Identitätskonstitution im Spannungsfeld der Kulturen in Cervantes´ Novelle "La española inglesa"


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

34 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Identitätsbildung in der Renaissance als „Zerstörung des Anderen“: Das Modell Stephen Greenblatts
2.1 Faktoren der Identitätsbildung bei Greenblatt
2.2 Greenblatts Identitätsbildungsmodell am Beispiel von Edmund Spenser

3 Der historisch-religiöse Kontext von La española inglesa
3.1 Die Entwicklung der spanisch-englischen Beziehungen im 16. Jahrhundert
3.2 Die Situation der englischen Katholiken unter Elisabeth I

4 Identitätsgestaltung in La española inglesa
4.1 Identitätsgestaltung Elisabeths
4.2 Identitätsgestaltung Isabelas
4.3 Identitätsgestaltung Clotaldos und Ricaredos

5 Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Wie El amante liberal, La gitanilla oder La ilustre fregona, so gehört auch La española inglesa zu denjenigen unter den Novelas ejemplares, in denen von ihrem Autor Miguel de Cervantes zwei alternative Welten einander gegenübergestellt werden. Genauer gesagt haben wir es in La española inglesa mit zwei verschiedenen Kulturen zu tun (vgl. Güntert, S. 147), nämlich zum einen mit der englischen und zum anderen mit der spanischen Kultur, und zwar während der Regierungszeit der englischen Königin Elisabeth I.. Die Unterschiede zwischen beiden Kulturen manifestieren sich in einem Nationalitäten- und Religionskonflikt, von dem das englisch-spanische Verhältnis zu jener Zeit geprägt war.

Das Ziel dieser Hausarbeit ist es zu untersuchen, wie sich vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes der beiden Kulturen die Identitätskonstitution in La española inglesa vollzieht. Unter ‚Identität‘ soll die „als ‚Selbst‘ erlebte innere Einheit der Person“ verstanden werden (vgl. DUDEN 5, s.v.). Gemäß dieser Definition wird es die Aufgabe dieser Hausarbeit sein zu analysieren, wie Cervantes die Identität – also das „Selbst“ – der Figuren der Novelle gestaltet. Das „wie“ bezieht sich hierbei zum einen auf die Mittel, mit denen der Autor die Identität der Figuren gestaltet und zum anderen auf das Produkt dieses Gestaltungsprozesses, das sich aus der Performativität des Textes ergibt.

Den Ausgangspunkt der Hausarbeit soll das konfliktive Identitätsgestaltungsmodell bilden, das Stephen Greenblatt in seinem Buch Renaissance Self-Fashioning from More to Shakespeare entwirft, und dessen Hauptthesen in einem ersten Kapitel vorgestellt werden sollen. In einem zweiten Kapitel soll der historische Kontext der Novelle, d.h. die wichtigsten Aspekte der englisch-spanischen Beziehungen während der Regierungszeit Elisabeths I., zusammengefaßt werden. Beide Kapitel sollen als Kontrastfolie für die im drittem Kapitel zu leistende Textanalyse dienen.

Die zentrale Fragestellung dieser Analyse wird es sein, inwieweit die Identitätskonstitution der Figuren durch das Spannungsfeld der beiden Gegenwelten determiniert wird, d.h. inwieweit Cervantes bei der Identitätsgestaltung der Protagonisten der eigenen Vorgabe folgt, die er durch die Einordnung der Novelle in den historischen Kontext der konftliktiven englisch-spanischen Beziehungen des 16. Jahrhunderts vorgenommen hat. Bei dieser Analyse der Identitätskonstitution der Hauptfiguren soll jedoch nicht der Umstand außer acht gelassen werden, daß ein Autor, indem er die Identität der Figuren eines literarischen Werkes gestaltet, auch seine eigene Identität gestalten kann (vgl. Greenblatt, S. 3-8). Es wird deshalb auch zu fragen sein, inwieweit Cervantes´ eigene Identität seine Identitätsgestaltung der Hauptfiguren der Novelle beeinflußt. Unter Berücksichtigung von Titel und Prolog der Novellensammlung wird zu klären sein, inwieweit die Identitätskonstitution in La española inglesa exemplarisch für die Identitätsgestaltung des Autors selbst ist. Dabei soll auch nach möglichen geistigen Quellen gefragt werden, die Cervantes´ Identitätskonzeption beeinflußt haben könnten.

