Sportsmann trifft 'Neue Frau'. Sport und Körper in Marieluise Fleißers Roman "Eine Zierde für den Verein"


Bachelorarbeit, 2011

46 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sport und Moderne

3. Der Sportsmann als „moderner Menschentyp“

4. Sport im Roman
4.1. Sport und Männlichkeit
4.2. Sport und Religion
4.3. Sport und Liebe

5. Die Neue Frau der Zwanziger Jahre
5.1. Die Mode der Neuen Frau
5.2. Die Neue Frau und die neue Sexualmoral

6. Frieda Geier als Neue Frau im Roman
6.1. Die Mehlreisende
6.2. „ und so fing die Liebe an“

7. Sportkritik oder Kritik am ‚Alten Mann‘

8. Zusammenfassung

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Roman von Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen“: so lautet der Untertitel von Marieluise Fleißers Roman „Eine Zierde für den Verein“. Diese ineinander verwobenen Hauptthemen sind eng mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Weimarer Republik verknüpft. Der Roman basiert auf konkreten Erfahrungen und Lebensbeobachtungen der Autorin. Eine der meistzitierten Passagen in der Fleißer - Forschung die folgende Aussage von Fleißer: „Man kann nicht ein Seil in die Luft werfen und sich daran emporziehen, das ist bare Künstelei, ich lehne das ab“.1 Ihr „Röntgenblick“ greift die Tiefe der Zeit und der kranken Gesellschaft auf. Der Roman wird als „Zeitroman“ - ein bevorzugtes Genre der Neuen Sachlichkeit bezeichnet.2

Die vorliegende Bachelorarbeit konzentriert sich auf die Untersuchung der Sport- und Körperthematik im Roman. Bei der Sportthematik greifen die Interpreten immer wieder die Biographie von Marieluise Fleißer selbst auf, und zwar ihre Ehe mit Ingolstädter Tabakwarenhändler und Schwimmsportler Bepp Heindl. Diesen biographischen Aspekt möchte ich an dieser Stelle ausklammern und die Aufmerksamkeit auf die Sportbegeisterung in der Zeit der Weimarer Republik lenken. Die Gründung der Weimarer Republik 1918 geht mit Veränderungen der gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen sowie sozialen und kulturellen Prozesse einher. In diesen Modernisierungsprozessen nimmt die Sport- und Körperkultur in den Zwanziger Jahren eine wichtige Stellung ein. Die Ausübung einer Sportart gehörte zu einer der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Verschiedene Sportarten, vor allem die, die einen ausgeprägten Wettkampfcharakter besaßen, sorgten für massenhafte Zuschauererlebnisse.3 Der große Aufschwung der Sportbewegung führte langsam zum Massenphänomen. „Wir leben nicht nur in der Zeit der Mechanisierung, sondern auch in der Versportlichung“.4 Darüber hinaus ist es bemerkenswert, dass der Frauenanteil im Sport zunahm.

Marieluise Fleißer übernimmt die Sportbegeisterung der Zeit und veröffentlicht 1929 ihren Essay „Sportgeist und Zeitkunst - Essay über den modernen Menschentyp“. Die Autorin betrachtet im Essay den Sportsmann als Prototyp des modernen Menschen und hofft mittels des Sports auf die Veränderung von Kunst und Literatur.

Zwei Jahre später schreibt Fleißer den Roman „Mehlreisende Frieda Geier“5, in dem sie einen kritischen Blick auf Sport und Sportsmann wirft. Ihre Kritik richtet sich in erster Linie auf die ungleichen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern, die sich im Licht des Sportes besonders verschärfen.

Den Kern des Romans bildet die Liebesbeziehung zwischen dem Tabakwarenhändler Gustl Gillich und der Mehlreisenden Frieda Geier, zwischen dem Sportsmann und der Neuen Frau. Fleißer verortet die Handlung des Romans in eine Kleinstadt, in der gleichzeitig die Spannung zwischen Tradition und Moderne deutlicher wird.

