Leseprobe
„Der Zentralbegriff der Verkündigung Jesu, den wir für gewöhnlich mit ,Reich Gottes’ übersetzen, aber nach seiner hebräisch-aramäischen Grundlage passender mit ,Königtum’ oder ,Königsherrschaft Gottes’ wiedergeben sollten, da er nur für manche bildhafte Wendungen (zum Beispiel ,eingehen ins Gottesreich’) die sich auf die vollendete kosmische Gottesherrschaft am Ende der Welt beziehen, die Vorstellung eines ,Reiches’ nahelegt, sonst aber stets die königliche Macht und Machtausübung Gottes meint, hat eine lange und reiche Geschichte, die weit ins AT zurückreicht, in Jesu Botschaft ihren Höhepunkt findet und danach noch manchen Entwicklungen ausgesetzt ist.“ [1]
Reich Gottes bei Matthäus und Lukas
Matthäus (Mt)
Mt orientiert sich bzgl. Gattung und Perikopenreihenfolge an Mk. Q nutzt er als Materialsammlung und ordnet den Q-Stoff in kleinere Blöcke ein. Auch einiges S ist vorhanden.
Das MtEv kann wie folgt gegliedert werden:
I. Prolog: Abstammung und Geburt des Christus Jesus von Nazareth 1,1-2,23
II. Das Evangelium vom Reich 3,1-7,29
III. Die Ausbreitung des Reiches 8,1-11,1
IV. Die Predigt vom Königreich – Beginn des offenen Widerstandes 11,2-13,53
V. Der Widerstand nimmt zu 13,54-19,2
VI. Vorgeschichte der Passion 19,2-26,5
VII. Das Leiden und Auferstehen von Jesus 26,6-28,20
Mt setzt bei seinen Lesern viel voraus: So erläutert er bspw. jüdische Gebräuche, Ordnungen und Redensarten nicht und benutzt gelegentlich sogar aramäische Worte in griechischer Umschrift. Hieraus entsteht der Eindruck, dass er selbst Judenchrist ist und auch an die judenchristliche Gemeinde schreibt. Allerdings steht der Missionsbefehl in 28,19-20, sodass wohl auch „Heidenmission“ betrieben wird.[2] Zu Beginn verengt sich die Perspektive des Ev auf Jesus (10,5) (zumal die Geburt Jesu bereits Astrologen aus dem östlichen Kulturkreis wahrnehmen, kommen und Jesus anbeten (2,1-12)), weitet sich gegen Ende jedoch ins Universale, auf alle Völker 26,1-28,18. Also ist Mt im hellenistischen Judenchristentum anzuordnen.
Mt spricht als einziger von der Herrschaft der Himmel und nur an wenigen Stellen von der Herrschaft Gottes – Mk und Lk hingegen ausschließlich von der Herrschaft Gottes. Mt setzt viele Ereignisse aus Jesu Leben in Beziehung zum AT und will so nachweisen, dass sich in Jesus die messianischen Weissagungen erfüllt haben und Jesus von Nazareth der Messias Israels ist.[3] Dies zeigt sich bspw. am messianischen Titel: Sohn Davids. (12,23; 15,22; 21,9.15)[4] Jesus ist der erhöhte Menschensohn, der sein universales Reich aufrichtet.
Mt interpretiert die Thora universalistisch und formuliert seine Schwerpunkte in vier Punkten[5]:
- In der Goldenen Regel (7,12)
- Im Doppelgebot der Liebe (22,37-40)
- Das Wichtigste der Gesetze sind „Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue“ (23,23)
- Jesus zählt die sechs Taten der Barmherzigkeit auf (25,35f).
Mt wählt ein dualistisches Erzählkonzept: „In dualistischen Erzählungen wird der kontradiktorische Grundgegensatz der Erzählung am Anfang etabliert und sowohl in der Mitte als auch am Ende aufrechterhalten. Der Grundgegensatz wird mithin in Erzählungen dieser Art nicht vermittelt und in keiner Weise beseitigt. Das Mtev gehört zu diesem Erzähltypus. Dies erklärt die erzählerische Begeisterung für ausweglose existenzielle Desaster, für finster Verhängnisvolles, für schreckliche Traumsituationen, die leider identisch mit dem Wachzustand sind. Irgendwann hat sich der kontradiktorische Gegensatz von ;Reich der Himmel’ und ,ewigem Feuer’, von ,Menschensohn’ und ,Teufel’ ausgebildet. Beide säen, der eine Unkraut, der andere Weizen (Mt 13 ). […] Die Erlöserfigur steht dabei auf der positiven Seite des kontradiktorischen Gegensatzes.“ [6] Bei Mt ist dies kommunikationszentriert gewendet, denn niemand kann wissen, zu welcher Seite er gehört. Kommunikationszentriert meint die „einverständliche Annahme einer kommunizierten Initiative“ [7], dass man z.B. dem Menschensohn im Dienst an sozial Randständigen dient. So kann eine (schwache) Gruppenidentität herausgebildet werden. (Ggs. zu kommunikationszentriert ist identitätszentriert.)
Das Himmelreich wird dualistisch dargestellt (vgl. Mt 13+25: Gleichnis vom Sämann, Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen, Gleichnis vom Senfkorn, Gleichnis vom Sauerteig, Gleichnisse vom Schatz und von der Perle, Gleichnis vom Fischnetz, Gleichnis von den zehn Jungfrauen, Gleichnis vom anvertrauten Geld, Vom Weltgericht.). Es geht nicht um den Zeitpunkt des Anbruchs, sondern um den Widerspruch zwischen der Herrschaft Satans (12,26) und der Herrschaft Gottes:
Mit dem matthäischen Gerichtsgedanken ist das Gericht über die Christen gemeint, in welchem aufgedeckt werden wird, wer innerhalb der Gemeinde ins Himmelreich und wer zur Hölle berufen ist (13,38.41).
Diejenigen, die gesellschaftlichen Randgruppen wie Armen, Kranken, Gefängnisinsassen etc. Liebe widerfahren lassen, gehen ins ewige Leben ein, die anderen aber ins ewige Feuer. Mt kennt stark den Gedanken des Lohns: Handelt man sichtlich durch Innerlichkeit und Nächsten-/Feindesliebe, erhält man seinen Lohn beim Vater. Auch verlangt Mt Vergebungsbereitschaft als Bedingungen für das Heil (6,14; 18,23ff). Bei Mt tritt an die Stelle eines militanten Messias ein friedfertiger König, der nur durch seine Gebote die Welt beherrschen will.
Es entsteht das Bild des Allherrschers, das auch Jesus aufnimmt: „Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße, Jerusalem aber die Stadt des großen Königs.“ (5,34f.) „Der Auferstandene ist der Weltregent und der Modus seiner Regentschaft ist die Weltmission durch die von seiner ständigen Präsenz geprägte Jüngerschaft.“ [8]
Die Parusieverzögerung wird als Problem thematisiert (25,1-13). Die Zeit Jesu begründet die Gegenwart des Heils und lässt sie gleichzeitig beginnen: Johannes der Täufer verkündigt die nahe Herrschaft der Himmel (3,2), ebenso wie Jesus (4,17) und wie dessen Jünger (10,7). Nach 4,23-25 hat Jesus „das Evangelium von der Herrschaft“ verkündigt und viele Krankheiten geheilt. „Der Evangelist zeigt, daß mit Jesu Predigt die bis in die Gegenwart andauernde Verkündigung des Evangeliums begann, dessen Thema „die Herrschaft“ ist (vgl. 13,19.52). Nach 24,14 ist die weltweite Predigt […] ein (dem ,Ende’ vorausgehender) Teil des Vollzugs der Endereignisse.“ [9]
[...]
[1] Schnackenburg, 468
[2] vgl. Theißen, 188
[3] vgl. Hörster, 63
[4] vgl. Hörster, 66
[5] nach Theißen, 189-190
[6] Pöttner, § 4
[7] Pöttner, § 4
[8] vgl. „Eschatologie“ in TRE, 292
[9] vgl. „Herrschaft Gottes/Reich Gottes“ in TRE, 210