Die Karmeliten. Von Eremiten zu Mendikanten

Wie veränderten sich Lebensweise und Identität der Karmeliten im langen 13. Jahrhundert?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Karmeliten im langen Jahrhundert: Entstehungskontexte der Quellen
2.1 Die Einsiedler vom Berge Karmel
2.2 Die Anfänge in Europa
2.3 Der Weg zum Bettelorden

3. Der Lebenswandel der Karmeliten
3.1 Die Regel von Albert
3.2 Die Bulle des Papst Innozenz IV
3.3 Die Konstitution des Generalkapitels

4. Identität im Wandel?

5. Fazit und Ausblick

Anhang

Quellen- und Literaturverzeichnis

„Die Festung des Karmel ist nicht die mit Mauern umgebene Stadt, sondern die offene Wüste [1] .“

- Smet, Joachim

1. Einleitung

Das Zitat von Joachim Smet dient insofern als Einstieg in diese Arbeit, als dass es auf wichtige Aspekte in der Geschichte des Karmelitenordens hinweist: zum einen deuten die Begriffe offene Wüste und die von Mauern umgebene Stadt auf zwei von Grund auf unterschiedliche Lebensumfelder hin, in denen sich die Gemeinschaft im Laufe ihrer Geschichte aufhielt. Zum anderen enthält das Zitat offensichtlich eine Kritik an letzterem Umfeld, was im Folgenden ebenso von Bedeutung sein wird. Während der Forschung zum Orden der Karmeliten darauf aufmerksam geworden, führte mich genau diese Diskrepanz zu meinen beiden zusammenhängenden Leitfragen, welche im Verlauf der Arbeit beantwortet werden sollen. So werde ich zunächst erörtern, inwiefern sich ein Wandel der karmelitischen Lebensweise anhand dreier mittelalterlichen Quellen nachvollziehen lässt, um im Anschluss zu fragen, welche Auswirkungen diese Veränderungen bezüglich der Identität beziehungsweise des Selbstverständnisses der Karmeliten nach sich zogen. Wie bereits im Titel angedeutet, soll demnach der Wandel von den anfänglichen Eremiten am Berg Karmel bis hin zum anerkannten Mendikantenorden in Bezug auf Lebensform und Identität beleuchtet werden, weshalb ich folgende Quellen aus unterschiedlichen Entwicklungsphasen des Ordens herangezogen habe: die Regel von Albert, welche zwischen 1206 und 1214 entstand, die Bulle von Papst Innozenz IV. aus dem Jahr 1247 und die Konstitution des Generalkapitels, die 1324 verfasst wurde. Um diese Texte richtig einordnen und interpretieren zu können, werde ich im ersten Teil der Arbeit zunächst die jeweiligen Entstehungskontexte knapp zusammenfassen und anschließend zu einer inhaltlichen Untersuchung der Quellen im Hinblick auf den Lebenswandel übergehen. Im dritten Teil dieser Arbeit werde ich zwar erneut auf die Quellen verweisen, dennoch wird mein Blick auch über dieselben hinausgehen, um die Identitätsfrage entsprechend hervorheben und die Forschungsfragen letztlich beantworten zu können.

