Stress und Stressbewältigung im Lehrerberuf. Präventions- und Interventionsmaßnahmen für die Lehrergesundheit


Masterarbeit, 2012

72 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen der Stress- und Belastungsforschung
2.1. Definition von Stress
2.2. Positiver und negativer Stress
2.3. Konzepte zum Stressbegriff
2.3.1. Reaktionsorientiertes Stressmodell
2.3.2. Reizorientiertes Stressmodell
2.3.3. Transaktionales Stressmodell nach Lazarus
2.3.4. Ressourcenfokussiertes Stressmodell
2.3.5. Zusammenfassung
2.4. Stressreaktionen als Folgen von Stress

3. Stress im schulischen Arbeitsalltag
3.1. Modell des Lehrerstress nach Rudow
3.2. Anforderungen und Tätigkeiten im Lehrerberuf
3.3. Belastungsfaktoren im Lehrerberuf
3.3.1. Belastungsfaktoren auf der Systemebene
3.3.2. Belastungsfaktoren auf der Schulebene
3.3.3. Belastungsfaktoren auf der Individuumsebene
3.3.4. Zusammenspiel von Belastungsfaktoren

4. Lehrergesundheit
4.1. Das diagnostische Instrument AVEM der Potsdamer Lehrerstudie
4.2. Befunde zum Gesundheitszustand von Lehrern

5. Präventions- und Interventionsmaßnahmen
5.1. Maßnahmen auf der Individuumsebene
5.1.1. Stärkung der Ressourcen
5.1.2. Stressbewältigung nach Lazarus
5.1.3. Stressbewältigungstrainings zur Verhaltensprävention
5.1.3.1. Entspannungstechniken
5.1.3.2. Kompetenztrainings
5.1.3.3. Kognitiv-behaviorale Verhaltensmaßnahmen
5.1.3.4. Wirksamkeit von Stressbewältigungstrainings
5.2. Maßnahmen auf der Schulebene
5.2.1. Arbeits-Bewertungs-Check für Lehrkräfte
5.2.2. Soziale Unterstützung
5.2.2.1. Lehrerkooperation
5.2.2.2. Teamentwicklung und Stärkung des Führungsverhaltens
5.3. Maßnahmen auf der Systemebene
5.3.1. Alternative Arbeitszeitreglungen
5.3.2. Notwendigkeit einer veränderten Lehrerausbildung

6. Resümee und Ausblick

Bibliographie

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das transaktionale Stressmodell

Abbildung 2: Modell des Lehrerstress nach Rudow

1. Einleitung

Wenn es um die Frage der Arbeitszeit und des Stresspegels der Lehrerinnen und Lehrer[1] geht, könnten die Antworten nicht gegensätzlicher sein. Während die einen den Lehrerberuf als Halbtagsjob ansehen, bei dem die Arbeitszeit der Lehrkräfte mit dem Gang aus dem Schulgebäude spätestens am frühen Nachmittag beendet ist, und Lehrer scheinbar mehr Urlaubstage durch die Ferien haben als andere Arbeitnehmer, schütteln die anderen bei solchen Annahmen nur den Kopf. Sie erkennen den harten Arbeitsalltag der Lehrer, der bis zu einer 60-Stundenwoche führen kann und weitaus mehr als das ausschließliche Unterrichten von Schülern umfasst. Tatsächlich schlagen sich die gestiegenen Anforderungen an Lehrer in enorme Belastungen und Stress nieder, was Schlagzeilen und Zitate aus den Nachrichten der letzten Jahre bestätigen: „Junglehrer: Ausgebrannt, bevor es losgeht“[2] oder „Lehrer gehören zu den am höchsten belasteten Berufsgruppen.“[3]. Vor diesem aktuellen und alarmierenden Thema sollte niemand, weder die Gesellschaft und die Politiker noch die Berufsgruppe selbst, die Augen verschließen, sondern aktiv werden und handeln. Denn gewiss ist, dass guter und qualitativer Unterricht auf Dauer nur mit psychisch gesunden Lehrkräften sichergestellt werden kann, welches im Interesse jedermanns sein sollte, da von dieser Berufsgruppe die nachkommenden Generationen ausgebildet werden.

Aus diesem Grund halte ich es für wichtig mich als angehende Lehrkraft mit diesem bedeutenden Thema des Stresses und der Stressbewältigung im Lehrerberuf intensiv auseinanderzusetzen. Sich mit einem derartigen Phänomen der zukünftigen Tätigkeit zu befassen, hat den Vorteil Wissen anwenden und weitergeben zu können, mit dem gezielt an Ursachen herangegangen und die eigene Lehrergesundheit mithilfe von Ressourcen aufrechterhalten werden kann. Daraus ergeben sich für die vorliegende Arbeit zwei zentrale Leitfragen: Welche Ursachen stecken dahinter, dass der Lehrerberuf mit hohem Stresserleben und Belastungen einhergeht und welche Präventions- und Interventionsmaßnahmen bestehen, um einer Beeinträchtigung des Wohlergehens vorzubeugen bzw. entgegenzuwirken?

Um effektiv auf diese Fragen eingehen zu können, werden zunächst theoretische Grundlagen der Stress- und Belastungsforschung dargelegt. Diese umfassen einen Versuch zur Definition des Stressbegriffes und eine Darstellung verschiedener Stressmodelle, die im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt wurden. Daran schließt sich eine Betrachtung der Stressreaktionen als Folge einer Stresssituation an. Ausgehend von diesen Grundlagen erfolgt eine Thematisierung des Stresserlebens im Lehrerberuf. Hierbei wird auf die vielseitigen und spezifischen Anforderungen und Tätigkeiten der Lehrkräfte und auf daraus resultierende Belastungsfaktoren auf verschiedenen Ebenen eingegangen. Im vierten Kapitel wird die bedeutende Potsdamer Lehrerstudie, die die psychische Gesundheit im Lehrerberuf untersuchte, herangezogen, mithilfe derer und weiterer Studien allgemeine Befunde zur gesundheitlichen Verfassung von Lehrern beleuchtet werden. Im Anschluss an die dargelegte Realität im Lehrerberuf bezüglich des Stresserlebens und der Gesundheitszustände werden verschiedene Präventions- und Interventionsmaßnahmen im Mittelpunkt stehen. Im Zuge dieses Schwerpunktes meiner Arbeit sollen neben der Stärkung der Ressourcen auf der individuellen Ebene, die der Stressbewältigung zugute kommen, gleichermaßen notwendige Veränderungen auf der Schul- und Schulsystemebene Beachtung finden, um Möglichkeiten zur Reduzierung von Belastungen aufzuzeigen. Letztlich soll hierbei der Blick unter anderem auch darauf gerichtet werden, eine eventuelle Veränderung in der Lehrerausbildung in Betracht zu ziehen, mithilfe derer die Lehramtskandidaten optimaler auf das bevorstehende Arbeitsleben hinsichtlich berufsspezifischer Stressfaktoren vorbereitet werden. Insgesamt werden damit sowohl Maßnahmen zur Vorbeugung als auch zur aktiven Bewältigung von Stress gegeben. Ein abschließendes Resümee umfasst eine Reflexion und Zusammenfassung der entscheidenden Erkenntnisse aus der Literaturanalyse.

