln zu- rückgegriffen werden (vgl. Mohanty 1990: 326). Saberwal unterstreicht, dass der Erfolg der Briten auf der Integrierung traditionaler Ordnungen in den eigenen Herrschaftszusammenhang sowie der Einführung bürokratischer Prinzipien in Verbindung mit einem effizienten Gewalt- apparat gründete (1997: 85).

Über traditionale und rationale Legitimitätsquellen wurde versucht die koloniale Herrschafts- ordnung mit Geltung auszustatten, erreichte aber nicht den Grad der Legitimitätsbeziehung im Weberschen Sinn, da es sich immer noch um Fremdherrschaft handelte. Indem die Briten Ordnung boten, Inhaber der überlegenen Gewalt waren und durch ihr organisatorisches Han- deln Einfluss auf die Gesellschaft nahmen, konnten sie ihre Herrschaft aber zudem mit Basis- legitimität ausstatten.

Zunächst beabsichtigten die Kolonialherren der Ost-Indien Kompanie nicht, die marginale Reichweite der vorherigen Regionalreiche zu überwinden und verstärkten Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben. Ihre Aktivitäten fokussierten sich auf die Aufrechterhaltung der Ordnung sowie die finanzielle und merkantile Ausbeutung der unterworfenen Regionen (vgl. Saberwal 1997: 86). Doch nach der Übernahme der Kolonialstrukturen durch die englische Krone im Jahr 1857 versuchte der Kolonialstaat ein erhöhtes Maß an Einfluss auf die unterworfene Gesellschaft zu nehmen (vgl. von Albertini 1982: 26).

Da das Prinzip der Einmischung einer überlegenen Instanz in das alltägliche Leben bis dahin jedoch unbekannt war, blieb die tatsächliche Umsetzung stets begrenzt (Dharampal-Frick 1999: 97). Interventionsversuche mussten stets die vorherrschende Sitte im Lokalen beachten. So begnügten sich die Briten damit, nachdem sie die lokale Rechtssprechung beansprucht hatten und im späten 18. Jahrhundert die ersten Gerichte etablierten (vgl. Saberwal 1997: 86), das geltende Gewohnheitsrecht zu kodifizieren und dies als Prinzip zur Urteilsfindung anzuwenden (vgl. Rothermund 1999: 77).

Innerhalb der britischen Herrschaftszentren wurden Bildungseinrichtungen etabliert und Ver- suche unternommen den Agrarsektor, etwa mittels Bewässerungssysteme, zu modernisieren. Des Weiteren wurde der Zusammenhalt des Kolonialstaates durch ein weites Netz von Eisen- bahnlinien gestärkt (vgl. Mohanty 1990: 330; von Albertini 1982: 79-84). Da der Fokus der Briten bei diesen Aktivitäten aber insbesondere auf den Motiven der kapitalistischen Extrakti- on ruhte, führte diese Entwicklung zu erheblichen regionalen Disparitäten. Viele Regionen jenseits des britischen Machtzugriffs blieben von diesen Modernisierungsversuchen ausge- spart. Hier blieben die feudalen Landbeziehungen bestehen, die alten Eliten konnten ihre Machtstellung konservieren, da sie über intermediäre Verbindungen in den britischen Herr- schaftszusammenhang integriert waren (vgl. Mohanty 1990: 322/326).

Hinzu kam, dass der Kolonialstaat Einheimische als Verwaltungsbeamte in seinen Herrschaftsapparat aufnahm. Insbesondere den hohen Kasten, die besonders gebildet waren, gelang es auf diese Weise, sich an die neue Situation erfolgreich anzupassen (vgl. Saberwal 1997: 87; Frankel 1990: 498). Den unteren Kasten blieb dieser Weg des Aufstiegs und damit der Anpassung versperrt (vgl. Eisenstadt 2006: 413).

Die vorkoloniale, uninstitutionalisierte Form des Kastensystems ermöglichte ein gewisses Maß an sozialer Mobilität. Mit der Zensuserhebung und der Kodifizierung von Religions- und Kastenzugehörigkeit durch die Briten wurde die gesellschaftliche Struktur jedoch statischer und die soziale Mobilität stark eingeschränkt (vgl. Rothermund 1995: 123; Frankel 1990: 482). Für die Menschen, die sich am unteren Ende der Kastenordnung befanden, insbesondere die unberührbaren Dalits, bedeuteten die Verhältnisse Leibeigenschaft und Ausbeutung ohne Ausblick auf Verbesserung ihrer Lage. Das gleiche galt für die indigenen Stammesgemein- schaften, deren marginale Stellung innerhalb der indischen Gesellschaft von der Kolonialver- waltung zementiert wurde (vgl. Rothermund 1995: 123). Intendiert oder nicht, aber die Koop- tierung der sozialen Eliten in den eigenen Herrschaftsapparat führte zu einer Staffelung der unterworfenen Gesellschaft und verringerte zunächst die Chance einer ernstzunehmenden Herausforderung der Kolonialherrschaft.

Mit der Etablierung kolonialer Herrschaft in Indien wurden die Prinzipien des formal- rationalen Anstaltsstaates importiert. Sich berufend auf die Suprematie des Staates, versuch- ten die Briten, die marginale Stellung der vorherigen Regionalreiche zu überwinden. Die Um- setzung blieb jedoch begrenzt. Auch der Kolonialstaat blieb auf die Verbindung zu Intermedi- ären angewiesen. Diese konnten auf diese Weise ihre Macht reproduzieren und stärken (vgl. Frankel 1990: 483). Traditionale Strukturen blieben im Lokalen, abseits des britischen Ein- flusses, bestehen. Diese Entwicklung hatte soziale und ökonomische Disparitäten zur Folge.

Die Legitimität des Kolonialstaates blieb prekär: Er war maßgeblich auf seinen Gewaltapparat und die verschiedenen Formen von Basislegitimität angewiesen.

5.1.3 Das unabhängige Indien: Kontinuitäten

Zwischen dem britischen Kolonialstaat und dem unabhängigen indischem Staat bestehen er- hebliche Kontinuitäten, die aufgrund verschiedener Entscheidungen und Entwicklungen über- dauern konnten. Das koloniale Erbe hat auch heute noch Einfluss auf die Bedingungen staatli- cher Herrschaft. Diese Kontinuitätslinien sollen im Folgenden näher erläutert werden. Gandhi stand innerhalb der Kongressbewegung für die Forderung ein, nach der zu erreichen- den Unabhängigkeit mit den Strukturen des Kolonialstaates zu brechen (vgl. Kaviraj 1997: 233). Doch das plötzliche Ableben des charismatischen Führers des Widerstandes und die entstehenden Sicherheitsherausforderungen im Zusammenhang mit der Teilung des Subkonti- nents32 machte es für die damaligen Verantwortlichen um Premierminister Nehru notwendig, auf den leistungsfähigen Verwaltungsapparat des Kolonialstaates zurückzugreifen (vgl. Dha- rampal-Frick 1999: 98; Kaviraj 1997: 233). Hinzu kam, dass für die neugeschriebene Verfas- sung maßgeblich der Governant of India Act von 1935 übernommen wurde, das Verwaltungs- handbuch der Briten (Dharampal-Frick 1999: 100). Auf diese Weise erbte der unabhängige indische Staat vom britischen Kolonialstaat zwei widersprüchliche Tendenzen: Zum einen den intervenierenden Staat, der beabsichtigte, mittels administrativer Apparate und Gesetze eine gesellschaftslenkende Funktion zu übernehmen. Zum anderen konnte der Staat die mar- ginale Reichweite der Vorgängerreiche nur schwerlich überwinden - überall dort, wo er an seine Grenzen stieß, verlieh er seinem Gestaltungsanspruch mit Repression Nachdruck (vgl. Kaviraj 1997: 233). Auch wenn das intermediäre Verwaltungshandeln nach der Unabhängig- keit offiziell abgeschafft wurde, bestand es über enge Verbindungen zwischen lokaler Ver- waltung und gesellschaftlicher Eliten fort.

Mit den einsetzenden Aktivitäten des Entwicklungsstaates schwoll der Verwaltungsapparat auf ein vorher nicht gekanntes Maß an. Allerdings vollzog sich dieser Prozess in der Periphe- rie langsamer. Auf lokaler Ebene, wo die staatlichen Strukturen nur schwach ausgeprägt wa- ren, handelten die Verwaltungsbeamten häufig entgegen der bürokratischen Prinzipien (vgl. Kaviraj 1997: 235). Innerhalb des Verwaltungsapparates taten weiterhin die einheimischen Kolonialbeamten ihren Dienst. Diejenigen, die neu angestellt wurden, waren maßgeblich in britischen Bildungseinrichtungen sozialisiert worden und entstammten der gesellschaftlichen Elite. Über den Habitus des Staatsbeamten konnte die Logik des Kolonialstaates im unabhän- gigen Indien überdauern (vgl. Kaviraj 1997: 234). So überwiegt im indischen Sicherheitsap- parat die Tendenz auf Proteste mittels Repression zu antworten, um Ruhe und Ordnung wie- derherzustellen - ganz in der Tradition der vormaligen Kolonialherren (vgl. Subramanian 2007: 131). Aufgrund des autoritären Gebarens und der Geringschätzung vieler staatlicher Repräsentanten gegenüber den Problemen der breiten Bevölkerungsschichten blieben die staatlichen Institutionen vielen Teilen der indischen Bevölkerung fremd (vgl. Dharampal- Frick 1999: 96).

In den Städten und Enklaven, wo der formal-rationale Anstaltsstaat am weitesten institutiona- lisiert war, gemeinhin in den ehemaligen Herrschaftszentren der Briten, nahm die Bedeutung des Kastensystems stetig ab, auch wenn viele Mitglieder der höheren Kasten sich erfolgreich anpassten und wichtige Positionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft einnahmen. Außer- halb dieses Bereiches konnten jedoch traditionale Ordnungen überdauern und dort blieb die diskriminierende Logik des Kastensystems weitgehend intakt (vgl. Desai 1979: 40).

Der unabhängige indische Staat konnte zwar auf einen effizienten Verwaltungsapparat zu- rückgreifen, jedoch konnte die staatliche Ordnung, entgegen ihres idealen Anspruches, auf lokaler Ebene besonders schwer Fuß fassen. Die Integration der Bevölkerung in den staatli- chen Herrschaftszusammenhang blieb unabgeschlossen. Im ländlichen Indien konnten neben den formalen Strukturen des Staates traditionale Ordnungen bestehen bleiben und diesen Raum auch meist dominieren.

5.1.4 Der indische Entwicklungsstaat: Allmacht und begrenzte Reichweite

Nach der Unabhängigkeit unternahm der indische Staat allerdings Anstrengungen seinen marginalen Einfluss auf den lokalen Raum zu überwinden. Dieser Prozess beinhaltete zugleich ein Wachstum des Staatsapparates und die Umsetzung von Großprojekten in der Peripherie, mit dem Ziel die regionalen Unterschiede zuzuschütten. Er wird mit dem Begriff des Entwicklungsstaates überschrieben.33

Zum Ende der britischen Fremdherrschaft in Indien begann der Kolonialstaat mittels Refor- men und wohlfahrtsstaatlichen Programmen verstärkt in die Verhältnisse der indischen Ge- sellschaft zu intervenieren, um die sich abzeichnende Erosion der Kolonialherrschaft zu kom- pensieren. Dieser Prozess hinterließ einen stark angewachsenen Verwaltungsapparat und war wichtige Voraussetzung für die Etablierung Indiens als planwirtschaftlichen Entwicklungs- staat (Rothermund 1999: 85).

Nach der Unabhängigkeit induzierte Premierminister Nehru für Indien ein staatsgesteuertes Entwicklungsparadigma mit der Zielvorgabe, einen raschen sozialen Wandel herbeizuführen und den Westen schnellstmöglich einzuholen (vgl. Dharampal-Frick 1999: 102; Kaviraj 1997: 235). Es wurden Muster der staatlich gelenkten Planwirtschaft der Sowjetunion übernommen, die zentral-staatliche Interventionen und den Aufbau eines großen öffentlichen Wirtschafts- sektors, insbesondere im Bereich der Schwer- und Schlüsselindustrien, beinhalteten (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 8). Der Interventionsstaat sollte die Verantwortung für die nachho- lende Industrialisierung, Modernisierung der Landwirtschaft und die Etablierung sozialer Ge- rechtigkeit übernehmen (vgl. Dharampal-Frick 1999: 103). So sollte die Reichweite des indi- schen Staates vergrößert werden und flächendeckende Integration der indischen Gesellschaft in den staatlichen Herrschaftszusammenhang erfolgen. Diese Entwicklungen führten zu einer drastischen Expansion des staatlichen Verwaltungsapparates (vgl. Kaviraj 1997: 234).

Mittels der Anstellung großer Teile der Bevölkerung im Verwaltungsapparat und den staats- eigenen Betrieben wurde die Integrierung der Gesellschaft in den staatlichen Herrschaftszu- sammenhang forciert. Da diese Rekrutierung maßgeblich nach dem Mechanismus der Patro- nage geschah, produzierte diese Strategie jedoch Verlierer und Gewinner (vgl. Schlichte 2005: 122; Mohanty 1990: 321). Auf diese Weise entstand eine enge Verbindung zwischen den tra- ditionalen Ordnungen der Patronage und des Kastensystems sowie den bürokratischen Struk- turen des Entwicklungsstaates.

Die Anstrengungen der verantwortlichen Planer kulminierten in sogenannten Megaprojekten, indem etwa riesige Staudämme errichtet wurden - ein gängiger Slogan dieser Zeit war „ dams are the temples of modern India “ (Dharampal-Frick 1999: 103). Durch die damit zusammen- hängenden großflächigen Enteignungen und der ungenügenden Entschädigungsmaßnahmen entstanden erhebliche soziale Verwerfungen (vgl. Subramanian 2007: 39). Die sozialen Struk- turen im Lokalen brachen auf. Die Betroffenen dieser Kampagnen waren zumeist die Unter- privilegierten der Gesellschaft (vgl. Mohanty 2006: 3). Diese Ereignisse wurden von Wider- ständen und Protesten begleitet, die der Staat unter Einsatz von gewaltsamer Repression auf- löste. Der Entwicklungsstaat beabsichtigte mittels schneller Industrialisierung die regionalen Disparitäten zu bekämpfen, ignorierte jedoch häufig die sozialen Konsequenzen, die seine Aktivitäten auslösten. Die Rücksichtslosigkeit entfremdete eher viele Teile der Gesellschaft vom Staat, anstatt sie zu integrieren (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 156). Der indische Ent- wicklungsstaat inszenierte sich stets als überlegener Akteur, gleichzeitig war er aber nie in der Lage, die zentralen Probleme zu lösen, was Widersprüche erzeugte. Atul Kohli bemerkt in diesem Zusammenhang:

„ the Achilles ’ heel of Indian political economy is not so much its statist model of development as the mismatch between that statist model and the limited capacity of the Indian state to guide social and economic change “ (2003: 194).

Neben den ökonomischen Interventionen beabsichtigte der Entwicklungsstaat auch einen so- zialen Wandel herbeizuführen. So wurde bereits im Jahr 1951 die Praxis der Unberührbarkeit verboten. Da die staatliche Ordnung im Lokalen, wo traditionale Strukturen überwogen, je- doch häufig nur geringe Geltungskraft besaß, konnte dieses, wie auch viele weitere ambitio- nierte Gesetze, nicht flächendeckend durchgesetzt werden (vgl. Rothermund 1995: 128). Mit dem Aufstieg Chinas und dem Untergang der Sowjetunion begann die indische Regierung Anfang der 1990er Jahre sich langsam vom staatszentrierten, sozialistischen Entwicklungs- modell abzuwenden und leitete marktliberale Reformen und Privatisierungen ein. Der Zent- ralstaat beabsichtigt zwar weiterhin eine Führungsrolle bei der Entwicklung einzunehmen, nutzt jedoch andere Instrumente (vgl. Müller 2007 b: 66). Die aktuelle Strategie zielt darauf, durch wirtschaftliches Wachstum Wohlstand und Arbeitsplätze zu generieren. In den unterentwickelten, aber meist sehr ressourcenreichen Regionen, werden Sonderwirt- schaftszonen nach dem Modell Chinas etabliert, um wirtschaftliche Betriebe im großen Maß- stab anzuziehen (vgl. Müller 2007 b: 67). Für diese Unternehmungen werden jedoch auch wieder groß angelegte Umsiedlungskampagnen durchgeführt, um der Wirtschaft Boden zur Verfügung zu stellen. Jedoch ziehen die Landenteignungen und fehlerhafte Kompensations- maßnahmen weitere soziale Zerwürfnisse mit sich. Da der große Teil der Bevölkerung in die- sen unterentwickelten Regionen keine gute Bildung besitzt, werden die Arbeiter für die ange- siedelten Betriebe zumeist aus den Großstädten rekrutiert (vgl. Sachchidananda 1990: 298). Damit zusammenhängend kam es zu einem Rückzug des Staates aus dem Sozialsektor, einer der wenigen integrierenden Faktoren des Staates. Die Liberalisierung hat zu einer Verschär- fung der Regionalen Disparitäten beigetragen, insbesondere im ländlichen Bereich (vgl. Wag- ner 2006: 213). Ein Drittel aller Armen weltweit, denen weniger als 1,50$ pro Tag zur Verfü- gung steht, lebt in Indien, davon 75% im ländlichen Raum (vgl. Dhar 2009). Die Leistungsfähigkeit des Staatsapparates und die Geltung seiner Ordnung konnte im Zent- rum konsolidiert werden. Jedoch blieb seine Fähigkeit, Einfluss auf die Peripherie zu nehmen und damit zusammenhängend die Durchsetzung des staatlichen, flächendeckenden Herr- schaftsanspruches, begrenzt. Zugleich haben seine Aktivitäten die regionalen Unterschiede nicht einebnen können, sie haben sie eher verstärkt. Obwohl Indien zu den aufstrebenden Wirtschaftsmächten gezählt wird, rangierte das Land 2010 auf dem Human Development In dex (HDI) der Vereinten Nationen34 lediglich auf Platz 119 von 182 (UNDP 2011 b). Dies verweist auf die teils extreme Kluft zwischen ländlicher und urbaner Entwicklung (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 21). Zudem hat das aggressive Vorgehen Indiens die Integration der Gesellschaft behindert. Die Kollision mit dem Staat führte auf Seiten der Bevölkerung zu Entfremdung und feindlicher Wahrnehmung des Staates.

Durch die komplexe Verbindung zwischen vorkolonialer Ordnung und dem Kolonialstaat, sind die Strukturen des unabhängigen indischen Staates entstanden. Die immer noch bedeutende Stellung einiger privater Machthaber im Lokalen und die sozialen Verwerfungen, ausgelöst durch den Entwicklungsstaat, scheinen jedoch darauf zu verweisen, dass dieser noch nicht in der Lage war, seine Herrschaft zu konsolidieren. Im Folgenden werden die Bedingungen politischer Herrschaft im Lokalen näher betrachtet.

5.2 Politische Herrschaft in der Peripherie

Jenseits der formal-rationalen Herrschaftsstrukturen des indischen Staates, existieren Regionen, in denen die Konsolidierung staatlicher Herrschaft unabgeschlossen geblieben ist. Kennzeichnend für den indischen Staat ist, dass er, trotz starker politischer Institutionen, progressiver und egalitärer Gesetze sowie seines ambitionierten planwirtschaftlichen Entwicklungsparadigmas, nicht in der Lage war, auf sein gesamtes beanspruchtes Territorium gleichmäßig Herrschaft zu institutionalisieren. So widerspricht die alltägliche Praxis der lokalen Verwaltung häufig bürokratischen Prinzipien, in der Landwirtschaft herrschen noch frondienstliche Abhängigkeitsverhältnisse vor und Minderheiten wie die unberührbaren Dalits und die indigenen Adivasis werden sozial marginalisiert.

5.2.1 Die lokale Verwaltung

Es bestehen weiterhin Enklaven, insbesondere auf dem Boden der vormaligen Fürstentümer, im ländlichen Raum und den meist unzugänglichen Regionen im Grenzgebiet zwischen den Bundesstaaten, wo staatliche Herrschaft gemeinhin mehr Anspruch als Wirklichkeit geblieben ist (vgl. Saberwal 1997: 89). Die staatliche Ordnung blieb hier begrenzt, strongmen, wie Großgrundbesitzer und Geldleiher, beherrschen mittels Patronagebeziehungen und traditionaler Legitimität den lokalen Raum (vgl. Saberwal 1997: 89; Mohanty 2006: 3).

In den Regionen jenseits der formal-rational institutionalisierten Herrschaftszentren des Staa- tes, treten die Kontinuitäten zwischen Kolonialstaat und dem unabhängigen Indien am deutlichsten zutage: Aufgrund der Schwäche bürokratischer Institutionen blieb der Staat auf Intermediäre und staatliche Repression angewiesen, der Staat konnte in diesen Regionen seinen Anspruch auf Suprematie nicht einlösen. Der staatliche Verwaltungsapparat konnte hier in vielerlei Hinsicht nicht über seinen kolonialen Vorgänger herauswachsen - teilweise ist sein Einfluss sogar eher zurückgegangen (vgl. Sahni 2000: 13).

Auf lokaler Ebene gelang es vielen Mitgliedern der höheren Kasten in hohe Stellungen inner- halb des staatlichen Apparates aufzusteigen (vgl. Frankel 1990: 483). Über Patronagebezie- hungen bestehen enge Verbindungen zwischen den sozialen Eliten und Verwaltungsbeamten und lassen die ideale Grenze zwischen öffentlich und privat verwischen (vgl. CPA 2009: 27; Mohanty 1990: 322). Durch die Patronage ist es den Eliten möglich, ihre hervorgehobene Rolle im lokalen Raum zu reproduzieren. Dadurch werden zwangsläufig Privilegierte und Marginalisierte entlang der gesellschaftlichen Hierarchie produziert. Diese Praxis ist für die Verfestigung der marginalisierten Stellung der unteren Kasten, den Dalits sowie den Adivasis verantwortlich (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 192). Sie werden in vielen Regionen immer noch von Seiten der gesellschaftlichen Eliten und des Staates strukturell diskriminiert (Expert Group 2008: 4-22). Sie befinden sich in frondienstlichen Verhältnissen und werden häufig Opfer von Gewalttaten (vgl. Subramanian 2007: 159). Die an ihnen verübten Gewaltverbre- chen werden selten von den staatlichen Stellen verfolgt, obwohl sie offiziell gegen das staatli- che Recht verstoßen (vgl. Mehra 2008: 19).

Hinzu tritt die grassierende Korruption innerhalb der lokalen Verwaltungsapparate (vgl. Meh- ra 2008: 19; Expert Group 2008: 53). Regelmäßig werden Entwicklungsgelder von staatlichen Beamten unterschlagen. Es wird geschätzt, dass aufgrund von ineffizienter Planung und Kor- ruption lediglich 15% der Entwicklungsgelder tatsächlich ihren Bestimmungsort erreichen (vgl. SAI 2010; Dhar 2009). Bürokratische Prinzipien spielen für das Verwaltungshandeln eine nebengeordnete Rolle. Die Phänomene Patronage und Korruption weisen auf die Ver- schränkung der Interessen von staatlichem Verwaltungsapparat und sozialen Eliten hin (vgl. Mohanty 1990: 362). Sie sind Anzeichen für Akkomodation zwischen Staat und strongmen. Parallel zu der Feststellung, dass in diesen Regionen die soziale Ordnung nicht vom Staat, sondern von lokalen Machthabern geprägt wird, konnte eine Monopolisierung der Gewalt auf Seiten des Staates nicht erfolgen. Im Gegensatz zu den Großstädten bleibt die Polizeidichte in manchen ländlichen Regionen überaus gering. So kommen in einigen Distrikten des Bundes- staates Andhra Pradesh durchschnittlich nur 20 Polizisten auf 100.000 Einwohner (vgl. Sahni 2010: 15). In manchen Regionen ist die Polizei die einzige wahrnehmbare Präsenz des Staates. Aufgrund fehlender staatlicher Strukturen wird maßgeblich mittels repressiver Gewalt ver- sucht, Konformität zu erzeugen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 11). Obwohl der Einsatz von Zwangsmitteln offiziell verrechtlicht wurde, verstößt der indische Zwangsapparat regelmäßiggegen diese Gesetze (vgl. Subramanian 2007: 166). Dies offenbart die Schwäche und Legiti- mitätsdefizite staatlicher Institutionen. Aufgrund von Ineffizienz, Korruption und des Einsat- zes delegitimierender Gewalt sowie eines obrigkeitsstaatlichen Gebarens, genießen Polizei und Verwaltung im Lokalen unter der Bevölkerung einen äußerst schlechten Ruf (vgl. Wag- ner 85f.; Raja 2008: 6). Hinzu kommt, dass einige Großgrundbesitzer private Gewaltapparate aufgebaut haben, um ihre Machtstellung zu untermauern und im Zweifelsfall Zwang einzuset- zen (vgl. Shah 2010: 177).

Neben der Polizei, sind auch die Institutionen der Justiz schwach ausgeprägt. Gerichte sind für die Bevölkerung häufig physisch weit entfernt, die Gerichtsverfahren können Jahre in An- spruch nehmen und urteilen generell im Ansinnen der sozialen Eliten (vgl. Harivansh 2008: 23). Der staatliche Einfluss auf die Gesellschaft bleibt in manchen Regionen marginal: So kann dort der Staat Leistungen, wie gesundheitliche Versorgung, Infrastruktur, Zugang zu Elektrizität sowie Bildungs- und Sanitäreinrichtungen nicht garantieren (vgl. Harivansh 2008: 21). Staatliche Beamte wie Ärzte und Lehrer sind auf dem Land ohnehin Mangelware, häufig versäumen sie es aber auch, ihren Dienst anzutreten. Eine Expertenkommission der staatli- chen Planning Commission, resümierte, dass die Institutionen des Staates für die lokale Be- völkerung häufig kaum eine Rolle spielen (vgl. Mainstream 2008). Die Verbindungen zwi- schen Staat und Bevölkerung sind hier sehr schwach, was auf einen kaum ausgeprägten Legi- timitätsglauben seitens der Bevölkerung verweist. Das staatliche Recht als Symbol der bean- spruchten Ordnung, erfährt vielerorts keine Beachtung (vgl. Subramanian 2007: 161-169).

Aufgrund der Marginalität staatlicher Ordnung in diesen Regionen blieb der Staat hier wei- testgehend auf die Evidenzerfahrungen der Bevölkerung, als Hüter der Ordnung, überlegener Gewaltakteur und Organisator gesellschaftlicher Projekte zur Stabilisierung seiner Stellung angewiesen.35

Fehlende Durchsetzung des staatlichen Anspruches auf Territorialität, Suprematie, Gewalt- monopol sowie Bürokratisierung treten in den peripheren Regionen deutlich zutage. Neben dem staatlichen Herrschaftsanspruch dominieren alternative soziale Logiken, wie das traditio- nale Kastensystem und Patronagebeziehungen. Im Lokalen hat die staatliche Ordnung einen geringen Einfluss auf das Handeln der Menschen. Der Verstoß gegen diese ist die Regel. Dies lässt auf erhebliche Legitimitätsdefizite staatlicher Herrschaft in der Peripherie schließen.

Zwischen sozialer Elite und staatlichen Strukturen haben sich vielerorts enge Verbindungen etabliert, sodass beide nicht mehr deutlich voneinander getrennt werden können. Der Staat scheint nicht in der Lage, in jenen Regionen mit den alternativen Ordnungen zu brechen, stattdessen ist er für ihren weiteren Bestand und ihre Stärkung mitverantwortlich. Die staatlichen Strukturen sind mancherorts sehr schwach entwickelt und der Geltungsanspruch umstritten. Die verschiedenen Formen von Basislegitimität sind maßgeblich für die prekäre Stabilität staatlicher Herrschaft verantwortlich.

5.2.2 Der Agrarsektor

In den ländlichen Regionen Indiens konnte die Vorherrschaft von sogenannten strongmen neben dem Staat bestehen bleiben. Ihre Machtbasis liegt maßgeblich in dem Besitz und dem Zugang zu der wichtigsten Ressource begründet, dem Ackerland. Diese quasi-feudalen Landbeziehungen sind die Ursache für die Unterdrückung breiter Gesellschaftsschichten.

Der Ursprung der strukturellen Marginalisierung vieler Inder im Lokalen ist in dem einset- zenden Transformationsprozess des Agrarsektors während der späten Mogulzeit zu sehen. Durch die Monetarisierung der Grundsteuer begann die flächendeckende Verschuldung vieler Kleinbauern und damit zusammenhängend wurde ein Prozess in Gang gesetzt, bei dem viele von ihnen ihr Land verloren und diese Ressource sich in den Händen einiger weniger Groß- grundbesitzer konzentrierte. Dieser Prozess verwandelte die indischen Landverhältnisse, die bis dahin weitgehend von Subsistenzwirtschaft geprägt waren, in feudalherrliche Beziehungen, einschließlich Leibeigenschaft und Fronarbeit (vgl. Rothermund 1999: 76; Mehra 2008 4).

Die Entscheidung der Briten, die sehr hohen Grundsteuersätze der Großmoguln zu übernehmen, die im Zusammenhang mehrerer kriegerischer Herausforderungen auf ein Maximum gesteigert worden waren, verstärkte diesen Prozess erheblich (vgl. Rothermund 1999: 76). Es entstand im ländlichen Raum eine neue Berufsgruppe der Geldverleiher, das Land der Schuldner wurde versteigert. Des Weiteren wurden durch die Briten Eigentumsrechte institutionalisiert und die Besitzungen in Katastern kodifiziert, was die machtvolle Stellung der Großgrundbesitzer konsolidierte (vgl. Scott 1998: 48).

Diese entstammten gemeinhin den hohen Kasten (vgl. Mohanty 1990: 329; Joshi 2006: 445), konnten also ihre Legitimität aus traditionalen Quellen beziehen. Über ihre intermediäre Ver- bindung, zunächst zu den Großmoguln, dann zu den Briten, wurde ihre Machtstellung konso- lidiert. Ihrem Machtanspruch wurde von der höheren Instanz stattgegeben, welche weitestge- hend darauf verzichtete in die lokalen Verhältnisse einzugreifen. Dafür fiel dem Großgrund- besitzer die Aufgabe zu, die Grundsteuer in seinem Bereich einzutreiben, wovon er einen Anteil behalten durfte. Unter britischer Kolonialherrschaft kam es aufgrund des ausbeuterischen Charakters dieses Systems immer wieder zu lokalen Bauernaufständen, jedoch wurden sie stets durch den Gewaltapparat des Kolonialstaates niedergeschlagen (vgl. Mohanty 1990: 326).

