Gesellschaftskritik in Berliner Street Art


Facharbeit (Schule), 2013

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Vorwort

„Revolte statt IPhone!“

Diese konsumkritische Parole hinterließ ein Künstler auf einer Fassade in Berlin.

Meinungsbildende Street Art dieser Art ist dort weit verbreitet.

Street Art hat sich seit der Jahrtausendwende als neue Kunstform entwickelt und wird inzwischen von vielen Menschen als solche anerkannt. Ihre Themen sind sehr breit gefächert, ein Teilaspekt ist die kritische Auseinandersetzung der Künstler mit Missständen in der Gesellschaft. Im Hauptteil der Semninararbeit wird dieser genauer untersucht, um die Intention und Vorgehensweise der Street-Artists herauszuarbeiten.

Den Schluss der Seminararbeit bildet eine Zusammenfassung, welche die erarbeiteten Ergebnisse resümierend darstellt.

Im Anhang findet sich ein Interview mit einem Berliner Street-Artist, welches einen unmittelbaren Eindruck der Szene vermittelt.

2. Street Art als anerkannte Kunstform

Um sich die Frage stellen zu können, ob und auf welche Weise Kritik in Berliner Street Art geübt wird, muss zuerst einmal der Begriff „Street Art“ erklärt werden.

Außerdem wird im Folgenden die Herkunft der Kunstform beschrieben sowie ihre Entwicklung und Rolle in der Stadt Berlin.

Im Anschluss werden Unterschiede zu Graffiti in den Absichten und Techniken der Künstler aufgezeigt.

2.1. Definition des Begriffes „Street Art“

Unter Street Art versteht man „eine für jeden zugängliche künstlerische Ausdrucksform im öffentlichen Raum“[1]. Mittels verschiedener Techniken verändern Künstler ihre Umgebung, bzw. ihren Lebensraum. Da diese Handlungen jedoch meist mit dem Gesetz in Konflikt stehen, verschaffen sich die Street Artists mithilfe eines selbstgewählten Pseudonyms Anonymität.

Die Werke werden überwiegend ohne Erlaubnis angebracht, was dazu führt, dass Street Art in der Gesellschaft oft „als Vandalismus abgeurteilt“[2] wird.

Dies ist ein Grund, weshalb dieser Kunstform die Anerkennung als solche lange Zeit versagt wurde. Im Laufe der Zeit jedoch stieg in der Szene der Qualitätsanspruch hinsichtlich Technik und Aussage. Das dadurch wachsende Interesse der Bevölkerung ebnet talentierten Street Artists den Weg in Galerien.

2.2. Herkunft

„Ausgangspunkt der Street Art ist die Graffiti-Szene“[3].

In den 1960er Jahren begannen Jugendliche vor allem in New York, ihr Pseudonym in ihrer Umgebung zu hinterlassen, indem sie ihre Tags (einfarbige Unterschriften mit dem Künstlernamen) mit Markern oder Spraydosen an Wände, Züge oder andere öffentlich sichtbare Oberflächen schrieben. Hierbei ging es anfänglich nur um Quantität, denn dem Writer mit den meisten Tags in einem Viertel wurde auch der größte Respekt entgegengebracht. Mit der Zeit jedoch wurde es immer wichtiger, sich auch durch Qualität von der schnell wachsenden Zahl der Akteure abzuheben und so wurde begonnen, mit den Formen der Buchstaben zu arbeiten und sie farblich zu füllen. Dieser Wettbewerb breitete sich in kürzester Zeit von New York über die ganze Welt aus und hält noch heute an.

Obwohl Graffiti (auch „Writing“ genannt) ursprünglich nie „Teil der Kunstgeschichte“[4] war und sich die Writer bewusst von der zeitgenössischen Kunst abgegrenzt haben, war es zu jeder Zeit eine Kunstbewegung. Die Intention der Akteure war es, den eigenen Namen zu verbreiten, um Anerkennung in der Szene zu erlangen, der Kunstaspekt spielte jedoch eine geringe Rolle.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde dann ein neues Phänomen bekannt, dessen Ursprung zwar in Graffiti liegt, jedoch auf einer anderen Intention basiert:

Bei den Street Artists steht das Pseudonym an zweiter Stelle, es wird vielmehr eine Einstellung in den Werken zum Ausdruck gebracht.