2. Grundlagen der Stress- und Belastungsforschung

Im alltäglichen Leben taucht das Wort Stress im Laufe der letzten Dekaden immer häufiger auf. Es ist bereits Bestandteil unseres Lebens geworden und wird tendenziell übermäßig gebraucht. Fragt man in seinem eigenen Umkreis Menschen nach ihrem Befinden, hört man des Öfteren die Aussage: „Ich bin momentan im Stress.“ Was jedoch genau unter dem Begriff zu verstehen ist und welche wissenschaftlichen Ansätze diesbezüglich existieren, soll in diesem Kapitel erläutert werden.

2.1. Definition von Stress

Ursprünglich stammt der Begriff Stress aus dem Bereich der Physik und hatte die Bedeutung von Spannung oder Druck inne (vgl. Plaumann et al., 2006: 3). Im Jahre 1914 fand der Stressterminus erstmals durch Cannon Eingang in die psychophysiologische Literatur und wurde durch den bedeutenden Stressforscher Hans Selye bekannt gemacht (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 28). Während im Alltagsgebrauch unter Stress eher einheitlich eine belastende Situation aufgefasst wird, die die körperliche und psychische Gesundheit beeinträchtigen kann, ist die wissenschaftliche Verwendung nicht übereinstimmend. Bestimmte wissenschaftliche Bereiche, von der Biologie über die Soziologie bis hin zur Psychologie, definieren Stress auf verschiedene Art und Weise mit unterschiedlichen Schwerpunkten, was zu einzelnen Stressmodellen[4] führt. Aus diesem Grund wird eine allgemeingültige Definition schwer zu finden sein (vgl. Nitsch, 1981: 29).

Da im Zusammenhang mit dem Begriff Stress auch oftmals der Ausdruck Belastung fällt, soll darauf an dieser Stelle eingegangen werden. Obwohl es hier wie auch bei der Definition von Stress Unklarheiten gibt, können sich die Wissenschaftler aufgrund der geringeren Komplexität mehrheitlich darauf einigen, mit Belastung Stressoren[5] zu bezeichnen (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 29; van Dick, 2006: 28).

2.2. Positiver und negativer Stress

Die wichtige Differenzierung zwischen positivem und negativem Stress geht auf Hans Selye zurück, welcher ersteren mit dem Begriff Eustress und letzteren mit Distress bezeichnet. Er stellte fest, dass die Gesundheit nicht automatisch unter Stress leiden muss, da es davon abhängt, ob der Körper den Stress als förderlich oder nachteilig wahrnimmt. Demzufolge kann ein gewisses Maß an Stresserleben sehr gut für das Individuum sein, um sein Leistungspotential zu steigern, mithilfe dessen er Herausforderungen besser meistern kann (vgl. Busse et al., 2006: 64, 66). Die Annahme der aktivierenden Wirkung von Stress untermauert das Yerkes-Dodson-Gesetz, welches „[d]ie Beziehung zwischen der Leistung bei einer Aufgabe und dem optimalen Erregungsniveau“ (Zimbardo, Gerrig, 2008: 748) beschreibt.

Steigt das Stresserlebensniveau allerdings soweit, dass man von einer Überforderung der Anforderungen ausgehen muss, die länger anhält und als sehr belastend empfunden wird, handelt es sich um negativen Stress. Dieser kann zu Beeinträchtigungen der körperlichen und psychischen Gesundheit führen (vgl. Plaumann et al., 2006: 5; Kramis-Aebischer, 1996: 29). Spricht man von Stress, ist in der Regel der negative Stress gemeint, welches auch der Fall in der vorliegenden Arbeit sein wird.

2.3. Konzepte zum Stressbegriff

Im folgenden Kapitel werden vier stresstheoretische Modelle chronologisch nach ihren Entstehungsjahren vorgestellt. Durch unterschiedliche Ansätze wissenschaftlicher Disziplinen wurde teilweise versucht, die Kritiken vorhergehender Konzepte zu berücksichtigen. Das transaktionale Stressmodell nach Lazarus soll dabei ausführlicher betrachtet werden, da im Zentrum des psychologischen Konzeptes die Sicht des Betroffenen auf das Stressgeschehen steht.

2.3.1. Reaktionsorientiertes Stressmodell

Hans Selye, Endokrinologe und einer der ersten Stressforscher, dienten als Grundlage seiner stresstheoretischen Erkenntnisse Untersuchungsergebnisse aus Tierversuchen. Die Bekanntmachung seines biologischen Stresskonzeptes im Jahre 1936, welches sich mit den physiologischen Veränderungen im Körper bei Stresseinwirkung beschäftigt, gilt als die Geburtsstunde der Stresstheorien. Nach Selye ist unter Stress eine unspezifische Reaktion des Organismus als Antwort auf externe und interne Reize zu verstehen (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 29).