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit möchte ich auf einige Fragen im Zusammenhang mit der Darstellung des Sportes und Körpers im Roman eingehen, die mir wichtig erscheinen: Ist im Roman eine Kritik am Phänomen des Massensportes in der Weimarer Republik zu spüren? Und ist der Roman damit wirklich als ein Gegenpol zu ihrem zwei Jahren zuvor erschienen Essay zu verstehen? Neben diesen allgemeinen Fragen möchte ich später auch die Rolle der männlichen Hauptfigur Gustl als Sportler untersuchen. Vor allem: Verkörpert Gustl das Ideal des Sportlers und damit den Typ des modernen Menschen? Die Liebesbeziehung zwischen dem Sportsmann und der Neuen Frau wirft die Frage nach den bestehenden Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern auf und zwar: Birgt der Roman in sich eher die Kritik am Sport oder die Kritik am Patriarchat? Besitzt hier der Sportler den von Fleißer geforderten Sportsgeist, um die Grenzen mit der ‚Neuen Frau‘ zusammen zu überschreiten?

Bei der Beantwortung dieser Fragen werden in einem ersten Schritt die Beziehung zwischen Sport und der modernen Zeit der Zwanziger Jahre entfaltet und zugleich die zeitgenössischen Reflexionen zum Sport aufgespannt. Der Sport gewann an Einfluss auf die verschiedenen kulturellen Bereiche der Weimarer Moderne, wie z.B. Film, Kunst und Theater. Anne Fleig kommt der Verdienst zu, den Sport im Zusammenhang der kulturellen Moderne der Weimarer Republik untersucht zu haben. Ihre Untersuchung bezieht sich nicht nur auf die Darstellung des Sportes, sondern auch auf die Aufwertung des Sportlerkörpers. In den Zwanziger Jahren etablierte sich ein publizistischer Sportdiskurs, der versuchte, das Phänomen des Sportes zu erklären. Bei der Herausbildung des Sportdiskurses kommt dem Magazin Querschnitt eine große Bedeutung zu.

In einem zweiten Schritt wird Fleißers Essay „Sportgeist und Zeitkunst - Essay über den modernen Menschentyp“ analysiert. Hier werde ich zeigen, dass Fleißer nicht weniger von den Sportereignissen fasziniert war als ihre Zeitgenossen.

Anschließend gehe ich auf die Rolle des Sportes im Roman ein, insbesondere das Wechselspiel von Sport und Körper zu Männlichkeit, Religion und Liebe. Dabei kommen unterschiedliche Aspekte des Sports und Sportsmanns, wie das Zusammenspiel von Disziplinierung, Askese und Erotik, zur Sprache. Die Darstellung des männlichen Sportlerkörpers soll hier nicht nur als Begierde der Erotik verstanden werden, sondern als Projektionsfeld, in dem eine weibliche Sicht auf „Männlichkeit“ als gesellschaftliches Konstrukt Ausdruck findet.

Um Fleißers weitreichende Kritik am Sportsmann zu erfassen, wird das Phänomen der Neuen Frau analysiert. Es wird das Leitbild der Neuen Frau der Zwanziger Jahre im Hinblick auf die Mode und die veränderte Weiblichkeit untersucht. Die Untersuchung der Mode vermag in signifikanter Weise auch den Geschlechterkonflikt aufzuzeigen. Dieser Konflikt verschärfte sich zunehmend, nachdem den Frauen neue Rechte in der Weimarer Republik eingeräumt wurden. Diesbezüglich liefert Gesa Kessemeier eine umfangreiche Forschung, die den Typ der Neuen Frau unter verschiedenen Aspekten untersucht. Dazu gehören sowohl die soziale Situation der Frauen in der Weimarer Zeit als auch ihr äußeres Erscheinungsbild.

Die Analyse der Neuen Frau ermöglicht es, die weibliche Protagonistin im Roman Frieda Geier näher zu betrachten. Demzufolge wird Frieda Geier - die rauchende, sich städtisch gebende, Moped fahrende Handelsreisende mit kurzgeschnittenen Haaren dem Typus der Neuen Frau zugeschrieben. Emanzipation, Selbstbestimmung und Individualismus begleiten Frieda Geier in der katholischen Provinzstadt. Anschließend wird Frieda Geier im Hinblick auf die Beziehung mit dem Sportsmann und auf ihren Beruf analysiert.

