Leseprobe
1. Erna Barschak
Die Entwicklung der Mädchenfortbildungsschulen hängt stark mit der Entwicklung der Frauenarbeit im Allgemeinen zusammen.
- Seit Mitte des 18. Jahrhunderts: Formen der schulischen Erziehung der Jugendlichen fast parallel zu denen der Volksschulpflicht
- Zu Beginn der Aufklärung mussten Mädchen und Jungen nach dem gleichen kirchlich-religiösen Prinzip in die Sonntagsschulen gehen. Der Mensch sollte im Allgemeinen „nützlicher“ werden.
- Doch dann: Während die Arbeit der Mädchen vorerst lediglich auf Familie und Haus begrenzt war, erschlossen sich für die Jungen Wege, in Innungen und Ausbildungsstätten oder gar in Gelehrtenschulen, wie Realschulen, ausgebildet zu werden. Sobald der Großhaushalt an Arbeitsmöglichkeiten verlor, tasteten sich die Mädchen in der wirtschaftlichen Umwelt voran.
- Anfang des 19. Jahrhunderts: Meinung, die Frauen könnten sich der Wirtschaft nicht einmal als Arbeitskräfte sondern nur als Hände anbieten. Die Mädchenschule musste sich also zur Aufgabe machen, die Frauen in die Arbeitswelt einzuführen. So wurde die Fachschule zur berufsvorbereitenden Stätte, in der auch die hauswirtschaftliche Erziehung stattfand. Erst sobald die Wirtschaft selbst Ausbildungsstätten schuf, konnte die Fortbildungsschule ihren Zweck erfüllen, nämlich berufsbegleitend wirken.
- Bislang hat die Pädagogik nicht gesehen, dass auch eine Berufsbildung zur Menschenbildung führen kann. Als Ideal der Menschenbildung galt jetzt „ der ganze Mensch soll von nun an Gegenstand der Bildung werden – ohne Rücksicht auf staatliche oder wirtschaftliche Brauchbarkeit.“ [1]
- Jungen wurden außerhalb von Haus und Familie definiert und ausgebildet
- Frauen mussten beidem gerecht werden
- Einen Unterschied zwischen der Einstellung zum Berufbildung sproblem der Mädchen und zu dem der Jungen konnte man in der praktischen Lehre feststellen. Diese blieb, wenn auch in „freiester Form“, die Grundlage aller Ausbildungen der männlichen Auszubildenden im Gewerbe. Für die Mädchen wurden hingegen besondere Schulen gegründet, sog. Erwerbs- und Gewerbeschulen. Sie standen allerdings in keinem Zusammenhang mit den gewerblichen Lehranstalten für die männliche Jugend. Diese ausschließlich theoretische Ausbildung war darauf zurückzuführen, dass die liberalen Kreise seit Beginn des Jahrhunderts immer wieder Missachtung gegenüber der praktischen Lehre äußerten, nun aber Träger der Berufbildung der Frau wurden. Außerdem sollten den Mädchen der eigenen Gesellschaftsklasse vielleicht auch die Unbequemlichkeiten einer Werkstattausbildung erspart bleiben.
- Konzepte und Ziele der beruflichen und allgemeinbildenden Schulen, der Frauenschulen und Höheren Frauenschulen der Jungen- bzw. Mädchenschulen waren also sehr unterschiedlich.
- Seit Mitte des 20. Jahrhunderts verdeutlichten die berufsbildenden Schulen den Frauen, unabhängiger zu werden und eigene Wege zu gehen. Doch es kam zu einer immer stärkeren Einengung des Kleingewerbes zugunsten der Großindustrie. Die in einem handwerklichen Kleinbetrieb ausgebildeten ArbeiterInnen konnten in der Industrie nicht mehr eingesetzt werden, da die Arbeitsverfahren zu kompliziert geworden waren. Denn in der Industrie lag das Hauptaugenmerk der Ausbildung auf der Handhabung der Maschinen und Großwerkzeuge. Die „rasche Anpassung an technische Neuerungen, Sicherheit und Gewandtheit im Bedienen komplizierter Spezialmaschinen, muss Ziel einer Ausbildung für die Großindustrie sein.“ (nach Barschak 1929, S. 65-66) Dies führte dazu, dass dort überwiegend ungelernte Arbeitskräfte beschäftigt wurden, obwohl die Großindustrie einen Stamm gut ausgebildeter Facharbeiter und eine wachsende Zahl angelernter und schließlich gänzlich ungelernter Arbeitskräfte brauchte. Auch in der Textilindustrie war das zu sehen, wo überwiegend weibliche Arbeitskräfte tätig waren. Eine Anlernzeit reichte völlig aus, um die ihnen übertragenden Aufgaben zu bewältigen.
- Bei den angelernten Arbeitskräften waren die weiblichen Arbeiter außerordentlich stark vertreten. Obwohl in der Textilindustrie überwiegend Frauen arbeiteten, die mit einer Lehrzeit von vier bis sechs Wochen als „gelernt“ gelten sollten, musste man hier von „angelernten“ Arbeiterinnen ausgehen. Das Dinta (Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung) überdachte die Anlernmethoden und richtete, hauptsächlich in der westdeutschen Textilindustrie, verschiedene Anlernwerkstätten für Arbeiterinnen ein. In der Kriegszeit stieg die Anzahl der Arbeiterinnen stark an, wie in der Maschinenindustrie. Insgesamt war das Lehr- und Anlernwesen der weiblichen Arbeiterinnen zumeist noch sehr planlos und nicht mit dem der Männer vergleichbar.
- Zu pädagogischen Schwierigkeiten im Hinblick auf die stoffliche Unterrichtung der Berufsschule kam es für Angelernte und Ungelernte, sodass es anstelle von Berufspädagogik zur Vermittlung von Staatsbürgerkunde, Kulturkunde oder Gemeinschaftskunde, Gartenarbeit und Leibesübungen kam, denn wegen andauerndem Arbeitsstättenwechsel (meist ca. 7 Monate) war das pädagogische Arbeiten erschwert. Endlich begann bei der Berufsschullehrerschaft die Erkenntnis, dass „auch ,der Ungelernte’ ein Lernender seiner Arbeit sein, dass er eine ,Lehre’ durchmachen sollte und Möglichkeiten des Aufstieges bekommen müsse. Es wird die Frage gestellt, ob nicht in Zukunft die spezialisierte Fachausbildung erst in einem späteren Lebensalter erfolgen und der Facharbeiter sich aus dem an- und ungelernten Arbeiter entwickeln könne. Mit Recht wird hervorgehoben, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen, die ganze Ausbildung des Ungelernten in einem bloßen Vormachen oder Zeigen besteht. Irgendeine Einführung in das tiefere Verständnis, ein Eingehen in die Zusammenhänge zwischen Einzelbetrieb und Gesamtwirtschaft findet in der Werkstatt nicht statt.“ (Barschak 1929, S. 135)
Erna Barschak
- 1888-1958
- 1914 Diplom-Handelsschullehrerin und finanziert sich als Lehrerin ihr Abi und ihr Studium (in Berlin) als Lehrerin der Berliner Handelsschule.
- Studium & Promotion in Tübing am Neckar.
- Dozentin an der Frauenschule Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin – genauer: sie ist an der „Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit“ tätig
- 1930 Professorin in Berlin
- 1922-1932 Schriftleiterin der Zeitschrift „Wege zur Freude“ (Die Schwester-Jugendzeitschrift des „Feierabends“ ist „Wege zur Freude“, welche die damaligen gesellschaftlichen Erwartungen an Mädchen und zukünftige Frauen zeigt und Aufschluss über gesellschaftliche Normen sowie Eigenschaften und Verhaltensweisen der Fortbildungsschülerinnen gibt. Sie beinhaltet Gedichte, Romane, Erlebnisberichte, Briefe und behandelt Themen wie „Frausein“, „von Familie und Gemeinschaft“, „Kleidung und Mode“, „Beruf“, „Politik“ und „(Haus-)Wirtschaft.
- 1933 Entlassung vom Staatsdienst -> Psychologie-Studium in London und Genf
- 1935 Professorin für Psychologie am Jewish University College in Berlin (jüdische Lehrerbildungsanstalt
- 1940 Exil in den USA -> sie wird Hausangestellte
- 1941 New York -> Mädchen-College als europäische Gelehrte
- Beraterin im YMCE-Feriencamp und hält den jungen Fabrikarbeiterinnen und Bürohilfen Psychologie-Vorträge
- 1942 Professorin in Ohio
Ihr sind besondere Erkenntnisse im Schulwesen und dessen Gestaltung zu verdanken und außerdem liefert sie einen großen Beitrag zum Gesetzesentwurf zur Berufsbildung.
Erna Barschak legt in ihren Untersuchungen ihr Hauptaugenmerk auf das Problem der angelernten (Lernen der Tätigkeit durch Zusehen) und ungelernten Arbeiter, von denen die meisten weiblich waren. Sie ist eine der wenigen, die sich pädagogisch mit diesem Problem beschäftigt. In den Mädchenberufsschulen saßen irgendwann beide „Arten“ von Arbeiterinnen in einer Klasse, was pädagogisch gesehen zum Problem wurde.
Sie forderte
- eine Einteilung der Schulklassen nach Berufszugehörigkeit
- die Einführung altersdifferenzierten Unterrichts
- eine theoretische Ergänzung der Werkstattlehre
- die Trennung der angelernten von ungelernten Arbeitern und Arbeiterinnen.
- Die Berufsausbildung sollte sich an jugendgemäßen pädagogischen Zielen orientieren.
- Sie forderte die Schaffung von Organen, die eine ordnungsgemäße Durchführung der Lehre gewährleisten sollen (vergleichbar mit Innungen),
- sowie die Beteiligung des Staates an der Ausbildung.
Ihre Forderungen sind in der heutigen Debatte um die Reform des Berufsbildungsgesetzes noch immer sehr aktuell. „Die Berufsschule ist zu einem Mittelpunkt der Jugendpflege auszubauen.“ [2]
[...]
[1] Barschak 1929, 9
[2] Barschak 1929, 167