Die Bedeutung von Gedächtnis im Alltag


Hausarbeit, 2012

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gedächtnisprozesse

3. Gedächtnissysteme
3.1 Das sensorische Gedächtnis
3.2 Das Kurzzeitgedächtnis
3.3 Das Langzeitgedächtnis
3.3.1 Gedächtnisarten
3.3.2 Die Prozesse des Erinnerns
3.3.3 Gedächtnisinhalte

4. Alltägliche Vergessensprozesse

5. Gedächtnisverluste
5.1 Amnesien
5.1.1 Begriffsklärung
5.1.2 Amnestische Störungen
5.1.2.1 Diencephale Amnesie
5.1.2.2 Temporallappen-Amnesie
5.1.2.3 Frontallappen-Amnesie
5.1.2.4 Fokale retrograde Amnesie
5.1.2.5 Das Fallbeispiel H.M
5.1.3 Transitorische Störungen
5.1.3 Dissoziative Störungen
5.1.3.1 Begriffsklärung
5.1.3.2 Dissoziative Amnesie
5.1.3.3 Dissoziative Fugue
5.1.3.4 Dissoziative Identitätsstörung
5.2 (Alzheimer)-Demenz

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Unter Gedächtnis verstehen wir die lernabhängige Speicherung ontogenetisch erworbener Informationen, die sich phylogenetischen neuronalen Strukturen selektiv artgemäß einfügt und zu beliebigen Zeitpunkten abgerufen, d.h. für ein situationsangepaßtes Verhalten verfügbar gemacht werden kann. Allgemein formuliert, handelt es sich um konditionierte Veränderungen der Übertragungseigenschaften im neuronalen ‚Netzwerk‘, wobei unter bestimmten Bedingungen [...] neuromotorische Signale und Verhaltensweisen vollständig oder teilweise reproduziert werden können.“[1] Mit diesen Worten versuchte der Nervenarzt Rainer Sinz 1979 in seinem Buch ‚Neurobiologie und Gedächtnis‘ das Gedächtnis zu definieren. Das Besondere des menschlichen Gedächtnisses ist es, dass es den menschlichen Geist von dem anderer Lebewesen unterscheidet. Besonderes das autobiographische Gedächtnis, also die Tatsache über das eigene Ich, die eigene Vergangenheit und Gegenwart sowie über eine erwartbare Zukunft nachzudenken und diese aufgrund gemachter Erfahrungen und Erinnerungen planen zu können, macht den Menschen zum Menschen.[2]

In der normalen alltäglichen Vorstellung wird der Gedächtnisbegriff mit der Erinnerung an spezielle Geschehnisse oder Informationen verbunden, wie beispielsweise ein bestimmter Name, Daten eines bestimmten geschichtlichen Ereignisses oder die Telefonnummer eines guten Freundes.[3]

Doch wie genau funktioniert das menschliche Gedächtnis und für welche alltäglichen Aktivitäten benötigen wir es? Warum werden einige Informationen nur für Sekunden und andere für ein ganzes Leben lang behalten und warum kann es dazu kommen, dass das Gedächtnis aussetzt?

Auch in der folgenden Arbeit soll sich mit dem Thema Gedächtnis beschäftigt werden. Im Vordergrund soll die Frage stehen, welche Bedeutung das Gedächtnis für das alltägliche Zurechtfinden in der Welt hat. Um diese Frage zu beantworten, ist es zunächst einmal wichtig, die drei Gedächtnisprozesse, angefangen von der Aufnahme über das Speichern bis hin zur Rekonstruktion einer Information, kurz zu erläutern. Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit den drei Gedächtnissystemen, also dem sensorischen Gedächtnis, dem Kurzzeitgedächtnis und dem Langzeitgedächtnis, mit den alltäglichen Vergessensprozessen sowie mit den Gedächtnisverlusten. Dabei werden vor allem die Amnesie und die Demenz besonders beleuchtet. Diese Störungen sollen verdeutlichen, wie wichtig ein gut funktionierendes Gedächtnis ist.

Abschließend folgt eine kurze Zusammenfassung.

2. Gedächtnisprozesse

Die Vorraussetzung für sämtliche Gedächtnisarten und –systeme sind drei Prozesse, nämlich das Enkodieren, das Speichern und das Abrufen.

Das Enkodieren ist die erste Aufnahme und somit die Einspeicherung bzw. Verarbeitung einer relevanten Information aus der Umwelt im Gedächtnis. Diese Informationen können je nach Relevanz und persönlichem Interesse für eine bestimmte Zeitspanne gespeichert, also aufbewahrt werden. Das Ergebnis dieser vorangegangenen Ereignisse ist es, dass die gespeicherte Information immer wieder abgerufen werden kann. Dieser Abruf kann bei einem normal funktionierenden Gedächtnis innerhalb von Sekundenbruchteilen gelingen.[4]

3. Gedächtnissysteme

3.1 Das sensorische Gedächtnis

Wenn neue Informationen aus der Umwelt über die Sinnesorgane in das Gehirn gelangen, steht dafür das sensorische Gedächtnis zur Verfügung. Dieses wird auch als sensorisches Register oder Ultrakurzzeitgedächtnis bezeichnet.[5] Die Informationen, die im sensorischen Gedächtnis gespeichert werden, haben eine hohe Anzahl, sind nur sehr kurzlebig (ca. 100-2000 Millisekunden) und schnell ersetzbar.[6] Dies liegt daran, dass das Gehirn ständig neue Reize aus der Umwelt über die Sinnesorgane aufnimmt. Diese müssen schnellstmöglich verarbeitet und selektiert werden. Reize, die nicht beachtet werden, bzw. sich nicht mit bereits vorhandenen Assoziationen in Verbindung bringen lassen, werden sehr schnell wieder vergessen. Wäre dies nicht der Fall, würde der Organismus mit den Reizen aus der Umwelt überflutet werden und sich somit nicht mehr zurechtfinden können. Durch das sensorische Gedächtnis kann der Mensch somit die Reize aus seiner Umwelt zwar erfassen, diese überlagern sich jedoch nicht. In der Forschung wird sich vor allem mit zwei Arten des sensorischen Gedächtnisses befasst, nämlich dem ikonischem und dem echoischen Gedächtnis.

Im ikonischen Gedächtnis, welches 1960 von George Sperling entdeckt wurde, wird eine große Menge an Reizen gespeichert, welche visuell aufgenommen werden. Diese vielen Informationen können jedoch nur sehr kurz gespeichert werden.[7]

Das echoische Gedächtnis dient zur Aufnahme von Reizen, die über den Hörsinn aufgenommen werden. Es wird auch als akustisches Gedächtnis bezeichnet und hat die Aufgabe, Klänge und Laute wahrzunehmen. Genau wie im ikonischen Gedächtnis werden auch hier mehr Informationen aufgenommen, als eigentlich benötigt werden und daher ebenfalls nur sehr kurzfristig gespeichert.[8]

3.2 Das Kurzzeitgedächtnis

Wenn die Informationen aus dem sensorischen Gedächtnis auf Aufmerksamkeit bzw. Wiedererkennung treffen, werden sie in das Kurzzeitgedächtnis (KZG) weitertransportiert. Eine wichtige Aufgabe des KZG ist es, bestimmte wichtige Informationen bewusst für eine kurze Zeit zu speichern. Es zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es im Gegensatz zum sensorischen Gedächtnis eine nur begrenzte Kapazität hat, indem herankommende Informationen aktiv bearbeitet werden. Wie zahlreiche Experimente bewiesen haben, liegt die Anzahl der gespeicherten Informationen bei 5-9 Einheiten. Es können also im Schnitt 7 (+-2) Zahlen, Buchstaben, Wörter o.ä., welche in keinem Zusammenhang miteinander stehen, aufgenommen und für eine bestimmte Zeit gespeichert werden.

Die reine Kapazität des KZG kann durch solche Experimente jedoch verfälscht werden, da es nebenbei immer möglich ist, sich bestimmter Gedächtnishilfen zu bedienen. Wenn es möglich wäre, diese Hilfen auszuschalten, würde sich das Fassungsvermögen des KZG auf etwa 2-4 Einheiten beschränken.[9]

Eine dieser Möglichkeiten, Informationen besser aufzunehmen und zu behalten, ist die Wiederholung. Wenn Zahlen, Fakten oder ähnliches im Geist mehrmals durchgegangen werden, wird von einer erhaltenden oder einfachen Wiederholung gesprochen.

Auch das Anwenden von Chunking ist eine Möglichkeit, Informationen besser zu behalten. Der Begriff Chunk stammt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie Klumpen oder Brocken. „Ein Chunk ist eine bedeutungstragende Informationseinheit. Er kann aus einem einzelnen Buchstaben oder einer Zahl, einer Gruppe von Buchstaben oder anderer Items, sogar aus einer Gruppe von Wörtern oder einem Satz bestehen.“[10] Diese Taktik wird dann angewendet, wenn das Wiederholen einzelner Einheiten zu umständlich oder nicht angebracht ist. Beispielsweise besteht die Reihe 1, 9, 6, 3 aus vier verschiedenen Ziffern, die das Kurzzeitgedächtnis möglicherweise gar nicht speichern könnte. Das menschliche Gehirn ist jedoch in der Lage, diese Ziffern zu verbinden, zum Beispiel zu der Jahreszahl 1963. Somit wurde ein Chunk gebildet und es wurde damit im Kurzzeitgedächtnis Platz geschaffen, um noch mehr Informationen zu speichern. Chunks werden demnach durch Gruppierungen, durch eine Verbindung mit schon vorhandenen Informationen oder durch andere Organisationsformen gebildet. Wie bereits erwähnt, ist die Anzahl der Chunks, die im Kurzzeitgedächtnis gespeichert werden können, auf 7 (+-2) beschränkt, jedoch nicht die Informationsmenge, die in den Chunks enthalten ist. Durch eine möglichst breite Spannweite der Informationen, die in einem Chunk zusammengefasst werden, ist es auch möglich, eine große Informationsmenge im Kurzeitgedächtnis zu speichern.[11]

Eine weitere wesentliche Aufgabe kommt dem Kurzzeitgedächtnis beim Reproduzieren von bereits vorhandenen Erinnerungen zu. „Das Kurzzeitgedächtnis wird oft als Arbeitsgedächtnis bezeichnet, weil Informationen dort bearbeitet, neu durchdacht und strukturiert werden.“[12] Diese Informationen stammen entweder aus dem sensorischen Gedächtnis oder aus dem Langzeitgedächtnis. Das KZG ist auf Grund seiner Informationsverarbeitung somit kein Ort, sondern ein Prozess. Es hat die wichtige Aufgabe, kognitive Fähigkeiten, wie das Lösen von Problemen, die Sprachverarbeitung etc. zu bewerkstelligen. So wäre es zum Beispiel ohne das Kurzzeitgedächtnis unmöglich, ein Gespräch zu führen, da sonst die vorangegangenen Worte nicht mehr reproduzierbar wären. Es verbindet somit viele wesentliche Informationen in einer schnellen Abfolge miteinander und fügt sie zu einer immer weiter fortlaufenden Geschichte zusammen.[13]

3.3 Das Langzeitgedächtnis

3.3.1 Gedächtnisarten

In der Gehirnforschung wird zwischen zwei verschiedenen Gedächtnisarten, welche sich im Langzeitgedächtnis befinden, unterschieden: Das implizite und explizite bzw. deklarative. Vom impliziten Gedächtnis ist die Rede, wenn es möglich ist, sich ohne Anstrengung und bewusstes Suchen an eine Information zu erinnern, wie beispielsweise an die Tatsache, dass ein Elefant nicht auf den Küchentisch gehört. Wenn jedoch ganz bewusst durch Überlegung nach einer Information gesucht wird, wie zum Beispiel nach der Hauptstadt von Norwegen, kommt das explizite Gedächtnis ins Spiel. Fähig- und Fertigkeiten, wie beispielsweise Klavierspielen, Fahrradfahren, Schwimmen oder Schnürsenkel binden, sind ebenfalls gespeicherte Erinnerungen, die zwar vorerst gelernt werden mussten, die jedoch später keine Mühe mehr machen, sie abzurufen bzw. zu vollziehen. Die meisten dieser Fähigkeiten bedürfen sogar keiner Überlegung mehr, sondern passieren unterbewusst und automatisch. Es ist schwer, diese mit Worten zu erklären, denn sie erfordern zum Erlernen eine oder mehrere Durchführungen. Sie werden dem prozeduralen Gedächtnis, welches eine Unterform des impliziten Gedächtnisses darstellt, zugeschrieben. Ähnlich automatisch und unbewusst verhält es sich bei der zweiten Unterart des impliziten Gedächtnisses, nämlich dem Priming. „Darunter ist eine höhere Wiedererkennungswahrscheinlichkeit für Reize zu verstehen, denen man zuvor in gleicher oder ähnlicher Weise unbewusst begegnet ist.“[14] Ein Beispiel hierfür wäre eine bekannte Melodie, die jemand hört und sich dadurch sofort an den dazugehörigen Text erinnert.

Auch das deklarative bzw. explizite Gedächtnis wurde 1972 von dem kanadischen Psychologen Endel Tulving noch einmal in episodisches und semantisches Gedächtnis aufgegliedert. „Diese Unterscheidung bezieht sich auf die Hinweisreize, die nötig sind, um Erinnerungen abzurufen“.[15]

Im episodischen Gedächtnis sind die Erfahrungen gespeichert, die ein Mensch persönlich gemacht hat, wie beispielsweise großes Glück oder ein sehr schmerzhafter Verlust. Um eine solche Erinnerung zu reproduzieren, sind Abrufhilfen notwendig, die den Zeitpunkt und den Inhalt dieser Erfahrung hervorrufen. Aber auch sämtliche andere persönliche Erfahrungen, wie beispielsweise das tägliche Zähneputzen, werden im episodischen Gedächtnis gespeichert. Bei solchen ‚bedeutungslosen‘ Ereignissen fällt es jedoch schwerer, eine besondere Erinnerungsspur abzurufen. Somit gibt es auch Erinnerungen, die sich nicht in einen zeitlichen Kontext bringen lassen. Dazu gehören beispielsweise die Fähig- und Fertigkeiten eines Menschen, sowie sein gesamter Wortschatz, welcher die Grundlage für sämtliche Gedächtnisprozesse bildet. Diese Erinnerungen sind im Allgemeinen kategorial und befinden sich im semantischen Gedächtnis. Um diese Erinnerungen zu reproduzieren, bedarf es keiner besonderen Abrufhilfen. Doch auch hierbei kann es unter Umständen passieren, dass Erinnerungen vergessen werden, besonders, wenn sie in einem völlig anderen Kontext gebraucht werden. Hierbei ist es sinnvoll, diese wieder in einen zeitlichen Kontext zu bringen, sie also durch Abrufhilfen durch das episodische Gedächtnis zu suchen.[16]

3.3.2 Die Prozesse des Erinnerns

Das Langzeitgedächtnis (LZG) ist der Ort, wo Erinnerungen gespeichert werden, die Wochen, Monate und sogar ein Leben lang gegenwärtig sein können. Dem Menschen dient es in erster Linie als „Speicher für alle Erfahrungen, Informationen, Emotionen, Fertigkeiten, Wörter, Begriffsklassen, Regeln und Urteile, die [er] sich aus dem sensorischen und dem Kurzzeitgedächtnis angeeignet hat. Das Langzeitgedächtnis macht das Gesamtwissen einer Person über die Welt und sich selbst aus.“[17]

Es stellt sich nun die Frage, wie Informationen aus dem Langzeitgedächtnis wieder abgerufen werden können. Dabei gibt es beispielsweise die Methoden der Wiedererkennung und des freien Reproduzierens. Beim Wiedererkennen hat das Gehirn bestimmte Informationen bereits wahrgenommen. Diese vorhandenen Reize soll es aus verschiedenen Informationen herausfiltern. Die Methode wird beispielsweise bei der Polizei angewandt, indem Opfer bzw. Zeugen durch Bilder oder durch eine Gegenüberstellung den Täter identifizieren sollen. Bei der freien Reproduktion werden bereits bekannte Informationen ohne Hilfe abgerufen. Auch diese Taktik wird bei der Polizei verwendet, indem Opfer bzw. Zeugen bestimmte Merkmale des Täters oder den Tathergang beschreiben sollen.[18]

Um diese Methoden anzuwenden, braucht das Gedächtnis zunächst bestimmte Hinweisreize, die es dazu auffordern, bestimmte, im LZG vorhandene Informationen zu reproduzieren. Diese so genannten Abrufhilfen sind Absichten, bestimmte Erinnerungen durch äußere Anlässe, wie beispielsweise eine von außen kommende Frage, oder durch interne Anlässe, wie eine selbst gestellte Frage an das eigene Ich, hervorzurufen. Diese Abrufhilfen können je nach Situation leichter oder schwieriger zu bewältigen sein. Bei der freien Reproduktion beispielsweise müssen sie größtenteils selbst hervorgebracht werden, wobei bei der Methode der Wiedererkennung bereits Hilfen vorgegeben sind. Aber auch hierbei kann es Schwierigkeiten geben. Die Wiedererkennungstechnik funktioniert gut, wenn etwas, das schon einmal wahrgenommen wurde, lediglich wieder zwischen unbekannten Dingen erkannt werden muss. Schwieriger ist es jedoch, wenn auch die anderen Merkmale, die vorgegeben werden, bekannt sind. Hierbei ist es wichtig, das zu erkennende Merkmal in den richtigen Kontext einzuordnen. Im Großen und Ganzen ist die Methode der Wiedererkennung jedoch zuverlässiger als die der freien Reproduktion, da die Abrufhilfen sehr viel zugänglicher sind.[19]