Unter diesen Perspektiven lautet die zentrale These meiner Arbeit: Die neusachliche Ikone des Sportlers als positiver Prototyp des modernen Menschen wird im Roman entzaubert. Der Sport entpuppt sich als Utopie, als leere Hoffnung auf eine soziale oder menschliche Erneuerung.

2. Sport und Moderne

Neben der glanzvollen Kunst und Kultur nimmt auch der Sport in den Zwanziger Jahren eine wichtige Stellung ein. Wegen seinem Unterhaltungs- und Vergnügungscharakter zeichnet sich der Sport durch sein erstaunliches Aufkommen in der Öffentlichkeit aus und entwickelt sich zur modernen Massenkultur der Weimarer Republik.

Der aus England kommende Sport entstand neben dem deutschen ‚Turnen‘ zunächst im deutschen Raum in Großstädten und zwar vor allem in Handelstädten wie z.B. Hamburg, Bremen, Hannover und anderen Städten. Also in erster Linie in den Orten, in denen seit dem 18. Jahrhundert sogenannte ‚Engländerkolonien‘ existierten. Dem deutschen ‚Turnen‘ fehlten aber die modernen Elemente des Sportes - Wettkampf und Leistungsvergleich.6 Genau der Wettkampfscharakter des Sportes machte das Zuschauererlebnis aus. Zu den beliebtesten Sportarten gehörten Fußballspiele und Boxkämpfe. „Für seine Anhängerinnen und Anhänger bezeichnete ‚Sport‘ alles Moderne und Fortschrittliche, im Unterschied zum uniformen, gemeinschaftsfördernden Turnen erschien er als Ausdrucksmöglichkeit der freien Persönlichkeit.“7

Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Sport in der Weimarer Republik zu einem Massenphänomen. Der Bedarf an einer Freizeitbeschäftigung in der modernen Industriegesellschaft schuf zahlreiche Sportvereine für unterschiedliche Sportarten, wie zum Beispiel Fußball-, Tennis- oder Rudervereine.8 Dazu kam noch der kommerzielle Faktor des Sportes. Mit der Zeit ging es bei den Sportlern nicht mehr nur um das Freizeitvergnügen, sondern um den sportlichen und damit auch finanziellen Erfolg der Vereine, was zur Kommerzialisierung führte.

Die Ausprägung des Sportes im frühen 20. Jahrhundert ist freilich ohne neue Medien und Technologien nicht denkbar. Die Rezipienten des Sportes wie Zuschauer, Zeitungsleser oder Radiohörer unterstützten die weitere Verbreitung des Sportes in den Massen. Zur Popularisierung des Sportes trugen auch Sportartikel bei, die von breiten Bevölkerungsgruppen günstig zu erwerben waren.9 Durch den Aufstieg des Frauensportes seit 1918 gelangte der Sport zu immer mehr Popularität.

Das Aufkommen des modernen Sportes verbinden viele Autoren10 mit technischen Fortschritten, Industrialisierung und Urbanisierung in Europa. Der Sportler mit seiner Disziplin und Leistungsbereitschaft schien viel Gemeinsames mit der industriellen Entwicklung zu haben. Sport und Technikbegeisterung brachten das moderne Zeitgefühl zum Ausdruck.

Im Hygiene- und Gesundheitsdiskurs spielten der Sport und die Körperkultur eine zentrale Rolle. Sowohl die Politik als auch Mediziner appellierten an das Bürgertum zur Bewegung und dadurch zur körperlichen Selbsterhaltung.11

Interessant ist auch der Show-Charakter des modernen Sportes, in dem der trainierte und leistungsorientierte Körper des Sportlers zum Darstellungsmittel einer Moderne wird. Durch Sport erlebt der Körper auch neue Erfahrungen. Es kommt zur Auswertung und Ästhetisierung des trainierten Körpers. Der Sportlerkörper wird als Kunstideal in Szene gesetzt.12 Durch den Sport kommt es ebenfalls zu neuen Darstellungsformen und Theatralität des Körpers. Im 20. Jahrhundert stellt der Sport neben dem Tanz eine große Inszenierungsbühne für den Körper.13