Nach der Unabhängigkeit unternahm der Zentralstaat verschiedene Versuche, die Machtbe- ziehungen auf dem Land zu zerschlagen. Das System der intermediären Herrschaft sowie die Fronarbeit wurden offiziell zügig abgeschafft. Jedoch offenbart ihre faktische Existenz in vie- len Regionen die Schwäche des Staates und die geringe Akzeptanz seiner Ordnung (vgl. Mo- hanty 1990: 322/340). Kurz nach der indischen Unabhängigkeit wurden in mehreren Bundes- staaten Versuche unternommen, Landreformen durchzuführen, mit dem Ziel, die bestehenden feudalen Strukturen zu brechen und das Land gleichmäßiger zu verteilen. Aufgrund der Inef- fizienz der lokalen Verwaltungsapparate und ihrer häufig klientelistischen Verbindungen zu den gesellschaftlichen Eliten können sie heute in der Mehrheit als gescheitert beurteilt werden (vgl. Dharampal-Frick 1999: 103; Kaviraj 1997: 238). Die Herrschaft der Eliten konnte, auch aufgrund ihrer erfolgreichen Anpassung, von den staatlichen Bemühungen kaum gebrochen werden.

Ende der 1950er Jahre induzierte der indische Entwicklungsstaat unter dem Schlagwort „ Grü- ne Revolution “ die Modernisierung der Landwirtschaft. Dies betraf insbesondere die Industri- alisierung und Kommerzialisierung des Agrarsektors. Zwar konnte die Produktivität erheblich gesteigert werden, was Indien von einem Nahrungsmittelimporteur zu einem Exporteur mach- te, doch wurden die unteren Gesellschaftsschichten aufgrund fehlenden Zugangs zu Kapital, Land und Wasser von diesem Prozess ausgeschlossen (vgl. Mann 2005: 188). Die Begrenzt- heit monokultureller Anbaumethoden sowie Flut und Dürre stellen für viele Kleinbauern im- mer noch große Herausforderungen dar (vgl. CPA 2009: 33). In der Folge hat die grüne Revo- lution die regionalen Disparitäten in Indien weiter vorangetrieben, anstatt sie zuzuschütten (vgl. Mohanty 1990: 322; Mann 2005: 189f.).

Die historische Entwicklung hat im ländlichen Indien die Herrschaft durch strongmen hervorgebracht, deren Macht maßgeblich im Landbesitz verortet werden kann. Das System wurde über die gegenseitige Anerkennung mit den zentralherrschaftlichen Verbänden konstituiert. Die Versuche des indischen Staates mit diesem System zu brechen können größtenteils als gescheitert beurteilt werden. Die Geltung und Gestaltungskraft der staatlichen Ordnung bleibt marginal. Zudem bestehen enge Verbindungen zu den lokalen Machthabern, die auf Akkomodation schließen lassen. Das erzeugt Widersprüche und insbesondere die Bevölkerung am unteren Ende der sozialen Hierarchie fühlt sich vom Staat entfremdet.

5.2.3 Die Marginalisierung der indigenen Adivasis

Unter den kämpfenden Kadern der Naxaliten findet sich eine große Anzahl der indigenen Bevölkerung Indiens, die sogenannten Adivasis.36 Diese gesellschaftliche Schicht wird seit der britischen Kolonialherrschaft strukturell ausgebeutet. Die soziale Ordnung im Lokalen weist neben landlosen Bauern und den Dalits, insbesondere den Adivasis den Platz am untersten Ende der gesellschaftlichen Hierarchie zu. Im historischen Kontext soll ihre soziale Marginalisierung im Folgenden exemplarisch dargestellt werden.

Die Adivasis machen etwa 7-8% der Gesamtbevölkerung aus (vgl. Rothermund 1995: 122).37 Nach der Hierarchie des Kastensystems leben sie am unteren Ende der Gesellschaft und sind kaum in die soziale Ordnung integriert (vgl. Rothermund 1995: 126; Sachchidananda 1990: 280). Sie sind maßgeblich beheimatet in dem sogenannten Stammesgürtel, in den unzugängli- chen Wald- und Bergregionen Zentralindiens. Dieser erstreckt sich über die Bundesstaaten Bihar, Jharkhand, Andhra Pradesh, Chhattisgarh und Orissa. Dieses Gebiet verfügt über die schlechtesten Entwicklungsindikatoren und bildet gleichzeitig das Zentrum des Konfliktes zwischen Maoisten und indischem Staat (vgl. UNDP 2005; UNDP 2007; Dhar 2009).

Ursprünglich waren die Adivasis halbsesshafte Gemeinschaften, deren traditionale Ordnung egalitär geprägt war (vgl. Mann 2005: 191). Ackerland und Wald, ihre maßgeblichen Quellen materieller Reproduktion, wurden kollektiv genutzt (vgl. Mann 2005: 191). Dies änderte sich mit der Inwertsetzung des Bodens und dem Beginn der ökonomischen Aus- beutung der Wälder durch die Briten (vgl. Sachchidananda 1990: 283). Auch die Subsistenz- bauern unter den Adivasis konnten nicht mit den modernen Anbaupraktiken konkurrieren und gerieten in die bekannten Muster von Verschuldung, Verlust des Landes, Verdrängung auf unfruchtbare Böden oder die Integration in frondienstliche Verhältnisse (vgl. Sachchidananda 1990: 285). Des Weiteren wurde unter britischer Herrschaft mit dem Forest Act von 1878 die Nutzung des Waldes begrenzt, begründet mit dem Schutz der Natur. Dahinter stand jedoch die Absicht der Briten, die Ausbeutung des Waldes monopolistisch zu betreiben (vgl. Mann 2005: 194; Sachchidananda 1990: 293). Nach dem Willen des Kolonialstaates sollten die Adivasis sesshaft werden, Landwirtschaft treiben und Steuern zahlen (vgl. Mann 2005: 195). Aufgrund ihrer spirituellen, emotionalen Bindung an Land und Wald (vgl. Sachchidananda 1990: 284/291), bedeutete diese Entwicklung für die Adivasis auch die graduelle Auflösung ihrer traditionalen vergemeinschafteten Ordnung. Ab dem Jahr 1832 äußerte sich dies in einer Reihe bewaffneter Aufstände der Adivasis gegen die britische Kolonialherrschaft und die Dominanz der Großgrundbesitzer. Sie wurden angeführt von charismatischen Häuptlingen, die aufgrund des sozialen Wandels alles verloren hatten. Die Revolten wurden allerdings stets von der übermächtigen Gewalt der britischen Kolonialherren zerschlagen (vgl. Sachchidanan- da 1990: 288-291).

Durch den Prozess der Stratifizierung, ausgelöst durch unterschiedliche Bildungsmöglichkei- ten in Missionarschulen, diskriminierende Gesetzgebung der Briten und die zunehmende Me- chanisierung der Landwirtschaft sowie das Eindringen vieler Kastenhindus in die Stammes- gebiete, bildeten die Adivasi bald nur noch eine marginalisierte Minderheit (vgl. Sachchida- nanda 1990: 286-295). Nach der indischen Unabhängigkeit hat sich paradoxerweise die Aus- beutung der Adivasis noch verstärkt anstatt zurückzugehen. Zwar wurden verschiedene Ge- setze eingeführt, um die Stellung der Indigenen zu verbessern. Aufgrund der mangelnden Durchsetzungskraft der staatlichen Herrschaft im Lokalen hatten sie kaum positive Auswir- kungen.

So wurde vom Zentralstaat ein Gesetz verabschiedet, wonach der Verkauf von Land, von Adivasis an Nicht-Adivasis, von staatlicher Seite genehmigt werden muss. Allerdings wird dieser gesetzlichen Regelung aufgrund von Korruption und Klientelismus in der lokalen Ver- waltung wenig Beachtung geschenkt. Stattdessen sind Zwangsverkäufe und systematische Manipulationen der Grundbucheinträge an der Tagesordnung (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 117; Harivansh 2008: 23). Im Schatten einer staatlichen Ordnung im Lokalen, der kaum Be- achtung geschenkt wird, wird die Marginalisierung durch die lokale Gesellschaft fortgesetzt (vgl. Sachchidananda 1990: 295).

Auf einem anderen Gebiet verstand es die staatliche Verwaltung jedoch, ihrer Ordnung Gel- tung zu verschaffen. Der Forest Conservation Act von 1980 hat die Restriktion des Waldzu- gangs noch verschärft und wird durch eine repressive Forstverwaltung durchgesetzt. Dadurch geraten die Adivasis, die entsprechend ihrer traditionalen Ordnung handeln, regelmäßig mit dem staatlichen Recht und seinen Sanktionsmechanismen in Konflikt (vgl. Sachchidananda 1990: 297; Chakrabarty/Kujur 2010: 8). Die kommerzielle Ausbeutung der Wälder wird von staatlicher Seite aus an Forstunternehmer versteigert, die wiederum Adivasis für diese Arbeit anstellen. Jedoch zahlen diese Unternehmen fast nie den staatlichen Mindestlohn (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 28).

Aufgrund der vergleichsweise schlechten Bildung unter den Adivasis hat diese Gruppe kaum von den Aktivitäten des Entwicklungsstaates profitiert (vgl. Sachchidananda 1990: 298).38

Vielmehr waren sie es, die von den ausgelösten sozialen Verwerfungen am meisten betroffen waren. Von denjenigen, die zwischen 1950 und 2000 durch staatliche Umsiedlungsprogramme von ihrem Land vertrieben wurden, waren 80% Adivasis (vgl. Mehra 2008: 19). Die in Aussicht gestellten finanziellen Entschädigungen wurden in aller Regel nur unzureichend geleistet (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 157; Mehra 2008: 19).

Die Adivasis sind untereinander aufgrund von Vertreibung, unterschiedlicher sprachlicher Dialekte sowie der Kooptierung einiger weniger, die den sozialen Aufstieg erfolgreich ge- meistert haben, fragmentiert, sodass sie bisher kaum in der Lage waren, von sich aus Wider- stand gegen die ausbeuterische Praxis zu artikulieren (vgl. Sachchidananda 1990: 307/313). Dort, wo sich friedliche Proteste formierten, wurden sie häufig von staatlichen Sicherheits- kräften gewaltsam zerschlagen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 28/157; Subramanian 2007: 131).

Im Laufe der Jahre wurden die Adivasis durch Kolonialismus, Modernisierung und die ausbeuterische Praxis der sozialen Eliten strukturell marginalisiert (vgl. Gupta 2010: 14). Ihre traditionale soziale Ordnung wurde an vielen Orten graduell aufgelöst39, wobei sich nicht gleich die Möglichkeit sozialer Integration bot (vgl. Expert Group: 2008: 4-6). Dies erzeugt existentielle Unsicherheiten und den Nährboden für soziale Konflikte. Die Integration der Adivasis in die Strukturen des Staates ist bisher kaum gelungen, besonders weil seine Ordnung keine Bedeutung für die Indigenen darstellt. Stattdessen ist ihre Beziehung immer wieder konfliktiv geprägt. Die strukturelle Ausgrenzung der Adivasis stellt eine wichtige Voraussetzung für ihre zahlreiche Mobilisierung durch die Naxaliten dar.

Im Lokalen ist die Geltung der staatlichen Ordnung gering geblieben. Dies liegt insbesondere daran, dass die Verwaltungsbeamten sich an anderen Ordnungen orientieren. So kann kein sozialer Wandel einsetzen, die Umsetzung der Gesetze und Richtlinien aus dem Zentrum gelingt häufig nicht. Aus diesem Grunde konnten die Landreformen nicht erfolgreich durchgeführt werden. Die Praxis der Unberührbarkeit besteht vielerorts weiterhin. Etliche Gesetze zum Schutz der marginalisierten Adivasis wurden selten implementiert.

Stattdessen wird der lokale Raum maßgeblich von sozialen Eliten beherrscht, die Migdal mit strongmen bezeichnet. Ihre Machtstellung entstand durch die historische Entwicklung als Mittler zwischen lokaler Ebene und Großreichen bzw. Kolonialherren. Nach der Unabhängig- keit war der indische Zentralstaat nicht in der Lage, ihre Stellung zu brechen. Stattdessen haben sich vielerorts enge Verbindungen ergeben, die auf Akkomodation bzw. Allianzen schlie- ßen lassen. Die Praxis des Staates weicht in der Peripherie stark von seinem Ideal ab. Dies erzeugt notgedrungen Widersprüche, die konfliktiv wirken können. Diese Missstände und Widersprüche werden von den Naxaliten als Nährboden für ihre Akquirierung von Anhängern und Strategie im Kampf um die Gebietsherrschaft genutzt. Daher soll im Folgenden aufge- zeigt werden, wie sich ihr Prozess der Institutionalisierung vollzogen hat und welche Strate- gien und Strukturen die Naxaliten nutzen, um weitere Mitglieder zu gewinnen und ihre Macht auszuweiten.

6 Die Institutionalisierung der naxalitischen Bewegung

“ 1. India is a vast semi-colonial and semi-feudal country with uneven political, economic and social development, with favourable terrain for guerrilla warfare, that has witnessed a long period of armed struggle by the peasantry and also

now witnessing the ongoing agrarian revolutionary guerrilla struggle in which the peasantry is playing a heroic role.

2. Our enemy is big and powerful having centralized state machinery and a well equipped modern army.

3. The Communist Party, the guerrilla army and the agrarian revolutionary movement in India are still weak. ” Zitiert aus dem Strategiepapier der CPI (Maoist) (CPI-M 2005 b: 18) .

Um zu verstehen, welche Strategien die Naxaliten entwickeln, um die Herrschaft des indi- schen Staates herauszufordern und mit diesem in ein Konkurrenzverhältnis zu treten, ist es notwendig, die Natur ihres politischen Verbandes, der CPI (Maoist), zu betrachten. Da die Bewegung schon seit über 40 Jahren besteht, wird ihre historische Entstehung und Entwick- lung in die Beobachtung miteinbezogen. Zudem soll die Programmatik der CPI (Maoist) ana- lysiert werden, um ihre Strategie und Selbstbeschreibung hervorzuheben. Anschließend wird der Prozess ihrer Institutionalisierung und die Struktur ihrer Organisation in den Blick ge- nommen.

6.1 Formierung und Entwicklung der naxalitischen Bewegung

Um die Besonderheiten der aktuellen Struktur und strategische Ausrichtung der CPI (Maoist) in Indien nachvollziehen zu können, müssen die spezifischen Umstände ihrer historischen Formierung und Entwicklung berücksichtigt werden. Die Naxaliten haben einen Jahrzehnte langen Prozess durchgemacht, in dem sie aus ihren anfänglichen Fehlern gelernt und ihre Strategie angepasst haben.

Der Ursprung der naxalitischen Bewegung wird gemeinhin mit dem gewaltsamen Bauernauf- stand 1967 in dem kleinen Dorf Naxalbari angegeben. Jedoch knüpft dieses Ereignis an ein historisches Vorbild an, das auf die Kontinuitäten zwischen der Zeit britischer Kolonialherr- schaft und der sich nach der Unabhängigkeit gegründeten maoistischen Bewegung verweist. In der Telangana Region, damals befindlich im Fürstentum Hyderabad, das unter indirekter britischer Herrschaft stand, begann die Kommunistische Partei Indiens (CPI) Ende der 1930er Jahre gezielt verarmte Bauern und Landlose propagandistisch gegen die dort bestehenden Feudalverhältnisse zu mobilisieren. Dabei knüpfte die CPI zum einen an die Tradition der Bauernerhebungen im kolonialen Indien an, zum anderen berief sie sich zu diesem Zweck auf die Ideologie Mao Tse-tungs, der zu jener Zeit einen Guerillakrieg in China führte (vgl. Mehra 2008:5). Wie in China beabsichtigten die indischen Kommunisten, die verarmte Landbe- völkerung für den bewaffneten Kampf zu organisieren (vgl. Kujur 2008: 2). Die kommunisti- sche Ideologie traf bei den unterprivilegierten Schichten auf fruchtbaren Boden. In der Folge kam es im Jahr 1946 zu einem gewaltsamen Bauernaufstand, bei dem die Aufständischen über 3000 Dörfer unter ihre Kontrolle bringen konnten: Großgrundbesitzer wurden vertrieben und ihr Land verteilt, die Aufständischen bildeten Milizen, um ihre Stellung verteidigen zu können (vgl. Singh 2010: 5). Nachdem das Fürstentum Hyderabad 1948 gewaltsam in den unabhängigen indischen Staat inkorporiert wurde, schlug die indische Armee den Aufstand nieder, bei dem 4000 Menschen ums Leben kamen (vgl. Singh 2010: 5).

In der Folge gab die CPI den bewaffneten Kampf auf, beteiligte sich fortan am demokratischen Prozess und wurde in den indischen Herrschaftszusammenhang integriert.40 Jedoch kam es in Folge des indisch-chinesischen Krieges 1962 zu einem Zerwürfnis innerhalb der Partei, woraufhin sich der radikale Teil, der sich dem chinesischen kommunistischen Modell verpflichtet fühlte, als CPI (Marxist) abspaltete (vgl. Marwah 2009: 97).

Im Jahr 1967 brach in den feudal-geprägten Teeplantagen Darjeelings, in dem Dorf Naxalbari, erneut ein Bauernaufstand aus. Militante Parteimitglieder der CPI (Marxist), unter der Leitung des charismatischen Charu Mazumdar (vgl. Gupta 2004: 79f.), hatten die verarmten Landar- beiter, insbesondere Adivasis und Dalits, mobilisiert und führten den Aufstand an (vgl. Mehra 2008: 7; Singh 2010: 6). Die Aufständischen veranstalteten spontane Schauprozesse gegen Großgrundbesitzer und Geldverleiher, verteilten das Ackerland und verbrannten Schuldschei- ne sowie Besitzurkunden. Innerhalb kurzer Zeit etablierten sie Komitees zur Ausübung politi- scher Herrschaft (vgl. Marwah 2009: 98). Die Nachricht verbreitete sich über ganz Indien und viele Mitglieder der Bevölkerung solidarisierten sich mit den Aufständischen. Nachdem je- doch mehrere Vermittlungsversuche gescheitert waren, wurde nach 52 Tagen auch dieser Aufstand gewaltsam niedergeschlagen und die Anführer verfolgt (vgl. Singh 2010: 8f.).41 Dieses Ereignis stellt den Ausgangspunkt für den folgenden organisierten bewaffneten Kampf unter Einfluss maoistischer Ideologie dar. Nach Banerjee beginnt mit den Vorfällen in Naxal- bari die erste Phase des Konfliktes (2006: 3160).

Die Führer des Aufstandes identifizierten fehlende politische und militärische Strukturen so- wie die ungenügende Einbeziehung der Bevölkerung als Gründe für ihr Versagen in Naxalba- ri (vgl. Singh 2010: 13). Es fehlte also an Institutionalisierung, was in Zukunft nachgeholt werden sollte. So folgten nach der gewaltsamen Repression Kommunisten aus dem ganzen Land Charu Mazumdars Ruf nach Kolkata, wo auf einem Kongress im Mai 1968 ein Über- gangskomitee gegründet wurde (vgl. Singh 2010: 23). Dieses urteilte, dass die indischen Ver- hältnisse exzellente Bedingungen für eine Revolution böten und einigte sich auf strategische Eckpunkte: Man beabsichtigte, Maos Lehre des Guerilla-Krieges, den sogenannten protracted people ’ s war auf Indien anzuwenden. Das Ziel war es, über die Etablierung von Stützpunkten graduell die ländlichen Regionen zu erobern und endgültig die Städte einzukreisen, um die staatliche Herrschaft zu stürzen. Innerhalb der eroberten Gebiete sollten die so genannten Klassenfeinde vernichtet werden, also Geldleiher, Großgrundbesitzer mit ihren Häschern so- wie Polizisten und Polizeiinformanten (Singh 2010: 33). Für diesen Weg der Machtergreifung sollte auf die Beteiligung an parlamentarischen demokratischen Wahlen verzichtet werden. Es folgte ein Prozess der Institutionalisierung, wobei die Partei CPI Marxist-Leninist (ML) gegründet wurde. 42 Dabei konnten die Gründer auf das Vorbild der Strukturen kommunisti- scher Parteien zurückgreifen, die nach formal-rationalen Gesichtspunkten und strenger Hie- rarchie organisiert waren. Mit der Wahl Charu Mazumdars zum Generalsekretär der Partei im Jahr 1970 (vgl. Kujur 2008: 3), konnte der charismatische Anführer seine Machtstellung auch formal institutionalisieren. 1971 wurde auch das bewaffnete Potential der Gruppe als People ’ s Liberation Army zu einem relativ schwachen Grade formalisiert und organisiert (vgl. Singh 2010: 94f.).

In Anlehnung an Guevaras Konzept des Fokismus, wonach es einer kleinen Gruppe ent- schlossener Guerillas möglich sei, eine Revolution auszulösen (Guevara 1962: 11), organi- sierten in der Folge Parteikader spontane Aufstände im ganzen Land (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 48; Marwah 2009: 99). Zwischen 1970 und 1971 wurden über 4000 dieser Art gezählt (vgl. Marwah 2009: 99). Da sie auf direkte Konfrontation mit den sozialen Eliten und den staatlichen Sicherheitskräften setzten, währten diese Erhebungen meist nur kurz und es war ihnen nicht möglich, ihre sporadische Aktionsmacht langfristig zu institutionalisieren.

Eine Ausnahme bildete die Srikakulam Region im nördlichen Grenzgebiet Andhra Pradeshs. Dort bestand bereits seit mehreren Jahren eine friedliche Widerstandsbewegung der Adivasis, die sich gegen die ausbeuterische Praxis der sozialen Eliten richtete. Inspiriert von den ge- walttätigen Vorkommnissen im ganzen Land, eskalierte der Konflikt jedoch. Nachdem die Aufständischen weite Teile der Region unter ihre Kontrolle gebracht hatten, wurde die Wider- standsbewegung von der CPI (ML) kooptiert. Im Jahr 1969 kontrollierten die Naxaliten 300 der 518 Dörfer bzw. ein Gebiet von 500 km² Ausdehnung (vgl. Marwah 2009: 101; Reddy 2008: 41). Sie waren in der Lage, eine erste sogenannte Liberated Zone zu errichten, zu der der Staat keinen Zugang hatte. Hier sammelten die Maoisten ihre ersten Erfahrungen im Hinblick auf die Institutionalisierung von Gebietsherrschaft und die alltägliche Verwaltung der kontrollierten Region.

Ab 1972 begann der indische Staat, auf die wachsende Bedrohung durch die Naxaliten mit starker Hand zu reagieren. Durch gemeinsame Operationen von Polizei und Armee in den am meist betroffenen Regionen, wurden hunderte Parteimitglieder getötet und tausende verhaftet (vgl. Mehra 2008: 8/14). In der Folge flohen viele in ferne Regionen, die jenseits der staatli- chen Reichweite lagen, wo sie vor dem Zugriff der staatlichen Ordnungsmacht sicher sein konnten. Dies führte langfristig zu sogenannten spill-over Effekten und Verbreitung der Na- xaliten, die fortan in den Regionen fern des Staates den bewaffneten Kampf organisierten (vgl. Marwah 2009: 104).

Während sich der Druck auf die CPI (ML) vergrößerte, entstanden innerparteiliche Differenzen. Kritisiert wurden Mazumdars autoritärer Führungsstil, die zu mechanische Übernahme maoistischer Programmatik, ohne sie an Indiens spezifische Bedingungen anzupassen sowie das Fehlen von Versuchen, engere Verbindungen zur Bevölkerung aufzubauen, etwa über sogenannte Frontorganisationen (vgl. Singh 2010: 103-114).43 Daraufhin verließen viele die Partei. Sie schlossen sich alternativen Gruppen an oder gründeten neue. Die CPI (ML) zeigte erste Auflösungserscheinungen, die naxalitische Bewegung fragmentierte.

In Folge staatlicher Repression gerieten noch im Jahr 1972 beinah alle führenden Kader in Gefangenschaft, so auch Mazumdar. Er starb kurze Zeit später (vgl. Marwah 2009: 106). Nach dem Tod ihres Charismaträgers kam es innerhalb der Partei zu schweren Auseinander- setzungen über die Frage seiner Nachfolge und den Kurs der Partei (vgl. Singh 2010: 115f.), was ein Indiz ist, für die nicht vollendete Positionalisierung der Partei zu jener Zeit. Aufgrund zahlreicher Gewaltakte gegen die Zivilbevölkerung, die auf die Organisation erheb- lich delegitimierende Effekte hatte, kam verbreitete Unzufriedenheit auf (vgl. Mehra 2008: 9; Singh 2010: 101). Mit der erheblichen Repression, beginnend im Jahre 1972, wird nach Ba- nerjee das Ende der ersten Phase des Konfliktes eingeläutet (2006: 3161). So wurden 1975 während des Ausnahmezustandes über 40.000 Kader verhaftet (vgl. Mohanty 2006: 6). Im folgenden Jahr, mit der Aufhebung des Ausnahmezustandes, wurde die Repression gegen die Naxaliten gelockert und zahlreiche hochrangige Führer der Bewegung wurden auf freien Fuß gesetzt. Viele von ihnen nahmen den bewaffneten Kampf wieder auf und gründeten neue Gruppen. Im Jahr 1980 existierten über 30 verschiedene Gruppen in ganz Indien (vgl. Singh 2010: 124). In diesem Jahr wurde eine neue Gruppe gegründet, bekannt unter dem Namen People’s War Group (PWG)44, die einen Strategiewechsel einläutete. Sie begann ihre Arbeit in den entlegenen Regionen Andhra Pradeshs, weit entfernt von den Strukturen des Staates und seinem Zwangsapparat. Zunächst vermied die PWG die direkte Konfrontation und handelte im Verborgenen (vgl. Singh 2010: 132). Die Gründung der PWG markiert den Beginn der zweiten Phase des Konfliktes (Banerjee 2006: 3161).

Anstelle sich nur auf die verarmten Bauern zu konzentrieren, öffnete sich die PWG allen mar- ginalisierten Schichten, insbesondere den Angehörigen der unteren Kasten und der Adivasis. Um ihre Unterstützung zu gewinnen, versuchte die PWG positiven Einfluss auf deren Exis- tenz auszuüben (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 53). Im Spiegel marginaler staatlicher Ordnung begannen sie ihr Gewaltpotential in Instrumentelle Macht umzuwandeln, zwangen Groß- grundbesitzer, Land abzugeben und Forst-Unternehmer, Mindestlöhne zu zahlen (vgl. Singh 2010: 144).

Des Weiteren etablierten sie Frontorganisationen für verschiedene Gesellschaftsgruppen, die öffentlich für ihre Rechte eintraten.45 Auf diese Weise gelang es der PWG, sich mit weiten Teilen der Bevölkerung in ihrem Einflussgebiet zu verbinden und ihre Unterstützung zu erhal- ten (vgl. Kujur 2008: 8). In den unzugänglichen Dörfern der Adivasis, die der PWG zunächst als Rückzugsorte dienten, begannen sie, kleinräumig Gebietsherrschaft zu etablieren, inklusi- ve Besteuerung und Rechtssprechung (vgl. Singh 2010: 132). Auf diese Weise gelang der entscheidende Schritt der Institutionalisierung ihrer Macht nach außen. Als Folge dieser Akti- vitäten etablierte die PWG sich für die dort lebende Bevölkerung als Alternative zum Staat. Weitgehend ohne Wissen des Staates oder von ihm ignoriert, expandierte die PWG auf diese Weise in die angrenzenden Regionen. Nachdem sie in der Lage war, ihre Macht relativ zu konsolidieren, begann sie mit der Formalisierung ihres Gewaltpotentials, indem sie die Peo- ples Guerilla Army (PGA), teils mit bürokratischen Strukturen, errichtete (vgl. Chakrabar- ty/Kujur 2010: 53). Daraufhin suchte die PWG die Konfrontation, griff mit ihrem aufgerüste- ten Arsenal Polizei und Staatsbeamte sowie staatliche Infrastruktur an (vgl. Kujur 2008: 4; Marwah 2009: 111).46 In der Folge konnte sie ihren Einfluss ausbauen und überschritt die Grenze in die anliegenden Bundesstaaten Orissa, Maharastra und Madhya Pradesh (vgl. Singh 2010: 141).47

Anfang der 1990er Jahre begann der Staat eine großangelegte Offensive. Zwar erlitt die PWG durch Tötungen und Verhaftungen zahlreicher Kader erhebliche Rückschläge, doch stellte sich schnell heraus, dass die Partei nun stärker institutionalisiert war und zahlreiche Unterstützer innerhalb der Bevölkerung besaß. Sie konnte ihre Verluste rasch kompensieren und die Organisation blieb intakt (vgl. Singh 2010: 142).

Die PWG schloss sich in dieser Zeit mit mehreren kleineren naxalitischen Gruppen zusammen oder etablierte gute Kontakte.48 Bedingt durch die starke Repression des Staates, wurden sich die Naxaliten aufgrund der Fragmentierung der Bewegung ihrer relativen Schwäche bewusst. Es setzte ein Bewusstseinswechsel ein, wonach die verschiedenen Gruppen sich nicht mehr als Konkurrenten, sondern als Verbündete sahen. Fortan wurden immer wieder Rufe nach Vereinigung laut (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 54).

Im September 2004 vereinigte sich die PWG mit der zweitgrößten Naxalitenorganisation, dem Maoist Communist Centre of India (MCCI), zur CPI (Maoist).49 Die Vereinigung stärkte den Zusammenhalt innerhalb der Naxaliten und seither sind etwa 95% der Bewegung in der CPI (Maoist) organisiert (vgl. Marwah 2009: 146). Seither begannen die Naxaliten ihre Stütz- punkte zu einer sogenannte Compact Revolutionary Zone (CRZ) zusammenzulegen , was auf einen Schlag ihre Macht stark vergrößerte (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 54). Mit der Verei- nigung wird der Beginn der dritten Phase des Konfliktes beschrieben, die weiterhin andauert (Banerjee 2006: 3163).

Während des Naxalbari-Aufstandes 1967, als Charu Mazumdar und seine Gefolgsleute die Marginalisierten mobilisierten, fand politisches Gemeinschaftshandeln statt, das die Keimzelle der späteren Bewegung war. Zu diesem Zweck konnten sie auf das historische Beispiel des Telangana-Aufstandes zurückgreifen, wo man sich zum ersten Mal in Indien auf maoistische Ideologie für den bewaffneten Kampf berief.