2. Die Karmeliten im langen Jahrhundert: Entstehungskontexte der Quellen

2.1 Die Einsiedler vom Berge Karmel

Die Anfänge der Karmeliten liegen im Verborgenen, zumindest in Bezug auf deren Gründungsdatum. Da sie ihn in ihrem Namen tragen, ist ihr Gründungsort weitaus präsziser zu bestimmen: Der Bergrücken Karmel, am südlichen Ende Haifas gelegen, war im ausgehenden 12. Jahrhundert eine von Kreuzzügen und Wallfahrten geprägte Region, in der sich zahlreiche Eremitengruppen formierten; eine von ihnen war die Gemeinschaft der Karmeliten[2]. Es ist aus heutiger Sicht nahezu unmöglich, das Motiv zu rekonstruieren, das für diese Männer ausschlaggebend war, um sich in jenem Gebiet niederzulassen. Es ist allerdings wahrscheinlich anzunehmen, dass sie ehemals als Pilger oder Kreuzfahren ins Heilige Land gekommen waren, um als Eremiten in Einsamkeit, Armut und Buße ohne jegliche Anbindung an einen Orden oder die Kirche zu leben. Diese Vermutung ist auf die allgemeine Ausbreitung der Lateinischen Kirche in Palästina nach dessen Eroberung zurückzuführen, was die Neugründungen einiger Kirchen und Klöster auch über die Stadtgrenzen Jerusalems hinaus nach sich zog. Die entschlossensten unter den Pilgern und Kreuzzüglern – um es mit Jacques de Vitrys Worten wiederzugeben - „entsagten der Welt und wählten entsprechend ihren verschiedenartigen Neigungen und Wünschen, sowie ihrem religiösen Eifer Orte zum Wohnen aus, die ihrer Absicht und Frömmigkeit zusagten[3] “. Er beschreibt weiterhin, dass sich die Einsiedler vom Karmel in der Nähe der Eliasquelle aufhielten, wo sie in einfachen Zellen getrennt voneinander lebten[4]. Das Tal, welches diese stets sprudelnde Quelle umgab, bot den ersten Karmeliten zudem eine fruchtbare Vegetation und aufgrund der Abgeschiedenheit und schweren Erreichbarkeit die nötige Ruhe, um ihrer Berufung nachgehen zu können[5]. In dieser

Umgebung entschloss sich die Gemeinschaft, die wohl von einer Person angeführt wurde, zu Beginn des 13. Jahrhunderts zu einer organisierten Lebensform, weshalb sie den eben genannten Führer zu Albert von Vercelli, dem Päpstlichen Legaten von Jerusalem, entsandten. Jener wurde darum gebeten, ihre bisherige Art zu leben in Form einer Regel schriftlich festzuhalten[6]. Welche konkrete Lebensweise in dieser „vitae formula“ beschrieben wurde, soll unter 3.1 näher untersucht werden.

2.2 Die Anfänge in Europa

Im dritten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts muss es wohl trotz des Waffenstillstands von 1299 zwischen Christen und Sarazenen solch heftige Unruhen in der Umgebung des Karmel gegeben haben, dass sich die meisten zu einer Flucht aus dem Heiligen Land getrieben fühlten. Innozenz IV. betitelte diese Turbulenzen später als „Einfälle der Heiden[7] “, worum es sich hierbei genau handelte, lässt sich aus der Literatur allerdings nicht ableiten. Ein anderer Blickwinkel auf die Gründe für die Umsiedlung der Karmeliten im 13. Jahrhundert bietet die Tatsache, dass sich aufgrund der Unruhen auch immer weniger Pilgerfahrer ins Heilige Land wagten. Da die Karmeliten aber von deren Almosen für ihr Überleben maßgeblich abhängig waren, könnte auch deren Ausbleiben ein Grund für die Auswanderung der eremitischen Gruppierung gewesen sein[8]. In der Literatur taucht immer wieder das Jahr 1238 als Zeitangabe für die Umsiedlung der Karmeliten in den Westen auf. Dieses Datum dient allerdings höchstens als ungefähre Angabe für den Beginn dieses Prozesses, wobei die erste nachweisbare Siedlung beispielsweise 1235 in Valenciennes gegründet wurde9. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten folgten unter anderem Eremitagen auf Zypern, Sizilien, England und in der Provence, wobei sich alle geradezu selbstverständlich in absoluter oder zumindest relativer Einsamkeit befanden. Doch diese Tatsache änderte sich rasch, als die Karmeliten feststellen mussten, dass die alte Lebensweise in der neuen Umgebung nicht ohne Weiteres fortgeführt werden konnte. Auch an dieser Stelle könnten die ausbleibenden Almosen ein wesentliches Motiv für die Notlage gewesen sein, in der sich die Eremiten aus dem Orient nun in Europa befanden. Als Reaktion darauf wandte sich der Prior in Abstimmung mit dem Generalkapitel an Papst Innozenz IV., der ihnen schon 1245 in Form von Briefen zur Hilfe eilte und bat diesen um eine den veränderten Lebensumständen angepasste Abmilderung der bestehenden Albertregel. Nach der Prüfung dieser Bitte durch zwei Dominikaner stimmte Innozenz dem modifizierten Regeltext zu[9] ; welche Rückschlüsse auf den Lebenswandel der neuerdings europäischen Karmeliten er zulässt, wird unter 3.2 noch zu klären sein.