Der Sportler verstärkte durch seine intensivierte körperliche Betätigung die Vorstellung vom Neuen Menschen, von der Geburt eines Menschen, der Geist und Körper im Gleichgewicht hielt.14

Neben der Sportpresse, die für die Aufklärung des Sportpublikums sorgte, ist auch das Kulturmagazin Der Querschnitt zu erwähnen, in dem das Verhältnis von Sport, Kunst und Literatur festgehalten wurde. Die Zeitschrift bot dem Leser nicht nur bloße Sportberichterstattung, sondern auch intellektuelle Auseinandersetzungen mit dem Sport. Dadurch trug sie zur Entwicklung des neusachlichen Sportdiskurses bei. Für Künstler und Schriftsteller der Neuen Sachlichkeit verkörperte der Sport eine neue Kultur. Außer konkreten Sportereignissen und Wettkämpfen beschäftigte sich die Zeitschrift mit der „Poetisierung des Sports“, die mit literarischen Prosastücken zum Ausdruck gebracht wurde. Mit zahlreichen Illustrationen des Sportlerkörpers - insbesondere des Körpers des Boxers - unterstrich Der Querschnitt die Ästhetisierung des Sportes.15 Der Sportlerkörper ähnelte mit seiner Präzision, Konzentration und Kraft dem „Maschinenkörper“. Anne Fleig bezieht sich hier auf die Technikbegeisterung der neusachlichen Ästhetik: „Dahinter verbirgt sich das Ideal des Maschinenkörpers, der nicht nur an die Anforderungen der neuen Zeit angepasst ist, sondern den Kampf auch mit ihr aufzunehmen vermag.“16

Der trainierte Körper bildete für Künstler das Männlichkeitsideal, das als Symbol von Stärke und Härte verstanden wurde. Von daher waren physische Kraft und Leistungsbereitschaft die wichtigsten Elemente, die das Männlichkeitsbild der kulturellen Moderne bestimmten.17 Dieser Aspekt des Männlichkeitsideals ist - wie noch genauer zu zeigen sein wird - auch Teil der Männlichkeitskonstruktion des Sportlers von Fleißers Protagonist Gustl, der nur dem Körper nach den modernen Mann verkörpert.

Im Anschluss an den Querschnitt - Sportartikel18 zeigte sich Bertolt Brecht begeistert von dem modernen Trend der Zeit und besonders von dem Boxsport. Der Boxsport verkörperte wie keine andere Sportart das neue Lebensgefühl, das Boxen war der „paradigmatische Sport jener Zeit“.19 In seinem Essay „Mehr guten Sport“20 betrachtete Brecht den Sport als Massenspektakel, der auf die Zuschauer eine große Anziehungskraft ausübte. Von daher entwickelte er ein neues Theaterkonzept, in dem er Sporteigenschaften auf das Theater zu übertragen versuchte. Ihn faszinierten die Technik und Taktik, aber vor allem das Grundprinzip des Sportes, nämlich der Wettkampf.21 Sein Interesse am Sport galt nicht nur Sieg oder Niederlage des jeweiligen Wettkampfes, sondern auch dem begeisterten Sportpublikum, das an Sportereignissen immer voller Leidenschaft teilnahm. Brecht war sich bewusst, dass das Publikum eine kritische Masse bilden konnte, die starke Urteilskraft besaß. Solche Zuschauer wünschte er sich auch für das Theater, Zuschauer, „die über die Siegertruppe mitentscheiden können.“22

Er gab traurig zu, dass das alte Theater kein Publikum hatte, und „Ein Theater ohne Kontakt mit dem Publikum ist ein Nonsens. Unser Theater ist also ein Nonsens.“23 Deshalb forderte er, durch den Sport das Theater zu verändern und es in eine Sportarena zu verwandeln: „Man muss ins Theater gehen wie zu einem Sportfest.“24 Nicht ohne Neid blickte Brecht auf die „gefüllten Zementtöpfe mit 15.000 Menschen aller Klassen“.25 Der Sport konnte Menschen aller gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen begeistern, dem herkömmlichen Theater war das nie gelungen. Umso weniger, als es nun in Konkurrenz zu großen Sportveranstaltungen um die Gunst der Zuschauer getreten war.