In Folge von Repression formierte sich eine Gruppe, der es in Anlehnung an kommunistische Parteien dieser Zeit gelang, die Bewegung nach formalen, hierarchischen Richtlinien zu insti- tutionalisieren, wodurch graduell die Position eines politischen Verbandes erreicht wurde. Nach Repression und dem Tod des charismatischen Anführers offenbarten sich jedoch Schwächen der Institutionalisierung. Der Bewegung fehlte Zusammenhalt und zerbrach in viele verschiedene Gruppen.50 Der neugegründeten PWG gelang ein Kurswechsel, indem sie sich vom Fokismus abwendete und gezielt die Unterstützung breiter Bevölkerungsteile suchte, mit dem Ziel, Macht auf der Stufe der Gebietsherrschaft zu institutionalisieren. Diese Entscheidung war ursächlich für die weite Ausbreitung und Stabilisierung der Bewegung. Auch heutzutage ist die neuentwickelte Strategie dominant geblieben (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 51). Die neue Strategie erwies sich als erfolgreich. Durch die Vereinigung zur CPI (Maoist) konnte die Fragmentierung der Bewegung überwunden werden.

6.2 Die CPI (Maoist)

Im Folgenden soll die CPI (Maoist) als bewaffnete Gruppe bzw. politischer Verband näher betrachtet werden. Zunächst soll ihr Selbstverständnis, wie sie sich in Bezug auf die bestehenden Herrschaftsverhältnisse begreift und welche Strategien sie daraus ableitet, nachgezeichnet werden. Anschließend wird die institutionelle Ausgestaltung der CPI (Maoist) behandelt. Da jedoch nur wenige wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Themenbereich bestehen, wird maßgeblich auf öffentlich zugängliche Dokumente der Partei CPI (Maoist) Bezug genommen, insbesondere auf ihr Programm und ihre Verfassung.

6.2.1 Die Selbstbeschreibung der CPI (Maoist)

Die CPI (Maoist) bedient sich ideologisch beim Marxismus-Leninismus und dem Maoismus (vgl. CPI-M 2004 a: 9). Dieser Bezug liefert ihr Begriffe und Logik, um die bestehenden Ver- hältnisse innerhalb der indischen Gesellschaft interpretieren und gleichzeitig Lösungsansätze anbieten zu können. Die Ideologie wird von historischen Vorbildern geborgt. Im Parteipro- gramm verweist man auf die Erfolge der Oktoberrevolution in Russland und die chinesische Revolution (vgl. CPI-M 2006 a: 2/10). Zudem bezieht die Partei sich auf die Erhebungen ge- gen die britischen Kolonialherren und stellt die Bedeutung der Bauernaufstände in der Telan- gana-Region und Naxalbari hervor (vgl. CPI-M 2006 a: 1-3). Charu Mazumdar wird zum Erlöser hochstilisiert und als Märtyrer verehrt (vgl. People’s March 2004: 169). Die CPI (Ma- oist) sieht sich in diesem Zusammenhang in einer Tradition zu sowohl dem russischen und chinesischen Vorbild, als auch den innerindischen Erfahrungen, an die sie anzuknüpfen ge- denkt (CPI-M 2006 a: 2f.).

Das Ziel der CPI (Maoist) ist es, mittels einer bewaffneten Revolution die herrschenden Verhältnisse zu stürzen und eine neue Herrschaft zu etablieren. Dies verweist auf die Ideologie als charismatische Idee, die in der Lage ist, die Partei mir Legitimität auszustatten. Sie pro- klamiert die Erneuerung der Gesellschaft, verspricht eine bessere Zukunft und positioniert sich im extremen Kontrast zu den bestehenden Verhältnissen, was ihr einen außeralltäglichen Charakter verleiht.

Die Unabhängigkeit des indischen Staates und sein demokratisches System werden als Schwindel bezeichnet. Sie dienten lediglich als Gewand, um die wahren Strukturen zu verhül- len (CPI-M 2006 a: 9). In diesem Zusammenhang nimmt die CPI (Maoist) direkten Bezug auf zwei der entscheidenden Geltungsgründe des indischen Staates und stellt diese in Frage. In diesem Zuge wird der Staat als semi-kolonial und semi-feudal bezeichnet (CPI-M 2006 a: 8).51 Bezeichnenderweise werden zum einen die Kontinuitäten zwischen Kolonialherrschaft und indischem Staat thematisiert, zum anderen wird Bezug auf die Herrschaftsstrukturen im ländlichen Raum genommen, wo die Partei eine Allianz zwischen staatlichen Strukturen und der „ausbeuterischen Klasse“ zu sehen meint (CPI-M 2006 a: 3/5). Diese Strukturen seien das Produkt des Kolonialismus, die bis heute fortbestünden und durch den Staat Schutz erführen (CPI-M 2006 a: 2f.). Zudem werden Aktivitäten des Entwicklungsstaates, namentlich Grüne Revolution, Staudammprojekte, Restriktion der Wälder und Sonderwirtschaftszonen sowie ihre sozialen Effekte stark kritisiert (vgl. CPI-M 2006 a: 3/7).

In ihrem Programm berufen sich die Naxaliten an vielerlei Stellen auf Normen und Verbote, die durchaus mit der staatlichen Ordnung im Einklang stehen, etwa die prinzipielle Gleichheit aller Menschen, Demokratie, Religionsfreiheit, gegen die Diskriminierung von Dalits, Adivasis und Frauen, sowie Kinderverheiratung und Witwenverbrennung (vgl. CPI-M 2006 a: 4-7). Jedoch sehen die Maoisten den Staat und die soziale Eliten als Verantwortliche für die geschehenden Normenbrüche. Wie es sich in ihrem Programm offenbart, weicht das Bild, welches die Maoisten vom Staat haben, in vielerlei Hinsicht von seiner idealen Selbstbeschreibung ab. Aus dieser Widersprüchlichkeit heraus wird die Legitimität der herrschenden Ordnung hinterfragt und gleichzeitig herausgefordert.

Das Ziel sei es die herrschenden Strukturen zu zerschlagen und staatliche Herrschaft an sich zu reißen (CPI-M 2006 a: 4/8). In diesem Zuge soll eine neue Gesellschaft erschaffen werden, die von der „ Diktatur des Proletariats “ regiert werde. Wie bei Mao wird dieser Prozess als New Democratic Revolution bezeichnet (CPI-M 2006 a: 8; vgl. Schwarz 1972: 35). Des Wei- teren wird im Programm sogar detailliert beschrieben, welche Ziele die Partei beabsichtigt nach ihrem Erfolg umzusetzen (vgl. CPI-M 2006 a: 12-14). Die Maoisten artikulieren die Ab- sicht eine alternative soziale Ordnung etablieren zu wollen und formulieren in diesem Zu sammenhang ihr eigenes Ideal des Staates. Auf diese Weise positioniert sich die maoistische Partei in Konkurrenz zum Staat um die legitime Herrschaft. Das Verhältnis ist auf Konflikt gerichtet.

Um den Legitimitätsglauben unter der Bevölkerung zu gewinnen, stellt sich die Partei als zu bevorzugende Alternative zu den bisherigen Herrschaftsverhältnissen dar. Sie richtet sich ins- besondere an die Unterprivilegierten der Gesellschaft, namentlich die unteren Kasten, Dalits, Adivasis, landlose Bauern sowie Frauen und thematisiert die Natur ihrer Unterdrückung (vgl. CPI-M 2006 a: 3/6). In Bezug auf den Legitimitätsglauben gegenüber der staatlichen Herr- schaft setzt die Partei hier am schwächsten Glied an. Es wird der Teil der Bevölkerung ange- sprochen, der von der bestehenden Ordnung am wenigsten profitiert und von dem die Maois- ten am ehesten erwarten könnten, sich von der bestehenden Herrschaftsordnung abzuwenden. In der Sprache der CPI (Maoist) heißt es, dass in den bestehenden Verhältnissen ein „ frucht- barer Boden “ gesehen wird, um die Revolution erfolgreich zu beschreiten (CPI-M 2006 a: 1). In diesem Zusammenhang wird sogar eine Analyse der indischen Gesellschaft betrieben, in der sechs verschiedene Klassen identifiziert werden (vgl. CPI-M 2005 a: 8-14). Zwei davon, die staatlichen Beamten und die „ausbeuterische Klasse“, zu der man Großgrundbesitzer, Geldleiher, religiöse Eliten und Kapitalisten zählt, werden als Klassenfeinde bezeichnet, die die Massen unterdrückten (CPI-M 2006 a: 3). Die anderen vier Klassen werden als potentielle Verbündete gefasst (CPI-M 2006 a: 4/11). Die Partei stellt sich als Vertreter der Unterdrück- ten, als Träger des politischen Willens des Volkes dar (vgl. CPI-M 2006 a: 8/11) und erhebt auf diese Weise gegenüber den Klassenverbündeten einen Legitimitätsanspruch. Die Tren- nung von Freund und Feind hat verschiedene Funktionen: Zum einen dient sie dazu, daraus das strategische Vorgehen abzuleiten. Des Weiteren soll die doch recht fragmentierte Gefolg- schaft, bestehend etwa aus Adivasis, Dalits, armen Bauern sowie Intellektuellen, zumindest symbolisch homogenisiert werden. Zum anderen dient die Trennung aber auch als Grundlage für die Legitimierung von Gewalt.

Um die Unterstützung der „befreundeten Klassen“ zu gewinnen, haben die Naxaliten das Themenspektrum ihres Programms seit dem Anfang ihrer Bewegung stetig erweitert. So steht nicht mehr nur die ungleiche Verteilung von Agrarland im Mittelpunkt ihres Programms (vgl. CPI-M 2006 a: 3). Hinzugekommen sind nun Waldnutzungsrechte, Landenteignungen, die Diskriminierung durch das Kastensystem, die Nationalitätsfrage52 sowie die Marginalisierung von Frauen und religiösen Minderheiten (vgl. CPI-M 2006 a: 6-8).

Stark in Anlehnung an das Vorbild Maos, leitet die Partei aus den Ergebnissen ihrer Analyse, die Methoden ab, um mit den Herrschaftsstrukturen zu brechen und den Staat zu erobern. Die CPI (Maoist) setzt dabei maßgeblich auf Gewalt. Jedoch erfolgt die Feststellung, dass die Par- tei in Relation zu dem Gegner relativ schwach sei. Aus diesem Grunde wird beabsichtig, die Strategie des sogenannten protracted people ’ s war, also des verlängerten Krieges, in Verbin- dung mit Guerilla-Taktik, anzuwenden. Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten verorten die Ma- oisten im ländlichen Gebiet, wo die Ausbeutung am größten und der Staat am Schwächsten sei (CPI-M 2006: 9).

In strategisch günstigen Regionen, insbesondere mit unwegsamen Gelände, beabsichtig die Partei stetig den eigenen Einfluss auszuweiten bis diese schlussendlich vom Zugriff des Staates abgeschnitten sind (People’s March 2004: 182; vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 65). Auf diese Weise verfolgen die Maoisten das Ziel, zunächst kleinräumige Gebietsherrschaft zu etablieren und diese in der Folge graduell auszuweiten (vgl. CPI-M 2006 a: 6). Dabei wird die Bedeutung der Bevölkerung hervorgehoben. Ohne ihre Unterstützung sei es den Revolutionären unmöglich, mit ihrem Vorhaben Erfolg zu haben (CPI-M 2004 a: 207). Bezug nehmend auf Mao soll die Bevölkerung deshalb von den Aktivitäten der Partei profitieren, etwa durch Landreformen (vgl. Schwartz 1972: 25).

Des Weiteren sei es das Ziel der Partei, zunächst den gesamten ländlichen Raum zu „befrei- en“, um danach die Städte einzukreisen. Allerdings will die CPI (Maoist) schon bevor diese Etappe erreicht ist, ihre Aktivitäten auf die Städte, dort wo die Stärke des Feindes als beson- ders groß eingeschätzt wird, ausweiten. Dort sollen Propaganda und Arbeitskampf im Zent- rum stehen (CPI-M 2006: 10). Im Jahr 2007 wurde sogar der Urban Perspective Plan der Partei veröffentlich, in dem auf 73 Seiten die Strategien für den städtischen Kampf detailliert beschrieben werden (CPI-M 2007). Hier steht die Mobilisierung der städtischen Unterprivile- gierten, der Verarmten und Slumbewohner, im Vordergrund. Also beabsichtigt die Partei, an den Schwachpunkten des Legitimitätsglaubens im Herrschaftszentrum anzusetzen und diesen zum Schwanken zu bringen.

Um das angestrebte Ziel zu erreichen, heben die Maoisten die Partei und ihre bewaffneten Kräfte hervor, deren Organisation stetig verbessert werden müsse (CPI-M 2006: 2). Dies verweist auf die Notwendigkeit, den Institutionalisierungsprozess des Verbandes voran zu treiben, um handlungsfähiger zu werden und die internen Strukturen zu stabilisieren. Auf die Institutionalisierung der Partei soll im folgenden Unterpunkt Bezug genommen werden.

Das Programm der Maoisten dient mehreren Zwecken. Mittels der kommunistischen Ideolo- gie wird der Versuch unternommen, aus den gesellschaftlichen Gegensätzen Handlungsan- weisungen abzuleiten. Zunächst wird der Legitimitätsanspruch des Staates offen hinterfragt, indem eklatante Geltungsgründe des Staates, wie der Mythos Unabhängigkeit und das Bild Indiens als „größte Demokratie der Welt“ (Müller 2007 b: 8) in Zweifel gezogen werden. Zudem positioniert das Programm die Partei in eine Konfliktkonstellation mit Staat und herrschenden Eliten. In diesem Zuge inszenieren sich die Maoisten als Alternative. Gegenüber den Unterprivilegierten der Gesellschaft stell die Partei einen Legitimitätsanspruch. Indem die Maoisten sich moralisch auf die Seite dieser Teile der Bevölkerung schlagen, kann die Programmatik auch mobilisierende Effekte haben.

Des Weiteren ergeben sich aus der Orientierung an Mao konkrete Handlungsanweisungen für die tatsächliche Konfliktaustragung, die allerdings an den indischen Kontext angepasst wer- den. Gleichzeitig kann das Programm als charismatische Idee legitimierend wirken. Der Be- zug auf historische Vorbilder kann außerdem als Vorlage zur Institutionalisierung genutzt werden.

6.2.2 Die Institutionalisierung der CPI (Maoist)

Der Schwerpunkt der naxalitischen Strategie bezüglich der Herausforderung staatlicher Herr- schaft liegt im bewaffneten Kampf und der Etablierung von Gebietsherrschaft. Jedoch steht dahinter ein politischer Verband, dessen Struktur und Art der Institutionalisierung wichtige Voraussetzungen für das strategische Vorgehen darstellen. Im Folgenden wird maßgeblich auf frei verfügbare Dokumente der CPI (Maoist) Bezug genommen sowie einige wenige Autoren, die sich den Strukturen gesondert gewidmet haben (vgl. Chakravarti/Kujur 2010).

Die CPI (Maoist) ist hochgradig nach formal-rationalen Gesichtspunkten strukturiert. Die Existenz einer Verfassung, die sich die Partei bei ihrem Gründungskongress gab, ist Ausdruck einer gesatzten, unpersönlichen Ordnung, an der sich das Verbandshandeln orientiert (vgl. CPI-M 2004 a). Sie verregelt die internen Beziehungen, strukturiert die Partei entlang einer strengen Hierarchie mit funktional differenzierten Apparaten und offenbart somit Institutionalisierung auf Stufe der Positionalisierung.

In Anlehnung an Lenin, für den die kommunistische Partei der zentrale Angelpunkt für die Organisation der Revolution war (Lenin 1972: 87; vgl. Brown 2009: 89), versteht sich auch die CPI (Maoist), trotz ihres bewaffneten Kampfes, in erster Linie als politische Partei (CPI- M 2004 a: 1). Dies spiegelt sich auch in ihrer internen Struktur wider, orientiert sie sich doch maßgeblich am Vorbild anderer kommunistischer Parteien inklusive Parteikongress, Zentral- komitee und Politbüro (vgl. Brown 2009: 155-159.). Insbesondere Lenins Strukturprinzip des demokratischen Zentralismus wird hervorgehoben (CPI-M: 2005: 7; vgl. Brown 2009: 57). So ist in der Verfassung niedergelegt, dass sich das Individuum, der Partei unterordnet, die Min derheit der Mehrheit, die untere Instanz der oberen und die gesamte Partei der zentralen Füh- rung (CPI-M: 2005 a: 7). Neben demokratischen Prinzipien stehen also der Suprematiean- spruch der Partei, strenge hierarchische Strukturen und die hervorgehobene Stellung der obersten Instanz.

Formal ist der Parteikongress das höchste Organ. Aufgrund des Untergrundcharakters der Gruppe kam dieser jedoch erst zwei Mal seit der Vereinigung zusammen. In der Praxis ist das Zentralkomitee (ZK) das höchste Organ der Partei (vgl. Abbildung 2). Es ist weniger mit den alltäglichen Verwaltungsaufgaben beschäftigt, als vielmehr mit der Formulierung der Ziele und einer langfristigen Strategie. Außerdem wird es bei Uneinigkeit der unteren Organe ein- geschaltet (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 136). Dem ZK ist das Politbüro nachgeordnet: das eigentliche Exekutivorgan der Partei, das die alltägliche Herrschaft organisiert (vgl. Chakra- barty/Kujur 2010: 13). An seiner Spitze steht der Generalsekretär. Seit Gründung der CPI (Maoist) wird dieses Amt von Muppala Lakshmana Rao, alias Ganapathy, bekleidet, dessen Führungsstil als relativ uncharismatisch bewertet wird. Dies muss aber nicht als Schwäche gewertet werden, verweist es doch eher auf die fortgeschrittene formale Institutionalisierung der Partei (vgl. Spacek 2011: 6). So wurden zwar innerhalb der letzten drei Jahre 17 Mitglie- der aus dem Führungszirkel getötet oder verhaftet (The Hindu 2010). Diese Verluste konnten jedoch stets durch neue Kader kompensiert werden, was auf die weitverbreitete Anerkennung des Amtsprinzips sowie erfolgreiche Entpersonalisierung verweist. Dies sind Indizien für die stark fortgeschrittene Institutionalisierung und Stabilität der Organisation.

Seit dem Zusammenschluss zur CPI (Maoist) hat sich außerdem eine Spezialisierung der Or- ganisation vollzogen, nach der diese in zwei Flügel, einen politischen und einen militärischen, untergliedert ist (vgl. The Hindu 2010). Im Politbüro sind die Führer beider Flügel gleicher- maßen repräsentiert.

Die Hauptaufgabe des politischen Flügels ist es, Verbindungen zur Bevölkerung herzustellen, mit dem Versuch ihre Unterstützung zu erlangen. Dazu gehören Propagandaarbeit, Rekrutierung, die Organisation von Protestbewegungen und Demonstrationen sowie die Verwaltung der kontrollierten Gebiete. Der militärische Flügel ist zuständig für Bewaffnung, militärisches Training sowie die Durchführung der militärischen Operationen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 151). Diese Form der Arbeitsteilung verweist also darauf, dass die Organisation nicht nur horizontal sondern auch vertikal strukturiert ist. Diese funktionale Differenzierung der Partei setzt sich mit der Spezialisierung der unteren Komitees fort.

Trotz einer starken zentralen Spitze, ist Dezentralisierung (vgl. Preisendörfer 2011: 71) ein weiteres Strukturprinzip der Organisation. So sind dem Politbüro die verschiedenen RegionalKomitees nachgeordnet, die die weiträumige geografische Ausbreitung der Organisation widerspiegeln (vgl. Abbildung 2; Chakrabarty/Kujur 2010: 136).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Organigramm der CPI (Maoist) (Ramana 2008: 198)

Diese Struktur setzt sich feingliedrig über mehrere Ebenen bis zum lokalen Kontext fort (vgl. Anhang 1). Dabei werden von oben nach unten Verwaltungsaufgaben, also die alltägliche Form von Herrschaft delegiert. Nach diesem Prinzip formulieren die oberen Instanzen für die ihr untergeordneten Ebenen Zielvorgaben, die wiederum Berichte bezüglich der Umsetzung an ihre Vorgesetzten schicken. In Ausnahmefällen greift jedoch die obere Ebene ein (CPI-M 2004 a: 6).

Dezentralisierung wird aufgrund der weiträumigen Ausbreitung der Naxaliten sowie ihres variierenden Einflusses in den verschiedenen Gebieten notwendig. Hinzu kommt, dass die Kommunikation wegen des Untergrundcharakters der Partei erschwert ist und deshalb den unteren Ebenen ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden werden muss (vgl. Spacek 2011: 6; Chakrabarty/Kujur 2010: 5f.). Ermöglicht wird die dezentrale Struktur durch die ausge- prägte Rationalisierung der Organisation, die den einzelnen Instanzen Kompetenzen zuweist, sie in eine strenge Hierarchie integriert und von ihnen aktenmäßige Offenlegung ihrer Aktivi- täten verlangt.

Bedingt durch den Untergrundcharakter der Partei funktioniert die dezentrale Struktur in der Praxis jedoch nicht immer reibungslos und ist anfällig für Kommunikationsprobleme (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 76). So kommt es immer wieder vor, dass lokale Einheiten Operati- onen durchführen, wie etwa die Entgleisung eines Zuges in West Bengalen im Jahr 2010, mit delegitimierenden Folgen, von der sich die zentrale Führung im Nachhinein distanziert (vgl. Livemint 2010).

Der militärische Flügel der Partei untersteht ebenfalls dem Politbüro. An der Spitze befindet sich die Zentrale Militärkommission (ZMK), die die Leitung der People ’ s Guerilla Army (PGA) innehat. In der Verfassung der CPI (Maoist) wird die PGA als Hauptinstrument der Partei genannt. Parallel zur politischen Struktur ist auch die PGA organisiert. So ist sie eben- falls nach fünf Regionaleinheiten untergliedert.53 Auch ihre nachgeordneten Ebenen sind nach dezentralen, regionalen Gesichtspunkten geordnet (vgl. Chakrabarty/Kujur 2011: 151).

Die bewaffneten Kämpfer sind in drei Gruppen unterteilt. Die Hauptstreitkräfte, die nicht ört- lich gebunden sind und dort eingesetzt werden wo Bedarf besteht, unterstehen direkt dem ZMK. Die zweite Gruppe, die sogenannten Guerillia Squads, sind den lokalen Ebenen zuge- ordnet (vgl. Anhang 1). Auf Dorfebene, wo die Maoisten in der Lage waren Gebietsherrschaft zu etablieren, bestehen des Weiteren sogenannte Volksmilizen zu Zwecken der Verteidigung (vgl. The Hindu 2010). Es existieren keine offiziellen Zahlen bezüglich der Stärke der PGA. Jedoch wird geschätzt, dass Hauptstreitkräfte und Guerilla Squads zwischen 10.000 und 20.000 Mitglieder haben (vgl. Marwah 2009: 130). Die Anzahl der Mitglieder der Volksmilizen wird auf ca. 30.000 geschätzt (vgl. The Hindu 2010).54

Auch der Gewaltapparat der Maoisten ist nach formal-rationalen Grundsätzen organisiert und erinnert an die Struktur staatlicher Armeen. So ist die Hierarchie der PGA nach Rängen ge- ordnet und die Einheiten sind in Divisionen, Platoons und Bataillonen untergliedert (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 138). Die strenge Neuorganisation des Gewaltapparates nach forma- len hierarchischen Prinzipien, inklusive verstärkter funktionaler Differenzierung55, hat dazu beigetragen, dass die PGA innerhalb von zehn Jahren ihre operationalen Kapazitäten erheblich ausweiten konnte (vgl. FICCI 2009: 27; Kumwat 2010: 53). In ihrer Anfangszeit griff sie maßgeblich im Schutze der Dunkelheit kleine Polizeigruppen mittels sogenannter hit-and-run Attacken an. Mittlerweile ist sie in der Lage, gut geplante und koordinierte Angriffe mit hun- derten Kämpfern am helllichten Tage auszuführen, wobei versucht wird große Gruppen der Sicherheitskräfte einzukreisen und unter Feuer zu nehmen (vgl. Marwah 2009: 145). Das macht sie heute zur professionellsten bewaffneten Gruppe Indiens (Chakrabarty/Kujur 2010: 161).

Dieser Prozess der Professionalisierung des Gewaltapparates hat aber gleichzeitig zu einer verstärkten Militarisierung der Partei geführt. Demnach tritt graduell die Arbeit des politischen Flügels zur Erlangung von Unterstützung unter der Bevölkerung, hinter die Logik des militärischen Flügels zurück (vgl. The Hindu 2010).

Die Mitgliedschaft zur Partei ist beschränkt. Aus Angst vor Infiltration durch staatliche Sicherheitskräfte, weist die Verfassung darauf hin, dass Anwärter mit Bedacht ausgewählt werden sollen. Sie müssen eine längere Überprüfung über sich ergehen lassen und erhalten zunächst nur eine Mitgliedschaft auf Probe. Von ihnen wird verlangt, dass sie unkritisch gegenüber der Ideologie sind und ihre persönlichen Interessen der Partei unterordnen (CPI-M 2005 a: 3-5). Disziplinierung der Mitglieder erfolgt durch ideologischen Unterricht sowie Bestrafung bei Zuwiderhandlung der Ordnung (CPI-M 2005 a: 5-6).

Neue Mitglieder beginnen ihre Arbeit innerhalb des politischen Flügels auf unterster Ebene. Ihre Aufgabe ist es Pamphlete zu verteilen, Mitteilungen zu transportieren sowie Aufklärungsarbeit für die bewaffneten Kräfte zu liefern. Bewährt sich das Mitglied, stehen ihm verschiedene Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Partei offen, nach militärischem Training auch der Zugang zur PGA (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 137). Vollwertige Mitglieder sind Berufsrevolutionäre (vgl. Lenin 1972: 153/168), von ihnen wird verlangt, dass sie ihre bisherige Existenz aufgeben. Im Gegenzug erhalten sie finanzielle Entlohnung und Aussicht auf eine Karriere innerhalb der Partei (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 137).

Die Mitgliederstruktur ist sehr heterogen geprägt. Es finden sich insbesondere jene, die am untersten Ende der indischen Gesellschaftsstruktur stehen stark in der Partei repräsentiert. Dazu gehören insbesondere Adivasis, Dalits, verarmte Bauern sowie relativ viele Frauen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 71).

Die Partei verfügt außerdem über viele gut gebildete Mitglieder der Mittel- und Oberschicht (vgl. Mehra 2008: 21). So fühlen sich viele Intellektuelle und Studenten von der maoistischen Ideologie angesprochen (vgl. Raman 2010). Es wird versucht, ihre fachlichen Qualifikationen für die Partei nutzbar zu machen. So werden Medizin- und Ingenieursstudenten in die Regio- nen entsandt, wo die Maoisten ein gewisses Maß an Einfluss herstellen konnten, um die Ge- sundheitsversorgung zu verbessern bzw. Entwicklungsprojekte durchzuführen. Es ist außerdem bekannt, dass Geisteswissenschaftler mit der Aufgabe betraut werden, die politische, soziale und ökonomische Entwicklung von Regionen zu untersuchen, in denen die Naxaliten noch nicht präsent sind, um sie dahingehend zu überprüfen, ob Unterstützung für die Maoisten wahrscheinlich ist (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 78).

Allerdings fällt auf, dass im Führungszirkel, weder Adivasis, Dalits, noch Frauen repräsentiert sind. Diejenigen an den Schaltstellen der Partei entstammen gemeinhin den höher gestellten Kasten und verfügen über einen akademischen Bildungshintergrund. Die einfachen Positionen, insbesondere die der kämpfenden Mitglieder, werden von den marginalisierten Schichten der indischen Gesellschaft gestellt (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 197).

Des Weiteren haben die Maoisten Lenins Strategie der Frontorganisationen übernommen (vgl. Lenin 1972: 160-200). Dabei handelt es sich um Organisationen, die in der legalen Sphäre operieren und gesellschaftliche Probleme bearbeiten. So existieren eine Reihe von Gewerk- schaften sowie spezielle Organisationen für Dalits, Adivasis, Bauern und Frauen. Sie dienen dazu, tief in die Gesellschaft vorzudringen und das Mobilisierungspotential der Naxaliten zu vergrößern (vgl. Reddy 2008: 93). Über das tatsächliche Ausmaß und auf welche Weise diese mit der Partei verbunden sind, ist wenig bekannt. Laut Mukherji sind aber allein in Dandaka- ranya, einer Region in der die Naxaliten über einen sehr hohen Einfluss verfügen, über 200.000 Menschen in den maoistischen Frontorganisationen vereinigt (2010).

Die geschilderte Struktur macht deutlich, dass die CPI (Maoist) zu einem sehr hohen Grade institutionalisiert ist. Ihre formal-rationale Organisation in Verbindung mit bürokratischen Prinzipien wie strenger Hierarchie, Arbeitsteilung, aktenmäßige Fixierung sowie die Professi- onalisierung der Mitglieder erlauben einen regelgebundenen Betrieb und sorgen für ein hohes Maß an innerparteilicher Stabilität sowie Legitimität. Dafür sind zum einen die Orientierung an Vorbildern der kommunistischen Parteistruktur sowie die Umsetzungen ihres jahrelangen Lernprozesses entscheidend. Das Prinzip des demokratischen Zentralismus erlaubt eine weite geografische Ausbreitung der Partei, ohne ihr Auseinanderbrechen zu begünstigen. Auf diese Weise erlangen die Maoisten ein hohes Maß an Organisationsmacht. Des Weiteren macht die Teilung der Partei in einen politischen und einen militärischen Flügel klar, dass nicht nur der Gewalteinsatz zur Erreichung des angestrebten Zieles ausschlaggebend ist. Die Maoisten le- gen sehr viel Wert auf die Etablierung einer guten Beziehung zur Bevölkerung, um die Insti- tutionalisierung ihrer Macht voranzutreiben und diese mit einem Höchstmaß an Legitimität auszustatten. Sie haben ein Programm entwickelt, das auf die Unterprivilegierten der Gesell- schaft sehr gut zugeschnitten ist, um aus ihren Kreisen erfolgreiche Mobilisierungsversuche vornehmen zu können.

7 Institutionalisierung von Gebietsherrschaft

“ Naxalites typically operate in a vacuum created by inadequacy of adminis trative and political institutions … [they] espouse local demands and take advan tage of the prevalent disaffection and perceived injustice among the underprivi leged and remote segments of the population. ” Zitiert aus dem Jahresbericht des indischen Innenministeriums (MHA 2007: 26).

Das folgende Kapitel soll die beiden vorherigen zusammenbringen. Im Vordergrund steht die Untersuchung, auf welche Weise der kollektive Akteur CPI (Maoist) sein Handeln an den Bedingungen politischer Herrschaft orientiert.

