Herodot und Aristoteles gingen offenbar davon aus, dass sich die Demokratie in mehreren Abstufungen zur sog. radikalen Demokratie entwickelt hat, dass es sich bei der Verfassung des Kleisthenes um eine dieser Stufen der Demokratie handelte und dass es daher eine Entwicklungslinie der Demokratie von Solon über Kleisthenes bis Ephialtes gab. Herodot nannte z.B. die Phylenreform des Kleisthenes im Zusammenhang mit der Demokratie die dieser eingeführt habe und für Aristoteles war die von Kleisthenes eigeführte Isonomie , sozusagen gleichbedeutend mit Demokratie.
Moderne Historiker sehen das mehrheitlich anders , und begründen dies damit, dass die Verfassung des Kleisthenes nicht über die Merkmale der späteren sog. „radikalen“ Demokratie verfügte und dass die Athener selbst erst in späterer Zeit Ihre Verfassung als „Demokratie“ bezeichnet haben, also sich auch erst in dieser Zeit die Vorstellung von einer „Herrschaft des Volkes“ überhaupt entwickelt haben könnte. Die Aussagen der erst einige Generationen später entstandenen Berichte des Herodot und des Aristoteles werden daher als Konstrukte und spätere Erklärungsversuche der Ereignisse mit den verfügbaren Mittel angesehen.
Dennoch besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Phylenreform, die mindestens 700 Jahre die politische Ordnung bildete, also bis ins 3. nachchristliche Jahrhundert hineinreichte, das Rahmenwerk für die spätere Demokratie abgegeben hat und dass ohne sie die radikale Demokratie nicht hätte entstehen können. Es ist auch unzweifelhaft, dass Kleisthenes die Reform nicht mit dem Ziel umsetzte die Demokratie als neue Staatsform zu erfinden, auch Herodot und Aristoteles nennen andere Motive. Bei der Frage, was denn dann das Ziel gewesen sein könnte, bieten sich mehrere Antworten an: z.B. eigenes Machtstreben im Kampf gegen andere Aristokraten namentlich Isagoras, oder wie Aristoteles annimmt, dass er die Bürgerschaft zum Zwecke der Gleichberechtigung vermischen wollte . Das sind zwar zunächst plausible Gründe, die durchaus eine Rolle gespielt haben könnten. Aber erklären sie die ebenso aufwendige wie komplizierte Neuordnung Attikas durch die Phylenordnung vollständig?
Eine weitere Erklärung hierfür könnte der Umstand sein, dass sich aufgrund dieser Neuordnung die Einberufung des Hoplitenheeres erleichterte. In dieser Arbeit soll daher die Frage untersucht werden, welchen Stellenwert die militärische Organisation Attikas bei der Phylenreform hatte.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hintergrund
- Phylenreform
- Verfassung
- Quellenlage
- Motive des Kleisthenes für die Reformen
- Die militärischen Ziele der Phylenreform
- Die Ausgangslage des Kleisthenes
- Die militärischen Neuerungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Stellenwert der militärischen Organisation Attikas bei der Phylenreform Kleisthenes. Sie beleuchtet die Motive Kleisthenes' für die Reformen und analysiert die durch die Reform erzielten militärischen Veränderungen. Die Arbeit untersucht auch den Zusammenhang zwischen der Phylenreform und der späteren Entwicklung der radikalen Demokratie.
- Die militärische Organisation Attikas vor und nach der Phylenreform
- Die Motive Kleisthenes' für die Durchführung der Reformen
- Der Einfluss der Phylenreform auf die spätere Entwicklung der athenischen Demokratie
- Analyse der Quellenlage und deren Interpretation
- Die Rolle des Hoplitenheeres in der athenischen Politik
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung diskutiert gegensätzliche Interpretationen der Phylenreform des Kleisthenes: Während Herodot und Aristoteles sie als Entwicklungsschritt zur Demokratie ansehen, betonen moderne Historiker die Unterschiede zur späteren „radikalen“ Demokratie. Die Arbeit konzentriert sich auf die Untersuchung des militärischen Ursprungs der Reform, wobei die Frage im Vordergrund steht, inwieweit militärische Erwägungen Kleisthenes' Reformen motivierten.