Für eine Erneuerung des Theaters ließ er sogar einen Boxkampf auf der Bühne aufführen. Er versuchte damit, die Aktualität des Sports und das Herkömmliche des Theaterbetriebes miteinander zu verbinden, das Theater zu modernisieren und attraktiver zu machen.

In gewisser Weise schuf er damit einen Vorläufer des heute vor allem in den USA populären Wrestlings, eine Art Sporttheater oder Theatersport, ein nach einer genau festgelegten Choreografie vorgetragener Schaukampf.26 Theatersport gab es allerdings schon vor Brecht, z.B. im englischen Volkstheater des 19. Jahrhunderts oder frühere Formen des improvisierten Theaters in Italien. Dort gab es keine festen Inszenierungen, sondern verschiedene Darbietungen, um das Publikum zu unterhalten.27

Es ist bezeichnend, dass in der Weimarer Republik der Sport nicht nur mit dem Theater, sondern auch mit der Literatur im Konkurrenzverhältnis stand. Die Fähigkeit des Sportes - miterleben, mitmachen zu können - ließ die Literatur in den Hintergrund rücken. Durch seine Einfachheit und Gemeinschaftsgefühl avancierte Sport zu der „Weltreligion des 20. Jahrhunderts“28, die die breite Masse erreichte.

3. Der Sportsmann als „moderner Menschentyp“

In Anlehnung an die neusachlichen Intellektuellen der Zwanziger Jahre äußert sich Fleißer in ihrem Aufsatz „Sportgeist und Zeitkunst. Essay über den modernen Menschentyp“29, geschrieben unter dem Einfluss des Brechtschen Sportenthusiasmus.

In dem Essay teilt Fleißer die Sportbegeisterung der Zeitgenossen und führt den „Sportsmann“ als „Repräsentanten des modernen Zeitgefühls“ (317)30 an. Fleißer erhofft, dass sich der Sport nicht „einseitig in der Richtung auf den Körper“ entwickelt. Der Sportler soll einen „Sportgeist“, also „eine bestimmte Kampfeinstellung des Lebensgefühls“ besitzen. Das seien die Eigenschaften, die früher die Kunst besaß. Heute scheint „den gestalteten Ausdruck des allgemeinen Lebenswillens“ (317) der Künstler verloren zu haben. Sie gesteht dabei, dass das Interesse an der Kunst durch sportliche Ereignisse verlorengegangen sei. Hier wird die Konkurrenzsituation zwischen Sport und Kunst deutlich. „Das jüngere Publikum wendet sich eher den Sportwettkämpfen zu, bei denen es seinen natürlichen Fanatismus besser ausleben kann“.31 Durch das verstärkte Interesse an Sport wurden aber Kunst und Literatur vernachlässigt. Kessmeier bezieht sich hier auf die reale Situation der Sportseuphorie: „Jedenfalls geht aus der Erhebung hervor, dass die jüngere Generation leichter das Geld für Sport erübrigt als für Theater und Bücher.“32 Ein Trend, der bis heute ungebrochen ist.

In dem Essay macht Fleißer den gefährlichen sportlichen Fanatismus der Sportbegeisterung deutlich. Außerdem scheint die „körperliche Leistung“ (317) und entsprechend sportliche Ereignisse für die Masse leicht wahrzunehmen zu sein. Die Prinzipien des Sportes sind repräsentativ für die moderne Gesellschaft geworden, in der Kunst und Literatur nur noch Randerscheinungen sind. Während Brecht das Theater in eine Sportarena zu verwandeln versucht, möchte Fleißer die Kunst und Literatur mit sportlichen Eigenschaften rüsten.