Das Verbandshandeln der CPI (Maoist) zielt darauf, graduell ihren Einfluss auszudehnen, mit dem Ziel effektive Gebietsherrschaft zu etablieren, um sich als Alternative zur staatlichen Herrschaft darzustellen. Dies ist ihnen bisher jedoch nur teilweise, in einem kleinräumigen Maße gelungen (vgl. FICCI 2009: 28). Zu diesem Zweck greifen die Naxaliten die Herr- schaftsstrukturen in den Regionen an, wo der Staat ohnehin nur schwach institutionalisiert ist. Während sie die Macht des Staates beschneiden, unternehmen sie Anstrengungen an dieser Stelle ihren Einfluss auszuweiten. In diesem Zusammenhang kann eine ganze Bandbreite un- terschiedlicher Aktivitäten beobachtet werden, die sich in den vier beschriebenen Machtfor- men darstellen lassen. In der Folge wird versucht, die Macht durch schrittweise Institutionali- sierung zu konsolidieren. Zur Stabilisierung tragen verschiedene Formen der Legitimität bei. Spätestens seit Formierung der PWG verfolgt die naxalitische Bewegung die Strategie, zu- nächst in jenen Regionen Fuß zu fassen, wo die staatliche Herrschaft besonders schwach insti- tutionalisiert erscheint (vgl. Singh 2010: Kap.7). Diese Strategie steht im Einklang mit Maos Lehre, wonach die Guerilla die Schwachstellen des weitaus stärkeren Gegners identifizieren muss, um dort gezielt zuzuschlagen. So orientiert sich das Handeln der Naxaliten an den Be- dingungen politischer Herrschaft im Lokalen.

Die mangelnde Verbindung zum Staat dieser Regionen zeigt sich auch physisch, so handelt es sich bei den bevorzugten Regionen häufig um recht unzugängliche Berg- oder Waldgebiete, die kaum durch Brücken und Straßen mit dem Rest des Landes in Verbindung zu stehen scheinen. Dabei werden die Naxaliten insbesondere in den Grenzgebieten zwischen den Bun- desstaaten fündig, da diese häufig nach geografischen Gesichtspunkten getrennt wurden (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 138). Ihre periphere Stellung ist dafür verantwortlich, dass die Be- wohner meist relativ zurückgezogen vom staatlichen Einfluss leben. Die Stammesgemein- schaften in jenen Regionen pflegen enge Verbindungen auch über die Staatsgrenzen hinweg, was für die Naxaliten gute Voraussetzungen bietet, ihre Macht auszudehnen (vgl. Guha 2009: 180). Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus juristischer Sicht. Da die Bundesstaaten unterschiedliche rechtliche Zuständigkeitsbereiche repräsentieren, müssen die Sicherheitskräfte der Bundesstaaten die Verfolgung der Naxaliten abbrechen, sofern diese die Grenze passieren (vgl. Ghildijal 2006; FICCI 2009: 39).

7.1 Angriff auf die bestehende Ordnung

Die Maoisten vollziehen Angriffe direkt gegen die Strukturen staatlicher Herrschaft. Das Ziel ist es, die Position des Staates, in den umkämpften Gebieten zu erschüttern und seinen Ein- fluss zurückzudrängen, um letztlich Liberated Zones zu errichten. Ganapathy, der General- sekretär der CPI (Maoist), hat in einem Interview 2004 das eigene Vorgehen wie folgt be- schrieben:

„ In the areas where we are a force to reckon with, we have taken up issues of political economic, social and cultural oppression extensively [ … ], where peo ple ’ s power is being established by restricting the political power of the enemy classes (zit. nach People’s March 2004: 178).

Sobald die Maoisten ein gewisses Maß an Unterstützung unter der lokalen Bevölkerung er- langt haben, beginnen sie, die bestehende Ordnung zu penetrieren (vgl. Jha 2008: 64), die maßgeblich nur über die verschiedenen Formen der Basislegitimität gestützt wird. Insbesondere der staatliche Gewaltapparat gerät dabei ins Fadenkreuz der maoistischen Re- bellen. Die PGA, ihre bewaffneten Kräfte, sind sehr gut in Guerilla-Kriegsführung geschult. Im Gegensatz zu den staatlichen Sicherheitskräften sind sie mit dem schwierigen Gelände vertraut und unterhalten enge Verbindungen zur Bevölkerung, die sie über Truppenbewegun- gen unterrichtet. Das versetzt sie in die Lage, die direkte Konfrontation mit den meist besser ausgerüsteten staatlichen Sicherheitskräften zu vermeiden und aus dem Hinterhalt zuzuschla- gen (vgl. Ramachandran 2011: 24).

Für diesen Zweck kommen immer wieder Sprengfallen zum Einsatz, sogenannte Improvised Explosive Devices (IED) 56, die beträchtliche Verluste unter den patrouillierenden Polizisten verursachen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen (vgl. Dash 2006: 96). Diese Art der Kriegsführung hat ein Klima der Angst erzeugt und somit zu einem erheblichen Verlust der Moral unter den staatlichen Sicherheitskräften beigetragen, die sich in der Folge häufig wei- gern, in Regionen, die unter Einfluss der Maoisten stehen, Präsenz zu zeigen und diese her- auszufordern (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 151; Pandey 2010: 35; Harivansh 2008: 24). Dies ist ein Indiz für einsetzende Akkomodation zwischen Staat und Naxaliten.

Darüber hinaus haben die Maoisten die Taktik entwickelt, in großer Zahl, häufig mit hunder- ten Kämpfern, ganze Ortschaften am helllichten Tag zu überfallen, sofern sie sich ihrer Übermacht sicher sein können (vgl. Chakravarti 2007: 3f.). Ihr bevorzugtes Ziel sind Polizei- stationen. Die Polizisten werden getötet oder verschleppt, ihre Waffen gestohlen57 (vgl. Singh 2008: 15).

Aber die Gewalt der Maoisten richtet sich nicht nur gegen die staatlichen Ordnungshüter. Auch Repräsentanten des Systems, wie Beamte und Politiker werden getötet oder verschleppt, um als Druckmittel für Forderungen zu dienen (vgl. Harivansh 2008: 18f.; Reddy, K. 2008: 95). Auch soziale Eliten, wie Großgrundbesitzer und Unternehmer, die von vielen als Unter- drücker wahrgenommen werden, werden öffentlich gedemütigt, vertrieben oder umgebracht (vgl. FICCI 2009: 32).

Peter Waldmann fasst terroristische Anschläge als symbolträchtige Kommunikationsstrategie, die beabsichtigt das Vertrauen in die bestehende Ordnung zu zerstören (1998: 10-14/28-39). So dienen die Gewalttaten der Naxaliten, der Einsatz von Sprengfallen und gezielte Tötungen, nicht nur der physischen Ausschaltung des Gegners, sie sind auch als Botschaft an die Bevöl- kerung zu verstehen, wonach die staatliche Herrschaft keinen Bestand mehr habe. Die regelmäßigen Gewaltakte gegenüber den Repräsentanten der Ordnung lassen in den Au- gen der Bevölkerung das Bild staatlicher Überlegenheit schwinden und erzeugen ein Gefühl der Unsicherheit.58 Sie demonstrieren den Beobachtern die relative Machtlosigkeit des Staates und gleichzeitig die Überlegenheit der Naxaliten (vgl. Spacek 2010). Auf diese Weise wird die staatliche Basislegitimität der überlegenen Gewalt erheblich erschüttert. Um die von den Naxaliten anvisierten Regionen vom staatlichen Einfluss abzuschneiden, konzentrieren sie darüber hinaus ihre Angriffe auf die Symbole staatlicher Organisations- macht (vgl. FICCI 2009: 32). Neben den schon erwähnten Polizeistationen weiten die Maois- ten ihre Angriffe insbesondere auf staatliche Verwaltungsgebäude und Infrastruktur aus. In Orissa und Bihar haben die Naxaliten auf spektakuläre Art und Weise ganze Staatsgefängnis- se unter ihre Kontrolle gebracht und hunderte gefangene Kader befreit (vgl. Chakrabar- ty/Kujur 2010: 28; Dash 2006: 68).

Hinzu greifen die Maoisten immer wieder Straßen, Brücken, Gleisanlagen und Kommunikati- onstürme an, um das alltägliche Leben zu paralysieren (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 167). Wiederholt haben sie ganze Züge mit hunderten Passagieren gekidnappt (vgl. Mitra 2009: 26). Bedienstete der Eisenbahn und Straßenarbeiter werden bedroht und entführt. Kataster und Akten der staatlichen Bürokratie werden zerstört (vgl. Chakrabarty/ Kujur 2010: 33). Als Fol- ge dieser Aktionen, kommt die staatliche Verwaltung zum Stillstand (vgl. Dhar 2009). Des Weiteren rufen die Maoisten mit erheblichem Erfolg die Bewohner der Regionen, die unter ihrem Einfluss stehen, dazu auf, Steuerzahlungen gegenüber dem Staat einzustellen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 75). Die gleichzeitige Besteuerung von Unternehmen und Dörfern durch die Naxaliten (vgl. Abschn. 7.2) stellt die staatliche Autorität in Frage und offenbart die geringe Reichweite des Staates.

Seit knapp vier Jahren haben die Maoisten eine neue Taktik, den Bandh, d.h. die temporäre Stilllegung des öffentlichen Lebens, entwickelt (vgl. FICCI 2009: 29). Dabei arbeiten Mit- glieder der öffentlichen Frontorganisationen und die bewaffneten Kräfte Hand in Hand (vgl. Dash 2006: 44). Die Naxaliten rufen in bestimmten Regionen zu einem Generalstreik auf und blockieren gleichzeitig alle Zugangsstraßen und Gleise einer Region. Bei einer dieser ökono- mische Blockaden im Jahre 2009 in Jharkhand, hielten die Naxaliten gezielt Kohle und Eisen aus der Region raus, wobei der Wirtschaft ein Schaden von geschätzt 1,5 Milliarden Rupien (ca. 22 Millionen Euro) entstanden ist (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 167).59 Während die Maoisten durch diese Blockade des Alltags ihre Präsenz in der Region spürbar machen, er- scheint der Staat, der dies nicht verhindern kann, machtlos. Durch all diese Aktionen gerät die Organisationsmacht und damit zusammenhängend diese Form der Basislegitimität des Staates unter Druck und schwindet. Wenn der Staat in seiner Counterinsurgency-Strategie verkündet, dass Entwicklungsprojekten in den betroffenen Regionen erst durchgeführt werden könnten, sobald die Maoisten militärische geschlagen sind (vgl. MHA 2010), erkennt er indirekt diese Tatsache an.

Die kontinuierlichen Angriffe und die vorherrschende Gewalt sind Kennzeichen der Außeralltäglichkeit und erzeugen ein Klima der Angst und Unsicherheit. All diese beschriebenen Aktivitäten seitens der Maoisten reißen den Alltag der dort lebenden Bevölkerung nieder und entwerten Ordnungswert, Investitionswert und Alltagswert der bestehenden Ordnung. Zudem provozieren die Angriffe der Naxaliten immer wieder undifferenzierte Gewaltanwendungen der staatlichen Sicherheitskräfte gegenüber der Bevölkerung.

Letztlich gerät auch die staatliche Basislegitimität der kulturellen Zugehörigkeit unter Druck. So wenden sich die Maoisten gezielt an jene, die sich ohnehin vom Staat entfremdet fühlen. Mittels ihrer Propaganda und ideologischen Indoktrinationen suggerieren sie ihnen, dass es sich beim Staat um Fremdherrschaft handele (zur Ideologie vgl. Abschn. 6.2.1; zur Propagan- da vgl. Abschn. 7.2).

Dort wo die Maoisten ein gewisses Maß an Einfluss erreichen konnten, rufen sie zudem die Bevölkerung unter Androhung von Gewalt dazu auf, demokratische Wahlen zu boykottieren (vgl. Dash 2006: 78f).60 An anderen Orten konnten aufgrund der Gewalt gar nicht erst welche durchgeführt werden (vgl. Chakravarti 2007: 87). Diese Strategie setzt direkt am Legitimitätsverständnis des unabhängigen indischen Staates an.

Die verschiedenen Strategien der Naxaliten setzen die staatliche Herrschaft in den Regionen ihrer Aktivitäten erheblich unter Druck. Die staatlichen Strukturen sind in diesen Gegenden ohnehin nur schwach institutionalisiert. Die gezielten Angriffe seitens der Maoisten, die sich auf die Schwachpunkte staatlicher Herrschaft konzentrieren, erschüttern das prekäre Funda- ment der staatlichen Ordnung, die Basislegitimität, und lassen es mitunter erodieren. Diese Entwicklung lässt ein Vakuum entstehen, das als Voraussetzung dient, um die entstehende Ordnung der Maoisten zu einer effektiven Gebietsherrschaft zu institutionalisieren und mit Legitimität auszustatten.

7.2 Machtanwendung der Naxaliten

Neben dem gewalttätigen Handeln der Maoisten, das auf die Herausforderung der bestehenden Herrschaft zielt, setzen sie weitere Machtformen ein, um Einfluss auf die soziale Ordnung zu nehmen, diese zu verändern und sich mit ihr zu verbinden.

Bevor die Maoisten sich entschließen, in eine neue Region vorzudringen und versuchen ihren Einfluss auszudehnen, führen sie detaillierte sozioökonomische Untersuchungen dieser Gebie- te durch, mit dem Schwerpunkt auf Missstände, die sie zu instrumentalisieren suchen (vgl. Econmist 2006). Ist die Situationen günstig, werden verschiedene Machtformen eingesetzt, mit dem Ziel, eigenen Einfluss auszubauen bei gleichzeitiger Zurückdrängung konkurrieren- der Mächte.

Die Ausübung von Gewalt als Aktionsmacht wurde bereits eingehend im vorherigen Abschnitt beschrieben. Durch ihren Einsatz wird die bestehende Ordnung erschüttert, was den Naxaliten die Möglichkeit bietet, ihren Einfluss auszudehnen. Die Verfügbarkeit über erhebliche Gewaltmittel ist Grundlage für den Einsatz weiterer Machtformen.

Drohung als Instrumentelle Macht:

Aufgrund ihres Gewaltpotentials sind die Naxaliten in der Lage, Drohungen zur Steuerung des Handelns derjenigen, die in ihrem beanspruchten Einflussbereich leben, einzusetzen. Die beschriebene Ausübung von Gewalt kann von den Betroffenen bereits als indirekte Dro- hung aufgefasst werden, sich in ihrem zukünftigen Handeln nicht gegen den Machtanspruch der Naxaliten zu wenden.

Die Maoisten beabsichtigen mit der Ausübung Instrumenteller Macht, sich in die sozialen Zusammenhänge der umkämpften Regionen einzubinden. So wenden sich die Drohungen zwar insbesondere gegen die Mächtigen der vorherrschenden sozialen Ordnung, zugleich zielen sie aber auch darauf, die Lebensbedingungen der einfachen Bevölkerung zu verbessern, um deren Unterstützung zu erlangen.

Neben den staatlichen Strukturen sind maßgeblich die sozialen Eliten, insbesondere die Groß- grundbesitzer, verantwortlich für die Reproduktion der bestehenden sozialen Ordnung. Die herausragende Machtstellung der Großgrundbesitzer beruht neben dem materiellen Besitz insbesondere auf der Verfügbarkeit von Gewaltmitteln, in Form von Schusswaffen (vgl. Shah 2010: 180). Um ihre Macht zu beschneiden und die eigene noch zu verstärken, sammeln die Naxaliten unter Androhung von Gewalt diese Waffen ein (vgl. Shah 2010: 179). Wenn der Staat keinen glaubhaften Schutz bieten kann und die Großgrundbesitzer entwaffnet sind, wer- den sie in der Folge gefügiger für weitere Anwendungen Instrumenteller Macht der Naxaliten. Personen, die von der Bevölkerung gemeinhin als Unterdrücker wahrgenommen werden, etwa korrupte Beamte und gewalttätige Großgrundbesitzer, erhalten von den Maoisten eine War- nung, derlei Praktiken in Zukunft zu unterlassen (vgl. Samu 2008: 79). Des Weiteren werden Großgrundbesitzer dazu aufgefordert auf den Frondienst zu verzichten und Teile ihres Landes an die Landlosen zu übertragen. Weigern sie sich, wird das Land gewaltsam besetzt und ver- teilt, mitunter der vormalige Besitzer vertrieben oder gar getötet (vgl. Millet 2008). In man- chen Regionen, insbesondere im Bundesstaat Bihar führte dies aber zur Eskalation. Groß- grundbesitzer und hohe Kasten gründeten eigene Milizen, um sich vor den Naxaliten zu schützen und auf sie Jagd zu machen (vgl. Kumar 2009).61

Forstunternehmer werden mit Waffengewalt gezwungen, den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen. Diese Strategie war dermaßen erfolgreich, dass die Naxaliten Forstarbeiter im ganzen Land aufriefen, sie einzuladen, sofern sie Probleme mit der Entlohnung hätten (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 178). Interessanterweise setzen in diesem Kontext die Naxaliten die staatliche Ordnung durch, die bisher keine Beachtung gefunden hat.

Sobald die Maoisten in neuen Regionen Fuß fassen und ihre Macht konsolidieren konnten, beginnen sie außerdem mit der Besteuerung. Von Großunternehmern und Konzernen, insbe- sondere aus den Bereichen Straßenbau, Bergbau und Schwerindustrie, werden finanzielle Ab- gaben, die sogenannte Revolutionssteuer, eingefordert. Dabei handelt es sich um nichts ande- res als Schutzgeld (vgl. Chakravarti 2007: 78). Weigern sich die Unternehmen zu zahlen, ris- kieren sie bewaffnete Überfälle durch die Naxaliten. Vom Staat können sie in den meisten Fällen keinen effektiven Schutz erwarten. Die Steuerquote variiert zwischen 12% und 30% der Einnahmen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 179; Jha 2008: 73). In manchen Regionen sind die daraus erzielten Gewinne der Naxaliten weit höher als die Einnahmen des Staates durch die Gewerbesteuer (vgl. Jha 2008: 73). Wenn Maoisten in der Lage sind, in manchen Regio- nen mehr Steuern einzunehmen als der Staat, so ist dies ein Kennzeichen dafür, dass die ma- oistische Ordnung die staatliche verdrängt. Es konnte sogar bewiesen werden, dass mancher- orts staatliche Beamte, aus Angst vor Übergriffen, Schutzgelder an die Maoisten gezahlt ha- ben (vgl. Harivansh 2008: 22).

Um den Ausbau staatlicher Infrastruktur in ihren beanspruchten Regionen zu unterbinden, wurden wiederholt Straßenarbeiter unter Gewaltandrohung aufgefordert, ihre Arbeit nicht fortzusetzen. Jene, die sich nicht fügten, wurden verschleppt oder getötet. Dies lässt die Orga- nisationsmacht des Staates im Hinblick auf Infrastrukturprojekte zum Teil zum Erliegen kommen.

Des Weiteren existiert eine Vielzahl an Berichten, wonach staatliche Beamte, insbesondere Ärzte und Lehrer, die in jenen Regionen nicht zu ihrem Dienst erschienen, von den Naxaliten gezwungen wurden, ihre Arbeit zu verrichten (vgl. Reddy, K. 2008: 94; Ramachandran 2011). Alpa Shah hat in diesem Zusammenhang auf die Wahrnehmung des dualen Charakters der Naxaliten durch die Bevölkerung hingewiesen (2010: 181): Für die meisten äußert sich die Sichtbarkeit der Maoisten lediglich in den lokalen Parteimitgliedern und Funktionären, die den unterschiedlichen Instanzen, die Forderungen der Naxaliten überbringen. Allerdings ist sich die Mehrheit der betreffenden Bevölkerung, durch punktuelle Brüche der Geheimhaltung und dem Vollzug von Sanktionen, bewusst, dass sich im Verborgenen ein erhebliches Ge- waltpotential in den Händen der Maoisten befindet. Das erzeugt Unsicherheiten bezüglich der Größe, Ausbreitung und Kapazitäten der Organisation (vgl. Shah 2010: 179) und versetzt sie in die Lage, ihre Drohungen erheblich zu dehnen. Die Unsicherheit erzeugt unter der Bevöl- kerung ein hohes Maß an Konformität.

Die Ausübung Instrumenteller Macht durch die Naxaliten gegenüber vielen verschiedenen Instanzen der Bevölkerung zielt darauf, Einfluss auf das Verhalten der Menschen zu nehmen. Je höher das Maß an Konformität, desto mehr binden sich die Maoisten in den sozialen Kontext ein und verändern die soziale Ordnung in ihrem Sinne.

Technisches Handeln als Datensetzende Macht:

Die Ausübung Datensetzender Macht nimmt nur einen geringen Anteil maoistischer Aktivitä- ten ein, um Einfluss auf die sozialen Verhältnisse zu nehmen.62 Wenn sie es tun, so zielt es gemeinhin darauf, mittels relativ geringen Einsatzes die Lebensbedingungen der armen Be- völkerung merklich zu verbessern, um von ihr Unterstützung zu erfahren.63 Im recht unpro- duktiven Agrarsektor unterrichten Experten der Maoisten die Bauern in modernen Anbau- techniken und verteilen Saatgut und Dünger. Ingenieure der Naxaliten bohren Brunnen und errichten Bewässerungssysteme für das Ackerland (vgl. Mohanty 2006: 5) Sogenannte Bare- foot Doctors verteilen Medikamente und leisten einfachste medizinische Versorgung (vgl. Millet 2008/ Navlakha 2010:7).

Herstellen autoritärer Verbindung und Autoritative Macht:

Es wurde gezeigt, dass die Ausübung der beschriebenen Machtformen durch die Maoisten sich nicht nur auf die gewalttätige Auseinandersetzung mit den identifizierten Gegnern be- schränkt. Sie versuchen außerdem Einfluss auf die soziale Ordnung zu nehmen und besonders die Unterstützung der Bevölkerung zu erlangen, indem sie sich als Alternative zur vorherr- schenden Ordnung darstellen, um einen höheren Grad der Legitimität zu erreichen. Sobald die Naxaliten in neue Regionen vorzudringen versuchen, beginnen sie unter der Be- völkerung Propagandamaterial zu verbreiten und ideologische Schulungen anzubieten, in de- nen die Schwäche des Staates und die sogenannten ausbeuterischen Strukturen der indischen Gesellschaft thematisiert werden (vgl. Reddy, K. 2008: 93). Des Weiteren organisieren sie Volksfeste. Auf diese Weise finden sie Unterstützer für ihr politisches Programm, unter denen sie neue Gefolgschaft rekrutieren. In einem nächsten Schritt werden Protestbewegungen und Frontorganisationen gegründet, um die Unterstützer in den institutionellen Rahmen der CPI (Maoist) zu integrieren (vgl. Reddy, K. 2008: 93; FICCI 2009: 36). Diese veranstalten fortan Demonstrationen und Streiks, die die Präsenz der Maoisten bemerkbar machen. Auf diese Weise wird die lokale Bevölkerung organisiert, die zuvor, aufgrund von Fragmentierung und Staffelung, Schwierigkeiten hatte, geeinten Widerstand gegen die bestehende Herrschaft zu formieren. Die hoch formalisierte Partei CPI (Maoist) ist durch die beschriebenen Aktivitäten in der Lage diese Menschen von außen zu organisieren. Ihre Organisation hat die Kapazität, Solidarität unter den Unterdrückten zu erzeugen (vgl. Duara 2011: 36).

Dies geschieht in einem Kontext, wo Modernisierungsbestrebungen in vielen Regionen Indiens zu sozialen Verwerfungen geführt haben und die traditionalen Ordnungen erodieren ließen. Die Betroffenen verfallen in existentielle Krisen und fühlen sich orientierungslos. Gleichzeitig ist der Staat nicht in der Lage, diese Gesellschaftsschichten in seine Ordnung gänzlich zu integrieren. Des Weiteren werden breite Teile der Gesellschaft in Indiens Peripherie weiterhin strukturell marginalisiert. Dies macht sie sehr empfänglich für die Intervention der Maoisten (vgl. FICCI 2009: 30). So setzen diese gezielt an jenen Stellen an, wo die Bevölkerung sich vom Staat alleingelassen fühlt.64 Die Maoisten versuchen mittels des Einsatzes der oben beschriebenen Aktivitäten, für diese eine merkliche Verbesserung ihres alltäglichen Lebens herzustellen, um enge Verbindungen zu knüpfen.

Indem die Maoisten sich für die Belange der marginalisierten Schichten der Bevölkerung einsetzen, sich als Beschützer und Vertreter ihrer Interessen inszenieren und das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft stärken (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 192), erfolgt eine Anerkennung durch eine mächtige Instanz, die ihnen bisher verwehrt blieb.

Da die Naxaliten für diese Bevölkerungsgruppe Leistungen durchsetzen können, von denen sie erheblich profitieren und die weit außerhalb ihres eigenen Einflusses liegen, offenbart sich Teilen der Bevölkerung die überlegene Macht der Naxaliten (vgl. Jha 2008: 74), die sie wie- derum anerkennen und sich ihr unterwerfen. Über die gegenseitige Anerkennung entsteht eine autoritäre Bindung im Popitzschen Sinne. Diese Beziehung ist äußerst mächtig, führt sie doch dazu, dass die Untergebenen die Maßstäbe der Mächtigen übernehmen, sich ihnen fügen und auch in ihrem Sinne handeln, wenn die andere Seite nicht zugegen ist.65 Komplimentiert mit ideologischer Schulung und Disziplinierung können die Maoisten auf diese Weise neue An- hänger und Mitglieder mobilisieren sowie die Unterstützung durch die Bevölkerung vergrö- ßern. So erhalten die Naxaliten von der Bevölkerung Zuflucht, wichtige Informationen sowie materielle Güter, wie Lebensmittel (vgl. Kujur 2008).

Ein weiterer Effekt ist mit der Tatsache verbunden, dass der Zwang bei Autoritätsbindungen zurücktritt und somit die Wahrscheinlichkeit delegitimierender Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vermindert. Die Autoritätsbindung ist wichtige Ausgangsposition für die weitere Institutionalisierung ihrer Macht und die Keimzelle des Legitimitätsglaubens. Gepaart mit Instrumenteller Macht bilden sie die Grundlage einer legitimen Herrschaftsbeziehung.

Die Maoisten setzen unterschiedliche Machtformen ein, um auf die bestehende soziale Ord- nung einzuwirken und sie gezielt zu verändern. Die Herren der bestehenden Ordnung, staatli- che Strukturen in Verbindung mit lokalen strongmen, werden durch die Intervention der Na- xaliten schrittweise entmachtet. Gleichzeitig zielen ihre Aktionen darauf, die Unterstützung des unteren Segments der lokalen Bevölkerung zu erhalten. Dies führt zu einer graduellen Expansion ihres Einflusses. Der Einsatz der beschriebenen Machtformen kann jedoch nur dort von Erfolg gekrönt sein, wo die Herrschaft des Staates schwach ausgebildet ist und sein Recht nicht durchsetzen kann. Ihre Ausübung unterstreicht die Macht der Naxaliten in Anbet- racht der Machtlosigkeit des Staates.

7.3 Institutionalisierung der Macht - Etablierung von Herrschaft

7.3.1 Normierung und Positionalisierung

Mit der Ausweitung ihres Einflusses bei gleichzeitiger Zurückdrängung des Staates verfolgen die Maoisten das Ziel, Liberated Zones zu errichten. Die effektive Gebietsherrschaft beschreibt jedoch lediglich den Endpunkt eines langen Prozesses, in dem die Maoisten darum bemüht sind, ihre Kontrolle über das soziale Umfeld der Regionen graduell auszudehnen und zu monopolisieren. Durch den gezielten Einsatz der verschiedenen Machtformen kann sich die Macht der CPI (Maoist) mit dem sozialen Umfeld verbinden und seine Ordnung verändern. Über den Institutionalisierungsprozess verfestigt sich ihre Macht.

So sind die Naxaliten präsent und aktiv in vielen Regionen Indiens. Jedoch variieren die Gra- de der Institutionalisierung stark (vgl. FICCI 2009: 35). An vielen Orten bleibt das Handeln der Maoisten auf die Ausübung sporadischer Macht, insbesondere gewalttätige Aktionen, beschränkt. In einigen wenigen, kleinräumigen Gebieten ist ihnen jedoch die Etablierung ef- fektiver Gebietsherrschaft, frei von fremden Einflüssen gelungen. Zwischen diesen beiden Extremen existiert eine große Bandbreite unterschiedlicher Institutionalisierungsstufen. Diese den jeweiligen Regionen eindeutig zuzuordnen, erweist sich jedoch als schwierig, befinden diese sich aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen doch ständig im Fluss. Zudem ist die Informationslage aus den umkämpften Regionen mitunter sehr schlecht. Aus diesem Grunde wird im Folgenden versucht, mittels von Berichten aus unterschiedlichen Regionen den Prozess der graduellen Konsolidierung der maoistischen Macht idealtypisch zu rekon- struieren.

Durch die regelmäßige Anwendung der verschiedenen Machtformen, die sich in einer großen Bandbreite naxalitischer Aktivitäten widerspiegeln, gelingt eine schrittweise Normierung dersozialen Ordnung, sofern die dafür notwendigen Bedingungen erfüllt sind (vgl. Abschn. 7.2). Die Verfügung über ausreichend Machtmittel sowie wiederholbare Situationen, sind in der Regel erfüllt, sofern die Maoisten nicht auf Widerstand, ob aus der Bevölkerung oder vom Staat, stoßen.66 Sind die durchzusetzenden Leistungen außerdem wiederholbar, wie etwa die regelmäßige Besteuerung von Unternehmen und Dörfern, im Gegensatz zur Beschlagnahmung von Land, ist eine weitere Notwendigkeit erfüllt.

Des Weiteren ist es notwendig, dass die machtabhängige Bevölkerung im Einflussbereich der Naxaliten sich ihrer Macht durch Flucht nicht entziehen kann. Auch dieses Erfordernis ist in der Regel gegeben, handelt es sich doch maßgeblich um landabhängige Bauern, die nur im geringen Maße über moderne Beförderungsmittel verfügen sowie Großgrundbesitzer und Unternehmer, deren materieller Besitz immobil ist.

Durch die regelmäßige, gleichgerichtete Anwendung ihrer Machtformen gelingt die schritt- weise Standardisierung des Verhaltens der Personen im maoistischen Einflussgebiet. Auf die- se Weise verbindet sich die Macht der Naxaliten graduell mit dem sozialen Zusammenhang und bindet sich selbst ein. In der Folge können die Maoisten auf erhöhte Konformität der Machtabhängigen zählen. Dies äußert sich etwa dann, wenn die Sicherheitskräfte des Staates aus Angst der Konfrontation mit den Maoisten regelmäßig aus dem Weg gehen; wenn er- zwungene Leistungen, wie erhöhter Mindestlohn und Abschaffung der Fronarbeit, erhalten bleiben; wenn die Besteuerten ihre Abgaben regelmäßig ohne Widerstand leisten.