2.3 Der Weg zum Bettelorden

Wie die Regel von Albert zuvor, so fand auch die „regula bullata[10] “ päpstliche Anerkennung und wurde beispielsweise 1256 und 1262 kirchlich approbiert, was der häufig debattierten Frage nach der Existenzberechtigung der Karmeliten den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Diese Approbationen bedeuteten allerdings noch lange nicht, dass die Karmeliten ebenso offiziell als Orden von der Kirche anerkannt wurden, denn der Weg dorthin sollte ein mühsamer und beschwerlicher werden[11]. Zunächst kann festgestellt werden, dass die Karmeliten mit ihren Siedlungen zunehmend die Nähe von Städten suchten, wo sie begannen, den Bedürfnissen der dortigen Bevölkerung durch die Ausübung apostolischer Aufgaben nachzukommen. Dies taten sie jedoch nicht ohne die zur Übernahem des Apostolats notwendigen kirchlichen Privilegien, welche ihnen im Verlauf der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundert zunehmend zuteilwurden. Als Exempel hierfür soll an dieser Stelle die Nennung des Jahres 1253 genügen, in dem Papst Innozenz IV. dem Generalprior der abendländischen Brüder das Recht zugestand, seine Untergebenen zur Predigt und zum Beichthören zu bevollmächtigen. Diese und weitere Privilegien hatten jedoch gemeinsam, dass es in allen Fällen der Erlaubnis des jeweiligen Bischof bedurfte, um sie letztlich ausüben zu dürfen13; dennoch lassen sie erkennen, dass die Gemeinschaft der Karmeliten begann, sich schrittweise in einen Bettelorden zu verwandeln. Dennoch war die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts auch eine kritische Phase in der Geschichte der Brüder, denn Mendikanten waren oft dem Argwohn der Pfarrer und Bischöfe ausgesetzt, von deren Zustimmung sie jedoch abhängig waren.

Ein einschneidendes Ereignis für das Schicksal der Karmeliten war die Entscheidung des zweiten Konzils von Lyon im Jahre 1274, die alle nach 1215 gegründeten Orden verbot. Dieser Regelung konnten die Karmeliten allerdings entgehen, da sie durch die Regelung von Albert ihre Existenz vor dem Stichdatum beweisen konnten[12], wodurch sie neben Augustinern, Franziskanern und Dominikanern von der Kirche offiziell geduldet wurden. Dieser Beschluss machte nun für die nächsten Jahre den Weg zu einer vollen Anerkennung als Bettelorden frei: so begann diese Phase mit der Erklärung der päpstlichen Protektion von 1286 und endete schließlich mit der 1326 auf die Karmeliten übertragenen Bulle „Super cathedram“, wodurch ihnen letztlich die vollen Privilegien und Exemtionen zuteilwurden; hiermit waren sie den Franziskanern und Dominikanern endgültig gleichgestellt15. Somit ist auch der Entwicklungskontext der dritten Quelle gegeben, welche die vom Generalkapitel im Jahre 1324 verfasste Konstitution darstellt.

Dass die Wandlung einer ursprünglich eremitischen Gemeinschaft bis hin zu einem kirchlich anerkannten Mendikantenorden an eine Veränderung der Lebensweise gekoppelt gewesen sein muss, ist offensichtlich. Wie sich diese Verwandlung nun konkret darstellte, soll im Folgenden anhand der Quellen nachvollzogen werden.