2 Identitätsbildung in der Renaissance als

„Zerstörung des Anderen“: Das Modell Stephen Greenblatts

Um die Begriffe ‚Identitätskonstitution‘, ‚Identitätsbildung‘ und ‚Identitätsgestaltung‘, die in der vorliegenden Hausarbeit mehr oder minder als Synonyme verwendet werden sollen, mit mehr Inhalt zu füllen, soll in diesem ersten Kapitel das Identitätsbildungsmodell Stephen Greenblatts in seinen zentralen Thesen vorgestellt werden[1].

2.1 Faktoren der Identitätsbildung bei Greenblatt

Greenblatt (1980: S.2) geht in seinem Buch Renaissance Self-Fashinioning from More to Shakespeare von der Prämisse aus, daß „in sixteenth-century England there were both selves and a sense that they could be fashioned“. Für den Beginn der frühen Neuzeit stellt er jedoch einen „change in the intellectual, social, psychological, and aesthtetic structures that govern the generation of identities“ fest (ibid.).

Dieser Wandel ist nach Greenblatt dialektisch; er läßt sich am besten mit einer Reihe scheinbarer Gegensatzpaare beschreiben: Einer neuen Betonung der ausübenden Macht des Willens steht der Versuch gegenüber, den Willen zu unterdrücken. Auf der einen Seite zeichnet sich eine größere soziale Mobilität ab, andererseits wird die Bedeutung von Familie und Staat für jede Bewegung innerhalb der Gesellschaft bestätigt. Ein größeres Bewußtsein, daß es auch alternative gesellschaftliche, theologische und psychologische Konzepte gibt, wird dadurch konterkariert, daß diese Alternativen soweit wie möglich kontrolliert und letztendlich zerstört werden, da ihre Ausübung zumindest offen unmöglich wird. (vgl. ibid, S. 2-3).

Aus diesen einander entgegengesetzten Entwicklungsströmungen leitet Greenblatt die grundlegende Beobachtung ab, daß im 16. Jahrhundert ein verstärktes Bewußtsein über die Gestaltung menschlicher Identität als „manipulable, artful process“ (ibid., S. 3) aufkommt. Diese Sensibilität für die Manipulierbarkeit von Identität findet sich bei jedem der sechs englischen Autoren, die Greenblatt in seiner Studie behandelt. Als gemeinsamen Faktor, der diese Sensibilität für die Gestaltung des eigenen Selbst erklärt, nennt Greenblatt die soziale und/oder ökonomische Mobilität, durch die sich das Leben der von ihm behandelten Autoren auszeichnet (vgl. ibid., S. 7): Keiner der sechs behandelten Autoren erbte einen Titel, eine alte Familientradition oder eine gesellschaftliche Stellung, die die persönliche Identität in der Identität der Familie hätte verankern können (vgl. ibid., S.9). Somit entsteht die Notwendigkeit, Identität aus etwas anderem zu schöpfen, z.B. aus sozialem Aufstieg.

Greenblatt unterscheidet die folgenden Faktoren, die die Identitätsbildung der von ihm behandelten Autoren bestimmen: Erstens beinhaltet die Identitätsbildung die Anerkennung einer Macht oder Autorität, die zumindest teilweise außerhalb des Selbst liegt. Diese Autorität kann Gott, ein heiliges Buch, ein Monarch, der königliche Hof, die Kirche oder die militärische Administration sein (vgl. ibid.). Zweitens wird die eigene Identität definiert durch einen ‚Gegner‘, durch etwas, das als fremd oder feindlich wahrgenommen wird. Dieses bedrohliche Andere muß entdeckt oder – in der Literatur – erfunden werden, um angegriffen und zerstört werden zu können. Drittens wird das Gegnerische entweder als chaotisch wahrgenommen, d. h. als ein Fehlen von Ordnung, oder als böse, d.h. als eine dämonische Parodie der bestehenden Ordnung: Das Andere wird somit dämonisiert als Zerrbild der Autoritität, über die sich das eigene Selbst definiert (vgl. ibid.).

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Identitätsbildung ein Produkt aus der Begegnung zwischen einer anerkannten Macht bzw. einem anerkannten Konzept und etwas Fremden ist, das zum ‚Gegner‘ wird. Daher kann sich die Identität jederzeit ändern. Verschiedene Konzepte schließen sich aus, und die Identität wird immer durch Machtrelationen definiert. Das ‚Andere‘ muß zerstört werden.