Durch die normierende Macht werden die sozialen Beziehungen neu arrangiert und verregelt. So müssen die vormaligen Eliten nach Intervention der Maoisten ihre hervorgehobene Stellung einbüßen und werden entmachtet, während die einfache Bevölkerung profitiert und sich ihr zusätzliche Chancen des sozialen Aufstiegs bieten.

In einem weiteren Schritt nimmt der Grad der Institutionalisierung der maoistischen Macht zu und erreicht die Stufe der Positionalisierung, sofern sie in der Lage sind, für die Bevölkerung ihres Einflussbereichs gesellschaftsordnende Funktionen zu übernehmen, die sich zu Positionen bzw. Ämtern innerhalb der Bevölkerung verdichten.

In der etwas vagen Beschreibung der Maoisten als politische Vertreter und Beschützer der Marginalisierten, die für diese regelmäßig Aufgaben und Leistungen durchsetzen, kann bereits die Erreichung positionaler Macht angenommen werden. Wirklich offenbaren tut sich dieser Schritt jedoch, wenn es den Maoisten gelingt, Antworten auf zwei integrale Herausforderungen von Vergesellschaftung in ihrem Machtbereich zu finden, namentlich die Bereitstellung physischen Schutzes und das Lösen von Normenkonflikten.

Für große Teile der indischen Bevölkerung bietet die Polizei keinen Schutz. Stattdessen ist meist sie es, die repressive Gewalt ausübt und die sozialen Eliten schützt. Gewaltverbrechen aller Art, begangen von hohen Kasten und Großgrundbesitzern an den niedrigen Schichten der Gesellschaft, sind in vielen Regionen Indiens an der Tagesordnung (vgl. Expert Group 2008: 4-23/31-34; Subramanian 2007: 151). Für diese versuchen die Maoisten, mittels ihres Gewaltpotentials, Schutz zu bieten. So werden etwaige Täter zunächst gewarnt, folgt eine Wiederholung der Tat, zielen die Maoisten auf Bestrafung (vgl. Dash 2006: 58).

Hinzu kommt, dass ganze Dörfer, von denen der Staat vermutet, dass sie mit den Maoisten sympathisieren, Opfer repressiver Maßnahmen durch staatliche Sicherheitskräfte werden. In diesem Zusammenhang existiert ein großer Fundus an Berichten, die die Menschenrechtsver- letzungen der staatlichen Seite auflisten, darunter Brandschatzung, Vergewaltigung und Exe- kution von Zivilisten (vgl. Expert Group 2008: 56-63; ACHR 2006). In diesem Moment kann der Staat der Bevölkerung zwar seine überlegene Gewalt demonstrieren, in Anbetracht einer Alternative wirkt diese jedoch eher delegitimierend (vgl. Abschn. 8.3). Für diejenigen, die Opfer staatlicher Gewalt wurden, versprechen die Naxaliten mittels ihres Gewaltpotentials Schutz zu bieten. Das Bedürfnis nach Schutz konstituiert soziale Ordnungen. Sind die Maois- ten in der Lage, der Bevölkerung effektiven Schutz zu bieten und diese Beschützerrolle als eine Art Amt zu verfestigen, gelingt die weitere Formalisierung und Integration in den sozia- len Kontext.

Stellen sich Normenkonflikte innerhalb der Gemeinschaften, sind staatliche Gerichte häufig nicht Anlaufpunkt für die einfache Bevölkerung. Sie sind meist weit entfernt, brauchen lange, mitunter Jahre, um zu urteilen und entscheiden tendenziell im Sinne der Großgrundbesitzer und höheren Kasten (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 143). Für diese Fälle stellen die Maoisten mit ihren sogenannten Volksgerichten eine Alternative. Mittels Instrumenteller Macht ist es ihnen sogar möglich, die sozialen Eliten zu zwingen, zu den Gerichtsverhandlungen zu erscheinen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 143; FICCI 2009: 32). Sie entscheiden rasch, meist noch am selben Tag und vollstrecken das Urteil sofort. Dabei halten sie sich maßgeblich an die vorherrschende Sitte, etwa bei den traditional geprägten Adivasis und erreichen auf diese Weise Akzeptanz. Die maoistischen Volksgerichte haben es zu großer Popularität unter der Bevölkerung gebracht (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 187).

In diesem Zusammenhang kann eine Parallele zu Popitz beschriebenen Archetypen, Heerfüh- rer und Richter, gezogen werden. Diese übernehmen in Zeiten sozialer Krisen die Aufgaben persönlichen Schutz zu gewährleisten und Recht zu sprechen (vgl. Abschn. 2.2.2). Indem die Maoisten Antworten auf die Bedürfnisse der Menschen finden, gelingt ihnen eine enge Ver- bindung mit ihrer sozialen Umgebung, die sich in der Formalisierung von Positionen inner- halb der sozialen Umgebung äußert. Grundlage dafür ist das Gewaltpotential der Naxaliten, als Erzwingungsstab und Verteidigung. Die Entpersonalisierung, die Popitz ebenso auf der Stufe der Positionalisierung beschreibt, wird durch den hoch formalisierten Charakter der CPI (Maoist) begünstigt.

Mit der schrittweisen Institutionalisierung ihrer Macht gelingt es den Naxaliten, sich als Al- ternative zum staatlichen Herrschaftsanspruch zu positionieren. Ihre Macht integriert sich in den sozialen Zusammenhang, verfestigt sich und gewinnt an Stabilität. Dies gelingt ihnen jedoch nicht in allen Gebieten, wo sie aktiv sind. Vieler Ortens bleibt dieser Prozess auf vor- herigen Stufen stehen. In manchen Regionen ist es den Maoisten allerdings möglich, sogar Gebietsherrschaft zu errichten. Dieser Schritt soll im Folgenden beschrieben werden.

7.3.2 Positionsgefüge von Herrschaft - Gebietsherrschaft

Mit der Positionalisierung von Macht entsteht Herrschaft und damit verbunden Herrschaftsstrukturen. Sobald die Maoisten ihre Macht zu diesem Punkt konsolidieren konnten, versuchen sie, ihre Kontrolle über die kleinräumigen Gebiete weiter auszubauen und schrittweise, durch die stärkere Einbeziehung der Bevölkerung sowie der Formalisierung von Herrschaftsstrukturen, Gebietsherrschaft zu etablieren.

So existieren Berichte, wonach die Maoisten versuchen, traditionale Machthaber in ihrem beanspruchten Herrschaftsbereich, etwa Dorfvorsteher oder Stammeshäuptling, zu überzeu- gen das Projekt der maoistischen Rebellen zu unterstützen (vgl. Chakravarti 2007: 87). Über den Anschluss an Intermediäre, ist es den Naxaliten möglich, ihren Einfluss auszuweiten und tiefer in die Gesellschaft vorzustoßen. Dabei gelingt es ihnen, über die gegenseitige, vertikale Anerkennung, erste Formen von Legitimität zu erzeugen (vgl. Abschn. 2.3.2.). Auf diese Weise können sie rasch ganze Dorfgemeinschaften in ihren Einflussbereich zu integrieren.

In den Regionen, in denen die Macht des Staates nur noch marginal erscheint, beginnen die Naxaliten sogenannte Parallelregierungen einzusetzen, die sich mit der Etablierung arbeitsteiliger Verwaltungsapparate äußern (vgl. Dash 2006: 58f.). So beschreibt ein Regionalkommandeur der Naxaliten in der Dandakaranya-Region, die unter starkem maoistischen Einfluss steht, die Strategie folgendermaßen:

„ Revolutionary People ’ s Committee (RPC) is the basic [form of] people ’ s rule. When there is this basic people ’ s rule in villages then it becomes very difficult for any arm of the official machinery to function properly there. This is because when two forces are working at once, only one force can remain. This could be either ours or the enemy ’ s ” (zit. nach Garg 2008: 35).

In dieser Perspektive sind die Maoisten bestrebt, durch die Etablierung eigener Verwaltungs- formen die Konkurrenz zur staatlichen Herrschaft in eine formalisierte, institutionelle Form zu gießen.

Mit der eingangs beschriebenen Normierung und einsetzenden Positionalisierung ihrer Macht, beginnen die Maoisten bereits, sich schrittweise in die soziale Ordnung in diesen Regionen zu integrieren. Um ihren Herrschaftsanspruch jedoch konsolidieren zu können, müssen die Maoisten effektive Gewaltkontrolle etablieren, sodass sie in der Lage sind, Rechtssetzung und Rechtssprechung auch erzwingen zu können. Aus diesem Grunde versuchen die Maoisten, in Regionen, wo der staatliche Zwangsapparat zu schwach ist, um seine Ordnung effektiv durchzusetzen, die verfügbaren privaten Gewaltmittel durch Entwaffnung in ihren Händen zu konzentrieren, wenn nicht gar zu monopolisieren (vgl. Shah 2008: 179).

In der Folge errichten sie in den Dörfern jener Regionen Janathana Sarkar /RPC ihre soge- nannten Volksregierungen, die Herrschaft über 500-3000 Menschen ausüben. Die Mitglieder der Regierung werden durch Wahl der Bevölkerung akklamiert. In Regionen unter starkem maoistischem Einfluss werden in regelmäßiger Folge Wahlen abgehalten, unter reger Beteili- gung der Bevölkerung (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 142). Zum Zwecke der Institutionalisie- rung lokaler Verwaltung, errichten sie Verwaltungsapparate, die nach dem Prinzip funktiona- ler Differenzierung getrennt sind. Diese Trennung spiegelt sich in acht unterschiedlichen Mi- nisterien wider, die da wären: Finanzen, Verteidigung, Landwirtschaft, Justiz, Bildung und Kultur, Gesundheit, Forstangelegenheiten sowie Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 142). Durch diesen Schritt der Institutionalisierung werden die unterschiedlichen Akti- vitäten der Maoisten, die eingangs beschrieben wurden, in einen formalen Rahmen integriert und systematisiert. Die Institutionalisierung der Gebietsherrschaft erhält quasistaatlichen Cha- rakter. So ist bekannt, dass die PWG für die Region Dandakaranya sogar eine Verfassung geschrieben hat, in der die Rechte und Pflichten der Bevölkerung sowie die Funktionsweise der Regierungen festgelegt wird (vgl. PWG 2004).67

So gehen die etablierten Gerichte, gestützt auf dem Durchsetzungspotential des Gewaltappa- rates, gegen die sogenannten Klassenfeinde vor. Jenen, denen man enge Verbindungen zum Staat unterstellt, werden als Polizeiinformanten gebrandmarkt und in aller Öffentlichkeit hin- gerichtet (vgl. Singh 2008: 15). Derartige Tötungen wirken auf die Bevölkerung als Warnung, sich nicht gegen den Machtanspruch der Naxaliten zu stellen. Gleichzeitig ist die Gewalttat der Versuch, die eigene Ordnung mit Zwang gegen Widerstände durchzusetzen, um Konfor- mität zu erzeugen. Daneben verregeln die Gerichte aber auch soziale Konflikte des alltägli- chen Lebens der Bevölkerung, wie etwa Familienstreitigkeiten (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 143). Des Weiteren führen die Maoisten neue Gesetze ein, wobei versucht wird, die vorherr- schende Sitte zu berücksichtigen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 142). Ihr sogenannter Moral Codex, der den Subjekten der Herrschaft den Alkoholkonsum, Glücksspiel und Prostitution verbietet, ist gemeinhin auf breite Akzeptanz gestoßen (vgl. Dash 2006: 57; Singh 2010: 140). Im Gegensatz dazu, kommt die laut Parteiprogramm verfolgte Gleichstellung der Frau in den wenigsten Regionen voran, da sich die Bevölkerung dagegen sperrt (vgl. Ramachandran 2011: 34). Die Gesetze der Maoisten sind zudem Symbole der neuen Ordnung. Orientiert die Bevöl- kerung tatsächlich ihr Handeln an ihnen, ist dies Kennzeichen, dass die vorherige Herrschaft von den Naxaliten verdrängt wurde. Die Großgrundbesitzer im Einflussbereich werden sys- tematisch enteignet. Auf dem beschlagnahmten Land werden kollektivistische Modelle der Bearbeitung eingeführt. Dieser Prozess wird von Agrar-Experten der Maoisten flankiert, die versuchen, durch den Einsatz verschiedener Methoden, wie etwa Dünger und Bewässerungs- anlagen, die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 143). Zu Zwecken der Verteidigung gründen sie Dorfmilizen mit leichter Bewaffnung, die von der PGA trainiert werden. Dafür werden unter der Bevölkerung Freiwillige rekrutiert (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010; 74). In manchen Fällen, dort wo die Machtkonzentration der Maois- ten besonders groß ist, führen sie sogar eine Art Wehrpflicht ein (vgl. Shah 2010: 169).

Mit der Etablierung einer Abteilung für Finanzen wird die Besteuerung systematisiert und bietet Raum für wohlfahrtsstaatliche Aktivitäten (vgl. Mukherji 2010: 2). Neben der Herstel- lung regelmäßiger und professioneller medizinischer Versorgung68, engagieren sich die Naxa- liten sogar in Bildungsaktivitäten. So gibt es Berichte aus Dandakaranya, wo die Maoisten Schulunterricht für die dort lebenden Kinder anbieten. Zu diesem Zweck werden sogar eigene Schulbücher verteilt, die in der dort vorherrschenden Adivasi-Sprache Gond geschrieben sind. Neben Fächern wie Mathe und Hindi, stehen aber auch maoistische Ideologie sowie Ge- schichte und Kultur der Adivasis auf dem Stundenplan (vgl. Navlakha 2010: 44). Das Minis- terium für Forstangelegenheiten setzt Mindestlöhne für Waldarbeiter durch, reguliert den Handel mit Waldprodukten und stoppt illegale Abholzungen. Das Ministerium für Öffentlich- keitsarbeit organisiert die Propaganda und klärt über das Handeln der Naxaliten auf (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 142). Seine Arbeit bezieht sich also darauf, einen Legitimitätsglau- ben unter den Beherrschten entstehen zu lassen. Kürzlich sind zwei interne Dokumente der CPI (Maoist) öffentlich geworden, die zeigen, dass die Volksregierungen regelmäßig ausgie- bige Berichte, inklusive der Offenlegung ihrer Aktivitäten und der Einschätzung vor Ort, an die zentrale Führung der Partei weiterleiten (CPI-M 2005 b; CPI-M 2004:b).69

Durch die formalisierte Institutionalisierung ihrer Macht, verbunden mit der Durchsetzung ihrer Ordnung, gelingt es den Maoisten, tief in die soziale Umgebung vorzudringen und auf das alltägliche Leben der Bevölkerung Einfluss zu nehmen. Dieser wird die Macht der Naxa- liten - im Spiegel der relativen Machtlosigkeit des Staates - demonstriert (vgl. Garg 2008: 36). Mit der Erlangung von Gebietskontrolle, der Ausbildung eines Verwaltungsapparates, der nach spezialisierter Arbeitsteilung organisiert ist und Besteuerung, die eine Versorgungsbe- ziehung garantiert, erreicht die Institutionalisierung der maoistischen Macht das Positionsge- füge der Herrschaft. Jedoch wird diese Stufe der Machtinstitutionalisierung in einer Minder- heit der Regionen maoistischen Einflusses erreicht. So wird geschätzt, dass die Maoisten in Dandakaranya, eine der Regionen die als Zentrum der naxalitischen Macht angesehen wird, zwar in über 500 Dörfern ihre Volksregierungen etablieren konnten, weitere 2000 innerhalb ihres Einflussgebietes befinden sich jedoch nur unter indirekter Kontrolle (vgl. Garg 2008: 35).

Die Tendenzen zur zunehmenden Entpersonalisierung und Formalisierung der Macht sowie die steigende Integration der Machtbeziehungen, lassen sich bei der Etablierung der Parallel- regierungen gut beobachten. Durch die Etablierung von formalisierten Verwaltungsapparaten entstehen sichtbare Herrschaftsstrukturen, die sich in funktional differenzierten Positionen widerspiegeln. Die Herrschaft funktioniert maßgeblich nach formalen bürokratischen Prinzi- pien70 und nimmt eklatante Aufgaben der gesellschaftlichen Regulierung, wie Rechtssetzung, Rechtssprechung, Durchsetzung des Rechts, den Schutz nach außen sowie „ die Pflege von Kulturinteressen “ wahr, die Weber in den Aufgaben des modernen Anstaltsstaates verortet (vgl. Weber 2010: 660). Da der maoistische Gebietsverband Funktionen der sozialen Ordnung übernimmt, die eigentlich im Herrschaftsanspruch des Staates verankert sind, offenbart sich die Machtlosigkeit des indischen Staates. Die territoriale Herrschaft der Naxaliten entwickelt sich zum Quasi-Staat bzw. Parastaat, der durch seine Effizienz die Legitimität des Staates aushöhlt (vgl. Abschn. 3.2; 4.4). Jedoch bleibt die erreichte Herrschaft stets instabil und be- hält einen prekären Charakter. Sobald der Staat sich entschließt, gewaltsam gegen Gebiete unter maoistischer Kontrolle vorzugehen, sind auch stets Prozesse der Deinstituionalisierung zu beobachten.

7.4 Herstellung von Legitimität

Während der Institutionalisierungsprozess der maoistischen Macht in bestimmten Regionen voranschreitet und sich auf diesem Wege Herrschaftsverhältnisse über die dort lebende Bevölkerung ausbilden, müssen sich Formen der Legitimität bzw. Basislegitimität der neuen Ordnung bilden, die ihr Stabilität und Dauer verleihen.

Gelingt es den Maoisten, die Anerkennung von traditionalen Eliten zu erhalten, können über den Mechanismus der gegenseitigen Anerkennung erste Formen von Legitimität entstehen. Auf diesem Weg erhalten die Naxaliten Zugang zu traditionalen Legitimitätsquellen. Zudem können sie Formen legal-rationaler Legitimität für sich beanspruchen, da Gebietsherrschaft und die gesamte Partei stark nach formalen Prinzipien organisiert sind.

Elemente von Webers Idealtypen legitimer Herrschaft lassen sich also bei den Naxaliten fin- den. Da die Herrschaft sich jedoch im Prozess der Entstehung befindet und ständig die Gefahr des Angriffes von Außen droht, erscheint sie recht instabil. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, trotz Bestehen einer Autoritätsbindung, dass ein Legitimitätsglaube im Sinne Webers unter den Beherrschten kaum erreicht ist. Hinzu kommen die verschiedenen Formen der Basislegitimität, die die entstehende Ordnung der Maoisten stützen.

Eingangs wurde beschrieben, dass auch der Staat in den umkämpften Regionen erheblich auf Basislegitimität angewiesen ist und dass diese durch die gezielten Attacken der Naxaliten unter Druck gerät. Die Angriffe auf die bestehende Ordnung und die Versuche, an ihre Stelle neue Herrschaftsstrukturen zu errichten, stehen in einem engen Zusammenhang. Die Zerschlagung von Herrschaft und Etablierung von Herrschaft sind zwei Seiten eines Prozesses, die gleichzeitig ablaufen. Im Spiegel des Verlustes der Basislegitimität des Staates, entsteht Basislegitimität auf Seiten maoistischer Herrschaft.

Die Quelle für die Etablierung einer Basislegitimitätsform der überlegenen Gewalt liegt in dem konzentrierten und organisierten Gewaltpotential der PGA begründet. Dringen diese Kräfte in Regionen ein, wo der staatliche Gewaltapparat gar nicht vorhanden, oder nur schwach institutionalisiert ist, können die Maoisten sich schnell als neue Machthaber insze- nieren. Sofern keine konkurrierende Gewaltapparate bestehen, unterstreicht die organisierte Verletzungsmacht der Maoisten ihre Überlegenheit, die ihren Herrschaftsanspruch begründet. Gegenüber jenen in der Region, die im Vokabular der Maoisten als „Klassenfeinde“ gelten, demonstrieren sie allen ihre Aktionsmacht, um sie zu unterwerfen. Die Attacken künden von einer neuen Ordnung und weisen den ehemaligen Eliten demonstrativ einen neuen Platz zu. Für diejenigen, die am unteren Ende der sozialen Hierarchie stehen, müssen derlei Machtde- monstrationen besonders überzeugend wirken. Die Inszenierung der Gewalt als Zerschlagung der Herrschaft legitimiert die Gewalt.

Spektakuläre Angriffe gegenüber den staatlichen Sicherheitskräften, sind öffentliche Macht- demonstrationen. Wo diese in Folge von Furcht es vermeiden die Naxaliten zu konfrontieren, erkennen sie faktisch deren Überlegenheit an. Der von Shah angesprochene Doppelcharakter der Naxaliten, wonach sie in der Wahrnehmung der Bevölkerung als stete Gefahr unter der Oberfläche lauern, erzeugt Ungewissheit und lässt die Naxaliten für viele als übermächtig erscheinen. Entwaffnung und die Gründung von Dorfmilizen sind Versuche die Überlegenheit der Gewalt zu konsolidieren. Die Konzentration der Gewalt in den Händen der Naxaliten ver- setzt sie in die Lage Schutz nach innen und außen zu gewähren und damit verbunden eine neue Ordnung entstehen zu lassen. Wenn gleichzeitig der Staat nicht in der Lage ist, Sicher- heit zu garantieren, bleibt der Bevölkerung keine andere Möglichkeit, als mit den Naxaliten zu kooperieren (vgl. Reddy, K. 2008: 95). Auf der Grundlage der faktischen überlegenen Ge- walt, können die Maoisten erste Legitimität bei der Entwicklung einer neuen Herrschaft erhal- ten.

Durch den hoch formalisierten Charakter ihrer Organisation, mit strenger Hierarchie, Arbeits- teilung und einem Gewaltapparat, ist die CPI (Maoist) außerdem organisationsmächtig. Sie ist in der Lage, Mittel und Menschen gezielt zu koordinieren, um anvisierte Ziele umzusetzen und Einfluss auf das Leben der Bevölkerung zu nehmen. Durch die Gründung von Frontorga- nisationen und Dorfmilizen, die sie fortan für die Organisation von Blockaden und Streiks sowie die Verteidigung einsetzen, integrieren sie die Bevölkerung in den eigenen Herrschafts- zusammenhang. Ausdruck ihrer Organisationsmacht ist unter anderem die Durchsetzung des Mindestlohns und der Revolutionssteuer, die Verbesserungen im Agrarsektor sowie die Orga- nisation von Bildung und medizinischer Versorgung. Bleiben Eingriffe in die Eigentumsver- hältnisse, etwa in Hinblick auf die Landverteilungen, bestehen, dienen sie fortan als Symbole einer neuen Ordnung. In dieser Hinsicht können die Maoisten darauf verweisen, den Unter- privilegierten eine Ordnung gebracht zu haben, von der sie mehr profitieren als von der vorhe- rigen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 180).

Zugleich muss das Vermögen der maoistischen Organisationsmächtigkeit stets im Spiegel der des Staates gesehen werden. Die Aktivitäten des Staates hatten häufig keinen positiven Effekt auf die zurückgezogene Bevölkerung. Ihre Erfahrungen mit dem Staat bleiben nicht selten auf seinen repressiven Zwangsapparat begrenzt (vgl. Banerjee 2010). Sind die Maoisten in der Lage, positive Veränderungen für die Bevölkerung zu erreichen, die weit außerhalb ihrer eigenen Reichweite liegen, hinterlassen sie einen tiefen Eindruck (vgl. Ramachandran 2011: 17). Indem die Organisationsmacht durch die Bevölkerung anerkannt wird, erhalten die Naxaliten die dazugehörige Form der Basislegitimität.

Die Evidenzerfahrung der überlegenen Gewalt sowie die teils positiven Effekte auf die eigene Existenz veranlassen die Bevölkerung, sich im Einklang mit der neuen Ordnung zu verhalten und sich in ihr einzurichten.

Die Formalisierung des naxalitischen Machteinsatzes trägt zudem zur Entstehung von Ord- nungssicherheit bei. Je länger die Maoisten in der Lage sind, ihre Ordnung aufrechtzuerhalten, desto weiter steigen Ordnungswert, Investitionswert und Alltagswert für die Bevölkerung. Diejenigen innerhalb der Bevölkerung, die etwa durch den Einfluss von Propaganda sich den Maoisten zuerst anschließen oder sie unterstützen, erzeugen außerdem den Demonstrations- wert. Je länger die Ordnung andauert, desto mehr nimmt die Konformität zu, die (impliziten) Drohungen verschwinden unter der Oberfläche und der Einsatz von Zwangsmitteln erfolgt nur noch in Ausnahmefällen. Wo die Menschen sich an der Ordnung der Maoisten orientieren und die des Staates weitestgehend ignorieren (vgl. Ramachandran 2011: 26), was sich insbesonde- re an der Besteuerung ablesen lässt, waren Maoisten erfolgreich, die vorherige Ordnung zu zerschlagen und eine neue zu konstituieren. Aufgrund der bestehenden Kriegssituation bleibt die etablierte Ordnung jedoch fragil. Durch das Wiederaufflackern von Gewalt im Kontext staatlicher Angriffe kann der Verfestigungsprozess empfindlich gestört werden.

Im Hinblick auf die Basislegitimitätsform der kulturellen Zugehörigkeit, wurde bereits hingewiesen, dass diese ganz besonders von der Akzeptanz der beherrschten Bevölkerung abhängig ist. Jedoch sprechen einige Faktoren dafür, dass es den Maoisten zumindest teilweise gelingt, auch diese Form der Basislegitimität zu erhalten.

Die einfachen Parteiarbeiter und Fußsoldaten der Maoisten, die sich unter der lokalen Bevölkerung zeigen, entstammen häufig den unterprivilegierten Gesellschaftsschichten Indiens. Von den armen Bauern, Adivasis, Dalits und unteren Kasten werden sie gemeinhin als ihresgleichen angesehen (vgl. Dash 2006: 58). Zum Teil existieren sogar verwandtschaftliche Bindungen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 98).

Bevor die Maoisten in der Lage sind, Gebiete unter ihre Kontrolle bringen, haben sie für gewöhnlich bereits das Vertrauen der Bevölkerung erlangt, indem sie regelmäßig Präsenz zeigten und sich austauschten. Im Gegensatz zu den meisten staatlichen Verwaltungsbeamten sprechen die Naxaliten zudem häufig die lokalen Stammessprachen und Dialekte (vgl. Dash 2006:67). Die Maoisten leben gemeinsam mit den Beherrschten unter ähnlich einfachen Verhältnissen und integrieren sich auf diese Weise in die lokale Gemeinschaft (vgl. Guha 2009: 178). Das verleiht ihnen Respekt (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 187).

Trotz aller Rechtfertigungsgründe der maoistischen Herrschaft, vollzieht sich diese Entwick- lung jedoch nie ganz frei von Problemen und Brüchen. So wurde bereits genannt, dass staatli- che Interventionen die Vertiefung der Herrschaft unterbrechen und verhindern können. Die Konzentration staatlicher Sicherheitskräfte in Regionen unter maoistischem Einfluss, die in der Lage sind, ihre physische Überlegenheit auszuspielen, führt in der Regel dazu, dass die Maoisten sich zurückziehen und der direkten Konfrontationen aus dem Weg gehen. Besteht eine Autoritätsbindung zwischen Rebellen und Bevölkerung, wirkt sie sich für die Maoisten positiv aus. Jedoch lässt sich auf diese Weise schwerlich nachhaltige, großräumige Gebiets- herrschaft herstellen.

Hinzu tritt die Problematik delegitimierender Gewalt. Grundsätzlich ist undifferenzierte Gewalt kein Kennzeichen maoistischer Operationen, da sie bestrebt sind, Bindungen zur Bevölkerung zu knüpfen. Zudem verfügen sie häufig über die entscheidenden Informationen, die sie in die Lage versetzen, Freund und Feind zu unterscheiden. Diese Trennung in Freund und Feind, wie sie sich rhetorisch im Parteiprogramm findet, kann Grundlage für die Legitimiterung der Gewalt sein. Dennoch existieren Berichte, wonach innerhalb der CPI (Maoist), als auch unter der beherrschten Bevölkerung, meist im Zusammenhang mit öffentlichen Exekutionen und der Vollstreckung der Urteile der Volksgerichte, sich Unmut über allzu gewalttätiges Vorgehen rege (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 33; MHA 2007: 24).

Es hat außerdem den Anschein, als wenn die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung zunimmt, umso höher der Druck auf die Naxaliten steigt. Seit dem Beginn der Offensive Greenhunt im Herbst 2009 kann eine steigende Zahl ziviler Opfer durch maoistische Gewalt verzeichnet werden (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 134; Tata 2010: 34). Dies mag damit zusammenhängen, dass sie nach der Rückkehr in ein Gebiet, das staatliche Sicherheitskräfte temporär besetzt hielten, die Angst bewegt, die Bevölkerung habe sich in der Zeit ihrer Abwesenheit auf die Seite des Staates geschlagen und mit ihm paktiert. Dies würde auf Metelits These verweisen, wonach bewaffnete Gruppen, deren Gestaltungsspielraum durch die erhöhte Aktivität ihres Gegners eingeschränkt wird, mit erhöhter Gewalt gegen Zivilisten reagieren (Metelits 2010: 161-176).

So zeigen Berichte jüngeren Datums, dass die Maoisten mitunter gesteigerte Brutalität gegenüber verdächtigten Polizeiinformanten an den Tag legen. So kam es unter anderem zu einer Kollektivbestrafung, der Hinrichtung aller Familienangehörigen des Verdächtigten. Die Folge war, dass sich das ganze Dorf von den Maoisten getrennt und sich gegenüber dem Staat formal ergeben hat (vgl. Tikku 2011).

Hinzu kommt, dass insbesondere junge Mitglieder der Maoisten sich wie einfache Kriminelle verhalten. Sie nutzen die Macht ihres Waffenbesitzes zur Erpressung und unterhalten Verbin- dungen zum organisierten Verbrechen. Jedoch existieren Berichte, dass solcherlei Vorfälle von der Parteispitze streng bestraft werden (vgl. Jha 2008: 73). Des Weiteren haben Versuche der Maoisten, immer stärker entgegen den vorherrschenden Sitte zu regieren, insbesondere unter den traditional geprägten Adivasis wiederholt Widerstände hervorgerufen und die herrschaftliche Bindung erodieren lassen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 196; Chakravarti 2007: 36). Wenn die Maoisten der Sitte jedoch zuviel Raum zugestehen und sie deshalb darauf ver- zichten, ihre eigenen Forderungen im Herrschaftsbereich umzusetzen, erzeugt dies unter den eigenen Mitgliedern Widersprüche und Legitimitätsdefizite. Dies gilt etwa für Unternehmen aus Bergbau und Schwerindustrie, denen gestattet wird, ihre Arbeit fortzusetzen, solange sie die Revolutionssteuer zahlen (vgl. Ramachandran 2011: 36). Es droht hier die Veralltägli- chung der charismatischen Ideen.

