Klasse, Milieu und Geschlecht: Das Konzept des Habitus im Kontext feministischer Fragestellungen

Nachdenken über die Kategorie Geschlecht: theoretische und methodologische Konsequenzen


Hausarbeit, 2002

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Inhaltsverzeichnis

2 Einleitung

3 Das Habituskonzept
3.1 Der soziale Sinn
3.1.1 Der soziale Raum oder auch das soziale Feld
3.1.2 Der Kapitalbegriff
3.1.3 Bourdieu führt die Ansätze des Feldes und Kapitals zusammen
3.2 Ein System dauerhafter Dispositionen
3.3 Dualismus von „Freiheit“ und „Determinismus“

4 Das Konzept des Habitus im Kontext feministischer Fragestellungen

4.1 Kritik und Anschluss an Bourdieus Erklärungsansatz des Modells des Habitus von Beate Krais

5 Zusammenfassung der Ergebnisse

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In der Bundesrepublik Deutschland sind die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen verfassungsgemäß garantiert – seit 1980 speziell auch am Arbeitsplatz, wobei eine geringere Vergütung bei gleichwertiger Arbeit verboten worden ist.

Art. 3 Abs. 2 GG: „Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ [1]

Doch trotz rechtlicher Gleichstellung trifft die Gesellschaft immer wieder auf Situationen, in denen keine Gleichstellung ersichtlich ist. Eine Folie[2], entnommen aus der Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung, zeigt „Auszubildende in den dreißig am stärksten besetzten Ausbildungsberufen nach Rangfolge und Ausbildungsbereich in Deutschland 1999“. Der Beruf des/der Kraftfahrzeugmechanikers/in steht hier auf Rangfolge eins. Nimmt man zum Vergleich eine Folie, welche die Auszubildenden in die Geschlechter differenziert, zeigt es sich, dass dieser Beruf sehr wohl bei den Männern an oberster Stelle steht, bei den Frauen hingegen aber unter den ersten dreißig nicht zu finden ist.

Nachfolgend möchte ich eine kurze Zusammenfassung eines aktuellen Fazits[3] über Geschlechtergleichheit in Deutschland geben, welches die derzeitige Situation aufzeigt.

In Deutschland kann bislang nicht von Geschlechtergleichheit gesprochen werden, obwohl Tendenzen zu sehen sind, die einer allmählichen Angleichung entgegen gehen.

Zum einen sind Veränderungen in Richtung mehr Egalität zwischen den Geschlechtern zu beobachten, da Frauen im mittleren und jüngeren Alter ihren Blick intensiver auf ihre berufliche Qualifikation und Berufstätigkeit legen und parallel dazu Männer ein zunehmendes Verständnis für ihre soziale Rolle als Väter entwickeln.

Andererseits belegen Fakten nach wie vor die Schlechterstellung von Frauen in Bereichen der Erwerbsbeteiligung, des -einkommens, der -muster und –verläufe. Trotz der Qualifikationsgewinne sind Frauen in Führungspositionen seltener vertreten, haben ein größeres Arbeitslosigkeits- und Verarmungsrisiko und erbringen noch immer den größten Teil der Haus- und Familienarbeit. Neben den Geschlechterungleichheiten kommt es zu neuen sozialen Ungleichheiten unter Frauen, da hoch qualifizierte und beruflich orientierte Frauen zunehmend auf Kinder verzichten und es scheint, dass nur Männer beides haben können: Kinder sowie Karriere.

Doch die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nur ein Teil des Problems. Unabhängig vom Vorhandensein von Kindern, werden Frauen beim beruflichen Aufstieg, bei beruflichen Einstellungen und bei der Einkommensgestaltung durch Tarifverträge zu ihren Lasten behandelt.

Trotz jahrhunderterlanger wahrgenommener Ausschließung von Frauen in vielen Bereichen, setzt sich der Mann über die Frau heute noch immer durch, selbst in modernen, demokratisch verfassten Gesellschaften.

Die Frauen- und Geschlechterforschung untersucht verschiedene Ansätze, sich solchen Ungleichheiten und deren Ursachen zu nähern. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930-2002) startet den theoretischen Versuch, das Zustandekommen solcher bestehenden oben beschriebener „Praxisformen“ zu erläutern und zu beschreiben, wie sie von Involvierten erfahren und erkannt werden. Hierzu entwickelte er das Konzept des „Habitus“, das oft im Rahmen feministischer Fragestellungen als ein Erklärungsansatz für Geschlechterunterschiede herangezogen wird.

Im Folgenden werde ich das Konzept des Habitus vorstellen. Ich werde untersuchen, wo die Ursachen für noch heute stark ausgeprägte Herrschaftssysteme liegen, die zu enormen Geschlechterunterschieden führen und skizzieren, weshalb diese Herrschaftssysteme nicht einfach abzulegen sind.

2 Das Habituskonzept

Im nachfolgenden Beispiel versucht Bordieu im Rahmen feministischer Fragestellungen, einen Erklärungsansatz für die heute vorherrschenden Geschlechterungleichheiten zu geben.

Bourdieu entwickelte sein Habituskonzept schon sehr früh während seiner Analysen über die Kabylische Gesellschaft[4]. Obwohl die Kabylen den Umgang mit Geld nicht kannten, betrieben sie Naturalientausch, hatten Vorratshaltung und mussten innerhalb ihrer Naturalwirtschaft vorausschauend wirtschaften.

Im 20. Jahrhundert wurde ihr Boden plötzlich verkäuflich und die Kabylen kauften sich direkt im Anschluss irgendetwas für ihre Erlöse. Das Geld war für sie neu und fremd. Sie handelten wohl lediglich nach westlichen Maßstäben und nicht wirtschaftlich, sondern irrational. Allerdings gab sich Bourdieu mit dieser Erklärung nicht zufrieden, sondern fragte nach den Bedingungen ihres Handelns und untersuchte daraufhin ihre differenzierte Ökonomie. Zum Beispiel stellte sich heraus, dass für sie „Ehre“ einen höheren Wert besaß, als „rationale Ökonomie“, was daher zu anderen Verhaltensweisen führte.

Der Habitus – so fand Bourdieu heraus – hat einen „Hysteresis-Effekt“, d.h. er lässt sich nicht einfach ablegen, wenn es notwendig ist. Die alten Einstellungen zur Welt bleiben erhalten.

Das Habituskonzept ist in allen ethnologischen und soziologischen Untersuchungen Bourdieus präsent oder bietet einen Erklärungsansatz für das Verhalten der Geschlechter in der Praxis. Der Grund dafür, dass in verschiedenen Forschungszusammenhängen auch unterschiedliche Akzente gesetzt werden müssen, liegt daran, dass sich das Habituskonzept erst aus empirischen Forschungsfragen heraus entwickelt hat und demnach ursprünglich nicht als ein „theoretischer Lösungsvorschlag allgemeinsoziologischer Problemstellungen intendiert“ war.[5]

Dem Habitusbegriff werden viele verschiedenen Bedeutungen zugewiesen, wie z.B. Anlage, Haltung, Erscheinungsbild, Gewohnheit, Lebensweise. Der „Habitus“ versucht zu verdeutlichen, wie die soziale Praxis zustande kommt und gelebt wird und wie in die Gesellschaft Involvierte sie wahrnehmen, erfahren und erkennen. Aus diesem Kontext heraus fungiert die Habitustheorie als „Theorie der praktischen Erkenntnis der sozialen Welt.“[6]

In Bourdieus Augen sind die verschiedenen Habitusformen „Systeme dauerhafter Dispositionen“, [7] d.h. die Subjekte innerhalb der Praxis sind mit strukturierten Anlagen ausgestattet, die für ihre Praxis und demnach für ihr Denken über die Praxis ausschlaggebend sind. Somit steht die Habitustheorie im Gegensatz zu anderen Handlungstheorien, die das Prinzip des Handelns in den „freien“ Entscheidungen der Akteure suchen. Nicht der soziale Akteur an sich ist gesellschaftlich bedingt, sondern sein Habitus, welcher wiederum das Produkt von anderen Praktiken ist. Er beruht auf gesellschaftlichen und historischen Erfahrungen, die der Organismus im Laufe seines Lebens miterlebt hat und die sich in Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata niederschlagen.

2.1 Der soziale Sinn

Obwohl man die drei soeben genannten Aspekte der Wahrnehmung, des Denkens und des Handelns analytisch unterscheiden kann, sind sie doch eng miteinander verflochten: Durch die Wahrnehmung wird die alltägliche soziale Welt strukturiert, im Denken interpretiert und durch die Handlung hervorgebracht. Folglich sind die drei Stränge der Vernunft Theorie, Ethik und Ästhetik nicht voneinander trennbar, sondern spielen zusammen.

Dieses Dispositionssystem[8] stellt für Bourdieu die Grundlage des „sozialen Sinnes“ dar. Denn dieser dient zur Orientierung innerhalb der sozialen Welt (Orientierungssinn) sowie zur Hervorbringung angemessener Praktiken (sinnvolle Entscheidungen zu treffen).

Der soziale Sinn verbindet neben den fünf Sinnen auch den Orientierungs- und Wirklichkeitssinn, den moralischen Sinn für Verantwortung, Verpflichtung und Pflicht, den religiösen und politischen Sinn, den ästhetischen für Schönheit, den Sinn für Humor und für das Lächerliche, den Sinn fürs Geschäft u.a. miteinander. Normalerweise funktioniert der soziale Sinn auf Grund eines Instinktes - er ist demnach sehr tief im menschlichen Körper verankert und schlägt sich auf die Körperhaltung, –bewegung und sogar auf die Art zu Sprechen nieder (die „leibliche Hexis“[9]).

Hierdurch kann man darauf schließen, dass unsere Handlungen hauptsächlich automatisch ausgeführt werden und von keiner großen Intelligenz bedürfen. Kognitive, evaluative und motorische Schemata verbinden sich zu einem systematisch angelegten „Erzeugungsprinzip“ sozialer Praxisformen. Sobald ein Akteur, der sich in einem spezifischen Praxisfeld engagiert, es besetzt und in ihm Handlungen nach seinem Habitus verübt, kommen zusätzlich emotionale Momente hinzu.

[...]


[1] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Textausgabe, Bundeszentrale für politische Bildung, November 1995, Die Grundrechte, Artikel 3, § 2, S. 13

[2] Bundesministerium für Bildung und Forschung, Grund- und Strukturdaten 2000/02, Verlag Bundes Ministerium für Bildung + Forschung, Auszubildende in den dreißig am stärksten besetzten Ausbildungsberufen nach Rangfolge und Ausbildungsbereich in Deutschland 1999

[3] KLENNER Christina, Geschlechtergleichheit in Deutschland?, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 19. August 2002, B33–34/2002, S. 26-28

[4] dtv-Lexikon in 20 Bänden, 1997, F. A. Brockhaus GmbH, Mannheim und Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. Kg, München, Band 9, S. 141: „Kabylen sind nordalgerischen Berbergruppen. Unter der Oberfläche des Islams haben sich Reste des alten berberschen Gewohnheitsrechtes und Brauchtums bis zur Gegenwart erhalten.“

[5] BOURDIEU Pierre, Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt a.M., 1976

[6] SCHWINGEL Markus, Pierre Bourdieu zur Einführung, 2. Auflage, Hamburg, 1998, Junius, S. 53

[7] SCHWINGEL, a. a. O., S. 54

[8] SCHWINGEL, a. a. O., S. 57

[9] SCHWINGEL, a. a. O., S. 58

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Klasse, Milieu und Geschlecht: Das Konzept des Habitus im Kontext feministischer Fragestellungen
Untertitel
Nachdenken über die Kategorie Geschlecht: theoretische und methodologische Konsequenzen
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik)
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V279934
ISBN (eBook)
9783656737858
ISBN (Buch)
9783656737810
Dateigröße
494 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
klasse, milieu, geschlecht, konzept, habitus, kontext, fragestellungen, nachdenken, kategorie, konsequenzen
Arbeit zitieren
M.A. Jessica Schumacher (Autor:in), 2002, Klasse, Milieu und Geschlecht: Das Konzept des Habitus im Kontext feministischer Fragestellungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279934

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