2.2 Greenblatts Identitätsbildungsmodell am Beispiel von Edmund Spenser

Recht gut illustrieren läßt sich das von Greenblatt aufgestellte Identitätsbildungs-modell am Beispiel von Edmund Spenser, da Greenblatts Thesen sowohl auf das Leben als auch auf das literarische Werk Spensers zutreffen: Anders als sein adeliges Vorbild Sir Philip Sidney, dem er seine bukolische Dichtung Shepheardes Calender widmet, stammt Spenser aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater war ein wandernder Schneider (vgl. ibid., S. 7). Das Ziel von Spensers literarischem Schaffen war es daher, „to fashion a gentleman or noble person in vertuous and gentle discipline“ (ibid., S. 69): Seine literarische Tätigkeit diente Spenser, der eine humanistische Schulbildung genossen hatte, als Mittel, soziales Ansehen und damit letztendlich einen sozialen Aufstieg zu erreichen.

Spensers anerkannte moralische Autorität ist Königin Elisabeth I., die in Personalunion Oberhaupt der englischen Nation und der anglikanischen Kirche war, und die er sowohl im Shepheardes Calender als auch in seinem allegorischen Hauptwerk The Faerie Queene als Inbegriff der Tugend rühmt. Sein Bemühen, sich in höfischen Kreisen eine Reputation als Schriftsteller aufzubauen, die ihm als Trittbrett für den sozialen Aufstieg dienen sollte, war durchaus von Erfolg gekrönt (vgl. ibid., S. 185): 1579 lernte er Sir Philip Sidney kennen, und ein Jahr später wurde er Sekretär von Lord Grey of Wilson, bevor er als Lord Deputee nach Irland geschickt wurde. Dort lernte er das ‚Fremde‘ in Gestalt der katholisch gebliebenen Einheimischen kennen, die 1598 seinen Wohnsitz castle of Kilcolman anzündeten.

Der Brandanschlag gegen Spensers Anwesen kam nicht von ungefähr: Da seine anerkannte Autorität die Monarchin Elisabeth I. ist, schöpft der Autor der Faerie Queen seine Identität gegenüber den Iren aus dem eigenen Englischsein. Spenser ist einer der ersten englischen Autoren, der das Konzept einer Nation nicht nur als das einer gemeinsamen Rasse begreift, sondern vielmehr als komplexes Netzwerk von religiösen Überzeugungen, Volkstraditionen, Verwandtschaftsbeziehungen, Kleidungsformen und aesthetischen Normen (vgl. ibid., S. 187). Die fremde Kultur der Iren wird so automatisch zum ‚Gegner‘, den es zu zerstören gilt. Zur Anglisierung der irischen Kultur reicht nach Spensers Überzeugung die alleinige Eroberung Irlands durch die Engländer nicht aus; vielmehr sei es nötig, das irische Klansystem zu beseitigen, irische Kunst umzugestalten, die Volksepen der irischen Barden ebenso zu verbieten wie irische Volkstracht und die englischen Siedler davon abzuhalten, Irisch zu sprechen (vgl. ibid.). Diese unerbittlichen Maßnahmen zur Zerstörung der irischen Kultur sind für Spenser kein Makel, sondern eine Tugend. Er wird so zum „colonial administrator“, der nicht nur von Amts wegen aktiv an der Zerstörung der nativen irischen Kultur beteiligt ist, sondern diese Zerstörung in seiner apologetischen Schrift View of the present state of Ireland zu rechtfertigen versucht (vgl. ibid., S. 184-186). Die Gewaltsamkeit, mit der englische Kolonialherren wie Spenser die Iren unterdrücken, ist zugleich die Kraft, aus der sie selbst ihre Identität schöpfen.

Dieser Antagonismus zwischen anerkannter Autorität und dem bösen, zu zerstörenden ‚Anderen‘, der in Spensers Leben festzustellen ist, spiegelt sich im literarischen Werk des Autors wider: Der Gesang „The Bower of Bliss“ (‚Laube der Lust‘) aus der Faerie Queene handelt vom Ritter Guyon, der in der Laube Versuchungen widerstehen muß. Spenser beleuchtet das Verhältnis zwischen Lust, Sexualität und dem Körper.

Die anerkannte Autorität ist in der Faerie Queene der Hof der Feenkönigin Gloriana, die eine symbolische Verklärung Elisabeths I. darstellt. Das böse ‚Andere‘ ist die sexuelle Versuchung. Guyon widersteht, verläßt die Laube allerdings nicht nur, sondern muß sie zerstören (vgl. ibid., S. 170). Aus der gewaltsamen Zerstörung schöpft er seine neue Identität, denn „the act of tearing down [the bower] is the act of fashioning“ (ibid, S. 188).

3 Der historisch-religiöse Kontext von La española inglesa

Die Novelle La española inglesa ist in einen historisch gefüllten Chronotopos eingebettet[2]. Die Erzählung beginnt mit dem Raub Isabelas, der einzigen Tochter eines spanischen Kaufmanns, durch den englischen Geschwaderkapitän Clotaldo während der Eroberung und anschließenden Plünderung der spanischen Hafenstadt Cádiz im Jahre 1596 durch die Engländer (vgl. La española inglesa (EI), S. 243)[3]. Durch diesen Beginn wird die Novelle in den historischen Kontext der englisch-spanischen Beziehungen des 16. Jahrhunderts gestellt.

Die militärische Aktion der Engländer gegen Cádiz ist sowohl ein Beispiel für den Kampf um die maritime Vorherrschaft zwischen einer absteigenden und einer aufsteigenden Weltmacht als auch Ausdruck des englischen, gegen spanische Schiffe und Besitzungen gerichteten Freibeutergeistes, der unter Elisabeth I. zunehmend mit Patriotismus und Anglikanismus gleichgesetzt und somit als Kampf gegen den Papismus legitimiert wurde (vgl. Ricapito, S. 42). Wir haben es also beim englisch-spanischen Verhältnis im 16. Jahrhundert mit einem Nationalitäten- und Religionskonflikt zu tun, dessen Entwicklung im folgenden kurz nachgezeichnet werden soll.

3.1 Die Entwicklung der spanisch-englischen Beziehungen im 16. Jahrhundert

Das über weite Strecken des 16. Jahrhundert von Konflikten geprägte Verhältnis zwischen England und Spanien resultiert aus dem Antagonismus zweier sich bekämpfender relligiöser Autoritäten – dem englischen Monarchen einerseits und dem Papst andererseits (vgl. Johnson, S. 379): Im Jahr 1534 spaltet sich der englische König Heinrich VIII. von der römischen Kirche ab, indem er sich durch den Act of Supremacy zum geistigen Oberhaupt der neugegründeten anglikanischen Kirche erklären läßt. Die Abspaltung kommt zustande, weil Heinrichs Frau Katharina von Aragón, die Tochter der reyes católicos Ferdinand von Aragón und Isabel von Kastilien, keinen männlichen Nachkommen zur Welt gebracht hat, weshalb Heinrich an den Papst die Bitte richtet, die Ehe annulieren zu lassen. Der Papst steht jedoch aus diplomatischen Gründen auf der Seite der spanischen Königstochter Katharina[4], die ihre Tochter Maria zur Thronerbin machen will. Daraufhin läßt Heinrich 1533 die Ehe mit Katharina für null und nichtig erklären und heiratet Anne Boleyn, worauf er von Papst Clemens VII. exkommuniziert wird.

Fortan haben Engländer und Spanier zwei verschiedene religiöse Autoritäten: Die anerkannte Autorität der Engländer ist – mit Unterbrechungen – der englische Monarch, während die Spanier weiterhin am Papst als oberster religiöser Autorität festhalten. Das englisch-spanische Verhältnis weist also dieselben Ausgangsbedingungen auf, die Greenblatt für sein Identitätsbildungsmodell annimmt. Auch die Auswirkungen dieser Konstellation stimmen mit den Konsequenzen überein, die Greenblatt beschreibt: Beide Seiten schöpfen ihre Identität jeweils zum einen aus der eigenen anerkannten Autorität und zum anderen aus der als ‚Bedrohung‘ empfundenen anderen Autorität, die zerstört werden muß[5]. So wird in England der Papst auf Kupferstichen als Antichrist abgebildet, der das Ungeheuer aus der Apokalypse des Johannes reitet[6]. Die gegnerische Autorität wird als eine dämonisches Zerrbild der eigenen Ordnung dargestellt, Katholiken werden verfolgt und im äußersten Fall hingerichtet (siehe 3.2).Umgekehrt läßt Maria Tudor, Tochter von Heinrich VIII. und Katharina von Aragón, die nach dem Tod ihres Halbbruders Edward VI. im Jahre 1553 zum Katholizismus zurückkehrt, während ihrer fünfjährigen Regierungszeit 273 Protestanten wegen Häresie auf dem Scheiterhaufen verbrennen, weil sie glaubt, nur wenn die Seelen der Ketzer durch das Feuer des Scheiterhaufens gingen, könnten sie vor der Hölle gerettet werden (vgl. Hughes, S. 254). Sie und ihr Ehemann Philipp II. von Spanien, Enkelin und Großenkel der reyes católicos, verstehen sich als Verteidiger des wahren Glaubens. Als ihre Halbschwester Elisabeth I. nach Marias Tod zum Anglikanismus zurückkehrt, versucht ihr früherer Schwager Philipp II. wiederholt, Elisabeth zu beseitigen, indem er ihre Untertanen zu Verschwörungen gegen die englische Königin aufhetzen läßt. An einer dieser Verschwörungen beteiligt sich im Jahr 1583 mit Billigung Philipps der spanische Botschafter in London (vgl. Johnson, S. 387). Auch die Armada, die der streng katholische Philipp II. 1588 zur Invasion Englands aussendet, hatte „its messianic and religious interpreters in Spain, and it was generally looked upon as a religious crusade against Protestants“ (Ricapito, S. 42). Legitimiert durch die religiöse Autorität des Papstes sollte die Armada Invasionstruppen in England landen, deren Aufgabe es sein sollte, Elisabeths Herrschaft zu beenden und in England den Katholizismus erneut zu restaurieren (vgl. ibid., S.43).

3.2 Die Situation der englischen Katholiken unter Elisabeth I.

Wie bereits angedeutet war auch Elisabeths Kirchenpolitik darauf ausgerichtet, die eigene religiöse Autorität durchzusezten und im Gegenzug die katholische Religion und ihre Anhänger in England auszulöschen (vgl. Ricapito, S. 43). Seit der Verabschiedung des Act of Supremacy im Jahr 1559 waren alle Geistlichen, Richter und Bürgermeister per Gesetz dazu verpflichtet, einen Eid zu schwören, in dem sie die Königin als Oberhaupt der Staatskirche anerkennen und die geistliche Autorität des Papstes verneinen mußten. Außerdem verpflichtete der Act of Supremacy alle Laien dazu, an Sonn- und Feiertagen den anglikanischen Gottesdienst zu besuchen. Wer trotz gesetzlichen Verbots an der päpstlichen Autorität in Fragen geistlicher Jurisdiktion festhielt oder sie in Wort oder Schrift verteidigte, machte sich des Hochverrats schuldig und wurde mit dem Tode bestraft (vgl. Hughes, S. 33-35). Insgesamt ließ Elisabeth 183 Katholiken (124 Priester, 59 Laien) hinrichten (vgl. ibid., S. 338). Im übrigen ist die elisabethanische Regierungszeit durch eine fortwährende Verschärfung von Gesetzen und Strafen gegen Katholiken gekennzeichnet, die es den verbleibenden Katholiken verleiden sollen, ihren Glauben weiter auszuüben[7]. Carroll Johnson (S. 386) bringt die Situation der Katholiken unter Elisabeth I. auf den Punkt, wenn er sagt, daß „Catholics were considered a threat[8], Catholics were persecuted and Catholics lived in a climate of insecurity and alienation[9] “. Die englischen Katholiken reagierten auf die systematische Verfolgungs auf zweierlei Weise: Entweder sie weigerten sich offen, den neuen anglikanischen Gottesdienst zu besuchen, oder sie fügten sich nach außen der neuen anglikanischen Staatskirche, behielten insgeheim jedoch den alten Glauben bei. Diese zweite Gruppe, die sogenannten católicos secretos, lebten mit der ständigen Angst, entdeckt zu werden (vgl. EI, S. 247).

[...]


