William Somerset Maugham gibt zu verstehen, er kenne keine bessere Übung für einen Schriftsteller als einige Jahre den Beruf des Arztes auszuüben. Und auch Gottfried Benn lässt in seinem Text „Gespräch“ die beiden Figuren Gert und Thom über die Parallelen zwischen Naturwissenschaft und Literatur reflektieren. Gert stellt dabei die Frage: „Das hieße also, ehe man einen Roman oder ein Gedicht schreiben wollte, müßte man Chemie, Physik, experimentelle Psychologie, Atomistik, Embryologie studieren?“ Und Thom antwortet: „Du drückst es etwas verwegen aus, aber ich sage: ja.“
Was verleitet Somerset Maugham und Benn dazu, eine Verbindung herzustellen zwischen Medizin und Literatur, das heißt, zwischen dem Beruf des Arztes und dem des Schriftstellers? Dass durchaus Berührungspunkte zwischen der Literatur und der Medizin bestehen, demonstrierten im 19. Jahrhundert die Vertreter des französischen Naturalismus, allen voran Emile Zola, der in seinem Werk Le roman expérimental (1879) die Annäherung der Literatur an die Naturwissenschaften postulierte und Claude Bernards Analysemethoden in seinem literarischen Schreiben anzuwenden versuchte.
Nun genügt es nach Somerset Maugham jedoch nicht, wie Zola lediglich in die Rolle eines Wissenschaftlers oder eines Mediziners zu schlüpfen. Der Schriftsteller müsse vielmehr selbst über die Erfahrung und das Wissen eines Arztes verfügen, um der Kunst des literarischen Schreibens überhaupt gerecht werden zu können. Ein Begriff, der eine Vereinigung von Medizin und Literatur zum Ausdruck bringt, ist der des poeta medicus bzw. der des Schriftsteller-Arztes. Damit werden im Allgemeinen, und ebenso in der vorliegenden Arbeit, Schriftsteller bezeichnet, die über ein abgeschlossenes Medizinstudium verfügen und sich vor oder auch noch während ihrer literarischen Tätigkeit dem Beruf des Arztes widmen.
Was bewegt nun einen Arzt dazu, das Skalpell zur Seite zu legen und es gegen eine Schreibfeder einzutauschen? Ist es die Suche nach Selbstverwirklichung, der Wunsch, sein medizinisches Wissen zu popularisieren bzw. zu didaktisieren oder das Verlangen danach, Gesehenes in Worte zu fassen? Eine eindeutige Bestimmung der Beweggründe ist freilich nicht möglich. Vielmehr scheinen alle die hier exemplarisch genannten Gründe ihre Berechtigung zu finden. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Poeta medicus - das literarische Schreiben von Schriftsteller-Ärzten
- I. Pío Baroja – El árbol de la ciencia (1911)
- 1. Pío Baroja als Andrés Hurtado? – autobiographische Elemente in El árbol de la ciencia
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Verbindung zwischen medizinischer Praxis und literarischem Schaffen anhand von drei Schriftsteller-Ärzten: Pío Baroja, Louis-Ferdinand Céline und Luis Martín-Santos. Die Zielsetzung besteht darin, die Besonderheiten des literarischen Schreibens von Ärzten zu analysieren und aufzuzeigen, wie sich deren medizinisches Wissen, ihre Erfahrungen und ihr Blick auf die Realität in ihren Werken manifestieren.
- Autobiographische Elemente in den Werken der Schriftsteller-Ärzte
- Der Einfluss medizinischen Wissens auf den literarischen Stil
- Die Darstellung von Krankheit und Tod in den Romanen
- Vergleich der Schreibweisen und der Beziehung zwischen Medizin und Literatur bei den drei Autoren
- Die Rolle des diagnostischen Blicks in der literarischen Darstellung
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung stellt die Forschungsfrage nach dem Verhältnis zwischen medizinischer und literarischer Tätigkeit dar und führt die zentralen Autoren Pío Baroja, Louis-Ferdinand Céline und Luis Martín-Santos ein. Sie beleuchtet die Verbindung von Medizin und Literatur, die schon bei Autoren wie Zola und im Werk Gottfried Benns thematisiert wurde, und betont die Bedeutung der eigenen Erfahrung als Arzt für das literarische Schreiben. Der Fokus liegt auf der Analyse, wie medizinisches Wissen, der diagnostische Blick und die Realitätserfahrung des Arztes die literarische Arbeit prägen. Die Arbeit verspricht einen Vergleich der drei genannten Autoren unter Berücksichtigung biographischer Elemente, wissenschaftsgeschichtlicher Hintergründe und der individuellen Darstellung von Krankheit.
