„Schuldig!“ – oder? Die Positionen der Historiker Fritz Fischer und Egmont Zechlin zur Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkrieges


Hausarbeit, 2014

17 Seiten, Note: 1,3

Moritz Leopold (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Die Historiographie der Kriegsschuldfrage

3. Die Thesen Fritz Fischers
3.1. Fritz Fischers Ansichten zur Julikrise
3.2. Fischers Interpretation desSeptemberprogrammsdes Bethmann-Hollweg

4. Egmont Zechlins Reaktion auf die Thesen Fritz Fischers
4.1. Egmont Zechlins Ansichten zur Julikrise
4.2. Zechlins Interpretation desSeptemberprogrammsdes Bethmann-Hollweg

5. Fazit

A Quellenverzeichnis

B Sekundärliteratur

1. Einleitung

Der erste Weltkrieg –derEinschnitt in der Weltgeschichte überhaupt? Zumindest legen es verschiedene Ansichten der Historiker nahe, dass dieser Krieg offenbar doch anders war, als andere Kriege zuvor, dass er eine neue Dimension hatte, eine grausamere und menschenverachtendere. Krieg, ob nun unbeabsichtigt oder gezielt aus religiösen, politischen, geografischen, wirtschaftlichen, gar familiären oder anderen Gründen verursacht, war seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte ein allgemein anerkanntes Mittel zum Lösen von Konflikten.

Und mag man im ersten Moment noch glauben, dass eine starke militärische Streitmacht als Zeichen von internationaler bzw. überregionaler Stärke eine Sache der alten Kulturen und antiken Römer und Griechen sei, so kommt man doch nicht umhin zu erkennen, dass sich dies bis heute nicht geändert hat. Und so, wie man seit Beginn der Aufzeichnung von Geschichte keine Zeiten ohne Krieg erlebte, so scheint es angesichts der gegenwärtigen internationalen Verquickungen und Konflikte und dem Zuspitzen der Verfügbarkeit von Ressourcen in der Zukunft auch nicht vorstellbar, als würde sich dies jemals ändern. Krieg gehörte – aus wissenschaftlich nüchterner und nicht bewertender Sicht – stets zum Menschen. Es gab ihn seit jeher.

Und doch war etwas anders am Ersten Weltkrieg. Etwas, was es bisher nicht gab, etwas, dass die Welt offenbar nachhaltig verändert hat. Natürlich spielte die erst ab Ende des 19. Jahrhunderts einsetzende Globalisierung eine Rolle – noch nie zuvor war es möglich, Nachrichten so schnell zu übermitteln, Diplomatie mit allen Ländern der Welt zu führen und quasi jede Nation in einen Krieg zu verwickeln. War es einhundert Jahre zuvor noch undenkbar, dass ein Krieg in Asien oder Afrika die Politik Europas so sehr beeinflussen könnte oder umgekehrt, so kristallisierte sich doch nun ganz klar eine zunehmende Verstrickung von Nationen auf dem politischen Weltparkett heraus, die das bisher Bekannte weit überstieg und einen Krieg in diesem Ausmaß, wie es der erste Weltkrieg war, erst möglich machte.

Vor allem aber war es der technische Fortschritt, der den ersten Weltkrieg prägte und die mit ihm immer in Verbindung gebrachten Grausamkeiten der Gefechte, die eine neue Art der Kriegsführung einläute. Zum ersten Mal konnten mit Flugzeugen und Panzern im großen Stil technische Maschinen zur Vernichtung von Menschenleben eingesetzt werden. Die Zahl der Opfer, der Verbrauch an Munition, die Zerstörung von Stadt und Natur, der Einsatz von Giftgasen und anderen Stoffen als Massenvernichtungswaffen – all das übertrumpfte alles bisher gekannte. Sieht man den ersten Weltkrieg als Verantwortlichen für einen ersten Stopp im Aufstieg des Bürgertums und dem Bestreben nach Nationalstaatlichkeit, sowie dem Zusammenbruch bisheriger Bündnisse und den durch die Reparationskosten verursachten Krisen in der Weimarer Republik herbeigeführten zweiten Weltkrieg, dann ist hier deutlich der historische Einschnitt zu spüren.