Diesen Prozess beschrieb er durch ein in drei Phasen gegliedertes Allgemeines Adaptionssyndrom, welches „scheinbar unabhängig von der Art des Stressors, bei jeder intensiven Stresseinwirkung ab[läuft].“ (Busse et al., 2006: 67). Auf die Wahrnehmung eines Stressors reagiert der Körper mit einer kurzweiligen Erregung, welches die Alarmreaktionsphase kennzeichnet. Eine derartige Reaktion geht mit einer vermehrten Ausschüttung von Adrenalin einher und kann beispielsweise eine verstärkte Schweißbildung oder einen schnelleren Herzschlag bewirken. Diese physiologischen Veränderungen sind nötig, um den Organismus wieder ins Gleichgewicht zu bringen und somit den Normalzustand wiederherzustellen. Mit der Anpassung an die Gegebenheiten wird der Organismus trotz anhaltender Belastung in der darauffolgenden Widerstandsphase gegen den aktuellen Stressor resistent, sodass die physischen Anzeichen der Alarmreaktionsphase schwächer werden. In dieser Situation kann der Körper jedoch anfälliger für weitere Reize sein, da er sich auf den Hauptstressor konzentriert. Infolge einer erfolgreichen Adaption kann sich der Organismus anschließend erholen. Für den Fall, dass keine Regenerierung aufgrund eines zu hohen Stressors oder einer fortwährenden Dauer des Zustandes gewährleistet werden kann, kommt es zur Erschöpfungsphase, die zur Krankheit oder zum Tod führen kann (vgl. ebd.; van Dick, 2006: 28).

Obwohl Selyes Modell als Vorreiter stresstheoretischer Konzepte von großer Bedeutung war, wurden verschiedene Kritikpunkte geäußert. Neben der kritisierten Zirkularität und der Infragestellung der Ansicht einer Unspezifität bezüglich der körperlichen Stressreaktion auf einen Reiz werden gleichermaßen fehlende Beurteilungsprozesse, welche Einfluss auf die Stressreaktion haben können, bemängelt (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 29f.; van Dick, 2006: 28).

2.3.2. Reizorientiertes Stressmodell

Beim reizorientierten Stressmodell, welches in der Literatur auch als situationsbezogen bezeichnet wird, wird das Phänomen Stress über den Stressor definiert, worin ferner der Name des Konzeptes seinen Ursprung hat. Es wird davon ausgegangen, dass auf Reize mit unterschiedlich starken Ausprägungsgraden höchstwahrscheinlich Stressreaktionen folgen (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 30). Busse et al. (2006: 67) führen zur Unterscheidung dieser Stressoren die drei Ebenen nach Anderson an. Die Ebene I umfasst chronische Stressoren, die aus sozialen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen wie Rassismus oder finanziellen Problemen resultieren und die Gesundheit beeinträchtigen. Die beiden anderen Ebenen von Stressoren nach Anderson, die sich auf kritische Lebensereignisse[6] („major life events“) und auf Alltagsbelastungen („daily hassles“) konzentrieren, existieren sogar als eigenständige Forschungsansätze, die auf reizbezogenen Ansätzen basieren. Demzufolge können Stressoren ebenfalls durch Konfrontationen mit kritischen Lebensereignissen entstehen. Neben unliebsamen, einschneidenden Ereignissen wie der Tod einer nahestehenden Person oder eine Trennung werden auch positive Anlässe wie die Eheschließung oder ein bevorstehender Abschluss als potentieller, Stress auslösender Reiz mit eingeschlossen. Anhäufungen diverser Belastungen im Alltag stellen die dritte Ebene von Stressoren dar, die beispielsweise körperliche Probleme wie Übergewicht, psychosoziale Streitigkeiten oder das Arrangement von Beruf und Familie und die optimale Erledigung der Aufgaben dieser beiden Bereiche umfassen. Bei diesem Daily-hassles- Forschungsansatz wird davon ausgegangen, dass vielmehr die Alltagsbelastungen zu einer gesundheitlichen Schädigung führen können als die großen, kritischen Lebensereignisse (vgl. ebd. 67, 69; Kramis-Aebischer, 1996: 30f.).

An dem reizorientierten Stressmodell wird dahingehend Kritik geäußert, dass psychologische Bewertungsprozesse bezüglich des Reizes, welche beim betroffenen Individuum ablaufen, größtenteils außer Acht gelassen werden. Gleichermaßen beeinträchtigen kritische Lebensereignisse nach heutiger Ansicht nicht zwangsläufig die psychische und körperliche Gesundheit, sondern nach neueren Erkenntnissen geschieht dies in Abhängigkeit von der subjektiven Einschätzung und Bewertung des Ereignisses und der Bewältigungsmöglichkeiten, sodass dieses als Herausforderung gesehen werden könnte (vgl. Busse et al., 2006: 69; Kramis-Aebischer, 1996: 30f.).

2.3.3. Transaktionales Stressmodell nach Lazarus

Die Stressforschung wurde insbesondere von Lazarus und seinen Mitarbeitern mit dem transaktionalen Stressmodell geprägt, welches auf der psychologischen Ebene einzuordnen ist. Mit diesem in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelten Konzept wurde der Hauptkritikpunkt der reaktions- und reizbezogenen Stresstheorien aufgegriffen. Somit besteht der Kerngedanke darin, sowohl kognitive Beurteilungen und Einschätzungen der betroffenen Person in Bezug auf einen Stressor als auch Bestrebungen zur Bewältigung mit einzubeziehen (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 32f.). Entsprechend definiert Lazarus „Stress als einen transaktionalen[7] Prozess, der immer dann einsetzt, wenn die Umgebungsanforderungen oder die internen Anforderungen (oder beide) die Bewältigungsfähigkeiten einer Person beanspruchen“ (Schaarschmidt, 2005a: 32) oder überschreiten, sodass das Individuum nicht mehr in der Lage ist, eine angemessene Reaktion auf den existenten Stressor zu zeigen (vgl. ebd.). Infolgedessen ist die Frage danach, ob ein Reiz aus der Umwelt einen Stressauslöser darstellt oder nicht, von den kognitiven Bewertungsprozessen der aktiven Person abhängig, sodass eine objektive Definition von Stress nicht möglich ist (vgl. Busse et al., 2006: 69). Darüber hinaus fließen persönliche Lernerfahrungen, Sollwerte[8] und Dispositionen mit ein, welche somit zu interindividuellen Unterschieden im Stresserleben führen. Ungünstige Persönlichkeitsfaktoren wie zu hohe Ansprüche oder Perfektionismus können dabei als individuelle Stressverstärker wirken (vgl. Schaarschmidt, 2005a: 31f., 35).

