Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Allgemeine Bemerkungen zum Untersuchungsgegenstand postkoloniale Studien
3 Zwischen den Kulturen
3.1 Der grausame Schwarze
3.1.1 Der böse Neger: Congo Hoango
3.1.2 Die Mulattin: Babekan
3.1.3 Die Grenzgängerin: Toni Bertrand
3.2 Der gute Weiße
3.2.1 Misstrauen und Brutalität
3.2.2 Gewalt gegen schwarze Frauen
4 Poetologische Verfahren zur Darstellung der Ambiguität
5 Zusammenfassung und Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„Zu Port au Prince, auf dem französischen Anteil der Insel St. Domingo, lebte zu Anfange dieses Jahrhunderts, als die Schwarzen die Weißen ermordeten, auf der Pflanzung des Herrn Guillaume von Villeneuve, ein fürchterlicher alter Neger, namens Congo Hoango.“[1] Dieser vielzitierte Einleitungssatz von Heinrich von Kleists Novelle Die Verlobung in St. Domingo legt die Thematik der Erzählung sofort offen: eine französische Kolonie, gebeutelt vom Gegensatz zwischen Schwarzen und Weißen steht im Mittelpunkt. Gewaltakte, die im äußersten Fall bis zum Mord führen, innerhalb dieses Spannungsfeldes werden bereits angedeutet.
Das Wissen um die Existenz von etwas exotisch Anderem hat im europäischen Denken Phantasien von Machtergreifung und/oder Bedrohung hervorgerufen. Der Kolonialismus des 18.-20. Jahrhunderts wurde zu einem globalen Phänomen, welcher sich letztlich auch in der Literatur niederschlug. Die Theoretiker der postcolonial studies setzten sich ausführlicher mit den Zusammenhängen zwischen literarischen Werken und dem (post-)kolonialen Kontext auseinander. In diesen postkolonialen Diskurs möchte diese Hausarbeit Die Verlobung in St. Domingo einordnen.
Hierzu ist es notwendig vorerst einige Grundlagen zu den Postkolonialen Studien zu klären, allen voran deren wichtigste Vertreter zu nennen und dessen Perspektive auf den Forschungsgegenstand mit Bezugnahme auf einige Fachbegriffe zu erläutern.
Daraufhin werde ich untersuchen wie Kleist die unterschiedlichen Kulturen, aufgeteilt in die schwarze und weiße Rasse, darstellt. Ein zentraler Punkt bei dieser Erörterung wird hierbei den Darstellungen des stereotypen Schwarzen, in der Geschichte verkörpert durch Congo Hoango, und der hybriden Mischhäutigen, Babekan und ihrer Tochter Toni Bertrand, welche sich noch im Aushandlungsprozess zwischen den Kulturen befinden, zukommen, um so aufzuzeigen welch ein ambivalenter und dynamischer Vorgang hinter der Definition von Schwarz und Weiß liegt.
Wie bereits angedeutet steckt in diesem Verhältnis der Kolonialmacht zu den Kolonialisierten auch ein erhebliches Machtpotential, welches mit Gewalt verbunden ist. Hier tritt der Gegensatz Gut und Böse zu Tage und die Frage nach der Legitimität sowie Ursachen von Gewalt. Dieses soll in einem zweiten Hauptaspekt, der v.a. auf die von Weißen ausgeführte Gewalt eingeht, näher betrachtet werden und sowohl in diesem, als auch im erst genannten Gesichtspunkt wird die Gender-Frage –und damit der Zusammenhang von biologischem und sozialem Geschlecht– Einfluss auf die Betrachtungsweise nehmen.
Abschließend lohnt es sich noch einen Blick darauf zu werfen wie Heinrich von Kleist anhand von poetologischen Verfahren den postkolonialen Diskurs widerspiegelt. Syntax, Lichtmetaphorik sowie weitere narrative Konzeptionen sollen daher in dieser Arbeit Betrachtung finden.