3. Der Lebenswandel der Karmeliten

3.1 Die Regel von Albert

Im Hinblick auf die Art und Weise der Gestaltung des karmelitischen Lebens sind folgende Aspekte für die vorliegende Arbeit von Bedeutung: gleich zu Beginn verweist der Autor Albert von Vercelli auf die Notwendigkeit eines Priors, der aus den eigenen Reihen gewählt werden soll und dem die restlichen Brüder Gehorsam zeugen sollen. Dieser soll seinen Untergebenen als Vorbild für ein Leben in Keuschheit und Besitzlosigkeit dienen, welchem die Brüder gleichsam folgen sollen. Zudem wird festgelegt, dass Siedlungen an einsamen Stellen gegründet werden dürfen, wann immer die Notwendigkeit dazu als gegeben angesehen wird. Innerhalb dieser Siedlungen ist es den Eremiten erlaubt, in strikt voneinander getrennten Zellen zu leben, welche zu keinem Zeitpunkt untereinander getauscht werden dürfen. Die Zelle des Priors soll sich in der Nähe des Eingangs der Eremitage befinden, sodass er allein für die mögliche Kommunikation nach außen zuständig ist, die Brüder hingegen von jeglichem Kontakt abgeschirmt bleiben. Mahlzeiten können im gemeinsamen Refektorium, vorzugsweise aber allein in der jeweiligen Zelle, zu sich genommen werden; währenddessen soll einer Lesung aus der Heiligen Schrift zugehört werden. Außerhalb dieser Essenszeiten verpflichten sich die Karmeliten dazu, sich dem ständigen Gebet in der Einsamkeit ihrer Zelle zu widmen. Diese Zeit des Betens wird lediglich durch die morgendliche Messe in der eigenen Kapelle und den gemeinsamen Diskussionen zur gegenseitigen Korrektur unterbrochen.

Außerhalb dieser Zeit soll geschwiegen werden, denn „in silentio et spe erit fortitudo vestra[13] “. Ein wichtiger Bestandteil karmelitischen Lebens stellt außerdem das tägliche Verrichten von Arbeit dar, wodurch die Brüder mögliche Angriffe auf ihre Seele durch den Teufel abwehren sollen. Individueller Besitz ist eindeutig verboten, gemeinsame Besitztümer hingegen sind zwar erlaubt, dürfen jedoch nur so umfangreich wie zum Überleben der Gemeinschaft nötig vorhanden sein. Dem Prior fällt die Aufgabe zu, die Güter zu verwalten und unter seinen Brüdern zu verteilen. Ausgenommen in Fällen von Krankheit oder Schwäche, sind die Brüder an allen Tagen außer sonntags dem Fasten verpflichtet, wobei der Verzehr von Fleisch generell verboten bleibt[14].

[...]


[1] Smet, Joachim / Dobhan, Ulrich: Die Karmeliten. Eine Geschichte der Brüder U.L. Frau vom Berge Karmel. Von den Anfängen (ca. 1200) bis zum Konzil von Trient. Freiburg im Breisgau, 1981. S. 40.

[2] Vgl.: Melville, Gert: Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen. München, 2012. S. 213-214.

[3] Smet / Dobhan: Karmeliten. S. 18.

[4] Vgl.: Ebd. S. 15-22.

[5] Vgl.: Smet, Joachim: The Carmelites. A History of the Brothers of our Lady of Mount Carmel. Volume I. Ca. 1200 until the Council of Trient. Illinois, 1988. S. 3-6.

[6] Vgl.: Melville: Welt. S. 214-215.

[7] Smet / Dobhan: Karmeliten. S. 28.

[8] Vgl. Deckert, Adalbert: Das Erbe der Jahrhunderte. Streifzüge durch die Geschichte des Karmel. Band I. Bamberg, Jahr unbekannt. S. 16-18. 9 Vgl.: Melville: Welt. S. 216.

[9] Vgl.: Smet: Carmelites. S. 10-12.

[10] Deckert: Erbe. Band I. S. 18.

[11] Vgl.: Smet / Dobhan: Karmeliten. S. 31-33. 13 Vgl.: Smet: Carmelites. S. 12-13.

[12] Vgl.: Redemptus, P.: Geschichte des Karmelitenordens. Linz an der Donau, 1914. S.10-13. 15 Vgl.: Smet: Carmelites. S. 14-15.

[13] Clarke, Hugh / Edwards, Bede (Hg.): The Rule of Saint Albert. Rom, 1973. S. 90.

[14] Vgl.: Ebd. S. 78-93.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Karmeliten. Von Eremiten zu Mendikanten
Untertitel
Wie veränderten sich Lebensweise und Identität der Karmeliten im langen 13. Jahrhundert?
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
15
Katalognummer
V280277
ISBN (eBook)
9783656735809
ISBN (Buch)
9783656735793
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
karmeliten, eremiten, mendikanten, lebensweise, identität, jahrhundert
Arbeit zitieren
Jara Marder (Autor:in), 2013, Die Karmeliten. Von Eremiten zu Mendikanten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280277

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