So entwickelten sich zwei Modelle, die zunächst in der historischen Wissenschaft Verwendung fanden, inzwischen aber immer mehr auch in den populären Medien verwendet werden. Zunächst sei da das 1979 vom US amerikanischen Diplomaten und Historiker George Frost Kennan[1]als „thegreatest seminal catastrophe oft this century“[2]geprägte und im deutschen als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete Bild genannt. Dieses beschreibt den Zusammenbruch aller bisher gekannter Strukturen und Anbruch einer neuen Zeit, steht aber natürlich auch für den Fortlauf der Geschichte, die im zweiten Weltkrieg und daran anschließend in den Systemkriegen des Kalten Krieges mündet.

Das andere Konzept beschreibt das von Eric Hobsbawm[3]in seinem Lebenswerk beschriebene „Lange 19. Jahrhundert“[4], das die Zeit vom Ausbruch der Französischen Revolution über das Erwachen des Bürgertums und den nationalen Gedanken bis zum Ende dieser Bewegungen mit Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 beschreibt.

Die Geschichtswissenschaft befasst sich seit jeher mit der Forschung von Ursache und Wirkung von historischen Sachverhalten. Ein nicht selten unlösbares bzw. je nach politischer oder religiöser Sicht multilösbares Problem. Was den ersten Weltkrieg betrifft, so sind die Wirkung und Ursachen ausgiebig beleuchtet, wenngleich auch hier stets neue Sichtweisen zu erwarten sind. Ein jedoch bis heute ungeklärtes Problem betrifft die Kriegsschuldfrage. Zwar ist die Urheberschaft aus juristischer Sicht ganz eindeutig in Artikel 231 des Versailler Vertrages geregelt[5], jedoch wird hier nicht von „Schuld“ gesprochen und besteht aus moralischer, gesellschaftlicher und politischer Sicht ein erheblicher Zweifel an einer solch einfachen Sichtweise.

In der vorliegenden Arbeit soll die Diskussion zur Kriegsschuldfrage anhand der Positionen der Historiker Fritz Fischer und Egmont Zechlin untersucht werden. Wichtige Punkte der Arbeit werden dabei die die Analyse der Hauptthesen beider Historiker sein und eine vergleichende Betrachtung, inwiefern diese sich widersprechen oder gegebenenfalls bestätigen. Da hier keine eigene Untersuchung der Kriegsschuldfrage stattfinden soll, wird auf eine historische Darstellung des Verlaufs des ersten Weltkrieges sowie dessen Ursachen, Auslöser und Folgen verzichtet und dies als bekannt vorausgesetzt, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Die Untersuchungen konzentrieren sich damit auf die Aussagen der beiden Historiker.

In einem Fazit sollen die Thesen noch einmal abschließend betrachtet und verglichen werden.

2. Die Historiographie der Kriegsschuldfrage

Die Kriegsschuldfrage bot von Anfang an kontroverse Standpunkte. Aufgrund der allseits bekannten Umstände am Vorabend des Attentats von Sarajevo ist eine eindeutige Zuordnung von Schuld nur schwer möglich, wenngleich doch die alleinige Kriegsschuld im Versailler Vertrag zugesprochen wurde, was von vielen Deutschen abgelehnt und als „Kriegsschuldlüge“ bezeichnet wurde.[6]Auch stellt sich hier die Frage nach der Unterscheidung von Verantwortlichkeit und Schuld und der Spezifizierung von Mitschuld und Alleinschuld. Diese Fragen wurden natürlich nicht nur unter Historikern, sondern auch in der Gesellschaft diskutiert. In diesem Zuge scheinen die Ergebnisse der Debatten sehr stark vom Ergebnis des Krieges abzuhängen. Waren die Historiker der Siegermächte sich weitestgehend einig, dass die Alleinschuld für den Ausbruch des ersten Weltkrieges bei den Deutschen liege, so waren natürlich gerade diese der Ansicht, nicht alleinschuldig zu sein, sondern eher eine ebenso große Verantwortung zu tragen wie der Rest der beteiligten Kriegsmächte.[7]

Die Weimarer Republik beispielsweise richtete ein Kriegsschuldreferat ein, das sich mit der Frage der Kriegsschuld befassen und eben eine Nichtschuld feststellen solle.[8]Gerade nach dem auch zweiten verlorenen Weltkrieg schien es für die Deutschen wichtig zu sein, nicht gänzlich die Schuld zu tragen und so war es quasi ein ungeschriebenes Gesetz, eine solche Schuldlosigkeit unter deutschen Historikern zu formulieren. Dies geschah vor allem durch die Vorgeschichte des Krieges und die dominierenden politischen Ursachen, die diesen hervorgerufen hätten.[9]Vor allem betonte man dabei die Auffassung, das Deutsche Kaiserreich habe sich vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges verteidigen müssen, sowohl seine Interessen, als auch seine Existenz im Ganzen.[10]

