Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2.1. Die Charakteristika eines Taugenichts
2.2. Der Aufbruch – Der ständige Drang zum Reisen
2.3. Das Philistertum
2.4. Der Portier – Die Inkarnation des Spießbürgertums
3. Schluss
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Roman Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff erschien erstmals 1826 als vollständiger Buchdruck gemeinsam mit der Novelle „Marmorbild“ sowie einer Gedichtauswahl.[1] Er beschreibt die „abenteuerliche Lebensreise“[2] eines als „Taugenichts“[3] titulierten Müllerjungen. Von seinem Vater zu Beginn von der heimischen Mühle verstoßen, vagabundiert der romantische Held über mehrere Stationen und Episoden, wobei er immer wieder in Kontakt mit dem philiströsen Bürgertum und deren Credos, Konventionen und Normen gerät. Genau jene beiden kontrastierenden, gesellschaftlichen Formen und Positionen werden in dieser Arbeit in den Fokus gerückt und thematisiert: „Hat Eichendorff […] beabsichtigt, […] im Taugenichts eine humorvolle und romantisch anziehende Kontrastfigur zu den ´seßhaften und fetten` Philistern zu schaffen?“[4]
Im folgenden Verlauf wird dies näher durchleuchtet, um schließlich die Frage zu klären, ob die Romantik und das Philistertum einen unvereinbaren Widerspruch darstellen. Hierbei wird zuerst auf die Romantik anhand einer groben Charakteristik der Taugenichtsfigur sowie des Motivs des Reisens eingegangen und anschließend das Spießbürgertum mit Hilfe einer textimmanenten Darstellung des Portiers beschrieben. Abschließend mündet dies in eine direkte Gegenüberstellung der beiden Untersuchungsobjekte, wobei hermeneutisch operiert wird.
Nicht zuletzt die „immerwährende Aktualität der Taugenichtsthematik“[5], das generelle Zusammenwirken von Individuum und Gemeinwesen[6] sowie die daraus resultierenden Kontroversen messen diesem Thema einen besonderen Stellenwert und eine gewisse Relevanz bei.
2.1 Die Charakteristika eines Taugenichts
[…], so wurde jeder als Taugenichts verbannt, der umherschwärmte in unbestimmtem Geschäfte, als wenn dem Staate und der Welt nicht gerade diese schwärmenden Landsknechte und irrenden Ritter, diese ewige Völkerwanderung ohne Grenzverrückung, diese wandernde Universität und Kunstverbrüderung zu seinen besten schwierigsten Unternehmungen allein taugten. Es ist genug träger Zug im Menschen gegen einen Punkt, aber selten ist die Thätigkeit, welche durch Einöden zieht und Samen wunderbarer Blumen ausstreut, zu beyden Seiten des Weges, wo er hintrifft, allen gegeben, wie der Thau, wie der Regenbogen: doch wo er, vom Winde getragen, hinreicht, da endet die unmenschliche Einöde, es kommen gewiß, die sich unter den Blumen ansiedeln, um aus ihnen Lust und Leben zu saugen.[7]
Diese Definition des Taugenichtsbegriffs geht aus Achim von Arnims Aufsatz „Von Volksliedern“ aus dem Jahre 1805 hervor und skizziert einen solchen Typus Mensch im Gegensatz zu den Bedeutungsvarianten des Grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart oder des Grimmschen Deutschen Wörterbuchs als jemanden, der sich den gesellschaftlichen Mustern nicht unterwirft und anpasst.[8]
Äußerst signifikant am Protagonisten dieser Novelle ist seine Unbestimmtheit.[9] Von seinem philiströsen Vater als Taugenichts stigmatisiert, bleibt er bis zum Schluss inkognito, woraus abzuleiten ist, dass es sich hierbei um einen Typus[10] und keine bestimmte Person handelt. „´Nun`, sagte ich, ´wenn ich ein Taugenichts bin, so ist’s gut, so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen.`“[11] Mit nichts weiter als seiner Geige, „d[em] Symbol seiner Kunst“[12], und einigen Groschen Geld beginnt der Müßiggänger[13] zu vagabundieren, was zum einen seine infantile[14] Naivität sowie seine „unschuldige und doch so standhafte Art, dem Leben zu begegnen“[15] unterstreicht und zum anderen seine musisch-poetische Fasson[16] manifestiert.