Es gibt jedoch auch noch weitere Perspektiven von Abrufhilfen. So gibt es oft Situationen, in denen eine bestimmte Information benötigt wird, diese jedoch nicht direkt erinnert werden kann. Stattdessen wird versucht, sie auf der Basis von bekannten Erinnerungen zu rekonstruieren. So ist es beispielsweise sehr sicher, dass es am 15.08.1996 17.32 Uhr gewesen ist, obwohl sich dieses Ereignis höchstwahrscheinlich nicht in der episodischen Erinnerung befindet, es sei denn, dies war zufälligerweise ein besonderer Moment. Diese Art der Erinnerung, bei der auf allgemeine Erfahrungen ähnlicher Art zurückgegriffen wird, wird als rekonstruktiver Prozess bezeichnet. Dabei kann es in manchen Situationen mehr oder minder zu einer Verzerrung des zu erinnernden Materials kommen, indem bestimmte Informationen vereinfacht, weggelassen oder an den eigenen Erfahrungshintergrund besser angepasst werden. Diese Abweichungen vom echten Material sind jedoch für das Zurechtfinden im Alltag meist unbedeutend, da nur die wichtigsten Informationen elementar sind und es somit nicht notwendig ist, sich immer an genaue Details zu erinnern, es sei denn, es handelt sich um wichtige Zeugenaussagen oder Ähnliches.[20]

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Abrufhilfen findet sich in der Interferenz wieder. „[Diese] tritt auf, wenn die Abrufhilfen nicht klar genug auf eine bestimmte Erinnerung verweisen.“[21] Das bedeutet, dass Erinnerungen schwerer hervorgerufen werden können, die durch andere ähnliche Informationen eingeschränkt werden. Es werden zwei Arten der Interferenz unterschieden. Zum einen gibt es die proaktive Interferenz, auch als vorwärtsgerichtete bezeichnet, und zum anderen die retroaktive Interferenz, welche auch als rückwärtsgerichtete betitelt wird. Als proaktive Interferenz wird die Situation bezeichnet, wenn bereits vorhandene Informationen die Aufnahme von neuen Informationen beeinträchtigen. Das kann zum Beispiel beim Erlernen einer neuen Telefonnummer der Fall sein, wenn die alte Nummer weiterhin im Gedächtnis bleibt. Bei der retroaktiven Interferenz liegt das Gegenteil vor, da es durch das Erlernen neuer Informationen schwierig sein kann, ältere im Gedächtnis zu behalten. So fällt es vielleicht schwer, die alte Telefonnummer, welche jahrelang benutzt wurde, zu reproduzieren, wenn die neue bereits fest im Gedächtnis verankert ist.[22]

[...]


[1] Markowitsch 2002, S. 8

[2] vgl. Markowitsch 2005, S. 11

[3] vgl. Zimbardo 1999, S. 234

[4] vgl. Zimbardo 1999, S.235 f.

[5] vgl. Pohl 2007, S.17

[6] vgl. Jüttner 1979, S. 67

[7] vgl. Zimbardo 1999, S. 238 f.

[8] ebd. S. 239

[9] ebd. S. 140 f.

[10] Zimbardo 1999, S. 242

[11] vgl. Seiffge-Krenke 1981, S. 32 f

[12] Zimbardo 1999, S. 244

[13] vgl. Zimbardo 1999, S. 244

[14] Markowitsch 2006, S. 26

[15] Zimbardo 1999, S. 246

[16] vgl. Zimbardo 1999, S. 247

[17] Zimbardo 1999, S. 244 f.

[18] vgl. Zimbardo 1999, S. 245

[19] vgl. Zimbardo 1999, S. 246

[20] ebd. S. 261 f

[21] Zimbardo 1999, S. 247

[22] vgl. Zimbardo 1999, S. 247 f.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung von Gedächtnis im Alltag
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Kollektives Gedächtnis
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
24
Katalognummer
V279639
ISBN (eBook)
9783656725367
ISBN (Buch)
9783656725350
Dateigröße
422 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bedeutung, gedächtnis, alltag
Arbeit zitieren
Susanne Zocher (Autor:in), 2012, Die Bedeutung von Gedächtnis im Alltag, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279639

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