Doch dies änderte sich, als Fritz Fischer 1961 sein Buch„Griff nach der Weltmacht“[11]veröffentlichte. Dieses Buch löste die sogenannte„Fischerkontoverse“aus, einen Historikerstreit, der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte und international Beachtung fand. Fritz Fischer nahm in diesem Werk eine vollkommen gegenteilige Position ein, indem er dem deutschen Kaiserreich nicht nur Schuld, sondern sogar geplante Absicht unterstellte und löste damit einen Tabubruch auf bundesdeutschem Gebiet aus. Vor allem hinsichtlich derJulikriseund derSeptemberdenkschriftdes Theobald von Bethmann-Hollweg, der von 1907 bis 1917 das Amt des Reichskanzlers innehatte, stellten die Thesen Fischers eine absolute Neuheit und Sensation dar.

Dies war der Ausgangspunkt für eine grundsätzliche Öffnung der Diskussion in Deutschland und Etablierung auch anderer Ansichten und Ansätze. Es zeigte sich nun, dass in den folgenden Jahrzehnten stets neue Aspekte der Geschichtsbetrachtung in den Mittelpunkt gerückt wurden. So kam man ab von der sturen Betrachtung der politischen Geflechte am Vorabend des Kriegsausbruchs, sondern betrachtete nun auch soziale und wirtschaftliche Fragen, später dann die Militärgeschichte und seit den 80er Jahren eine sich bis heute immer stärker auf alle Bereiche der Geschichtswissenschaft ausbreitende Methode der Alltagsgeschichte.[12]

3. Die Thesen Fritz Fischers

Was aber war denn nun das atemberaubend Neue, ja fast schon provozierende, das Fritz Fischer veröffentlichte und eine ganze Generation von Historikern den Atem anhalten ließ? Diese Frage soll im Folgenden geklärt werden. Dabei soll vor allem auf Fischers Interpretation der Julikrise eingegangen werden sowie auf seine Ansichten zum sogenannten„Septemberprogramm“. Darin zeigte Fischer auf, wie seiner Meinung nach bewusst und willentlich auf einen Krieg hingearbeitet wurde – und brach damit eine Welle der Entrüstung los.

[...]


[1]Geb. 1904 in den USA, gest. 2005 in den USA.

[2] Kennan, George F., The Decline of Bismarck's European Order. Franco-Russian Relations, 1875-1890,
Princeton 1979, S. 3.

[3]Geb. 1917 in Ägypten, gest. 2012 in England.

[4] In seiner Trilogie “The Age of Revolution. Europe 1789 – 1848”, The Age of Capitals. 1848 – 1875” und “The
Age of Empires”

[5][…] daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind,
die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff
Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.“
DGQD, BD. 9, S. 60

[6]Wolfgang Kruse: Der erste Weltkrieg, Darmstadt 2009, S. 11,.

[7] Vgl. hierzu auch Golo Manns Ausführungen in seinem Werk „Deutsche Geschichte des 19. und 20.
Jahrhunderts“.

[8] Gerhard Hirschfeld: Der Erste Weltkrieg in der deutschen und internationalen Geschichtsschreibung, in: Aus
Politik und Zeitgeschichte, B 29-30/2004, S. 4.

[9]Hirschfeld: Weltkrieg, S.4.

[10]Ebd.

[11] Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/1918,
Düsseldorf 1961.

[12]Hirschfeld: Weltkrieg, S.7f.

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Details

Titel
„Schuldig!“ – oder? Die Positionen der Historiker Fritz Fischer und Egmont Zechlin zur Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkrieges
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Nach Fischer: Der Erste Weltkrieg und die deutsche Gesellschaft seit den 1960er Jahren
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
17
Katalognummer
V280099
ISBN (eBook)
9783656740056
ISBN (Buch)
9783656740049
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
schuldig, positionen, historiker, fritz, fischer, egmont, zechlin, kriegsschuldfrage, ersten, weltkrieges
Arbeit zitieren
Moritz Leopold (Autor:in), 2014, „Schuldig!“ – oder? Die Positionen der Historiker Fritz Fischer und Egmont Zechlin zur Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkrieges, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280099

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