[1] Zwar entwickelte Greenblatt sein Identitätsbildungsmodell für Autoren der englischen Renaissance, da das Werk Cervantes´ jedoch auf der Schwelle von der Renaissance zum Barock steht, erscheint es wegen der kulturgeschichtlichen Nähe gerechtfertigt, Greenblatts Modell zur Interpretation von La española inglesa heranzuziehen.

[2] Unter dem Begriff des ‚Chronotopos‘ versteht Michail. M. Bachtin den „grundlegenden, wechselseitigen Zusammenhang der in der Literatur künstlerisch erfaßten Zeit-und-Raum-Beziehungen“ (vgl. Bachtin, S.7).

[3] Bei Verweisen auf Textstellen in La española inglesa soll fortan die Sigle EI verwendet werden.

[4] Carroll B. Johnson (vgl. S379) weist darauf hin, daß Cervantes´ Wahl der Namen zweier fiktiver Hauptfiguren von La española inglesa für Cervantes´ zeitgenössische spanische Leser ein halbes Jahrhundert voller konfliktiver Beziehungen mit England evoziert: Zum einen erinnert der Name von Ricaredos Mutter Catalina an Katharina von Aragón, die bei der Abspaltung der englischen Kirche von Rom eine wesentliche Rolle spielte, und zum anderen verweist der Namen der Titelhelden Isabela sowohl auf die englische Königin Elisabeth (auf Spanisch Isabel), die eine wichtige Figur in der Novelle ist, als auch auf Isabel la Católica, die Mutter Katharinas von Aragón.

[5] Es ist eine interessante Parallele, daß im Konflikt zwischen Engländern und Iren, in den der von Greenblatt behandelte Edmund Spenser als colonial administrator involviert war, die beiden Konfliktparteien ihre Identität ebenfalls teilweise aus dem Antagonismus zwischen anglikanischer Kirche einerseits und Papsttum andererseits schöpften und bis heute schöpfen (siehe die katholische IRA und der protestantische Oranierorden im Nordirlandkonflikt).

[6] vgl. The Norton Shakespeare, ed. Stephen Greenblatt, New York/London 1997, S. 14.

[7] Beispielhaft hierfür ist die Aussage Robert Southwells, eines katholischen Geistlichen in England, der 1586 seinem Vorgesetzten in Rom schrieb, daß „the enemy has reduced us to such a state, that there ist hardly any new cruelty that could be added“. (zitiert nach Hughes, S. 362). Bezeichnend für das Verhältnis zwischen Anglikanern und Katholiken ist der klare Antagonismus, der in der Wortwahl Southwells feststellbar ist. Die verbliebenen Katholiken schöpfen ihre Identität aus ihrem katholischen Glauben und entwickeln ein ‚Wir-Gefühl‘, während die Anglikaner als „der Feind“ bezeichnet werden.

[8] Daß die Katholiken von den Anglikanern als Bedrohung empfunden wurden, ist unter anderem auf die Veröffentlichung der Bulle Regnans in Excelsis zurückzuführen, in der Elisabeth 1570 durch Papst Pius II. zur Häretikerin erklärt und exkommuniziert wird. Die Bulle entbindet die englischen Katholiken von ihrem Elisabeth geleisteten Untertaneneid, so daß die Katholiken unter den Verdacht kommen, potentielle Mörder der Königin zu sein (vgl. Ricapito, S. 41).

[9] Ab 1585 kommen die gegen Katholiken verhängten Geldstrafen nicht mehr ausschließlich den Armen der Kirchengemeinde zugute, sondern ein Drittel geht an den Denunzianten, auf den die Verurteilung des Katholiken zurückgeht, so daß die Katholiken zunehmend professionellen Denunzianten ausgeliefert sind (vgl. Hughes, S. 363).

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Identitätskonstitution im Spannungsfeld der Kulturen in Cervantes´ Novelle "La española inglesa"
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar: Cervantes, Novelas ejemplares Sommersemester 1998 von Prof. Dr. Wolfgang Matzat
Note
1,3
Autor
Jahr
1998
Seiten
34
Katalognummer
V279353
ISBN (eBook)
9783656730958
Dateigröße
623 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cervantes, Novellen, Identität, Hispanistik, Romanistik, Literaturwissenschaft, Platon
Arbeit zitieren
Marcus Krämer (Autor:in), 1998, Identitätskonstitution im Spannungsfeld der Kulturen in Cervantes´ Novelle "La española inglesa", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279353

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