Hintergrund: Dieses Kapitel beschreibt den historischen Kontext der Reformen, insbesondere die 50-jährige Tyrannis der Peisistratiden und die politische Stellung der Alkmeoniden, zu denen Kleisthenes gehörte. Es wird der Aufstieg Kleisthenes' zur Macht und dessen geschickte Nutzung des "einfachen Volkes" hervorgehoben, um seine politischen Gegner zu besiegen. Der Abschnitt dient als notwendige Grundlage für das Verständnis der späteren Reformen.
Phylenreform: Hier wird die neue Gebietsgliederung Attikas in drei Regionen (Stadt, Binnenland, Küste) und deren Unterteilung in Trittyen detailliert erläutert. Der Prozess der Bildung der zehn Phylen durch die Zusammenlegung von je drei Trittyen wird beschrieben, wobei der zufällige Charakter der Zuordnung nach Aristoteles betont wird. Das Kapitel erklärt die grundlegende Struktur der neuen politischen Organisation Attikas.
Verfassung: Dieser Abschnitt beschreibt die neuen verfassungsrechtlichen Elemente, die auf der Phylenreform aufbauten. Die Zusammensetzung der neuen Bule (Rat der 500), die Prytanie und das Volksgericht werden erläutert. Die Rolle der Archonten wird im Vergleich zu Solons Verfassung deutlich reduziert. Der Fokus liegt auf der Darstellung der neuen Machtstrukturen und deren Funktionsweise.
Quellenlage: Das Kapitel diskutiert die Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion der Ereignisse aufgrund des Mangels an zeitgenössischen Quellen. Die Bedeutung von Herodot und Aristoteles als wichtige, aber nicht zeitgenössische Quellen wird hervorgehoben. Zusätzlich werden die Trittyenhoroi und Buleutenlisten als wichtige archäologische Quellen genannt. Die unterschiedliche Qualität und die damit verbundenen Herausforderungen bei der Quelleninterpretation werden erklärt.
Motive des Kleisthenes für die Reformen: Dieses Kapitel untersucht die verschiedenen Motive, die Kleisthenes zu seinen Reformen bewogen haben könnten. Es werden sowohl taktische Gründe (Kampf gegen Isagoras, Gewinnung der Unterstützung des Demos) als auch die mögliche Absicht, bestehende Machtstrukturen aufzulösen, durch Vermischung der Bürgerschaft diskutiert. Die Mehrdeutigkeit der Quellen und die damit verbundenen wissenschaftlichen Kontroversen werden deutlich gemacht.
Die militärischen Ziele der Phylenreform: Dieser Abschnitt argumentiert, dass ein Hauptziel der Phylenreform die Stärkung des athenischen Heeres war. Die geografische Anordnung der Trittyen entlang wichtiger Wege nach Athen wird als Hinweis auf eine effizientere Mobilisierung und Organisation der Hopliten interpretiert. Die Fundorte der Trittyenhoroi unterstützen diese These. Die Gliederung der Flotte nach Trittyen wird ebenfalls erwähnt.
Die Ausgangslage des Kleisthenes: Dieses Kapitel beschreibt die militärische Schwäche Athens unter der Tyrannis der Peisistratiden und den damit verbundenen Verlust des Bürgerheeres. Es wird der erfolgreiche Sturz der Tyrannis durch Kleomenes und dessen Auswirkungen auf Kleisthenes' strategisches Denken hervorgehoben. Die Kapitel verdeutlicht die Notwendigkeit einer militärischen Reform aus der Sicht Kleisthenes'.
Die militärischen Neuerungen: Das letzte Kapitel fasst die militärischen Auswirkungen der Phylenreform zusammen. Die zehn Phylen bildeten die Grundlage für die Organisation der athenischen Armee und Verwaltung. Die strategische Zusammenlegung von Demen entlang wichtiger Wege nach Athen wird als weiterer Beweis für die militärische Ausrichtung der Reform betrachtet. Zusammenfassend wird die militärische Komponente der Reformen hervorgehoben.