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, / Den schickt er in die weite Welt, […]“[17] sowie „Den lieben Gott lass ich nun walten; […]“[18] zeugen von der Religiosität und starker Gottesverbundenheit „de[s] neue[n] Troubadour[s]“[19], welche sich immer wieder als leitendes Motiv u.a. auch in vielen Vergleichen und Metaphern finden lässt. So wird zum Beispiel die geliebte schöne Frau Aurelie divinisiert und „wie ein Engel“[20] dargestellt. Des Weiteren wird der Vagabund durch seine Hypersensibilität und stark ausgeprägten Subjektivismus charakterisiert, welche gepaart mit seiner „Unschuld und Einfachheit“[21] einen „Garant[en] einer anderen Lebensweise“[22] aus ihm machen. Eine Lebensweise, welche den Taugenichts nur in einer singulären Position[23] auftreten lässt, nämlich „als Künstlerexistenz“.[24] Dies wird unter anderem deutlich, als er erneut aus einem gewohntem Milieu mit der Exklamation: „[…], komm nur her du getreues Instrument! Unser Reich ist nicht von dieser Welt.“[25] aus- sowie aufbricht.
2.2 Der Aufbruch – Der ständige Drang zum Reisen
„Mir ist’s nirgends recht. Es ist, als wäre ich überall eben zu spät gekommen, als hätte die ganze Welt gar nicht auf mich gerechnet.“[26] Doch nicht nur die brotlosen Künste oder seine Schön- und Freigeistigkeit drängen den Taugenichts in die Außenseiterposition, sondern viel mehr seine Reise- und Abenteuerlust, seine „unstillbare[…] Sehnsucht“[27] sowie die „lockende Ungebundenheit“[28]: „Nein, rief ich aus, fort muss ich von hier, und immer fort, so weit als der Himmel blau ist!“[29] Denn eben jener ständige „Auf- und Ausbruch“[30] verhindert eine gewisse Sesshaftigkeit, eine langfristige Integration in ein soziales Umfeld[31] sowie eine sukzessive Sozialisation. Das Wandern[32] hingegen, eines der zentralsten Motive der Romantik und ein großer Bestandteil des natureigensten Wesens des Taugenichts, floriert.[33] Hierbei erfährt er die reinste Form der Freiheit und der Natur, wenn er über Wien, Italien zurück nach Wien, durch Wälder und Gärten streift.
Während die Ziele seiner Wanderungen und Reisen die meiste Zeit über auch ihm unbekannt und verborgen bleiben[34], „liegt der Grund für seine Unrast, für seinen Wandertrieb“[35] im Glauben und speziell in der Suche nach dem göttlichen Wesen.[36] „Als ewig Suchende[r]“[37] ist demnach „der Weg […] sein Ziel“[38] und: „Er ist Mensch, und er ist es so sehr, daß er überhaupt nichts außerdem sein will und kann: eben deshalb ist er der Taugenichts.“[39]
2.3 Das Philistertum
[…] denn ein Philister ist, wer mit Nichts geheimnisvoll und wichtig tut, wer die hohen Dinge materialistisch und also gemein ansieht, wer im vornehmgewordenen sublimierten Egoismus sich selbst als Goldenes Kalb in Mitte der Welt setzt und es ehrfurchtsvoll anbetend umtanzt.[40]
So lautet die Definition eines stereotypischen Spießbürgers nach Joseph von Eichendorff und erfasst dabei bereits wesentliche Merkmale, wie z.B. den Material- und Egoismus. Doch auch vom scheinbar antiphiliströsen Taugenichts erfahren wir näheres über die Philisterei, wenn es in seinem ersten Lied heißt: „Die Trägen, die zu Hause liegen,/ Erquicket nicht das Morgenrot,/ Sie wissen nur vom Kinderwiegen/ Von Sorgen, Last und Not und Brot.