Die im Mittelpunkt der transaktionalen Stresstheorie stehenden kognitiven Bewertungsprozesse sind in drei Kategorien unterteilt: die primäre Bewertung (primary appraisal), die sekundäre Bewertung (secondary appraisal) und die Neubewertung (reappraisal). Diese müssen jedoch nicht, wie die Einteilung vermuten lässt, nacheinander ablaufen. Es besteht die Möglichkeit, dass die primäre und sekundäre Bewertung zeitlich interferieren und gegenseitig Einfluss aufeinander nehmen. Obwohl sich diese Prozesse eher instinktiv vollziehen, können sie bewusst überdacht werden (vgl. Busse et al., 2006: 69; Schaarschmidt, 2005a: 33).

Die primäre Bewertung stellt eine subjektive Einschätzung des Stressors bezüglich des persönlichen Wohlergehens dar und kann als irrelevant, angenehm-positiv oder stressrelevant erachtet werden. Stress wird dementsprechend über das persönliche Stressempfinden definiert. Im Falle einer vom Individuum als stressreich und belastend deklarierte Situation folgt eine weitere Unterscheidung, ob diese als Schädigung/Verlust, Bedrohung oder Herausforderung empfunden wird. Während die Kognition Schädigung/Verlust eine bereits erlebte Beeinträchtigung bezeichnet, wie beispielsweise eine Störung der Selbstwertschätzung oder der sozialen Anerkennung, ist das Bewusstsein einer Bedrohung oder Herausforderung zukunftsgerichtet. Die Bedrohung bezeichnet vergleichbare Ereignisse einer Schädigung, die allerdings noch nicht eingetreten sind, aber vom Individuum befürchtet werden. Hingegen ist die Herausforderung durch das Wissen über zur Verfügung stehender Bewältigungsstrategien gekennzeichnet, wodurch die Anforderung als realisierbar erscheint und bei Erfüllung zur persönlichen Entwicklung beiträgt. Obwohl alle drei Situationsmerkmale als stressrelevant eingestuft worden sind, geht die Herausforderung aufgrund eines möglichen Erfolgs mit positiven Emotionen einher, während bei Schädigung/Verlust und der Bedrohung negative Gefühle wie Schmerz oder Resignation aufkommen (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 33f.; Lazarus, 1995: 212).

Im Gegensatz zur Bedeutsamkeit des subjektiven Wohlergehens bei der primären Einschätzung überprüft das Individuum in der sekundären Bewertung seine zur Verfügung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten und –fähigkeiten hinsichtlich der als belastend wahrgenommenen Situation. Dieser komplexe Einschätzungsprozess ist dabei an erwartete Erfolgswahrscheinlichkeiten gekoppelt, sodass zwei wichtige Entscheidungen des Betroffenen dazu beitragen, ob die stresshafte Situation zur Zufriedenheit gelöst werden kann. Einerseits besteht die Frage nach der Zielführung und der Erfolgsgarantie der verfügbaren Ressource (Ergebniserwartung). Andererseits spielt die Wirksamkeitserwartung eine relevante Rolle, die ein Maß dafür ist, inwieweit die Person davon überzeugt ist, eine ihr bekannte Bewältigungsstrategie einsetzen zu können, die bei Anwendung als effektiv und förderlich angesehen wird (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 34f.).

Aus der Darlegung des primären und sekundären Bewertungsprozesses ergibt sich, dass das Erfahren von Stress in dem Moment erfolgt, in dem eine Person einen Reiz als stressrelevant einstuft und zugleich keine Chance sieht, den gegebenen Anforderungen gerecht werden zu können. Indes kann eine zuversichtliche Bewertung hinsichtlich der Bewältigung der Belastung dazu führen, dass eine als bedrohlich wahrgenommene Situation positiver betrachtet wird. Demzufolge können die beiden Bewertungsprozesse gegenseitig aufeinander Einfluss nehmen (vgl. Lazarus, 1995: 215; Schaarschmidt, 2005a: 33).

Hierbei deutet sich bereits die von Lazarus bezeichnete Neubewertung an. Eine Neueinschätzung einer bereits bewerteten Situation kann dann erfolgen, wenn das Individuum durch Anwendung einer Bewältigungsstrategie die Erkenntnis gewonnen hat, dass es mit der stressrelevanten Situation umgehen kann. Dadurch kann ähnlichen Situationen entspannter entgegengesehen werden. Diese neue Einsicht kann gleichermaßen auf der Grundlage positiven Feedbacks hinsichtlich der eigenen Reaktionen durch Außenstehende erworben werden. Demzufolge läuft die Neubewertung zeitlich nach der primären und sekundären Bewertung ab und gilt als eine Wiederholung in der Kette der Bewertungsprozesse (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 35). Anhand dieser Phase zeichnet sich ab, „dass Stresserleben auch veränderlich ist und durch positive Erfahrungen und einen Zuwachs an Kompetenzen und Bewältigungsmöglichkeiten reduziert werden kann“ (Schaarschmidt, 2005a: 33), wodurch der Aspekt der transaktionalen Beziehung betont wird. Allerdings haben als uneffektiv erlebte Problemlösungen ebenso ihre Konsequenzen: Zeigt sich innerhalb des Neubewertungsprozesses, „dass eine Rückkehr zur ursprünglichen individuellen Ausgangslage trotz bisheriger Anpassungsbemühungen nicht möglich ist, stellt sich ein neues Gleichgewicht auf einem angepassten Niveau ein, beispielsweise verringern sich die Ansprüche an das eigene Leistungsverhalten.“ (Busse et al., 2006: 70).

Die Ausführung zur Neubewertungsphase lässt erkennen, dass es in der Regel vor einer Neueinschätzung zur Anwendung der in der sekundären Bewertung als geeignet angesehenen Bewältigungsstrategie kommt. Die verschiedenen Bewältigungsformen, auch Coping genannt, unterteilt Lazarus in zwei Arten mit unterschiedlicher Funktionsweise: die problem- und emotionsorientierte Bewältigung (vgl. ebd.). Im fünften Kapitel soll darauf ausführlicher eingegangen werden.