Der Erfolg der Maoisten, ihre Herrschaft konsolidieren zu können, ist stark davon abhängig, inwiefern sie in der Lage sind, die Bindung zu den Beherrschten mit Legitimität auszustatten. Da die Institutionalisierung in vielen Regionen noch nicht weit fortgeschritten ist und stets staatliche Interventionen drohen, ist ein Legitimitätseinverständnis im Sinne Webers wenig wahrscheinlich. Die verschiedenen Formen der Basislegitimität werden benötigt, um die Herrschaft zu stützen. Allerdings können auch viele verschiedene delegitimierende Tendenzen identifiziert werden, die das ganze Projekt bedrohen.

Den Maoisten war es aufgrund verschiedener Strategien möglich, ihre Macht in vielen Regio- nen Indiens institutionalisieren zu können. Wird die staatliche Ordnung im Lokalen weitest- gehend ignoriert und stattdessen der maoistischen gehorcht, ist dies Kennzeichen dafür, dass die staatliche Herrschaft in manchen Regionen in Auflösung begriffen ist, zugunsten des ma- oistischen Machtanspruches. Ihr faktischer Einfluss auf das soziale Leben im Lokalen offen- bart, dass hier die Praxis staatlicher Herrschaft im erheblichen Maße vom Ideal abweicht. Das Machtfeld Staat wird durch das Engagement der Naxaliten erheblich eingeschränkt. Wie der Staat auf diese Herausforderung reagiert, soll im Folgenden behandelt werden.

8 Die Reaktion des Staates

"My impression is that there is a kind of stalemate [ … ] there have been casu- alties on both sides [ … ] The state governments concerned cannot claim any ma- jor advance and nor should we conclude that the Maoists have gained a upper hand [ … ]". P. Chidambaram, indischer Innenminister (zit. nach Kumar 2011).

Die Existenz der Naxaliten und ihre Aktivitäten demonstrieren öffentlich, dass der indische Staat bisher nicht in der Lage war, seinem Herrschaftsanspruch auf dem gesamten Staatsge- biet Geltung zu verleihen. Im Spiegel der idealtypischen Staatskonzeption, die sich auch teils im Bild der Staatsbeamten und der Beherrschten wiederfindet, offenbart sich die relative Machtlosigkeit des Staates und die begrenzte Anerkennung seiner Legitimität. Um auf die Herausforderung durch die Naxaliten zu reagieren, beschränkt sich das Verwal- tungshandeln des indischen Staates maßgeblich auf die despotische Form, also Anwendung von Gewalt zur Unterdrückung der Bewegung. Den jüngsten Höhepunkt bildet die sogenannte Operation Greenhunt, gestartet im Herbst 2009 mit zunächst über 50.000 Paramilitärs, gerich- tet gegen die Hochburgen der Naxaliten mit dem Ziel, die Maoisten endgültig militärisch zu schlagen (vgl. Magioncalda 2010).

Den Grund für die Konzentration des staatlichen Handelns auf den Gewaltaspekt, sieht K.S. Subramanian, ehemaliger hochrangiger Polizeioffizier, in der eingeschränkten Wahrnehmung des Konfliktes begründet. Von den staatlichen Stellen werde dieser maßgeblich als Law-and- Order Problem behandelt. In dieser Perspektive handele es sich bei den Aktivitäten der Naxaliten um einen Bruch der staatlichen Ordnung, der durch den Staat sanktioniert werden müsse (vgl. Subramanian 2007: 131). Dies verweist zum einen darauf, dass die verantwortlichen Entscheidungsträger ihr Handeln an einem Bild des indischen Staates orientieren, der seinem Ideal nach die Suprematie über sein Staatsgebiet in den Händen halte und sich gegen die Herausforderungen mit dem Einsatz seines Monopols der legitimen Gewaltanwendung durchzusetzen habe. Dabei wird verkannt, dass die Realität eine andere ist.

Zum anderen macht Subramanian für diese Wahrnehmung die Kontinuitätslinien zwischen kolonialem und indischem Gewaltapparat verantwortlich, über die eine Logik überdauern konnte, wonach Widerstände gegen die Herrschaft durch Einsatz von despotischen Verwal- tungsmitteln zu unterdrücken seien (vgl. Abschn. 5.1.3; Subramanian 2007: 132). Demnach würden die zuständigen Beamten ihr Handeln insbesondere aus der bisherigen Praxis ableiten.

8.1 Anpassung des Gewaltapparates

Seitdem der indische Staat durch die naxalitische Bewegung und ihrem Vorläufer in Telanga- na herausgefordert wird, reagiert er maßgeblich durch den Einsatz von despotischen Verwal- 104 tungsmitteln. Die Aufstände in der Telangana-Region und Naxalbari konnten durch den Staat rasch gewaltsam unterdrückt werden. Die staatlichen Sicherheitskräfte waren im Bezug auf Organisation, Ausbildung und Ausrüstung den rebellierenden Landarbeitern überlegen (vgl. Dixit 2010: 21) und setzten gegen diese ihre konzentrierte Aktionsmacht ein. Jedoch konnten sie nicht verhindern, dass sich die Naxaliten in der Folge ausbreiteten. Im Jahr 1972 wurde durch den koordinierten Einsatz von Sicherheitskräften der Bundesstaaten und des Zentralstaates auf die noch schwach institutionalisierte Gruppe erheblicher Druck ausgeübt. Nachdem Indira Gandhi drei Jahre später den nationalen Ausnahmezustand ausge- rufen hatte, ging der staatliche Sicherheitsapparat im großen Maßstab gegen die Maoisten vor. Nach der harten Repression hatten sich viele Naxaliten ergeben, die meisten Führer der Be- wegung gerieten in staatliche Gefangenschaft. Zu diesem Zeitpunkt vermeinte der Staat, durch einen militärischen Sieg, das Ende der Naxaliten herbeigeführt zu haben (vgl. Marwah 2009: 107; Dixit 2010: 21).

Jedoch passten sich die Naxaliten in der Folge an, vermieden die direkte Konfrontation mit dem Staat und begannen den Institutionalisierungsprozess ihrer Gruppen voranzutreiben und enge Beziehungen zur Bevölkerung zu etablieren. Seither war es den Maoisten möglich, ihren Einflussbereich erheblich auszubreiten, ihre Schlagkraft zu vergrößern und ihrer Organisation ein erhöhtes Maß an Stabilität zu verleihen. So war die PWG 1989 in 23 von 26 Distrikten des Bundesstaates Andhra Pradeshs präsent und aktiv (vgl. Sahni 2010 b).

Die Regierung Andhra Pradeshs gründete in der Folge die Kommandoeinheit Greyhounds, die eigens in Guerilla-Kriegsführung ausgebildet wurde, um die Naxaliten gezielt zu bekämpfen. Dieser Schritt wurde von staatlichen Stellen und Sicherheitsexperten als Erfolg bewertet, da die Maoisten Anfang 2009 nur noch in den Grenzgebieten Andhra Pradeshs präsent waren (vgl. Sahni 2010 b; Raju 2010).

Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass auf diese Weise zwar die Ausbreitung der Naxaliten in Andhra Pradesh stark gemindert werden konnte, jedoch zogen diese sich über die Grenze in die benachbarten Staaten Bihar, Chhattisgarh, Orissa und Jharkhand zurück (vgl. Pandey 2010: 35; Raju 2010). In der Folge konnten die Naxaliten in diesen Bundesstaaten ihre Position festigen und auf Gebiete, die weit ab von staatlichen Strukturen lagen, ausgreifen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 134).

Nichtsdestotrotz bleibt der Fokus des staatlichen Vorgehens auf den Sicherheitsaspekt verhaf- tet. Die indische Verfassung weist den Bundesstaaten in Law-and-Order Fragen die Haupt- kompetenz zu, jedoch gibt das Innenministerium des Zentralstaates bei Sicherheitsproblemen größeren Maßstabs die allgemeine strategische Linie vor und lässt den Bundesstaaten finan- zielle und militärische Unterstützung zukommen (vgl. Subramanian 2007: 127f.). Die betrof- fenen Bundesstaaten verfügen nur über eine geringe Polizeidichte. Gegenüber den militärisch geschulten und mit modernen Waffen ausgerüsteten Naxaliten scheinen die Polizisten vor Ort unterlegen (vgl. Sahni 2010 b; Dhar 2009).

So werden paramilitärische Einheiten des Zentralstaates, die Central Reserve Police Forces (CRPF), in die betroffenen Regionen entsandt, um der bundesstaatlichen Polizei zur Seite zu stehen. In den vergangenen Jahren wurde die Anzahl der CRPF-Einheiten, die am Kampf gegen die Naxaliten beteiligt sind, stetig erhöht (vgl. Subramanian 2010: 24).71 Da diese in der Vergangenheit zahlreiche militärische Niederlagen gegen die Maoisten zu erleiden hatten, begann der Staat daraufhin ihre Ausbildung und Bewaffnung zu verbessern (vgl. Dhar 2009; Pandey 2010). Zudem werden seit 2008 innerhalb der CRPF Spezialeinheiten nach dem Vorbild der Greyhounds aufgebaut, die Combat Battalions for Resolute Action (CoBRA). In dem Bundesstaat Chhattisgarh lässt sich seit 2005 zudem eine neue Strategie beobachten. Dort haben Staat und entmachtete strongmen die Bewaffnung der Bevölkerung vorangetrieben und eine Miliz namens Salwa Judum gegründet (vgl. Anhang 2).

Des Weiteren wird der Gewaltapparat auch in technischer Hinsicht ausgebaut. In Zukunft sollen zusätzliche Helikopter und zum ersten Mal auch Drohnen zum Einsatz kommen (vgl Sahni 2010). Jedoch schätzen Sicherheitsexperten ihre Wirkung aufgrund der starken Bewal- dung des Einsatzgebiets als relativ gering ein. Außerdem wurden mehrere gepanzerte Trup- pentransporter in Dienst genommen, um die Sicherheitskräfte vor Sprengfallen der Naxaliten zu schützen. Diese haben jedoch schon reagiert und nutzen seither größere Mengen Spreng- stoff, was wiederum die Schutzwirkung aufhebt (vgl. Dixit 2010: 27). Im Vergangenen Jahr wurden zudem auf Bundesstaatenebene vermehrt Polizisten rekrutiert und die Polizeistationen ausgebaut (MHA 2011: 29).

Seitdem der Staat mit der Herausforderung durch die Naxaliten konfrontiert ist, zielt sein Handeln auf den Einsatz gewaltsamer Aktionsmacht. Stetig hat er seinen Gewaltapparat modernisiert und vergrößert (vgl. Reddy, M. 2008). Zwischen 1967, dem Jahr von Naxalbari, und 2007 hat sich das Polizeibudget des indischen Staates tausendfach vergrößert (vgl. Subramanian 2010: 24). Jedoch besteht die maoistische Bewegung nach wie vor und konnte sich weit über Indien ausbreiten. In diesem Lichte muss der staatliche Ansatz, der darauf abzielt, die Naxaliten militärisch zu schlagen, als gescheitert beurteilt werden.2010).

8.2 Die staatlichen Sicherheitskräfte im Einsatz

Seit dem Herbst 2009 dauert die großangelegte Offensive des indischen Staates gegen die Stellungen der Maoisten an. Seitdem wurden mittlerweile über 100.000 Paramilitärs mobili- siert, die in die Hochburgen der Maoisten in den Bundesstaaten Maharastra, Orissa, Chhattis- garh, West Bengalen, Jharkhand und Bihar vordringen sollen (vgl. Copra 2010). Die genaue Anzahl der tatsächlich beteiligten Einsatzkräfte ist nicht bekannt, jedoch wurden zusätzliche Spezialkommandos der Grenzstreitkräfte hinzugezogen (vgl. Shad 2011 31f.). Zunächst hat der Zentralstaat lange Zeit abgestritten, dass eine Offensive in diesem Maßstab stattfindet (Janyala 2010). Dies könnte darauf verweisen, dass der Staat eine symbolische Aufwertung der Herausforderung vermeiden möchte, um die Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit nicht zu nähren. Der Einsatz paramilitärischer Kräfte im großen Maßstab zielt darauf ab, die bean- spruchte staatliche Ordnung mittels Gewalt durchzusetzen und die Kapazitäten der maoisti- schen Organisation zu zerschlagen. Die bisherigen Ergebnisse dieses Ansatzes können als durchwachsen beschrieben werden.

Rücken staatliche Truppen in Gebiete vor, die von den Maoisten kontrolliert werden, kommt es in der Regel zu keinen offenen Gefechten, da diese die direkte Konfrontation scheuen und zurückweichen (vgl. Sahni 2010 b). Allerdings kann durch das Auftauchen der Sicherheits- kräfte der Institutionalisierungsprozess der Maoisten und das Bestehen ihrer Ordnung emp- findlich gestört werden. So schränkt die Präsenz der Paramilitärs den Aktionsradius der Naxa- liten ein. Die Situationen zur Ausübung ihrer verschiedenen Machtformen werden geringer, weshalb sie nicht mehr in der Lage sind, die bisherigen Leistungen durchzusetzen. Somit schwindet auch ihr Zugriff auf die dort lebende Bevölkerung. Die Chancen zur Normierung des Sozialen werden kleiner, was den Aufbau bzw. die Aufrechterhaltung einer Ordnung un- wahrscheinlich macht. Gleichzeitig geraten auch die Möglichkeiten zur Herstellung der ver- schiedenen Basislegitimitätsformen unter Druck. So mindert einsetzende Gewalt den Ord- nungswert. In Relation zu dem Gewaltpotential des Staates können die Maoisten nicht mehr auf die Überlegenheit ihrer Gewalt verweisen. Aufgrund der Begrenzung ihres Aktionsradius sind sie auch nicht mehr in der Lage, ihre Organisationsmacht auszuüben. Auf diese Weise kann an jenen Orten, wo die staatlichen Sicherheitskräfte sich aufhalten, die Herrschaft der Naxaliten unterbrochen, wenn nicht gar beendet werden.

Allerdings haben die Paramilitärs mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Obwohl mitt- lerweile mehr als 100.000 im Einsatz sind, können sie aufgrund des schwierigen Geländes und der weiten Ausbreitung der Naxaliten, nur in einer Minderheit der Regionen Präsenz zei- gen (vgl. Sahni 2010). Aus diesem Grund verweilen sie selten in einem Gebiet, das sie unter ihre Kontrolle gebracht haben und ziehen rasch weiter. In der Folge kehren die Maoisten zurück und können ihre Herrschaft re-etablieren (vgl. Spacek 2010: 2; Economist 2010). Ist ihnen dies nicht möglich, ziehen sie weiter in Regionen, wo staatliche Strukturen und somit sein Sicherheitsapparat kaum präsent sind. Bisher hatten sie keine Probleme, solche Regionen ausfindig zu machen, da es von ihnen reichlich gibt (vgl. Sahni 2010 b).

Hinzu kommt, dass die Sicherheitskräfte recht immobil sind. Das Gelände ist häufig unweg- sam, die Dichte des Straßennetzes im Einsatzgebiet ist gering. Die Infrastruktur ist schlecht ausgebaut und die stete Gefahr von Sprengladungen schränkt die Bewegungsfreiheit ein. Häu- fig sind die Polizeistreitkräfte gezwungen, zu Fuß zu patrouillieren. Da die Paramilitärs nicht in den Regionen verhaftet sind und sie bisher kaum Anstrengungen unternommen haben, Ver- bindungen zur einheimischen Bevölkerung aufzubauen, ist ihre Informationslage äußerst be- grenzt (vgl. Sahni 2010).

Die Versorgung der Truppen ist schlecht (vgl. Pandey 2010; Chaturvedy 2010), viele Sicher- heitskräfte fallen aufgrund von Malaria aus (vgl. Shad 2011: 24). Die Truppen sind frustriert, dass sie nur selten Gelegenheit bekommen ihre Überlegenheit auch auszuspielen (vgl. Sahni 2010 b). Gleichzeitig haben die Hinterhalte und Anschläge der Maoisten seit dem Beginn der Offensive erheblich zugenommen. Diese hatten negative Effekte auf die Moral der Paramili- tärs.72

Die Maoisten beabsichtigen mit derlei spektakulären Aktionen, sowohl der Außenwelt, als auch ihren Anhängern zu beweisen, dass sie stets noch in der Lage sind, ein erhebliches Ge- waltpotential zu mobilisieren und erhebliche Macht besitzen (vgl. Bendfeldt 2010 b). Analys- ten schätzen, dass die Offensive des Staates die maoistische Expansion, die man in den ver- gangenen Jahren beobachten konnte, bremsen wird. Dafür werden sie aber alles daran setzen, ihre erreichte Stellung zu konsolidieren. Schätzungen des indischen Innenministeriums, wo- nach die Maoisten in der Lage waren, ihre erlittenen Verluste durch die Anwerbung hunderter neuer Rekruten zu kompensieren, sprechen nicht dafür, dass die Naxaliten auf dem Rückzug sind (vgl. Chakravarti 2011). Die Offensive scheint bisher ihr Ziel nicht erreicht zu haben (Sahni 2010 a).

In Anbetracht der erheblichen Anstrengungen, die der Staat unternimmt, dem maoistischen Konflikt mittels Gewalt Herr zu werden, erscheint der Staat, mit Blick auf das bisher erreichte, recht machtlos. Die Erfolge, die er aufgrund seiner überlegenen Gewalt für sich beansprucht, sind in der Regel nur von kurzer Dauer. In dieser Perspektive sieht es nicht so aus, als wenn der Staat die Maoisten in naher Zukunft vernichten kann.

8.3 Undifferenzierte Gewalt

Die staatlichen Sicherheitskräfte sind im erheblichen Maße für undifferenzierte Gewaltanwendungen gegen die Bevölkerung verantwortlich. Dies hat entscheidende Folgen, die die Naxaliten begünstigen.

Im Gegensatz zu den Naxaliten verfügen die bewaffneten Kräfte des Staates in den umkämpf- ten Gebieten kaum über Informationen aus der Bevölkerung. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Bevölkerung im Einsatzgebiet selten Vertrauen in den Staat besitzt und ihn maßgeblich durch die Ausübung despotischer Verwaltungsmittel kennt (vgl. Subramanian 2010: 25). Zum anderen sind die eingesetzten Paramilitärs in den Kampfregionen nicht ver- wurzelt und ihnen fehlt allgemeiner Rückhalt. Da sie selten über längere Zeit an einem Ort verweilen, kann sich auch keine nachhaltige Verbindung zur Bevölkerung entwickeln (vgl. Singh, H. 2010: 4).

Aufgrund fehlender Informationen ist es ihnen selten möglich zwischen Maoisten und ihren Sympathisanten sowie der Zivilbevölkerung klare Trennungen vorzunehmen. Des Weiteren sind die maoistischen Kämpfer meist längst geflohen, wenn die staatlichen Sicherheitskräfte in Überzahl in ihren Einflussbereich eindringen (vgl. Bendfeldt 2010 a: 30f.). Der Frust der Paramilitärs in Verbindung mit einem Informationsproblem mögen als Erklärung dienen, wa- rum diese regelmäßig undifferenzierte Gewalt gegen die einheimische Bevölkerung anwenden. So existiert eine Reihe von Menschenrechtsberichten, die die begangenen Fälle auflisten (vgl. ACHR 2006; HRW 2008; HRW 2006). Dazu gehören Folter, Vergewaltigungen, Brandstif- tung, öffentliche Hinrichtungen sowie der Diebstahl ihrer Lebensgrundlagen (vgl. auch Raja 2008: 6; Banerjee 2010: 2; Mohanty 2006: 11). Das Naga-Bataillon, deren Mitglieder aus einem Bundesstaat stammen, der über 2000 Kilometer vom Einsatzgebiet entfernt ist, hat in dieser Hinsicht einen besonders berüchtigten Ruf erlangt (vgl. Chakravarti 2007: 29). Die geografische Distanz könnte in ihrem Fall zur Indifferenz gegenüber den Opfern beitragen (vgl. Abschn. 2.1.2.). Auch die Miliz Salwa Judum wird für erhebliche Menschenrechtsver- letzungen verantwortlich gemacht. So sollen aufgrund der von ihr ausgelösten Gewalt bis zu 150.000 Menschen auf der Flucht sein (vgl. Anhang 2).

In dem Moment, wo die staatlichen Sicherheitskräfte diese Art der Gewalt ausüben, ist es ihnen zwar möglich sich gegenüber der Bevölkerung im Hinblick auf die Verletzungsmacht als überlegen zu präsentieren. In Anbetracht der Tatsachen, dass die Sicherheitskräfte in der Regel wieder schnell abziehen und es nicht darauf anlegen ihre Aktionsmacht zu konsolidie- ren und mit Legitimität auszustatten sowie der Existenz einer Alternative, repräsentiert durch die Naxaliten, hat diese Art der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung eine erheblich delegiti- mierende Funktion. Anstelle gegenüber der Bevölkerung die idealtypische staatliche Schutzfunktion auszuüben, entfremden derlei Aktivitäten die Bevölkerung nur noch mehr vom Staat (vgl. Dixit 2010: 21; Dhar 2009).

Aus den Erfahrungen der Verletzbarkeit und Machtlosigkeit sowie den Gefühlen der Angst und Rache speist sich in der Folge für viele die Motivation, sich den Naxaliten anzuschließen. Auf diese Weise trägt die Gewalt des Staates nicht grundsätzlich dazu bei, die Maoisten zurückzudrängen und ihre Ausbreitung zu stoppen, sondern produziert stattdessen weitere potentielle Anhänger (vgl. Reddy, K. 2008: 96; Expert Group 2008: 67).

Außerdem haben die staatlichen Sicherheitskräfte wiederholt die Praxis der sogenannten fake encounter, was in etwa mit vorgetäuschten Zusammenstößen übersetzt werden kann, im Kampf gegen die Naxaliten angewendet. Dabei handelt es sich um Exekutionen von Naxaliten oder Zivilisten, die im Nachhinein so konstruiert werden, als wenn die Sicherheitskräfte in Notwehr gehandelt hätten (vgl. Mohanty 2006:11).

Als prominentester Fall sticht in diesem Zusammenhang die Tötung von Cherukuri Rajkumar alias Azad im letzten Jahr hervor, der offiziellen Nr. 3 der CPI (Maoist). Verschiedene unab- hängige Interpretationen der forensischen Untersuchung haben Zweifel an der offiziellen Po- sition des Staates bezüglich des Ablaufes der Geschehnisse genährt, wonach die betreffende Person in der Folge eines Feuergefechts umgekommen sei. Vieles spricht dafür, dass er aus nächster Nähe durch einen gezielten Kopfschuss hingerichtet wurde (vgl. Tata/Datta 2011; Datta 2010).

Der indische Staat hat sein beanspruchtes Gewaltmonopol durch gesetzliche Verankerung offiziell veröffentlich. Jedoch verstoßen die Polizeikräfte selbst regelmäßig gegen diese Ge- setze (vgl. Subramanian 2010: 25). So wohnt ihrem Handeln eine zusätzliche delegitimieren- de Dimension inne, da sie Zweifel an der Geltung der staatlichen Herrschaftsordnung nähren. Es scheint, als wenn die Eskalation der Gewalt, ausgelöst durch den Staat, in mehrfacher Hin- sicht kontraproduktiv für sein Ansehen ist (vgl. Chakrabarty/ Kujur 2010: 162). Die Gewalt entfremdet die Bevölkerung vor Ort und treibt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit viele „in die Arme“ der Maoisten. Des Weiteren lassen die öffentlichen Berichte bezüglich der staatlichen Verstöße gegen die eigene Ordnung allgemeine Zweifel an der Legitimität des Staates auf- kommen.

8.4 Alternative Ansätze

Seit einigen Jahren hat sich in der indischen Öffentlichkeit eine breite Kritik am Law-and- Order Ansatz der Regierung formiert. Die Kritiker rücken als Ursachen für den Konflikt so- zioökonomische Gründe wie Verarmung, Marginalisierung und Unterentwicklung der betrof- fenen Regionen in den Mittelpunkt. Dahinter steht die recht unkonkrete Forderung nach sogenannten Entwicklungsprojekten, um den Naxaliten den Boden zu entziehen (vgl. Basu 2011; Sahni 2010 b).

Im Jahr 2008 hat Indiens Planning Commission eine Gruppe von Experten beauftragt, Vor- schläge zur Lösung des Konfliktes zu erarbeiten. In ihrem Abschlussbericht empfahl die Gruppe zum einen Reformen in der Gesetzgebung, insbesondere in Hinblick auf Entschädi- gungspolitik, Landverteilung und Waldrechte sowie Diskriminierung. Zum anderen sollten wohlfahrtsstaatliche Investitionen in den betroffenen Gebieten getätigt werden (vgl. Expert Group 2008: 62-82). Allerdings haben die Experten auch anerkannt, dass im Lokalen erhebli- che Probleme bezüglich der effektiven Umsetzung der Politiken bestehen (vgl. Expert Group 2008: 29/56).

Von staatlicher Seite wird auch immer wieder auf die sozioökonomischen Konfliktursachen Bezug genommen (vgl. Reddy, M 2008: 58; Gaikwad 2009). Jedoch haben sich selten kon- krete Initiativen daraus entwickelt. Allerdings hat der Staat mit einer Reihe von Gesetzen rea- giert. So wurde die CPI (Maoist) kurz nach ihrer Gründung offiziell verboten. Dasselbe Schicksal ereilte eine Reihe ihrer Frontorganisationen. Die Verbote zeigten aber keinerlei Auswirkungen und waren mehr symbolischer Natur (vgl. Dixit 2010: 6). Zudem haben die Bundesstaaten umfangreiche Amnestieprogramme aufgelegt, um die naxalitischen Kämpfer zur Aufgabe zu bewegen - bisher jedoch mit recht bescheidenem Erfolg (vgl. Chakrabar- ty/Kujur 2010: 160).

Des Weiteren wurden verschiedene Anstrengungen unternommen, um einige Probleme der Bevölkerung im Lokalen gesetzlich zu lösen, wie etwa Entschädigungsmaßnahmen für Ent- eignungen zu verbessern, die grassierende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die restriktive Waldgesetzgebung zu lockern.73 Diese Initiativen stießen auf Anerkennung durch einige Ex- perten (vgl. Expert Group 2008: 58). Jedoch haben verschiedene Untersuchungen ergeben, dass diese Gesetze vor Ort in der Regel nicht umgesetzt werden (vgl. Banerjee/Saha 2010: 42-

44.; Singh: 2010: 4).74 Vermehrt hat der Staat die Naxaliten beschuldigt, dass diese Gesetze und Entwicklungsprojekte sabotieren würden. Erkenntnissen einer Feldforschung zufolge sei dies aber nicht der Fall (vgl. Banerjee/Saha 2010: 47).

Seit dem Jahr 2009 hat das indische Innenministerium seine Strategie gegen die Naxaliten überarbeitet (vgl. Banerjee/Saha 2010: 41). Demnach bleibt der Ansatz bestehen, wonach man die Maoisten gewaltsam schlagen will, um die staatliche Kontrolle über die betroffenen Regi- onen zurückzuerlangen. Jedoch sollen danach staatliche Strukturen aufgebaut und Entwicklungsprojekte durchgeführt werden.75 Des Innenministers rechte Hand G.K. Pillai, ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen: "We hope that literally within 30 days of security forces mov- ing in and dominating the area, we should be able to restore civil administration there"

(Rediff 2009). Sahni beurteilt diesen Ansatz jedoch als Illusion. Man könne nirgendwo Strukturen wiederherstellen, wo zuvor keinerlei existierten. Wo welche bestünden, aber nur fehlerhaft funktionierten, könnten diese aber auch nicht innerhalb des knappen Zeitfensters umgebaut werden. So ein Prozess brauche Jahre (Sahni 2010 b).

Dies verweist auf ein grundsätzliches Problem, das die Natur und Ursachen des Konfliktes mitbestimmt. Der indische Staat war in vielen Regionen nicht in der Lage, seinen Anspruch auf Vorherrschaft durchzusetzen. Stattdessen existieren zahlreiche Regionen, in denen keine, oder nur sehr schwach ausgebildete staatliche Strukturen existieren. Stattdessen stehen diese Regionen maßgeblich unter dem Einfluss alternativer Machtzentren, nicht nur der Maoisten sondern insbesondere von strongmen. Aus diesem Grunde herrschen alternative soziale Ord- nungen vor, weshalb die staatliche nur wenig Beachtung findet. Die Patronagebeziehungen, die die Herrschaft im Lokalen bestimmen sowie die prekäre Stellung der Beamten auf der untersten Ebene sind dafür verantwortlich, dass die Beschlüsse, die in den staatlichen Herr- schaftszentren gefasst wurden, kaum umgesetzt werden (vgl. Abschn. 3.3.3; 5.2.1).

Aus diesem Grunde haben die sogenannten Entwicklungsprojekte, die meist nicht mehr als Investitionen in die staatliche Infrastruktur sind sowie neue Gesetzgebungen auf lokaler Ebe- ne auch nur selten Erfolg (vgl. Mohanty 2006: 3). Werden in Anbetracht des Konfliktes ver- mehrte finanzielle Ressourcen auf lokale Ebene geleitet, erreichen sie selten diejenigen für die sie bestimmt sind (vgl. Dhar 2009). Stattdessen fallen sie der Korruption zum Opfer (vgl. Mehra 2009: 3), die eher dazu führt, dass die bestehenden Machtverhältnisse gestärkt werden. Spacek hat darauf hingewiesen, dass auch die Naxaliten von den staatlichen Initiativen profi- tieren, da Bauunternehmer, die die Programme durchführen, an diese Abgaben zahlen müssen, um ungestört arbeiten zu können (vgl. Spacek 2011: 6). In diesem Sinne werden die von ver- schiedenen Autoren formulierten Forderungen nach neuen, effektiveren Landreformen (vgl. Agrawal 2010; Mehra 2009: 6; Raju 2010) auch kein Allheilmittel sein, da zu erwarten ist, dass diese gegen die am Status Quo interessierten Großgrundbesitzer nicht durchgesetzt wer- den können.

Der Konflikt mit den maoistischen Rebellen beruht nicht auf einem Mangel an Gesetzen. In vielerlei Hinsicht nehmen die indischen Gesetze viele gesellschaftliche Probleme präzise in den Blick. Das Problem liegt in der prekären staatlichen Herrschaft in vielen Regionen verhaftet, in denen dass staatliche Recht nur eine untergeordnete Rolle spielt, da es häufig nicht durchgesetzt wird und selbst Staatsbeamte regelmäßig dagegen verstoßen. Aus diesem Grund können neue Gesetzgebungen auf lokaler Ebene keine Wirkung entfalten, das gleiche gilt für jegliche Investitionsprojekte. In dieser Hinsicht tragen die angewandten Methoden nicht zur Konfliktlösung bei. Stattdessen können sie mitunter kontraproduktiv sein, wenn dadurch die bestehenden Machtverhältnisse konsolidiert werden können. In dieser Perspektive stützt sich der Staat bisher nur auf die eine Seite der Herrschaftsorganisation im Sinne Webers, nämlich den Einsatz von Zwangsmitteln, um Konformität zu erzeugen. Die zweite Seite, die darauf gerichtet ist, ein Legitimitätseinverständnis herzustellen, wird hingegen wenig beachtet. Aus diesem Blickwinkel müsste es der Staat tatsächlich darauf anlegen, den Kampf um hearts and minds für sich zu entscheiden. Allerdings ist es auch zweifelhaft, ob der indische Staat die Kapazitäten besitzt seiner Ordnung in diesen Regionen Geltung zu verleihen und diese mit Legitimität auszustatten.