Damit stand nicht mehr nur die Schrift im Vordergrund, der Künstler war in seiner Kreativität nun uneingeschränkt. Der Darstellungsform sowie der Wahl des Mediums waren keine Grenzen gesetzt, ein Künstler wurde durch sein Maß an Kreativität und Ausdrucksfähigkeit von der Szene bewertet.

Im Gegensatz zu Graffiti findet Street Art mehr Zuspruch in der Gesellschaft. Viele Menschen können mit Styles (Graffiti-Schriftzüge) und Tags wenig anfangen, da sie nur für die Writer untereinander lesbar sind und so fälschlicherweise als Geheimschriften interpretiert werden.

Street Art wurde also schnell durch ihre Bildhaftigkeit und Vielseitigkeit beliebt.

2.3. Entwicklung in Berlin

Berlin wird nicht ohne Grund als Street-Art-Zentrum bezeichnet.

Die Mauer war die wohl längste Graffiti-Leinwand der Welt, an der sich Sprayer sowie „Otto Normalverbraucher“ verewigten. Zum Ausdruck gebracht wurde damit nicht zuletzt der Hass auf dieses unmenschliche Bauwerk.

Nach dem Mauerfall „waren einige Teile im Osten der Stadt verlassen“[5], damit gab es unbegrenzt Raum für Künstler aus der ganzen Welt.

Der noch heute relativ günstige Lebensbedingungen und die wachsende kreative Szene locken junge Kunstschaffende nach Berlin. Durch die internationalen Einflüsse, die mit diesem Zuwachs einhergehen, bleibt Berliner Street Art aktiv und vielseitig.[6]

2.4. Unterschied zu Graffiti in den Absichten und Techniken der Künstler

Oft wird in diesem Zusammenhang szeneintern folgender Satz geäußert:

„Street Art is not Graffiti, but Graffiti can be Street Art“.

Hier wird deutlich, dass Street Art nicht mit Graffiti verwechselt werden darf. Es liegen folgende grundlegende Unterschiede vor:

Graffiti wird in erster Linie mit der Sprühdose in Verbindung gebracht. Den Graffiti-Writern geht es darum, ohne Hilfsmittel exakte Linien zu sprühen, wobei der Schwung aus dem Handgelenk genutzt werden soll.

Im Gegensatz dazu steht in der Street Art kein bestimmtes Medium im Vordergrund. Alle Techniken sind möglich, auf Vielseitigkeit und Kreativität wird Wert gelegt.

Typische Techniken sind das Anbringen von „Paste-ups“ (Dieser „Begriff […] meint im Allgemeinen ein mit Kleister oder Leim aufgezogenes Plakat“[7] ), die „Sticker-Art“ (Selbstgestaltete Aufkleber), sowie die „Stencil-Art“, auch Schablonenkunst genannt. Dabei wird aus Pappe oder Kunststoff die gewünschte Form ausgeschnitten, welche anschließend mehrmals mit der Sprühdose direkt auf festen Untergrund gesprüht werden kann.[8]

Immer wieder finden Street-Artists neue Wege, sich zu präsentieren und eigene Techniken vorzuführen, wobei sie sich keineswegs nur auf Malerei beschränken.

Auch in ihren Absichten unterscheiden sich Street-Artists und Writer stark:

Graffiti ist „Teil der Hip-Hop- Kultur“[9], bei der es um das Erlangen von „Fame“ (engl. Respekt) durch Selbstpräsentation geht.

Es entsteht ein Wettbewerb, bei der ein Writer den anderen durch Qualität und Quantität seiner „Pieces“ (Graffiti-Schriftzüge) überbieten und damit sich selbst oder seine Crew bekannter machen will.

Im Gegensatz zur Street Art wird im Writing keine direkte Kritik geäußert, außer durch die Handlung selbst: Ein Teil der Graffiti-Artists sieht Vandalismus als Protest gegen die allgemeine Ordnung.

Die Absichten der Street-Artists gehen darüber hinaus: Was sie vereint, ist der Wille, die Umgebung zu verschönern und mitzugestalten. Sie sehen sich also nicht als Kriminelle, sondern als Kunstschaffende. Anders als Writer wollen sie ihre Werke in Kontext mit dem Untergrund bringen. Aufgegebene Industriegelände mit maroden Mauern und Wänden, an denen nur noch Überreste alter Tapeten hängen, werden im Gegensatz zu Neubauten bevorzugt, da diese Untergründe interessante, durch die Zeit entstandene Strukturen besitzen, die mit dem Kunstwerk ein Gesamtbild ergeben.[10] Es geht also um eine Aufwertung, nicht eine Zerstörung des öffentlichen Raums.

Wenn man in Großstädten eine Straße entlangläuft, fällt einem immer wieder dasselbe auf: Überall regiert kommerzielle Werbung das Straßenbild, überall herrschen Ordnung und Normierung, welche individuelle Gedanken unterdrücken. Dieser „Unisexifizierung der Stadträume“[11] wollen die Writer entgegenwirken, indem sie ihre Meinung künstlerisch in den öffentlichen Raum integrieren und so Missstände kritisieren. Dadurch entsteht eine Art Konversation, die umso lebendiger ist, je mehr Einstellungen vertreten sind. Geht man mit diesem Gedanken durch eine Straße ohne Street Art, kommt sie einem langweilig und inhaltslos vor.

3. Missstände, die in Berliner Street Art aufgezeigt werden

Die Idee, Kunst als Mittel der Kritik zu verwenden, spielt heutzutage in vielen Bereichen eine wichtige Rolle. Häufig wird beispielsweise in Zeitungen mit Comics das Handeln von Politikern hinterfragt oder bei Demonstrationen anhand von Kunst kritisiert. Ein Beispiel hierfür sind die Proteste in Istanbul: Bei einer Kunstausstellung nehmen die „Künstler […] bewusst auf die Massenproteste gegen die türkische Regierung Bezug“[12].

Auch viele Berliner Street-Artists nutzen Kunst, um alltägliche Probleme oder negative Entwicklungen der Gesellschaft anzuprangern. Der Betrachter soll sich die Werke ansehen und sein Handeln oder seine Einstellung überdenken.

Analysiert man die Street Art, merkt man, dass eine Vielzahl von verschiedenen Missständen angesprochen wird.

Im Folgenden sollen fünf ausgesuchte Strömungen definiert und genauer beschrieben werden.

Anhand der Untersuchung ausgewählter Bilder Berliner Street Art soll verdeutlicht werden, auf welche Art und Weise die Künstler ihre Kritik zum Ausdruck bringen.

3.1. Kapitalismus

Unter dem Begriff Kapitalismus versteht man „eine Wirtschaftsform, die durch Privateigentum an Produktionsmitteln und Steuerung des Wirtschaftsgeschehens über den Markt gekennzeichnet ist“[13].

Diese zeichnet sich durch das Gewinnstreben des Einzelnen aus.

Folge dieses Profitwahns ist ein Konkurrenzkampf, bei dem sich die Gesellschaft in Kapitalisten und Lohnarbeiter unterteilt.[14]

In direktem Zusammenhang mit der Entwicklung des Kapitalismus steht die Entfaltung der antikapitalistischen Theorien, zum Beispiel die des Sozialismus.[15]

Die Kapitalismuskritiken zielen auf die Überwindung oder Abschaffung des Kapitalismus. Kritisiert werden die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft sowie die Existenz zweier antagonistischer Grundklassen.[16]

Diese Kritik ist auch in der Street Art Berlins zu finden. Häufig zu sehen sind Parolen wie „Destroy Capitalism!“ oder „Kapitalismus abschaffen!“.

Bezüglich der Wahl des Anbringungsortes lässt sich Folgendes sagen: Hauptsächlich werden solche Parolen an Wänden im öffentlichen Raum angebracht, die für möglichst viele Menschen sichtbar sind. Die Oranienstraße im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zum Beispiel ist ein solcher Ort: Mit einer großen Anzahl an Restaurants und Bars, sowie typischen Berliner Altbauten, ist sie eine Anlaufstelle für viele Touristen.

Auf der anderen Seite werden jedoch auch Wände bemalt, die im Besitz von Leuten sind, die für den Kapitalismus verantwortlich gemacht werden. Daher sind kritische Parolen oft auch auf Häusern, die auf einen hohen Lebensstandard hindeuten, zu sehen.

Die meisten Parolen, die ohne künstlerische Aspekte zu beachten einfach auf eine Wand geschrieben werden, werden gesprayt, da dies die schnellste Methode ist. An den folgenden beiden Bildern kann man anhand der Arbeitsweise feststellen, dass es den Künstlern um eine rasche Anbringung auf den Untergrund ging.

Die erste Abbildung zeigt einen Mann, dessen Arme nach oben gerichtet sind, und den darunter stehenden Schriftzug „Freiheit-freedom-libertad. Capitalism kills. Kill capitalism“. Eventuell stellt dieser einen Demonstranten dar, der von einer schwarzen gezackten Linie umgeben ist, die ihn energiegeladen wirken lässt.

Er steht in Kontext mit dem Schriftzug, denn es wirkt, als würde er die Worte ausrufen und dem Betrachter seine politische Einstellungen mitteilen wollen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Unbekannter Künstler: “Capitalism kills. Kill capitalism “

Das Gemälde wurde mithilfe eines Stencils angebracht: das Abgebildete wurde möglicherweise aus Pappe ausgeschnitten und mit einer schwarzen Spraydose direkt auf die Wand übertragen. Dieses Verfahren ermöglicht eine schnelle Anbringung, da die eigentliche aufwendige Arbeit, nämlich das Anfertigen des Stencils, nicht vor Ort vorgenommen wird.

Vermutlich möchte der Künstler aus politischem Interesse dazu aufrufen, gegen Kapitalismus vorzugehen: Mit diesem Werk lässt sich die oben genannte These begründen, dass Kapitalismus die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft bedeutet (“Capitalism kills“). Der Street-Artist plädiert für Freiheit, da diese wahrscheinlich seiner Meinung nach im Kapitalismus keinen Raum findet.

[...]


[1] vgl. Jakob, K., Street Art in Berlin, S. 7.

[2] vgl. Schiller, M. und Schiller, S., Trespass, S. 11.

[3] vgl. Jakob, K., Street Art in Berlin, S. 8.

[4] vgl. Lykkeberg, T., Still on and non the wiser, S. 31.

[5] vgl. Jakob, K., Street Art in Berlin. S. 11.

[6] vgl. Interview mit dem Street-Art-Künstler „RYBS“, siehe Anhang.

[7] vgl. Jakob, K., Street Art in Berlin, S. 44.

[8] vgl. ebd. S. 16.

[9] vgl . Lorenz, A., Street Art – Legenden zur Straße, S. 40.

[10] vgl . Schiller, M. und Schiller, S., Trespass, S. 11.

[11] vgl. Jakob, K., Street Art in Berlin, S. 7.

[12] vgl. Sokollu, S.: http://www.dw.de/kunst-als-demonstration/a-17093299

[13] vgl. Ramirez, F.: http://www.wirtschaftslexikon.co/d/kapitalismuskritik-marxistische/kapitalismuskritik-marxistische.htm

[14] vgl. o. A., Meyers großes Taschenlexikon, S. 199.

[15] vgl. Ramirez, F.: http://www.wirtschaftslexikon.co/d/kapitalismuskritik/kapitalismuskritik.htm

[16] vgl. Ramirez, F. : http://www.wirtschaftslexikon.co/d/kapitalismuskritik-marxistische/kapitalismuskritik-marxistische.htm

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Gesellschaftskritik in Berliner Street Art
Hochschule
Rhön Gymnasium, Bad Neustadt a. d. Saale  (Rhön Gymnasium, Bad Neustadt a. d. Saale)
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
22
Katalognummer
V278454
ISBN (eBook)
9783656721338
ISBN (Buch)
9783656721734
Dateigröße
1354 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gesellschaftskritik, berliner, street
Arbeit zitieren
Paul Diestel (Autor:in), 2013, Gesellschaftskritik in Berliner Street Art, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278454

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