Schlüsselwörter
Phylenreform, Kleisthenes, Athen, Demokratie, Hoplitenheer, militärische Organisation, Trittyen, Demen, Aristokratie, Tyrannis, Peisistratiden, Alkmeoniden, Isagoras, Herodot, Aristoteles, Quellenkritik.
Häufig gestellte Fragen zur Phylenreform des Kleisthenes
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Phylenreform des Kleisthenes in Athen mit einem Schwerpunkt auf deren militärischen Aspekten. Sie analysiert die Motive Kleisthenes', die militärischen Veränderungen durch die Reform und den Zusammenhang zwischen der Reform und der Entwicklung der athenischen Demokratie.
Welche Themen werden im Einzelnen behandelt?
Die Arbeit behandelt die militärische Organisation Attikas vor und nach der Reform, die Motive Kleisthenes', den Einfluss der Reform auf die athenische Demokratie, die Quellenlage und deren Interpretation, sowie die Rolle des Hoplitenheeres in der athenischen Politik. Sie beleuchtet auch den historischen Kontext, inklusive der Tyrannis der Peisistratiden und der politischen Stellung der Alkmeoniden.
Wie ist die Arbeit aufgebaut?
Die Arbeit gliedert sich in Kapitel zu Einleitung, Hintergrund, Phylenreform, Verfassung, Quellenlage, Motiven Kleisthenes', militärischen Zielen der Reform, Ausgangslage Kleisthenes' und militärischen Neuerungen. Jedes Kapitel bietet eine detaillierte Zusammenfassung der jeweiligen Aspekte.
Welche gegensätzlichen Interpretationen der Phylenreform werden diskutiert?
Die Arbeit diskutiert die unterschiedlichen Interpretationen der Phylenreform, insbesondere die Sichtweisen Herodots und Aristoteles, die sie als Schritt zur Demokratie ansehen, im Gegensatz zu modernen Interpretationen, die Unterschiede zur späteren „radikalen“ Demokratie hervorheben.
Welche Quellen werden verwendet und wie werden sie bewertet?
Die Arbeit analysiert die Quellenlage, die durch den Mangel an zeitgenössischen Quellen erschwert wird. Herodot und Aristoteles werden als wichtige, aber nicht zeitgenössische Quellen genannt, ebenso wie archäologische Quellen wie Trittyenhoroi und Buleutenlisten. Die unterschiedliche Qualität und die Herausforderungen der Quelleninterpretation werden ausführlich diskutiert.
Welche militärischen Ziele verfolgte Kleisthenes mit der Reform?
Ein Hauptziel der Reform war die Stärkung des athenischen Heeres. Die geografische Anordnung der Trittyen entlang wichtiger Wege nach Athen wird als Hinweis auf eine effizientere Mobilisierung und Organisation der Hopliten interpretiert. Die Gliederung der Flotte nach Trittyen wird ebenfalls erwähnt.
Wie beschreibt die Arbeit die Ausgangslage Kleisthenes'?
Die Arbeit beschreibt die militärische Schwäche Athens unter der Tyrannis der Peisistratiden und den Verlust des Bürgerheeres. Der Sturz der Tyrannis durch Kleomenes und dessen Auswirkungen auf Kleisthenes' strategisches Denken werden hervorgehoben, um die Notwendigkeit einer militärischen Reform zu verdeutlichen.
Welche militärischen Neuerungen brachte die Reform?
Die zehn Phylen bildeten die Grundlage für die Organisation der athenischen Armee und Verwaltung. Die strategische Zusammenlegung von Demen entlang wichtiger Wege nach Athen wird als weiterer Beweis für die militärische Ausrichtung der Reform betrachtet.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt der Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Phylenreform, Kleisthenes, Athen, Demokratie, Hoplitenheer, militärische Organisation, Trittyen, Demen, Aristokratie, Tyrannis, Peisistratiden, Alkmeoniden, Isagoras, Herodot, Aristoteles, Quellenkritik.
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- Wolfram Oehms (Autor:in), 2008, Die Phylenreform des Kleisthenes. Der militärische Ursprung der Demokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278876