9 Fazit

9.1 Die Bedingungen für den Erfolg der Maoisten

Den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildete die Frage, welche Faktoren für den rela- tiven Erfolg der Naxaliten ursächlich sind. Aus herrschaftssoziologischer Sicht wurden in den Kapiteln 5 bis 8 eine Reihe genannt, die an dieser Stelle noch einmal kurz zusammengefasst werden sollen.

Die spezifischen Bedingungen indischer Staatlichkeit bieten entscheidende Voraussetzungen für das erfolgreiche Vorgehen der Maoisten. Im Hinblick auf die besondere Geschichte der Entstehung des unabhängigen indischen Staates konnte gezeigt werden, dass dieser in seiner Ausgestaltung in vielerlei Hinsicht vom okzidentalen Staatsideal abweicht. So war die Ten- denz schwacher Durchsetzungsmacht von zentralen Herrschaftsgebilden und ihre Abhängig- keit von Intermediären im Lokalen bereits im vorkolonialen Indien angelegt. Durch die Erfah- rung des Kolonialismus wurde diese Tendenz teilweise noch verstärkt. Es entstand eine Klas- se von lokalen Machthabern, in deren Einflussbereich die zentralstaatliche Ordnung nur eine untergeordnete Rolle spielte. Auch dem unabhängigen indischen Staat ist es bisher nicht ge- lungen, diese strongmen entmachten zu können und seine staatliche Ordnung auf dem gesam- ten beanspruchten Staatsterritorium durchzusetzen. Die stete Praxis intermediären und despo- tischen Verwaltungshandelns offenbart die geringe Reichweite der formalen staatlichen Prin- zipien.

Im Spiegel eines allgemeinen Gültigkeitsanspruches der staatlichen Ordnungen, wirken diese Abweichungen für die beteiligten Herrschaftsabhängigen widersprüchlich. Für diese scheint es, als wenn der Staat nicht willens oder fähig wäre, sich durchzusetzen - als wenn der Staat entweder mit den lokalen Machthabern paktieren würde, oder er aber zu schwach sei seiner Ordnung Geltung zu verschaffen.

Diese Widersprüche zwischen Anspruch und Realität sind Kennzeichen ausgesprochener Le- gitimitätsdefizite im lokalen Raum. Hier war der Staat nicht in der Lage, seine Bevölkerung in den eigenen Herrschaftszusammenhang vollkommen integrieren zu können. Stattdessen wirk- ten das aggressive Vorgehen des Entwicklungsstaates, die Korruption und Patronage inner- halb der staatlichen Verwaltung sowie das repressive Vorgehen des Sicherheitsapparates ent- fremdend auf viele Teile der Bevölkerung. So hat das staatliche Handeln, das nicht selten ge- gen die eigene Ordnung verstößt, dazu beigetragen, dass viele Menschen ein distanziertes Verhältnis zum Staat entwickelt haben.

Hinzu treten erhebliche regionale Disparitäten. Das Nebeneinander von rapider kapitalisti- scher Entwicklung in den urbanen Zentren sowie das Fortbestehen traditionaler Ordnungen im Lokalen, inklusive quasi-feudaler Landverhältnisse, erzeugt zusätzliche Widersprüche.

Die Maoisten haben es verstanden, diese Widersprüche gezielt für ihre Zwecke zu instrumen- talisieren. In ihrem Parteiprogramm nehmen sie darauf eingehend Bezug, interpretieren diese im Rahmen ihrer Ideologie und entwerfen ihr Bild vom Staat. Von ihrer Interpretation leiten sie ihre Handlungsorientierung ab und artikulieren den bewaffneten Kampf als Antwort. Allerdings haben die Naxaliten aus ihrer Erfahrung gelernt und ihre Strategie stellt sich heute differenzierter dar. Wo sie Anfangs die Strategie der fokistischen Guerilla verfolgten und auf spontane Erhebungen der Massen setzten, stehen heute die langfristige Organisierung der Be- völkerung und die Institutionalisierung der eigenen Macht im Mittelpunkt. In diesem Zusam- menhang sammelten sie bereits seit dem Anfang der 1980er Jahre erste Erfahrungen jenseits der staatlichen Strukturen. Durch den gezielten Einsatz verschiedener Machtformen können die Maoisten Herrschaft etablieren.

Programm und Propaganda der Naxaliten sprechen gezielt jene der indischen Bevölkerung an, die von der vorherrschenden Ordnung am wenigsten profitieren und sich in diesem Zuge entfremdet fühlen. Somit setzen sie am schwächsten Glied an, um effektiv Unterstützer und Gefolgschaft zu mobilisieren. Die Strategie der Maoisten orientiert sich somit an den Bedingungen staatlicher Herrschaft und Vergesellschaftung in Indien und zielt darauf ab, Verbindungen zur Bevölkerung zu etablieren, um sie als Machtmultiplikatoren zu nutzen.

In diesem Zusammenhang muss ein weiterer entscheidender Faktor für den Erfolg der Maois- ten genannt werden. Die weit fortgeschrittene Institutionalisierung der CPI (Maoist) versetzt sie in die Lage, Mitglieder und Unterstützer gezielt zu koordinieren und ermöglicht so kollek- tives Handeln der bewaffneten Gruppe als Ganzes. Durch die lange währende Geschichte der Naxaliten fand ein Lernprozess statt, der Anpassung und fortschreitende Institutionalisierun- gen beförderte.

So ist die Gruppe nach bestimmten Prinzipien organisiert, die für ihre Stabilität und Hand- lungsfähigkeit verantwortlich sind. Die Strukturen der CPI (Maoist) wurden anhand verschie- dener Vorbilder kommunistischer Parteien entworfen. Auf diese Weise war es möglich, die Partei zu einem hohen Grade zu formalisieren, inklusive einer Reihe an bürokratischen Prin- zipien. Dies erlaubt einen regelgebundenen Betrieb, ein hohes Maß an Disziplin und ist ent- scheidende Quelle der Legitimität. Zusätzliche Legitimität erhält die Partei über die charisma- tischen Ideen, die sich aus der Ideologie speisen und im Parteiprogramm verankert sind.

Das Organisationsprinzip des demokratischen Zentralismus ermöglicht außerdem die Hand- lungsfähigkeit der bewaffneten Gruppe durch eine starke Führung und sorgt gleichzeitig für Stabilität, indem die Mitglieder der Partei, zumindest formal, in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Das weit verbreitete Prinzip der funktionalen Differenzierung ist außerdem Grundlage für die Organisationsmacht der Gruppe, die sie in die Lage versetzt, eine Reihe unterschiedlicher Aktivitäten effektiv auszuüben. So ist die CPI (Maoist) mit ihrem gut organisierten Zwangsapparat nicht nur in der Lage, Gewalt als sporadische Aktionsmacht einzusetzen. Ihr Drohpotential flankiert die Aktivitäten des politischen Flügels, die langfristige Institutionalisierung erst ermöglichen.

Aufgrund einer starken zentralen Führung und der hohen Stabilität der Partei wird außerdem eine dezentralistische Organisation auf der unteren Ebene ermöglicht. Dieses Organisations- prinzip ist zuträglich für die flächenweite Ausbreitung und das Überleben unter schwierigen Bedingungen. Unter den gegenwärtigen Eindrücken der maoistischen Expansion und dem militärischen Druck des staatlichen Zwangsapparates lässt dieses Prinzip die Maoisten gut angepasst wirken. Jedoch macht es nachhaltige, großräumig zusammenhängende Gebietsherr- schaft unwahrscheinlich.

Aufgrund der Organisationsmacht der Partei ist es den Maoisten möglich, die Unterprivile- gierten der indischen Gesellschaft, unter denen zuvor keine Solidarität, kein Einheitsgefühl bestand, von außen zu mobilisieren. Dabei finden die Maoisten insbesondere in jenen Regio- nen gute Bedingungen für die Ausbreitung ihres Einflusses vor, wo die staatliche Ordnung nur eine untergeordnete Rolle spielt, wo Repression, Marginalisierung, soziale Disparitäten und ein Klima der Unsicherheit Teile der Bevölkerung empfänglich für das radikale Gleich- heitspostulat der Maoisten machen; wo der Legitimitätsglaube gegenüber dem Staat gering geblieben ist. Da in diesen Fällen auch die staatlichen Strukturen nur in einem geringen Maße ausgebildet sind, haben die Naxaliten generell wenige Probleme, diese auszuschalten und zu verdrängen. Nimmt die Macht der Maoisten zu, geht die des Staates und weiterer Machtzent- ren zurück.

Die Leistungen, die die Naxaliten für die Bevölkerung durchsetzen, wie Mindestlöhne, medi- zinische Versorgung, ausgeglichenere Landverteilung, Entmachtung der oft ungeliebten Großgrundbesitzer, die Lösung von Normenkonflikten durch Gerichte, Bildungsangebote sowie die Bereitstellung physischen Schutzes werden idealtypisch von der Bevölkerung in den Aufgabenbereich des Staates verortet. Im Kontrast zu seiner Untätigkeit lässt das Handeln der Maoisten sie in den Augen der lokalen Gesellschaft besonders mächtig erscheinen, was ihnen Anerkennung verschafft. Auf diese Weise nimmt die bewaffnete Gruppe eine ord- nungsstiftende Funktion für die lokale Gesellschaft ein. Die Naxaliten positionieren sich in Konkurrenz zum staatlichen Herrschaftsanspruch und stellen in diesem Zusammenhang eine Alternative für die Bevölkerung dar. Durch die Etablierung der sogenannten Parallelregierun- gen wird die Konkurrenz zur staatlichen Ordnung zudem formalisiert.

Durch den Prozess der Institutionalisierung setzt sich die Macht der Maoisten fest und nimmt Einfluss auf die soziale Ordnung. Ihre Macht bindet sich in das soziale Umfeld ein und dehnt sich aus. Teilweise gelingt es den Naxaliten sogar, ihre Machtstellung zu monopolisieren und effektive Gebietsherrschaft zu etablieren. In Abwesenheit des Staates entwickeln sie in diesen Fällen quasistaatliche Herrschaftsstrukturen. Durch deren Formalisierung und ordnungsstif- tende Funktion können sie ihre Herrschaft zumindest mit Basislegitimität ausstatten, um ihre Stellung zu stabilisieren.

Indem die Maoisten sich zum Staat als Alternative positionieren, stellen sie für ihn eine erheb- liche Gefahr dar. So macht ihre faktische Ausbreitung allen Beobachtern deutlich, dass der Staat nicht in der Lage war, seinen Herrschaftsanspruch, inklusive des Gewaltmonopols, auf seinem gesamten Gebiet durchsetzen zu können und seine Ordnung nicht überall Geltung besitzt. Auf diese Weise wird das ideale Bild des Staates beschädigt und bedroht den allge- meinen Legitimitätsglauben. Zudem schränkt die Präsenz der Naxaliten die tatsächliche Reichweite des Staates ein und unterminiert seine Handlungsmöglichkeiten. Das staatliche Machtfeld gerät durch die Aktivitäten der Naxaliten im lokalen Raum zusätzlich unter Druck. Um dieser Gefahr Herr zu werden, setzt der Staat seither maßgeblich auf Gewalt. Auf diese Weise ist es ihm jedoch nur möglich, kurzfristig die Kontrolle über die Gebiete, in denen die Maoisten ihren Einfluss ausdehnen konnten, zurückzuerlangen. In Relation zu dem recht spar- samen, meist differenzierten Einsatz von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung durch die Naxa- liten entblößt der staatliche Ansatz erhebliche delegitimierende Tendenzen, die bisweilen eher den Rücken der Maoisten stärken.

Eine militärische Niederlage der Naxaliten scheint jedoch unwahrscheinlich. Zwar konnte der Staat die Maoisten 1975 beinahe vernichten, jedoch sind sie heute viel weiter ausgebreitet, besser organisiert, konnten ihre Macht durch Institutionalisierung verankern und erhalten Unterstützung durch weite Teile der Bevölkerung. Die Verbindung zur Bevölkerung stellt die allgemeine Grundlage für den Erfolg der Maoisten dar. Es gestaltet sich schwierig, wenn nicht gar unmöglich, diese Verbindung nur durch den Einsatz von Gewalt zu zerschlagen. Die Niederlage der LTTE 2009 beweist zwar, dass auch bewaffnete Gruppen, die erhebliche Rückendeckung durch die Bevölkerung erfahren und deren Institutionalisierung staatsähnliche Züge annimmt, militärisch geschlagen werden können. Allerdings gestalten sich die Umstände in Indien aufgrund der großen geografischen Fläche unterschiedlich.

Im Zweifelsfall, wenn die Übermacht zu groß wurde, haben die Maoisten stets die Strategie erkennen lassen, dass sie zurückweichen und sich günstigere Orte suchen, um den Prozess der Machtinstitutionalisierung voran zu bringen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass es an derartigen Regionen, in denen die Bedingungen für die Maoisten günstig erscheinen, in Indien generell nicht mangelt. Zudem hat die Anpassung der Naxaliten an die Guerilla Kriegsführung dazu geführt, dass der Staat nicht in der Lage ist, seine zahlenmäßige Überlegenheit auszuspielen. Dass der Staat bisher keine Strategie gegen die Naxaliten entwickelt hat, die darauf abzielt, die genannten Bedingungen für ihre Ausbreitung zu verringern, ist ein weiterer Faktor für den relativen Erfolg der Maoisten.

9.2 Ausblick

In der vorliegenden Arbeit konnte dargestellt werden, welche Bedingungen für den relativen Erfolg der Maoisten bisher verantwortlich waren. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass die Naxaliten in der Lage sein werden, die Expansion der letzten Jahre weiter fortzuführen. Durch die militärischen Offensiven der staatlichen Sicherheitskräfte haben die Maoisten Schwierigkeiten, dauerhafte und großräumige Gebietsherrschaft aufzubauen. Aufgrund der steten Bedrohung ist die Entwicklung einer Legitimitätsbeziehung oberhalb des Grades der Basislegitimität unwahrscheinlich. So bleibt ihre Herrschaft prekär. Falls sich die beobachtba- re Tendenz, wonach die maoistischen Rebellen zunehmend Gewalt gegen die Bevölkerung einsetzen, sobald sie erhöhten Druck erfahren, fortsetzt, dann werden sie zusätzliche Proble- me in Hinblick auf den Institutionalisierungsprozess erfahren. Bezüglich der Erreichung ihres selbst formulierten Zieles, wonach die Naxaliten beabsichtigen, die Staatsmacht zu stürzen und an ihre Stelle ein neues Herrschaftssystem zu setzen, kann mit größter Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sie keine ernst zu nehmenden Fortschritte machen werden. Die Maoisten können nur dort ihre Kraft effektiv entfalten, wo staatliche Herrschaft mehr An- spruch als Wirklichkeit geblieben ist. Trotz verschiedener Anstrengungen, auch in den staatli- chen Herrschaftszentren Fuß zu fassen, kann bezweifelt werden, ob diese von Erfolg gekrönt sein werden. Hier ist der Staat zu einem hohen Grade institutionalisiert, seiner Ordnung wird gemeinhin gehorcht, was Ausdruck eines erhöhten Legitimitätsglaubens ist.

Das bisherige Handeln des Staates, das sich maßgeblich auf Reaktion beschränkt und auf den Einsatz von Gewalt zielt, scheint ungeeignet, um langfristig der Herausforderung durch die Maoisten erfolgreich begegnen zu können. Es scheint gar so, als wenn die staatlichen Verant- wortungsträger nicht realisieren würden, dass der indische Staat in seiner tatsächlichen Aus- gestaltung vom Ideal in vielen Bereichen abweicht. Aus diesem Grund wird auch maßgeblich auf den Zwang, die eine Seite der Herrschaftsorganisation gesetzt, um die Ordnung durchzu- setzen. Nach Weber bezeichnet die zweite Seite der Herrschaftsorganisation die Herstellung eines Legitimitätseinverständnisses. Wäre der Staat darum bemüht, den Legitimitätsglauben seines Herrschaftsanspruches in den Konfliktregionen auszudehnen, so könnte er seine Ge- ländegewinne auf eine nachhaltigere Basis stellen.

Zu diesem Zweck müsste der Staat parallel zur Strategie der Maoisten versuchen, seine Macht in diesen Regionen zu institutionalisieren. Die durch die Maoisten eingeleitete Entmachtung der strongmen im Lokalen könnte in dieser Hinsicht als wichtige Voraussetzung dienen. So könnte der Staat seine Macht auf jene Regionen ausdehnen, die zuvor außerhalb seiner Reichweite lagen. Auf diese Weise könnte eine Annäherung an das Ideal des modernen Anstaltsstaates gelingen. So könnte der bewaffnete Konflikt mit den Maoisten die Konsolidierung der vorausgesetzten Staatlichkeit befördern.

Da die Maoisten im Lokalen sich aber als Alternative zum Staat positionieren, muss auch dieser die Konkurrenz um den Legitimitätsglauben annehmen. Zwar kann die überlegene Gewalt legitimierend wirken, ihr undifferenzierter Einsatz bewirkt jedoch häufig das Gegenteil. Aus diesem Grunde sollte der Staat, ähnlich wie die Maoisten, den Einsatz seiner Machtformen diversifizieren, um Einfluss auf die soziale Ordnung im Lokalen zu nehmen und die Akzeptanz durch die dort lebende Bevölkerung zu erlangen.

Dafür müsste der Staat allerdings Antworten auf die sozialen Herausforderungen im Lokalen finden, die von den Naxaliten artikuliert und instrumentalisiert werden. Dazu zählen etwa die Konzentration des Landbesitzes in den Händen einiger Weniger, die restriktive Waldnutzung, Enteignungen ohne adäquate Entschädigungen sowie die dominante Position der strongmen. Wenn die staatliche Ordnung vermehrt auf Anerkennung träfe, könnte die soziale Stellung von Dalits und Adivasis verbessert werden, der Staat für die Durchsetzung der Mindestlöhne sorgen und der Sicherheitsapparat würde weniger repressiv handeln und mehr den Schutz der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen.

Zudem müsste der Staat sich dafür engagieren, soziale und regionale Disparitäten, die sich etwa in Hunger, Armut und persönlichen Abhängigkeiten zeigen, einzuebnen. Dies ist aber nicht über einen Entwicklungsansatz zu erreichen, der den Fokus einseitig auf wirtschaftliches Wachstum und Megaprojekte setzt, da dieser für soziale Verwerfungen ursächlich ist. Wenn der Staat mit seinem Handeln an das zweckrationale Interesse der Bevölkerung appel- liert und diese das Gefühl hat, dass sie von der staatlichen Ordnung profitiert, können so man- che Bedingungen, die für die erfolgreiche Ausbreitung der Naxaliten mitverantwortlich sind, eingeebnet werden. Auf diese Weise würde den Naxaliten buchstäblich der Boden entzogen werden, auf dem sie stehen. Ohne die Unterstützung der Bevölkerung schwindet ihre Macht. Es darf bezweifelt werden, dass der Staat die Kapazitäten besitzt, den beschriebenen Ansatz rasch umzusetzen. Der Ansatz bietet aber die Möglichkeit, über langfristige Anstrengungen die Gefahr durch die Maoisten für den Staat dauerhaft zu bannen.

Wenn aus idealtypischer Perspektive des modernen Staates der bewaffnete Konflikt mit den maoistischen Rebellen in Indien in Augenschein genommen werden würde, so hieße die Di- agnose einsetzender Staatszerfall. Wenn jedoch die historische Entwicklung berücksichtigt wird, kann erkannt werden, dass in den Konfliktregionen staatliche Strukturen nur wenig Bestand hatten und seine Ordnung kaum Geltung besaß. Aus diesem Grunde kann bisher auch keine Abnahme staatlicher Herrschaft, ausgelöst durch den kriegerischen Konflikt, konstatiert werden. Der vorgeschlagene Ansatz, der Institutionalisierungsbemühungen des Staates in be- sagten Regionen in Angriff nehmen würde, könnte stattdessen zu einer Zunahme an Staatlich- keit führen.

In dem Bundesstaat Chhattisgarh zeigen sich jedoch gegenteilige Tendenzen. Dort hat der Staat aus Verzweiflung die von den Maoisten entmachteten strongmen bewaffnet und gestärkt (vgl. Anhang 2). Auf diese Weise kann der Konflikt nicht genutzt werden, um die staatliche Herrschaft zu konsolidieren. Stattdessen wird er wie sein kolonialer Vorgänger aufgrund zu schwacher Durchsetzungskraft in bestimmten Regionen die Stellung alternativer Machtzent- ren stärken.

Kurzfristig ist ein Ende des Konfliktes nicht in Sicht. Über den beschriebenen Ansatz böte sich für den Staat allerdings die Chance, ihn langfristig zu beenden. Da auch von staatlicher Seite in jüngster Vergangenheit die Floskel winning hearts and minds in den Mund genom- men wird, kann unterstellt werden, dass sich das Denken der Verantwortlichen in diese Rich- tung bewegt. Aufgrund äußerst schwacher Kapazitäten im Lokalen, des Bestehens alternativer Machtzentren, der Logik der Patronage sowie grassierender Korruption in der staatlichen Verwaltung, könnte der beschriebene Ansatz jedoch auf erhebliche Widerstände treffen. Auf welche Weise sich die Strategie des Staates in dieser Hinsicht entwickelt, sollte beobachtet werden.

Die vorliegende Arbeit konnte über die Einnahme einer spezifischen Perspektive auf den vorliegenden Forschungsstand eine Reihe von Faktoren identifizieren, die das Überleben und die Expansion der Maoisten begünstigt haben.

Jedoch war für manche Themenbereiche nur begrenzt Material verfügbar. So musste für den Abschnitt des Institutionalisierungsprozesses der Naxaliten auf viele unterschiedliche Berichte aus verschiedenen Regionen Bezug genommen werden, um diese Entwicklung idealtypisch nachzeichnen zu können. Um diesen Bereich zu ergänzen, wäre es interessant, die Institutionalisierung für eine bestimmte Region historisch zu rekonstruieren. Zu diesem Zwecke würden sich etwa Interviews mit Mitgliedern der betroffenen Bevölkerung eignen.

Zudem wurde die Beschreibung der Institutionalisierung der bewaffneten Gruppe CPI (Maoist) maßgeblich anhand von internen Dokumenten vollzogen, da nur wenige Informationen zu diesem Thema bestehen. In dieser Hinsicht wäre es besonders interessant, zu welchem Grade das Funktionieren der Organisation in der Realität mit dem Ideal im Einklang steht bzw. davon abweicht. Falls in diesem Zusammenhang zusätzliche Informationen in Zukunft publiziert werden sollten, müssten diese in eine neue Analyse miteinbezogen werden.

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Anhang

Anhang 1: Die Struktur des Andhra Orissa Border Special Zonal Committee

Anhang 2: Salwa Judum - Die Privatisierung der Gewalt

Anhang 1:

Die Struktur des Andhra Orissa Border Special Zonal Committee

Die dezentrale Struktur der Organisation auf regionaler Ebene, soll am Beispiel des Andhra Orissa Border Special Zonal Committee (AOBSZC) näher erläutert werden: Auch hier wird die Trennung zwischen politischem und militärischem Flügel gewahrt (vgl. Abbildung 3). Ersterer ist zuständig für Mobilisierung, Rekrutierung sowie die Ausbildung der neuen Mit- glieder. Er ist weiterhin nach geografischen Gesichtspunkten aufgegliedert. Auf der untersten Ebene sind den einzelnen Divisionen allerdings zudem lokale Guerilla-Einheiten zugeordnet, die das Rückrad ihrer Macht darstellen. Diese Gewaltapparate sind die Grundlage ihrer Hand- lungsfähigkeit, die durch den Einsatz Instrumenteller Macht in der Lage sind, Eingriffe in die soziale Sphäre vorzunehmen (vgl. Chakabarty/Kujur 2010: 146-151; Abschn. 7.2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Organigramm der AOBSZC (eig. Darstellung, vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 146-151)

Anhang 2

An oberster Stelle des militärischen Flügels steht da Zonal Military Committee. Darunter be- finden sich fünf verschiedene Militärapparate mit unterschiedlichen Aufgaben. Zwei von ih- nen, das South Command und das North Command, sind zuständig für die militärische Orga- nisation in besagten Gebieten. Das Zonal Technical Committe ist für die Beschaffung und Verteilung von Waffen und Munition zuständig. Bei den Special Action Teams handelt es sich um bewaffnete Einheiten, die für besondere Aufträge in der gesamten Region eingesetzt wer- den. Das Platoon Party Committe, stellt die bürokratische Verwaltung des Gewaltapparates dar. Diese regelt Beförderungen, Versetzungen und Disziplinarverfahren gegen die Mitglieder (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 146-151).

Anhang 2

Salwa Judum - Die Privatisierung der Gewalt

Seit 2005 ist im Bundesstaat Chhattisgarh ein neuer Ansatz des Staates zu beobachten, um die Überhand im Konflikt zu gewinnen. Dabei wird die Gewaltanwendung privatisiert, indem die Bevölkerung bewaffnet wird. Anstelle der Eindämmung der Gewalt hat diese Vorgehensweise jedoch eher dazu geführt, die Auseinandersetzung weiter eskalieren zu lassen. Da den CRPF Kräften häufig Kenntnisse der lokalen Umgebung fehlen und sie nicht in der Lage sind, sich im unzugänglichen Einsatzgelände frei zu bewegen, begann der Staat ab dem Juni 2005 Mitglieder der ansässigen Bevölkerung zu Special Police Officer (SPO) zu ernen- nen. Diese erhalten vom Staat ein Gehalt und werden bewaffnet. Ihre Aufgabe ist es Informa- tionen zu sammeln, Naxaliten vor Ort zu bekämpfen und CRPF-Razzien anzuführen (vgl. Miklian 2009: 445) Ihnen ist es erlaubt, Naxaliten gefangen zu nehmen und zu töten (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 171). Unter der Bevölkerung sind diese Jobs heiß begehrt, verspre- chen sie doch in den von Armut betroffenen Regionen ein regelmäßiges Einkommen (vgl. Miklian 2009: 445).

Die Praxis der Ernennung von SPOs und die Bewaffnung der Bevölkerung ist aus den Konfliktregionen Punjab und Kaschmir schon bekannt (vgl. Chakravarti 2007: 62). Jedoch wurde dieser Ansatz im Juni 2005 mit der Bildung einer Miliz namens Salwa Judum 76 weiter institutionalisiert. SPOs und Miliz, schlecht ausgebildet und bewaffnet, wurden als Ersatz zu den regulären staatlichen Sicherheitskräften genutzt.

Der Staat behauptet die Gründung Salwa Judums geschah aus der Mitte der Bevölkerung und spiegele eine spontane Erhebung derjenigen wider, die sich der Gewalt der Naxaliten in den Weg stellen wollten (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 171). Jedoch konnte bewiesen werden, dass der Staat hinter der Gründung steckte (vgl. Gupta 2010: 13). Mahendra Karma, Führer der parlamentarischen Opposition und Mitglied der Kongress-Partei, gilt als ihr Patron (vgl. Marwah 2009: 152).77 Die Miliz wird durch den Staat bewaffnet, finanziert und erhält logistische Hilfe (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 172).

Eine eindeutige Zuordnung von Salwa Judum und SPOs ist nicht möglich. So sind viele Mit- glieder der Miliz auch SPOs, jedoch nicht ausschließlich (vgl. Miklian 2009: 445). Die Moti- vationslagen sich Salwa Judum anzuschließen sind mannigfaltig, sind aber häufig ähnlich geartet wie die vieler Maoisten. Unter den Fußsoldaten finden sich jene, die es auf eine Beschäftigung, Schutz und Rache abgesehen haben. Zudem gibt es Hinweise, wonach die Naxa- liten in den Regionen unter ihrer Kontrolle den Unmut der Bevölkerung auf sich gezogen ha- ben, nachdem sie sich zu stark in die vorherrschende Sitte eingemischt hatten (vgl. Chakravar- ti 2007: 36). Viele strongmen, wie Dorfvorsteher, Großgrundbesitzer, Händler und Unter- nehmer, die durch die Präsenz der Maoisten Macht und soziale Stellung eingebüßt haben, sind engagierte Führer der Miliz und finanzieren sie (vgl. Miklian 2009: 449; Navlakha 2010: 2189; Ramachandran 2010).