Die gesamten Abläufe im transaktionalen Stressmodell sollen mithilfe einer Abbildung übersichtlich zusammengefasst werden. Die folgende, von Bartholdt und Schütz (2010: 28) konzipierte, Darstellung ist auf das Wesentliche reduziert und wurde von mir um die Persönlichkeitsmerkmale erweitert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Das transaktionale Stressmodell

2.3.4. Ressourcenfokussiertes Stressmodell

Obwohl Lazarus in seiner Stresstheorie bereits neben den im Zentrum stehenden kognitiven Bewertungsprozessen auf den Bewältigungsaspekt eingegangen ist, stehen in Beckers Anforderungs-Ressourcen-Modell, welches in der Literatur ebenso unter der Theorie der seelischen Gesundheit verbreitet ist, die Ressourcen im Mittelpunkt. Der größte Unterschied zu den bisher dargelegten Stressmodellen besteht darin, dass sich dieses entgegen der pathologischen Sichtweise nach Antonovskys[9] salutogenetischer Perspektive richtet und somit der Gesundheitsaspekt in den Vordergrund tritt. Damit baut dieses Konzept nicht wie vorangehende auf die Beseitigung von Stress auslösenden Situationen, sondern sieht Schutzfaktoren als zentralen Aspekt an (vgl. Busse et al., 2006: 71, 73). Demzufolge versteht Becker unter seelischer Gesundheit „die Fähigkeit zur Bewältigung externer und interner (psychischer) Anforderungen.“ (Becker, 1995: 188).

Anforderungen, die von der Umwelt ausgehen, werden als extern bezeichnet und umfassen sowohl Erwartungen von außen wie die Rollenzuschreibungen als auch soziokulturelle Werte und wirtschaftliche Gegebenheiten, die für das Individuum eine Erschwernis darstellen (vgl. ebd. 189). Zur Bewältigung der externen Anforderungen bedarf es zum einen der Fähigkeit einer „adäquaten Repräsentation der Wirklichkeit“ (ebd. 191) und zum anderen spezifischer Kompetenzen. Der Ebene der angemessenen Repräsentation der Realität liegen das Umwelt- und das Selbstmodell zugrunde, bei denen zunächst allgemein davon ausgegangen wird, dass der Mensch über Wissen bezüglich seiner Umwelt und sich selbst verfügt. Während seelisch gesunde Personen ihre Umwelt und ihre eigenen Fähigkeiten generell realistisch einschätzen und in der Lage sind, sich selbst und ihr persönliches Handeln zu reflektieren, tendieren Menschen mit geringer seelischer Gesundheit zu einer verzerrten und unrealistischen Empfindung (vgl. ebd. 191-193). Um externen Anforderungen gerecht zu werden, spielen ferner instrumentelle und soziale Kompetenzen eine wichtige Rolle. Neben den erstgenannten, zu denen gängige Problemlösefähigkeiten zählen, sind insbesondere letztere für die seelische Gesundheit von zentraler Bedeutung. Ein wichtiger Faktor sozialer Kompetenz ist die von Becker bezeichnete Liebesfähigkeit, die die Zuwendung zu den Mitmenschen und das Entgegenbringen von Einfühlsamkeit und Empathie beinhaltet und mit der gleichermaßen die Selbstwertschätzung zum Ausdruck gebracht wird. Es wird angenommen, dass diese besser ausgeprägte soziale Kompetenz seelisch Gesunder ein Grund für eine bessere soziale Unterstützung sei (vgl. ebd. 198-201). Demzufolge stellt die Liebesfähigkeit eine wichtige Voraussetzung für individuelle Ressourcen dar. Die Expansivität beschreibt einen weiteren Aspekt der sozialen Kompetenz, mit der hauptsächlich Fähigkeiten wie die Selbstbehauptung und die Durchsetzung eigener Bedürfnisse ausgedrückt werden. Da die jeweiligen Extreme der Liebesfähigkeit und der Expansivität den jeweils anderen einflussreichen Faktor für seelische Gesundheit ausschließen, ist ein gesundes und ausgewogenes Maß beider sozialer Kompetenzen von großer Bedeutung (vgl. ebd. 202f.).

Neben der Bewältigung externer Aufgaben ist nach Beckers Definition zur seelischen Gesundheit auch eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit internen Anforderungen, also jene, die die Person unbewusst oder bewusst an sich selbst stellt, notwendig. Dies hat zur Folge, dass das Individuum einerseits seine angeborenen Bedürfnisse im zufriedenstellenden Umfang erfüllen sollte. Dazu zählen nach Becker physiologische Verlangen wie Hunger und Durst, der Drang danach, stets neues Wissen zu erlangen sowie sich weiterzuentwickeln als auch die Bedürfnisse nach Sicherheit, Bindung und Achtung (vgl. ebd. 204-207). Andererseits bedingt seelische Gesundheit ebenfalls die Befriedigung individueller Bedürfnisse, die sich auf die selbst gesetzten Ziele und die für die Person als wichtig erachteten sozialen Werte beziehen. Hinsichtlich der Zielerreichung sind seelisch gesunde Menschen eher dazu in der Lage, sich langfristige Ziele zu setzen und ein ausgewogenes Maß dafür zu finden, zwar hartnäckig an der Zielerreichung zu arbeiten, aber auch Ziele anpassen zu können, wenn aus der Umwelt hervorgeht, dass diese unerreichbar sind (vgl. ebd. 209f.).

Zusammenfassend sagt Beckers Theorie aus, dass der Grad seelischer Gesundheit eines Menschen daran zu messen ist, inwieweit dieser fähig ist, externe und interne Anforderungen zu erfüllen. Dies hängt wiederum von seinen Kompetenzen und Ressourcen ab, mit denen er im günstigen Fall eine realistische Wahrnehmung der Umwelt und seiner Selbst erreichen und gleichzeitig seinen angeborenen und individuellen Bedürfnissen gerecht werden kann.

2.3.5. Zusammenfassung

Anhand der Darlegung der vier unterschiedlichen Stressmodelle zeigt sich, dass das Phänomen Stress schwer zu definieren ist und dass sich die Erkenntnisse zu und Auffassungen von Stress im Laufe der Jahrzehnte stark entwickelt und weiter ausdifferenziert haben. Entgegen früherer Konzeptionen, wie den reaktions- oder reizbezogenen, wird Stresserleben in der transaktionalen Theorie als Prozess betrachtet, der durch Phasen subjektiver Bewertungen der betroffenen Person und ihrer adaptiven Bewältigungsversuche auf die Anforderungen gekennzeichnet ist. Durch den gegenseitigen Einfluss von Person und Umwelt kann es zu veränderten Einschätzungen und Bewältigungsverhalten kommen. Mit Beckers Theorie der seelischen Gesundheit wird der Fokus auf einen gesundheitserhaltenden oder –fördernden Aspekt gesetzt, bei dem die Ressourcen im Mittelpunkt stehen und mithilfe derer die internen und externen Anforderungen bewältigt werden können.