Letztlich ist das Ziel aufzuzeigen, dass der zeitgenössische Rassendiskurs um 1800[2] sich in Kleists literarischem Werk wiederfindet, dort das Verwischen und die Subversion von Grenzen zwischen Kulturen offenlegt und dies ganz im Sinne der von Kulturtheoretikern erarbeiteten Aspekten und Strategien geschieht, wodurch Kleists Erzählung beispiellos –und daher auch nicht grundlos so häufig in diesem Zusammenhang diskutiert– in die Literaturgeschichte einging.
2 Allgemeine Bemerkungen zum Untersuchungsgegenstand postkolonialer Studien
Postkoloniale Kulturwissenschaftler setzen ihr Hauptaugenmerk auf die vom englischen und französischen Imperialismus geprägten Kulturen des 18.-20. Jahrhunderts. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht sind dabei sowohl auf Tatsachen beruhende Berichte von Entdeckungsfahrten relevant wie auch literarische Werke. Zwei Wissenschaftler haben durch ihre Grundsteinlegung auf diesem Gebiet eine besondere Bedeutung erlangt: Edward Said mit seinem 1978 veröffentlichtem Werk Orientalism und Homi K. Bhabha, dessen Arbeit mit dem Titel Die Verortung der Kulturen 1994 seinen Beitrag zur Forschung leistete.
Schnell zeigt sich, dass in diesen Studien die Darstellung des Fremden, Exotischen, Anderen großen Raum einnimmt. Said entlarvte hierfür verschiedene Techniken: Er spricht von Panopsis, einem erhöhten Standpunkt des Reisenden, oder auch von Komparatismus, Wertungen, die durch den Vergleich mit europäischen Kulturen entstehen, und vielen weiteren Methoden zur Illustration des Orientalischen. Für diese Hausarbeit relevant wird dabei die Strategie der Feminisierung sein d.h. die Darstellung des Fremden als weiblich und die damit einhergehende Erotisierung.[3]
In diesem Punkt offenbart sich auch gleich, dass Postkoloniale Studien nicht von der Gender-Fragen gelöst betrachtet werden können, denn biologisches und soziales Geschlecht sind im kolonialen Diskus untrennbar mit einander verbunden wie sich auch in meinen folgenden Ausführungen noch herausstellen wird.
Neben dem älteren, diskursanalytischen Ansatz von Said, findet der neuere, poststrukturalistische Ansatz Bhabhas immer mehr Aufmerksamkeit. Bhabha, der dekonstruktivistische Vorstellungen übernimmt, setzt in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen die Idee von Hybridität. Denn wo es keinen festen Kern von Sprache, Kultur, Disziplinen und Völkern gibt, dort existieren auch keine klaren Grenzen zwischen ihnen. Kultur –und damit Identität– verschiebt sich immer wieder und muss sich in einem Aushandlungsprozess im sogenannten Dritten Raum stets neu definieren. Dieser dynamische Prozess mit wechselseitigen Einflüssen wird ein weiterer wesentlicher Aspekt dieser Arbeit werden genauso wie die damit einhergehenden Machtstrukturen, welche durch Mimikry ins Wanken geraten, sowie damit im Zusammenhang stehende Gewalt näher untersuchen.[4]
Bedenkt man die doch recht kurze, deutsche Kolonialgeschichte, so ist es vielleicht wenig verwunderlich, dass das Interesse an Postkolonialen Studien erst in den 90er Jahren in den deutschsprachigen Raum vordrang. Auf der anderen Seite zeigt sich jedoch, dass besonders die Literatur des 19. Jahrhunderts davon geprägt worden ist. Eines der in diesem Zusammenhang meist betrachteten Werke ist Heinrich Kleists Verlobung in St. Domingo, welche ich nun im Folgenden in postkoloniale Denkweisen einordnen möchte.