Salwa Judum und CRPF führen gemeinsam Operationen durch (vgl. Chakravarti 2007: 53). Dabei werden Dörfer in der Umgebung aufgesucht, die Bewohner aufgerufen, zu kooperieren und sich gegen die Naxaliten zu wenden. Man erwartet die Auslieferung von Mitgliedern der Maoisten und Informationen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 171). Dörfer, die sich weigern, mit der Miliz zu kooperieren, werden angegriffen (vgl. Chakravarti 2007: 53). So wird von der Miliz eine Praxis angewandt, die schon aus dem Krieggeschehen in Indiens Nordosten bekannt ist, das sogenannte „ Village Grouping “ (vgl. Chakravarti 2007: 62 f.). Dörfer außerhalb der Reichweite des Staates, die als potentielle Unterstützer der Maoisten eingeschätzt werden, werden geräumt. Alle Dorfbewohner werden weggeführt, die Häuser und alles, was zurückgelassen wird, wird in Brand gesteckt (vgl. Gupta 2010:13). Karma, der Führer der Miliz, hat die Strategie folgendermaßen begründet: „ Unless you cut off the source of the disease, the disease remains … The source are the people, the villagers ” (zit. nach Sengupta 2006). Laut staatlichen Aussagen wird mit dieser Politik der verbrannten Erde beabsichtigt, den Maoisten jegliche Unterstützung durch die Zivilbevölkerung, seien es Le- bensmittel, Zuflucht oder potentielle Rekruten, vorzuenthalten (vgl. Chakravarti 2007: 29/31). Anstatt die Naxaliten nur zu töten zielt diese Strategie darauf ab, ihre Machtbasis auf Dorf- ebene zu zerstören (vgl. Chakravarti 2007: 57). Ohne Zugriff auf die Bevölkerung, ist es den Maoisten nicht möglich, ihre Macht zu institutionalisieren und Herrschaft aufzubauen. Ohne Bevölkerung, die wie ein Anker und Machtmultiplikator fungiert, kann weder ein Legitimi- tätsverhältnis, noch Gebietsherrschaft aufgebaut werden. Die Dorfbewohner werden in den Kontrollbereich des Staates umgesiedelt. Zunächst kommen sie in Flüchtlingslager, später sollen sie dort ihre Dörfer neu errichten. Gewaltsame Umsiedlungskampagnen sind sehr wohl dazu im Stande, Herrschaftsbeziehungen zu zerstören (vgl. Migdal 2001: 126). Diese Praxis und die damit verbundene Gewalt haben erhebliche Flüchtlingsbewegungen aus- gelöst. Es wird geschätzt, dass über 150.000 Menschen auf der Flucht sind, davon etwa 65.000 in den Flüchtlingslagern (vgl. Gupta 2010: 13; Chakrabarty/Kujur 2010: 174). Die Lager werden von staatlichen Sicherheitskräften und der Miliz bewacht (Chakrabarty/Kujur 2010: 173). Den internierten Flüchtlingen ist es verboten, die Lager dauerhaft zu verlassen (vgl. Miklian 2009: 11). Unter den Flüchtlingen versucht die Miliz, neue Mitlieder zu rekrutieren (vgl. PUCL 2005: 9). Verschiedene Organisationen haben das äußerst gewalttätige Verhalten der Miliz gegenüber der Zivilbevölkerung dokumentiert (vgl. ACHR 2006 b; UNHCR 2008; PUCL 2005). Dazu gehören Folter, Gruppenvergewaltigungen und Hinrichtungen in erheblichem Maße. Mitunter wird sogar das Vieh umgebracht und die Lebensmittel gestohlen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 174).

Bewaffnete Gruppen, die durch den Staat geschaffen werden, weil sie Aufgaben erledigen, die reguläre Truppen entweder nicht willens oder nicht fähig sind, umzusetzen, tendieren dazu, besonders gewaltsam gegen die Bevölkerung vorzugehen (vgl. Schlichte 2009: 31). Dies wird damit erklärt, dass diese sich auf die implizite Legitimität des Staates stützen können und des- halb die delegitimierenden Effekte ihres Handelns nicht berücksichtigen (vgl. Schlichte 2009: 51-53/75). Die Miliz produziert weitere Quellen, die die Verlängerung der Gewalt wahr- scheinlich machen. Allerdings tendieren solcherlei Gruppen auch dazu, eine gewisse Eigen- dynamik zu entwickeln und sich vom Staat zu emanzipieren (vgl. Schlichte 2009: 16). Dies wurde auch bei der Miliz beobachtet. Demnach würden sich einige Führer von Salwa Judum wie Warlords verhalten, denen es maßgeblich darum ginge, ihre eigene Machtstellung auszu- bauen und gleichzeitig an der Kriegsökonomie zu verdienen. (vgl. Ramachandran 2011: 28). Die Naxaliten haben auf die Herausforderung durch Salwa Judum mit sehr viel Gewalt ge- antwortet. Sie bedrohen die Bevölkerung, auf dass diese nicht die Miliz unterstützen solle. Aus der Angst heraus, ihre Legitimitätsbasis zu verlieren, setzen die Naxaliten auch verstärkt Gewalt gegen die Bevölkerung ein. Außerdem haben sie schon mehrfach die schwer bewach- ten Flüchtlingslager angegriffen. Diejenigen die aus Angst und Schutzbedürfnis freiwillig in die Lager gehen, werden mit dem Tod bedroht (vgl. Sagar 2006: 3178).

Seit dem Auftreten der Miliz erfährt der Konflikt Eskalation und Polarisierung. Da die Bevöl- kerung bei der Konfliktaustragung in den Mittelpunkt gestellt wird, fällt es dieser schwer sich noch neutral zu verhalten (vgl. Ramachandran 2011: 28). Durch die Privatisierung der Gewalt, wurde die Gesellschaft nachhaltig militarisiert (vgl. Chakravarti 2007: 54). Zudem sind die Grenzen zwischen Staat und strongmen zusehends verwischt. Die Miliz stellt das Korrelat zwischen beiden Machtzentren dar. Die Verbindung zeigt sich bereits symbo- lisch, wenn etwa Salwa Judum -Lager mit staatlichen Straßenschildern gekennzeichnet werden (vgl. Chakravarti 2007: 68). Des Weiteren wird berichtet, wie die Miliz teilweise Kontrolle über die staatlichen Strukturen übernimmt (vgl. Chakravarti 2007:70; PUCL 2006: 28). Der oberste Gerichtshof Indiens hat wiederholt die Regierung Chhattisgarhs aufgefordert, die Bewaffnung der Bevölkerung zu unterlassen (vgl. Chakravarti/Kujur 2010: 174). Am 5. Juli 2011 hat er Salwa Judum und die Praxis der Ernennung von SPOs verboten. Der Bundesstaat hat darauf reagiert, indem er die SPOs nun Koya Commandos nennt und ihnen eine Uniform stellt. Dies sei jedoch nur Makulatur, die bisherige Praxis bleibt bestehen (vgl. Gupta 2010: 6 13). Salwa Judum hat in der indischen Öffentlichkeit laute Empörung ausgelöst, die geschickt von den Maoisten zu propagandistischen Zwecken genutzt wird (vgl. CPI-M: 2010). In dieser Perspektive wirkt die Strategie nicht nur delegitimierend für die direkt Betroffenen, sondern lässt Zweifel am allgemeinen Legitimitätsglauben gegenüber dem Staate aufkommen. Die staatlich organisierte Privatisierung der Gewalt in Chhattisgarh, lässt den Konflikt eska- lieren, anstatt ihn zu lösen. Durch die Schaffung der Miliz beabsichtigte der indische Staat die Gewaltkontrolle zurückzuerlangen. Wenn die Miliz aber eine Eigendynamik entwickelt und sich außerhalb des staatlichen Kontrollbereiches bewegt, wurde damit eher das Gegenteil er- reicht. Es scheint, als wenn der Staat sich mit den strongmen verbündet hat, die durch die In- tervention der Maoisten ihre Stellung einbüßen mussten. Dadurch wird allerdings die Macht- stellung der Eliten gestärkt. Selbst wenn es gelingen würde, die Naxaliten zu besiegen, ver- liert der Staat Macht an alternative Machtzentren. Der Konflikt hat in Chhattisgarh eine Deinstitutionalisierung der staatlichen Herrschaft begünstigt.

[...]


1 Die Belohnung soll im Folgenden nicht weiter behandelt werden.

2 Dies verweist darauf, dass Drohungen dehnbar sind, über die eigentlichen Möglichkeiten hinaus. Mit Drohungen kann geblufft werden. Auf diese Weise kann die eigentliche Macht gesteigert werden und der Bedrohte befindet sich in einer Situation der Ungewissheit (Popitz 2007: 83-85).

3 Popitz Bestimmung der Autoritativen Macht geht allerdings über das hier Beschriebene noch weiter hinaus, ist für die folgende Arbeit aber nicht von Relevanz (vgl. Popitz 2007: 140-159)

4 Im Folgenden wird Herrschaft im Sinne Autoritärer Herrschaft nach Weber behandelt. Daneben unterscheidet er noch Herrschaft kraft Interessenskonstellation (Weber 2010: 692-696).

5 Da Herrschaft eine verfestigte Machtbeziehung beschreibt, die auf strenger Gegenseitigkeit der beiden Pole beruht, hielt Weber diese, im Gegensatz zur Macht, für fassbarer und hat diesem Phänomen besondere Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. Käsler 1978: 133).

6 Popitz verweist darauf, dass die omnipräsente Angst vor Gewalt konstitutiv für die Entstehung sozialer Ord- nung und Vergesellschaftung ist (2007: 43f.). In Anlehnung an Hobbes (2007) dient die Ordnung in erster Linie der Sicherheit der Menschen, indem die sporadische Gewaltanwendung unterbunden, aber mittels Gewalt garan- tiert wird. In diesem Zusammenhang ist Machtkonzentration, in den Händen der Wahrer der sozialen Ordnung grundlegende Bedingung.

7 Neben dem Richter und dem Heerführer, wird der Patriarch als Wahrer der traditionalen Ordnung beschrieben, der die Kontinuität der bestehenden Verhältnisse sicherstellt (Popitz 2010: 248-250). Auf diese Form wird jedoch im Folgenden nicht weiter Bezug genommen.

8 Zu weiteren Merkmalen des modernen Staates vgl. Abschnitt 3.1.

9 Die Prozesse Legitimität durch gegenseitige Anerkennung und Basislegitimität werden im folgenden Abschnitt behandelt.

10 Webers Methodologie bedient sich dem Bilden von Idealtypen. Dabei handelt es sich um ein heuristisches Werkzeug, zur begrifflichen Bestimmung von Grundmustern der sozialen Wirklichkeit. Der Ursprung von Ideal- typen liegt zwar in der empirischen Wirklichkeit, darf mit dieser jedoch nicht verwechselt werden. Stattdessen werden beobachtbare Aspekte sozialer Regelmäßigkeiten bewusst gesteigert und zu einem konsistenten, logi- schem Konzept verbunden, um „reine Typen“ zu erhalten, die voneinander scharf abgegrenzt werden können. Idealtypen sind Grenzzustände, das heißt, dass sie in dieser Reinheit in der Realität generell nicht vorkommen. Vielmehr herrscht ein Mischverhältnis von Idealtypen vor. Mit den Idealtypen ist es möglich, die soziale Wirk- lichkeit zu kontrastieren und den Grad ihrer Abweichung zu messen. Der Idealtyp dient als „Folie“ zur begriffli- chen Erfassung und Beschreibung von sozialen Phänomenen (Weber 2010 14f./vgl. Kalberg 2006: 37-39).

11 Für Weber sind soziale Konflikte universelle Element von Vergesellschaftung. Kämpfe werden um die Geltung von Normen, Regeln und Gesetzen ausgetragen (vgl. Bendix 1964: 204; Ernst 2002: 76). Sie betreffen Machtdurchsetzungen gegen Widerstände. Diese können im Rahmen einer Herrschaftsordnung ablaufen, oder gegen sie gerichtet sein (Weber 2010: 27-29).

12 Da Weber die Gewalt dem Menschen als etwas „Urwüchsiges“ zuschreibt (2010: 660), kann mit dem Begriff des Gewaltmonopols lediglich eine Annäherung an ein Ideal gemeint sein. Gewalt bleibt auch bei staatlicher Herrschaft latent (vgl. Anter 2001: 136). Jedoch ist nur der Gewaltgebrauch des Staates legitim. Seine Zwangsgewalt wird genutzt um etwaige Normbrüche zu sanktionieren.

13 Der Begriff der Dritte Welt ist nicht unproblematisch, unterstellt er doch Homogenität, obwohl sich die Staaten mitunter eklatant unterscheiden (vgl. Nohlen 2008: 84-85). Nichtsdestotrotz soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, Gemeinsamkeiten zu skizzieren.

14 Die Indirect Rule ließ vorgefundene Herrschaftsstrukturen weitestgehend intakt, integrierte die einheimischen Machthaber aber in den kolonialen Herrschaftszusammenhang und machte sie zu Agenten der europäischen Eroberer. An den Höfen der einheimischen Herrscher verweilten „Berater“ der Kolonialmacht, die die Verbindung herstellten. Auf diese Weise konnten die Kolonialmächte mit verhältnismäßig wenig Aufwand über große Gebiete und viele Menschen herrschen (vgl. von Albertini 1982: 361-363).

15 Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass es sich beim Kolonialismus um einen phasenverschobenen Prozess handelte, der von unterschiedlichen Kolonialmächten, zu unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlicher Intensität durchgeführt wurde. So war etwa der Prozess der bürokratischen Institutionalisierung der britischen und französischen Eroberer in den Kolonien des 19. und 20. Jahrhunderts sehr viel intensiver, als noch bei der Kolonialisierung Lateinamerikas durch die Spanier und Portugiesen (vgl. Reinhard 2008: 4f.; Schlichte 2005: 59).

16 Zur Theorie des Machtfeldes (vgl. Bourdieu 1985: 23-37).

17 Dabei ist zu beachten, dass auch staatliche Akteure gegen die Staatsordnung verstoßen und so zu seinem inkohärenten beitragen (Migdal 2001: 53).

18 In dieser Darstellung des Staates als Machtfeld, in dem Konflikte um Macht stattfinden, offenbaren sich Parallelen zu Webers Begriff des Politischen.

19 Im Gegensatz dazu ist der Staat besonders in jenen Gegenden stark institutionalisiert, wo lokale Herrscher

durch die Kolonialherren entmachtet und an ihrer Stelle anstaltsstaatliche Strukturen errichtet wurden (vgl. Migdal 2001: 92).

20 Dazu Henry Kissinger: „ The guerrilla wins if it does not lose. The conventional army loses if it does not win “ (1969: 214).

21 Kalyvas benutzt im Englischen die Begriffe selective und indiscriminate violence (vgl. 146-172/173-209).

22 Zu den Versuchen von Akteuren die Ausübung ihrer Gewalt diskursiv zu legitimeren vgl. Apter 1997.

23 Der Sinngehalt vergemeinschafteter Beziehungen, wird nach Weber nicht nach rationalen sondern „gefühlten“ Prinzipien geprägt (Weber 2010: 29f.).

24 Popitz hat darauf hingewiesen, dass in Gesellschaften mit krisenhaften Erscheinungen der Zulauf zu machtvollen Gruppen, die etwa effektiven Schutz versprechen können, steigt (2007: 253/256).

25 „Gemeinsame politische Schicksale, d.h. in erster Linie gemeinsame politische Kämpfe auf Leben und Tod knüpfen Erinnerungsgemeinschaften, welche oft stärker wirken als Bande der Kultur-, Sprach- oder Abstammungsgemeinschaft“ (Weber 2010: 658).

26 Eine Vielzahl an bewaffneten Gruppen ist jedoch vorwiegend nach patrimonialen Mustern, also klientelisti- schen Beziehungen, strukturiert (vgl. Vinci 2006: 57). Zum den Eigenschaften von Patronagebeziehungen vgl. Eisenstadt 2006: 277-307, zur Anwendung auf bewaffnete Gruppen vgl. Schlichte 2009: S.168-172: Mittels Patrimonialisierung gelingt es sporadische Macht zu normieren, jedoch bleibt sie personal vermittelt und erreicht den Grad der Positionalisierung nicht. Der Leiter bindet Stab und die Verbandsgenossen über ein klien- telistisches Netzwerk, über das er die verfügbaren Ressourcen verteilt. Die Patrimonialisierung des Verbandes bedeutet Anfälligkeit für Krisen. Verebbt der Ressourcefluss oder stellt sich die Frage der Nachfolge, kann die Gruppe zerbrechen.

27 Popitz kommt in diesem Zusammenhang auf die besondere Immobilität von Bauern zu sprechen, die aufgrund dieser Tatsache besonders leicht zu unterdrücken seien (2007: 238). Da die meisten bewaffneten Konflikte in der Peripherie stattfinden, jenseits urbaner Zentren, ist wahrscheinlich ein Großteil der dort lebenden Menschen zur landarbeitenden Bevölkerung zu zählen, oder zumindest von dieser abhängig.

28 Jedoch können auch besonders gewaltsame Aktionen des Staates gegen die Bevölkerung delegitimierend wirken und sie in die Arme der bewaffneten Gruppe treiben (vgl. Metelits 2010: 174; Clapham 1998: 14). In diesem Zusammenhang wenden bewaffnete Gruppen auch gezielt Strategien an, um gewalttätige Repression des Staates gegen die Zivilbevölkerung zu provozieren (vgl. Metelits 2010: 166; Schlichte 2009: 146).

29 Das Kastensystem trennt die Gesellschaft nach Gruppen. Dabei fallen jeder Gruppe unterschiedliche soziale und ökonomische Rechte zu. In die Gruppen wird man hineingeboren, ein Wechsel ist ausgeschlossen. Das Kastensystem strukturiert die Gesellschaftsmitglieder ungleich und hierarchisch (vgl. Thorat 2004: 21).

30 Das Kastensystem strukturiert die sozialen Beziehungen innerhalb der indischen Gesellschaft. Es gilt nicht nur für Hindus. Innerhalb anderer religiöser Gemeinschaften, wie den Moslems, Sikhs und Christen kann eine beinah identische Logik identifiziert werden (vgl. Haußig 2008: S.105).

31 Patronagebeziehungen bezeichnen einen Sonderfall von Machtbeziehungen. Dem Patron kommt dabei meist das Monopol auf gesellschaftlich wichtige Ressource zu. Er kontrolliert den Ressourcenfluss und erhält von den Klienten Loyalität. Gleichzeitig sind Zwang und Ausbeutung Kennzeichen dieser Beziehung (vgl. Eisenstadt 283/288-299).

32 Mit der Teilung des indischen Subkontinents in die unabhängigen Staaten Indien und Pakistan, kam es zu großflächigen Umsiedlungskampagnen und Pogromen. In diesem Zusammenhang entstanden die Auseinandersetzungen um die von beiden Staaten beanspruchte Kaschmirregion. Des Weiteren weigerten sich die regionale Fürstentümer Junagadh und Hyderabad der indischen Union beizutreten (vgl. Guha 2007: 55-84).

33 Zum Begriff des Entwicklungsstaats vgl. Woo-Cummings Hrsg. 1999.

34 Der HDI ist ein differenzierter Entwicklungsindikator, der nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch Gesundheit, Bildung und Lebensstandard berücksichtigt (vgl. UNDP 2011 a).

35 Die Existenz einer Vielzahl unterschiedlicher Sprachgemeinschaften und Religionen sowie der Persistenz des Kastensystems stellen Trennlinien für das Zusammengehörigkeitsgefühl der indischen Bevölkerung dar. Zu welchem Grade der indische Staat, nach dem Ende der kolonialen Fremdherrschaft, die Basislegitimität der kul- turellen Zugehörigkeit beanspruchen kann, lässt sich aufgrund des sehr heterogenen Charakters der indischen Gesellschaft schwer erahnen. Hinzu kommt, dass insbesondere in diesen Regionen der Staat der Mehrheit der Bevölkerung fremd geblieben ist. Dies gibt Anlass, die Akzeptanz der kulturellen Zugehörigkeit in manchen Regionen nicht als gegeben anzusehen.

36 Die Briten führten als politisch-administrative Kategorie den Begriff Tribals bzw. Stammesangehörige ein (vgl. Rothermund 1995: 123f.). Heutzutage wird gemeinhin der Begriff Adivasis gebraucht.

37 Gemeinsam mit den Dalits repräsentieren sie sogar ein Viertel der indischen Bevölkerung (vgl. Expert Group 2008: 3).

38 Der indische Staat hat im Rahmen seiner Reservierungspolitik auch den Adivasis Quoten in Hochschulen, staatseigenen Betrieben und der staatlichen Verwaltung zugestanden. Das Ziel war es, eine soziale Polarisierung zu vermeiden und Solidarität unter den Adivasis zu verhindern (Frankel 1990: 504). Allerdings wurden die Quoten in aller Regel nicht erreicht (vgl. Sachchidananda 1990: 302).

39 Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Adivasis in einigen wenigen Regionen in der Lage waren ihre traditionale Ordnung zu konservieren. Diese befinden sich zumeist in den unzugänglichen Grenzgebieten zwischen den Bundesstaaten, weitgehend abseits vom Einfluss des Staates.

40 Premierminister Nehru hatte Stalin gebeten zu intervenieren. Stalin stimmte zu und rief die CPI auf ihre Waffen niederzulegen (vgl. Mehra 2008: 2; Gupta 2004: 25).

41 Für die CPI (Marxist) stellte diese Situation ein Dilemma dar. Auf der einen Seite waren eigene Parteimitglieder verantwortlich für die Organisation des Aufstandes, auf der anderen Seite war die Partei an der Regierung des Bundesstaates West Bengalen zu dieser Zeit beteiligt. In der Folge verließen eine Reihe enttäuschter Mitglieder die Partei (vgl. Mehra 2008: 28).

42 Das Gründungsdatum war der 22.4.1969, der hunderstjährige Geburtstag Lenins, mit dessen Symbolik man sich zu schmücken suchte. International wurde die Gründung der Partei von der chinesischen Führung willkommen geheißen (vgl. Singh 2010: 26-29).

43 Zudem entzweite die Rolle Chinas während der Unabhängigkeitsbestrebungen in Ost-Pakistan, heute Bangladesch, die Partei. Eine Reihe wendete sich von der Partei in Peking ab, die Führung fühlte sich allerdings weiterhin gegenüber China verpflichtet (vgl. Marwah 2009: 105).

44 Ursprünglich CPI (ML) People’s War.

45 Diese zielten auf die Organisation von Bauern, Dalits, Adivasis und Frauen (vgl. Marwah 2009: 109).

46 In dieser Zeit begannen die Naxaliten moderne Schnellfeuergewehre und Landminen einzuführen. Es wird vermutet, dass sie Material und Expertise durch Kooperation mit der sri-lankischen LTTE, den Liberation Tigers of Tamil Eelam, erhalten habe (vgl. Singh 2010: 141). Zuvor hatte die PWG der LTTE geholfen Waffen durch die Blockade von Jaffna zu schmuggeln (vgl. Chakravarti 2007:86).

47 Auf diese Weise betraten die Maoisten auch zum ersten Mal den Boden des heutigen Staates Chhattisgarhs. Dieser spaltete sich im Jahr 2000 von Madhya Pradesh ab.

48 Allerdings muss erwähnt werden, dass es zwischen den Gruppen auch immer wieder zu kleineren Konflikten kam, die mitunter auch gewaltsam eskalierten (vgl. Kujur 2008: 8).

49 Als sich 1969 die CPI (ML) gründete, blieb ein Teil der Delegierten außen vor und gründete in der Folge Dakshin Desh, die sich 1975 in MCC umbenannten. Der MCC war insbesondere im Bundesstaat Bihar aktiv und verfolgte, im Hinblick auf Frontorganisationen und Gebietsherrschaft eine ähnliche Strategie wie die PWG. Später fusionierte der MCC mit weiteren kleinen Gruppen und nannte sich fortan an Maoist Communist Centre of India (MCCI) (vgl. Kujur: 2008: 11).

50 Aufgrund der Schwäche des Staates konnten die Naxaliten die Fragmentierung überleben: Kujur formuliert es so: “ while the Naxal movement has mostly been characterized by fragmented groups and innumerable splits; successive governments at the national and state level were never able to follow uniform approach to deal with the problem of Naxalism, thus leading to a marked impact in the growth of the Naxal movement. ” (Kujur 2008, 4).

51 Diese Aussagen lassen sich bereits im Programm der CPI (ML) von 1969 finden (vgl. Singh 2010: 27).

52 So gesteht die Partei allen Völkern auf indischem Boden das Recht zur Selbstbestimmung und damit Sezession vom Staat zu (CPI-M 2006: 6). In diesem Zusammenhang existieren Berichte, wonach die CPI (Maoist) gute Kontakte zur United Liberation Front of Asom (ULFA), einer bewaffneten Gruppe, die in Indiens Nordosten für die Sezession kämpft, etabliert haben soll (vgl. Times of India 2008).

53 In Abbildung 2 nicht dargestellt.

54 Unbestätigten Berichten zufolge verfügen die Maoisten über ca. 80 militärische Ausbildungslager im ganzen Land. In jedem dieser Lager sollen zeitgleich bis zu 300 Personen trainiert werden können (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 162).

55 Es existieren Berichte, wonach die Maoisten sogar Versuche unternehmen, innerhalb der PGA eine Marinedivision zu etablieren, die die Bewegung, insbesondere innerhalb der Grenzregionen zwischen den Bundesstaaten, beschleunigen soll (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 160).

56 Pro Jahr werden ca. 100 Explosionen durch IEDs gezählt (vgl. Singh 2008:14).

57 Damit wird nicht nur das beanspruchte Gewaltmonopol des Staates offen herausgefordert, die dafür notwendigen Gewaltmittel wandern geradezu symbolisch in die Hände der Naxaliten.

58 In diesem Zusammenhang lässt sich eine Parallele zu Popitz Bild des Attentäters konstruieren. „ […] daß sich die Macht des Tötens jederzeit in die Ohnmacht des Getötetwerdens verwandeln kann, entlarvt den Vollkommenheitsanspruch […] aller Macht (2007: 58).

59 Analysten haben in diesem Zusammenhang überrascht festgestellt, dass es dabei kaum zu gewalttätigen Zwischenfällen kam. Dies war aber auch nicht das Ziel: Die Maoisten erreichen mit diesen Aktionen größtmögliche Wirkung bei gleichzeitigem minimalem Schaden (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 167).

60 Zudem gibt es einige Berichte, wonach sich teilweise enge Verbindungen zwischen Parteipolitikern und den Maoisten entwickelt haben. Aufgrund ihres Einfluss in manchen Gebieten auf die Bevölkerung, sind sie in der Lage, die Wahl nach ihrem Willen zu beeinflussen. Die gewählten Politiker versprechen im Gegenzug die Naxaliten in Ruhe zu lassen (vgl. Jha 2008: 79; Mehra 2009: 9).

61 Aufgrund der Eskalation durch die Gründung der Kastenarmeen, hat sich der Charakter des Konfliktes in Bihar verändert - vom Klassenkampf zum Kastenkampf (vgl. Kumar 2009).

62 Darüber darf nicht verschwiegen werden, dass die Maoisten im ganzen Land zahlreiche geheime Waffenfabriken und Trainingscamps etabliert haben. Diese Art der Datensetzenden Macht zielt jedoch maßgeblich auf die Steigerung ihres Gewaltpotentials und deshalb nur indirekt darauf, Einfluss auf die soziale Umwelt zu nehmen (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 145/161).

63 Anknüpfend an die Begrifflichkeiten internationaler Diskurse, nennen die Maoisten diese Aktivitäten Entwicklungsprojekte (vgl. People’s March 2008:178).

64 So konnte Borooah zeigen, dass diejenigen Distrikte, die einen erhöhten Einfluss der Naxaliten aufweisen, besonders hohe Armuts- und Analphabetismusraten besitzen (2008: 333).

65 Dies offenbart sich etwa immer dann, wenn staatliche Sicherheitskräfte Offensiven gegen Gebiete maoistischen Einflusses unternehmen. Die Maoisten werden häufig bereits im Vorhinein durch die Bevölkerung gewarnt und können fliehen. Den Sicherheitskräften ist es generell nicht möglich eine positive Verbindung zur Bevölkerung herstellen zu können. Ziehen sie ab, kehren die Naxaliten meist rasch zurück und es bereitet ihnen keine Schwierigkeiten ihre Kontrolle zu re-etablieren (vgl. Raja 2008: 8; Reddy, K. 2008: 91).

66 Sobald sich militärischer Widerstand den Naxaliten in den Weg stellt, verringern sich die Anzahl günstiger Situationen und ihre relative Überlegenheit der Gewaltmittel nimmt ab.

67 In der Verfassung wurde sogar eine eigene Hymne und Flagge festgelegt (vgl. PWG 2004).

68 In diesen Regionen, wo die Bevölkerung maßgeblich außerhalb moderner medizinischer Versorgung lebt und regelmäßig viele Menschen an leicht zu behandelnden Krankheiten, wie etwa Diarrhö sterben (vgl. AHRC 2010), müssen die Ärzte der Maoisten, die in der Lage sind mit einfachsten Methoden Leben zu retten, als etwas übermächtiges erscheinen. In Bastar sagen die Adivasis „ a doctor is next to god ” (zit. nach Satnam: 2010: 59).

69 Diese Dokumente offenbaren eine detaillierte Datensammelwut der maoistische Kader. Themen sind die soziale Zusammensetzung, Stärke der Polizei, die Identifizierung sozialer Eliten, inklusive Name und Wohnort sowie die Offenlegung eigener Aktivitäten.

70 Allerdings wurde auch gezeigt, dass die Naxaliten neben der Verwendung bürokratischer Verwaltungsmittel, auch auf intermediäre und despotische Verwaltungsmittel zurückgreifen, um ihre Herrschaft auszuüben. In dieser Perspektive treten die Parallelen zur staatlichen Herrschaft in den umkämpften Regionen hervor.

71 Immer wieder werden in der Öffentlichkeit Rufe nach dem Einsatz der Armee im Inneren laut. Dies würde jedoch bedeuten, dass für die betroffenen Regionen der Ausnahmezustand erklärt werden müsse, der gewisse Grundrechte außer Kraft setzt und der Armee zusätzliche rechtliche Kompetenzen zukommen lässt (vgl. Raju 2010).

72 Der Höhepunkt wurde am 17. April 2010 erreicht, als 76 Mitglieder der CRPF nach einem wohl geplanten Anschlag ums Leben kamen (vgl. Sharma 2010).

73 Dazu zählen die National Rehabilitation and Resettlement Policy (2007), der National Rural Employment Guarantee Act (NREGA) (2005) und der Scheduled Tribes and Other Traditional Forest Dwellers Act (2006).

74 So hat der ehemalige Premierminister Atal Bihari Vajpayee bereits 2003 anerkannt: “ Here, scarcity of funds has not been the critical bottleneck; the problem lies in [its] implementation ” (zit. nach Reddy, M. 2008: 57).

75 In den Worten des Innenministers Chidambaram: "Our response [...] will be police action to wrest control of territory that is now dominated by the Naxalites, restoration of civil administration and undertaking developmental activities - in that order" (Chidambaram 2009).

76 Der Begriff Salwa Judum stammt aus der lokalen Adivasi-Sprache Gond und wird in der Literatur mit Purification Hunt übersetzt (zu Deutsch etwa Reinigende Jagd). Der Staat behauptet allerdings, es würde Peace March (Friedensmarsch) bedeuten (vgl. Chakrabarty/Kujur 2010: 170f.).

77 Karma hatte bereits in der 1990er Jahren eine Gruppe etabliert, die bewaffnet gegen Naxaliten vorging und in kriminellen Aktivitäten verstrickt war, wie etwa dem illegalen Handel von Forstprodukten (vgl. Miklian 2009: 451)

Ende der Leseprobe aus 146 Seiten

Details

Titel
Macht, Herrschaft und Gewalt. Der bewaffnete Konflikt zwischen Maoisten und indischem Staat
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,1
Autor
Jahr
2012
Seiten
146
Katalognummer
V277394
ISBN (eBook)
9783656700593
ISBN (Buch)
9783656706625
Dateigröße
1354 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
macht, herrschaft, gewalt, konflikt, maoisten, staat
Arbeit zitieren
Lennart Bendfeldt (Autor:in), 2012, Macht, Herrschaft und Gewalt. Der bewaffnete Konflikt zwischen Maoisten und indischem Staat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277394

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