Aufgrund dessen, dass das transaktionale Konzept von einer großen Mehrheit der Wissenschaftler anerkannt wird und die wichtigen Komponenten eines veränderlichen Stresserlebens und der individuellen Bewertung beinhaltet, soll dieses Modell als Grundlage meiner wissenschaftlichen Arbeit dienen. Angesichts der von Lazarus vorwiegenden Vernachlässigung des Einsatzes von Ressourcen, welchen ich als wichtigen und ergänzenden Aspekt beim Umgang mit Stress halte, werde ich im weiteren Verlauf der Arbeit auch Bezug auf Beckers Modell nehmen.

2.4. Stressreaktionen als Folgen von Stress

Während des Stresserlebens zeigen betroffene Personen meist unmittelbare Stressreaktionen, die in den Ausführungen zu den einzelnen stresstheoretischen Modellen bisher noch nicht berücksichtigt wurden. Stressreaktionen stellen psychische und physische Vorgänge dar, mit denen das Individuum auf die auf sich einwirkenden Stressoren reagiert, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Diese können dabei auf der körperlichen Ebene, auf der emotional-kognitiven Ebene oder auf der Verhaltensebene ablaufen (vgl. Schaarschmidt, 2005a: 36).

Die Erkenntnisse zu den Reaktionen auf der körperlichen Ebene gehen größtenteils auf Selyes Untersuchungen zurück, die er für das aus biologischer Sichtweise entwickelte Stressmodell erzielte. Der Körper vollzieht eine Anpassungsreaktion auf Stress, um zunächst die wichtigen Lebensfunktionen im Gleichgewicht zu halten. Je nach Dauer der Stresseinwirkung kann sich der Stress entweder positiv oder negativ auf den Körper auswirken. Aus diesem Grund unterscheidet man zwischen kurzfristigen und langfristigen physischen Reaktionen. Charakteristische Prozesse einer kurzfristigen Konfrontation mit Stress sind die Verminderung des Speichelflusses, sodass ein trockener Mund entsteht, eine Schweißüberproduktion oder eine Erhöhung der physischen Aktivität, die sich in einer steigenden Herzschlagfrequenz oder einer schnelleren Atmung zeigen. Entgegen dieser beschriebenen, lebenserhaltenden Funktionen können bei andauerndem Stress langfristige Stressreaktionen erfolgen, die gesundheitsschädigend wirken. Diese können sich beispielsweise in Schlaflosigkeit, (leichte) Depressionen oder einem Schlaganfall äußern (vgl. ebd. 36-38).

Ebenso können emotionale und kognitive Stressreaktionen eintreten, wobei die beiden Reaktionstypen eng miteinander verknüpft sind und von Außenstehenden nicht direkt erkennbar sind. Affektive Folgen können sich in Panik, innerer Unruhe, Depressionen, Hilflosigkeitsgefühlen oder (Versagens)ängsten äußern. Hinsichtlich gedanklicher Reaktionen spielt häufig das Phänomen des Tunnelblicks eine Rolle, wodurch die Konzentration nur noch auf die Reize gelenkt wird, die mit der Stress auslösenden Situation in Verbindung stehen. Aus diesem Grund sind Konzentrationsprobleme, Fluchtgedanken oder Blackouts keine Seltenheit während des Stresserlebens (vgl. Plaumann et al., 2006: 7f.; Schaarschmidt, 2005a: 40).

Eine weitere Art von Stressreaktionen stellen bestimmte Verhaltensweisen dar, die eine im dauerhaften Stress lebende Person an den Tag legt und von den Mitmenschen im Allgemeinen beobachtbar ist. Zu den möglichen Verhalten zählen ein erhöhter Tabakkonsum, exzessiver Alkoholkonsum, Frustessen oder Essen mit gleichzeitiger Erledigung anderer Dinge, eine höhere Anfälligkeit für Konflikte und ein fehlendes Einlegen von Pausen. In der Regel können sich die Stressreaktionen der drei Ebenen gegenseitig beeinflussen und gleichzeitig oder direkt nacheinander auftreten (vgl. Bartholdt, Schütz, 2010: 39f.; Plaumann et al., 2006: 7).

3. Stress im schulischen Arbeitsalltag

Im folgenden Kapitel wird das Phänomen Stress im schulischen Kontext im Hinblick auf den Arbeitsalltag der Lehrkräfte beleuchtet. Nach Betrachtung des Modells des Lehrerstress nach Rudow werden ausgehend von den Anforderungen und Tätigkeitsfeldern im Lehrerberuf verschiedene, daraus resultierende Belastungsfaktoren thematisiert.

3.1. Modell des Lehrerstress nach Rudow

Beruhend auf den Vorstellungen des transaktionalen Stressmodells nach Lazarus haben Kyriacou und Sutcliffe 1978 erstmals ein Modell zum Lehrerstress[10] entworfen, welches explizit die charakteristischen Bedingungen des Lehrerberufs auf das Stresserleben einbezieht. Dieses wurde von Rudow (1995: 93), dargestellt in Abbildung 2 (siehe Seite 14), überarbeitet und um wichtige Ergänzungen erweitert.