Echter Sportgeist besiegt immer wieder durch seinen Willen die „feindlichen Trägheitsgesetze des Körpers.“ (318) Der Körper wird hier als eine Maschine, Motor dargestellt, der durch den Willen entzündet wird.33 Aber allein die Willensanstrengung modernen Menschentyp“ in „Germania“, 9.8.1930. Vgl. Sabine Göttel: „Natürlich sind es Bruchstücke“. Zum Verhältnis von Biographie und literarischer Produktion bei Marieluise Fleißer. St. Ingbert: Röhrig Verlag, 1997, S.120. Die Analyse bezieht sich im Folgenden auf die in den GW erhaltene Fassung.

reicht nicht für die poetische Zündung. Ein Blitz, der durch „eine vorübergehende chemische Verbindung mit anderem Wesen anderer Dimension“ (317) entsteht, macht sowohl den Sportler als auch den Künstler zu „tollen Fähigkeiten“ bereit.34 Wenn Fleißer dem Sport huldigt, meint sie nicht nur die körperliche Leistung des Sportsmannes, also „die aggressive Einstellung zu seinem eigenen Körper“ (317), sondern auch den „Kampfgeist“. Der echte Sportler soll „Kampfgeist“ besitzen, um immer neue Herausforderungen zu meistern und um immer etwas Neues zu erreichen. „Die einmal erzielte Sportleistung ist keine bleibende, sondern eine, die immer neu aus den feindlichen Trägheitsgesetzen des Körpers, aus seiner Neigung zum Nachlassen vorgetrieben werden muss. [...] Kontrolle, Tempo, Durchhalten, Steigerung“ (318) sind die sportlichen Eigenschaften, die sich Fleißer statt nur für den Körper auch auf den Geist angewandt sehen möchte: „Werden wir auch am Geist sportlich hart mit uns selber [...]. Härte gegen uns selbst tut not. Die Kräfte, die in Weltschmerz ersticken, müssen für eine entschlossene Leistung freigemacht werden.“ (319) Allein körperliche Leistung bringt nicht viel. Der Geist muss auch trainiert werden.

4. Sport im Roman

Im Roman ist der „bekannte Krauler“ und das „Schwimmphänomen“ Gustl Gillich der Stellvertreter der bürgerlichen Sportbewegung. Seine sportliche Tätigkeit macht ihn zum Star der kleinbürgerlichen Gesellschaft und sichert gleichzeitig seine soziale Existenz und seinen Status ab. „Sein Verein“ schickt ihn in „entfernte Städte. Neulich war wieder was in der Zeitung.“ (24).35 Man kennt ihn in der Stadt als „Schwimmgustl“. Außerdem ist er nicht nur Schwimmer, sondern auch als Rettungsschwimmer ausgebildet. „Der Mann hat bereits sechzehn Personen vom Ertrinken gerettet. Er ist ein Retter und Schwimmer.“ (23) Das verstärkt seine weitere Popularität und bringt ihm den Respekt der Stadtbewohner ein.

[...]


1 Moray McGowan: Marieluise Fleißer - Beck’sche Reihe - Autorenbücher . München: Verlag C.H. Beck, 1987, S. 12

2 Sabina Becker: Neue Sachlichkeit im Roman. In: Sabina Becker/Christoph Weiss (Hg): Neue Sachlichkeit im Roman - Neue Interpretationen zum Roman der Weimarer Republik. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler, 1995, S. 7 - 27, hier S. 10

3 Vgl. Christiane Eisenberg: Massensport in der Weimarer Republik. Ein statistischer Überblick. In: Archiv für Sozialgeschichte 33, Düsseldorf: Verlag J.H.W. Dietz Nachf. 1993, S. 137-177, hier S. 137

4 Gesa Kessmeier: Sportlich, sachlich, männlich. Das Bild der Neuen Frau in den Zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929 Dortmund: Edition Ebersbach, 2000, S. 66