“[41] Hierbei wird auf die Monotonie und das strikte Pflichtbewusstsein des rationalen Besitzbürgertums hingewiesen. Jede ihrer Tätigkeiten unterliegt den „bürgerliche[n] Utilitätsvorstellungen“[42] und steht somit im engen Zusammenhang mit einer gewissen Regelhaftigkeit, welche in ihrem Arbeitsalltag und ihrer Sesshaftigkeit[43] Ausdruck findet. Hiervon zeugt das Zitat: „[…] alle meine alten Bekannten und Kameraden […], wie gestern und vorgestern und immerdar, zur Arbeit hinausziehen, graben und pflügen […].“[44] Weitere philiströse Attribute, wie die Engstirnigkeit, der Kapital- und Bürokratismus werden anhand des Vaters, des Gärtners, des Amtmanns oder auch des Portiers repräsentiert. Doch auch der Schlafrock und -mütze[45], Pantoffeln, Tabak sowie die Pfeife weisen als „Insignien des Philisters“[46] auf das Spießbürgertum hin. Bezeichnend für diese konträre Relation zum Künstlertypus steht: „Insgesamt ist mit dem Philister-Begriff das Angriffsziel jedoch ausgeweitet von den Repräsentanten einer bestimmten geistesgeschichtlichen Epoche auf den Typ des Spießers überhaupt.“[47] Während die Maximen des Taugenichts aus dem Romantischen resultieren, lässt sich die philiströse Mentalität aus folgenden Strophen abzuleiten: „Beatus ille homo/ Qui sedet in sua domo/ Et sedet post fornacem/ Et habet bonam pacem!“[48]
[...]
[1] Vgl. Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts. Hrsg. von Hartwig Schultz. Stuttgart: Reclam 2006. S. 103.
[2] Joseph von Eichendorff. Eine Biographie. Hrsg. von Hartwig Schultz. Frankfurt am Main und Leipzig 2007. S. 171.
[3] Eichendorff, J.v.: Aus dem Leben eines Taugenichts. S. 5.
[4] Bosselmann-Franzen, Amalie: Die Bedeutung der Gestalt des Taugenichts in Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“. In: Monatshefte für deutschen Unterricht, 6 (1939). S. 267f.
[5] Käch, Rudolf: Eichendorffs Taugenichts und Taugenichtsfiguren bei Gottfried Keller und Hermann Hesse. Bern;Stuttgart: Haupt, 1988. S. 1.
[6] Ebd.
[7] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Hrsg. von Heinz Rölleke. Stuttgart: Reclam 1987. S. 393.
[8] Vgl. Eichendorff, J.v.: Aus dem Leben eines Taugenichts. S. 104.
[9] Vgl. Köhnke, Klaus: Hieroglyphenschrift. Untersuchungen zu Eichendorffs Erzählungen. In: Aurora. Hrsg. von Wolfgang Frühwald e.a. Sigmaringen: Jan Thorbeck Verlag 1986 (46). S. 82.
[10] Vgl. Käch, R.: Eichendorffs Taugenichts und Taugenichtsfigur bei Gottfried Keller und Hermann Hesse. S. 3f.
[11] Eichendorff, J.v.: Aus dem Leben eines Taugenichts. S. 5.
[12] Bosselmann-Franzen, A.: Die Bedeutung der Gestalt des Taugenichts in Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“. S. 271.
[13] Vgl. Mann, Thomas: Betrachtung eines Unpolitischen . Hrsg. von Herrmann Kurzke. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2009. S. 411.
[14] Vgl. Bormann, Alexander von: Philister und Taugenichts. Zur Tragweite des romantischen Antikapitalismus. In: Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft. Hrsg. von Franz Heiduk. Würzburg: Eichendorff-Gesellschaft 1970/71. S. 98f.
[15] Käch, R.: Taugenichts und Taugenichtsfigur bei Gottfried Keller und Hermann Hesse. S. 26.
[16] Vgl. Bosselmann-Franzen, A.: Die Bedeutung der Gestalt des Taugenichts in Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“. S. 265.
[17] Eichendorff, J.v.: Aus dem Leben eines Taugenichts. S. 6 : Anfang des Gedichts Der frohe Wandersmann.
[18] Vgl. Käch, R.: Eichendorffs Taugenichts und Taugenichtsfigur bei Gottfried. Keller und Hermann Hesse. S. 24.
[19] Ebd., S. 104 : Der von Eichendorff zuvor erwogene Titel der Novelle.
[20] Ebd.
[21] Hammer, Gerd: Der Taugenichts bei den Philistern. Anmerkungen zu Robert Walsers Dramolett Der Taugenichts. In: Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft. Hrsg. von Wolfgang Frühwald.e.a. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag 1988. S. 112.
[22] Ebd.
[23] Ebd., S. 115.
[24] Ebd., S. 113.
[25] Eichendorff, J.v.: Aus dem Leben eines Taugenichts. S. 26.
[26] Ebd., S. 22.
[27] Lämmert, Eberhard: Eichendorffs Wandel unter den Deutschen. Überlegungen zur Wirkungsgeschichte seiner Dichtung. In: Die Deutsche Romantik. Poetik, Formen und Motive. Hrsg. von Hans Steffen. Vierte Auflage. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1989. S. 229.
[28] Ebd., S. 224.
[29] Eichendorff, J.v.: Aus dem Leben eines Taugenichts. S. 26.
[30] Käch, R.: Eichendorffs Taugenichts und Taugenichtsfigur bei Gottfried. Keller und Hermann Hesse. S.1.
[31] Vgl. Lämmert, E.: Eichendorffs Wandel unter den Deutschen. Überlegungen zur Wirkungsgeschichte seiner Dichtung. S. 223.
[32] Vgl. Käch, R.: Eichendorffs Taugenichts und Taugenichtsfigur bei Gottfried. Keller und Hermann Hesse. S. 29.
[33] Vgl. Mann, T.: Betrachtung eines Unpolitischen. S. 411.
[34] Vgl. Lämmert, E.: Eichendorffs Wandel unter den Deutschen. Überlegungen zur Wirkungsgeschichte seiner Dichtung. S. 230.
[35] Käch, R.: Eichendorffs Taugenichts und Taugenichtsfigur bei Gottfried. Keller und Hermann Hesse. S. 26.
[36] Vgl. ebd.
[37] Bosselmann-Franzen, A.: Die Bedeutung der Gestalt des Taugenichts in Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“. S. 265.
[38] Schultz, H.: Joseph von Eichendorff. Eine Biographie. S. 174.
[39] Mann, T.: Betrachtung eines Unpolitischen. S. 414.
[40] Eichendorff, Joseph von: Der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts in seinem Verhältnis zum Christentum. Ästhetisches Christentum und Antichristentum. In: Joseph von Eichendorff Geschichte und Poesie. Schriften zur Literaturgeschichte. Hrsg. von Hartwig Schultz. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1990 ( = Joseph von Eichendorff Werke – Schriften zur Literaturgeschichte). S. 628.
[41] Eichendorff, J.v.: Aus dem Leben eines Taugenichts. S. 6.
[42] Hammer, G.: Der Taugenichts bei den Philistern. Anmerkungen zu Robert Walsers Dramolett Der Taugenichts. S. 114.
[43] Vgl. Käch, R.: Eichendorffs Taugenichts und Taugenichtsfigur bei Gottfried. Keller und Hermann Hesse. S. 29.
[44] Eichendorff, J.v.: Aus dem Leben eines Taugenichts. S. 5.
[45] Vgl. Bormann, A. v.: Philister und Taugenichts. Zur Tragweite des romantischen Antikapitalismus. S. 99.
[46] Ebd.
[47] Barth, Johannes: Clemens Brentano. Der Philister vor, in und nach der Geschichte. In: Der höllische Philister. Die Darstellung des Teufels in Dichtungen der deutschen Romantik. Hrsg. von Heinz Kosok e.a. Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier 1993 ( = Schriftenreihe Literaturwissenschaft Band 25) S. 96.
[48] Eichendorff, J.v.: Aus dem Leben eines Taugenichts. S. 117. (Glücklich ist jener Mensch, der in seinem Hause sitzt und hinter dem Ofen sitzt und guten Frieden hat!).