I. Pío Baroja – El árbol de la ciencia (1911): Dieses Kapitel beginnt mit der Untersuchung der autobiographischen Elemente in Pío Barojas Roman „El árbol de la ciencia“. Es wird die starke Parallele zwischen dem Autor und dem Protagonisten Andrés Hurtado herausgestellt, der ebenfalls eine medizinische Laufbahn einschlägt. Der Text analysiert detailliert die Übereinstimmungen zwischen Barojas Memoiren und den Schilderungen im Roman, insbesondere die Beschreibung des Medizinstudiums, der ersten Chemiestunde und der Arbeit im Hospital General. Es wird gezeigt, wie Baroja seine persönlichen Erfahrungen und sein medizinisches Wissen in die literarische Figur des Andrés Hurtado einfließen lässt, wodurch der Roman als stark autobiographisch gekennzeichnet wird. Die Analyse konzentriert sich auf die Darstellung des Medizinstudiums und die Parallelen zwischen dem Leben des Autors und der Romanhandlung.
Schlüsselwörter
Poeta medicus, Schriftsteller-Arzt, Medizin, Literatur, Pío Baroja, Louis-Ferdinand Céline, Luis Martín-Santos, El árbol de la ciencia, Voyage au bout de la nuit, Tiempo de silencio, Autobiographie, medizinisches Wissen, Krankheit, Tod, Diagnostischer Blick, Realismus, Wissenschaftsgeschichte.
Häufig gestellte Fragen zu: Analyse literarischen Schaffens von Schriftsteller-Ärzten
Welche Autoren werden in dieser Arbeit untersucht?
Die Arbeit analysiert das literarische Schaffen dreier Schriftsteller-Ärzte: Pío Baroja, Louis-Ferdinand Céline und Luis Martín-Santos.
Was ist das Hauptthema der Arbeit?
Das Hauptthema ist die Verbindung zwischen medizinischer Praxis und literarischem Schaffen. Es wird untersucht, wie sich das medizinische Wissen, die Erfahrungen und der Blick auf die Realität dieser Ärzte in ihren Werken manifestieren.
Welche Aspekte des literarischen Schreibens werden analysiert?
Die Analyse umfasst autobiographische Elemente, den Einfluss medizinischen Wissens auf den literarischen Stil, die Darstellung von Krankheit und Tod, einen Vergleich der Schreibweisen der drei Autoren und die Rolle des diagnostischen Blicks in der literarischen Darstellung.
Welches Werk von Pío Baroja wird im Detail untersucht?
Im Fokus steht Pío Barojas Roman „El árbol de la ciencia“ (1911). Die Arbeit untersucht insbesondere die autobiographischen Elemente und die Parallelen zwischen dem Autor und der Romanfigur Andrés Hurtado.
Welche Aspekte von „El árbol de la ciencia“ werden analysiert?
Die Analyse konzentriert sich auf die Übereinstimmungen zwischen Barojas Memoiren und dem Roman, insbesondere die Beschreibung des Medizinstudiums, der ersten Chemiestunde und der Arbeit im Hospital General. Es wird gezeigt, wie Baroja persönliche Erfahrungen und medizinisches Wissen in die Figur des Andrés Hurtado einfließen lässt.
Gibt es einen Vergleich der drei Autoren?
Ja, die Arbeit vergleicht die Schreibweisen und die Beziehung zwischen Medizin und Literatur bei Pío Baroja, Louis-Ferdinand Céline und Luis Martín-Santos. Der Vergleich berücksichtigt biographische Elemente, wissenschaftsgeschichtliche Hintergründe und die individuelle Darstellung von Krankheit.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Poeta medicus, Schriftsteller-Arzt, Medizin, Literatur, Pío Baroja, Louis-Ferdinand Céline, Luis Martín-Santos, El árbol de la ciencia, Voyage au bout de la nuit, Tiempo de silencio, Autobiographie, medizinisches Wissen, Krankheit, Tod, Diagnostischer Blick, Realismus, Wissenschaftsgeschichte.
Welche Forschungsfrage steht im Mittelpunkt?
Die zentrale Forschungsfrage betrifft das Verhältnis zwischen medizinischer und literarischer Tätigkeit bei den ausgewählten Autoren.
Welche weiteren Autoren werden erwähnt?
Die Einleitung erwähnt Zola und Gottfried Benn im Kontext der Verbindung von Medizin und Literatur.
- Quote paper
- Sandra Obermeier (Author), 2010, Poeta medicus. Das literarische Schreiben von Schriftsteller-Ärzten am Beispiel von Pío Baroja, Louis-Ferdinand Céline und Luis Martín-Santos, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279667