Diesem Modell zufolge wird - vergleichbar mit den Vorgängen in Lazarus‘ Konzeption - angenommen, dass potentielle Arbeitsbelastungen, wie Disziplinprobleme von Schülern, der primären und sekundären Bewertung durch die betroffene Lehrkraft unterzogen werden, um zu prüfen, ob ein Stressor vorliegt und welche Ressourcen zur Problemlösung zur Verfügung stehen. Auf der Basis dieser Einschätzungen schließt sich ein aktives Bewältigungsbestreben an, welches bei Erfolg das Entstehen von Stress verhindert. In diesem Fall würde die Lehrkraft bei einer Neubewertung des Stressors zu dem Schluss kommen, dass selbige Stressoren in Zukunft keine Belastung mehr für sie darstellen, da sie mit solchen Ereignissen konstruktiv umzugehen weiß. Zeigt sich eine angewandte Bewältigungsstrategie allerdings als unergiebig, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Stress resultiert. Infolgedessen werden in der Neubewertungsphase erneut die Bewertungsprozesse durchlaufen und eine andere, als effektiver erhoffte Bewältigungsmethode eingesetzt. Sollte sich diese ebenfalls als erfolglos erweisen, besteht die Gefahr der Erleidung chronischen Stresses, mit dem insbesondere funktionelle Erkrankungen und psychosomatische Beschwerden einhergehen. Diese andauernden Stressfolgen stellen ungünstige Bedingungen für den Umgang mit den außerberuflichen Belastungen dar. Demzufolge kann eine Lehrkraft, die unter chronischem Stress leidet, verstärkte und überempfindliche Reaktionen auf Schwierigkeiten im familiären Umfeld oder mit Freunden zeigen, die dann zu zusätzlichen Stressoren führen und ihre Ressourcen schneller erschöpfen. Unter diesen Umständen tendiert die Lehrperson dazu - objektiv betrachtet - unbedeutende Ereignisse eher als belastend einzustufen als eine, die diesen Bedingungen nicht ausgesetzt ist. Neben den privaten Belastungen haben ebenfalls die Persönlichkeitsfaktoren eines Lehrers, wie die Widerstandsfähigkeit oder emotionale Stärke, die vom chronischen Stress negativ beeinflusst werden können, Auswirkungen auf die Bewertungen der potentiellen Stressoren im schulischen Arbeitsalltag (vgl. ebd. 92-94). Somit wird deutlich, dass die Rückwirkungen und Einflüsse der unterschiedlichen Faktoren einen Teufelskreis bezüglich des Stresserlebens für Lehrer bilden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Modell des Lehrerstress nach Rudow

Das bedeutende Element, welches Rudow in seinem Modell im Gegensatz zu Kyriacou und Sutcliffe integrierte, besteht in der Einbindung der Tätigkeitsmerkmale der Lehrkraft (vgl. van Dick, 2006: 37). Dabei konstatiert Rudow, dass die den Lehrerberuf bestimmenden Charakteristika[11] wie beispielsweise die Aufgabenfülle, die Rollenvielfalt, das Pflichtbewusstsein oder gewisse Entscheidungsfreiheiten eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Ausprägungen und der Wahrnehmung der auftretenden Arbeitsbelastungen spielen. Zudem haben diese Kontextbedingungen entscheidende Auswirkungen auf den sekundären Bewertungsprozess und der damit verbundenen Umsetzung der Bewältigung, die sowohl begünstigend als auch nachteilig wirken können (vgl. Rudow, 1995: 94; van Dick, 2006: 37f.). Möglicherweise führt die Vielfalt an Aufgaben und zu übernehmenden Rollen zu Stressoren auf verschiedenen Ebenen, die im Zusammenspiel als sehr belastend erlebt werden. Andererseits könnte der Aspekt des Handlungsspielraums eine positivere Beurteilung der Stressoren ergeben. Van Dick (2006: 38f.) betont darüber hinaus, dass ein Zusammenhang zwischen den Persönlichkeits- und Tätigkeitsmerkmalen einer Lehrperson besteht, sodass beispielsweise eine positive Empfindung und Einstellung zu den Arbeitsaufgaben gleichermaßen den Umgang mit Belastungen begünstigt.

3.2. Anforderungen und Tätigkeiten im Lehrerberuf

Es stellt sich die Frage, welche Anforderungen, Tätigkeiten und Bedingungen die Berufssituation eines Lehrers charakterisieren, die unter Umständen zu starken Belastungen führen können. Sozialberufe, zu denen neben Lehrern unter anderem das Pflegepersonal, Erzieher, Ärzte und Psychologen gehören, stellen generell eine besondere Anforderung dar, welches an der intensiven und ständigen Interaktion mit Menschen liegt, für die zudem Verantwortung getragen werden muss. Gefühle und Emotionen wie Ärger, Verzweiflung und Enttäuschung, die aus diesem Umgang entstehen können, sind in der Lage den Menschen – den Sozialberufstätigen – nachhaltig zu ergreifen, sodass eine Distanzierung auch nach dem Arbeitstag schwer fällt (vgl. Schaarschmidt, Kieschke, 2007a: 34). Nichtsdestoweniger kommen für die Lehrkräfte zwei bedeutsame Besonderheiten erschwerend hinzu, die sich in einem hohen Erwartungsdruck und in einer außergewöhnlichen Anforderungs- und Aufgabenvielfalt manifestieren.