3 Zwischen den Kulturen
Eingeführt werden die schwarzen Protagonisten der Novelle mit Adjektiven wie „fürchterlich“[5] und „gräßlich“[6], von „unmenschlichen Rachsucht“[7] Getriebene, die im Gegensatz stehen zu den Weißen, welche „Dankbarkeit“[8] ausstrahlen, „Wohltaten“[9] vollbringen und damit in der Wertung des weißen Erzählers aufsteigen, der allem Anschein nach auf Seiten der Kolonialmacht –und damit auf Seiten der Unterdrücker– steht. Freilich löste dies eine Debatte um Kleist als rassistischen Autor aus. Dass sich diese Behauptung nicht lange halten ließ, ist für die moderne Auffassung, Autor ist eben nicht gleich Erzähler, nur logisch. Aber auch wenn der Leser den Text aufmerksam liest, wird ihm bald bewusst werden, dass der Erzähler nicht ganz unkritisch hinzunehmen ist. Ganz im Gegenteil lädt Kleist nämlich sehr geschickt dazu ein die Erzählfigur zu hinterfragen, denn diese neigt dazu die Charakterisierung ihrer Figuren selbst zu widerlegen. Beispielhaft stellt sich dies an Herrn Guillaume von Villeneuve dar, dessen Gutherzigkeit zu anfangs so edel hervorgehoben wird. Wie aber erklärt sich daraus dessen grausame Strafe, welche selbst damals unter Berücksichtigung des vorherrschenden Code noir als überaus übertrieben angesehen wurde, an Babekan?[10]
So lassen sich viele weitere Brüche in der Erzählung finden, die ein Urteil über den Erzähler, der den Eindruck von Unparteilichkeit vermitteln möchte, aber ganz im Gegensatz fast unmerklich und selbstverständlich sich auf die Seite der Kolonialherren stellt, geradezu herauf provozieren. Gerhard Oberlin bezeichnet diesen Clou des Autors als eine „trojanische List“[11] um den Leser mit seiner eigenen Einstellung und seiner Beziehung zu seinem Souverän, der Kolonialmacht, zu konfrontieren. Der Rezipient wird damit den Wertehorizont in der Erzählung finden, den er auch sucht solange dieser mit dem des Erzählers identisch ist, dabei bleibt der ideologiekritische Subtext jedoch unbemerkt. Bewusst scheint Kleist dabei die Frage der Schuld nicht beantworten zu wollen.[12]
3.1 Der grausame Schwarze
Die Protagonisten der Verlobung in St. Domingo lassen sich in Bezug auf ihre Hautfarbe in einer Skala einordnen, auf welcher schwarz und weiß die beiden Extreme bilden. Dazwischen finden sich noch die Abstufungen braun und gelb, welche ich in meinen Ausführungen zu der Kategorie Schwarz zählen möchte, definiert als Nicht-Weiß, da dies auch den Gegensatz Kolonialmacht und Kolonialisierte aufrecht erhält.
[...]
[1] Von Kleist, Heinrich: Die Verlobung in St. Domingo. Das Bettelweib von Locarno. Der Findling. Erzählungen, Stuttgart, 2008, S.3.
[2] Beispielhaft hervorgehoben sei Kants Abhandlung „Von den verschiedenen Rassen der Menschen“
[3] Lubrich, Oliver: Postcolonial Studies, in: Schmid, Ulrich (Hg.): Literaturtheorien des 20. Jahrhunderts, Stuttgart, 2010, S.365f.
[4] Ebd., S.367ff.
[5] Von Kleist 2008, S.3.
[6] Ebd., S.4.
[7] Ebd., S.4.
[8] Ebd., S.3.
[9] Ebd., S.3.
[10] Fricke, Eva: Heinrich von Kleist und die Auflösung der Ordnung. Poetologische Strategien im erzählerischen Werk, Marburg, 2011, S.32ff.
[11] Oberlin, Gerhard: Modernität und Bewusstsein, Bremen, 2007, S.115.
[12] Ebd., S.114-117.