5 Der Roman „Mehlreisende Frieda Geier. Roman von Rauchen, , Sporteln, Lieben und Verkaufen“ erschien zuerst 1931, unter dem zeitlichen Druck des Kiepenhauer Verlags. 1973 überarbeitete Fleißer die erste Fassung des Romans und benannte ihn „Eine Zierde für den Verein um“. Der Roman erlebt durch diese Überarbeitung in den Einzelheiten der Geschichte gewisse Veränderungen. Er bleibt aber in der Gestaltung der Charaktere größtenteils identisch. In der Umbenennung des Romans verschiebt sich der Akzent von der weiblichen Protagonistin Frieda auf den männlichen Protagonist Gustl und dessen Sportverein. Vgl. Michael Tötenberg: Spiegelung einer Bohemien-Existenz und Sportroman. Zeitliterarische Bezüge zum Prosawerk Marieluise Fleißers. In: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur, Heft 64, München 1979, S. 54-61, hier S. 55

Der vorliegenden Arbeit liegt die überarbeitete Fassung aus dem Gesammelten Werken 1973 zugrunde.

6 Vgl. Anne Fleig: Körperkultur und Moderne. Robert Musils Ästhetik des Sportes. Berlin, New York: Walter de Gruyter, 2008, S. 11

7 Ebd. S. 13

8 Vgl. Eisenberg, Massensport in der Weimarer Republik, S.140

9 Ebd. S. 125-133

10 Anna Fleig bezieht sich hier auf Disziplin und Leistungsbereitschaft des Sportes, die auch für die industriellen Forschritte wichtige Komponente sind. Vgl. Fleig: Körperkultur und Moderne . S. 28

11 Vgl. Fleig, S. 29

12 Vgl. Ebd S. 17

13 Vgl. Anne Fleig: Leibfromm: Der Sportkörper als Erlöser in Marieluise Fleißers „Eine Zierde für den Verein". In: Erika Fischer-Lichte/ Wilfried Barner (Hg.): Theatralität und die Krisen der Repräsentation. Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler, 2001, S. 447-462, hier S. 448

14 Die Idee vom Neuen Menschen ist christlichen Ursprungs. In der Bibel heißt es: „Legt den alten Menschen ab... und zieht den Neune Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“. Damit ist die Bekehrung „in Christus“ gemeint. Der Neue Mensch ist mit dem Umdenken und der geistigen Erneuerung des Neuen Menschen und dadurch mit dem neun Leben eng verbunden. Er ist aber bloß ein Entwurf, erfüllt mit verschiedenen Wunschträumen über einen perfekten Menschen, der in allen kulturellen Bereichen vorhanden ist. In der Moderne findet der Neue Mensch genau so wie alle andere Innovationen einen großen Widerhall. Nach den Vorstellungen der Moderne sollte der Neue Mensch den Weg in eine bessere Zukunft ermöglichen. Vgl. Richard Schröder: Zum Geleit. In: Nicola Lepp/ Martin Roth/ Klaus Vogel (Hg.): Obsession des 20. Jahrhunderts, Katalog zur Ausstellung im deutschen Hygienemuseum Dresden vom 22. April bis 8. August 1999, Ostfildern - Ruit: Cantz Verlag, 1999, S.11-16, hier S.13

15 Die avantgardistischen Zeitschrift Querschnitt, das seit 1921 unter dem Herausgeber Flechtheim existierte , umfasste alle zeitmäßige Themen aus kulturellem Bereich wie Film, Theater, Jazzmusik usw. Zu den bevorzugten Themen gehörte der Sport, insbesondere der Box-Sport. Vgl. Kai-Marcel Sicks: "Der Querschnitt" oder: Die Kunst des Sporttreibens. In: Michael Cowan/ Kai Marcel Sicks (Hg.): Leibhaftige Moderne. Körper in Kunst und Massenmedien 1918-1933, Bielefeld: trankript Verlag, 2005, S.33-48, hier S.33-34

16 Fleig, S.115

17 Ebd. S. 116

18 Es handelt sich dabei um die Diskussion über die Krise des Theaters, dass das Theater im Gegensatz zum Sport seine Spannung und demzufolge die Zuschauer verloren hat. Vgl. Fleig: Sport und Körperkultur, S. 123-125