Die großen Erwartungen, die von der Gesellschaft und der Öffentlichkeit an die Lehrer gestellt werden, ergeben sich aus der Tatsache, dass diese die kommenden Generationen ausbilden und sie aufs Leben vorbereiten. Damit verbunden geht der Lehrer sowohl eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft ein und übernimmt gleichzeitig, den einzelnen Schüler betreffend, eine individuelle Verantwortung (vgl. Rothland, Terhart, 2007: 24). Die verschiedenen Erwartungen gehen jedoch nicht nur von der Öffentlichkeit aus, sondern auch Schüler, Eltern, Kollegen und Vorgesetzte können als Erwartungsträger identifiziert werden, sodass sich durch ihre vielfältigen Wünsche und Hoffnungen zahlreiche Rollen und damit verbundene Aufgaben für den Lehrer ergeben, die möglichst alle gleichermaßen zu erfüllen sind (vgl. Barth, 1997: 92). Der Schwerpunkt der Arbeitstätigkeit einer Lehrkraft liegt trotz der sich im Laufe der Jahre veränderten Verpflichtungen in dem Unterrichten, bei dem fachliches Wissen nach den Lehrplänen vermittelt und den Schülern selbständige Lernarbeit ermöglicht wird (vgl. Rothland, Terhart, 2007: 17). Dabei zeichnet sich zunehmend eine Tendenz ab, bei der der Lehrer vielmehr die Funktion eines Lernbegleiters und –beraters statt die eines Wissensvermittlers innehat, was eine zusätzliche Anforderung darstellt, wenn dieser Kompetenzerwerb nicht Teil seiner Ausbildung war (vgl. Sieland, 2004: 144). Über die Wissensvermittlung hinausgehend sollen im erzieherischen Sinne unter anderem die soziale Kompetenz der Schüler herausgebildet und ihr Verantwortungsbewusstsein und Selbstvertrauen gefördert werden. Mit der Leistungserbringung der Lerner stellt die Beurteilung durch die Lehrperson eine ihrer offensichtlichen Aufgaben dar, die ferner das Diagnostizieren von Lernständen und der Förderbedürftigkeit der Schüler umfassen (vgl. Rothland, Terhart, 2007: 18). An diesem Aufgabenfeld ist insbesondere die Öffentlichkeit interessiert, die von den Lehrkräften eine gerechte Bewertung entsprechend der erbrachten Leistungen der Schüler erwartet, mithilfe derer ein für die Gesellschaft entscheidendes Kriterium für ihre späteren Berufschancen vorliegt. Darüber hinaus bildet die Beratung ein weiteres Tätigkeitsfeld. Während die Schüler Hilfe bei Aufgabenlösungen und allgemeinen schulischen Problemen erwarten, versprechen sich die Eltern vom Lehrer, dass er sie bei Lernschwierigkeiten ihres Kindes berät, bei Erziehungsproblemen entlastet und ihnen einen Rat bezüglich Schullaufbahnentscheidungen gibt. Ein weiterer bedeutsamer Bereich umfasst die Kooperation mit Kollegen und Eltern. Seitens der Eltern wird vom Lehrer ein kooperatives Verhalten erwartet, bei welchem er die elterliche Kontrolle weiterführt oder sogar optimiert. Hingegen erhoffen sich die Kollegen insofern eine kooperative Unterstützung, dass sie sich Aufgaben teilen, sich gegenseitig Rückmeldungen geben und gegenüber anderen Personengruppen wie Schülern oder Eltern zusammenhalten (vgl. Barth, 1997: 93-96). Neben dem Ausbau der eigenen Kompetenzen, der von Fortbildungsbesuchen über Teamarbeit unter Kollegen als schulinterne Weiterbildungsmaßnahme bis hin zur Entwicklung von Bewältigungsstrategien reichen kann, versprechen sich die Vorgesetzten ferner, dass alle Vorgänge reibungslos funktionieren, dass die Lehrkräfte freiwillig zusätzliche Aufgaben übernehmen, um als Schule zu funktionieren und dass sie ein positives Bild der Schule nach außen tragen. Damit deutet sich eine weitere Anforderung im Lehrerberuf an, die darin besteht, Beiträge zur Unterrichts- und Schulentwicklung zu leisten (vgl. ebd. 95f.; Rothland, Terhart, 2007: 18). Diese unermessliche Rollenexpansion kann aufgrund der verschiedenen Erwartungsträger mit inkompatiblen Erwartungen einhergehen, sodass die Möglichkeit zum Entstehen von Rollenkonflikten besteht, die wiederum als Belastung wirken können und aus diesem Grund in Kapitel 3.3.1. näher beleuchtet werden sollen.

[...]


[1] Zur besseren Lesbarkeit werden im Folgenden beide Geschlechter in der männlichen Form zusammengefasst. In der gleichen Art und Weise wird auch bei anderen Personengruppen verfahren werden.

[2] http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/verkuerztes-referendariat-angehende-lehrer-leiden-unter-stress-a-826861.html [13.05.2012].

[3] http://www.focus.de/schule/lehrerzimmer/schulpraxis/lehrer-burn-out_aid_232766.html [13.05.2012].

[4] Eine ausführliche Erläuterung dieser Konzepte wird in Kapitel 2.3. erfolgen.

[5] Ein Stressor bezeichnet vorliegende Situationen, Anforderungsbedingungen oder Reize, die von außen oder innen auf ein Individuum einwirken. Externe Stressoren umfassen beispielsweise Lärm, einen von außen vorgegebenen Zeitdruck oder Probleme innerhalb des Berufs oder der Familie. Zu den internen Anforderungen zählen hohe eigene Ansprüche, ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis oder Perfektionsstreben (vgl. Schaarschmidt, 2005a: 31).

[6] Ein Ereignis, welches subjektiv als eine Belastung eingestuft wird, wird als kritisch bezeichnet (vgl. Kramis-Aebischer, 1996: 30).

[7] Entscheidend ist hierbei der gewählte Begriff der Transaktion. Dieser bezieht sich wie die Interaktion auf eine wechselseitige Einflussnahme, in diesem Fall von Person und Umwelt, inkludiert überdies jedoch ihre „Verschmelzung […] zu einer neuen Einheit, einem System“ (Lazarus, 1995: 205), womit die adaptive Relation beschrieben wird (vgl. ebd.).

[8] Hierbei handelt es sich um persönliche Grundbedürfnisse, die von Mensch zu Mensch verschieden sind. Als Beispiele können das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung oder gewisse Erwartungen an die eigene Leistung angeführt werden (vgl. Busse et al., 2006: 69).

[9] Antonovsky gilt nach Busse et al. (2006: 71) als Vorreiter der Ressourcenmodelle. Er prägte den Begriff der Salutogenese, welcher die „Gesamtheit gesundheitsfördernder und –erhaltender Faktoren“ (Dudenredaktion, 2007: 928) beschreibt.

[10] Nach Kyriacou bezeichnet Lehrerstress „insgesamt das Erleben unangenehmer Emotionen“ (van Dick, 2006: 35), wodurch die subjektive Wahrnehmung der Lehrkraft zum Ausdruck gebracht wird. Diese Festlegung ist in der Forschung anerkannt (vgl. ebd. 36).

[11] Auf die Anforderungen, Tätigkeiten und besonderen Merkmale des Lehrerberufs soll im anschließenden Kapitel genauer eingegangen werden.

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Stress und Stressbewältigung im Lehrerberuf. Präventions- und Interventionsmaßnahmen für die Lehrergesundheit
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
72
Katalognummer
V279375
ISBN (eBook)
9783656724162
ISBN (Buch)
9783656724155
Dateigröße
2921 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lehrergesundheit, Stress, Stressbewältigung, Stressprävention, Belastungsfaktoren
Arbeit zitieren
Julia Engelhardt (Autor:in), 2012, Stress und Stressbewältigung im Lehrerberuf. Präventions- und Interventionsmaßnahmen für die Lehrergesundheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279375

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Stress und Stressbewältigung im Lehrerberuf. Präventions- und Interventionsmaßnahmen für die Lehrergesundheit



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden