Phänomenologie der strömungsmechanischen Wirbelspule bei Doppeldeckern


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2014

13 Seiten

Dipl.-Ing. Michael Dienst (Autor:in)


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Leseprobe


Phänomenologie der strömungsmechanischen Wirbelspule bei Doppeldeckern

Mi. Dienst, Berlin im Sommer 2014

Leider sind Doppeldecker ein wenig aus der Mode gekommen. Dies, obwohl sie mit einigen Vorteilen aufwarten gegenüber den so genannten Eindeckern, den (für unsere modernen Auffassungen) Normalflugzeugen. Als Doppeldecker werden Flugzeuge bezeichnet, bei denen zwei vertikal gestaffelte Tragflächen den zum Fliegen notwendigen Auftrieb erzeugen. Die Tragflächen können bei gleichem Auftrieb im Auslegungspunkt sehr kompakt konzeptioniert werden. Wenn die Tragflächen miteinander verstrebt sind, dies ist die übliche, mechanisch feste Konfiguration, ist mit erheblichen strömungsmechanischen Widerständen zu rechnen. Als den entscheidenden Nachteil aber bringen die modernen Flugzeugbauer jedoch die gegenseitige Beeinflussung des Luftstroms beider Einzeltrag­flächen in die Diskussion. Demnach sind einzelne Tragflächen der Doppeldeckerkonfiguration aerodynamisch überlegen und dies gilt als Ursache dafür, weshalb man seit den 30er Jahren beim Bau von Hochleistungsflugzeugen vollständig zu Eindecker-Konstruktionen überging. Doppeldecker sind, von Kuriositätenshows abgesehen, vollständig aus dem Blickfeld des laienhaften Betrachters verschwunden.

Eine Ausnahme bildet die wunderschöne Pitts Special1, ein Kunstflugdoppeldecker der von Curtis Pitts (1915-2005) entwickelt wurde und bis heute in kleiner Stückzahl von Aviat Aircraft in Afton (Wyoming, USA) hergestellt wird; eine Konstruktion in traditioneller Gemischtbauweise mit geschweißtem Stahlrohrrumpf und Holztragflächen. Pitts begann mit den Entwurfsarbeiten für die Ur-Version der „Special" bereits 1942. Der Erstflug fand 1945 mit einem Motor statt, der gerade einmal eine Leistung von 56 PS hatte. Die Maschine sollte kompakt aber leicht sein; das Leergewicht der ersten Pitts Special betrug 227 kg. Die rezente zweisitzige Version S2C2 wird heute von Motoren bis zu 264 PS angetrieben. Bei einer Spannweite ca. 6 m erreicht die Maschine dann eine Geschwindigkeit von 260 km/h. Als Tragflächenprofil wird für die frühe Pitts Special in unterschiedlichen Literaturquellen übereinstimmend das „symmetrische Profil Munk6" angegeben; wobei es sich hier wahrscheinlich aber um einen Übersetzungs- oder Übertragungsfehler handelt (der Autor). Eine Recherche einschlägiger Datenbestände in denen auch historische Profile geführt werden zeigt erwartungsgemäß und glücklicherweise, dass es sich bei dem Profil NACA M63 (Munk6) um ein klassisches, nichtsymmetrisches S-Schlagprofil handelt, welches identisch ist mit dem Profil GOE 677. Gemeint war in der Literatur wohl die Anordnung „gleicher" Tragflügelprofile für beide Doppeldeckertragflächen. Eine Variante mit nichtgleichen Tragflügelprofilen wurde dann später von Curtis Pitts patentiert. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass es sich für die Tragflügel der Special um eine Kombination von Tragflächenprofilen handelt, bei denen die obere Tragfläche (ebenfalls erwartungsgemäß) immer früher in den Stallzustand fährt als die untere, egal ob das Flugzeug sich im Normal­oder im Rückenflug befindet ( and the wings have symmetrical airfoils. The upper and furthest forward wing uses an airfoil that stalls first, whether the plane is upright or inverted.). Auch dies mag auf "symmetrische" Eigenschaften der ausgewählten Profile hindeuten. Das Profil NACA Munk6 ist kein Hochleistungsprofil, aber es erreicht einen soliden Auftriebsbeiwert von CL= 1,6 bei einem Stallwinkel von aST = 16° sofern die Anströmgeschwindigkeiten4 nicht allzu hoch sind.

Recherchiert man als Laie und Nichtflieger Doppeldeckerflugzeuge, kommt man um den Eindruck nicht umhin, dass diese Fluggeräte entweder affektiert geliebt oder grundsätzlich verabscheut werden; es existiert quasi kein leidenschaftsloser Zwischenbereich. Polari­sierung ist sogar in der Modellbauerszene spürbar. Wir wollen an dieser Stelle nun nicht spekulieren, warum dies so ist und schon gar nicht von fehlerkannten Qualitäten der Doppeldeckerkonfiguration sprechen und obwohl es darüber hinaus als eher unpassend erscheint, nehme ich den Aufsatz zum Anlass mich, erstens den unglücklich verliebten Doppeldecke-Fans zuzuordnen und zweitens ein weiteres bibliographisches Quellengespenst anzusprechen, das unter dem geheimnisvollen Begriff „Doppeldecker-Trick5 " in der Literatur herumgeistert. Zunächst einmal ist es korrekt, dass - rein formal - die zum Fliegen erforderliche Auftriebskraft unabhängig ist von Konfiguration, Anordnung und Zuschnitt der Tragflächen. Da sorgt sowohl für unglückliche als auch vorteilhafte Arrangements; je nachdem. Vergleicht man in oben vertretenem Sinne Tragflächen gleicher Flächenbelastung und Spannweite, was auf eine doppelte Profiltiefe hinweist (Fläche, Tiefe und Seitenverhältnis (Flügel) λ[-] =A/b2), miteinander hinsichtlich des vom Auftrieb (Lift L [N] = ca • A · v2 · ρ/2) abhängigen und Randwirbel induzierten Wiederstand (induzierter Widerstand6 c, = λ · ca2M) so zeigt sich rein formal-mathematisch, dass die Doppeldeckerkonfiguration genau nur die Hälfte, also zweimal den vierten Teil (2 · (1/2)2 = 2-(1/4) = 0,5) des Wertes der ungeteilten Tragfläche annimmt. Die Argumentation ist keineswegs falsch, doch assoziiert der geneigte Leser unmittelbar den sechs- oder Siebendecker (W¡ ~ 0,14 = 7 · (1/7)2) mit rasch abfallendem induziertem Widerstand für eine Gestaltung in der Art einer Jalousie­Tragfläche. Derartige Konstruktionen7 hat es - allerdings aus anderen Bewegursachen - durchaus gegeben, doch sind sie aus unserem Überlieferungs-Bewusstsein nahezu restlos verschwunden. Vielleicht funktionierten sie auch nicht so gut. Ich werde weiter unten zeigen, dass es durchaus gute, wenn auch anders geartete Gründe dafür gibt, zwei oder drei Tragflächen der Auftrieb- und insbesondere Querkrafterzeugung noch einmal vor dem Hintergrund der avisierten Übertragung historischer Technik in Zukunftstechnologien anzudenken.

In diesem Aufsatz möchte ich keinen Falls Flugzeugtragflächen auslegen oder Doppeldecker­flugzeuge konfigurieren. Vielmehr geht es mir um grundsätzliche Überlegungen zu diesen eigenartigen Querkraft- und Auftriebssystemen. Gleichsam sind dem Theorieteil vorangestellte eigenständige Handrechnungen des Lesers für die nachfolgende Argumentation durchaus hilfreich, so dass ich dem eigentlichen Kern meiner Ausführungen einige grundlegende Gleichungen der Fluidmechanik, speziell der Querkraft erzeugenden Kraft- und Arbeitstragflächen voranstelle. Legen wir uns ein erstes Instrumentarium aus Größen, spezifischen Bezeichnungen und ersten Grundgleichungen zurecht, ist es nützlich, den Handrechnungen eine Dimensionsanalyse zur Seite zu stellen. Betrachten wir zunächst die Grundeinheiten Länge, Zeit und Masse und unmittelbar abgeleitete Größen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Für die Partialwiderstände an einem angeströmten Tragflügel gelten die Proportionalitäten:

Rf Formwiderstand (Druckwiderstand) aufgrund der Umströmung der Körperkontur

(benetzte Oberfläche). Formwiderstand RF ~ ( v2,V )

(Wirkung der Druckverteilung an einem umströmten Körper. Bestimmbar durch Integration über die gesamte Körperoberfläche; unter Berücksichtigung der Kraftkomponente in Anströmrichtung [Her-04]. Abhängigkeit von der Geschwindigkeit v des Systems und dem verdrängenden Volumen V).

R0 Widerstand aufgrund der Reibung an der benetzten Körperhülle.

Oberflächenwiderstand: RO ~ ( v2,A)

(Wirkung der Wandschubspannung an einem Strömungskörper. R0 ist bestimmbar durch Integration über die gesamte Körperfläche unter Berücksichtigung der Kraftkomponente in Anströmrichtung [Her-04]. Abhängigkeit von der Geschwindigkeit v, der Viskosität des Mediums und der benetzten Oberfläche A des Systems).

Ri Induzierter Widerstand aufgrund fluiddynamischer Auftriebs- und Querkräfte.

InduzierterWiderstand RI ~ ( v-2,L2 )

(Wirkung der durch dynamischen Auftrieb oder Querkraft generierten Randwirbel. Abhängig von der Geschwindigkeit 1/v2 und der Tiefe L2 der fluidmechanisch wirksamen Bauteile).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die dargestellten Berechnungsgleichungen sind nun geeignet anhand von exemplarischen Tragflächenkonfigurationen zu zeigen, dass Arbeitstragflügel gleicher Fläche und spezifischer Tragflächenbelastung auf betragsmäßig gleiche Auftriebs- und Widerstandskräfte führen, sofern wir nicht die durch das Auftriebsgebaren induzierten Widerstande betrachten. Hier sind die Schlankheitsgrade der Teiltragflächen von großem Einfluss und können glückliche Konfigurationen (siehe: Doppeldecker-Geister) oder ungünstige Verhältnisse annehmen. Immer jedoch bedeuten sie ein mehr oder ein etwas weniger an Verzehr der in das Tragflächensystem eingespeisten Antriebsleistung (Widerstand) je nachdem, wie geschickt der Doppeldeckerflügel konfiguriert ist. Hiergegen soll auch überhaupt nicht an­argumentiert werden. Die Kontrolle der durch das Auftriebsgebaren einer (oder mehrerer) Kraft- und Arbeitstragflächen induzierten Verluste ist für jeden Strömungsmechaniker ein in hohen Maße anspruchsvolles Unterfangen. Dennoch bleiben im Laborbetrieb relativ einfachfach darstellbare, auf der Wechselwirkung von Wirbeln basierende Strömungsphänomene in aller Regel unberücksichtigt. Der nachfolgend dargelegten, so genannten Wirbelspulen-Phänomenologie möchte ich eine Funktionshypothese der umströmten Doppeldeckertragfläche voranstellen.

Funktionshypothese:

Tragflächen in Doppeldeckerkonfiguration können fluidmechanisch mit einander wechselwirken derart, dass die durch das Auftriebsgebaren der Einzeltragflächen stromabwärts abfließenden Randwirbel ein mantelförmiges Wirbelspulensystem generieren, das in seinem Kern einen beschleunigten Fluidmassenstrom, eine Jetströmung, induziert.

Nach Erörterungen zur Tragflügeltheorie, die auch Hinweise zu Doppeldeckerkonfigu­rationen enthalten, werden anschließend einige Überlegungen ausgeführt, die geeignet erscheinen die oben angeführte Funktionshypothese zu stützen. Die Theorie der fluidmechanischen Wirbelspule ist Teilgebiet einer verallgemeinerten Feldtheorie. Die nachfolgenden Ausführungen können experimentelle und numerisch-analytische Untersuchungen zu fluidmechanische Wirbelspulen an Doppeldeckerkonfigurationen kontextuell ergänzen.

Zur Tragflügeltheorie. Auf der Grundlage der Tragflügeltheorie erster Ordnung behandelt Prandtl10 in [Pra-19] zunächst die Aufgabe Geschwindigkeitskomponenten an einem Aufpunkt einer Strömung zu ermitteln, die von der Strömungsenergie einer „tragenden Linie" mit gegebener Auftriebsverteilung herrührt. Mittels der „Theorie der tragenden Linie" lassen sich Gleichungen für den Widerstand einer Tragflügelkonfiguration aus zwei Flügeln (Flügel 1 und Flügel 2) finden, der dadurch entsteht, dass ein Flügel 1 unter dem Einfluss der Störung steht, die von einem in derselben (Quer-) Ebene befindlichen Tragflügel (Flügel2 ) ausgeht. Prandtls theoretische Überlegungen sowie Berechnungen seines Mitarbeiters Munk11 zeigten, dass für vollständig symmetrisch gebaute Tragflügel (-elemente) der Widerstand, der am Flügel 2 durch die Gegenwart des Flügels 1 entsteht von derselben Größe sein muss.

[...]


1 Pitts Special: Sportflugzeug, Doppeldecker, Entwurfsland : USA, Hersteller: Curtis Pitts, Aviat Aircraft, Produktionszeit: 1945 bis heute, Stückzahl ca. 650. http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pitts S1 Special 09-2009.jpg

2 Technische Daten S2C: Spannweite: 6,10 m, Länge: 5,41 m, Höhe: 1,94 m, Tragflügelfläche: 11,61 m2, Standardtriebwerk: Avco Lycoming IO-360-A1A mit 150 kW (203 PS), Höchstgeschwindigkeit: 253 km/h.

3 NACA M6 (m6il): thickness: 12% at 30% chord, Max camber 2.2 at 30 % chord. http://aerospace.illinois.edu/m-selig/ads/coord database.html

4 Mit einem Tragflügel-Schlankheitsgrad der Pitts Special von λ ~2, Fluggeschwindigkeit: {100< v [km/h] <150} folgt ein Reynolds-Bereich: { 2.0 106 < Re [-] < 2.5 106}

5 Prof. Dr. Thomas Speck, Botanik: Funktionelle Morphologie und Bionik, Direktor Botanischer Garten, Dr. Olga Speck, Kompetenznetz Biomimetik, www.bionik-vitrine.de.

6 gemäß elliptischerAuftriebsverteilung nach Prandtl.

7 Horatio Frederick Phillips baute 1907 ein Fluggerät, das aus 200 Mehrebenentragflächen mit einem 20 PS Motor bestand und führte den ersten bemannten Motorflug in Großbritannien am 6. April 1907 durch. Er erreichte eine Flughöhe von 500 Fuß (150 m). Die Fluggeschwindigkeit betrug 30 mph (48 km/h). Die Royal Aeronautical Society veröffentlichte im Jahre 1907 die Berichte über die Arbeiten von Phillips. http://de.wikipedia.ore/wiki/Horatio Frederick Phillips

8 Angabe der Rauigkeit k in [m]. Es gilt als glatt: k= 0,001[mm] = 10"3 [mm] = 10"6 [m].

9 gemäß elliptischer Auftriebsverteilung nach Prandtl.

10 Ludwig Prandtl (* 4. 2. 1875 in Freising; + 15. 8. 1953 in Göttingen) war Physiker und lieferte bedeutende Beiträge zum grundlegenden Verständnis der Strömungsmechanik Prandtl entwickelte die Grenzschichttheorie.

11 Max Michael Munk (* 22. 10. 1890 in Hamburg; +[1] 1986) war ein deutsch-amerikanischer Aeronautiker.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Phänomenologie der strömungsmechanischen Wirbelspule bei Doppeldeckern
Autor
Jahr
2014
Seiten
13
Katalognummer
V278670
ISBN (eBook)
9783656714361
ISBN (Buch)
9783656714354
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
phänomenologie, wirbelspule, doppeldeckern
Arbeit zitieren
Dipl.-Ing. Michael Dienst (Autor:in), 2014, Phänomenologie der strömungsmechanischen Wirbelspule bei Doppeldeckern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278670

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