19 Norbert Bolz: Der Sport als Paradies des Wesentlichen. In: Sebastian Kleinschmidt/ Therese Hörnigk (Hg.): Brecht und der Sport. Brecht Dialog 2005, Berlin 2006, S. 10-20, hier S. 10

20 Bertolt Brecht: Mehr guten Sport. In: Bertolt Brecht Schriften I. Bertolt Brecht Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller, Bd. 21, Berlin, Frankfurt am Main 1992, S. 119-122

21 Vgl. Sebastian Kleinschmidt: Vorwort. In: Sebastian Kleinschmidt/ Therese Hörnigk (Hg.): Brecht und der Sport. Brecht Dialog 2005, Berlin 2006. S. 6-8, hier S. 6

22 Marianne Streisand: Brecht und der Theatersport. In: Sebastian Kleinschmidt/ Therese Hörnigk (Hg.): Brecht und der Sport. Brecht Dialog 2005, Berlin 2006, S.91-102, hier S. 91

23 Brecht, Mehr guten Sport, S. 120

24 Bertolt Brecht: Das Theater als Sport. In: Bertolt Brecht Schriften I. Bertolt Brecht Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller, Bd. 21, Berlin, Frankfurt am Main 1992, S. 56-58, hier S. 57

25 Brecht, Mehr guten Sport, S.119

26 Vgl. Streisand, Brecht und der Theatersport. S. 93

27 Vgl. Ebd. S. 94

28 Michael Gamper: Im Kampf um die Gunst der Masse. Über das Verhältnis von Sport und Literatur in der Weimarer Republik, In: Hans-Georg von Arburg/ Michael Gamper/ Dominik Müller (Hg.): Popularität. Zum Problem von Esoterik und Exoterik in Literatur und Philosophie. Ulrich Stadler zum

60. Geburtstag, Würzburg: Könighausen & Neumann, 1999, S.135-163, hier S.137

29 Zuerst erschien der Essay unter dem Titel „Bruder des Blitzes. Der moderne Menschentyp“ in „Berliner Börsen Courier“, 25.3.1928; später unter dem Titel „Sportgeist und Zeitkunst. Essay über den

30 Marieluise Fleißer: Sportgeist und Zeitkunst - Essay über den modernen Menschentyp. In: Marieluise Fleißer - Gesammelte Werke. Hg. von Günther Rühle, Bd. 2, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1972, S. 317-320. Zitatnachweise im Folgenden direkt im Text in einfachen Klammern.

31 Göttel, „Natürlich sind es Bruchstücke“, S. 120

32 Kessmeier, Sportlich, sachlich, männlich, S. 183

33 Vgl. Franz Becker: Der Sportler als „moderner Menschentyp“. Entwürfe für eine neue Körperlichkeit in der Weimarer Republik. In: Clemens Wischermann/ Stefan Haas (Hg.): Körper mit Geschichte. Der menschliche Körper als Ort der Selbst- und Weltdeutung. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2000, S.223- 245, hier S. 232

34 Vgl. Göttel, „Natürlich sind es Bruchstücke“, S.123

35 Marieluise Fleißer: „Eine Zierde für den Verein“. In: Marieluise Fleißer - Gesammelte Werke. Hg. von Günther Rühle. Bd. 2, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1983, S. 9 - 205. Im Folgenden wird nach dieser Fassung zitiert.

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Details

Titel
Sportsmann trifft 'Neue Frau'. Sport und Körper in Marieluise Fleißers Roman "Eine Zierde für den Verein"
Hochschule
Babes-Bolyai Universität Klausenburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
46
Katalognummer
V279946
ISBN (eBook)
9783656764274
ISBN (Buch)
9783656764335
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sportsmann, neue, frau, sport, körper, marieluise, fleißers, roman, eine, zierde, verein
Arbeit zitieren
Tamara Sikharulidze (Autor:in), 2011, Sportsmann trifft 'Neue Frau'. Sport und Körper in Marieluise Fleißers Roman "Eine Zierde für den Verein", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279946

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